Die Sklavin des Sarazenen - Uwe Goeritz - E-Book

Die Sklavin des Sarazenen E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

Es ist Anfang des 13. Jahrhunderts. Johanna, die Heldin dieser Geschichte, bricht mit tausenden Anderen auf zu einem Kreuzzug, um das Himmelreich zu gewinnen und das Grab Jesu von den Sarazenen zu befreien. Doch statt den Himmel zu erobern gewinnt die dreizehnjährige die Hölle der Sklaverei. Bedingungslos den Sarazenen ausgeliefert schwebt sie jeden Tag zwischen Leben und Tod. Wird sie jemals die Heimat wieder sehen? Kann eine verbotene Liebe sie retten? Oder wird diese Johannas Leben fordern? Die Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29.11.2016) "Frauenwege und Hexenpfade" ISBN: 978-3-7448-3364-6 (27.06.2017) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Inhaltsverzeichnis

Die Sklavin des Sarazenen

Auf Leben und Tod

Unterwegs

Auf dem Bärenberg

Im Schlamm der Stadt

Die Zeit ist gekommen

Ein frommes Leben?

Einem Engel gefolgt

Der lange Weg

Ein langer Zug

Aufwärts im Leben

Teilt sich das Meer?

Zuhause

Hinterhältige Ränke

Ein einsames Segel

Ein sonderbarer Mann

Fette Beute?

Ein schmerzlicher Verlust.

Im Bauch des Schiffes

Der Blick von Oben

Ein neuer Plan

Im Hafen der Räuber

Burgleben

Gefangene der Nacht

Ein scharfer Schnitt

Immer noch komplett?!

Der Garten der Früchte

Gebrandmarkt

Die neue Sklavin

Ein Brief des Königs

Im Harem

Wintertage

Der (Un) Treueschwur

Segnungen und falsche Wege

Ursulas Fluch?

Ein neues Leben

Kinderschritte

Freundinnen?

Angst und Verdächtigungen

Feldarbeiten und Sklavenlos

Sklaven in Gefahr

Teile und Herrsche

Eine Falle!

Schwein unter Schweinen

Zerbrochenes Geschirr

Falkenschwingen

Nebenfrau oder Hauptfrau?

Wege über das Meer

Angst, Schmerz und Tränen

Späte Einsicht

Umhüllt von Dunkelheit

Das große Schlachten

Wer bin ich?

Ein liebendes Herz

Racheengel auf dem Weg

Ein einfaches Lied

Flucht oder Tod?

Auf der Verfolgung

Unter roter Sonne

Begraben!

Oaseder Ruhe

Eine Nussschale auf dem Meer

Schiff in Sicht!

Dem Tod so nah

Nur eine Sklavin!

Pfeile der Rache

Auf den Spuren von Moses

Ein neuer Versuch

Der Bratendieb

Bleiben oder gehen?

Neues Leben auf der Burg

Der Schrecken des Krieges

Eine neue Heimat?

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Die Sklavin des Sarazenen

Es ist Anfang des 13. Jahrhunderts. Johanna, die Heldin dieser Geschichte, bricht mit tausenden Anderen zu einem Kreuzzug auf, um das Himmelreich zu gewinnen und das Grab Jesu von den Sarazenen zu befreien. Doch statt den Himmel zu erobern, landet die Dreizehnjährige in der Hölle der Sklaverei. Bedingungslos den Sarazenen ausgeliefert schwebt sie jeden Tag zwischen Leben und Tod.

Wird sie jemals die Heimat wieder sehen? Kann eine verbotene Liebe sie retten? Oder wird diese Johannas Leben fordern?

Dort in der Heimat wartet Grunhilda auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Kreuzzug. Wird ihr Flehen erhört werden? Und kann sie die Burg ihres Mannes vor dem Zugriff des gierigen Abtes verteidigen?

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Auf Leben und Tod

Johanna saß im letzten Winkel der dunklen Hütte. Der Schein des kleinen Talglichtes reichte nicht bis zu ihren Füßen und sie presste sich beide Hände auf die Ohren. Das Schreien der Mutter ging schon die ganze Nacht. Eigentlich sollte ihr viertes Geschwisterchen schon lange auf der Welt sein, aber bisher hatte die Mutter nur in Schmerzen auf der mit Stroh gefüllten Liege gelegen und sich in den Wehen gekrümmt. Vier ihrer Geschwister waren bei der Geburt schon gestorben und neben ihr hockten die anderen drei, die überlebt hatten. Sie war die Älteste und gerade zehn geworden.

Die Tür der Hütte öffnete sich und die alte Ursula stand mit verfilzten Haaren und wirren Blick in der Hütte. Die Kinder schraken vor dem Anblick der Frau zurück. Das alte Kräuterweib wurde nur im äußersten Notfall gerufen und anscheinend stand es um die Mutter nicht gut, wenn der Vater nach Ursula geschickt hatte. Die alte Frau beugte sich über Johannas Mutter und gab ihr ein paar Tränke. Betastete den Bauch der schwangeren Frau und murmelte etwas Unverständliches. Sie warf ein paar Kräuter in das Feuer und ein seltsamer Duft machte das Erscheinen der alten Frau noch unheimlicher.

Immer weiter gelten die Schreie der Mutter durch die Hütte und wurden nun immer leiser. Manchmal endeten sie in einem Röcheln, um dann wieder, nach ein paar Augenblicken, neu einzusetzen. Offensichtlich verließ die Kraft langsam den Körper der Frau. Mit vor Angst aufgerissenen Augen starrte Johanna auf die Mutter die sich kaum noch bewegte. Auch die alte Ursula konnte ihr vermutlich nicht mehr helfen. Als draußen vor der Hütte der Hahn krähte, verließ die Seele den Leib der Mutter und es zog eine noch bedrückendere Stimmung in die Hütte ein. Ursula und der Vater begannen sich gegenseitig lautstark zu beschimpfen, bis der Vater die alte Frau einfach am Kragen packte und aus der Hütte warf. Jetzt erst traute sich Johanna aus ihrer Ecke heraus und trat an das Bett heran.

Kreidebleich lag die Mutter da. Sie schien im Schlaf zu lächeln und doch war sie an der Folgen der Geburt gestorben. Johanna strich der Mutter eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wurde kurz darauf vom Vater in die hinterste Ecke zurück gescheucht. Sie schaute auf ihre Geschwister, die noch viel zu klein waren, um zu begreifen, was da gerade eben passiert war. Sie waren erst zwei, drei und vier Jahre alt und konnten natürlich noch nicht die Tragweite dessen einschätzen, was Johanna schon längst erkannt hatte. Die Mutter war tot und wer sollte sich nun um sie kümmern?

In der Hütte setzte geschäftiges Treiben ein und Johanna versuchte ihre Geschwister vom Bett fernzuhalten. Die Kleinen konnten noch nicht verstehen, dass die Mutter am Vorabend noch für sie dagewesen war und sich nun für immer nicht mehr um sie kümmern konnte. Aber wie erklärt man einer dreijährigen den Tod der geliebten Mutter? Ein paar Klageweiber begannen mit einem melodischen Singsang und ein schnell hinzugerufener Pfarrer sprach ein paar Worte. Die Tote wurde gewaschen und angezogen. Als die Kinder um Johanna herum zu quengeln begannen, versuchte sie für die Drei etwas Essbares zu besorgen. Der Vater hatte sich bisher nicht um sie Vier gekümmert und sicher war auch weiter nichts von ihm zu erwarten. Was würde werden?

Am Abend war die Mutter beerdigt und Johanna hatte praktisch die Mutterrolle für ihre Geschwister übernommen. Mit den drei Kleinen im Arm schlief sie schließlich im Strohsack ein. Im Traum erschien ihr die Mutter in einem weißen Kleid und strich ihr über den Kopf. Das Mädchen erwachte und sah nur den Rücken des Vaters, der vor dem Feuer saß und in die Flammen starrte. Viellicht überlegte er, wie es nun für die Familie weiter gehen sollte. Aus dem hinteren Bereich der Hütte quiekte ein Schwein und der Vater stand auf. Er drehte sich um und Johanna sah die leeren Augen des Mannes, als er an ihr vorbei zu den Tieren ging, um sie zu füttern. Den ganzen Tag hatte er da gesessen und nun erst hatten sich die Tiere gemeldet. Vielleicht war das Klagen der Schweine auch einfach im Gesang der Klageweiber untergegangen.

Noch bevor der Vater zurückkam, war Johanna wieder eingeschlafen. So konnte sie auch nicht den ratlosen Blick sehen, den er auf die schlafenden Kinder warf. Er musste eine Entscheidung treffen. Verzweifelt setzte er sich zurück an das Feuer und starrte weiter in die Flammen.

Eine Woche war vergangen, bevor eine neue Frau in die Hütte kam. In dieser Zeit hatte Johanna, so gut es ihr möglich war, die Geschwister betreut. Doch nun wurde für sie alles anders. Da sie die Älteste war, wurde sie auch von der Stiefmutter für all die Dinge herangezogen, die diese nicht machen wollte. Vom Vater wurde sie nicht in Schutz genommen und so entlud sich über Johanna der ganze Unmut der für sie fremden und sichtlich überforderten Frau. Schließlich wurde es für sie so schlimm, dass das Mädchen beschloss, aus der elterlichen Hütte zu fliehen.

Nachdem abends alle in die beiden Betten gegangen waren schlich Johanna, nur mit den Sachen, die sie auf dem Leib trug, zur Hüttentür. Dort drehte sie sich noch einmal um und schaute zum Vater und den Geschwistern zurück. Im blassen Schein der letzten Glut des Feuers sah sie die Familienmitglieder dort in den Betten liegen. Leise öffnete sie die Tür und schlüpfte hinaus.

Direkt ihr voraus stand der Vollmond und beleuchtete den Weg vor der Hütte. Johanna schaute links und rechts. Ihr war schon klar, dass sie als Leibeigene dem Lehnsherren gehörte und jede Flucht aus dem Bereich des Dorfes schwer bestraft werden würde. Nur mit der Genehmigung des Ritters vom Bärenberg durfte sie sich der Grenze des Dorfes überhaupt nähern. Im letzten Jahr hatte der Ritter auf dem Dorfplatz einen der Bauern auspeitschen lassen, der es gewagt hatte, den Bereich ohne Erlaubnis zu verlassen.

Auf Nachsicht konnte sie auch als Kind nicht hoffen. Ohne einen Laut zu verursachen schlich Johanna an den Hütten entlang. Sie durfte keinen der Hunde wecken, die die Bauern vor ihren Hütten angebunden hatte. Mit den meisten Hunden kam sie gut aus und keiner bellte sie an. So erreichte sie den rettenden Waldrand hinter dem Dorf, bevor es einer der Erwachsenen bemerkt hatte.

2. Kapitel

Unterwegs

Der Mond hatte einmal gewechselt und war wieder ein Vollmond geworden. Johanna irrte immer noch durch die dichten Wälder. Aus Angst vor den möglichen Verfolgern war sie abseits der Wege und Straßen geblieben. Ein einzelnes Kind war viel zu auffällig, als das eine Wache sie nicht sofort verhaftet hätte. Zum Glück war es gerade Sommer und so fand sie in dem dichten Gesträuch des Unterholzes jede Nacht einen sicheren Unterschlupf. Tagsüber lebte sie von Beeren und Wurzeln, die sie sammelte und verzehrte. Die Mutter war mit ihr oft im Wald gewesen und so kannte sich Johanna einigermaßen gut mit den essbaren Pflanzen aus. Einmal hatte sie auch einen Hasen in einer Schlinge gefunden und das Fleisch des Tieres roh gegessen. Sie hatte es nicht gewagt, ein Feuer zu machen und es war auch ziemlich umständlich gewesen, dem Hasen das Fell über die Ohren zu ziehen. Mit einem scharfkantigen Stein war es ihr dann, nach viel Mühe, doch noch gelungen.

Die Schlinge hatte sie aufmerksamer werden lassen. Offensichtlich waren hier auch Dorfbewohner im Wald unterwegs, um zu wildern. Vom Vater hatte sie einst erfahren, wie der Ritter mit einem Wilderer umgegangen war und schon alleine die Beschreibung des Vaters hatte ausgereicht, sie noch jetzt erschaudern zu lassen. Der Ritter vom Bärenberg hatte dem Bauern das erbeutete Geweih aufgesetzt und ihn dann zur Abschreckung an einen Baum vor dem Dorf aufgehängt. Wenn einer der Ritter Johanna mit dem Hasen erwischt hätte, so wäre es ihr sicher ähnlich schlecht ergangen. Wilderei wurde meist mit dem Tod bestraft. In der Nacht hatte sie weniger Angst im Wald. Manchmal hörte sie Tiere in der Nähe, doch nicht eines von ihnen hatte sich bisher um sie gekümmert.

Die Großmutter hatte ihr früher Geschichten von Bären oder Wölfen erzählt, die im tiefen Wald lebten, aber bisher hatte Johanna keines dieser Tiere gesehen. Noch nicht mal eines davon gehört. Vermutlich waren das alles nur Schauergeschichten, um die Kinder vom Wald fernzuhalten. Einzig Hasen, Rehe und Eulen hatte Johanna bisher zu Gesicht bekommen. Die ganze Zeit war sie in die Richtung der untergehenden Sonne gegangen. Warum sie gerade dahin ging, wusste sie selbst nicht, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dort richtig zu sein. Die Orientierung im Wald war nicht so einfach, wie sie es sich zu Beginn ihrer Flucht vorgestellt hatte und manchmal hatte sie das Gefühl gehabt, im Kreis zu gehen. Nur am Stand der Sonne konnte sie sich irgendwie immer ausrichten. Am Abend legte sie sich immer ihren Wanderstock in die Richtung aus, in der die Sonne versank und so wusste sie am Morgen, welchen Weg sie einschlagen sollte.

Schon lange hatten die Dornen und das Gestrüpp des Waldes ihr Kleid in Fetzen gerissen. Hände, Füße, Beine und Arme waren durch die Dornen ebenfalls verletzt worden. Wenn sie jemand gesehen hätte, so hätte er sicher gedacht, sie wäre ein Wolfskind. Das Haar war ebenfalls vollkommen verfilzt, aber darum konnte sie sich keine Gedanken machen. Manchmal konnte sie sich in einem Wildbach waschen, aber so richtig war das auch da nicht möglich, denn sie fühlte sich auf Lichtungen immer beobachtet. War es richtig gewesen, einfach so zu fliehen? Sie wusste es nicht, doch zurück konnte sie nun auch nicht mehr. Vielleicht hätte sie das am ersten Tag noch gekonnt, aber nun? Sicher würde sie für ihre Flucht ausgepeitscht werden und selbst wenn sie davor keine Angst gehabt hätte, wie hätte sie zurückfinden sollen? In ein Dorf gehen und Fragen? Dann wäre sie sicher zweimal bestraft worden. Zuerst in dem Dorf, in dem sie fragen würde und dann noch einmal im heimatlichen Dorf.

Schließlich versperrte ein breiter Fluss ihren Weg und sie ging am Ufer des Gewässers nach Süden. Zerzaust und verdreckt schlich sie durch das Schilf und versuchte sich vor den Blicken der Bewohner verborgen zu halten. Drei Tage war das gut gegangen, bis sie an einem Steg auf einen Mann traf, der dort angelte. Unvermittelt standen sie voreinander und ihr Aussehen musste den Mann so erschreckt haben, dass er schreiend in sein Dorf lief. Doch damit war die Gefahr für Johanna real geworden, dass sie ergriffen werden konnte. In wilder Hast lief sie durch das Schilf weiter. Ohne Rücksicht auf die dort lebenden Wasservögel, die bei ihren Schritten aufflogen, lief sie bis zur völligen Erschöpfung. Schließlich brach sie zusammen und fiel in das Sumpfgras, das an einer Stelle zwischen dem Schilf wuchs. Ohne sich rühren zu können hörte das Mädchen die Verfolger durch das Schilf hinter ihr laufen. Sie konnte nur beten, dass sie nicht gefunden werden würde. Schwere Schritte waren es, die den Boden unter ihr erzittern ließen. Das waren nicht die Schritte von Bauern, sondern die Schritte von schweren Stiefeln, wie sie Ritter oder bewaffnete Knechte trugen. Zum ersten Mal, seit dem Beginn ihrer Flucht, betete sie wieder und drückte sich tief in das hohe Gras hinein.

Die Schneise, die ihre Flucht hinter ihr gelassen hatte, war doch sicher schon von weitem sichtbar und bestimmt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie gefunden wurde. In der Nähe konnte sie sogar die Männer rufen hören und sie duckte sich weiter in die kleine Freifläche. Diese war gerade einmal so lang, wie sie selbst. So lag sie auf der kreisrunden Stelle und um sie herum waren Schritte zu hören. Es konnten sicher nur ein paar Armlängen sein und dennoch gingen die Männer anscheinend an ihr vorbei. Ungläubig staunend richtete sie sich auf und schlich zur Seite weg. Nach nur ein paar Schritten war sie am Wasser. Nicht weit entfernt konnte sie eine Brücke sehen, die sich über den ganzen Fluss hinüber zog. Aber so, wie sie jetzt aussah, konnte sie da nicht hinüber. Die Wachen hätten sie sofort wieder zurück geschickt oder in den Kerker geworfen.

Johanna wartete die Dunkelheit ab und schlich zum Dorf zurück. Die Zufälle wurden immer unheimlicher. Auf einer Leine, direkt am Rande des Dorfes, hing ein Kleid, das genau ihre Größe hatte. Das Mädchen nahm es von der Leine und schlich zurück zum Fluss. In einer kleinen Bucht, umgeben von hohem Schilf, wusch sie sich und versuchte die Haare zu entwirren, was ihr auch einigermaßen gelang. Sie zog das neue Kleid an und schlich zur Brücke. Dort wartete sie den neuen Morgen ab. Als das Tor sich öffnete, lauerte sie auf den Moment, an dem einer der Wachen abgelenkt war, und rannte dann an ihnen vorbei auf die Brücke und von dort in die Stadt. Hier war sie vor ihren Verfolgern sicher.

3. Kapitel

Auf dem Bärenberg

Die Raben kreisten um irgendetwas in dem Wald. Der Junge schaute von der Mauer auf sie herunter. Obwohl die Vögel ja in der Luft waren, war er über dem Tor noch über ihnen. Direkt unter ihm überspannte die Zugbrücke den Graben, den man zum Schutz des Tores ausgehoben hatte. Er war jetzt 14 Jahre alt und am heutigen Tage wollte ihn der Vater mit auf die Jagd nehmen. Hinter ihm rief der Vater von unten „Siegfried!“ und der Junge ging zur hinteren Kante der Mauer. Er beugte sich nach vorn und schaute in den Burghof hinunter. Direkt unter ihm stand der Vater mit zwei langen Lanzen. „Ich komme runter.“ rief er hinunter und lief nach links, wo sich der Treppenaufgang zur Mauerkrone befand. Hier in der Burg kannte er sich fast blind aus. Sogar mit verbundenen Augen hätte er jeden Winkel sofort finden können.

Unten drückte ihm der Vater eine der beiden Lanzen in die Hand und zusammen verließen sie den Burghof. Sie gingen über die Brücke und waren schon wenig später im tiefen Wald angekommen, der den ganzen Berg einhüllte. Zielsicher bewegte sich der alte Mann durch das Gestrüpp und der Junge folgte ihm. Schon nach der vierten Biegung hatte er die Orientierung verloren und würde sich bestimmt nicht wieder zur Burg zurück finden, wenn der Vater ihm nicht dabei helfen würde, aber eigentlich war es ja ganz einfach. Die Burg stand am höchsten Punkt dieses Berges. Doch dafür hatte er jetzt keinen Gedanken, er musste seinem Vater folgen. Schließlich konnte man hier nicht mehr wie vier Schritte weit sehen.

Siegfried lebte schon sein ganzes Leben hier oben auf der Burg seines Vaters. Berthold von Bärenberg war vom König mit dieser Burg belehnt worden, nachdem er die elterliche Burg verlassen hatte. Die lag viel weiter im Westen und wurde nun von seinem Bruder, Siegfrieds Onkel, bewohnt. Aber da der König hier im Grenzland im Osten erfahrene Ritter benötigte, hatte Berthold Glück gehabt. Sonst hätte er sich, wie viele andere Ritter, erst eine Burg erobern müssen. Zusammen mit der Burg hatte er auch die umliegenden Dörfer erhalten. Die Bauern mussten ihm nun ihre Abgaben übergeben, dafür konnten sie auf seinen Schutz vertrauen. Irgendwann würde Siegfried mal die Burg übernehmen, aber das war noch eine Weile hin. Jetzt ging es erst mal darum, dem Vater zu zeigen, was er schon konnte. Er wollte zeigen, dass er schon ein Mann war. Ein echter Ritter!

Ein Zweig schlug ihm in das Gesicht und holte ihn zurück aus seinem Rittertraum auf den Waldweg, von dem aus seine Gedanken gerade auf die Reise gegangen waren. Zum Glück hatte der Vater seine Unaufmerksamkeit nicht bemerkt. Jetzt gingen sie Bergab und irgendwie hatte Siegfried das Gefühl, dass sie sich genau der Stelle näherten, an der er zuvor von der Burg aus die Raben gesehen hatte, die über dem Wald ihre immer kleiner werdenden Kreise gezogen hatten. Der Vater hatte ihm am Vorabend erzählt, dass sie eine Sau jagen wollten. Doch er wollte sie auf die gute, alte, ritterliche Art zur Strecke bringen. Nicht mit Pfeil und Bogen, wie es Siegfried viel mehr gefallen hätte, sondern mit der Lanze. Vermutlich ging es dem Vater dabei gar nicht wirklich um die Sau, sondern eher darum, zu sehen, wie mutig sein Sohn war. Ob er schon ein Ritter war, oder doch ein Feigling.

So Auge in Auge mit einem Wildschwein zu stehen war schon etwas anderes und Siegfried hoffte, dass er im entscheidenden Moment nicht versagen würde. Vor ihm blieb der Mann stehen und lauschte in den Wald. Ein Knacken war zu hören gewesen und vor ihnen war eine kleine Lichtung zu sehen, auf der sie sicherlich auch auf einen der Schwarzkittel treffen würden. Vorsichtig gingen sie weiter und betraten die Lichtung. Die freie Fläche war nur etwa zwanzig Schritte im Durchmesser und genau über ihnen flogen nun auch die Raben. Ein Geräusch ließ Siegfried zur Seite schauen und der Junge erstarrte. Direkt neben ihm lag der Rest eines Schweines und dahinter erhob sich ein braunes Tier zur vollen Größe. „Ein Bär!“ rief er und wich zurück. Der Vater drehte sich auch zu Seite und stand nun direkt vor dem Bären. Keine drei Schritte trennten den Vater und das Tier.

Berthold riss die Lanze herum, doch das Tier schlug sie ihm aus der Hand. Der Bär machte einen Schritt nach vorn und der Mann wich nach hinten aus. Eine Wurzel am Boden ließ ihn aber straucheln und er fiel nach hinten um. Im Liegen versuchte er sein Schwert zu ziehen, doch der Bär, den sie beim Fressen gestört hatten, kam weiter auf sie zu. Siegfried zog die Lanze nach vorn und rammte sie dem Tier mit voller Kraft in die Brust. Der Bär taumelte und der Junge zog die Lanze wieder heraus, um noch einmal zuzustoßen. Doch bevor er das Tier erneut treffen konnte, fiel es nach vorn um und begrub den Vater unter sich. Erschrocken stand Siegfried da, bis er den Vater unter dem Tier stöhnen hörte. Gemeinsam wälzten sie das Tier zur Seite. Siegfried sah das Blut auf dem Bauch des Vaters, vermutlich hatte das Tier im Fallen den Vater verletzt. Doch der Mann setzte sich auf und sagte „Das ist nicht mein Blut, sondern seines.“ Dabei zeigte er auf das Tier, das nun neben ihm lag.

Gemeinsam begannen sie dem Bären das Fell abzuziehen, um es danach zu einer Rolle zusammen zu binden. Auch Klauen und Zähne des Bären nahmen sie als Trophäen mit. Bisher hatte der Vater nichts zu seinem Sohn gesagt, doch der Junge konnte sehen, dass der Vater stolz auf ihn war. Zusammen gingen sie wieder zurück zur Burg. Berthold trug die beiden Lanzen und Siegfried das Fell des erlegten Bären. Als sie die Burg wieder betraten, stürzte Siegfrieds Mutter auf die Beiden zu, auch sie hatte das Blut gesehen, doch Berthold konnte sie beruhigen.

Während Siegfried das Fell in den Palas trug hörte er, wie der Vater mit einem seiner Knappen sprach und mächtig stolz auf Siegfried war, dass dieser sich so gut, richtig und schnell verhalten hatte. In der Küche breitete der Junge das Fell aus und gab es einem der Männer zum gerben. Schon bald würde das Fell in einem der Räume liegen und sie alle an diesen Tag erinnern. Ein Bärenfell auf dem Bärenberg. Aus den Krallen würde sich der Junge eine Kette machen.

4. Kapitel

Im Schlamm der Stadt

Diese Stadt war so ganz anders, als es sich Johanna früher vorgestellt hatte. Einmal war ein Fuhrmann in ihrem Dorf gewesen, der von der Stadt erzählt hatte. Da hatte sich Johanna ein Bild davon gemacht, das nicht wirklich stimmte. Sie hatte noch tagelang von weißen Häusern, großen Brücken und breiten Straßen geträumt. Das, was sie hier aber erlebt und gesehen hatte, sah ganz anders aus. Zwar waren die Häuser hier riesengroß, im Vergleich zu den Hütten in ihrem Dorf, doch die meisten waren weder weiß noch besonders schön. Zwar waren auch einige bunt bemalte Häuser dabei, so wie es auch die Häuser in ihrem Dorf gewesen waren, aber sie gefielen ihr eben nicht. Auch die Straßen waren nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Knöcheltiefer Schlamm war überall auf den Wegen und es schien auf den Plätzen sogar ein bodentiefer Morast zu sein. Es sah schlimmer aus, als in ihrem Dorf und der Geruch war derselbe. Am Rande der Straße kippten die Einwohner der Stadt einfach ihre Exkremente hin und dort blieben sie auch. In ihrem Dorf waren sie wenigstens an eine Stelle hinter der Hütte gegangen.

Hier interessierte das keinen. Und genauso wenig interessierte sich jemand für sie. Hier war sie vollkommen frei. Frei zu leben, aber auch frei zu verhungern. Seit nunmehr fast einem Jahr lebte sie hier und hatte schnell gelernt, dass sie sich um sich selbst kümmern musste. Wo immer möglich versuchte sie sich ihre Nahrung zu „organisieren“. Das bedeutete, dass sie den Abfall der Schänken durchsuchte und dort noch so manches verwertbare fand. Am Sonntag saß sie zuerst vor der Kirche, um dort zu betteln und setzte sich danach in die Kirche hinein, wo es zwar im Winter auch nicht wärmer gewesen war als draußen, dafür war sie aber vor dem kalten Wind geschützt gewesen. Von den erbettelten Münzstücken, manchmal war es sogar ein viertel Pfennig, kaufte sie sich am Markttag etwas zu essen, oder sie stahl es in einem unbeobachteten Moment einfach aus den Körben oder von den Ständen der Bauern.

Dabei musste sie aber auf zweierlei Dinge achten. Zum einen durfte sie sich nicht fangen lassen, denn die Strafen für Diebstahl waren ziemlich hart, oft hatte sie an den Markttagen Leute dort am Schandpfahl stehen sehen, oder hatte gesehen, wie Diebe ausgepeitscht oder hingerichtet wurden, und zum anderen gab es da ja auch noch die göttliche Strafe, die es zu fürchten gab. Und davor fürchtete sie sich viel mehr. In der Kirche hatte sie immer wieder gehört, dass Diebe in die Hölle kamen und darum betete sie ziemlich oft. Eigentlich jeden Tag mehrmals. Aber würde das helfen, wenn sie vor dem göttlichen Gericht stehen würde? Vermutlich nicht, aber es blieb ihr einfach keine andere Wahl. Sie war ziemlich schnell, aber vor der Rache Gottes konnten sie ihre Füße sicher nicht bewahren.

Im vergangenen Winter hatte sie auch oft in den Ställen der Tiere geschlafen, meist hatte sie sich nachts dort hinein geschlichen, um dann noch vor dem Sonnenaufgang wieder zu verschwinden. An ein paar Tagen hatte sie sich auch ein paar Münzen mit Botendiensten oder kleinen arbeiten verdient. Schnell hatte sie gelernt, all das zu tun, was gebraucht und benötigt wurde. Jetzt im Sommer schlief sie in der Nacht wieder draußen. Da es auch nachts schön warm war, hatte sie nur das Problem, wo sie schlafen sollte. Innerhalb der Stadtmauern gab es fast keinen freien Platz, der nicht von Schlamm und Dreck überdeckt war und außerhalb war sie nicht sicher, dass sie am nächsten Morgen wieder aufwachen würde. Zum einen gab es Räuber und zum anderen auch ein paar wilde Tiere. Im unmittelbaren Umfeld der Stadt vermutlich sogar mehr, als im Wald.

Johanna hatte sich einen Platz gesucht, der unter dem Aufgang zur Stadtmauer lag. Es war etwas vertrocknetes Gras dort und es standen Kisten davor, so dass sie dahinter verborgen schlafen konnte. Von diesem Platz hatte sie die Straße direkt in ihrem Blick. Das Tor der Stadt lag nur einen Steinwurf von ihr entfernt und sie sah täglich das geschäftige Treiben dort. Dass die Straße wirklich aus Stein war hatte Johanna nur ein einziges Mal gesehen. An einem Frühlingstag hatte es so stark geregnet, dass ein Teil des Schlammes als Sturzbach durch die Stadt gespült worden war. Danach waren die Straßen für ein paar Tage sauber gewesen, nur um danach wieder im Schlamm zu versinken. Wenn es ein paar Tage nicht geregnet hatte, wurde der Schlamm wirklich fest, aber mit jeder verschütteten Kanne Wasser oder jedem hinaus gegossenen Eimer mit Urin wurde es wieder zu einem zähen Bodenbelag.

Der mit dem Schweinedung vermischte Belag war an manchen Stellen von Fliegen überdeckt und an einigen Plätzen in der Stadt musste selbst Johanna sich die Nase zuhalten und sie war ja praktisch mit den Schweinen unter einem Dach aufgewachsen. Als dann eines Tages auch noch ein Schweinekadaver mitten auf dem Marktplatz, auf einer der dorthin führenden Straßen lag, fühlte sich der Rat der Stadt genötigt, für Ordnung zu sorgen. Für Johanna war dies ein echter Glückstag, denn sie konnte sich diese Arbeit zusammen mit ein paar anderen Bettlern sichern und so war sie ab diesem Tag dafür zuständig, wenigstens den gröbsten Müll vom Marktplatz weg zu sammeln. Dafür erhielt sie auch einen Pfennig im Monat. Das war für sie ein riesiger Schatz. Für solch einen silbernen Pfennig bekam man hier in Köln ein ganzes Huhn oder aber auch ein paar Brote. Immer wenn sie die silbern glänzende Münze mit dem Abbild des Erzbischofs darauf erhielt, verwahrte sie diese auch wie einen Schatz und überlegte lange, was sie dafür wohl kaufen wollte.

Trotzdem saß sie jeden Sonntag weiter an den Stufen des alten Doms, der dort schon ein paar Jahrhunderte stand. Es war ein großes Bauwerk und sie versuchte an dem Eingang zu warten, an dem die vornehmen Bürger der Stadt hinein gingen und heraus kamen. Meist waren sie nach dem Gottesdienst freigiebiger als davor. Und einem armen Mädchen gab man bestimmt mehr, als einem alten Mann. Zumindest konnte sie sich immer nach vorn durch drängeln, um dort ihre Hand aufzuhalten. Es war kein sehr schönes Leben, aber es war besser, als das damals auf dem Land. Hier gehörte sie nur sich selbst. Dort hatte sie noch dem Ritter gehört, denn Stadtluft machte frei. Da sie nun schon ein Jahr in der Stadt lebte, war sie damit frei.

5. Kapitel

Die Zeit ist gekommen

Siegfried schlug die Augen auf und schob den Mantel zur Seite, mit dem er sich, wie immer in der Nacht, zugedeckt hatte. Das Bett der Eltern stand am anderen Ende des Raumes und war aber schon leer. Irgendwie hatte er wohl verschlafen. Schnell zog er sich seine Sachen über und ging zur Küche hinunter, wo sein Essen schon auf ihn wartete. Heute war sein sechzehnter Geburtstag und die Mutter war die Erste, die ihn daran erinnerte. In der Küche reichte sie ihm den Teller und Siegfried verschlang fast sein Frühstück. Als er dann auf den Burghof trat, sah er den Vater in der Schmiede stehen und dem Schmied zur Hand gehen. Er trat zu den Beiden und der Vater stellte kurz die Arbeit ein. Er griff hinter sich und zog ein Schwert nach vorn, dass die Beiden gerade fertig geschmiedet hatten.

Berthold legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und übergab ihm das Schwert „Von nun an bist du ein Ritter.“ sagte er und setzte fort „Und zu Ostern kommt deine zukünftige Frau zu uns.“ Damit drehte er sich wieder um und arbeitete weiter. Siegfried zog das Schwert heraus und dachte gleichzeitig an die Worte des Vaters. War es wirklich schon an der Zeit, an Hochzeit zu denken? Offensichtlich schon. Der Vater hatte in demselben Alter geheiratet. Durch das Schwert war Siegfried nun mit allen Pflichten und Rechten in den Bund der Männer aufgenommen worden. Jetzt fehlte ihm nur noch ein Pferd. Und so als ob der Vater seine Gedanken gehört hatte, stellte er die Arbeit nun vollkommen ein und ging zum Stall hinüber. Wenig später kam er mit einem Pferd wieder zurück. Zusammen mit dem Schmied beschlugen sie das Pferd und danach reichte er Siegfried die Zügel. „Deins!“ sagte der Vater nur und der Junge saß auf das Pferd auf.

Kurz darauf jagte er mit dem Pferd zum Tor hinaus und den Berg hinunter zum Dorf. Er ließ das Tier einfach laufen. Schon oft hatte er auf dem Hof der Burg geübt, aber diesmal war er mit seinem eigenen Pferd unterwegs. Was er hier wollte, wusste er selbst nicht, aber er umrundete den Berg einfach ein paar Mal und Ritt durch die Dörfer am Fuße des Berges. Vielleicht wollte er den Bauern zeigen, dass er nun ihr neuer Herr war. Das Schwert an seiner Seite war ja unübersehbar. Im Schritt ging das Pferd dann wieder den schmalen Pfad hoch zur Burg. Auf dem ganzen Weg hatte er daran gedacht, dass Ostern ja gar nicht mehr so lange hin war. Seine zukünftige Frau war sicher schon auf dem Weg. Wer sie wohl war?

Er sprang im Burghof vom Pferd und führte es in den Stall zurück. Dort nahm er den Sattel ab und rieb das Tier wieder trocken. Sie waren nicht viele auf der Burg. Der Vater, die Mutter, der Schmied und vier Knechte. Zusammen mit ihm waren es nur acht Personen und nun würde noch eine dazu kommen. Er klopfte dem Pferd gegen den Hals und schaute auf die anderen drei Pferde, die in dem Stall standen. Von dort aus ging er zurück über den Burghof, am Bergfried vorbei zum Eingang des Palas. Es war eine sehr überschaubare Burg. Er hatte mit dem Vater schon viel größere besucht. Einmal war er sogar auf einer Pfalz gewesen. Ihre Burg hätte sicher zehn Mal auf den Platz dieser Pfalz gepasst. Schon alleine der Palas, in dem sie den König getroffen hatten, war so groß gewesen, wie ihre gesamte Burg.

In der Küche saß die Mutter und rupfte eines der Hühner, das sie am Abend essen sollten. Bald würde ihr seine Frau helfen. Hier auf Burg Bärenberg musste ein jeder mit anfassen und hatte seine Aufgabe. Siegfried erinnerte sich an die seinige und ging mit dem Eimer voller Küchenabfälle in den Stall hinüber, wo die Schweine schon auf ihr Futter warteten. So ganz unterschied sich das Leben auf der Burg nicht von dem unten im Dorf, mit dem kleinen Unterschied, dass die Bauern unten im Tal ihnen einen Teil der Ernte als Abgabe geben mussten. Einen anderen Teil erhielt das Kloster, das in unmittelbarere Nähe lag. Mit dem Abt dort lag der Vater öfters im Streit. Reginald von Rabenhorst, wie der Abt hieß, war eigentlich ein viel höher geborener Mann, als sie als Ritter. Da er aber das vierte Kind seines Vaters gewesen war, war er in den Dienst der Kirche eingetreten. Was ihn aber nicht wirklich zu einem einfacheren Leben bewogen hatte. Siegfried hatte oft gehört, wie der Vater mit der Mutter über das ausschweifende Leben des Abtes gesprochen hatte.

„Vermutlich hat der Abt auch noch nie ein Schwein gefüttert, höchstens eines gegessen.“ dachte sich Siegfried und nahm den leeren Eimer wieder mit zurück zur Küche. Das gerupfte Huhn hatte den Weg in den Topf gefunden, wo es auf kleiner Flamme vor sich hin kochte. Die Mutter schnitt Kräuter und Wurzeln zurecht und Siegfried zog sein Messer, um ihr dabei zu helfen. War das nicht eigentlich Frauenarbeit? Und er war doch nun ein Ritter! Aber solange ihn keiner hier sah, war es für ihn in Ordnung und wer essen wollte, der musste auch arbeiten! Nach und nach trafen die Männer in dem Raum neben der Küche ein und setzten sich an den langen Tisch. Der Vater sprach ein Gebet und danach brachte die Mutter die Suppe herein. Zusammen mit etwas Brot wurde die Suppe gegessen und dabei legte der Vater schon die Arbeiten für den nächsten Tag fest. Obwohl alles so wie immer war. Jeder hatte eben so seine Tätigkeiten und hätte dieser Einweisung nicht bedurft.

Nach dem Essen ging Siegfried noch einmal in den Hof. Das Tor war nun fest verschlossen und einer der Knechte bezog seinen Platz als Wachposten über dem Tor. So wie es jeden Tag war. Hinter ihm trat der Vater in den Hof und legte Siegfried die Hand auf die Schulter. „Ab morgen wirst du auch mit die Wache übernehmen.“ sagte der Mann und zeigte auf den Posten über dem Tor. Der Junge, der heute zum Mann geworden war, nickte und schaute den Vater an. Gemeinsam gingen sie zurück in den Palas.

6. Kapitel

Ein frommes Leben?

Er stand am Fenster und schaute auf den Berg am Horizont, auf dem sich die Burg befand. Zwischen dieser und seinem Kloster lagen nur ein Dorf, ein paar Waldstücke und Felder, sonst nichts. So stand Reginald von Rabenhorst fast jeden Abend und konnte doch nichts daran ändern, das diese verdammte Burg da oben stand. Wegen dieses kleinen Haufens Steine musste er die Einnahmen der Bauern mit denen von Bärenberg teilen. Und natürlich wegen dem Erlass des Königs. Wenn da dieser Turm nicht wäre, den man von hier aus nur schwach erkennen konnte, dann wäre alles hier seines gewesen. So wie es war, bevor diese Burg da vor zwanzig Jahren gebaut worden war.

Er schlug mit der Hand auf den Fenstersims und schloss das Bleiglasfenster wieder. Es klopfte an der Tür und ein Mönch trat ein „Herr, der Abendgottesdienst beginnt.“ sagte er nur, verbeugte sich und verschwand wieder. Der Abt sah dem Manne nach, der hinter sich die Tür geschlossen hatte. Wieder so eine lästige Tätigkeit, die er so gar nicht mochte. Aber sie gehörte nun mal dazu, wenn man Abt in einem Kloster war. Er griff sich sein Ordensgewand, was natürlich aus einem viel feinerem Leinen gefertigt war, als die einfachen Kutten der Mönche, und zog es sich über die kostbare Kleidung. Dann drehte er sich zu den beiden Frauen um, die auf seinem Bett lagen und sagte zu ihnen „Und ihr Beide wartet hier, bis ich gleich wieder da bin.“ Dann ging er zu der Klosterkirche hinüber.

Das Läuten der Glocke war für die beiden Frauen das Zeichen, das Essen für den Abt aufzutragen. Eigentlich war ja Fastenzeit bis Ostern, aber daran hielt sich der Abt nicht wirklich. Er hatte eine eigene Küche und während die Mönche heute Abend wieder mal nur Brot und Wasser zu sich nehmen würden, wie es ihnen in der Fastenzeit zustand, würde es bei dem Abt einen Fasan und süßen Wein geben. Später würde er sich den beiden Frauen widmen und so ein weiteres Vergnügen finden. Trotz seiner Leibesfülle war er im Bett noch sehr behänd und das obwohl er die fünfzig schon längst überschritten hatte. Er hätte mit diesem Amt hier glücklich sein können, wenn nicht diese Burg da gewesen wäre.

Und wie zum Fluch gingen auch noch alle Fenster seiner Räume genau in diese Richtung hinaus. Wenn er früh aus seinem Bett aufstand, ging der erste Blick auf den Hügel und abends der letzte, wenn er nicht Glück hatte und es schon zu dunkel dafür war. Er betrat seinen Raum und wurde sofort durch den saftigen Braten wieder milde gestimmt. Die beiden Frauen, die er einfach Maria und Magdalena nannte, warteten auf ihn. Sie waren aus einem der Dörfer und sichtlich froh, dass sie dem Leben dort auf diese Weise entkommen waren. Die Namen, die er ihnen gegeben hatte waren eigentlich auch schon wieder eine Provokation, denn das Kloster hier Maria-Magdalena Kloster und so brauchte er sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn er einmal dem Bischof sagte „Ich muss zurück zu Maria Magdalena.“ Aber der Bischof trieb es vermutlich genauso bunt wie der Abt. Beide verstanden sich sehr gut.

Bis tief in die Nacht schlemmte der alte Mann nun und ließ sich von den beiden Frauen bedienen. Seine Mönche, nur wenige Schritte von ihm entfernt, beteten in der Klosterkirche die stündlichen Gebete. Aber er war ja der Abt und eigentlich nur zur Verwaltung da, doch auch das machten die Mönche ohne seine Beihilfe. Warum sie ihn überhaupt brauchten, wussten sie nicht, nur das ein Kloster ohne Abt aufgelöst werden würde. Schließlich schlief der Mann am Tisch ein. Der süße Wein hatte ihm zu sehr zugesetzt. Maria und Magdalena räumten noch den Tisch ab und verzogen sich danach in das breite Bett, in dem auch vier hätten schlafen können. Der Raum bestand praktisch nur aus Bett, Tisch und Stühlen. Viel Platz war sonst nicht hier drin.

Im Traum sah er die Burg auf dem Berg in Flammen aufgehen und hielt dies für ein gutes Zeichen. Er erwachte und es war noch tief in der Nacht. Er drehte sich um und schaute zu den beiden Frauen, die hinter ihm schliefen. Dann sah er wieder zu Fenster, wo, im Moment unsichtbar, die Burg zu finden war. Nicht das er gierig war, aber sein Lebensstil brauchte Geld und das musste er sich mit denen da teilen. Normalerweise gab es nur einen Herren. Entweder weltlich oder geistlich. Aber hier, so nahe an der Grenze, hatte der König ihm diesen Ritter vor Nase gesetzt. Er, der Abt, sollte den Glauben in das andere Land tragen und der Ritter die Grenze vor Überfällen sichern. Sie hätten sich einigen können. Aber er wollte das nicht. Er wollte nicht teilen, er wollte alles! Ächzend zog er sich am Tisch hoch und ging zum Bett. Ohne sich auszuziehen ließ er sich zwischen die beiden Frauen fallen, die er mit seiner Körperfülle einfach zur Seite schob.

Aber er konnte nicht einschlafen. Die Beiden kuschelten sich an ihn und er dachte immer noch an den Traum. Sicherlich war es ein Zeichen. Nicht eines von Gott. So gläubig war er, trotz seines Amtes, nicht, aber sicher auch keines des Teufels. Wie konnte er die Burg und deren Bewohner loswerden? Schon oft hatte er darüber nachgedacht und noch nie war ihm etwas eingefallen. Konnte das Feuer des Traumes eine Idee sein? Wenn die Burg durch einen Überfall zerstört werden würde, dann würde der König diese bestimmt nicht noch einmal errichten lassen. Oder etwa doch? Erst mal musste diese Burg da weg und dann würde er sich, zusammen mit dem Bischof, schon etwas einfallen lassen, das sie dann dem König vorschlügen.

Wie wurde man nun eine Burg los? Er brauchte Männer und er brauchte Geld! Ein räuberischer Überfall wäre sicher der geeignete Weg sich der Anderen zu entledigen. Reginald faltete seine Hände über dem Bauch und schlief mit einem Lächeln im Gesicht ein. Das musste doch zu schaffen sein. Warum war ihm das nicht früher eingefallen? Er schlang im Halbschlaf seine Arme um die beiden Frauen und zog sie an sich.

7. Kapitel

Einem Engel gefolgt

Ein weiterer Winter war in der Stadt vorbei und alle Menschen freuten sich auf den kommenden Sommer. Für Johanna war dies die beste Zeit des Jahres. In den Tagen vor Ostern waren die Menschen ganz besonders freigiebig und so konnte sie doch mal die eine oder andere großzügigere Gabe erhalten. Also saß sie auch am Karfreitag vor den Toren des Doms, als sie einen Menschenauflauf ganz in der Nähe bemerkte. Immer mehr Menschen strömten auf die freie Fläche neben der Kirche. Trotz der vielen Menschen hörte das Mädchen nur eine Stimme, die leise etwas erzählte, was sie nicht verstehen konnte. So verließ sie ihren Platz und ging hinüber, um zu schauen, was den die viele Menschen dort machten.

Ein Junge aus der Stadt, der sich Nikolaus nannte, und den sie schon einmal in der Kirche gesehen hatte, stand dort auf einer kleinen Erhebung. Der Junge war sicher noch keine zehn Jahre alt, aber er sprach so überzeugend, dass ihm alle zuhörten. Er erzählte, dass ihm ein Engel erschienen sei, der ihn aufgefordert habe, das Heilige Grab von den Sarazenen zu befreien. „Gott wird unseren Zug unterstützen und das Meer teilen, so dass wir, wie einst die Israeliten unter Moses, trockenen Fußes in das Heilige Land gelangen werden.“ rief er den Menschen zu. Unter den anwesenden Kindern rief er mit seinen Worten eine Begeisterung hervor, die die anwesenden Erwachsenen nicht verstehen und auch nicht teilen konnten. Oder vielleicht auch nicht verstehen wollten. Johanna erinnerte sich daran, dass auch ihre Mutter ihr einst als Engel erschienen war. Warum sollte sie deshalb an den Worten des Jungen zweifeln? „Gott schickt seine Botschaften in vielerlei Gestalt.“ hatte sie einmal in einer Predigt gehört. Warum also nicht auch durch ein Kind?

Nachdem sich die Menge zerstreut hatte, trat Johanna an den Jungen heran. Er war einen Kopf kleiner als sie, hatte aber sehr kostbare Kleider an. Offensichtlich lebte er nicht, so wie Johanna, auf der Straße, sondern kam aus einem wohlhabenden Hause. Die Kunde von der Predigt des Jungen zog durch die ganze Stadt und am nächsten Tag waren es schon doppelt so viele Menschen, die auf ihn warteten. Auch Johanna stand wieder dort, diesmal ganz weit vorn, um alles genau zu hören. Diesmal zogen die Menschen nach dem Vortrag des Jungen zur nahe gelegenen Kirche und forderten den Bischof auf, ihren Kreuzzug zu segnen. Doch dieser weigerte sich. Auch das Murren der Masse konnte ihn nicht zum Einlenken bewegen.

In der folgenden Nacht sah Johanna auch ihre Mutter wieder im Traum. Wie beim letzten Mal war sie in weiße Gewänder gehüllt. So ähnlich hatte das Mädchen sich einen Engel vorgestellt. Sie hörte die Mutter sogar reden. „Folge dem Zug und du wirst von deinen Sünden erlöst.“ hörte Johanna und dachte daran, dass sie dies unbedingt tun musste, da sie ja durch ihre Diebstähle gegen eines der zehn Gebote verstoßen hatte. Nur durch die Teilnahme an diesem göttlichen Zug konnte sie dem Fegefeuer der Hölle entgehen und vielleicht doch noch in den Himmel kommen. Nach dem Aufwachen ging Johanna schnell in die Kirche hinüber. Sie setzte sich in die erste Reihe, denn so früh am Morgen war die Kirche noch leer. Sie saß direkt vor dem Altar und schaute auf das Kreuz, an dem die Figur Jesu hing. Der Person, zu dessen Grab sie ziehen wollten. Im Stillen versprach sie der Figur, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um diesen Zug zu einem guten Ende zu bringen.

Genau in diesem Moment begannen die Glocken über ihr im Kirchturm zu läuten. Wie eine Bestätigung ihres Auftrages war dies, der Ostergottesdienst begann und Johanna setzte sich nun in die hintere Reihe, so wie es ihr in der Kirche zustand. Die Reichen saßen vorn und auch Nikolaus ging in eine der vorderen Reihen, das konnte das Mädchen von hinten aus sehen. Er setzte sich genau auf den Platz, auf dem sie zuvor gesessen hatte.

Alle lauschten den Worten von der Kreuzigung und Auferstehung Christis. Und genau zu diesem Grab wollten sie. Johanna schaute nach vorn und ihr war es, als ob das Kreuz von einem inneren Leuchten erfüllt gewesen wäre. So eine Art von Zeichen Gottes, dass ihre Aufgabe im Sinne Gottes war.

Zwischen Ostern und dem folgenden Sonntag sammelten sich nun in Köln Scharen von jungen Frauen, jungen Männern und vielen Kindern, um den Reden von Nikolaus zu lauschen. Aus den Gesprächen der Menschen hörte das Mädchen, dass es vielen eigentlich nicht um den Zug in das ferne Jerusalem ging, sondern eher darum, der Not in ihren Dörfern zu entkommen. So wie es bei ihr damals gewesen war, waren alle diese Menschen Besitz ihrer Herren. Diesem Schicksal konnten sie nur entfliehen, wenn sie sich im Auftrag der Kirche einem Kreuzzug anschlossen. Den Menschen, die das Kreuz nahmen, durften die Lehnsherren nicht die Teilnahme am Kreuzzug verwehren. Sonst würden sie bei der Kirche in Ungnade fallen.

Bei den Meisten um sie herum war es zwar offensichtlich, dass sie zum Beispiel als jüngstes Kind nie den Hof des Vaters übernehmen konnten, oder sowieso schon viel zu viele Esser auf dem Hof waren. Sie und Nikolaus schienen die Einzigen zu sein, die dem Ruf Gottes wirklich folgten und nicht nach weltlichen Dingen strebten. Mittlerweile waren es so viele Menschen, dass der Bischof ihnen nun doch den Segen nicht mehr verwehren konnte. Sie stickten sich die Kreuze auf ihre Umhänge und brannten regelrecht darauf, sich zusammen mit Nikolaus auf den Weg nach Jerusalem zu begeben. Nikolaus selbst malte sich ein Kreuz auf seinen weißen Umhang, das für Johanna eher wie ein Hammer, als wie ein Kreuz aussah. Nach dem Gottesdienst am weißen Sontag, dem Sonntag nach Ostern, den der Bischof zusammen mit Nikolaus durchführte, wollten alle aufbrechen.