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"Traumhafte Weihnachten" Altersfreigabe: ab 16 Jahren Melissa ist todunglücklich. Sie ist alleine und das Weihnachtsfest wird auch in diesem Jahr wieder einfach nur fürchterlich werden. Während alle ihre Kolleginnen sich eifrig auf das große Fest der Liebe und Familie vorbereiten, hat sie nichts, worauf sie sich freuen kann. Doch dann wird sie bei Dreharbeiten zu einem weihnachtlichen Werbespot von einem Scheinwerfer am Kopf getroffen und in eine Parallelwelt katapultiert, wo alles so ist, wie sie es sich schon immer gewünscht hatte, aber ist das wirklich real? Oder nur ein Traum, aus dem sie jederzeit wieder in ihrem bisherigen unglücklichen Leben erwachen könnte? Weitere Informationen finden Sie unter http://romantik.goeritz-netz.de/
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Seitenzahl: 203
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Anmerkungen und Warnungen
Novemberregen
Am Abend eines Herbsttages
Winter im Märchenwald
Schneewittchen oder Dornröschen?
Traum oder Wirklichkeit?
Schwestern im Geiste
Heiß und kalt
Katz und Maus
Neue Chancen?
Im Palast der Schneekönigin
Mit sich im Reinen?
Im Kampf für eine kleine Prinzessin
Hier und jetzt!
Gegen jede Vernunft!(?)
Der perfekte Mann
Barbaras Weg
Freunde und Familie
Advent, Advent
Aufgewacht oder zurückgekehrt?
Im Zweifel für die Freundschaft
Ein Schritt nach dem anderen
Männer oder Frauen?
Ein Morgen der Hoffnungen
Was läuft hier falsch?
Zweierlei Nächte
Aufbruch leichten Herzens?
Wo führt das hin?
Das dritte Kreuz
Die Leidenschaft eines Augenblickes
Erinnerungen
Auf dem Weg zum Glück
Wie im Traum!
Das Glück in ihren Armen
Schneegestöber
Die richtigen Prioritäten
Nur ein Blatt Papier?
D iese Erzählung sollte Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden.
Ausnahmslos alle Beteiligten dieser Geschichte sind erwachsen und über 21 Jahre alt.
Sämtliche Orte, Figuren, Firmen und Ereignisse dieser Erzählung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, ob lebend oder tot, ist rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.
E s war ein schmutzig grauer Freitag im letzten Drittel des Monats November, Melissa lehnte seufzend an dem kleinen Stehtisch und ihr einziger Lichtblick an diesem erbärmlichen Tag war, dass dieser sich gerade seinem Ende näherte und die damit bald einsetzende Dämmerung das Elend für ein paar Stunden vor ihren Augen verbarg
Allerdings käme danach auch schon das Wochenende und nach dem Wetterbericht sah das wohl auch nicht viel besser aus!
Sie hielt sich an ihrer Tasse Kaffee fest. Das Gebräu schmeckte zwar scheußlich, aber es war wenigstens heiß!
Von ihrer Position aus musste sie zwangsläufig aus dem Fenster sehen und der Ausblick auf diese Industriebrache mit übermäßig viel Gerümpel drum herum war trotz des Regens auch nicht wirklich erheiternd.
Am Nebentisch unterhielten sich zwei ihrer Kolleginnen fast überschwänglich über die bald schon beginnende Adventszeit. Eine schwärmte von den Buden auf dem Weihnachtsmarkt, die andere versuchte das mit Anekdoten vom Skilaufen in den Alpen und wild romantischen Beschreibungen von Abenden vor dem Kamin einer Almhütte zu übertrumpfen.
Still fluchte Melissa in sich hinein. Konnten die beiden nicht endlich damit aufhören?
Sie kippte einen neuen Schluck von dem Heißgetränk herunter und es schüttelte sie beinahe dabei. Das war allerdings vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass sie hier gerade in roter Spitzenunterwäsche mit einer farblich dazu passenden Zipfelmütze in der Gegend herumstand und entsetzlich fror.
Die Decke, die ihr einer der Männer um die nackten Schultern gelegt hatte, wärmte auch nicht wirklich, denn die Kälte zog permanent von unten hoch!
Hinter ihr bauten einige Arbeiter gerade lärmend und dabei laut fluchend das Filmset um und in ein paar Minuten würde für sie der Dreh des Werbespots für Weihnachten dann weiter gehen.
Wer kam eigentlich auf solch krude Ideen, einen Werbefilm für Schmuck zum Jahresende in Unterwäsche drehen zu wollen?
Natürlich galt auch hier »Sex sells«, und sie brauchte das Geld, aber nie im Leben hätte sie sicherlich auf solch einen unmöglichen Spot hin auch nur einen Fuß in das betreffende Juweliergeschäft gesetzt!
Abermals seufzte sie und blickte in den Plastikbecher tikbecher.
Ihre Gedanken flogen zurück. Eigentlich hatte sie Weihnachten mal geliebt, aber die Umstände hatten ihr die Freude an diesem Fest für immer verdorben.
Vor drei Jahren hatte ihr Freund sie ein paar Tage vor Heiligabend mit ihrer besten Freundin betrogen und sich dabei auch noch von ihr in flagranti erwischen lassen und vor zwei Jahren hatten ihre Eltern genau an demselben Tag vor dem Fest einen tödlichen Autounfall gehabt!
Die Erinnerung an beide Ereignisse schmerzte noch immer, aber was davon mehr? Der Betrug oder der Verlust?
Jetzt war sie also völlig auf sich alleine gestellt und der Job im Büro einer kleinen Elektrofirma warf nicht wirklich so viel ab, dass sie davon die jetzt eigentlich völlig überdimensionierte Wohnung der Eltern, in der sie bis zu jenem schmerzlichen Tag mit ihnen gewohnt hatte und seitdem noch alleine darin lebte, finanzieren konnte.
Kleine Werbespots wie dieser hier sorgten dafür, dass die Zwangsräumung noch fern war, aber nicht sehr weit! Und ein Umzug in eine kleinere Wohnung konnte sie sich auch nicht mehr leisten.
Geschweige denn, es auch nur in Erwägung zu ziehen, für einen Skiurlaub nach Südtirol zu fahren, wie es ihre Kollegin ihrer Beschreibung nach wohl jedes Weihnachten tat!
„Wir wären dann so weit!“, ließ sich der Aufnahmeleiter von nebenan vernehmen.
Hoffentlich war jetzt in dem anderen Raum etwas mehr geheizt, als es noch vor dem Umbau gewesen war, der bisher lärmende Heizlüfter ließ das wenigstens erwarten.
Sie kippte den Rest des Kaffees herunter, warf den Becher zum Plastikmüll, legte die Decke zusammen und ging ihren Kolleginnen nach.
Die beiden Frauen vor ihr trugen warme Sachen und Handschuh! Sie selbst führte eine Gänsehaut spazieren!
Der schäbige Raum hatte sich in der Zwischenzeit in eine weiße Winterlandschaft verwandelt. Es sah fast so aus, wie die Frau vor wenigen Minuten den Platz ihres bald beginnenden Winterurlaubes beschrieben hatte.
Den Rest würde danach die Retusche und Nachbearbeitung des Filmes übernehmen.
„Melissa! Auf deine Markierung!“, rief der Kameramann und sein Assistent zeigte auf das schwarze Kreuz am Boden.
Von der anderen Seite führte einer der Männer ein echtes Rentier ins Studio. Dem war sicher warm in seinem Fell, doch sie fror trotz Heizlüfter schrecklich in ihrem knappen Outfit.
Eine der Frauen kam mit dem Make-up zu ihr und zog bei dessen Auffrischung nicht einmal die dicken Fäustlinge aus.
„Also Melissa, du musst dem Rentier diese Möhre zum Fressen hinhalten und das Tier soll die anknabbern!“, erklärte der Aufnahmeleiter ihr und hielt ihr eine ziemlich große Karotte vor die Nase.
Danach versuchte sie diese Absicht in die Tat umzusetzen, aber das Ren schien überhaupt kein Interesse an diesem Gemüse zu haben.
Alles, was auch immer sie versuchte, brachte ihr keinen Erfolg!
Entweder war das Tier satt, oder es war durch die Filmaufnahmen so sehr abgelenkt, dass es einfach immer nur den Kopf zur Seite drehte.
„Weiß jemand, ob Rentiere überhaupt Möhren fressen?“, erkundigte sich Melissa ein paar Minuten später genervt bei den Männern.
Alle Anwesenden zuckten nur mit den Schultern.
„Muss es denn wirklich eine Möhre sein?“, fragte sie ein Dutzend weiterer erfolgloser Versuche später nach.
„Ja, es muss! Du hast sie einem Schneemann abgenommen, dem diese Möhre bei deinem Anblick an einer besonderen Stelle gewachsen war!“, las der Assistent des Kameramannes vom Storyboard vor.
„Wer denkt sich bloß solch einen Blödsinn aus?“, hätte Melissa fast wütend gefragt, verkniff es sich aber gerade noch, denn sie brauchte die paar hundert Euro, sonst blieb der Ofen in den nächsten Tagen kalt!
„Verdammt! Du sollst die Möhre fressen!“, schimpfte sie, weil das Rentier abermals den Kopf zur Seite drehte, als sie ihm die große Karotte ins Maul schieben wollte.
So langsam verlor sie die Nerven und der Heizlüfter traf mit seinem warmen Strahl auch nur die Männer.
In ein paar Minuten wäre ihre Haut blau und man würde sie wieder auftauen müssen!
„Kann man das schmatzende Rentier nicht hinterher nachsynchronisieren?“, bat sie das Team und zitterte vor Kälte.
Irgendein Idiot hatte jetzt auch noch die Tür offen gelassen und ein kalter Hauch traf sie.
Das dichte Fell des Tieres wärmte dieses sicherlich gut durch, aber sie selbst fror gerade unsäglich.
„Kann mal jemand die Tür schließen, oder den Heizstrahler auf mich richten, oder mir eine Decke bringen?“, maulte sie schließlich, als sie es nicht mehr aushielt.
„Weder noch! Mach einfach hin!“, blaffte sie der Kameramann an, als ob es an ihr lag und sie in der letzten unendlich scheinenden Stunde nicht schon alles probiert hätte.
Innerlich fluchend wagte sie einen letzten Versuch.
Sie ließ sich vor dem Rentier auf die Knie fallen und bettelte den Hirsch an, von der Karotte zu probieren.
Schließlich stieß sie die Möhre verzweifelt nach oben und dies erschreckte das Tier wohl dermaßen, dass es vor ihr hochging und sich mit dem Geweih im Kabel eines Scheinwerfers verhedderte.
In seiner Abwärtsbewegung zog das Ren den Ausleger des Beleuchtungskranes hinter sich her, der schwenkte knarrend zu ihr herunter und traf sie dabei am Kopf.
Melissa spürte noch, wie sie abhob und davonflog, dann war alles schwarz.
Lisa hockte im Bereitschaftszimmer, hatte den Kopf in eine Hand gestützt und blätterte mit der anderen durch das dicke Buch, das vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
Jede freie Minute büffelte sie für die Facharztprüfung, die im nächsten Frühjahr eventuell für sie anstand. Danach würde sie in der Hierarchie des Krankenhauses ein kleines Stück nach oben klettern, aber bis dahin hieß es noch, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen.
Vor zwei Monaten war sie 26 geworden und wenn sie es nicht ganz vergeigen würde, so war der Weg in diesem Krankenhaus für sie bereits mit goldener Schrift auf den Boden des Flures geschrieben, denn ihr Vater war hier einst Chefarzt gewesen, bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren.
Sein guter Ruf und sein Wissen hatten ihr ein paar Türen geöffnet und Steine aus dem Weg geräumt, aber auch für etwas Neid und Missgunst unter den Kollegen gesorgt.
Sie verstand sich aber mittlerweile so leidlich mit allen. Seltsamerweise allerdings besser mit den Schwestern und Pflegern, als mit den Ärzten und Kolleginnen.
Langsam wurde es draußen dunkel und ihre Bereitschaftszeit begann. Bis gerade eben hätte sie eigentlich ruhen sollen, damit sie jetzt topfit war, aber das ging eben nun mal nicht. Das hier war wichtiger!
Bisher war ihr alles gelungen, was sie sich vorgenommen hatte und momentan biss sie sich an einem wichtigen Thema beinahe die Zähne aus.
Das Telefon lag neben ihr. Sie würde nur einen Anruf brauchen und der Vater würde ihr sicherlich alles ganz genau erklären können, aber diese Blöße wollte sie sich vor ihm nicht geben, sie wollte es alleine schaffen!
Der Handywecker piepste, es war 17:00 Uhr und die Nachtbereitschaft begann.
Blieb nur zu hoffen, dass die Schicht ruhig werden würde.
Der Wetterbericht hatte Regen bei 12 Grad angekündigt. Zu warm, als dass sich dadurch Eis auf den Gehwegen bilden würde, einen Monat später sähe so etwas sicherlich ganz anders aus.
Vor einem Jahr hatte Blitzeis die Bürgersteige der Innenstadt binnen Minuten in Eislaufflächen verwandelt und ihr die Nacht mit den meisten Einsätzen seit Menschengedenken beschert.
Es klopfte und Schwester Carola schob den Kopf durch den Spalt der sich öffnenden Tür.
„Hallo Lisa, ich wollte dich gerade wecken, aber du bist ja schon auf. Hast du überhaupt geruht?“, fragte die Stationsschwester sie und trat in den Raum.
„Ähm, ich konnte irgendwie nicht“, log Lisa und klappte das dicke Buch zu.
„Soll ich dir einen Kaffee machen?“, erkundigte sich Carola.
Lisa nickte und die Schwester eilte davon.
Das würde wieder ihre gemeinsame Arbeit, denn für diese Nacht waren sie beide der Notaufnahme zugeteilt und da wusste man im Vorfeld nie genau, wer oder was da als Nächstes durch die Tür getragen oder geschoben wurde.
„Showtime“, seufzte Lisa, streckte sich und schob den Buchstapel in ihren Schrank, wobei sie es aber tunlichst vermied, die vielen bunten Zettel zwischen den Seiten zu verschieben, denn ohne diese kleinen Markierungen würde sie die interessanten Stellen niemals wieder finden.
Vater hätte sich bestimmt ein Blatt genommen und die Seiten markiert, aber sie wollte es eben anders haben.
Jedenfalls waren die Nächte, in denen sie mit Carola die ZNA verstärkte, jedes Mal ein Erlebnis! Die ein Jahr jüngere Schwester war wirklich taff, hatte in ihrer Arbeit hier praktisch schon alles gesehen und war dermaßen flink mit dem Mund, dass Lisa ihrer mitunter offen stehen blieb.
Auf dem Gang kam ihr Carola schon mit der Tasse entgegen und hielt ihr das Stethoskop hin.
„Die Patienten müssen doch sehen, dass du die Ärztin bist!“, witzelte sie und schlang ihr blitzschnell den Schlauch des Hörgerätes um den Hals.
„Hast du den Gips schon eingerührt?“, setzte Lisa ihr schmunzelnd entgegen, bevor sie den ersten Schluck von einem wirklich erstklassigen Kaffee nahm.
„Laut Wetterbericht bleibt der Gips heute im Topf, aber es ist Freitag und da kommen dann später die Partygänger und lassen sich kurieren!“
„Ist wirklich schon wieder Freitag?“, fragte Lisa zurück.
Carola zog eine Augenbraue schelmisch hoch und nickte ihr zu.
„Welcher Monat ist gerade?“, erwiderte sie.
„Ähm, November?“, entgegnete Lisa nach einer gespielten Pause.
Carola hob schmunzelnd den Daumen.
Zusammen gingen sie die Treppe hinab und betraten den noch leeren Raum.
„He! Was ist denn hier los?“, wunderte sich Carola und schaute sich zweifelnd um.
„Haben die in den letzten Tagen die Zentrale Notaufnahme verlegt und uns nichts davon gesagt?“, setzte die Schwester noch hinzu.
Es war schon seltsam, diesen Raum hier so vorzufinden, denn normalerweise saßen hier immer schon einige mutmaßliche Patienten wartend herum.
Schwester Rita tauchte hinter ihrem Schalter auf und erklärte: „Hallo Carola, ich habe die ganzen Simulanten jetzt aus dem Hause gejagt. Das hält man doch im Kopf nicht aus, was hier für Leute auftauchen und es für eine super Idee halten, sich am Freitagabend noch schnell ein paar Tabletten zu holen!“
„Gut gemacht, Rita, wir sind deine Ablösung. Wo ist dein Arzt?“, antwortete Carola und trat zum Schalter.
„Der ist gerade mit dem letzten wirklichen Patienten beschäftigt, aber das dauert sicher nicht mehr lange!“, entgegnete Rita und schob ihrer Kollegin das Buch herüber.
„Deine Schicht!“, setzte sie noch hinzu und warf demonstrativ ihr getragenes Haarnetz in den Mülleimer.
„Schönes Wochenende“, gab Carola ihr zurück.
„Schön wäre es, ich muss morgen wieder ran!“, seufzte Rita und schlich den Gang hinauf zu den Umkleideräumen.
„Das bist du in zehn Jahren“, sagte Lisa und zeigte auf die Frau.
Carola verdrehte die Augen und stöhnte: „Bloß nicht, aber falls ich hier irgendwann meinen Humor verliere, dann sicherlich, doch da sei der Gott der Medizinmänner davor!“
Die Tür des Behandlungsraumes öffnete sich, Doktor Schneider, ein älterer Arzt aus der Neurologie trat mit seinem Patienten auf den Gang und übergab dem Mann ein Rezept, bevor er ihn verabschiedete.
„Eh, Schätzchen, kriege ich keinen Krankenwagen für die Heimfahrt?“, fragte der etwas angetrunkene Patient, lehnte sich über den Tresen und versuchte dabei Carolas Hand zu erwischen.
„Draußen stehen Taxis, die lieben es, wenn du denen das Fahrzeug vollkotzt. Unsere RTWs bleiben hier!“, schnauzte Carola den Mann an und zeigte auf die Tür.
Die rüde Ansprache half und der Kerl verzog sich ohne ein Wort nach draußen.
Kopfschüttelnd blickte die Schwester dem Manne nach und setzte noch leise hinzu: „Besoffene Männer, die uns betatschen und Schätzchen nennen, mögen wir hier am liebsten. Und wenn die dann noch wirklich handgreiflich werden, dann gehen wir so richtig ab, dass es nur so raucht! Da bleibt kein Höschen trocken!“
Doktor Schneider beachtete Carola gar nicht, sondern trat direkt zu ihr. „Frau Kollegin, jetzt dürfen sie!“, bemerkte er und schlurfte müde einfach hinter Rita her.
Kaum war er oben verschwunden, da fuhr auch schon der erste Rettungswagen mit Blaulicht vor.
„Es geht los!“, erklärte Carola und blickte zur Uhr.
Der Abend hatte noch nicht mal richtig begonnen.
Zwei Sanitäter brachten eine bewusstlose Frau auf einer Trage in den Raum gerollt und Lisa ging zu ihnen hinüber.
Schnell wurden die Daten der Patientin ausgetauscht und es schien sogar ein echter Notfall zu sein!
Melissa schlug die Augen auf und sah einen blauen Himmel mit kleinen weißen Wolken über sich. Sie spürte nichts und brauchte einen Augenblick, bis ihr der letzte wache Moment wieder einfiel. Das war der Scheinwerfer und das Geweih des Rentieres gewesen, dann der Flug, aber wieso lag sie unter freiem Himmel? Und weswegen war der nicht so grau und verregnet, wie er sich ihr in den letzten Tagen immer in seiner ganzen Trostlosigkeit präsentiert hatte?
War das hier ein Traum? Oder jenes schmerzhafte Zusammentreffen mit dem Ren, das keine Möhre wollte?
Es sah rund um sie herum wirklich zauberhaft aus, fast wie im Märchen, aber war das hier real?
Melissa fasste sich an den Kopf und spürte einen Schmerz, der augenblicklich durch ihren ganzen Körper raste.
Mitten auf ihrer Stirn, zwischen den Augenbrauen und ein wenig darüber, befand sich eine Beule, die in ihren Ausmaßen jedes Einhorn hätte neidisch werden lassen.
Doch wenn die Beule real war, dann war der Treffer des Beleuchtungskranes jedenfalls kein Traum gewesen.
Und wenn sie den Schmerz spürte, dann wäre das hier auch kein Traum.
Aber wo befand sie sich?
Und warum war der Schmerz gerade eben das einzige, was sie momentan fühlte?
Sie lag doch lang ausgestreckt auf dem Rücken, allerdings war auch weiterhin vom Untergrund nichts zu bemerken!
Schwebte sie etwa irgendwo?
Mühsam richtete sie sich auf, bis sie saß, dann schaute sie sich um.
Es war eine schneebedeckte Wiese, die sich ihr präsentierte, an deren Rand ringsum Bäume zu sehen waren. Kahle Laubbäume und einige wenige Nadelbäume mit dicken Hauben aus Schnee.
Sie selbst trug noch immer die rote Unterwäsche, die Zipfelmütze und die roten Lackstiefel.
Sonst nichts!
Doch warum spürte sie nichts?
Weder den Untergrund noch die sicherlich strenge Kälte, denn wo es so viel Schnee gab, da musste es doch auch deutlich unter null Grad sein!
Und Schnee gab es hier zu Unmengen, denn sitzend reichte er ihr bis zur Taille!
Mit der Hand fasste sie in die verschneite Schönheit und fühlte nichts dabei!
War die weiße und im Sonnenlicht glitzernde Pracht nur eine Einbildung? Und wo war die Fabrik, in welcher der Dreh doch stattgefunden hatte?
Waren das hier möglicherweise nur eine weitere Kulisse und das ganze Kunstschnee?
Allerdings sah das alles für ein Filmset viel zu perfekt aus und sie war hier völlig allein! Wo war das Team und die Kamera?
Das passte gerade alles nicht so wirklich zusammen!
Eine Erklärung ihrer Oma fiel ihr jetzt wieder ein. Vor vielen Jahren hatte die Großmutter ihr mal erzählt, dass man beim Erfrieren zuerst das Gefühl verlor, woher die alte Frau das auch immer wissen konnte, doch augenblicklich sauste die Angst vor dem Tode durch ihren Leib.
Sie wollte noch nicht sterben!
Melissa sprang auf und im selben Moment spürte sie die beißende Kälte und die durch das Liegen im Schnee klamme Unterwäsche auf der nackten Haut.
Wohin sollte sie jetzt rennen?
Sie schlang die Arme um sich und blickte sich verzweifelt suchend um.
Die schneebedeckte Wiese hatte einen Durchmesser von etwas mehr wie hundert Metern und war kreisrund, mit ihr als exakter Mittelpunkt! In jede Richtung war es damit gleich weit, was ihr die Entscheidung ungemein erschwerte, aber hinter der Lichtung stieg ein Berghang auf einer Seite etwas an.
Es war kein großer Berg, wie er eventuell in den Alpen zu finden wäre, sondern mehr ein kleiner von Bäumen bedeckter Hügel, wie sie diese noch aus der Erinnerung an Kindertage im Erzgebirge kannte.
Die Richtung bergauf wäre sicherlich falsch, aber was war mit den anderen drei Fluchtmöglichkeiten?
Suchend und mittlerweile vor Kälte bibbernd schaute sie ratlos in jeden der drei noch verbliebenen Auswege, für ein Anzeichen dafür, dass sich der Weg dorthin lohnen würde, denn Melissa wusste tief in sich, dass ihr nur ein einziger Versuch blieb, eine rettende Unterkunft zu finden!
Bei einer fehlerhaften Entscheidung würde sie den nächsten Tag wohl kaum noch erleben!
„Wohin nur?“, sagte sie laut vor sich hin, als sie an ihrer rechten Seite eine dünne Rauchsäule bemerkte.
„Kein Feuer ohne Rauch“, hatte der Vater immer gesagt.
Und mit Feuer würde es dort auch Wärme geben!
Also eilte sie dem Rauch entgegen, so schnell es der knietiefe Schnee nur zuließ.
Es war mehr als mühsam und Melissa schnaufte bereits, als sie den Waldrand erreicht hatte, aber die Bewegung erwärmte sie gleichzeitig auch wieder etwas. Und im Wald war der Wind nicht mehr ganz so kalt.
Allerdings war es durch die Bäume schwierig, den richtigen Weg zu halten.
Alle paar Schritte drehte sie sich daher um, damit sie so lief, dass ihre Spur hinter ihr eine relativ gerade Linie bildete.
Gerade bedankte sie sich im Geiste bei ihrem Großvater, der ihr das einst auf einer Wanderung erklärt hatte, denn momentan rettete dieses Wissen ihr wohl soeben das Leben!
Dennoch war es ziemlich beschwerlich, das kleine Waldstück zu durchqueren.
Endlich hatte sie den anderen Waldrand erreicht und blickte keuchend von der Anstrengung auf ein wirklich idyllisch aussehendes Tal hinab. Das erinnerte sie nur noch mehr an den einzigen Urlaub ihrer Kindheit im Erzgebirge. So in etwa hatte das damals ausgesehen, aber der wieder einsetzende beißende Frost zwang sie, sich von diesem Anblick loszureißen.
Etwa einen Kilometer von ihr entfernt, etwas unterhalb ihrer Position am Hang, befand sich eine kleine fast völlig von Schnee bedeckte Hütte und aus deren Schornstein stieg dieser so verführerische Rauch auf, der ihr Wärme und somit auch Überleben versprach.
Mit riesengroßen Schritten hetzte sie den Berghang hinab und rutschte plötzlich aus, der Länge nach glitt sie ein geraumes Stück über die eiskalte Fläche abwärts, kam wieder auf die Füße und hastete weiter.
Sie lief um ihr Leben, aber die rettende Hütte kam nicht wirklich näher!
Schnaufend und keuchend eilte Melissa hangabwärts, aber sie spürte dabei auch, wie die Kraft sie langsam verließ.
„Komm schon! Halte durch!“, trieb sie sich selbst an.
Ihre Schritte wurden jedoch mit jedem zurückgelegten Meter immer unsicherer und sie taumelte jetzt bereits mehr, als dass sie noch rannte.
Schließlich waren es nur noch etwa fünfzig Meter und die letzten Schritte waren die reinste Hölle, wenn man mal davon absah, dass es eben bitterkalt und nicht siedend heiß war.
Melissa lief nicht mehr, sie taumelte und stürzte mehr, als dass sie geordnet auf den Beinen unterwegs war.
Und der Untergrund, den sie durch den Schnee nicht erkennen konnte, war offensichtlich auch noch so uneben, dass es ihr unmöglich war, die rettende Hütte zu erreichen.
Sie raffte die letzten ihr noch verbliebenen Kräfte zusammen, stolperte zu der Tür und drückte auf die Klinke, doch die Pforte war verschlossen.
Verzweifelt hämmerte sie mit beiden Fäusten gegen das Holz. Wo waren die Bewohner, die da drin das Feuer angemacht hatten?
Einen Meter vor dem rettenden Ofen, nur durch diese dünne Holzplatte vom Leben getrennt, brach Melissa verzweifelt in die Knie.
Sie wollte schreien, aber es kam kein Ton mehr aus ihre Kehle.
Endlich öffnete sich vor ihr die Hüttentür, eine Frau packte sie am Handgelenk und zog sie über die Schwelle in das Haus hinein.
Die fremde Helferin schleifte sie über das Holz einer alten Dielung und Melissa fiel in sich zusammen.
Gerettet!
Über ihre Patientin gebeugt kümmerte sich Lisa jetzt um die Frau, die ihr die beiden Rettungssanitäter gerade in den Behandlungsraum geschoben hatten.
Bleich war sie und bis zum Halse in eine Decke des RTWs gewickelt. Noch zeigte die Frau keinerlei Regungen und Lisa prüfte mit der Lampe die Pupillenreaktion, die aber ziemlich stark verzögert war.
„Was hat sie?“, fragte Carola, die jetzt zu ihr in den Raum trat.
„Nach Aussage der Sanis hat sie etwas am Kopf getroffen. Ein Kranausleger oder so etwas. Sie muss dann etwa fünf Meter durch die Luft geflogen sein und hat seitdem das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt“, erklärte Lisa, ohne dabei von ihrer Patientin aufzusehen.
„Ich muss sie erst mal gründlich untersuchen“, setzte sie fort und zog die Decke zur Seite.
Die Frau trug darunter nur eine rote Unterwäsche und ein paar gleichfarbige halbhohe Schnürstiefel.
„Hatte sie sonst nichts dabei?“, erkundigte sich Carola und blickte sich um.
„Eine Handtasche und eine rote Zipfelmütze“, erklärte Lisa und zeigte zur Seite, wo beides auf einem Tisch lag.
„Aus dem Ruder gelaufene Betriebsweihnachtsfeier im November oder Escortservice mit sonderbaren Spielchen?“, entgegnete Carola zweifelnd.
„Weder noch. Sie hat wohl einen Werbespot für Weihnachten gedreht, als sie unsanft von den Füßen gerissen worden ist“, erwiderte Lisa.
„Die Unterwäsche ist zumindest erstklassig!“, stellte Carola mit einem Blick auf das Etikett fest und seufzte: „So etwas kann ich mir von meinem Gehalt nicht leisten!“
„Für wen solltest du auch so was anziehen?“, antwortete Lisa ihr augenzwinkernd.
„Na danke für die Blumen! Du trägst doch aber auch nur Schlüpfer vom Discounter! Ich habe das erst gestern gesehen!“, konterte Carola schlagfertig.
„Lara ist das völlig egal und mir auch!“, antwortete Lisa und konzentrierte sich wieder auf die vor ihr liegende Frau.
„Kannst du mal messen, ob sie Fieber hat?“, bat Lisa die Schwester.
Carola nickte, holte das Thermometer und hielt den Sensor an das Ohr der Frau. Eine Sekunde später piepste das Gerät und Carola pfiff.
„Was?“