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Eine vermeintliche Sensation wurde zu einem der größten Skandale in der deutschen Mediengeschichte: Ende April 1983 veröffentlichte die Illustrierte "Stern" angebliche Tagebücher Adolf Hitlers. Schon wenige Tage später stellten sie sich als vollständige und sogar handwerklich schlechte Fälschung heraus. Geschrieben hatte die Texte der Kunstfälscher Konrad Kujau seit November 1975, um sie in Kreisen von Hitler-Bewunderern zu verkaufen. Anfang 1980 erfuhr der "Stern"-Reporter Gerd Heidemann von den vermeintlichen Tagebüchern und kaufte in mehreren Tranchen für insgesamt rund zehn Millionen DM 62 Kladden im Auftrag seines Arbeitgebers, des Hamburger Verlages Gruner & Jahr. Hochmut kommt vor dem Fall: ",Der Stern' hat mit großer Sorgfalt die Tagebücher prüfen lassen", schrieb "Stern"-Chefredakteur Peter Koch im Editorial zu Heft 18/1983 der Hamburger Illustrierten, das zu einer eigens einberufenen Pressekonferenz am 25. April 1983 in Hamburg erschien. Und er ergänzte: "Ein Aufwand, der in der Historikerzunft nicht immer üblich ist." Damit nicht genug: "Schriftsachverständige und Zeitgeschichtler der Spitzenklasse machten sich über die Dokumente her. Ihr Urteil ist so einstimmig wie eindeutig." Daraus schloss Koch: "Nach Menschenermessen kann kein Zweifel an der Echtheit bestehen."
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Seitenzahl: 77
Walter Brendel
Der Tagebuchfälscher
Impressum
Texte: © Copyright by Walter Brendel
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Inhalt
Einführung
Die Pressekonferenz
Gerd Heidemann
Konrad Kujau
Wie ging es weiter?
Der Weg der Tagebücher
Zusammenfassung
Eine vermeintliche Sensation wurde zu einem der größten Skandale in der deutschen Mediengeschichte: Ende April 1983 veröffentlichte die Illustrierte „Stern“ angebliche Tagebücher Adolf Hitlers. Schon wenige Tage später stellten sie sich als vollständige und sogar handwerklich schlechte Fälschung heraus. Geschrieben hatte die Texte der Kunstfälscher Konrad Kujau seit November 1975, um sie in Kreisen von Hitler-Bewunderern zu verkaufen. Anfang 1980 erfuhr der „Stern“-Reporter Gerd Heidemann von den vermeintlichen Tagebüchern und kaufte in mehreren Tranchen für insgesamt rund zehn Millionen DM 62 Kladden im Auftrag seines Arbeitgebers, des Hamburger Verlages Gruner & Jahr.
Hochmut kommt vor dem Fall: „,Der Stern’ hat mit großer Sorgfalt die Tagebücher prüfen lassen“, schrieb „Stern“-Chefredakteur Peter Koch im Editorial zu Heft 18/1983 der Hamburger Illustrierten, das zu einer eigens einberufenen Pressekonferenz am 25. April 1983 in Hamburg erschien. Und er ergänzte: „Ein Aufwand, der in der Historikerzunft nicht immer üblich ist.“ Damit nicht genug: „Schriftsachverständige und Zeitgeschichtler der Spitzenklasse machten sich über die Dokumente her. Ihr Urteil ist so einstimmig wie eindeutig.“ Daraus schloss Koch: „Nach Menschenermessen kann kein Zweifel an der Echtheit bestehen.“
Konrad Kujau, der Schelm, der das große Verlagshaus Gruner + Jahr an der Nase herumgeführt hat, der raffinierte, aber irgendwie liebenswerte Trickser, als der er uns immer verkauft wurde. Hatte auch einen interessanten Bekanntenkreis, der Herr Kujau. Zum Beispiel Hans Bauer, Hitlers Chefpilot. SS-Gruppenführer, der das Reich im Herzen trug. Oder einer seiner Anwälte, Peter Stöckicht, NPD-Politiker, überzeugter Rechtsextremist.
Und dann vor allem er: Lothar Zaulich, ein guter Kamerad Konrad Kujaus [der noch 1992 in einem Interview den Wunsch geäußert hat, die NSDAP möge wieder in Deutschland regieren und den Holocaust leugnete]. Er war der Pressesprecher des damals zentralen Neo-Nazis Michael Kühn. Das ist es, warum die Aufarbeitung so wichtig ist.
Kujau wollte nicht einfach nur Geld verdienen, er wollte im wahrsten Sinne des Wortes (die) Geschichte (um)schreiben. Und wie in dem Beitrag kritisch angemerkt wurde, hat man von ihm später das Bild des „Schelms“ gezeichnet, der durch Talkshows tingelte und harmlos war. Das war er eben nicht, er war in der rechtsradikalen Szene gut vernetzt, hat durch seine Kontakte ja sogar erst gelernt, Hitlers Handschrift zu fälschen.
Zudem finde ich es wichtig, auch für die heutige Generation herauszuarbeiten, wie willig man damals war, Ausreden für die Gräuel des Dritten Reichs zu finden („wenn Hitler schon nichts gewusst hat…“). Und die Menschen vom „Stern“ waren ja keine Leute ohne Bildung, die haben über die Unstimmigkeiten in den Tagebüchern hinweggesehen, weil sie darüber hinwegsehen wollten.
Jetzt sind die gefälschten Hitler-Tagebücher von Konrad Kujau erstmals öffentlich verfügbar. Der NDR hat die erfundenen Texte digitalisiert, mithilfe von Historikern ausgewertet und von dem Politikwissenschaftler Hajo Funke einordnen lassen.
Die Journalisten bekamen allerdings keinen Zugriff auf die Originale, die unzugänglich bei Gruner + Jahr in einem Tresor lagern:
Nach langen Recherchen ist es gelungen, den Gesamttext aus anderen Quellen zu rekonstruieren. Kopien des ersten Teils über die Jahre 1932 bis 1939 tauchten im Nachlass der 2012 verstorbenen britischen Historikerin und Journalistin Gitta Sereny auf. Kopien der späteren Bände fanden sich bei Anwälten, die an Verfahren zum Fälschungsskandal beteiligt waren.
Der Medienkonzern Bertelsmann, zu dem über die RTL Group seit 2021 auch der Gruner + Jahr-Verlag gehört, hat angekündigt, eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Umgangs mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern beim Stern in Auftrag zu geben. Bertelsmann habe dazu einen bestehenden Forschungsauftrag am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München erweitert. Die Ergebnisse sollen vollumfänglich veröffentlicht werden.
1983, das Jahr der großen Friedensdemos. In Bonn wird Helmut Kohl zum Kanzler gewählt und im Hamburg feiert man wie jedes Jahr Hafengeburtstag. An der Alster befindet sich auch das Verlagshaus des Sterns. Es ist der 25. April, im Verlagshaus findet eine Pressekonferenz statt, wo eine Weltsensation verkündet wird. Man habe die Tagebücher Adolf Hitlers entdeckt. Die Presseleute drängten sich um die besten Plätze in den vordersten Reihen, bekamen Krach miteinander und gingen sich gegenseitig an die Gurgel. Aber der Triumpf wird am Ende zur Tragödie.
Stern-Reporter Gerd Heidemann präsentiert die Hitler-Tagebücher
Diese Geschichte war ein Meilenstein der Kritiklosigkeit und der Geldgier, eine programmierte Katastrophe. Es ist die großspurige Inszenierung einer Jahrhundert-fälschung und der Traum vom ganz großen Geschäft. Doch ging es allein ums Geld, oder auch den Versuch Hitler reinzuwaschen?
Hamburg-Altona. Im Keller eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes. Gerd Heidemann ist einer der Hauptdarsteller der Geschichte. Er ist heute über 90.
Gerd Heidemann in seinem Archiv
Seit Jahrzehnten sammelt er Belege für seine Version der Story. Wie man ihm hereinlegte, bedrohte und zum Bauernopfer machte. Er öffnet sein Archiv und das beginnt nicht vor 40 Jahren, auch nicht vor Hundert oder Tausend, sondern noch früher. Das Archiv beginnt mit dem Urknall sozusagen. Heidemann sagt dazu, dass er hier versucht hat, die ganze Geschichte der Menschheit zu dokumentieren. Alexander der Große, Hannibal, Cäsar und so weiter. Weiter geht es mit Preußen und Friedrich den Großen mit seinen ganzen Kriegen. Aber am Ende dreht sich bei Heidemann doch alles um Hitler.
Propagandafotos, Dokumente der Inszenierung. Doch wie war Hitler wirklich, wie war er privat? Man wusste nur wenig über den privaten Hitler, denn der hat sich abgeschottet durch sein Personal und seine Bewacher. Das wirkliche Privatleben, wie Hitler beim Frühstück, Hitler beim Zähneputzen usw. hielte er bewusst von der Öffentlichkeit fern. Viele Bilder Hitlers als Privatmann wurden erst nach dem Krieg bekannt. Seine heimliche Lebensgefährtin, Eva Braun, hat sie gefilmt.
Hamburg. Im Archiv des Verlages Gruner + Jahr werden die Fake-Tagebücher verwahrt. Nur wenige haben Zugang. Zeitgeschichtliche Dokumente der 80iger Jahre. Gegen den Willen des Verlags wurden die Tagebücher inzwischen online veröffentlicht. Was steht darin, in den 62 Bänden? Hitlers gefälschte Gedanken, erfundene Notizen zu Ereignissen und Personen, ausgedachte Gesundheitsprobleme, nachempfundene Gefühle für Eva Braun. Also Hitler hautnah. Jeder kannte Hitler im NS-Reich. Jeder wollte wissen, was schreibt er in seinen Tagebüchern. War er wirklich so eine Bestie, ein Monster?
Gerd Heidemann hat die vermeintlichen Tagebücher abgetippt. Wort für Wort, Satz für Satz, Seite für Seite. Und zitiert: „Er erzählte mir von einem Gerücht, ich würde mit Eva auf dem Berghof wie Mann und Frau miteinander leben. Dieses Gerücht kommt aus Richtung Görings. Mein Magen ist etwas ruhiger geworden, auch hat mir bestimmt die Luft auf dem Berghof gut getan.“ Männertratsch und Bauchschmerzen, dass sollen Hitlers Worte gewesen sein?
Beim Stern war man davon überzeugt, Anfang der achtziger Jahre. Die Nazizeit ist noch gut in der Erinnerung, zumal sich in Westdeutschland noch die alten und neuen Nazis tummelten. Im England heiraten Charles und Diana. Hamburg ist die Pressehauptstadt, der Konkurrenzkampf gnadenlos. Ständig tickt die Nachricht, permanent rauscht der Blätterwald. Der Stern ist das Magazin im Verlag Gruner + Jahr, ein Unternehmen, das sich Journalismus und Gestaltung viel kosten lässt und eine Menge Geld verdient mit Sex und Crime, Fotos und Politik. Der Stern ist eine publizistische Macht, mit einer Auflage von zwei Millionen Exemplaren.
Januar 1981. Über zwei Jahre vor der Pressekonferenz. Stern-Reporter Gerd Heidemann hat eine Telefonnummer bekommen, sie soll einen Dr. Konrad Fischer in Stuttgart gehören. Gerd Heidemann ist sich sicher, Dr. Fischer besitzt Hitlers Tagebücher. Er ruft ihm an und schneidet, wie er es immer macht, dass Telefonat mit.
„Schönen Guten Abend – Herr Fischer?“ „Ja.“ Hier ist Heidemann. Ich bin ein bisschen erkältet. Ich würde sie wahnsinnig gerne sprechen. Ich will am Telefon nicht lange darüber reden, worum es geht. Sie wissen es?“ Ein Originalmitschnitt, den Heidemann hat alle Gespräche dokumentiert. „Die Frage ist nur, ist es der Zeitraum 1933 bis 45? Oder auch davor?“ „Ein Buch ist von 1932. Und der letzte Eintrag war 16.4.“ „16.4.45“ „Ja.“
Gerd Heidemann wurde am 4. Dezember 1931 in Altona als Gerd Eiternick geboren. Er ist ein deutscher ehemaliger Reporter der Zeitschrift Stern. Er wurde als unehelicher Sohn des kaufmännischen Angestellten Johannes Schurbohm und von Martha Eiternick in Altona bei Hamburg geboren. Im Juli 1935 heiratete seine Mutter Rolf Heidemann, einen Beamten der Wasserschutzpolizei, der ihn adoptierte und dessen Nachnamen er annahm. Als Kind und Jugendlicher war Heidemann in der Hitler-Jugend. Heidemann berichtete für den Stern von vielen Kriegsschauplätzen (Biafra, Angola, Mosambik, Burundi, Guinea-Bissau, Uganda, Kongo) und rettete dem Kriegsreporter Randolph Braumann und 16 weiteren Geiseln 1970 beim Schwarzen-September-Aufstand in Amman das Leben. Über seine – mittlerweile umstrittenen – Recherchen zu B. Traven publizierte er 1977 das Buch Postlagernd Tampico. Aus den Recherchen heraus entstand bereits 1967 das fünfteilige Fernseh-Doku-Drama Im Busch von Mexiko – Das Rätsel B. Traven (Regie Jürgen Goslar), in dem Heidemann sich selbst spielt.