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Mit Sicherheit Liebe Altersfreigabe: ab 16 Jahren Nele ist eine echte Kämpferin und in ihrem ersten eigenständigen Auftrag muss sie einfach nur einen ihr noch völlig fremden Mann vor einer Bande von Verbrechern beschützen. Eigentlich eine leichte Sache, auf die sie jahrelang intensiv vorbereitet wurde, doch dann begreift sie, dass sie sich auf eine Herausforderung eingelassen hat, die niemand auf der Welt mit Macht und Entschlossenheit gewinnen kann. Nicht die Bande von Ganoven ist der Gegner, der das Unterfangen sabotiert, sondern ihr eigenes Herz. Und sie muss sich einem Widerstreit stellen, den selbst der Stärkste nicht mit Stärke für sich entscheiden kann: einem Ringen von Verstand und Herz. Findet sie noch rechtzeitig den Ausweg aus ihrem selbst verschuldeten Dilemma? Oder verliert sie am Ende den Kopf? Und wäre das in diesem Falle wirklich so schlimm, wo sie doch bereits ihr Herz verloren glaubt?
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Seitenzahl: 195
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Anmerkungen und Warnungen
Eine schwere Entscheidung
Eine neue Zeit?
Nur eine Pechsträhne?
Schmerzhafte Rückkehr
Zeit zum Grübeln
Nacht der Götter
Dafür oder dagegen?
Eine neue Nele
Glücksfall oder Bestimmung?
Wie ein Blitz
Der letzte Bus
Ein Zwinkern des Schicksals
Freunde?
Die Sache mit der Maus
Männer und Frauen
Söhne und Väter
Erste Spuren?
Zwei erste Schritte
Ein Date?
Gefährliche Nähe
Am Abend eines besonderen Tages
Mission erfüllt?
Die Nacht der Nächte?
Ende und Anfang
Ein absurder Verdacht
Ins kalte Wasser
Robinson und Samstag
Die ganze Wahrheit?!
Nur ein Tee?
Frau und Mann
Auf den Spuren des Teufels
Schlimme und schöne Erinnerungen
Wenn es Liebe ist!
Mit dem Lauf der Sonne
Diese Erzählung sollte Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden.
Ausnahmslos alle Beteiligten dieser Geschichte sind erwachsen und über 21 Jahre alt.
Sämtliche Orte, Figuren, Firmen und Ereignisse dieser Erzählung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, ob lebend oder tot, ist rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.
Für einen Tag in der letzten Aprilwoche war es ein sehr gutes Wetter. Eine paar Tage zuvor hatte es noch mal kurz geschneit und an diesem Tag würde das Thermometer laut Wetterbericht auf beachtliche 24 °C ansteigen. Die Stimmung in dem Städtchen hob sich mit der ungewohnten Wärme deutlich an und überall waren nur noch lachende Gesichter zu sehen.
Die ersten wagten sich schon ohne Jacke aus dem Hause und auch die Röcke der jungen Frauen wurden in dem Maße kürzer, wie die Quecksilbersäule stieg.
Mathias schlenderte in sein Büro und beobachtete all die Menschen, die seinen Weg kreuzten. Die wenigsten davon kannten ihn vermutlich, aber er würde das demnächst hoffentlich ändern, denn die Wahl zum Bürgermeister stand an und seine Partei hatte ihn dafür auf die Wahlliste gesetzt.
Seit vielen Jahren war er bereits in der Kommunalpolitik tätig und führte das Baudezernat der Stadt. Das war bei einer Einwohnerzahl von etwa einer halben Million ein ziemlich anspruchsvoller Job, den er gewissenhaft ausführte.
Vielleicht hatte seine Partei auch daher beschlossen, ihm das Vertrauen auszusprechen und ihn für dieses neue Betätigungsfeld zu nominieren.
Jedenfalls lagen die ersten Wahlkampfreden bereits hinter ihm und es schien so, als ob er mit seinen Vorschlägen sogar einen Nerv bei den Bürgern getroffen hatte.
Sozialer Wohnungsbau, mehr Grünflächen und sichere Fahrradwege waren das, was er sich auf die Fahnen schreiben wollte.
Er wollte etwas bewirken in dieser aufstrebenden Stadt in der Mitte Deutschlands. Und da kam es ihm jetzt so vor, als ob sich der Himmel mit ihm freute.
Pfeifend betrat er das Gebäude, grüßte die Reinigungsfrau mit einem Handschlag, wie er es aber auch zuvor schon jeden Tag gemacht hatte.
„Was für ein herrlicher Tag, Frau Müller. Oder?“, fragte er und die Frau strahlte ihn an.
Der Lift brachte ihn nach oben und er betrat sein Büro. Seine Sekretärin war schon da gewesen und hatte ihm wie gewohnt den Kaffee bereits bereitgestellt.
Vermutlich war sie jetzt gerade in der Poststelle, um die tägliche Korrespondenz zu organisieren.
Irgendwie würde er das wohl alles hinter sich lassen müssen, wenn er in der Hierarchie der Stadt aufstieg. Zumindest das Büro, seine Sekretärin würde ihn vermutlich zu der neuen Aufgabe begleiten. Sie kannten sich schon fast zwanzig Jahre und da wurde man auch unter Kollegen fast familiär.
Kurz vor acht Uhr kam sie dann trällernd mit einem Berg von Briefen durch die Tür.
„Hallo Mathias, du bist ja schon da“, sagte sie von draußen.
„Ja, Sieglinde, wie jeden Tag“, entgegnete er lächelnd.
„Ich dachte, du gönnst dir heute mal etwas Ruhe, nach den drei Abenden, an denen du jetzt bis tief in die Nacht noch auf deinen Veranstaltungen warst“, bemerkte sie noch.
Er winkte einfach lachend ab und begann seinen Tag mit dem Lesen des Interviews, das er ein paar Tage zuvor der Presse gegeben hatte.
Es war ein eher kritisches Magazin und daher interessierte ihn besonders, was die Journalistin dort über ihn geschrieben hatte.
Doch der Artikel war erfreulicherweise überaus positiv.
Selbst seine Kritiker hatte er wohl bereits von seinen Ideen begeistern können und das ließ doch auf ein gutes Wahlergebnis hoffen!
Kaum hatte er die Zeitung zusammengefaltet, da klingelte sein Handy. Es war eine unterdrückte Rufnummer. Wer kannte den seine Mobilnummer? Er hob ab und hörte jemanden mit verzerrter Stimme sagen: „Deine Anschauungen gefallen uns gar nicht. Lass das sein, oder deinem Sohn wird etwas geschehen!“
Benjamin war ja gerade mal vier Jahre alt und ging in den Kindergarten. Wer konnte das denn sein, der solch eine feige Drohung anonym übermittelte?
Das waren wohl die Schattenseiten dessen, was er beabsichtigte, aber davon wollte er sich nicht abschrecken lassen.
Genervt legte er das Handy zur Seite, als es piepste. Eine Nachricht war eingegangen.
Neugierig betrachtete er ein Video, das ihm der anonyme Anrufer zugesandt hatte. Darauf sah er, wie Chris, sein Sohn aus seiner ersten Ehe, auf einem Weg entlang ging und dann von einem Gegenstand getroffen wurde, der von oben von einem Gerüst fiel.
Es war also keine leere Drohung!
Das musste er ernst nehmen.
Sofort griff er zum Telefon und wollte die Nummer der Polizei wählen, als er begriff, dass er mit diesem Anruf wohl auch seine Kandidatur vergessen konnte.
Oder auch nicht?
Zumindest würde das in der Öffentlichkeit einen ziemlichen Wirbel machen.
Was konnte er tun? Wenn er die Polizei einschaltete, das war eventuell seine Kandidatur bereits am Beginn des Wahlkampfes zum Scheitern verurteilt, aber wenn er nichts tat, dann konnte seinem Sohn auch weiterhin noch etwas geschehen.
Das Video zeigte eindeutig, dass diese Verbrecher vor nichts zurückschreckten.
Jetzt musste er unbedingt ermitteln, was Chris geschehen war, aber zuvor brauchte er Hilfe.
Wer konnte ihm unauffällig helfen?
Ein Privatdetektiv möglicherweise, oder gab es noch eine bessere Lösung?
Sein Blick fiel durch die offene Tür auf den Kalender, der über dem Schreibtisch seiner Sekretärin hing. Ein Tempel in Kyoto war darauf abgebildet.
Schnell wählte er die Nummer seines Freundes Ryusei Miatoku und beauftragte ihn damit, für den Schutz seines Sohnes zu sorgen.
Dann eilte er aus dem Zimmer.
Der Wind säuselte leise in den Zweigen der Schwarzkiefer und der Wasserfall rauschte. Nele saß auf einem Stein, hatte die Augen geschlossen und spürte die warmen Strahlen der Sonne auf ihrem Gesicht. Sie war wie immer hier nach oben ins Gebirge aufgestiegen, weil sie überlegen und darüber meditieren wollte, was ihr weiterer Weg sein würde.
Nur die Geräusche der Natur waren um sie herum. Vögel begrüßten die ersten Knospen an den Bäumen und Sträuchern und es war so friedlich hier.
Sonst konnte sie an diesem abgeschiedenen Ort immer ganz schnell zur Ruhe kommen, doch heute gelang ihr das einfach nicht.
Immer wieder sausten ihre Gedanken davon und zogen Kreise um ihren Kopf. Der Onkel hatte ihr zwar bereits vor Jahren beigebracht, wie man selbst im hektischsten Trubel zur Ruhe kommen konnte, doch heute gelang ihr das noch nicht einmal an ihrem stillen Lieblingsplatz.
Seufzend schlug sie die Augen auf und erblickte vor sich die beidem großen Schwarzkiefern. Wie mit Absicht standen sie dort und rahmten den kleinen Tempel ein, der unter ihr im Tal stand. Vermutlich hatten vor ewigen Zeiten Mönche diese beiden Bäume in dieser Art aufgestellt.
Nele war jetzt 24 Jahre alt und die Hälfte ihres Lebens war sie an diesem Platz gewesen. Dort unten lag das kleine Dorf mit dem Tempel, dem Shinto Schrein, ein paar Dutzend Häusern und der Schule ihres Onkels.
Sie war eine ausgebildete Kunoichi und am Tage zuvor hatte der Onkel ihr den Meistergrad verliehen.
Vielleicht kamen ihre Grübeleien auch daher, dass sie bis jetzt immer auf dieses Ziel hingearbeitet hatte. Jetzt war sie an diesem Punkt angelangt und was kam jetzt?
Sollte sie wirklich hier bleiben und an der Schule des Onkels lehren?
Oder neue und eigene Wege beschreiten?
Diese Frage war der Zweck ihres Aufstieges zu diesem Wasserfall gewesen!
Sie erhob sich von ihrem Stein und trat zu einer der beiden Kiefern. Ihr Blick schweifte über das so vertraute Bergdorf. Hier kannte sie jeden Stein, aber es wurde wohl Zeit für etwas Neues.
Nur was?
In den letzten zwölf Jahren war sie in allem möglichen ausgebildet worden. Das war auch notwendig, wenn man als Spion unerkannt irgendwo untertauchen musste.
Ihre umfangreiche Bildung sorgte dafür, dass sie weder auf einem Kongress von Hirnchirurgen, noch unter Bauern oder unter Näherinnen auffallen würde.
Wie ein Chamäleon konnte sie in Bruchteilen eines Augenblickes in jede nur erdenkliche Rolle schlüpfen, doch wenn man viel wusste, so hatte man eben auch alle Wege offen vor sich liegen. Das machte die Sache nicht leichter.
Eigentlich war doch die erste Frage, ob sie hier bleiben oder gehen sollte, alles andere kam doch dann von selbst.
Nachdenklich blickte sie zur Schule hinab, deren Holzdach sie gerade noch so erkennen konnte. Damals, als sie hierhergekommen war, da war sie traumatisiert, konnte kein einziges Wort Japanisch und war ein kleines, verstörtes Mädchen. Die anderen Schüler der Schule hatte sie drangsaliert und immer wieder vorgeführt, aber all das hatte sie nur noch stärker gemacht.
Jetzt war sie erwachsen, beherrschte sieben Sprachen und konnte jeden anderen Mann besiegen.
Nur wenige Frauen waren zu Meistern der Ninjas geworden, wobei der Onkel noch die alte Kunst lehrte und nicht das neumodische Zeugs, was die Filme so darstellten. Das hatte so gar nichts mit dem zu tun, was sie gelernt hatte.
Ihr Blick ruhte jetzt auf dem Schrein im Dorf. Sollte sie dort nach einer Antwort suchen? Auch da unten waren einige Schwarzkiefern zu sehen und an einer davon hatte ihre Tante mit ihr zusammen vor ihrem ersten Weihnachtsfest hier Lichter und bunte Kugeln aufgehängt. Es hatte wohl ziemliches Kopfschütteln ausgelöst, dass hier in den Bergen Japans ein Weihnachtsbaum vor einem Shinto Schrein gestanden hatte, aber alle hatten es geduldet.
Wohl auch ihr zuliebe.
Seitdem war es hier Tradition geworden und jedes Jahr war ein weiterer Baum geschmückt worden, bis beim letzten Weihnachtsfest alle Bäume vor dem Eingang des Schreins geschmückt gewesen waren.
Die Natur wurde ja hier sowieso verehrt und der Schmuck der Bäume war einfach in diesem Sinne umgedeutet worden.
Das Geräusch des Wasserfalles holte sie jetzt aus ihren Grübeleien heraus. Sie drehte sich zu ihm um und blickte über die gekräuselte Wasserfläche, die er schuf. Ein kleiner Gebirgsbach zweigte von ihm ab und floss über viele Steine hinab ins Tal.
Alles war hier so malerisch, dass man denken konnte, dass jemand vor undenklichen Zeiten alles in dieser Form angeordnet hatte. Der kleine Garten unten vor dem Tempel bildete das alles nach.
Vielleicht konnte das klare Wasser dieser Quelle auch ihren Geist von allen unnützen Dingen befreien?
Den Versuch war es wohl wert.
Nele trat an das Ufer des Weihers, streifte den blauen Anzug ab und sprang nackt in das Wasser.
Es war Ende April und der Schnee war erst vor drei Wochen getaut. Demzufolge war das Gewässer eiskalt, aber das war es hier oben eigentlich immer.
Vor Jahren war sie mit dem Onkel sogar kurz vor Weihnachten mal hier geschwommen!
Mit ruhigen Armzügen glitt sie durch das Becken und stellte sich unter den Wasserfall. Ein paar Mal hatte sie bereits hier meditiert, aber heute wurden ihre Gedanken dennoch nicht geklärt.
Was kam jetzt?
Die ersten zwölf Jahre hatte sie in Deutschland mit ihren Eltern gelebt, bis diese bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
Die nächsten zwölf Jahre bei der Schwester ihrer Mutter, die hier als Lehrerin für Deutsch, Geschichte und Musik lebte und eben mit einem Japaner verheiratet war.
Eigentlich war das gegen die Tradition gewesen, aber ihr Onkel hatte sich durchgesetzt. Und noch immer wusste Nele nicht, was sie von jetzt an tun sollte!
Eventuell war der Schrein wohl doch ein besserer Platz für ihre Frage.
Sie schwamm zurück, trocknete sich ab, zog sich an und lief zum Dorf hinab.
Dort trat sie vor den Eingang, verbeugte sich vor Agyō und fragte den steinernen Torwächter:
„Du, der du das Leben erschaffst, bitte sage mir: Was soll ich tun?“
„Nele, hier steckst du“, hörte sie eine Stimme hinter sich.
Sie wandte sich um und erkannte ihren Onkel.
„Miatoku San“, begrüßte sie ihn und verbeugte sich vor ihm.
„Ich habe einen Auftrag für dich“, sagte der Onkel und sie gingen zusammen zu seinem Haus zurück.
Ein nervig piepsendes Geräusch holte ihn aus dem Schlaf. Das war doch nie im Leben sein Wecker! Und sein Kopf dröhnte, als hätte er eine ganze Nacht lang durchgezockt! Er schlug die Augen auf und das Bild wurde nur langsam schärfer. Der monoton piepende Klang erfolgte im Takt seines Pulses.
„Da sind sie ja wieder“, sagte eine männliche Stimme und leuchtete ihm mit einer kleinen Lampe in die Augen.
„Wo bin ich?“, fragte er und seine eigene Stimme klang seltsam brüchig.
„Sie sind in der Uniklinik. Sie hatten einen kleinen Unfall“, erklärte der Mann vor ihm, der mit seinem blauen Anzug eher wie ein Monteur aussah, als wie ein Arzt.
„Was ist geschehen?“, erkundigte er sich bei dem Arzt.
„Sie hatten einen unliebsamen Zusammenstoß mit einer Mülltonne!“
„Ich kann mich an nichts erinnern“, entgegnete er und versuchte, das aufzufrischen, was als letztes geschehen war.
Er war doch einfach nur eine Straße entlang gegangen, dann war da so ein metallenes Gestell, das er umgangen hatte und danach war alles dunkel gewesen.
„Irgendein Lehrling hatte wohl eine ungesicherte Mülltonne auf einem Gerüst platziert. Wenn sie die Baufirma verklagen wollen, dann können sie den Bericht der Polizei und ein ärztliches Attest von mir bekommen!“
„Nein danke“, erwiderte er, denn das würde vermutlich sowieso nichts nutzen.
Er fasste sich an die Stirn und spürte den Verband um seinen Kopf. Und auch sein Bein schmerzte.
„Was ist mit meinem Fuß?“, fragte er nach.
„Sie sind wohl kurz vorher umgeknickt. Das hat sie vermutlich auch vor schlimmeren bewahrt. So hat die Tonne sie nicht voll erwischt. Der Fuß ist bandagiert, aber es ist nichts gebrochen. Ein paar Tage Schonung und ein bisschen Vorsicht beim Auftreten und alles wird wieder gut!“
„Danke schön“, gab er dem Arzt zurück, der nur noch nickte und dann das Zimmer verließ.
Chris setzte sich vorsichtig in seinem Bett auf und dachte nach.
Er war vor drei Wochen 26 geworden und in der letzten Zeit, praktisch seit seinem Geburtstag, hatte er zunehmend Pech gehabt.
Irgendwie war das schon seltsam. Unmittelbar nach der Geburtstagsfeier mit den Freunden hatte das angefangen. Da hatte ihn ein Betrunkener angerempelt und zur Seite gestoßen, in die einzige Pfütze, die es dort gegeben hatte.
Dann war ein paar Tage später sein Briefkasten explodiert, weil wohl ein paar Kinder mit Blitzknallern gespielt hatten, es hatte einen Wasserrohrbruch in der leerstehenden Wohnung über ihm gegeben und durch den Wasserguss war sein Rechner zerstört worden.
Der neue PC war dann nach ein paar Tagen erneut kaputtgegangen. Und dann hatte der Monteur, der den Wasserschaden repariert hatte, auch noch seine Tür beschädigt.
Das Chaos in der Wohnung hatte er erst vor zwei Tagen wieder bereinigen können und jetzt kam zu allem Übel auch noch eine fliegende Mülltonne dazu!
Wenn es etwas nützen würde, dann würde er sich jetzt irgendwo verkriechen, aber dem Schicksal konnte man wohl kaum entgehen. Vermutlich nicht mal in einer tiefen Höhle irgendwo in einem Berg!
Ächzend schwang er seine Beine aus dem Bett, denn er wollte auf die Toilette, aber die Kabel hinderten ihn gerade daran, das Bad aufzusuchen.
Davon musste er sich erst mal befreien, doch das ging wohl nicht alleine. Daher blieb ihm als einzige Möglichkeit noch, sich von einer Schwester die Geräte abmachen zu lassen.
Er zog die Ruftaste an sich und drückte den roten Knopf.
Es dauerte keine Minute, da öffnete sich die Tür und eine der Schwester steckte ihren Kopf durch den Türspalt herein. Sie war ziemlich hübsch und sicher noch keine achtzehn, vermutlich eine Praktikantin.
„Ich müsste mal auf die Toilette. Könnten Sie mir bitte die ganzen Schläuche abmachen?“, fragte er sie.
„Ähm, das kann nur die Schwester. Das dauert noch ein paar Minuten. Ist es eilig?“, entgegnete sie.
„Irgendwie schon“, erwiderte er, damit sie sich eventuell beeilen würde, um die Schwester zu holen.
„Dann bringe ich ihnen schnell die Nachtpfanne“, erklärte sie und verschwand.
So war das irgendwie nicht gedacht gewesen. Seufzend legte er sich zurück und wartete.
Es dauerte ein paar Minuten, dann kam die junge Schwester zurück und hielt ihm den seltsam aussehenden Nachttopf hin.
„Schaffen sie es alleine? Oder soll ich ihnen helfen?“, fragte sie.
Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt!
„Nein, alles gut. Stellen Sie es einfach hier hin“, gab er ihr zurück.
Sie lächelte und stellte den Nachttopf neben ihm auf dem Bett ab. Offenbar wartete sie jetzt aber neben ihm, dass er damit fertig war.
Und seine Blase begann gerade zu drücken.
Jeder andere Mann hätte sich sicherlich gefreut, wenn ihm eine junge hübsche Schwester an die Hose gegangen wäre, wobei er die ja momentan nicht mehr anhatte, sondern nur einen seltsamen Kittel trug, der auch noch hinten geschlossen war und damit das Pinkeln noch zusätzlich erschwerte.
„Könnten sie sich bitte umdrehen“, stieß er gepresst aus, als es nicht mehr anders ging.
Abermals verstehend lächelnd drehte sie sich um, er schlug die Bettdecke zurück und versuchte in den Napf zu treffen, was in einer seitlich liegenden Position gar nicht so einfach war.
Und mit ihr vor dem Bett wollte es wohl auch nicht so richtig gehen.
„Verdammter Mist“, stöhnte er auf.
Und genau in dem Moment, als es endlich zu laufen begann, drehte sich die Pflegerin um, um ihm wohl dabei zu helfen.
Wenn man schon mal eine Pechsträhne hatte, dann aber richtig!
Er fügte sich in sein Schicksal, ließ einfach laufen, während die Schwester den Napf hielt und ihm dabei zusah.
Sie machte das sicherlich ein paar Mal am Tage, aber er eben nicht. Es war ihm hochgradig peinlich und dennoch konnte er an dieser misslichen Lage im Moment überhaupt nichts ändern.
Als sie endlich gegangen war, legte er sich zurück. Und erneut grübelte er. Wie konnte man wohl eine Pechsträhne beenden? Und was hatte sie bei ihm ausgelöst? Oder war alles nur Zufall gewesen?
Das Handy piepste vom Nachttisch und er zog es zu sich. Mit einer E-Mail sendete ihm der Monteur die Rechnung für die Behebung des Wasserschadens, obwohl das eigentlich Sache des Vermieters der anderen Wohnung war.
Und wie sich das so gehörte, war der gerade telefonisch nicht zu erreichen!
Chris zog die Decke über den Kopf und war wieder das kleine Kind, das in dieser Art das Übel der Welt von sich fern gehalten hatte.
Aber das würde nicht lange funktionieren.
Irgendwann würde er dieses Bett wieder verlassen müssen!
Nele lehnte sich entspannt zurück, blickte aus dem Fenster des Flugzeuges und sah die kleinen Wolken neben sich, die offenbar dieselbe Richtung hatten, wie der schnelle Silbervogel.
Am Morgen war sie in Tokyo abgeflogen und dieser Flug würde etwa fünfzehn Stunden dauern, danach noch mal ein paar Stunden mit der Bahn bis zu ihrem noch fernen Ziel.
Der Auftrag des Onkels war klar: Sie sollte nichts auskundschaften, sondern den Sohn eines Freundes ihres Onkels beschützen. Personenschutz also, was nicht wirklich das war, wofür sie in all den Jahren ausgebildet worden war.
Es war wohl der Verzweiflung des Freundes geschuldet, dass er auf sie gekommen war.
Momentan trug sie eine elegante Kombination aus Rock und Bluse. Ganz die vornehme Businessfrau, war sie tief in ihre Rolle eingetaucht.
Irgendwie ging es wieder heim.
Vor Jahren war sie das letzte Mal in Deutschland gewesen: bei der Beerdigung ihrer Großmutter, mit ihrer Tante zusammen.
Seit damals hatte sie einen deutschen Pass und, da es das Haus der Großmutter noch gab, dort auch eine Bleibe und eine Wohnanschrift.
Das Haus war seit fast sechs Jahren verlassen, aber eine Nachbarin kümmerte sich um alles. Und wenn man es so wollte, so war es wohl eine Rückkehr zu ihren Wurzeln.
Ein paar Tage zuvor hatte sie noch gefragt, was werden würde, aber da hatte sie nicht mal ansatzweise daran gedacht, dass sie ihr Weg wieder zum Anfang zurückbrachte.
Nach der Ansicht ihres alten Zen Meisters lief alles in Kreisen ab und eventuell war das jetzt auch der Fall.
Es war ihr Elternhaus, das sie damals mit den Eltern und der Großmutter bewohnt hatte, dann war da dieser schreckliche Unfall an ihrem zwölften Geburtstag geschehen. Die Großmutter war am Tode der Tochter zerbrochen und sie selbst völlig traumatisiert durch das Erlebte gewesen.
Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus hatte ihre Tante sie daher mit nach Japan genommen.
Und jetzt führte sie ihr Weg wieder zurück.
Nele wischte die dunklen Erinnerungen aus und konzentrierte sich auf ihren Auftrag.
In Gedanken ging sie noch einmal alles durch. Der Freund ihres Onkels und ihrer Tante hatte zusammen mit ihnen studiert und war jetzt Politiker geworden.
Aus irgendeinem Grunde war er wohl mit irgendwelchen dubiosen Geschäftsleute aneinandergeraten und die hatten offenbar Verbindungen zum organisierten Verbrechen und die schreckten wohl nicht davor zurück, ihn über seinen Sohn zu erpressen.
Ihre Aufgabe würde es sein, diesen Sohn zu beschützen und gleichzeitig etwas über die Hinterleute dieses perfiden Planes zu erfahren.
Warum der Mann nicht einfach zur Polizei ging, erschloss sich ihr zwar nicht, aber eventuell hatte er in seiner Panik nur diesen Ausweg gesehen und ihren Onkel um diesen Gefallen gebeten.
Damit war sie also jetzt auf dem Weg.
Ihre Zielperson war 26, ein Computerfreak und wohl auch noch etwas menschenscheu. Es wäre wahrscheinlich kein Problem, unbemerkt in seiner Nähe zu bleiben, denn solche Männer dachten nur in Bits und waren daher mitunter im öffentlichen Leben hoffnungslos verloren.
Der zweite Teil ihrer Aufgabe war da schon schwieriger. Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen bargen da ein gewisses Gefahrenpotenzial in sich. Ziemlich leicht konnte man da irgendwo für immer verschwinden. Zumal sie auch noch kaum einen Anhaltspunkt hatte, wo sie suchen sollte.
Sie zog ihr Handy heraus und suchte das Bild ihres zukünftigen Schützlings heraus. Das Foto war zwar schon ein paar Jahre alt, aber so stark veränderte man sich als Erwachsener nicht mehr.
Die Aufnahme zeigte einen typischen Mann, der seit Jahren nur noch vor dem Bildschirm gesessen hatte. Schmächtig, kurze verwuschelte dunkelblonde Haare und einen scheuen Blick.
Sie hatte nur seine derzeitige Adresse und sonst nichts. Ein bisschen wenig, aber das machte die Sache nur noch spannender für sie.
Als nächstes konzentrierte sie sich auf seinen Vater. Nachdem sie den Namen in die Suchmaschine eingegeben hatte, spuckte das Handy eine Reihe von Zeitungsartikeln aus. Wenn sie das Ganze richtig verstand, dann war er ein ziemlich hohes Tier im Amt und für das Bauwesen in ihrer ehemaligen Heimatstadt zuständig.
Damit war zu vermuten, dass ihr Auftrag und sein Ärger wohl mit irgendeinem Gebäude oder Grundstück zu tun hatte.
Mitunter steckten hinter scheinbar seriösen Baufirmen auch nur Briefkastenfirmen, die schmutziges Geld wuschen.
In ihre weiteren Recherchen vertieft verging der Flug, schließlich ertönte das Signal, das Anschnallzeichen blinkte auf und das Flugzeug setzte zur Landung an.
Kurz darauf ging eine edel gekleidete Karrierefrau auf die Toilette des Flughafens und wenige Minuten später erschien eine sportliche junge Frau mit kurzen blonden Haaren und einer großen Sonnenbrille auf der Nase wieder von dort.
Zwar wusste niemand, dass sie auf dem Weg war, aber man musste immer seine Spuren verwischen!
Gelassen schlenderte sie zum Bahnsteig, fuhr mit der Rolltreppe hinab und gönnte sich einen Kaffee an einem Imbissstand.