Die Göttin der Schlangen - Uwe Goeritz - E-Book

Die Göttin der Schlangen E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

"Die Göttin der Schlangen - Die Chroniken von Mirento Teil 3" Altersempfehlung: ab 16 Jahren In einer fernen Zukunft hat sich die Menschheit durch Naturkatastrophen und Kriege fast vollständig ausgelöscht. Die wenigen Überlebenden sind auf ein Dasein wie zur Zeit des Mittelalters zurückgefallen und bewohnen den Kontinent Mirento, der früher einmal Europa war. Dieser Kontinent ist in fünf Reiche aufgeteilt. Nachdem Lunara die Kammer der großen Göttin gefunden und die Völker König Xander gestürzt haben, scheint der Frieden gesichert, aber noch ist der unverwundbare und unsterbliche Tyrann nicht von der Bildfläche verschwunden. Erneut sind die drei Schlangenhüterinnen, die Königinnen Zondala, Radunta und Lunara, gefordert, den Frieden zu erhalten, doch können sie der dunklen Bedrohung widerstehen? Oder steht abermals die Zukunft der ganzen Menschheit auf dem Spiel?

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Inhaltsverzeichnis

Anmerkungen

Die Göttin der Schlangen

Ein neuer Anfang

Eine Frage der Perspektive

Ein ruhender Fels!

Ein Schlangendolch

Verloren im Wald

Ein Tag am Meer

Alte und junge Königin

Gedanken in der Nacht

Constanzes schwebender Garten

Fieber!

Eine Hochzeit ohne Hochzeitsnacht?

Ein starkes Fundament

Nur ein bisschen Zeit!

Im Zweifel für die Pflicht

Am Weiher der Göttin

Sinn und Sinnlichkeit

Zwei Esel unterwegs

Im Angesicht einer Göttin

Tumult im Tetburg Inn

Zwei Frauen

Für Mosilas Hilfe

Die leidige Pflicht

Ein leiser Zweifel

Zwei Freundinnen?

Sommerregen auf der Haut

Wunsch und Wirklichkeit

Ein Freundschaftsdienst

Blutrote Zeichen!

Albtraum oder Realität?

Nur ein Kuss?

Aufbruch schweren Herzens

Verpasste Chancen

So nah und doch so fern

Bonustage im Märchenland

Angst und Hoffnung

Einem Licht gefolgt

Spuren aus der Vergangenheit

Gedankenkreise

Das Licht einer Göttin

Eine Frage des Geschlechtes?

Südwärts, bis zum Ende der Welt!

Eine logische Konsequenz?

Das Feuerross

Vertrauen gegen Vertrauen

Das Ende aller Tage!

Verratene Freundschaft?

Der Mut einer Löwin

Der Pfad einer Göttin

Im Zweifel gefangen

Gespaltene Atome!

Eine neue Sonne!

Mit der letzten Kraft

Warum?

Der Gnade ausgeliefert

Ein Ort der göttlichen Ruhe

Freundinnen und Geschwister!

Der Liebe verfallen

Gräfin Tammy von der Göttin Gnade

Zwischen den Gefühlen

Familienbande

Eine Spur?

Der aufgehenden Sonne entgegen!

Seltsame Dinge geschehen!

Im Kampf für die Liebe

Raumbasis Alpha!

Eine große Tragödie

Siebenmeilenstiefel

Eine vertrackte Situation!

Auf der Suche nach Antworten

Drei Dreiecke

Eine neue Spur des Vaters

Der perfekte Plan?

Wenn Frauen planen...

Mit der Kraft der Sonne

Freiwillige vor!

Schwesterliche Hilfe

Rufe in der Nacht

Geheimniskrämerei

Ein gutes Tausend!

Das Schwert des Salawaschski

Die stählerne Gwendolyn

Im Hain der großen Göttin

Auf schmalen Pfaden

Auge in Auge mit der Angst!

Zwischen Leben und Tod

Mit Gutem im Sinn

Im Schicksal verbunden

Die Gnade einer Göttin

Wie die Göttin dich schuf

Neues Amt?

Ein Neubeginn

Im Schatten der Mutter

Lunaras Mondfahrt

Der Anfang von allem Neuen!

Anmerkungen

Diese Erzählung sollte Jugendlichen unter 16 Jahren nicht zugänglich gemacht werden.

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieser Erzählung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, ob lebend oder tot, ist rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Prolog

Die Göttin der Schlangen

In einer fernen Zukunft hat sich die Menschheit durch Naturkatastrophen und Kriege fast vollständig ausgelöscht. Die wenigen Überlebenden sind auf einen Lebensstand wie zur Zeit des Mittelalters zurückgefallen und wohnen auf dem Kontinent Mirento, der früher einmal Europa war.

Dieser Kontinent ist in fünf Reiche aufgeteilt. Im Norden, an den Ufern des Nordmeeres, befindet sich das Königreich Mortunda, das durch seine Häfen und Eisenvorkommen zu Reichtum gekommen ist.

Das Königreich Cenobia, das sich im Osten befindet, ist durch Gold und Silbervorkommen sowie durch seine Kohlelagerstätten wirtschaftlich bedeutend und ohne diese Kohle nutzt Mortunda das Eisen rein gar nichts, daher ist die Kooperation zwischen diesen beiden Reichen so wichtig für den Wohlstand in Mirento.

Im Süden, in den Bergen, die früher einmal die Alpen waren, lebt das Volk der Tuck. Durch das Auffinden der Kammer der großen Göttin durch deren Königin Lunara wurde die alte Weisheit der vergangenen Völker wieder aufgespürt und ein Fortschritt setzt sich langsam in Bewegung, der Wissen und Technik in das Leben der Menschen auf dem Kontinent bringt.

Im Westen befinden sich dichte Wälder, die das Königreich Waldonien beinahe vollständig bedecken.

Und im Zentrum, in der flachen Ebene, durch die sich der Fluss Tassaros zum Nordmeer schlängelt, liegen die überaus fruchtbaren Felder des Fürstentums Wiesenland. Die ertragreiche Ebene ernährt mit ihrem Überfluss alle Bewohner des Kontinents.

Fünf Jahre nachdem Sofia aus den Händen ihres Großvaters Xander entkommen ist, glauben die vereinigten Völker, dass das Gleichgewicht zwischen den Kräften stabil wie nie zuvor ist. König Xander wurde in eine Dämonenhöhle verbannt und damit scheint der dauerhafte Frieden in greifbarer Nähe zu sein.

Die Kraft der drei Schlangenhüterinnen, der Königinnen Zondala, Lunara und Radunta, hält das Band aufrecht, doch abermals ziehen bedrohliche Wolken am Horizont auf.

Wie lange hält die Eintracht? Oder wird sich die Technik eventuell abermals gegen die Menschheit wenden?

1. Kapitel

Ein neuer Anfang

Dunkelgraue Wolken zogen von Norden her über das Land und warfen dabei Schatten auf die sonst eher sonnige Ebene zwischen dem Nordmeer und dem Tassaros. Eigentlich war es Mai und damit Frühsommer, aber offenbar wollte der April noch ein letztes Mal diese fruchtbare Ebene mit seinem Besuch beehren. Hagel und Schauer versprachen diese Wolken und hoffentlich hielt der Wind diese Unwetter von den Äckern in Wiesenland fern, die weiter im Osten lagen.

Dieser Wind fuhr soeben auch in die langen Haare von Sofia, die auf dem Turm der elterlichen Burg stand und gedankenvoll nach Süden schaute.

Ein paar Tage zuvor hatte sie vom Tode des Königs aus dem Nachbarreich Waldonien erfahren und vor wenigen Minuten hatte eine neue Depesche sie erreicht: Prinz Frederic würde demnächst zu König Frederic. Er hatte seinen Vater, König Conrad dem Starken, in der Thronfolge beerbt und würde sich jetzt einen Namen als kluger Herrscher des Waldreiches machen müssen. Und er beabsichtige, diesen Weg mit ihr zusammen zu gehen.

Sofia war die Prinzessin des Königreiches Mortunda, fast vierundzwanzig Jahre alt und die älteste Tochter von Königin Zondala und König Achim.

Mit einem starken Fernglas hätte sie von ihrer jetzigen Position das Königreich Waldonien sehen können, welches sich als fast undurchdringlicher Wald auf der anderen Seite des Tassaros erstreckte. Mit einem noch besseren Teleskop wäre eventuell sogar Frederics Burg zu erspähen, die sich auf einem Hügel über diesem Waldland erhob, aber Sofias Augen blickten nicht wirklich dorthin, sie schaute in sich hinein und sie fragte sich dabei, ob sie das Angebot wirklich annehmen wollte.

Ihre Mutter Zondala hatte ihr gerade bei ihrer Entscheidung völlig freie Hand gelassen und soeben haderte Sofia mit ihrem Schicksal.

Sie drehte ihren Kopf nach rechts und suchte in der Ferne das Ufer des Nordmeeres. Irgendwo dort dahinter lag die Insel Brilarum, auf die sie ihr Großvater vor fünf Jahren verschleppt hatte.

Nach einem unglaublichen Martyrium, das sie nur mit viel Glück überlebt hatte, sollte sie jetzt die Ehe mit Frederic eingehen.

Versprochen waren sie sich schon seit Jahren, aber etwas in ihr sträubte sich gerade dagegen. Vielleicht war es die Angst, obwohl sie gehofft hatte, dass sie diese erfolgreich überwunden hatte.

War sie wirklich schon bereit, diesen Schritt zu gehen?

Die Wolken über ihr entließen die ersten Tropfen, aber Sofia war viel zu sehr in ihren Gedanken versunken, als dass sie es registrieren konnte. Sollte sie sich nicht einfach ihrer Angst stellen? Was hatte sie zu verlieren?

Nicht viel, oder alles!

Der immer dichter fallende Regen verschleierte jetzt ihre Sicht und holte sie zurück in die Wirklichkeit dieses Momentes.

Sofia hob ihr Gesicht den Wolken entgegen und spürte die Tropfen, die ihr unablässig ins Antlitz geschleudert worden.

Waren es Tränen des Himmels? Tränen um den toten König? Oder um ihr eigenes vergangenes Schicksal?

Mit einem miauen sprang ihre Katze Tinka auf den Rand des Turmes vor ihr. Das silberne Fell war völlig nass und normalerweise hätte das schlaue Tier schon längst trockene Plätze aufgesucht. Einzig Sofias Anwesenheit im Regen hatte Tinka wohl aus der Burg hier herauf gelockt.

Mittlerweile waren ihre langen Haare völlig nass und klebten an der Stirn. Noch waren es fast acht Wochen, bis Frederic sie zur Frau nehmen wollte. Damit wäre sie dann auch die Königin des Nachbarreichs.

Jahrelang war sie von ihrer Mutter darauf vorbereitet worden, aber der Anschlag des Großvaters hatte all das zunichtegemacht. Seine barbarische Gewalt ihr gegenüber hatte ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstsicherheit zerstört. Und selbst jetzt zitterte sie noch, wenn sie an die Tage in seinem Kerker zurückdachte. Nur mit Tinkas Hilfe und der Unterstützung der großen Göttin hatte sie dieses Martyrium überlebt.

Und was kam jetzt auf sie zu?

Waren das alles nur völlig unnötige Ängste?

Sollte dieser Regenguss die Schande von ihr abwaschen? Das würde ewig dauern! Doch hatte sie wirklich Schuld an dem Desaster? Nein, denn der Großvater hatte dieses grausame Verbrechen an ihr begangen und kein Ozean würde das ungeschehen machen können!

Tinka sträubte ihr Fell ab und miaute unüberhörbar.

Sollte sie weiterhin hier stehen? Was würde es nutzen?

Die drohend erhobene Pfote brachte Sofia dann doch dazu, der Anweisung ihres Kätzchens zu folgen. Klatschnass lief sie die Treppe aus dem Turm hinab zu ihrem Zimmer und hinterließ dabei eine feuchte Spur im Gang.

In ihrem Gemach angekommen rubbelte sie zuerst Tinka mit einem Tuch trocken, bevor sie sich ebenfalls abtrocknete und in frische Gewänder hüllte.

„Ängste sind dazu da, dass man sich ihnen stellt!“ Das hatte ihre Freundin Alexandra vor einem halben Jahr gesagt, allerdings war die größte Angst der jungen Frau, dass sich eine Maus in ihr Gemach verirrte.

Zu ihrem Glück wusste die Freundin nichts von den Ängsten, die Sofia durchgemacht hatte. Doch das war vorbei! Jetzt begann ein neues Leben! Es war ein neuer Anfang.

Momentan blickte sie durch das Fenster auf die Wand aus Regentropfen, die den Blick in die Ferne verschleierten. Wie dieser Regen die Gegend wusch, so hatten ihre Tränen in den letzten Jahren ihre Seele gewaschen.

Sofia war bereit, sich in dieses Abenteuer zu stürzen. Sie wandte sich dem Ausgang des Gemaches zu und machte sich auf den Weg, um ihrer Mutter die Entscheidung mitzuteilen.

Am Eingang des Thronsaales lehnte sie sich an den Türpfosten und blickte in den Raum. Augenblicklich waren noch einige Bittsteller in dem Raum, die ihre Anliegen an Zondala und Achim übermitteln wollten.

Sofia verschränkte ihre Arme vor der Brust und sah einfach zu. In einigen Wochen waren das auch ihre Aufgaben in dem anderen Reich, dann würde sie Entscheidungen treffen müssen und konnte nur darauf vertrauen, dass Frederic ihr dabei helfen würde, oder der gesunde Menschenverstand.

Souverän entschied Zondala gerade den Streit zweier Nachbarinnen um ein kleines Feld und so wollte sie dann später auch einmal sein.

Der Saal leerte sich langsam und sie folgte dem letzten Bittsteller, bis vor den Thron.

„Und?“, fragte Zondala.

„Ich nehme an!“, entgegnete sie.

Beide wussten, worum es ging.

„Fein! Ich setzte die Nachricht für Frederic auf!“, sagte Zondala und klatschte in die Hände.

Einer der Schreiber kam zu ihr geeilt, doch sie nahm ihm den Stift aus der Hand und schrieb den Brief persönlich.

„Möchtest du noch etwas für Frederic dazu schreiben?“, fragte die Mutter und hielt ihr den Stift hin.

Sofia überlegte, was sie ihrem zukünftigen Mann noch sagen wollte, aber eigentlich stand alles in diesem Dokument. Alles andere würde die Zeit bringen und sie würde es ihm persönlich mitteilen. Daher schüttelte sie den Kopf und Zondala siegelte danach das Dokument.

Einer der Melder übernahm den Brief, verwahrte ihn in seiner Tasche und machte sich auf den Weg.

Sofia trat an das Fenster des Saales und blickte zu ihm herab, wie er das Pferd aus dem Stall holte.

Im Regen jagte der Mann davon und mit seinem Aufbruch war das Schicksal nicht mehr abzuwenden.

Insgeheim war sie gespannt, was die Zeit bringen würde.

Die Angst war momentan fort, die Neugier hatte ihren Platz eingenommen.

2. Kapitel

Eine Frage der Perspektive

Lunara ließ den Plan sinken und blickte vom Papier auf die Landschaft. Irgendetwas stimmte da nicht! Entweder war der Plan unrichtig gezeichnet, oder sie befand sich am falschen Platz. Unschlüssig drehte sie zuerst den Grundriss, um danach ihre eigene Position zu verändern.

„Wer hat denn das gezeichnet?“, fragte sie ihre Freundin Sejla, die mit den beiden Pferden am Zügel hinter ihr stand.

Sejla trat zu ihr, blickte auf die Karte und zeigte mit dem Finger auf die Signatur am unteren Rand.

„Das hätte ich mir auch denken können!“, seufzte Lunara und strich sich die langen schwarzen Haare nach hinten.

„Ich glaube, Novaris muss noch mal in die Schule gehen!“, setzte sie noch hinzu, rollte die Zeichnung zusammen und schob diese in die Packtasche des Pferdes.

„Das ist die erste Projektierung einer Eisenbahntrasse seit ewigen Zeiten“, versuchte Sejla sie zu beschwichtigen.

„Das weiß ich, dennoch muss es stimmen!“, antwortete Lunara und setzte sich auf einen der großen Steine am Wegesrand.

Von diesem Platz aus ließ sie ihren Blick über das Gelände schweifen. In den letzten fünf Jahren, seit sie die Kammer der großen Göttin gefunden hatte, war der Fortschritt in Mirento nicht mehr aufzuhalten. Unweit ihrer Position schnaufte eine Dampfmaschine und das daran angeschlossene Klopfwerk zerkleinerte Steine für den Schotter, den sie in einiger Zeit für die Trasse brauchen würden.

Eigentlich hätte Lunara, als Königin der Tuck, diese Tätigkeit auch einem ihrer Mitarbeiter übergeben können, aber gerade eben hatte sich wieder einmal gezeigt, dass sie wohl doch ziemlich unverzichtbar für das Vorwärtskommen war.

Sie war eine der drei Hüterinnen der Schlange, jener drei Frauen, die das uralte Wissen bewahrten. Ihre Schwestern Zondala und Radunta waren die anderen beiden.

Jede von ihnen hatte eine andere Aufgabe von der großen Göttin zugewiesen bekommen: Zondala sollte die Zukunft beschützen, Königin Radunta die Gegenwart und sie hatte eben das Wissen der alten Völker übernommen.

Wie die alten Nornen der Mythologie, die den Schicksalsfaden webten, so hatten sie drei ebenfalls das Los des Kontinentes in ihrer Hand.

Nur durch ihre Zusammenarbeit bewahrten sie den Frieden!

Sejla trat mit einer Trinkflasche zu ihr und reichte diese herüber. Für einen Tag im Mai war es auf diesem Bergplateau doch schon ziemlich warm. Irgendwann würde die Eisenbahn hier das Land der Tuck, ihr Königreich, mit dem Nachbarreich Cenobia verbinden. Es würde einen größeren Austausch von Wissen und Waren bringen, wenn man erst einmal schnell zwischen der Ebene und dem Gebirge hin und her wechseln konnte.

Der geschlängelte Maultierpfad war nicht wirklich für Wissenschaftler geeignet, für Abenteurer schon eher.

Längst hatte Lunara erkannt, dass nur mit Bildung der Gewalt Einhalt geboten werden konnte.

Vor dem Auffinden der Wissenshöhle waren die Tuck ein gefürchtetes Reitervolk gewesen, das ihre Nachbarn terrorisiert hatte. Jetzt konnte jeder in ihrem Volk lesen! Sie waren dadurch friedlich geworden. Die ehemaligen Nomaden hatten Ortschaften gegründet und die schönste davon war die Stadt des Wissens, ihre Hauptstadt sozusagen. Deren goldener Palast war allerdings nicht der Sitz des Königs, sondern die Universität von Mirento.

„Wir sollten Novaris noch mal hierherschicken, damit er das noch einmal macht! Aber dieses Mal gehe ich mit ihm mit!“, seufzte Lunara und erhob sich von dem Stein.

Schnell trank sie einen Schluck und reichte die Flasche an ihre Freundin zurück.

„Wir sollten heim! Die Sonne geht gleich unter und unsere Kinder warten sicher schon auf uns!“, drängte Sejla jetzt zum Aufbruch.

Lunara nickte ihr zu, nahm ihr den Zügel ihres Hengstes ab und schwang sich auf ihren Rappen.

Lange war sie schon nicht mehr geritten, aber ihre Roboterspinne, die sie einfach nur kurz Robby nannte, war gerade zur Inspektion.

Doch reiten verlernte man einfach nicht. Sie drückte die Fersen in die Flanken ihres Hengstes und das Tier jagte davon.

Sejla brauchte allerdings nur Augenblicke, um zu ihr aufzuschließen. Vom Rücken eines Pferdes hatte man eine ganz andere Perspektive, als vom Boden aus und von der Eisenbahn, die hier schon bald ihre Spur ziehen würde, war sie sicherlich noch einmal anders.

Aber alles das ging eben nur im Frieden. Der Film, den sie in der Wissenskammer gesehen hatte, und der vom Ende der vergangenen Zivilisation kündete, hatte ihr anschaulich bewiesen, dass Krieg nicht die Antwort auf Probleme war.

Gewalt war niemals eine Lösung! Sie schuf nur neue Schwierigkeiten.

Lunara blickte zu ihrer Freundin hinüber, die mit wehendem Haar neben ihr her über die Ebene galoppierte. Sie waren schnell, aber Robby, ihre kybernetische Riesenspinne, war noch um Welten schneller. Kein Pferd konnte mit ihm mithalten. Er war ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, der letzte seiner Art und eigentlich ein wandelnder Atomreaktor auf acht Beinen.

Und obwohl er nur aus einem Haufen Metall und Drähten bestand, war er ihr dennoch ans Herz gewachsen. Vielleicht auch aus dem Grund, weil sie ihn mit der Kraft ihrer Gedanken lenken konnte und er damit eine Verlängerung ihres Armes war.

Das Ende der Ebene kam näher und Lunara drosselte ihren Hengst. Mit verhaltenem Zügel trabte das Tier locker der großen Stadt entgegen.

Fünf Jahre zuvor hätte es hier nur Zelte und Vieh gegeben, jetzt erhob sich hier eine große Stadt mit einer Universität. Das goldene Dach, das dem Palast seinen Namen gab, glänzte in der langsam untergehenden Sonne.

Natürlich war es kein Gold, sondern nur eine Beschichtung aus speziell behandeltem Kupfer, aber es glänzte wie jenes Edelmetall.

Besonders in der Abenddämmerung liebte Lunara diesen Anblick.

Im Schritt näherten sie sich ihrem gemeinsamen Haus. Es war kein Palast, nur ein größeres Wohnhaus.

Hier lebte sie mit Sejla und ihrem Mann König Dodarus, der auch der Vater ihrer drei Kinder war. Lunaras Sohn Tarosus und ihre Tochter Dasura spielten gerade vor dem Haus mit Sejlas Tochter Nikura. Alle drei waren jetzt fünf Jahre alt und hatten fast am gleichen Tag Geburtstag. Ihre beiden Zwillinge sowieso, aber auch Sejlas Tochter war nur zwei Tage nach ihnen geboren.

Irgendwie waren sie eine große Familie. Mit einem Vater, zwei Müttern und drei Kindern. Etwas unkonventionell, aber genau das, was Lunara gewollt hatte.

Vermutlich genauso besonders, wie ihr ganzes Volk, aber auch das war sicherlich nur eine Frage der Perspektive!

3. Kapitel

Ein ruhender Fels!

Der Fluss Thamasius warf das Spiegelbild des Mondes zurück zu Radunta. Normalerweise war der Fluss so schnell unterwegs, dass dieses Bild nicht so deutlich zu sehen wäre, aber jetzt im Sommer befand sich etwas weniger Wasser darin und die Strömung war ebenfalls nicht so stark.

Königin Radunta stand im Nachthemd am Fenster ihres Schlafgemaches, kämmte sich die langen roten Haare und blickte über den Fluss hinüber, wo, im Moment für sie nicht sichtbar, die Burg ihres Vaters stand. Oder besser, die Ruine dieser Burg.

Nachdem sie ihren Vater Xander bezwungen und im Keller dieser Feste eingemauert hatten, hatten sie diesen grausamen Ort verlassen und lebten jetzt seit fast fünf Jahren in diesem Palast in Londinum auf der anderen Seite des Thamasius.

König Xander hatte das Land mit grausamer Hand regiert und war dafür bestraft worden, aber er war nicht tot! Nur sicher verwahrt, denn Xander war unsterblich und unverwundbar. Er war für seine grauenhaften Taten mit einem Dutzend Dämonen eingesperrt, die ihn jeden Tag quälen sollten.

Die große Göttin mochte der Welt gnädig sein, wenn es ihm jemals gelang, sein Gefängnis wieder zu verlassen, denn es wäre wohl das Ende der Welt!

„Was denkst du?“, fragte ihr Mann, König Julian, der hinter sie trat und ihr über die Schulter blickte.

Sie brauchte ihm nichts sagen, die Richtung ihres Blickes reichte ihm wohl schon, denn er setzte hinzu: „Lass die alten Ungeheuer ruhen!“

„Die Dämonen oder meinen Vater?“

„Dein Vater ist schlimmer, als jeder Dämon!“, entgegnete Julian und legte seine Arme schützend um sie herum.

So stand sie im Nachtwind und hielt den Kamm in der Hand.

Julian zog sie gegen seine Brust und hielt sie warm. In seiner Nähe war sie geschützt! Nichts konnte ihr dann geschehen.

„Schläft Thomas schon?“, fragte sie leise.

„Unser Sohn ruht sicher in seinem Bett! Die Amme sitzt an seinem Kopfende!“, flüsterte Julian.

Thomas war etwas älter als vier Jahre und bisher ein Einzelkind geblieben, trotz ihrer regelmäßigen Versuche, dies zu ändern.

Nacht war es über ihrem Königreich Brilarum, das nach der Insel benannt war, auf welcher es lag.

Langsam drehte sich Radunta zu Julian um und gab ihm einen Kuss.

„Mir wäre es lieber, wir hätten das damals endgültig klären können!“, bemerkte sie.

„Es ist endgültig beendet! Er ist eingesperrt, die Tür zu seiner Zelle ist mit sieben Schlössern verriegelt, du hast einen Bannspruch über die Burg gehängt, der Keller ist zugemauert und damit ist doch alles geklärt!“, zählte Julian auf.

„Du hast ja recht, aber mir wäre wirklich wohler, wenn Xander nicht mehr am Leben wäre!“, entgegnete Radunta.

Eigentlich war das wohl eine Schande, wenn man als Tochter so etwas über den eigenen Vater sagen musste, doch auch sie hatte seine Grausamkeiten am eigenen Leib zu spüren bekommen und noch immer zog sich eine Gänsehaut über ihren Körper, wenn sie nur alleine an diese Nächte im Kerker dachte. Und an das, was er ihr und ihrer Nichte Sofia damals dort angetan hatte.

„Denke nicht mehr daran!“, wisperte Julian und zog sie fester in seinen Arm.

Sein Kuss vertrieb die dunklen Erinnerungen. Irgendwo schlug eine Glocke die Mitternacht. Zwölf Schläge, die über die schlafende Stadt hinweg klangen. Julian hob sie auf seine Arme und trug sie zum Bett hinüber.

„Ein neuer Versuch?“, fragte sie leise.

„Sehe es nicht als Versuch, sondern lass dich fallen. Was wird, das soll geschehen!“, entgegnete Julian leise und befreite sie aus dem Nachthemd.

Seine Küsse wurden fordernder und stürmischer, seine Hände erkundeten abermals ihren Leib, den er aber schon zur Genüge kannte. Er wusste nur zu gut, wo er die empfindlichen Stellen fand und sie damit auf andere Gedanken brachte.

Radunta ließ sich fallen und genoss die Streicheleinheiten.

Wenig später durchdrang ihr gemeinsames Schnaufen die Stille der Nacht. Das Leben besiegte die Angst und den Tod!

Kurz darauf schnarchte der Mann und sie lag in seinem Arm.

Im Schein der flackernden Kerze sah sie in sein Gesicht. Vom einfachen Knappen war er mit den Jahren zu einem klugen und gerechten König geworden. Er war empfindsam und mitfühlend und obwohl das in seinem Amt mitunter auch eine Bürde sein konnte, war er doch das Beste, was diesem Land hatte passieren können.

Und natürlich auch das Beste für sie. Radunta schmiegte sich näher an ihn an. Sie konnte sein Herz schlagen hören und ihre beiden Herzen passten sich aneinander an. Hier war ihr Glück vollkommen.

Von draußen rief ein Kräutchen und ließ sie zusammenzucken.

Das Unheil war da draußen! Sie wusste es, aber sie konnte nichts dagegen tun!

Vorsichtig hob sie den Blick zum dunklen Fenster und bat die große Göttin, den Schlaf ihrer Lieben zu behüten. Eine angenehme Wärme flutete daraufhin ihren Leib. Es fühlte sich an, als würde sie schützend in den Arm genommen, mehr, als Julian es hätte tun können.

Die Göttin war hier!

Ihr ganzes Leben war Radunta jetzt schon eine Dienerin der Gottheit. Ihre Lehrerin Voltura hatte sie einst in ihrer Hütte in den Dienst an ihr eingewiesen und ihr geweiht. Jahre war das her!

Viele Jahre!

Auf dem Nachttisch lag der silberne Dolch, den sie damals von ihr bekommen hatte. Er funkelte im Schein der Kerze und schien von innen heraus zu leuchten. Er würde sie beschützen! Und Julian! Und die große Göttin!

Radunta schloss die Augen, in Julians Arm schlief sie ein und nichts konnte an sie heran. Er war ihr Fels im Meer der Stürme.

Der nächste Tag brachte eine Botschaft vom Festland. Ihre Halbschwester Zondala teilte ihr darin mit, dass Sofia endlich doch Frederic heiraten würde.

Julian blickte über ihre Schulter auf das Dokument.

„Damit kannst dann hoffentlich auch du mit der Geschichte abschließen!“, sagte er.

„Dein Vertrauen möchte ich haben!“, seufzte Radunta.

„Vertraue einfach der Göttin! Und dem Schicksal!“, entgegnete Julian und küsste sie auf die Seite ihres Halses.

Die Amme brachte Thomas zu ihr und sie nahm das Kind auf den Schoß.

Nach einer Weile des Spiels mit ihm erhob sie sich von ihrem Platz, trat mit ihrem Sohn im Arm zum Fenster und sah zur Sonne hinauf. In Gedanken dankte sie für das Glück, dass sie mit ihrer Familie gefunden hatte.

Die Ruine der Burg lag jetzt hinter ihr, wenn auch im Moment nur räumlich. Irgendwann würde sie das auch in allen Teilen ihrer Seele sein.

Ihr Mann trat an sie heran und Radunta lehnte sich mit dem Rücken an seine Brust. Ihr Felsen war hier! Alles war gut!

4. Kapitel

Ein Schlangendolch

Königin Zondala saß auf ihrem Stuhl und starrte an die Wand. Eigentlich hätte es ein Tag der Freude sein sollen, denn ihre Tochter Sofia hatte zugestimmt, den zukünftigen König Frederic zu heiraten, doch gerade ruhte ihr Blick auf dem dort hängenden Dolch.

Die Sonne beleuchtete das Schlangensymbol darauf und es schien ihr eine Art von Warnung zu sein.

Zondala war jetzt 45 Jahre alt, hatte einen liebevollen Mann und fünf Kinder, seit Jahren herrschte Frieden und dennoch reichte ein einziger Blick auf diese Waffe, um die dunkelsten Stunden ihrer Existenz aus der Versenkung zu holen.

Warum hing dieser Dolch eigentlich noch dort?

Als Mahnung? Oder als Menetekel?

Vor fast vierzig Jahren hatte ihr Bruder Claudius durch diese Waffe den Tod gefunden und noch immer war dieser schreckliche Tag in ihrem Kopf. Vielleicht auch, weil er der erste Tag gewesen war, an dem sie bewusst mit der Gewalt ihres Vaters Xander konfrontiert worden war.

Die Amme betrat das Zimmer und riss Zondala damit aus den dunklen Gedanken. Das Lachen ihrer jüngsten Tochter Aurora holte Zondala sofort zurück.

Aurora war jetzt zwei Jahre alt und der Sonnenschein in der Burg. Wohin auch immer ihr Weg sie auf den tapsigen Beinen führte, da verbreitete sie das Strahlen.

Vielleicht hatte sie ihre Tochter deswegen nach der Morgenröte des Sonnenaufgangs benannt, ohne dies vorher gewusst zu haben.

Die Gabe, in die Zukunft zu schauen, hatte ihr einst die große Göttin in der Drachenhöhle übergeben, aber mitunter war es eine schreckliche Last, vorher zu wissen, was werden sollte.

Nicht alles konnte sie wirklich klar sehen, denn die Gottheit vernebelte manchmal ihren Blick, wohl um sie zu beschützen und daher vermochte Zondala es nicht, das Schicksal der Angehörigen der eigenen Familie zu sehen.

Ihren Kopf füllten jetzt die Gedanken an ihre fünf Kinder. Sofia würde in ein paar Tagen zu Frederic reisen, ihr Sohn Andreas lernte bei ihrem Mann Achim alles, was er als König einmal brauchen würde und wenn das Schicksal es so wollte, dann würde Franziska, ihre zweitälteste Tochter, dereinst die Königin von Cenobia werden.

König Maximilian II., Zondalas Großvater mütterlicherseits, war jetzt schon ein greiser Mann, der mit Güte und Weitsicht sein Reich führte, aber er hatte den Zenit seines Lebens schon weit überschritten.

Ihr jüngster Sohn Marcus war vor ein paar Tagen fünf Jahre alt geworden und tobte gerade mit einem Holzschwert durch den Flur.

Und abermals zogen dunkle Wolken um ihren Kopf, denn Claudius war damals nur wenig älter gewesen, als ihr Sohn jetzt.

Auroras herzliches Lachen löste die dunklen Schleier aber sofort wieder auf. Die Tochter war wirklich ein Sonnenschein und ihre rosigen Wangen der Trost für Zondala.

Sie stillte die Tochter und blickte dabei auf das Gesicht herab. Diese wachen Augen sollten niemals Kummer sehen müssen, das schwor sich Zondala jedes Mal, wenn sie eines der Kinder in den Arm nahm.

Bis auf Sofia hatte das ja bisher auch wunderbar geklappt.

Und neuerlich fing der Schlangendolch ihren Blick, denn auch fünf Jahre nach Sofias Entführung haderte Zondala noch immer mit ihren damaligen Entscheidungen.

Xanders Symbol auf dem Griff dieser Waffe erinnerte sie immer daran und vermutlich hatte sie diesen Dolch deswegen dort hängen: als Mahnung! Nie wieder wollte sie in solch einen Interessenkonflikt zwischen ihrem Leben als Mutter und als Königin geraten müssen!

Mit einem lauten Rülpser beendete Aurora ihr Mahl, Zondala schloss sich das Kleid und sang der Tochter ein uraltes Lied vor.

Ein bunter Schmetterling verirrte sich in das Zimmer und setzte sich auf Auroras Hand. Auch das schien ein Symbol zu sein: aber diesmal ein Zeichen für den Frieden.

Mit strahlenden Augen betrachtete die Tochter das Tier mit den zarten Flügeln auf ihren Fingern. Sie jauchzte, als es die Flügel bewegte und sein buntes Muster sehen ließ.

Gab es etwas friedvolleres, als ein kleines Kind und einen Schmetterling?

Dieser sanfte Besucher war aus einer Raupe geschlüpft und hatte eine Verwandlung erfahren und irgendwie hatte sich auch Zondala verändert. Einst hatte sie mit harter Hand ein Heer gegen ihren Vater in die Schlacht geführt und war siegreich geblieben, danach hatte sie Sofia in Xanders Gewalt lassen müssen, um den Frieden zu erhalten und war deswegen durch die Hölle gegangen, doch jetzt war sie sanft und friedvoll.

Wie dieser Schmetterling vielleicht, der sich soeben erhob und mit sanften Flügelschlägen durch das Fenster nach draußen flog, wo er auf der Blumenwiese hinter der Burg sicherlich seinen Hunger stillen würde.

Aurora wollte ihm folgen, daher übergab Zondala das Kind der Amme und sagte: „Gehe mit ihr auf die Wiese!“

Die Amme nickte, hob Aurora auf den Arm und verließ das Zimmer.

Zondala erhob sich aus ihrem Sessel, trat an die Wand und nahm den Dolch ab.

Im selben Moment betrat Xena, die Anführerin ihres Heeres, den Raum. War auch das schon wieder ein Zeichen? Vielleicht.

Die junge Frau machte eine Verbeugung und erklärte: „Meine Königin! Ich werde Sofia mit einer Abteilung meiner Reiter zur Königsburg in Waldonien begleiten!“

Die Zukunft warf ihre Strahlen voraus und daher musste die Vergangenheit mit ihren dunklen Stunden endgültig weichen!

„Ja! Ich danke dir! Und vergrabe dieses unselige Stück Metall an einer Stelle, wo es niemals wieder jemand findet!“, antwortete Zondala und übergab Xena den Schlangendolch.

Mit einer erneuten Verbeugung entfernte sich die Heerführerin mit dem Dolch, aber war das Schicksal so einfach zu ändern?

Zumindest würden die alten Erinnerungen jetzt langsam weichen. Das alte Wappen, das Xander einst über Mortunda gehisst hatte, mit dem Symbol der Schlange darauf, war schon längst verschwunden.

Zondala hob ihren Blick durch das Fenster hinaus zu der Fahne, die momentan am Turm über der Burg wehte: Das neue Emblem zeigte die strahlende Göttin in einem Sonnenrad. Nur auf Zondalas rechter Schulter, und jener der beiden anderen Hüterinnen der Schlange, prangte noch das Symbol der geschwungenen Linie, die sich wie eine Natter in das Fleisch gegraben hatte.

Sie legte ihre linke Hand auf dieses Zeichen, und blickte auf das Abbild der Gottheit. Was hatte die Göttin noch mit ihr vor? Den Frieden bewahren! Seit fünf Jahren gab es keinen Krieg und keine Gewalt mehr. Das war länger, als jemals zuvor! War das nicht schon ein Erfolg?

Gedankenverloren blickte sie hinaus und hoffte, dass der Frieden hielt! Für Sofia, Aurora und alle anderen Menschen in Mirento.

5. Kapitel

Verloren im Wald

Bereits den zweiten Tag rumpelte die Kutsche durch die Gegend. Sofia saß darin und hielt sich stöhnend den verlängerten Rücken. Am ersten Tag ihrer Reise waren die Wege noch hervorragend gewesen, denn die Landstraßen von Mortunda waren seit jeher optimal ausgebaut.

Nach der Überquerung des Tassaros hatten sie in Wiesenland in einem Gasthof übernachtet und waren am Morgen von dort aufgebrochen.

Jetzt ging es auf den Abend zu und schon seit Stunden fuhren sie über einen schmalen Waldweg durch Waldonien. Es war keine Straße, kein Weg und eigentlich noch nicht mal ein Pfad, es war mehr eine Schneise im Wald, gerade einmal so breit, dass die Kutsche hindurchpasste.

Die Bäume auf beiden Seiten hätte Sofia im Sitzen mit der Hand erreichen können und die Wurzeln, die den Pfad zu einer Buckelpiste machten, waren mehr als deutlich zu spüren.

Es war wohl kein Weg, den Kutschen oft passierten, Karren und Fuhrwerke vermutlich schon, aber denen waren die Erschütterungen wohl egal.

Entgegen der Zusicherung der Mutter befand sich Sofia alleine in dem Gefährt. Weder Zondala noch Achim hatten die Zeit gefunden, sie zu Frederic zu begleiten. Zur Hochzeit in zwei Wochen wollten sie aber in Waldonien erscheinen, doch ob das dann auch wirklich so war, das würde die Zeit zeigen.

Sofia zog das kleine Medaillon aus der Tasche. Der gleichaltrige Frederic hatte es ihr vor fünf Jahren geschickt. Trotz ihrer Befürchtungen hatte Frederic an seinem ihr einst gegebenen Wort festgehalten und auf sie gewartet. Persönlich hatte sie ihn vor vielen Jahren das letzte Mal getroffen und blicke jetzt auf sein Abbild. Wenn der Maler es nicht allzu sehr geschönt hatte, dann war Frederic mit den Jahren zu einem ansehnlichen Mann herangewachsen. Bei ihrem letzten Besuch bei seinem Vater, König Conrad, war Frederic noch ein pickeliger, rothaariger Junge gewesen, aber damals hatte sie noch Zöpfe gehabt und mit Puppen gespielt.

Ewig war das schon her! Und lang war auch dieses Bild her! Wie mochte er jetzt wohl aussehen?

Erneut sprang die Kutsche über eine Wurzel und Sofia prallte mit dem Hintern auf die Bank. Die war zwar gepolstert, aber nicht für solche Sprünge ausgelegt.

Stöhnend rieb sie sich das schmerzende Hinterteil, das mittlerweile wohl in allen Farben schillern musste.

Tinka im Körbchen ihr gegenüber miaute ungehalten.

Sofia hob die Katze heraus und hielt sie im Arm.

Vor der Kutsche ritten fünf gepanzerte Kämpfer und dahinter auch, mit dem Kutscher waren sie also zu zwölft. Ein Dutzend Menschen, vierzehn Pferde und eine Katze, verloren im Wald.

Zumindest war es hier schattig und nicht mehr so heiß, wie zu Beginn der Fahrt.

Der Sommer war in Waldonien eine Zeit der grünen Bäume, der singenden Vögel und hoffentlich der freundlichen Menschen, obwohl sie auf ihrem Weg bis hierher noch nicht eines der Dörfer gesehen hatte.

Zondala hatte von ihrem Leben im Wald regelrecht geschwärmt, von Lisa und der Hütte auf der Lichtung, weit im Süden des Landes.

Ihr Platz würde vermutlich auf der Burg des Königs sein und die kleinen Dörfer im Wald würden damit für sie fern bleiben.

Zumindest nach der Hochzeit, aber auch jetzt lagen die kleinen Siedlungen offensichtlich nicht an diesem Pfad.

Zu beiden Seiten war schon seit ewigen Zeiten nur noch das Grün der dicht belaubten Bäume zu erkennen.

Noch wusste sie nicht viel über ihre kommenden Aufgaben, nur dass die Königin ihre Burg niemals verlassen würde. Das hatte ihr Lisa im vergangenen Herbst schon erzählt.

Sofia würde sich in ihr Schicksal und in das selbst gewählte Gefängnis fügen müssen, zumindest wenn Frederic so streng wie sein Vater war.

Das Gefährt stoppte, einer der Ritter hielt ihr die Tür auf und Sofia kletterte, Tinka weiterhin im Arm haltend, vorsichtig aus der Kutsche. Sie streckte sich und blickte auf einen geschlängelten Weg, der sich vor ihr öffnete und nach oben führte.

Sie folgte diesem Weg mit den Augen und erblickte eine stolze Burg auf der Spitze eines ziemlich hohen Berges. So hatte sie diese Festung nicht in der Erinnerung gehabt! War der Berg in den Jahren möglicherweise gewachsen?

„Da kann man nur zu Fuß hoch!“, sagte die Anführerin ihrer Begleitung und schlug hinter ihr die Wagentür zu.

Die bewaffneten Ritter saßen ab und verwandelten sich damit in Gepäckträger. Sie luden sich die Koffer auf und begannen damit vor ihr den steilen Hang zu ersteigen.

Und auch Sofia machte sich auf diesen Weg. Der Pfad führte den Burgberg hinauf, der sich kahl aus dem Land erhob. Sogar der Wald schien vor dem Bauwerk Respekt zu haben, denn er endete dort, wo der Berg begann.

Am Beginn des Burgberges standen neben diesem Pfad überlebensgroß die Statuen der Könige und jeder Besucher musste an ihnen vorbei. Grimmig blickten die alten Monarchen den Menschen entgegen, die mit niederträchtigen Gedanken diesen Platz betreten wollten. Steinerne Schwerter waren drohend auf jeden Feind gerichtet.

Ehrfürchtig passierte Sofia diese Monumente und schaute sie sich an. Die Gesichtszüge der ältesten Könige waren vom Regen der Jahrhunderte verwaschen, aber ihre Haltung flößte ihr noch immer Respekt ein.

Als letztes Standbild in der Reihe passierte Sofia, jenes vom Vater ihres zukünftigen Mannes. Er war erst vor einem viertel Jahr gestorben und dennoch erhob sich auch seine stattliche Statue bereits hier.

Irgendwann, in nicht allzu fernen Zukunft, würden auch die von Frederic und seinen Erben hier stehen und damit wurde ihr ihre eigene Aufgabe nur zu eindringlich bewusst: Sie würde Frederic einen Erben schenken müssen, dessen Statue dann hier stehen würde.

Konnte sie das?

Sofia musste schlucken und setzte grübelnd den Weg fort.

Der Pfad schlängelte sich am Vorderhang des Berges weiter hinauf. Die drei anderen Seiten waren zu steil, als dass sie ein Mensch erklimmen könnte. Höchstens die Bergziegen hatten darauf mit ihren Hufen Halt und eines der Tiere stand mit langen, spitzen Hörnern meckernd nur wenige Schritte neben dem Weg auf einem Stein. Es hielt den Kopf schief und musterte die Ankömmlinge, die sich in einer Reihe mit dem Gepäck den Berg hinauf quälten.

Ohne den Wald war es unerträglich warm geworden und Sofia schwitzte vor Anstrengung wenig königlich.

Endlich hatte sie den Aufstieg geschafft und stand vor dem gewaltigen Tor der Burg. Es war so hoch, dass fünf Männer, übereinander stehend, wohl kaum die obere Kante des Tores berühren konnten. Schwere Eichenholzbalken bildeten die Tür, die zu einer Hälfte offen stand. Die Mauern waren gigantisch hoch und oben mit steinernen Adlerköpfen gekrönt.

Staunend legte Sofia den Kopf ins Genick.

Es mussten wohl Riesen gewesen sein, die dieses Bauwerk einst für sich erbaut hatten, denn alles daran war gewaltig.

Bevor sie das Tor durchschritt, wandte sie sich um und blickte auf das Land hinab. Von hier aus konnte sie auch den Tassaros sehen, der Waldonien von ihrer Heimat Mortunda trennte.

Es war ein letzter Blick zurück, auf die Kindheit, dann riss sie sich davon los und trat durch das Tor.

Nur wenige Menschen waren in dem Burghof versammelt. Es war wohl der späten Stunde geschuldet, denn die Sonne ging gerade blutrot am westlichen Horizont unter.

War es ein Hinweis auf ihr dort vergossenes Blut? Sofia seufzte auf und abermals war ihr die Größe ihrer Aufgabe nur zu deutlich bewusst geworden. Wollte die Göttin sie ermahnen? Oder den Weg in die Zukunft weisen? Sie fegte die Zweifel von sich und sah sich um.

Im letzten Schein konnte Sofia noch erkennen, dass die Innenseiten der Mauern mit bunten Bildern bemalt waren. Riesengroße Hirsche und Bären erblickte sie darauf.

Am gegenüberliegenden Ende des Hofes befand sich der Palas der Burg, an dessen vorderer Seite eine breite Treppe nach oben führte.

Ihre Begleiter standen bereits dort mit ihrem Gepäck und warteten wohl nur noch auf sie, doch niemand schien sich für die Ankunft der neuen Königin zu interessieren.

Aber vielleicht war das auch ganz gut, denn momentan stand ihr der Sinn mehr nach einem Bade und nicht so sehr nach einer Begrüßung.

Aber was sagte das Ganze über ihre Zukunft aus?

Erneut seufzte Sofia und ging über den Platz.

6. Kapitel

Ein Tag am Meer

Mit einem Schrei erwachte Radunta aus dem Schlaf und bemerkte sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie benötigte allerdings noch einen Moment, um zu begreifen, was die Schmerzen bedeuteten, die soeben durch ihren Leib jagten.

Julian schlief noch neben ihr und sie erhob sich schwankend aus ihrem Bett. Taumelnd verließ sie das Zimmer und kam bis vor die Tür, wo sie sich an der Wand abstützte und langsam daran zu Boden rutschte.

Das blutige Unterkleid zeigte ihr nur zu deutlich, dass sie gerade ihr ungeborenes Kind verlor. Sie rief nach Tammy, ihrer Zofe, die kurz darauf im Unterkleid, barfuß und mit vom Schlaf zerzausten Haaren aus ihrem Raum auftauchte.

Tammy kniete sich neben sie, erblickte das Blut und eilte sofort davon, um den Hofmedicus zu holen.

Ein paar Augenblicke später erschien der Mann, hob Radunta auf seine Arme und trug sie in das Behandlungszimmer. Dort versorgte er die Blutungen, gab ihr etwas gegen die Schmerzen und Tammy lief, um ein neues Nachthemd zu besorgen.

Anschließend schleppte sie sich auf Tammy gestützt wieder in ihr Schlafgemach zurück.

Julian hatte von dem ganzen Drama nichts mitbekommen.

Radunta dachte an die vielen unnützen Fehlversuche, sank verzweifelt in ihr Bett und weinte sich schließlich in den Schlaf.

Der neue Morgen weckte sie und noch immer war sie nicht über den Verlust hinweg, allerdings brauchte ihr Sohn jetzt eine starke Mutter.

Mit Tammy machte sie sich auf den Weg, um Thomas zu wecken. Das Strahlen des Sohnes brachte sie ein wenig über den Schmerz hinweg. Sie verschloss die Trauer in ihrer Brust und versuchte zu lächeln, was ihr anscheinend auch ganz gut gelang, denn weder Julian noch Thomas bemerkten, wie es gerade um sie stand.

Und auf Tammys Verschwiegenheit konnte sie ebenfalls zählen.

Ein normaler Tag begann, der die dunklen Schatten der Nacht wieder von ihr nehmen wollte.

Neben Julian im Thronsaal sitzend empfing sie die Bittsteller, was bis weit in den Mittag dauerte.

Nach dem Mahl entschuldigte sie sich bei Julian, ging hinab zum Stall, sattelte ihre Stute und jagte damit nach Osten, bis sie das Meer sehen konnte.

Nördlich der Bucht, in die der Thamasius mündete, ritt sie mit ihrem Reittier in der Brandung des Meeres und diese fast grenzenlose See zog ihren Blick hinaus.

Im lockeren Trab flog das Pferd mit ihr dahin, bis sie das Tier stoppte, von seinem Rücken sprang und ohne Schuhe durch die Ausläufer der Brandung lief.

Kein Mensch war weit und breit zu sehen.

Irgendwann realisierte Radunta, dass es wohl für eine Königin ziemlich gefährlich war, hier so ganz ohne Wachen unterwegs zu sein, aber sie brauchte diese Stille, die nur von den Wellen unterbrochen wurde.

Sie band das Pferd an einem Baum fest, setzte sich in dessen Schatten und blickte einfach nur noch vor sich hin. In der Abgeschiedenheit konnte sie die Tränen laufen lassen. Hier musste sie nicht die starke Mutter und Königin sein, sondern war einfach nur die schwache Frau, die um das verlorene Kind trauern konnte.

Dieser Kummer musste aus ihr heraus und dennoch würde ein ganzer Ozean wohl kaum reichen, um ihn von ihrer Seele zu waschen.

Radunta suchte tief in sich die Antworten darauf, warum sie abermals ein Kind verloren hatte. Warum wollte ihr Leib keines mehr halten? Was hatte sich seit Thomas‘ Geburt geändert?

Damals hatte sie die Burg des verhassten Vaters verlassen und dabei den Bannspruch um die jetzige Ruine gezogen.

Konnte es sein, dass dieser Bann sich jetzt gegen sie gerichtet hatte? Lag es wirklich daran? Oder war das Ganze nur eine Täuschung?

Eventuell sollte sie darüber einfach mit ihrer Mutter Mildred reden, die sich in Volturas alter Hütte am See zurückgezogen hatte.

Mildred war eine erfahrene Zauberin und hatte Radunta einst zu Voltura gesandt, damit sie dort alles lernen sollte, womit sie seit jener Zeit der großen Göttin diente.

Damals hatte sie jeden Sommer dort in der Klausur an dem kleinen See gelebt. Fern ab des Vaters waren das die besten Monate ihres Lebens gewesen.

Und gerade war wieder Sommer! Wer hinderte sie denn eigentlich daran, die Mutter dort aufzusuchen?

Genaugenommen doch nur ihre Sorgen um Thomas und die Regierungsgeschäfte!

Doch der Sohn konnte sicherlich mitkommen und Julian war bestimmt auch in der Lage, für vier Wochen einmal alleine zu regieren.

Sie brauchte einfach eine Auszeit, denn sie wollte wieder so leben, wie sie all die Jahre zuvor gelebt hatte. In einer Zeit der unbekümmerten Jugend. Auch damals hatte sie gelegentlich hier im Meer gebadet und es war sogar fast dieselbe Stelle gewesen, wie sie augenblicklich feststellte.

Ihre treue Stute hatte sie nach all den Jahren wieder dorthin gebracht, wo sie schon beinahe ewig nicht mehr gewesen war.

Vielleicht war das ein Zeichen!

Radunta blickte sich nach allen Seiten um, streifte sich die Kleidung vom Leib und rannte nackt in die Brandung hinein.

Das anstürmende Meer riss sie von den Füßen und der Sog spülte sie davon.

Prustend tauchte sie aus den Wellen empor und bemerkte, wie weit sie der kurze Moment schon vom Ufer davongetragen hatte.

Hektisch versuchte sie zurück an das Ufer zu kommen, aber die See zog sie immer weiter hinaus.

Sie spürte, wie ihr langsam die Kräfte schwanden, aber sie wollte den Kampf nicht aufgeben.

„Große Göttin, hilf mir!“, schrie sie nach oben und eine Welle brach sich vor ihr.

Ein Teil des Wassers spritze ihr in den Mund und sie versuchte es hustend wieder loszuwerden.

Im letzten Moment, bevor sie die nächste Welle erreichen konnte, war Julian bei ihr und zog sie aus der See heraus.

Schließlich kniete sie am Strand und spuckte das verschluckte Wasser wieder aus.

Julian hielt sie sicher in seinem Arm. Sein Rappe stand neben ihrem Pferd am Baum. Der Mann sagte nichts, sondern hielt sie einfach fest.

Sie machte sich auch so schon Vorwürfe, dass sie ohne jemanden anders hierher geeilt war. Das hätte leicht ins Auge gehen können, aber die große Göttin hatte ihren Hilfeschrei gehört.

Sie war also doch noch nicht ganz verloren und wenn sie nur auf die Gottheit vertraute, dann würde alles gut.

Schwankend erhob sie sich und der geliebte Mann hielt sie in seinem Arm.

Haut an Haut standen sie einfach im Sand.

Das Meer rauschte hinter ihr und die Sonne heizte langsam ihren Körper wieder auf.

Der Ratschlag der großen Göttin war vermutlich: „Wenn Julian an deiner Seite ist, dann kann dir nichts passieren!“

„Ich danke dir!“, flüsterte Radunta und hob ihre Lippen zu Julians Mund empor.

Sein Kuss hauchte ihr das Leben wieder ein, das sie zuvor fast verloren hätte, das sie schon verloren geglaubt hatte.

7. Kapitel

Alte und junge Königin

Der Gigantismus setzte sich im Inneren des Palas fort. Sofia fühlte sich klein und unbedeutend und offenbar war das genau das, was mit diesem Bauwerk erreicht werden sollte. Man sollte vermutlich dabei fühlen, wie erhaben diese Burg war und die Ahnen ehren, die solch ein eindrucksvolles Gebäude vor Äonen erschaffen hatten.

Zumindest war sie jetzt in der Begleitung zweier Zofen unterwegs, denn die Ritter waren in dem großen Saal im Erdgeschoss geblieben.

Sofia ging staunend eine Treppe hinauf, die wohl auch Riesen gehen konnten. Die würden dann allerdings vermutlich fünf Stufen mit einem Schritt nehmen.

Die beiden jungen Frauen vor ihr sagten kein Wort und durften ihr wohl auch nicht ins Gesicht sehen, denn sie senkten sofort ihren Kopf, wenn sie sich kurz zu ihr umdrehten.

Im Obergeschoss wurden die Räume endlich kleiner und die Befangenheit wich ein wenig von ihr ab.

Schließlich passierten sie eine von zwei Rittern bewachte Tür und dahinter wurde Sofia von einer sehr vornehm gekleideten Frau freundlich begrüßt.

„Ich bin Constanze, deine zukünftige Schwiegermutter!“, sagte die Frau.

Sofort kniete sich Sofia vor der Königin hin. Ehrfürchtig senkte sie den Blick, doch Constanze zog sie sofort wieder zu sich hoch.

Die ältere Frau umarmte sie herzlich und geleitete sie danach weiter.

An ihre Seite wandelte Constanze freundlich plaudernd dahin und Sofia bemerkte, dass das Kleid der Königin sehr kostbar war.

Sie erklärte ihr die Aufteilung der Räume und zeigte ihr dabei auch die Zimmer.

Hier waren offenbar nur Frauen, die sofort vor ihnen auf die Knie fielen oder sich tief verbeugten, wenn sie an ihnen vorbeigingen.

Endlich waren sie in einer gemütlich eingerichteten Stube angekommen, in der Constanze die Tür schloss und auf ein paar Stühle am Fenster zeigte.

Mit dem Blick zur blutroten Abendsonne setzten sie sich dorthin und die Königin erzählte weiter: „Das werden hier deine Räume sein. Nach deiner Hochzeit mit meinem Sohn werde ich mich zurückziehen und dann bist du die Königin. Ich gehe dann in mein Haus im Wald und du wirst hier bleiben.“

„Wo ist Frederic?“, fragte Sofia.

„Der ist auf der Jagd und wird sicherlich morgen wieder zurück sein. Er erjagt persönlich das Essen für die Feier. Das ist so Tradition hier bei uns“, erklärte die Königin.

„Möchtest du etwas essen? Dich nach der Reise frisch machen?“, fragte Constanze sie jetzt.

„Beides! Zuerst ein Bad“, entgegnete Sofia.

Constanze klatschte in die Hände und die Tür öffnete sich. Eine Zofe betrat den Raum, verbeugte sich und Constanze wies die junge Frau an, ein Bad zu bereiten.

Wenig später kam die Zofe zurück, Constanze nahm Sofia bei der Hand und brachte sie in das Badezimmer hinüber.

Es war ein mit wunderschönen bunten Fliesen getäfelter Raum, der in Anbetracht der späten Stunde mit Kerzen beleuchtet war. Das gab dem ganzen etwas Anheimelndes und Gemütliches. Eine ziemlich große Wanne mit duftenden Wasser, das mit Schaum bedeckt war, lud zum Entspannen und säubern ein.

„Das ist Roswitha, deine Kammerzofe“, erzählte Constanze und zeigte auf die junge rothaarige Frau.

Die Dienerin machte einen tiefen Knicks.

„Von jetzt an wird sie immer in deiner Nähe sein. Was immer du wünschst, und sei es noch so besonders, wird sie dir besorgen!“, setzte die Königin fort.

Sofia blickte die Zofe an, die aber ehrfürchtig den Blick senkte.

„Ich ziehe mich jetzt zurück und wenn du dann später wieder in dein Zimmer kommst, dann werden deine Sachen bereits dort auf dich warten. Das Essen dann auch. Ich wünsche dir noch eine schöne Nacht!“, bemerkte Constanze und ging aus dem Raum.

Sofia trat an die Wanne und steckte ihre Finger in das Wasser. Es hatte eine angenehme Wärme, es war nicht zu heiß und auch nicht zu kalt, genau richtig, nach den Strapazen der Reise.

„Hilf mir mit dem Kleid“, forderte sie die Zofe auf.

Roswitha trat näher und öffnete die Haken an ihrer Rückseite.

Kurz darauf lag Sofia im Unterkleid in dem Schaumbad und lehnte sich zurück.

Entspannt in der Wanne liegend dachte sie an all die neuen Eindrücke zurück. Frederic würde sie jetzt also erst am nächsten Tag sehen, aber Constanze war wirklich freundlich ihr gegenüber gewesen.

Sie ließ ihren Blick in dem Raum umhergehen. Das wären also ihre Gemächer für die nächsten Jahrzehnte! Constanze hatte diese wohl ebenfalls vor ihrer Hochzeit betreten und würde sie erst in den nächsten Tagen verlassen. Es war still hier drin.

Sofia fixierte ihre Kammerzofe, die keinen Ton von sich gab.

Vielleicht war die Königin daher so redselig gewesen, weil sie hier mal wieder mit jemanden von draußen reden durfte. Mit der Hand glitt Sofia durch den weichen Schaum. Hier drin würde sie alle Annehmlichkeiten haben, die sie sich wünschte, aber sie würde eben nur hier drin bleiben können!

„Gibst du mir bitte die Seife?“, fragte sie die Zofe, die dabei fast erschrocken zusammenzuckte.

Sofia sah, wie die Frau überlegte. Offenbar durfte sie nicht nein sagen, wollte es wohl aber dennoch gerade.

„Was ist?“, fragte sie daher nach.

„Ich sollte euch waschen, Herrin!“, erklärte Roswitha leise.

„Gut! Wenn du das möchtest!“, entgegnete Sofia.

Für Streit am ersten Tag war sie einfach zu müde. Sie setzte sich in der Wanne auf und die Kammerzofe begann damit, ihren Hals und danach die Arme abzuseifen. Flugs schnappte sich Sofia dabei aber die Seife und entriss diese der verdutzten Zofe.

„Bitte lass mich alleine!“, sagte sie, Roswitha verbeugte sich und ging.

Vermutlich stand sie allerdings direkt vor der Tür.

Schnell entledigte sich Sofia des leinenen Unterkleides und rieb sich daraufhin gründlich mit der Seife ein. Die roch wirklich hervorragend! Sie wusch sich auch noch die Haare, legte sich in der Wanne zurück und überzeugte sich, dass ihr gesamter Körper vom Halse abwärts mit Schaum bedeckt war.

Dann rief sie: „Roswitha!“

Einen Wimpernschlag später öffnete sich die Tür.

„Bringe mir ein neues Unterkleid und ein Handtuch!“, sagte Sofia.

Mit einer Verbeugung eilte die Kammerzofe davon.

Wenige Augenblicke später hatte Sofia das gewünschte, schickte die Zofe abermals hinaus und stieg danach aus der Wanne.

Schnell trocknete sie sich ab, zog sich das Unterkleid über und ließ sich hinterher von Roswitha in ihr Zimmer bringen, wo schon ein dampfendes Abendessen auf sie wartete.

Bei dem Essen stand die Zofe zwei Schritte hinter ihr, während Sofia es sich schmecken ließ.

Das Mahl war wirklich köstlich.

Roswitha bediente sie ohne ein Wort und sie selbst war nach dem Weg einfach zu müde zum Reden. Das Bett rief schon nach ihr und es sah bequem aus.

Der Morgen würde schlauer als der Abend sein.

Sofia schob alle Zweifel fort und freute sich auf eine schöne Nacht.

8. Kapitel

Gedanken in der Nacht

Sie stand an der offenen Tür und blickte in das Zimmer hinein. Gedankenverloren spielte Roswitha an dem Zopf, der ihr vorn bis fast zum Gürtel reichte.

Ein paar Schritte vor ihr lag die junge Herrin und schlief. Jetzt erst hatte Roswitha Zeit, um über diesen Tag nachzudenken. Vor zwei Monaten war sie auf diese Burg gekommen, um all das zu erlernen, was sie von heute an brauchen würde. Friederike, die Kammerzofe der alten Königin, hatte sie in alles eingewiesen und Roswitha hatte der alten Königin geschworen, auf die neue gut aufzupassen.

Es war eine Ehre und eine Berufung zugleich gewesen, die neue Königin auf ihrem Weg zu begleiten.

Doch warum man gerade auf sie für dieses hohe Amt gekommen war, das wusste sie nicht. Es wäre allerdings ein furchtbarer Fauxpas gewesen, die Einladung zu dieser Tätigkeit abzulehnen.

Sie blickte durch die Zimmerwand in ihre eigene Vergangenheit hinein. Roswitha war jetzt einundzwanzig Jahre alt und hatte vor einem Jahr den geliebten Vater Erik verloren. Seitdem hatte die Mutter sie und die beiden jüngeren Schwestern mehr schlecht als recht am Leben gehalten und daher war es wohl ein Segen für sie, dass Roswitha diese Aufgabe erhalten hatte.

Früher war alles anders gewesen. Mit dem Vater war sie durch die weiten Wälder gestreift und da Erik keine Söhne hatte, war sie eben wie ein Sohn bei ihm aufgewachsen. Der sonst nur bei den Männern übliche Zopf war das letzte Relikt dieser wundervollen Zeit.

Eigentlich war es in Waldonien Sitte, die Haare offen und nur mit einem Haarband versehen zu tragen, aber dafür waren sie einfach viel zu lang. Und abschneiden wollte sie diese auch nicht so einfach.

Abermals gingen ihre Gedanken in der Zeit zurück. Sie war mit Erik gerannt, hatte gejagt und auch sonst alles getan, was Jungs eben taten. Bereits mit acht war sie ein besserer Schütze als der Vater gewesen, was diesen natürlich sehr stolz gemacht hatte. Ihr Pfeil ging seitdem noch niemals fehl.

Die anstrenge Tätigkeit im Wald hatte sie kräftig, flink und mutig gemacht. Das wäre wohl auch für den Schutz der Königin wichtig, denn so musste sie im Notfall keinen Mann bitten, sich schützend vor die Herrin zu werfen.

Der lange Dolch an ihrem Gürtel war keine Zier, wie er es wohl bei manch anderer Magd war, sondern eine wirkungsvolle Waffe.

Ihre Hand fiel auf den Griff der Waffe. Jedes Mal, wenn sie das Holz berührte, dachte sie an Erik und an den Tag, als er ihr den Waffengurt um die Hüften gelegt hatte.

Alle anderen Mädchen hatten schöne Kleider erhalten, als sie in den Bund der Frauen aufgenommen worden waren, und sie diesen Dolch.

Acht Jahre war das jetzt schon her und sie wollte diese Klinge in Ehren halten.

Ein einziges Mal war sie schwach geworden und hatte Mädchendinge getan. Versonnen lächelnd dachte sie an den Sommer mit Benno zurück. Es hatte alles harmlos begonnen, als sie zwei Jahre zuvor zusammen auf einer Jagd in einen Regenguss gekommen waren.

Mit dem gleich alten Mann hatte sie sich schützend unter einen Baum gestellt. Der erste Kuss hatte sie überrascht, aber sie hatte wohl anders reagiert, als Benno es erwartet hatte. Die Ohrfeige hatte er lächelnd eingesteckt und sich einen zweiten Kuss geraubt.

Den anschließenden Ringkampf hatte Benno für sich entscheiden können und sie hatte selbst nicht gewusst, was geschah, als sie sich beide daraufhin hektisch im Wald die Kleider vom Leib gerissen hatten, um sich danach im Regen auf einer Moosfläche zwischen den Bäumen zu lieben.

Vielleicht waren es uralte Instinkte gewesen, die in ihr gesteckt hatten, und die bei ihr in jenem Moment die Steuerung übernommen hatten.

Benno war sehr stark und leidenschaftlich. Den ersten Schmerz der Vereinigung hatte sie klaglos weggesteckt und danach war es besser geworden.

Mit Benno hätte es etwas werden können und sie hätte eventuell mit ihm eine Familie gegründet, doch dann waren Benno und Erik am selben Tag bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Ein Keiler hatte Benno angegriffen und Erik hatte ihm zu Hilfe kommen wollen.

Am Ende hatte sie das wütende Tier mit einer Lanze zur Stecke gebracht, aber für die beiden geliebten Männer kam da bereits jede Hilfe zu spät.

In ihrem grenzenlosen Kummer hatte sie die Liebe ganz tief in sich vergraben. Vielleicht hatte sie sich gesagt, dass die Liebe zu sehr schmerzen würde.

Sie löste den Gürtel, streichelte die Waffe und legte diese auf dem Hocker neben ihrem Bett ab. Das Kleid folgte, anschließend die Schuhe und danach die Strümpfe.

Schnell wusch sie sich in einer Schüssel und setzte sich danach auf die Kante ihrer Lagerstatt. Von dort aus konnte sie das Bett der Herrin immer im Blick behalten.

Nach einem kurzen Gebet legte sie sich hin, deckte sich zu und blickte zur Zimmerdecke, die nur schemenhaft über ihr zu sehen war. Die Kerze war erloschen und der Halbmond warf nur wenig Licht in den Raum.

Bis zum Tage zuvor war sie hier noch alleine gewesen, jetzt schlief die zukünftige Königin nebenan und sie hörte auf das leise Schnarchen der Frau. Es klang wie die Schlafgeräusche der beiden kleinen Schwestern, mit denen sie noch vor nicht allzu langer Zeit das Bett in der mütterlichen Hütte geteilt hatte. Es hörte sich vertraut an.

Sie schloss die Augen und sah Bennos Gesicht wieder vor sich.

Vielleicht hatte sie seine Seele mit ihren Erinnerungen gerufen, aber es fühlte sich schön an. Momentan setzte auch noch ein leichter Sommerregen ein, der leise gegen das Fenster klopfte und der brachte ihr augenblicklich auch noch die Geräusche von damals in den Kopf zurück.

Sie war wieder im Wald, mit Benno, in seinen Armen und fühlte ihn ganz deutlich auf ihrer Haut. War sein Geist jetzt hier? Oder waren es nur die Erinnerungen an diesen unsagbar schönen Tag im Sommerregen? An jene Momente, in denen sie sich damals als Frau gefühlt hatte, als Benno sie zur Frau gemacht hatte.

An diese Augenblicke puren Glücks. Und wenn Benno nicht den Tod gefunden hätte, dann wäre sie jetzt vielleicht in seiner Hütte, in seinem Arm, hätte ihm vielleicht bereits ein Kind geschenkt.

Mit ihm hätte es gelingen können, doch das Schicksal hatte es anders mit ihr gemeint.

Und dennoch spürte sie gerade wieder seine Hände auf sich, die so ruppig und andererseits auch zärtlich ihren Leib gestreichelt hatten.

Es waren ihre eigenen Finger, die jetzt das taten, was Benno an jenem Sommertag mit ihr getan hatte. Sie fühlte wieder dieses unbändige Glücksgefühl in sich und um keinen Laut von sich zu geben, biss sie sich auf die Hand.

Sie bäumte sich auf und fiel stöhnend auf ihr Lager zurück.

Glücklich und entspannt schlief sie schließlich ein.

Im Traum lag sie in Bennos Arm.

9. Kapitel

Constanzes schwebender Garten

Sofia erwachte aus einer geruhsamen und traumlosen Nacht, weil der Gesang eines Vogels zu hören war. Bei ihr zu Hause weckte jeden Morgen ein äußerst lautstarker Hahn bei Sonnenaufgang die ganze Burg, aber der Gesang einer Amsel war da wesentlich netter anzuhören.

Sie schlug die Decke zurück, erhob sich geräuschlos und trat mit nackten Füßen zum Fenster. Für einen Moment stockte ihr beim Anblick der bodenlosen Tiefe der Atem, dann genoss sie den sich bietenden Ausblick über den weit unter ihr liegenden Wald.

Der kleine schwarze Vogel musste auf einer der Mauern oder dem Dach der Burg sitzen, denn diese Burg war weit über der Baumgrenze errichtet und selbst die höchsten Baumriesen endeten tief unterhalb ihres Fensters.

Sofia lehnte sich heraus, konnte den gefiederten Sänger aber nicht sehen. Sein Lied war hier draußen jedoch sehr viel lauter.

„Herrin!“, sagte jemand hinter ihr.

Sofia blickte über ihre Schulter zurück. Hinter ihr stand ihre Kammerzofe und machte einen tiefen Knicks.

Das würde der erste Tag in ihrem neuen Zuhause sein.

Waschen, anziehen und Frühstück folgten und nach dem Mahl erschien Königin Constanze in ihren Gemächern.

Wie es sich gehörte, machte auch Sofia vor ihr einen tiefen Knicks.

„Heute zeige ich dir dein neues Reich“, erklärte Constanze und nahm sie bei der Hand.

Plaudernd lief die Königin neben ihr her und zeigte noch mehr Gemächer und Räume, bis sie schließlich an eine Tür traten und Constanze sagte: „Und jetzt zeige ich dir meinen liebsten Platz hier!“

Lächelnd schob die Königin die Tür auf und Sofia verschlug es fast den Atem.

Staunend betrat sie einen großen Platz auf dem Dach der Burg, der mit Büschen und kleinen Bäumen bewachsen war. Bunte Blumen dufteten herrlich und hölzerne Bänke luden zum Verweilen ein.

Einige Mägde eilten geschäftig hin und her, um Blumen zu gießen oder Kräuter zu ernten. Auch verschiedene Ost- und Gemüsesorten wuchsen in einem Teil des weitläufigen Gartens.

„Im Sommer bin ich fast ständig hier!“, erzählte Constanze und ließ sich auf einer der Bänke nieder.