Zwei Frauen unterm Sternenbanner - Uwe Goeritz - E-Book

Zwei Frauen unterm Sternenbanner E-Book

Uwe Goeritz

0,0

Beschreibung

"Zwei Frauen unterm Sternenbanner" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Die USA im Jahre 1862. Der Bürgerkrieg zerreißt das Land in Norden und Süden. Clara hatte erwartet, dass sie so weit im Norden und kurz vor der Grenze zu Kanada von den Auswirkungen dieser Auseinandersetzung verschont bleiben würde, doch dann bricht ihre Partnerin, die ehemalige Sklavin Rose, auf, um ihre Mutter aus der Sklaverei zu befreien, doch schnell stellt die junge Frau fest, dass dies ein tödlicher Einfall gewesen war. Schließlich ist auch Clara gefordert, zur Waffe zu greifen und sich dem Feind entgegenzustellen. In der Fortsetzung der Erzählung "Eine Gräfin in Amerika" sind die Freundinnen gezwungen, sich dem unausweichlichen Schicksal zu stellen. Maria, die seit über zehn Jahren bei den Dakota lebt, Rose, die entflohene Sklavin und Clara, die im Süden gesuchte Mörderin, müssen jede an ihrem Platz um ihr Überleben kämpfen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 413

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Zwei Frauen unterm Sternenbanner

Am Kanonenfluss

Splitter der Erinnerung

Totes Land, mit Schnaps bewässert

Wie sage ich es meinem Kind?

Sternenregen und Mondlicht

Auf unsicheren Straßen

Ängste in der Nacht

Verschlungene Wege führen auch zum Ziel

(

K)eine von ihnen?

Südliche Pfade

Schiff ahoi!

Zweierlei Blut

Auf dem Mississippi

In der Falle!

Cotton Girl

Schutzlos ausgeliefert

Joshua

In der Gewalt von Monstern!

Am Ende des Weges?

Der Duft der Freiheit

Auf der Flucht

Gefangen oder frei?

Glaubensfragen

Mit ein bisschen Hilfe einer Freundin

Ein Pfad der Angst

Geburtstag mal anders

Glück muss man haben

Wieder vereint?

Seltsame Sitten

Afrikanische Rückblicke

Auf dem Weg in die Katastrophe?

Der große Knall!

Irgendwo im Nirgendwo

Sind wir in Gefahr?

Zwischen Leben und Tod

Der Ratschlag der Ahnen

Der sitzende Fuchs

Das Ende der Sioux?

Ein Ding erwacht zum Leben

Weihnachten für alle?

Ein neuer Weg?

Südwärts in Waffen!

Nachts in der Prärie

Neue und alte Freunde

Ein Wiedersehen in Kansas

Heiße Nächte in Fort Scott

Entlang der Texas Road

Stell dich deiner Angst!

Die Löwen vom Cabin Creek

Normalität und dunkel Vorahnungen

Vernunft und Unvernunft!

Der letzte Kampf?

Gettysburg

Der heiße Hauch des Todes

Im Niemandsland

Mit Ifunanyas Hilfe

Ein schmerzvoller Heimweg

Dasselbe Blut!

Unter dem Sternenzelt

Gegen den Alb!

Entscheidungen dafür oder dagegen

Kansas Rose

City of Kansas

Die fliegende Concord

Ein kraftvolles Lied

Botschaften des Herzens

Verbundene Herzen

Stille Weihnacht?

Eine unkonventionelle Familie

Neues Jahr, neues Glück?

Neue Wege!

Zweifel und Glück

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Zwei Frauen unterm Sternenbanner

D ie USA im Jahre 1862. Der Bürgerkrieg zerreißt das Land in Norden und Süden. Clara hatte erwartet, dass sie so weit im Norden und kurz vor der Grenze zu Kanada von den Auswirkungen dieser Auseinandersetzung verschont bleiben würde, doch dann bricht ihre Partnerin, die ehemalige Sklavin Rose, auf, um ihre Mutter aus der Sklaverei zu befreien, doch schnell stellt die junge Frau fest, dass dies ein tödlicher Einfall gewesen war. Schließlich ist auch Clara gefordert, zur Waffe zu greifen und sich dem Feind entgegenzustellen.

In der Fortsetzung der Erzählung „Eine Gräfin in Amerika“ sind die Freundinnen gezwungen, sich dem unausweichlichen Schicksal zu stellen. Maria, die seit über zehn Jahren bei den Dakota lebt, Rose, die entflohene Sklavin und Clara, die im Süden gesuchte Mörderin, müssen jede an ihrem Platz um ihr Überleben kämpfen.

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Am Kanonenfluss

D onnernd rauschte das Schmelzwasser des Winters in dem ohnehin schon sehr breiten Fluss gen Südosten dahin. An seinen beiden Ufern lag noch Schnee, der nur langsam dem Frühling wich und am Himmel zogen dunkle Wolken schnell in Richtung Westen davon.

In der Art, wie Wasser und Wolken sich zu unterschiedlichen Ziele hinbewegten, so entfernte sich auch der Norden des Landes immer mehr vom Süden. Nicht räumlich gesehen, sondern eher in den Ansichten der Menschen.

Es war Anfang April des Jahres 1862, Clara saß auf einem Stein und blickte in die schaumigen Fluten.

Im Moment machte der Fluss seinem Namen alle Ehre. Es klang wirklich wie das Donnern von Kanonen, aber Clara wusste nur zu gut, dass dieser Name nur einem Missverständnis geschuldet war. Die französischen Siedler hatten hier einst viele Kanus auf dem Wasser gesehen und durch einen Übersetzungsfehler vom französischen zum englischen war aus dem Canoë Rivière, dem Kanufluss, dann der Cannon River, der Kanonenfluss geworden.

Sie strich durch ihr langes dunkelblondes Haar und dachte an einen anderen Fluss zurück. Vor fast genau dreizehn Jahren war sie auf ihrer halsbrecherischen Flucht über die halbfertige Marienbrücke nur knapp den preußischen Soldaten entkommen, die den Maiaufstand 1849 in Dresden blutig niederschlagen wollten. Erneut sah sie die Elbe vor sich und Heinrich, ihren Freund, der einst mit ihr geflohen war.

Aber das hier war nicht Sachsen, sondern Minnesota. Und es war auch nicht die Elbe. Clara wusste, dass dieses breite Gewässer irgendwo in den Mississippi mündete und in diesem noch viel mächtigeren Strom hatte der geliebte Freund sein nasses Grab gefunden. Eine Träne lief bei dieser Erinnerung über ihre Wange.

Aus ihrer Trauer um den Geliebten riss sie das fröhliche Lachen eines Kindes heraus. Sie drehte ihren Kopf und blickte dorthin zur Seite.

Rose spielte mit ihrer Tochter Fanny Mae an einer kleinen Bucht. Die Zehnjährige hatte in den letzten Tagen aus Holz ein kleines Boot geschnitzt und Rose half momentan ihrer Tochter dabei, dieses Schiffchen zu Wasser zu lassen.

Die beiden hatten denselben wundervollen terrakottafarbenen Hautton, der hier hoch im Norden so selten zu sehen war und der so viel schöner war, als ihr eigener blasser Teint des vergangenen Winters.

Vor mehr als zehn Jahren hatte sie Rose zuerst kennen und danach lieben gelernt. Seit dieser Zeit waren sie unzertrennlich und ein Paar.

In der Verlängerung ihrer Blickrichtung konnte Clara die Häuser der Siedlung erblicken. Ebenfalls vor zehn Jahren hatte Mister Faribault1 dort die ersten Blockhäuser errichten lassen und gegenwärtig lebten schon ein paar hundert Menschen in dem Ort, der ihm zu Ehren seinen Namen trug.

Die Bäume, die damals am Fluss gestanden hatten, die hatten sich in Gebäude verwandelt. Es war eine sehr schöne Siedlung geworden, wie sie fand, und Clara lebte gern hier in dieser Gegend.

Sie erhob sich von ihrem Stein, klopfte sich den Schmutz vom Kleid und schlenderte zu ihrer Freundin und deren Tochter hinüber.

„Clara schau! Es schwimmt!“, rief Fanny ihr begeistert zu.

Vor Freude tanzte das Mädchen am Ufer und der braune Zopf hüpfte dabei hinter ihr her.

Zu zweit zogen sie das Mädchen auf, deren Lehrerin Clara jetzt auch war.

Ihre hervorragende Ausbildung, die Clara als Tochter eines reichen Fabrikbesitzers einst in Sachsen genossen hatte, half ihr derzeitig täglich hier. Die Schule der Stadt war ihr Betätigungsfeld und der Gründer der Stadt legte besonders großen Wert auf gute Bildung.

Auch Rose strahlte sie an. Das Lächeln der Geliebten vertrieb augenblicklich den letzten Kummer aus Claras Herz und das schnell davon schwimmende Schiff trug auch die Erinnerung an Clara von Kletterwitz davon.

Einst vor ihrem gewalttätigen Mann geflohen, lebte sie gerade im Glück. Und das Holzstück nahm jetzt auch noch einen Gruß für Heinrich mit, ohne den sie wohl damals den Tod gefunden hätte.

Rose fiel ihr lachend um den Hals und ihre Lippen fanden sich zu einem Kuss.

Obwohl sie hier so weit oben im wilden Norden waren, hielten sie dennoch ihre Liebe unter sich. Zu schnell nahm jemand daran Anstoß, dass sich zwei Frauen liebten und ihr guter Ruf war die Voraussetzung für die Stelle als Lehrerin. Doch hinter verschlossenen Türen, oder so wie jetzt in der unbeobachteten Wildnis, fühlten sie sich beide frei.

Claras Blick folgte gedankenverloren dem winzigen Schiff.

„Du denkst an Heinrich und New Orleans?“, fragte Rose.

Clara konnte dem nur zustimmen, denn die Freundin kannte sie nur zu gut. Leugnen wäre zwecklos gewesen.

Durch die Nennung des Namens der Stadt sausten Claras Erinnerungen jetzt zu der großen Metropole, die etwa zweitausend Meilen entfernt im Süden lag und zu ihrem ersten Treffen mit Rose. Damals war die Freundin noch eine Sklavin in dem Hurenhaus gewesen, in dem Clara unfreiwillig gefangen gehalten wurde.

Es waren furchtbare Zeiten gewesen, die Clara eigentlich vergessen wollte, doch die Angst davor steckte viel zu tief in ihr drin.

Selbst jetzt, nach über zehn Jahren, wachte sie gelegentlich noch schreiend aus dem Traum, wenn sie ihren Schwager Cornelius vor sich sah, dem sie diesen Zwangsaufenthalt verdankte. Oder Tobias, der sie dort mehr als einmal brutal geschändet hatte.

Auf ihrer Flucht hatte Rose damals beide Männer erschossen und doch, oder gerade deswegen, kam jedes Mal diese furchtbare Erinnerung in ihr hoch, wenn sie mit Rose oder Fanny zusammen war, denn Cornelius war der Vater von Rose und Tobias der von Fanny.

Dass beide durch eine Vergewaltigung gezeugt worden waren, machte die Sache auch nicht viel leichter für Clara. Das braune Haar, das sowohl Rose als auch Fanny hatten, zeugte ebenfalls von diesen Gewalttaten.

Wenn man es genau nahm, so war Rose eigentlich ihre Nichte. Rose von Kletterwitz, aber auf den Grafentitel legten sie beide keinen Wert. Wer wollte schon mit Gewalttätern und Vergewaltigern verwand sein?

Auch aus diesen Erinnerungen riss Clara das Lachen von Fanny wieder heraus.

Rose legte ihren Arm um Claras Schultern und gemeinsam blickten sie zu Fanny Mae hinüber, die es wohl immer noch nicht fassen konnte, dass ihr selbst geschnitztes Boot den Fluss hinuntertrieb und der starken Strömung standhielt.

Derzeitig schaute Rose dem Schiff hinterher und Clara erinnerte sich abermals an die Flucht mit ihr. Damals waren sie ebenfalls mit einem Schiff gefahren, von New Orleans nach St. Louis.

In dem verträumten Blick von Rose erkannte Clara, dass die Geliebte gerade an den Beginn ihrer Beziehung zurückdachte und sicherlich auch an Samuel, den schwarzen Matrosen, welchen Rose auf ihrer Flucht dort kennengelernt hatte. Oft hatte sie von ihm geschwärmt.

Langsam senkte sich die Sonne im Westen gegen den Horizont herab und es wurde kühl am Fluss.

„Lass uns nach Hause gehen!“, erklärte Clara und zog sich die Jacke fester um ihren Körper.

„Morgen beginnen wir mit einem neuen Boot und dieses Mal machen wir eines mit einem Segel dran!“, bemerkte sie zu Fanny, die sofort freudig mit der Planung ihres neuen Schiffes begann.

Zu dritt schlenderten sie zur Siedlung zurück und das Mädchen suchte bereits Holz für den nächsten Stapellauf.

1 Alexander Faribault (22.6.1806 – 28.11.1882), amerikanischer Pelzhändler.

2. Kapitel

Splitter der Erinnerung

L iebevoll strich Rose ihrer Tochter über den Kopf. Es hatte ewig gedauert, bis sie Fanny endlich ins Bett bekommen hatte. Claras lieb gemeinter Ratschlag mit dem Bau eines Segelbootes war völlig aus dem Ruder gelaufen.

Fanny hatte ewig gebettelt, noch an diesem Tag mit dem Schnitzen zu beginnen, doch am nächsten musste sie in die Schule und es war schon später Abend.

„Erzähle etwas! Oder sing mir was vor!“, verlangte die Tochter jetzt und Rose dachte nach. Die Gedanken flogen weit zurück und ein längst vergessen geglaubtes Lied fiel ihr wieder ein, dass ihre Großmutter Ifunanya oft an ihrem eigenen Bett gesungen hatte.

Aber mit der Erinnerung an die Großmutter kamen auch die furchtbaren Bilder der Baumwollfarm zurück, denn dort hatte sie die Lieder in der alten Sprache ihrer Heimat gesungen und oft von Afrika erzählt. Das durfte sie damals aber erst, wenn die Aufseher in ihren Häusern waren.

Bei Ifunanya hatte Rose häufig diese Sehnsucht nach der alten Heimat herausgehört.

„Afrika!“, sagte sie leise und sofort war Fanny mit der Nachfrage dabei.

Augenblicklich musste Rose das erzählen, was die Großmutter ihr damals berichtet hatte: von der Savanne, von Antilopen und Elefanten.

Und während Rose darüber berichtete, war sie mit ihren Gedanken ganz woanders.

Sie befand sich wieder in der mit Schilf gedeckten Hütte nördlich von New Orleans und spürte gleichzeitig die Narben der Peitsche auf ihrem Rücken.

Bisher hatte sie es vermieden, Fanny etwas davon zu erzählen, denn noch war die Tochter viel zu jung, als dass sie es verstehen konnte.

Nicht einmal sie selbst konnte es begreifen!

Sie begann eines der Lieder in der fremden Sprache zu singen, doch die Worte fielen ihr nicht mehr alle ein. Daher erklärte sie Fanny, worum es in dem Lied ging: um zwei kleine Antilopen in der Savanne, die nach einem ausgelassenen Spiel aneinander gekuschelt im hohen Gras schliefen. Es war ein sehr, sehr altes afrikanisches Schlaflied.

Rose summte es und Fanny schlief dabei langsam ein.

Mit dem Blick auf Fannys schlafendes Gesicht im Scheine der Petroleumlampe dachte Rose an die eigene Kindheit zurück. Es war ein Wunder gewesen, dass sie überhaupt die Großmutter und ihre Mutter Mae kennenlernen durfte.

Auf ihrer Farm war sie das einzige Mädchen gewesen, das fast fünfzehn Jahre bei ihrer Mutter leben durfte. Ihre Freundinnen waren meist schon im Alter von sieben oder acht den Müttern entrissen und wie Vieh auf einem Markt verkauft worden.

Erst viel später hatte sie verstanden, dass dieses Glück eigentlich auf dem Unglück ihrer Mutter beruhte. Sie war die uneheliche Tochter ihres Masters gewesen und daher verschont worden.

Anderenfalls wäre sie sicherlich sofort Handelsware gewesen. Die Farmer des Südens verdienten manchmal mehr mit ihren Sklaven, als mit den Erlösen ihrer Farm.

Eine hübsche Sklavin konnte dreihundert Dollar wert sein. Erst ihre versuchte Flucht hatte ihren Master Cornelius dazu gebracht, sie an das Bordell zu verkaufen, dessen Besitzer er allerdings ebenfalls gewesen war.

Die Fragmente dieser Erinnerung schnitten wie Glassplitter in ihre Haut und Rose fühlte, wie sich alles in ihr vor Schmerz zusammenkrampfte.

Clara trat zu ihr und legte ihr sacht die Hand auf die Schulter.

„Komm ins Bett!“, flüsterte ihr die Freundin ins Ohr.

Rose kam nur mühsam von der Bettkante hoch. Die dunkle Erinnerung drückte sie zu Boden.

Sie fragte sich, warum das gerade heute geschehen war. Hing es mit dem Fluss zusammen, an dessen Ufer sie am Nachmittag gestanden hatten? Vermutlich, denn auch die Farm lag im Süden in der Nähe dieses gewaltigen Stroms.

Leise verließen sie den Raum und gingen in die Stube hinüber.

Ihre kleine Hütte hatte drei Zimmer und der pure Luxus war dabei der Raum, in dem Fanny alleine schlief. Als sie vor Jahren dieses Haus gebaut hatten, hatte Clara darauf bestanden.

Sie hatte es Kinderzimmer genannt und an ihr eigenes Zimmer in der fernen Heimat verwiesen, aber das hier war eine Holzhütte in Minnesota und keine herrschaftliche Villa in Chemnitz.

Rose warf einen letzten Blick auf die schlafende Tochter und schob die Tür leise zu.

Jetzt drehte sich Rose zu ihrer Freundin um. Die anfänglich ziemlich stürmische und heiße Liebe war einer Vertrautheit gewichen.

Während sich Clara in der Schüssel wusch, beobachtete Rose sie und in ihrem Kopf waren immer noch die Erinnerungen an früher.

„Fanny hat mich schon wieder nach ihrer Großmutter gefragt“, begann Rose und trat an die Schüssel.

„Sie ist jetzt in einem Alter, in dem man Fragen stellt. Du solltest ihr die Wahrheit sagen!“, entgegnete Clara und trocknete sich mit einem Tuch ab.

„Die Wahrheit? Meinst du wirklich, dass sie das verstehen kann?“, entgegnete Rose zweifelnd und streifte sich das Kleid ab.

„Ich denke schon!“, erwiderte Clara und ging zum Bett hinüber.

Zweifelnd blickte Rose ihr nach. Natürlich war Fanny ziemlich aufgeschlossen und für ihr Alter auch schon sehr schlau, aber sollte sie die Tochter wirklich mit all diesen schrecklichen Bildern konfrontieren, die in ihrem Kopf noch gut verwahrt steckten?

Erst einmal ausgesprochen, würde sie es nie wieder zurücknehmen können! Und vielleicht kam dieser Schmerz, den Rose immer spürte, wenn sie an Mae dachte, genau aus der Tatsache, dass sie die Erinnerungen an die Mutter verdrängt hatte.

Schnell wusch sie sich Arme, Schultern und Gesicht und schlüpfte danach zu Clara unter die warme Decke, doch an Schlaf war momentan nicht mehr zu denken.

„Warum tun Menschen anderen Menschen so etwas an?“, fragte sie und es war genau das, was wohl auch Fanny fragen würde.

„Weil manche denken, ihr eigenes Leben wäre wichtiger als jedes andere!“, erklärte Clara bitter.

Das brachte es wohl ziemlich genau auf den Punkt.

„Schau mal“, setzte Clara fort und drehte ihr das Gesicht zu. „Im Süden ist seit letztem Jahr Krieg. Der Vater von Jeremy hat sich den Unionstruppen angeschlossen. Fanny wird sicher in den nächsten Tagen immer wieder danach fragen, was da los ist und bald werde ich keine Ausflüchte mehr machen können!“, flüsterte Clara.

Damit wurde es wohl wirklich Zeit. Rose kannte Jeremy und dessen Vater recht gut, denn der Junge war Fannys Schulfreund und fast jeden Tag waren sie im Winter vor dem Haus durch den Schnee getobt.

Ein einziges Wort von ihm würde Fanny nur noch mehr verwirren, als wenn Rose es ihr erklärte, aber ging das so einfach?

Bisher hatte sie es sogar vermieden, der Tochter den zerschlagenen Rücken zu zeigen. Die Narben der Peitsche, die ihr Vater vor Jahrzehnten gegen sie gerichtet hatte, schmerzten immer noch, wenn das Wetter umschlug.

„Schlaf jetzt!“, flüsterte Clara und gab ihr einen Kuss.

Während Clara neben ihr leise zu schnarchen begann, überlegte sich Rose die richtigen Worte für Fanny.

Der fast volle Mond schien durch das Fenster und brachte die Erinnerungen der Seele wieder hoch.

Wie oft hatte sie mit Mae im Süden vor der Hütte gesessen und im Mondlicht leise gesungen?

Gerade hörte sie wieder die Stimme der Mutter in ihrem Kopf!

3. Kapitel

Totes Land, mit Schnaps bewässert

M aria kniete unweit ihres Tipis und ließ die bröckelige Erde durch ihre Finger gleiten. Seit mehr als zehn Jahren war sie jetzt bereits die Frau des Weitblickenden Falken. Als „Großes Feuer“, wie sie sich seitdem nannte, war sie irgendwie zwischen den Welten gefangen. Einst aus Sachsen hierher nach Amerika geflohen, war sie jetzt eine Frau der Wahpekhute2, aber so richtig gehörte sie nicht dazu.

Sie hob den Blick und schaute in die Augen ihrer Tochter, die ihr gegenüber hockte.

„Wenn das in diesem Jahr wieder so eine Ernte wird, wie sie es im letzten Jahr war, dann lohnt sich das nicht!“, erklärte Katharina und traf es damit auf den Punkt.

Maria nickte zustimmend und ließ den Blick über das Lager gleiten.

Die Wahpekhute waren ein Unterstamm der Sioux und das hier war die ihnen von der Regierung zugewiesene Reservation. Redwood County in Minnesota!

Seit annähernd zehn Jahren, also beinahe schon so lange, wie sie die Frau des Falken war, lebten sie an diesem Platz, obwohl Leben wohl das falsche Wort dafür war. Dahinvegetieren traf es wohl eher!

Und Maria war an dem ganzen Desaster auch noch schuld! Vielleicht nicht sie alleine, aber sie fühlte es tief in sich, dass es ohne ihr Zutun nie so weit gekommen wäre.

Ihre Gedanken flogen um Jahre zurück. Bei der Großmutter im Erzgebirge hatte Maria alles Wissen erworben, welches es zur Landwirtschaft zu erlernen gab. Der kleine Hof hatte damals zwei Kühe, zwei Schweine, Hühner, Gänse und einen Garten, der sicher nicht viel größer gewesen war, als das Stück Land, das sie jetzt bewirtschaftete, doch die Ernte in Sachsen war um ein vielfaches größer, als das, was ihr dieser karge Boden selbst im besten Jahr gebracht hatte.

„Verdammt!“, fluchte sie und hätte am liebsten die kleine Gartenhacke zu Boden geworfen.

Es war ein Betrug gewesen und sie war sehenden Auges in die Falle getappt, damals, als sie das Leben von Rose und ihrer Freundin Clara gegen die Freiheit der Wahpekhute eingetauscht hatte.

Alles hatte so gut geklungen: Die Regierung wollte ihnen Land geben und darauf sollten die Sioux sesshaft werden.

Die immer mehr verschwindenden Wildtiere hatten sie damals bewogen, in den Handel einzuwilligen, der auch noch mit Geld und Verpflegung besonders schmackhaft gemacht worden war.

Doch zwei Dinge hatte wohl niemand bedacht: zum ersten waren die Wahpekhute keine Bauern und zum zweiten war der Boden auch noch völlig ungeeignet, um hier irgendetwas Brauchbares anzubauen.

Das fruchtbare Ackerland hatten sich die weißen Farmer genommen und hier würde sich höchstens noch Viehzucht lohnen.

Die Möhren, die sie im vergangenen Jahr geerntet hatten, waren selten länger als ihr kleiner Finger gewesen und diese Missernte zwang sie, bei den Händlern zusätzliche Nahrungsmittel auf Kredit zu kaufen, welchen sie erst zurückzahlen konnten, wenn die Regierung ihnen den jährlichen Betrag gegeben hatte.

Und diese Zahlung kam auch noch nicht mal pünktlich, denn der Krieg im Süden kostete wohl mehr, als die Regierung gedacht hatte.

Aber ohne Geld und Essen waren sie hier verloren.

Mit anderen Worten: man hielt sie in der Abhängigkeit dieser Reservation, die sie auch nicht mehr verlassen durften.

Maria stemmte sich hoch und überblickte den kleinen Garten, den sie hier hatte. Jeder hatte ein Stück Land für sich bekommen. Es sollte wohl so aussehen, wie bei den weißen Farmern und war eventuell damals auch so geplant, aber es war ein Irrtum gewesen.

Der größte Fehler war gewesen, dass niemand wirklich bedacht hatte, dass den Sioux jeglicher Begriff von Eigentum fehlte!

Allen gehörte alles, außer der Kleidung, die man auf dem Leib trug und eventuell noch der Töpfe im Tipi.

Das, was in Jahrtausenden entstanden war, das konnte man nicht per Befehl in ein paar Jahren ändern.

Maria seufzte und wandte ihren Blick nach Osten. Dort waren, in etwa hundert Meilen Entfernung, die ehemaligen Jagdgebiete der Wahpekhute gewesen. Jetzt befand sich dort die Stadt Faribault, in der auch ihre Freundin Clara lebte.

Erst am Tage zuvor hatte Maria einen Brief von ihr erhalten und jetzt wollte sie die Antwort noch zur Poststelle bringen.

„Passt du auf deine kleine Schwester auf?“, fragte Maria die Tochter.

Die zwölfjährige nickte und erhob sich ebenfalls.

Am Eingang des Tipis saß kleine Drossel und spielte mit einem hölzernen Pferd, das Clara ihr zu Weihnachten geschickt hatte.

Marias jüngste Tochter war gerade drei Jahre alt geworden und ihre beiden zehnjährigen Söhne waren wohl wieder mit ihrem Vater hier irgendwo unterwegs.

Bei Jungen und Mädchen griffen noch die alten Traditionen: Die Mädchen machten die schwere Arbeit in Zelt und auf dem Feld, die Jungen trieben sich umher, doch überall sonst zerbrach die alte Ordnung zusehends.

Waren die Männer und Jungen früher erfolgreiche Jäger gewesen, so hatten ihre beiden Söhne noch nie einen lebenden Wapiti gesehen.

Maria trat in ihr Zelt und nahm den Brief an sich.

Mit wachen Augen ging sie durch das Zeltlager hinüber zum Gebäude der Sioux-Agentur, in dem sich auch die Poststelle befand.

Vermutlich war sie die einzige der Wahpekhute, die diese jemals betreten hatte und jedes Mal wurde sie dort erneut so komisch angesehen.

Die etwa zwanzig Männer mussten doch mittlerweile alle begriffen haben, dass sie lesen und schreiben konnte.

Mit den schwarzen Haaren und der typisch roten Sonnenschutzbemalung im Gesicht sah sie den Frauen der Dakota zwar ähnlich, aber so ähnlich jetzt auch wieder nicht, dass ihre Herkunft nicht jedem sofort ins Auge fiel.

An einem Gatter vor der Station lungerte eine Gruppe Jugendlicher herum. Es war etwa ein Dutzend halbwüchsige, die keine Aufgaben und demzufolge auch nur Blödsinn im Kopf hatten.

Für eine Frau alleine war es nicht ganz ungefährlich, sich da hindurch zu bewegen, aber ihr Weg führte genau hier entlang und somit blieb ihr gar nichts anderes übrig.

Und offensichtlich waren einige von den Jugendlichen auch noch betrunken. Ihre Mütter hatten alle Hände voll zu tun, die Mäuler zu stopfen und diese Rabauken gaben die sauer erkämpften Dollarmünzen für Branntwein aus.

Nur einige Schritte hätte Maria noch gebraucht, aber sie kam nicht so weit.

Im Nu war sie eingekreist und der Brief wurde ihr entrissen. Sie versuchte, das Schriftstück zurückzubekommen, doch die Jungen ließen sie immer wieder ins Leere laufen. Es wurde ein eher unwürdiges Fangspiel!

In dem Brief waren Ostergrüße für Rose, Clara und Gundel, die alle drei in derselben Stadt lebten und Maria wollte ihn unbedingt zurück.

Das Lachen über ihre nutzlosen Versuche ärgerte sie noch mehr.

Schließlich erschien Häuptling Taoyateduta3, der ein Freund ihres Mannes war.

Auf ihn hörten die jungen Männer letztendlich und sie bekam ihr Schreiben zurück, aber auch noch eine Ohrfeige zusätzlich.

Früher hätte es so etwas nicht gegeben. Da stimmte sie mit dem Häuptling überein.

Sich die schmerzende Wange reibend, betrat sie anschließend die Poststation.

2 Wahpekhute - eine der vier Untergruppen der östlichen Dakota. Sie lebten in Minnesota.

3 Taoyateduta (Little Crow, deutsch Kleine Krähe), (ca. 1810 - 3.7.1863), war ein Häuptling der Mdewakanton, der Dakota-Sioux.

4. Kapitel

Wie sage ich es meinem Kind?

D ie ganze Nacht und den halben Tag hatte Rose gegrübelt, was sie Fanny sagen konnte. Natürlich hatte Clara recht mit ihrer Bemerkung. Im Süden tobte ein Krieg, der genau darum ging, zu klären, wie die Menschen miteinander umgingen.

Vor Jahren hatte Fanny schon gefragt, warum ihre eigene Haut um so viel dunkler war, als die ihrer Mitschüler. Damals hatte Rose begonnen, der Tochter von der fernen Heimat Afrika zu erzählen. Momentan war es wohl so weit, den Schritt von der Großmutter zur Mutter zu machen und über das Leben von Mae zu berichten.

Doch wie fing man so etwas an?

Machte man es sacht und vorsichtig? Oder sollte Rose einfach das Kleid ausziehen und Fanny mit der brutalen Wirklichkeit der Sklavenstaaten konfrontieren?

In zwei Monaten würde Fanny elf Jahre alt sein und Rose dachte daran zurück, wie sie in diesem Alter gewesen war. Damals, als jeder sie nur Schokoladenmädchen genannt hatte, weil ihre Haut braun war.

Bis sie mit Clara zusammengetroffen war, war sie immer irgendwie zwischen allen gewesen. Nicht ganz schwarz und nicht ganz weiß.

Die Arbeit auf der Plantage war schwer gewesen und ihre hellere Haut hatte ihr nur den Vorteil eingebracht, dass sie bei Empfängen im Herrenhaus die Gäste bedienen musste. Sie war eben das Schokoladenmädchen gewesen, aber von den Leckereien hatte sie nie etwas abbekommen.

Erst Clara hatte ihr dann später wirklich Schokolade gegeben.

Aber noch immer stand die Frage im Raume, wie sie es Fanny erklären konnte.

Die Tochter kannte keine Sklaverei, keine Plantagen, keine Peitschen und sie wusste auch zum Glück nichts von der Angst, die einem jeden Tag beschlich, wenn man aus der Hütte trat und auf das Baumwollfeld ging.

Mit dreizehn hatte sie damals versucht, mit ihrem gleich alten Freund, von der Pflanzung zu fliehen und natürlich waren sie dabei geschnappt worden.

Der Freund war gestorben und sie hatte zehn Peitschenhiebe als Strafe erhalten.

Das war jetzt fünfzehn Jahre her und dennoch schmerzten die Narben davon noch immer. Die auf ihrem Körper genauso, wie die auf ihrer Seele.

Die Schule war für heute vorbei und Fanny würde in wenigen Augenblicken zu ihr zurückkommen.

Rose trat aus der Hütte auf die Terrasse hinaus.

Suchend ging ihr Blick die Straße entlang und schon wenig später konnte sie die Gestalt der Tochter erkennen. Wie immer schlenderte Fanny den Weg entlang und sah mit ihren wachen Augen die Welt an.

Zwei Häuser trennten Rose noch von ihr, als ein ziemlich großer Hund auf die Straße gelaufen kam und auf Fanny zustürmte.

Vor Schreck blieb Rose fast ihr Herz stehen, doch Fanny kniete sich einfach hin, umarmte den Hund, der sich das Schwanzwedelnd gefallen ließ.

Rose lehnte an der Wand, hielt sich mit der Hand die Brust und versuchte wieder zu Atem zu kommen.

Da waren sie wieder, diese dunklen Bilder aus der Tiefe ihrer Seele! Zehn Jahre in der Freiheit waren mit einem Male ausgelöscht. Sie sah abermals die Bluthunde mit dem gefletschten Gebiss, die sie damals verfolgt und gestellt hatten.

Fanny erhob sich und kam auf sie zu.

„Was ist?“, fragte die Tochter und jetzt war es an ihr, das erste Wort zu finden.

Vielleicht sollte sie mit dem Hund beginnen?

„Ich habe mich nur erschrocken, als der Hund auf dich zugestürmt ist!“, begann sie.

„Das ist nur Bruno! Der kennt mich und ist lieb!“, entgegnete Fanny und drehte sich zu dem Hund zurück, der gerade wieder in einem der Häuser verschwand.

„Komm rein und setze dich. Ich muss mit dir reden!“, sagte Rose sonderbar streng.

Offensichtlich bemerkte das auch Fanny, denn sie zog fragend die Augenbrauen hoch. Dann nickte die Tochter und betrat das Haus.

Minuten später saßen sie am Küchentisch.

„Warum darf ich nicht mehr mit Bruno spielen?“, erkundigte sich Fanny.

Rose winkte ab. „Es geht nicht um Bruno!“, erzählte sie leise und momentan wollte all das heraus, was da in den letzten Jahren gut verborgen in ihr gesteckt hatte.

Sie begann die Erzählung wie ein Märchen mit den Worten: „Es war vor vielen Jahren in Louisiana“, und brach sofort danach ab, weil das eben kein Märchen war.

Doch jetzt war Fanny aufmerksam und lauschte.

Mit diesem Beginn konnte Rose augenblicklich auch nicht mehr zurück.

„Ich habe mich gerade so sehr erschrocken, als der Hund auf dich zugestürmt ist, denn vor vielen Jahren war ich auf der Flucht vor den Hunden!“, setzte Rose fort.

Sie begann langsam über die ersten dreizehn Jahre ihres Lebens zu erzählen. Über Sklaverei, Menschenhandel und Bluthunde, Baumwollplantagen und Schilfhütten, über Peitschenhiebe und Schlangenbisse. Von brutalen Aufsehern, denen es Spaß gemacht hatte, mit der Peitsche auf wehrlose Menschen einzuschlagen.

Nachdem das erste Wort gesprochen war, sprudelte alles hemmungslos aus ihr heraus.

Als Clara eine Stunde später in die Hütte trat, erzählte sie gerade von ihrem Freund und dem Beginn der nächtlichen Flucht.

Fanny schaute sie immer noch an, aber es sah eher ungläubig aus. Dann berichtete Rose davon, wie sie gefangen wurden und sie erzählte auch von den Hunden, die darauf trainiert waren, nur schwarze Menschen anzufallen.

Rose schilderte auch ihre Bestrafung und streifte sich das Kleid anschließend herunter. Sie drehte Fanny den nackten Rücken zu und die Tochter trat auf sie zu. Noch immer waren die Narben zu sehen und Fanny strich mit ihren Fingern über die Striemen, danach umarmte sie Rose.

Rose drehte sich um und zog die Tochter an ihre Brust.

Beide weinten sie momentan.

Der Strom der Tränen konnte den Schmerz eventuell aus ihr herauswaschen, doch das würde sicherlich noch dauern.

Clara lehnte nur stumm am Herd und hatte ebenfalls Tränen in den Augen, denn auch ihr gegenüber hatte Rose bisher vieles von ihrem Schicksal verschwiegen.

Damit wusste Fanny alles über ihr Urgroßmutter und die Großmutter. Mit Grausen dachte Rose gerade daran, was wohl geschehen würde, falls Fanny nach ihrem Großvater und Vater fragen würde.

Bisher war das für die Tochter kein Thema gewesen, sie lebte eben mit zwei Müttern, doch es würde schwierig werden, es ihr zu erklären.

Zumindest jetzt, denn sie wollte nicht mit ihr über dieses Bordell reden, in das sie nach der Flucht verkauft worden war. Und auch nicht darüber, dass sie Fannys Großvater und Vater in Notwehr erschossen hatte.

Clara wischte sich die Tränen ab und hielt ihr das Kleid hin.

Dankbar nickte Rose ihr zu.

Erst Clara war es gewesen, die ihr damals gezeigt hatte, dass die Hautfarbe keine Rolle spielte und sie liebten sich beide so, wie sie waren.

5. Kapitel

Sternenregen und Mondlicht

C lara hatte einfach nur zugehört und dabei an ihr eigenes Schicksal gedacht, denn auch sie hatte die Knute von Cornelius zu spüren bekommen. Doch momentan musste sie Fanny zeigen, dass nicht alle weißen Menschen so waren.

Doch warum eigentlich? Hatte sie nicht in all den Jahren alles für Fanny gemacht?

Trotzdem musste sie die Tochter jetzt auf den Arm nehmen und auch an sich drücken. Und wie von Rose schon vermutet, kam augenblicklich von Fanny die Frage: „Warum tun Menschen anderen Menschen so etwas an?“

Damit war sie als Lehrerin gefordert und hatte es bei Rose nur eines Satzes bedurft, so musste sie bei Fanny etwas weiter ausholen.

Nach einer ziemlich langen Erklärung über Recht und Unrecht, Gewissen und Freiheit, brachte es dann doch der eine Satz so ziemlich auf den Punkt.

„Weil es Rassisten sind!“, stieß Rose aus und zog sich das Kleid wieder über.

„Nicht nur das! Sie denken, sie sind etwas Besseres! Erinnere dich an Cornelius!“, entgegnete Clara und bemerkte den entsetzten Blick der Freundin.

Zwangsläufig fragte jetzt Fanny, wer Cornelius war und das war es wohl, was Rose befürchtet hatte.

Doch mit ihrer unbedachten Bemerkung wollte Clara Rose nicht die Arbeit der Erklärung überlassen, sondern erzählte ihrerseits, von der Brutalität ihres Schwagers.

Dabei ließ sie aber all das fort, was für ein kleines Mädchen noch nicht verständlich war und auch, dass er Fannys Großvater gewesen war.

„Er war durch und durch böse!“, endete Clara und streifte sich ihrerseits das Kleid herab, damit Fanny auch ihren Rücken sehen konnte.

„Du auch?“, fragte das Mädchen und strich mit den Fingern über Claras Rücken.

„Nur mit der Hilfe deiner Mutter habe ich überlebt!“, setzte sie hinzu und zog sich danach wieder an.

Jetzt begann sie von Abraham Lincoln4, von Jeremys Vater und dem Krieg zu erzählen. Vielleicht auch aus dem Grund, dass es auch Menschen gab, die gegen diese Sklaverei waren.

Fanny hörte geduldig zu und es wurde eine Art von Geschichtsstunde für sie.

Als die Nacht gekommen war, und Fanny schon fest schlief, lag Rose wieder in Claras Arm.

Gemeinsam aneinander gekuschelt waren sie beide in ihren Erinnerungen gefangen.

Es waren Rückblicke an eine Zeit, in der ihre Liebe einst begonnen hatte. Zumindest bei Clara, aber auch in den Augen ihrer Partnerin konnte sie das Grübeln sehen.

Jählings setzte sich Rose im Bett auf und sagte: „Ich muss sie da herausholen!“

„Woraus?“, fragte Clara, denn die Tochter lag ja im Nebenraum. Erst einen Augenblick später verstand sie, dass Rose nicht Fanny gemeint hatte, sondern ihre Mutter!

„Du bist verrückt!“, stieß sie entsetzt aus, denn Mae lebte in Louisiana. Nur völlig Verrückte würden versuchen, in den Süden zu gelangen.

Nie wieder wollte Clara nach New Orleans müssen!

„Ich muss es tun!“, erklärte Rose und drehte sich zu ihr um.

Clara sah die Entschlossenheit im Blick der Freundin. Sie kannte Rose nur zu gut und wusste, dass sie die Freundin niemals umstimmen konnte, wenn sie sich erst mal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

„Du sollst für Fanny leben und nicht für Mae sterben! Und woher willst du wissen, dass sie noch immer auf der Farm ist? Wer weiß schon, was die Familie von Cornelius mit ihr angestellt hat!“, versuchte Clara dennoch, Rose umzustimmen, aber sie sah, dass sie es mit jedem Wort nur noch schlimmer machte.

„Ich kann dich aber nicht begleiten!“, setzte sie daher schnell hinzu.

Zwar war sie im Norden durch den Gnadenerlass rehabilitiert, aber im Süden wurde sie immer noch wegen Mordes gesucht.

Rose nickte und entgegnete: „Es reicht mir schon, wenn du in meiner Abwesenheit auf Fanny aufpasst!“

Bis zu diesem Punkt waren also die Gedanken der Gefährtin bereits gediehen!

Clara setzte sich ebenfalls im Bett auf und entgegnete: „Das verspreche ich dir!“

„Ich möchte mit meiner Mutter zurück sein, wenn Fanny Geburtstag hat!“, erklärte Rose.

„Dann musst du in den nächsten Tagen aufbrechen!“, stellte Clara fest, denn es waren nur noch acht Wochen bis zu diesem Tage und New Orleans war zweitausend Meilen entfernt.

Der Schmerz der baldigen Trennung von Rose legte sich schon um ihr Herz.

Offenbar fühlte es Rose ähnlich, denn in der nur leicht durch die Petroleumlampe erhellten Finsternis trafen ihre Lippen auf Claras Mund.

Es sollte wohl eine Art von Abschiedskuss sein, doch er wurde etwas stürmischer, als sie es beide gewollt hatten.

Sehr viel später lagen sie beide nackt, sich gegenseitig im Arm haltend und schnaufend in dem Bett. Es war wunderschön gewesen und der Sternenregen der dabei Claras Haut gestreift hatte, war genau in derselben Intensität gewesen, wie er schon in ihrer ersten Liebesnacht auf sie herabgefallen war. Doch würde es ihre letzte gemeinsame Nacht gewesen sein?

War der Aufbruch von Rose eventuell ein Abschied für immer?

Clara klammerte sich regelrecht an die Geliebte an und wollte sie nicht mehr aus ihren Armen lassen. Dieser warme, weiche und so zerbrechliche Körper sollte hier bleiben. Rose sollte in Freiheit leben können!

Während Clara immer noch mit ihren Zweifeln kämpfte, spürte sie an den Bewegungen der Geliebten, dass Rose eingeschlafen war.

Doch Clara fand nicht in den Schlaf. Sie drehte die Petroleumlampe höher und betrachtete den Körper der anderen Frau. Im Licht betrachtet schien Rose zart zu sein, doch in den Erzählungen hatte Clara herausgehört, dass sie innerlich viel stärker war, als so mancher Mann.

Wenn es irgendjemand auf der Welt schaffen konnte, unbemerkt in eine gesicherte Plantage einzudringen und Mae zu befreien, dann war das wohl Rose!

Und wenn sich die Freundin erst einmal auf den Weg gemacht hatte, dann würde sie niemand mehr stoppen können.

Daher begann Clara zu überlegen, wie sie Rose das schwierige Unterfangen etwas leichter machen konnte und ihr Blick fiel auf die kleine Kiste, die seit Jahren verschlossen auf dem Schrank stand.

Clara löste sich sacht aus den Armen der schlafenden Partnerin und erhob sich aus dem Bett.

Nackt und barfuß schlich sie die drei Schritte und zog die Kiste herab. Nachdem sie diese auf dem Tisch abgestellt hatte, öffnete sie die beiden Verschlüsse und im Inneren der Schatulle lagen die beiden Revolver!

Bisher waren die Waffen darin vor Fanny sicher verwahrt, doch jetzt würden sie hoffentlich Rose helfen, unbeschadet zu ihr zurückzukommen.

Einer der beiden Revolver hatte Cornelius gehört und mit dem anderen hatte Rose ihn erschossen! Es waren zwei schicksalsträchtige Waffen, die Clara gerade leise aus der Verpackung zog.

Das Mondlicht spiegelte sich auf dem gebläuten Lauf des Colts und Clara flüsterte: „Beschütze Rose und bringe sie mir bitte sicher hierher zurück!“

4 Abraham Lincoln (12.2.1809 - 15.4.1865), war von 1861 bis 1865 der 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

6. Kapitel

Auf unsicheren Straßen

M it einer Umarmung verabschiedete sich Rose von ihrer Tochter und danach von Clara. Anschließend half ihr einer der Männer in die Postkutsche.

Die nächste Station ihrer Reise, und auch die bisher einzig geplante, war Chicago. Zwei Tage würde die Kutsche bis dorthin brauchen.

Am liebsten wäre Rose zwar geritten, doch das wunderschöne Kleid, welches Gundel ihr auf den Leib geschneidert hatte, war für einen Ritt gänzlich ungeeignet. Und eigentlich für dieses Gefährt ebenfalls.

Acht schnelle Pferde würden die Kutsche nach Osten ziehen und Clara hatte ihr von ihrer Fahrt damals erzählt.

Momentan saß sie in einer der schweren Concord Postkutschen und unterwegs würde diese an Poststationen halten, um die Pferde zu wechseln, sowie Post ein und auch auszuladen. Und auch, damit sich die Passagiere in dieser Zeit die schmerzenden Glieder vertreten oder auf die Latrine gehen konnten.

Das Trompetensignal von vorn verkündete die Abfahrt und Rose winkte den beiden Lieben noch einmal zu.

Langsam setzte sich das Gefährt in Bewegung und damit wurde es Zeit, sich den Mitreisenden zu widmen, daher ließ sie ihren Blick über die illustre Gesellschaft schweifen.

Sie war nicht nur die einzige Farbige in diesem Wagen, sondern auch noch die einzige Frau und dieses Gespann würde die Nacht durchfahren.

Mit ihr saßen sechzehn Männer in dem beengten Raum, in dem es zwanzig Plätze gab. Somit hätten eigentlich drei Plätze frei sein müssen, doch irgendeiner hatte seine schwere Tasche mit hereingenommen.

Normalerweise war das gewichtige Gepäck hinten im Stauraum oder oben auf dem Dach verschnürt.

Von einem Gesicht zum nächsten wanderte ihr Blick, als wolle sie die Gedanken der Mitreisenden lesen. Die Blicke der Männer waren ebenfalls abschätzend und im Moment war sie froh darüber, dass Clara die Revolver vorsorglich geladen hatte.

Sie hoffte zwar, dass sie diese nicht brauchen würde, aber Claras Colt gab ihr im Augenblick genug Selbstvertrauen, dass sie diese Fahrt auf sich nahm.

Erneut dachte sie an ihren weiteren Weg. Chicago lag in Illinois und gehörte damit noch zum Norden, aber es war der letzte Halt auf Unionsgebiet. Nicht weit davon entfernt begann das Gebiet der Konföderierten Staaten und damit ein Bereich, den kein Farbiger freiwillig betrat.

Keiner, außer ihr.

Aus der Zeitung wusste Rose, dass es eine Art von Untergrundbewegung gab. Diese half den Sklaven, aus dem Süden zu entkommen. Und wo eine Flucht aus dem Süden möglich war, da wäre sicher auch ein versteckter Weg in die umgekehrte Richtung möglich.

Sie würde einfach versuchen, in Chicago einen der Unterstützer zu finden, um dann mit dessen Hilfe in den Süden zu kommen.

Clara hatte ihr einen kleinen Beutel mit Münzen gegeben. Es waren zweihundert Golddollars und damit sollte es doch möglich sein, die Hin- und Rückreise mit Mae zu finanzieren.

Allerdings musste Rose jetzt auch auf diesen Schatz aufpassen und sie war alleine. Wie konnte sie verhindern, dass sie in der Nacht bestohlen wurde?

Noch einmal sah sie sich den neben ihr sitzenden Mann an.

Das Rütteln der Kutsche ließ ihn immer näher zu ihr rücken. Oder machte er das absichtlich? Sie hatte sich einen Platz an der Bordwand gesucht, damit sie aus dem Fenster schauen konnte.

Gegenwärtig drückte der Mann sie langsam gegen diese Wand. Und auch der Fahrgast ihr gegenüber machte ihr einen Teil des Platzes streitig, denn er hatte seine Beine ausgestreckt und dabei seine Stiefel zwischen ihre Füße geschoben.

Das lange Kleid war deshalb ein Stück nach oben gerutscht.

Sie war noch keine Stunde unterwegs und es war ihr schon jetzt unangenehm!

Diese Straße glich einer Buckelpiste und zusätzlich war auch noch die Frage offen geblieben, weshalb der Mann auf dem Kutschbock eine doppelläufige Flinte in der Hand hatte. Es ging doch nach Osten und nicht in den wilden Westen, wo die Straßen gelegentlich noch unsicher waren.

Ihr Blick wanderte nach vorn und sie sah ab und zu den Arm des Mannes mit der Flinte, die er wohl in die Hüfte gestützt hatte. Es sollte eventuell Sicherheit geben, aber irgendwie machte es ihr auch Angst.

Und wenn schon der Beginn der Reise ihr Furcht bescherte, was mochte da in den nächsten sechs Wochen alles noch passieren?

Sie hatte die Tasche auf dem Schoß und vorsichtig tastete sich ihre Hand hinein. Darin konnte sie den kalten Stahl des Revolvers spüren und erneut gab ihr die Waffe Sicherheit.

Nichts konnte ihr geschehen, wenn sie diesen Colt hatte, doch unangenehm war es dennoch.

Nicht viel befand sich in dem ledernen Behältnis. Sie hatte nur dieses eine Kleid, etwas Unterwäsche zum Wechseln, sowie ein kleines Tuch, etwas Seife und fünfzig Kugeln, nebst Pulvermaß und Pulver.

Mit jeder Meile, die dieses Gefährt zurücklegte, wurde ihr Sitzplatz für sie nur noch unangenehmer. Der eine Stiefel ihres Gegenübers rieb wie zufällig an ihrem Schuh und gelegentlich rutschte die Hand ihres Nachbarn auf ihr Knie.

Das würden sehr lange zwei Tage werden!

Auf der anderen Seite spielten jetzt drei der Männer auf einer Tasche mit Karten. Ihre lautstarken Zurufe übertönten gelegentlich sogar das Geräusch der rumpelnden Kutsche.

Eigentlich gab es auch eine Federung, aber der Weg war offensichtlich so schlecht, dass diese nicht wirklich funktionierte. Immer stärker werdende Stauchungen rasten durch ihren Leib und unter ihrem Sitzplatz befand sich auch noch eines der Räder!

Die Geschwindigkeit war aberwitzig, wie sie an den vorbeirasenden Bäumen erkannte.

Es mochten noch keine drei Stunden der Fahrt vergangen sein, da lag die Hand ihres Nachbarn permanent auf ihrem Oberschenkel, unangenehm weit oben.

Aus dem Augenwinkel sah Rose, dass auf der anderen Seite des Mannes mindestens drei Handbreit freier Platz war. Der Stiefel rieb sich gegenwärtig über ihrem Schuh am bestrumpften Bein und der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers zeigte ihr, dass es nicht aus Versehen geschah. Süffisant lächelte der Mann sie an.

Eingeklemmt zwischen den beiden Männern, blieb Rose keine andere Wahl.

Ihre Finger schlossen sich um den Griff des Colts und wenig später drückte sie dem Nachbarn die Mündung der Waffe zwischen die Rippen. Das Geräusch des gespannten Hahns sorgte dafür, dass die Hand zurückgezogen wurde.

Und auch auf der anderen Seite hatte Rose damit deutlich mehr Platz.

Allerdings würde die Nacht erst noch kommen.

Vielleicht sollte sie den Mann vorn auf dem Bock um die kurzläufigen Flinte bitten!

7. Kapitel

Ängste in der Nacht

R ose war fort und Clara hatte nichts dagegen unternehmen können. Soeben fiel die Dämmerung über die kleine Siedlung und gleichzeitig die Angst in Claras Herz. Es würde die erste Nacht seit mehr als einem Jahrzehnt werden, in der Rose nicht an ihrer Seite war.

Immer dunklere Bilder liefen in ihrem Kopf ab und dennoch hatte sie die Geliebte gehen lassen müssen.

Mit Fanny saß sie am Küchentisch und sie sprachen beide ein Gebet für Rose, bevor Fanny in ihr Bett verschwand.

Nach der Geschichte für die Nacht und nachdem Fanny dann endlich eingeschlafen war, saß Clara erneut am Küchentisch.

Im Schein der kleinen Petroleumlampe ließ sie sich die letzten drei Tage noch einmal durch den Kopf gehen. Sie hatte für Rose eine Art von Passierschein gebastelt, mit dem die Freundin sicher bis nach New Orleans kommen würde.

Hoffentlich!

Es war eine Bescheinigung darüber, dass Rose eine freigelassene Sklavin war und sie hatte auch eine Begründung erfunden. Etwas von einem vor den Flammen geretteten Säugling und einem Dank der Mutter dafür.

So etwas klang gut und machte vielleicht Eindruck auf die Männer, die das Schriftstück kontrollieren würden.

Clara hatte es zehn Jahre zurückdatiert, etwas beschädigt und mit Sand und Asche künstlich gealtert. Der Stempel der Poststation machte das ganze Schriftstück offiziell, aber sie hatte den Ort etwas ausgewischt. Und sie hatte mit Scarlett Sue Taylor unterschrieben, ihrem Ego auf der Flucht in den Norden. Einer reichen und verrückten Farmerstochter, als die sie damals auf dem Dampfer von New Orleans nach St. Louis gefahren war.

Im Grunde genommen war es eine hoffentlich perfekte Fälschung, denn nichts davon stimmte auch nur ansatzweise!

Mehr als diesem Schriftstück vertraute sie aber auf die beiden Revolver, die Rose in ihrer Handtasche bei sich trug.

Zwei Colts waren es. Ein Pocket Modell 1849 im Kaliber .31, den sie einst in St. Louis gekauft hatte und ein Colt Dragoon Model 1848 Holster Pistole im Kaliber .44, die sie dem toten Schwager abgenommen hatten.

Die zweite Pistole würde Rose nur schwer halten und noch schwerer abfeuern können, aber mit der kleineren der beiden war Rose eine ganz passable Schützin geworden. Zumindest war sie das damals, bevor sie beschlossen hatten, die beiden Waffen vor Fanny zu verstecken.

Clara hoffte auf diese beiden Waffen, aber noch mehr auf Rose und dass sie die beiden Revolver nicht brauchen würde.

Es war der Abend des Karfreitages und Clara spürte bereits jetzt, wie sehr Rose ihr fehlte.

Eigentlich war sie doch immer die stärkere von ihnen beiden gewesen, doch gegenwärtig schien Rose das zu sein.

Nie im Leben und unter keinerlei wie auch immer gearteten Umständen hätte sich Clara wieder in den Süden gewagt.

Zu schrecklich waren noch immer die Bilder von damals in ihrem Kopf. Jahrelang hatte es gedauert, bis sie nicht mehr jede Nacht schreiend aus den Albträumen erwacht war.

Augenblicklich legte sich der Alb wieder auf ihr Gemüt.

Sie beschloss, am Sonntag mit Fanny und Gundel zum Gottesdienst zu gehen.

Gundel war eine streng gläubige Frau und gute Freundin. Sie besaß eine kleine Schneiderei und ein Geschäft, in dem sie Kleidung verkaufte. Für Rose hatte sie eine exklusive Robe geschneidert, die jeder feinen Dame in der gehobenen Gesellschaft in New York nicht besser stehen würde. Auch das war so eine Art von Lebensversicherung für die gemeinsame Freundin, denn Kleider machten Leute.

Seufzend drehte sich Clara zu ihrem Bett um und fragte sich, wo Rose jetzt gerade sein mochte. In der Postkutsche nach Chicago, aber wo genau?

Die Geliebte hatte aus Sicherheitsgründen nur wenig über ihre geplante Route erzählt.

Clara wollte die Freundin zurück bei sich haben und mit Grausen sah sie das leere Bett an.

Würde sie Rose jemals wieder in ihre Arme schließen können?

Angst umfing ihren Geist und im Aufstehen machte sie sich immer mehr Vorwürfe, dass sie Rose hatte gehen lassen.

Schluchzend fiel sie in das Bett und wenig später kam Fanny zu ihr und schlüpfte unter die Decke.

Augenblicklich musste sie auch noch die Tränen unterdrücken, um die Tochter nicht zu ängstigen.

Aneinander gekuschelt versuchten sie beide zu schlafen.

Natürlich wusste Clara, dass Fanny die Mutter fehlte. Gemeinsam hatten sie Rose am Vormittag zur Poststation begleitet und Fanny hatte dabei so stark getan. Vermutlich so ähnlich, wie sie es selbst gemacht hatte, denn sie beide hatten Rose den Aufbruch nicht noch schwerer machen wollen. Doch hatte Fanny wirklich verstanden, in welche Gefahr sich Rose gerade begab?

Im Dämmerlicht suchte Clara die Augen des Mädchens.

„Schlaf jetzt!“, flüsterte sie der Tochter ins Ohr.

Nach einem Kuss auf die Stirn schloss das Mädchen die Augen und versuchte einzuschlafen.

Für sie musste Clara jetzt stark sein, aber in Gedanken rief sie ängstlich nach Rose.

Es war Irrsinn, sich nach Louisiana zu begeben! Doch Rose hätte sich um nichts in der Welt davon abbringen lassen. Hätte Clara es versucht, dann wäre wohl die Beziehung gänzlich daran zerbrochen. Sie hatte die Freundin loslassen müssen, um sie nicht zu verlieren. Und jetzt hatte sie nur dieses Sehnen in ihrer Brust.

Es schmerzte so unsäglich und es würde mindestens noch sechs Wochen dauern, bis Clara ein Lebenszeichen von Rose bekommen konnte.

Mehr als fünfzig Tage der Ungewissheit lagen damit vor ihr!

„Lieber Gott! Bringe sie mir bitte zurück!“, flüsterte Clara und schloss die Augen.

Jetzt sausten Bilder aus glücklicheren Tagen vor ihren Augen dahin. Und natürlich auch Bilder aus jener Zeit, als sie auf der Flucht gewesen waren.

Erinnerungen und Ängste kamen hoch.

Mit all ihren Mitteln hatte Clara damals versucht, Rose zu retten und heute hatte sie die Partnerin sehenden Auges in die Verdammnis gehen lassen.

Hätte sie nicht einfach mitgehen sollen? Oder hätte das die Freundin nur noch mehr in Gefahr gebracht?

Nach der Geliebten wurde ja nicht gesucht, nach ihr schon. Der alte Steckbrief lag noch in der Kiste und mit diesem Bild und der Belohnung von hundert Dollar, die auf ihren Kopf ausgesetzt war, wäre es einfach viel zu gefährlich für sie gewesen.

Fanny schnarchte leise. Die Tochter hatte zur Ruhe gefunden. Warum gelang das ihr nicht? Sie musste die Angst ablegen, oder diese würde sie zu Boden reißen.

Vielleicht half die Ablenkung mit den Kindern, die Clara in ihrer Schule hatte. Mit jedem Tag wurden es ein paar mehr, denn der Krieg im Süden trieb die Menschen in den hohen Norden.

Und Rose war genau in der entgegengesetzten Richtung unterwegs. Aber es half alles nichts, denn Rose war fort und Clara hätte nichts dagegen unternehmen können.

8. Kapitel

Verschlungene Wege führen auch zum Ziel

S eit einigen Tagen war Rose bereits in Chicago. Auf der Fahrt hatte sie nicht wirklich schlafen können. Ständig hatte sie den schweren Dragoon Revolver in der Hand gehabt. Die Kugel aus der Waffe hätte in der Enge des Wagenkastens sicher drei Körper durchschlagen, aber durch den Colt hatte sie auf jeder Seite wenigstens ordentlich Platz gehabt.