Usbekisches Reisetagebuch - Ludwig Witzani - E-Book

Usbekisches Reisetagebuch E-Book

Ludwig Witzani

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Soll man in Zeiten des islamistischen Terrorismus ein islamisches Land besuchen? Diese Frage beschäftigt Ludwig Witzani, als er sich einen lange gehegten Reisetraum erfüllt und endlich nach Chiwa, Buchara und Samarkand, den Perlen der Seidenstraße reist. Die zum Teil sehr persönlichen Reisenotizen beschreiben die Geschichte und Kultur Usbekistans als eines Landes im Umbruch an der Schnittstelle von Islam und Moderne, Demokratie und Diktatur. Die Reise beginnt in der Hauptstadt Tashkent. Im Ferghanatal besucht der Autor das fruchtbare Herz Zentralasiens, zugleich aber auch ein islamistisches Krisengebiet. Zurück in die alte Geschichte des Kushanareiches und Choresmiens führt der Abstecher nach Karakalpakstan im Nordwesten Usbekistans. Höhepunkt der Reise ist der Aufenthalt in Chwia, Buchara und Samarkand, die sich trotz aller touristischen Inszenierung den Flair von Tausendundeiner Nacht bewahrt haben.

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Seitenzahl: 108

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Inhalt

Titel

Copyright

Karte

Vorbemerkung

Soll man in den Zeiten des islamistischen Terrors in ein islamisches Land fahren?

TASCHKENT

FERGHANA

KARAKALPAKSTAN

CHIWA

BUCHARA

SAMARKAND

Reisehinweise

Literaturhinweise und -nachweise

Foto- und Kartennachweis

Über den Autor

Weitere Veröffentlichungen

Ludwig Witzani

Usbekisches

Reisetagebuch

Ludwig Witzani

Usbekische Reisetagebuch

_________________________________________________________________________

Lektorat: Tilman Griebenow

epubli Verlag, Berlin, 2016

ISBN 978-3-7375-8733-4

Vorbemerkung

Das usbekische Reisetagebuch beschreibt eine Reise nach Usbekistan im Schatten des islamistischen Terrors. Ich habe diese Notizen und meine Vorbereitungen ohne große Änderungen übernommen und nur hier und da Ungenauigkeiten und Details korrigiert beziehungsweise ergänzt.

Reisenden, die sich nur eine überschaubare Zeit in einem Land aufhalten, gewinnen immer nur eine begrenzte, unvollständige Perspektive. Ihr Vorteil aber ist die Distanz, aus der heraus möglicherweise die Konturen klarer werden. Darum habe ich mich bemüht, soweit mir das möglich war. Gleichwohl bitte ich für eventuelle Fehler um Nachsicht. Für die Urteile und Positionen, die ich in diesem Reisetagebuch äußere, bin selbstverständlich nur ich verantwortlich.

Ich widme dieses Buch Bashorat Zardinova stellvertretend für die unzähligen Usbekinnen und Usbeken, die ihr Land und ihre Religion von Herzen lieben und doch die Welt mit offenen Augen sehen.

Bonn, im Februar 2016

Ludwig Witzani

Statue des islamischen Universalgelehrten

Al Chwarizmi vor den Stadttoren von Chiwa

Soll man in den Zeiten des islamistischen Terrors

in ein islamisches Land fahren?

Ich habe als noch relativ junger Mann die meisten moslemischen Länder bereist, ausnahmslos selbstorganisiert und in Eigenregie. Die Bekanntschaften und Erlebnisse, die ich auf diesen Reisen mit den Menschen vor Ort gemacht habe, gehören für mich zu den schönsten Erinnerungen meines Reiselebens. Zugegeben, überall besitzt die Welt eine besondere Färbung, jede Ecke unseres Planeten enthüllt dem Reisenden eine andere Facette des Menschseins, aber das, was der Orient zu bieten hat, ist doch einzigartig. Seiner Romantik, seinen Stimmungen und Geräuschen, seiner Musik und Architektur kommt nichts gleich, und auch wenn es sich übertrieben anhören mag, so war mir oft, als würde ich dem Leben in einer dichteren Konsistenz teilhaftig, wenn ich durch die Altstädte von Lahore, Isfahan oder Marrakesch lief. So habe ich es immer wieder empfunden, ganz egal, welche Provinz der islamischen Welt ich bereiste. Allerdings, das muss ich von heute aus hinzufügen, vollzogen sich die meisten dieser Reisen in einer Zeit, in der der Islam noch nicht die kampfbereite Abwehrstellung gegen alles Westliche eingenommen hatte, in der er sich heute oft gefällt. Damals war er mir erschienen wie ein romantischer Bruder meiner eigenen Kultur, der in seiner Zivilisation einen gemeinschaftlichen Zauber entfalten konnte, nachdem sich der individualistische Mensch des Westens insgeheim verzehrt.

Auf der nach oben offenen Skala meines Fernwehs fehlten mir für den islamischen Kulturraum eigentlich nur noch drei Städte: Chiwa, Buchara und Samarkand, die Perlen Zentralasiens. Seit meiner Knabenzeit waren diese Städte für mich gleichbedeutend mit der Stimmung von Tausendundeiner Nacht, einer Ahnung von Karawanen und Kamelmärkten, Abenteuer und Orient - so weit weg, dass niemand wirklich wissen konnte, was dort vor sich ging und gerade deswegen wie eine große freie Leinwand der Fantasie, auf der ich malen konnte, was mir gefiel.

Schon mehrfach hatte ich angesetzt, nach Usbekistan zu reisen, aber immer war mir etwas dazwischengekommen. Ein Reisepartner, der woanders hinwollte, eine Scheidung, eine Erkrankung oder Ebbe in der Reisekasse. Im Jahre 2015 war es dann endlich soweit. Doch dann kam der Terror.

Über dem Sinai zerriss eine Bombe einen russischen Ferienflieger und brachte 221 unschuldigen Männern, Frauen und Kindern den Tod. In Tunesien landeten islamistische Mörder an einem Badestrand und begannen, Touristen mit ihren Schnellfeuergewehren zu erschießen. In Istanbul drängte sich ein Islamist in eine deutsche Reisegruppe und zündete seine Bombe. Zehn Tote, zahllose Verstümmelte.

Schlagzeilen aus einem Horrorfilm? Keineswegs, lauter blutige Tatsachen aus den letzten Monaten. Und ein Ende der Massaker war überhaupt noch nicht abzusehen. Fast täglich gingen neue Schreckensmeldungen über den Ticker, und es war, als hätten sich fundamentalistische Kräfte innerhalb des Islams dazu entschlossen, die Welt in einem Veitstanz ohnegleichen mit in den Abgrund zu reißen. Der islamistische Terrorismus hatte dem Tourismus den Krieg erklärt, daran konnte es keinen Zweifel mehr geben. Nicht mehr Geheimpolizisten oder Diktatoren waren nun ihre Angriffsziele, sondern Menschen, die sich gerade für die islamische Kultur interessierten und deren Ausgaben diesen Länder zugute kamen.

Dieser Krieg des islamistischen Terrorismus gegen den Tourismus zeigt inzwischen die ersten Erfolge. Der Tourismus in Ägypten und Tunesien ist praktisch zusammengebrochen, in der Türkei ist er schwer angeschlagen. Was aber ist mit Usbekistan? Usbekistan liegt in der Nähe von Pakistan, wo der Geheimdienst der Terrororganisation Al Qaida jahrelang Unterschlupf gewährt hatte. Usbekistan besitzt eine gemeinsame Grenze mit Afghanistan, wo die NATO einen völlig sinnfreien Krieg führt und die Taliban gerade dabei sind, die Macht zurückzugewinnen. Außerdem wurde Usbekistan von einer autoritären Regierung beherrscht, die zwar die Islamisten jagte, wo immer sie sich zeigten, aber zugleich das Ihre dazu beitrug, dass der Druck im Kessel ständig stieg.

Aber kein islamisch

es Land ist wie das andere, weder was seine Kulte, seine Menschen oder seine Regierung betrifft. Wenn man dem Auswärtigen Amt glauben durfte, war die Sicherheitslage in Usbekistan insgesamt zufriedenstellend, allenfalls im Ferghanatal oder an der Grenze zu Afghanistan war erhöhte Sorgfalt angebracht. Aber so etwas las man immer, bevor der erste Terroranschlag oder die erste Entführung stattfand. Was war also zu tun?

Zuerst verabschiedete ich mich von dem Gedanken, wie ursprünglich geplant, das Land selbstorganisiert zu bereisen. Als Individualtourist taucht man ein in Millionenstädte, ohne eine Spur zu hinterlassen, man fährt in Bussen und kein Hahn kräht nach einem, wenn er in eine Schlucht fällt - und wenn man krank wird und in einem einheimischen Hospital landet, dann gnade einem Gott. Alleine unterwegs zu sein, ist der Königsweg, den Menschen ganz nahe zu kommen, aber in Krisenregionen bedeutet es auch, das Schicksal herauszufordern.

Aber auch eine organisierte Bildungsreise kam für mich nicht in Frage. Ohne irgend etwas gegen bildungsreisende Pauschalurlauber gesagt zu haben, geht mir einfach die Anpassungsfähigkeit ab, die mit einer Reisegruppe von zwanzig bis dreißig Personen notwendig verbunden ist. Das ist alleine mein Problem und spricht nicht gegen diese Reiseart als solcher.

Die Lösung war einfacher als gedacht. Nach einer kurzen Recherche im Netz nahm ich Kontakt mit einer usbekischen Agentur auf, die schon seit Jahren vorgeplante oder maßgeschneiderte Touren für Einzelreisende vermittelt, Hotels und Fahrzeuge organisiert und bei Bedarf auch Reiseführer vor Ort stellt. Und bequemer als eine Individualreise war es außerdem.

Die latente Bedrohung, die vom islamistischen Terror ausgeht, war mir trotzdem an jedem Punkt meiner Reise in Usbekistan bewusst. Sie war bei mir als eine diffuse Stimmung, wenn ich über die Märkte lief, in die Busse oder Züge stieg oder Sehenswürdigkeiten besichtigte. In meinem Fall jedoch war sie verbunden mit dem festen Entschluss, zwischen denen, die mich möglicherweise bedrohten, und denen, die mir in ihrem Land eine beglückende Gastfreundschaft entgegenbrachten, strikt zu unterscheiden.

Usbekische Mutter mit ihren Kindern im Ferghanatal

Timur- Emir von Transoxanien (1336-1405)/Taschkent

TASCHKENT

Um sieben Uhr in der Frühe ging ich in Bonn aus dem Haus, stieg in die Straßenbahn nach Siegburg und traf Wolfgang im ICE nach Frankfurt. Mit Wolfgang führe ich seit dreißig Jahren eine Reisefreundschaft der besonderen Art, aus der heraus sich alle paar Jahre ein neuer Reiseplan entwickelt, uns beide ergreift und begeistert, ehe wir uns auf die Socken machen. Wir waren in Marokko, Algerien, Vietnam, China, Alaska und Patagonien und sahen jetzt unserer letzten gemeinsamen Reise entgegen.

Nach einer dreiviertel Stunde hielt der ICE am Frankfurter Flughafen. Um 9.30 fuhren wir mit dem Shuttlebus zum Terminal 2. Der Bus war brechend voll, überall lagen unförmige Gepäckstücke herum. Keine Kontrolle, nirgends. Einen Augenblick dachte ich daran, wie leicht und unkontrolliert ein muslimischer Extremist in einem solchen Shuttlebus einen Bombe zünden könnte. Dann schämte ich mich für diesen Gedanken. Aber wieso? War ich so vollständig auf ein Gut-Wetter-Leben konditioniert, dass ich mich bei Ahnung von Gefahr nicht ängstige, sondern schämte?

Dann waren wir da, und nach nur wenigen Minuten hielten wir schon die Bordkarten in den Händen. Vor den Schaltern wuselten Russen, Usbeken, Kasachen, Thai und Philippinos durcheinander, vermummte Frauen hockten neben unglaublichen Bergen von Handgepäck.

Der Flieger startete verspätet, weil auf einige Nachkömmlinge gewartet wurde. Die Maschine von Usbekistan Airways war bei weitem nicht ausgebucht, und es war kein Problem, eine freie Reihe zum Schlafen zu finden. Der Service war rustikal. Viel dicker dürfen die Stewardessen nicht werden, sonst kommen sie nicht mehr durch die Zwischengänge.

Usbekistan ist Teil einer geografischen Großregion, die heute als Zentralasien und früher als Westturkestan bezeichnet wurde (im Unterschied zum chinesisch kontrollierten Ostturkestan mit der Provinz Xinjiang). Die Region wird im Norden begrenzt durch Südsibrien, im Süden durch den Iran und Afghanistan, im Westen durch das Kaspische Meer und im Osten durch das Karakorum-Gebirge. Sechs Staaten befinden sich in Westturkestan/Zentralasien. Der flächenmäßig größte ist Kasachstan mit 2,7 Millionen qkm und knapp 18 Millionen Einwohnern. Der bevölkerungsreichste ist Usbekistan mit etwa 450.000 qkm und dreißig Millionen Einwohnern. Etwas größer als Usbekistan ist Turkmenistan, das sich westlich von Usbekistan bis zu den Ufern des Kaspischen Meeres erstreckt, aber nur knapp 7 Millionen Einwohner zählt. Die flächenmäßig kleinsten Länder der Region sind Tadschikistan und Kirgisien. Auf ihrem überwiegend gebirgigen Territorium leben 8 bzw. 6 Millionen Menschen. Usbeken, Kasachen, Kirgisen und Turkmenen sind Mischvölker, in denen sich Mongolisches und Türkisches in unterschiedlichen Anteilen verbindet. Tadschiken sind Iraner, worauf sie sich eine Menge zugute halten. Im Unterschied aber zu den Iranern in der Islamischen Republik Iran sind die Tadschiken nicht Schiiten sondern Sunniten.

Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie im Geschichtsunterricht die Grenzen des persischen Achaimenidenreiches und des Alexanderreiches im Nordosten immer merkwürdig ausfransten. Die Ostgrenze war der Indus, klar. Die Südgrenze: das Arabische Meer und der Persische Golf. Aber der Nordosten? Was waren das für Gegenden und was trugen sie für eigenartige Namen? Sogdien, Choresmien? Transoxanien? Es waren jene Landschaften am heutigen Amu Darja und Syr Darja (die damals allerdings Oxus und Jaxartes hießen), die heute im Wesentlichen das Territorium Usbekistans bilden.

Geografische Basisdaten zum heutigen Usbekistan. Das Land liegt in der großen abflusslosen turanischen Senke und wird von zwei Wüsten (der schwarzen und der roten Wüste) bedeckt und von zwei großen Flüssen ( dem Amu Darja und dem Syr Darja, früher Oxus und Jaxartes ) und einem kleineren, dem Serafschan, durchflossen. Das Hauptproblem Usbekistans besteht in der Wasserversorgung, denn die Flüsse versickern entweder vor ihrer Mündung in den Aralsee, oder sie erreichen ihn nur als kümmerliche Rinnsale, weil ihnen unterwegs zu viel Wasser zur Bewässerung der Baumwoll- und Gemüsefelder abgezapft wird. Außerdem leidet das Land unter einer extrem hohen sommerlichen Verdunstung und einer entsprechenden Versalzung des Wassers. 250 Gramm Salz pro Liter machen das Grundwasser als Trinkwasser praktisch ungenießbar. Wo es aber aus dem Hahn kommt und man sich damit die Haare wäscht, braucht man keinen Föhn mehr, und die Frisur liegt, als hätte man ein Pfund Taft verwendet.

Islamische Städte besaßen früher eine Poesie, die das Herz erwärmte. Heute muss man sich in ihnen vor islamistischen Bombenlegern fürchten. Wie konnte es dazu kommen? Viele sagen: Das hat sich der Westen selbst zuzuschreiben. Er hat die Orientalen schon immer unterdrückt und bekommt nun ihren Zorn zu spüren. Meine Vermutung über die Radikalisierung des Islam geht in eine andere Richtung. Es handelt sich um die Kombination zweier Phänomen: der Verbindung einer Hochreligion, die unter bestimmten Umständen Gewalt tatsächlich rechtfertigt (ich weiß, das hört sich politisch inkorrekt an, entspricht aber der Wahrheit) und einem gigantischen „Youth Bulge“, d. h. einem noch nie dagewesenen Überschuss an jungen Männern, die in ihren Herkunftsländern zu wenig Perspektiven besitzen.

Der erste Usbeke, dem ich auf dem Flughafen von Taschkent begegnete, war Islamov Karimov. Natürlich nicht persönlich, sondern in Gestalt eines eingerahmten Bildes vor der Passkontrolle. Man sah sofort: mit ihm war nicht zu spaßen. Seit 25 Jahren beherrscht er sein Land mit eiserner Hand und verfolgte jede Art von Widerstand mit gnadenloser Härte, ganz gleich, ob es sich um die demokratische Opposition oder um islamistische Terroristen handelte.

Die Einreise in Usbekistan war völlig problemlos, wenn man davon absah, dass kaum englischsprachige Zollformulare aufzutreiben waren. Viele Einreisende mussten russischsprachige Formulare ausfüllen und hoffen, dass sie ihre Informationen in die richtige Spalte eingetragen hatten. Machte aber nichts, denn der Passbeamte warf kaum einen Blick darauf. An touristischen Besuchern schien es trotz der angespannten Weltlage nicht zu mangeln. Vor allem ältere Menschen wollten am Abend ihres Lebens noch einmal den Orient als Gruppenreisende erleben.

Der Syr Darja im Ferghanatal

Der Amu Darja zwischen Chiwa und Buchara

Die Stadt Taschkent zählt 2,7 Millionen Einwohner. Obwohl die Umgebung der Stadt seit ewigen Zeiten bewohnt ist, entstammt sie selbst der Shaibanidenzeit, d. h. dem 16. Jahrhundert. Eine Zeitlang gehörte sie zum Khanat von Kokand, dann zum Reich der Dzungaren, ehe die Russen kamen und mit ihnen die demografische Expansion (nicht zuletzt durch massive russische Zuwanderung und die Verbesserung der Gesundheitsfürsorge).