Im Schatten des Regenbogens - Uwe Goeritz - E-Book

Im Schatten des Regenbogens E-Book

Uwe Goeritz

0,0

Beschreibung

"Im Schatten des Regenbogens" Altersfreigabe: ab 16 Jahre In den Wirren des Bauernkrieges im Jahre 1525 gerät die junge Gräfin Barbara zwischen alle Fronten. Von einem Bauernhaufen aus ihrem Schloss geraubt, überlebt sie nur mit Glück und muss sich den Umständen beugen, um auch weiterhin ihr Leben zu behalten. Der Not gehorchend bleibt sie unter den Bauern und erst dadurch erkennt sie deren schweres Los. Ihr Mann Fridolin kämpft derweil auf der anderen Seite mit den Landsknechten gegen die Aufständischen. Wird es ihm gelingen, seine Frau zu befreien? Und wird sich Barbara von ihm noch befreien lassen, nachdem sie das Leben der Bauern gesehen und erlebt hat? Zwischen ihrem Mann und dem Führer des Bauernhaufens gefühlsmäßig hin- und hergerissen muss Barbara eine Entscheidung treffen: für oder gegen die Liebe ihres Lebens. Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 413

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Im Schatten des Regenbogens

Auf dem Weg

Keine Wahl!

Mägdewege

Ein goldener Käfig

Der Preis der vollen Schüssel

Augenblicke

Erinnerungen

Magd unter Mägden

Der friedlichsten Menschen einer

Ein Schatten

Kreuz und Schwert

Magd und Knecht

Erwachsene oder Kinder

Glaubensstreit und Pferdefragen

Ein Freundschaftsdienst

Hochzeitsfreud und -leid

Der letzte Tropfen!

Wut und Zorn

Liebe und Hass

Demütigungen

Ein Höllenleben

Gesät und kaum etwas geerntet

Pilgerwege

Ein Ruf zu den Waffen

Der Zorn Gottes

Ein steiniger Weg

Neue Ängste

Auge um Auge

Rachepläne

Rettung im letzten Augenblick?

Eine gottlose Tat

Nacht der Schrecken

Vergebung?

Die richtige Entscheidung?

Freundinnen

Flucht unter den Regenbogen

Auf der Jagd

Mauleselpfade

Maisonne

Bauernleben

Ein Blick zurück

Nächtliche Ängste

Verfluchte Gedanken

Wege übers Land

Ein Schatz, so wertvoll wie Gold!

Im Zweifel für die Liebe

Das Schwert des Friedens

Eine besondere Nacht

Dunkle Gedanken

Nähe und Geborgenheit

Im Zeichen der Gewalt

Dem Tode so nah!

Eine neue Flucht

Ziellos unterwegs

Ein Blutrichter

Glückliche Tage

Sommersonnenwende

Erntemond

Freundschaft oder Liebe?

Ängste, Nöte und Freuden

Ein schwerer Entschluss

Mann oder Frau?

In Eisen gefasst?

Gerechter Handel?

Nymphen am See

Weites Land

Verzweifelte Suche

Am Ende des Weges

Winterwind

Schreie in der Nacht

Das Glück der Erde............................................................

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Im Schatten des Regenbogens

I n den Wirren des Bauernkrieges im Jahre 1525 gerät die junge Gräfin Barbara zwischen alle Fronten. Von einem Bauernhaufen aus ihrem Schloss geraubt, überlebt sie nur mit Glück und muss sich den Umständen beugen, um auch weiterhin ihr Leben zu behalten. Der Not gehorchend bleibt sie unter den Bauern und erst dadurch erkennt sie deren schweres Los.

Ihr Mann Fridolin kämpft derweil auf der anderen Seite mit den Landsknechten gegen die Aufständischen. Wird es ihm gelingen, seine Frau zu befreien? Und wird sich Barbara von ihm noch befreien lassen, nachdem sie das Leben der Bauern gesehen und erlebt hat?

Zwischen ihrem Mann und dem Führer des Bauernhaufens gefühlsmäßig hin- und hergerissen muss Barbara eine Entscheidung treffen: für oder gegen die Liebe ihres Lebens.

Die handelnden Figuren sind zum großen Teil frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel Auf dem Weg

Schier endlos zog sich der steinerne Weg durch das flache Land. Zu beiden Seiten wurde er von goldgelben Äckern gesäumt, die sich nach der Erntezeit sehnten. Kleine verschlafene Dörfer reihten sich gelegentliche wie Perlen an diesem Weg auf, als hätte man sie auf eine Schnur gefädelt.

In der Hitze des Mittags verließ nur der seine Hütte, der es wirklich musste und nur selten hob einer der verschlafenen Hofhunde mühsam seinen Kopf, wenn ein Reiter an ihm vorbeieilte.

Es war der Sommer im Jahre des Herrn 1524 und zusammen mit ihren Eltern hatte sich die achtzehnjährige Gräfin Barbara von Schleinitz - Eulau in einer Kutsche auf den Weg gemacht, um ihren zukünftigen Mann zu treffen.

Schon seit Tagen waren sie im Wagen von Dresden in das Mansfelder Land unterwegs.

Grübelnd blickte Barbara aus dem Fenster und sie fragte sich unentwegt, warum die Eltern sie so weit von ihnen fortgeschickt hatten, denn damit würde sie vermutlich ihre Mutter Gwendolyn auf der Hochzeit das letzte Mal sehen. Hätte sie nicht auch in Meißen einen passablen Mann für sich finden können? Da wäre der Abstand von Mutter und Freundinnen nicht ganz so groß.

Die Stimmung war deswegen auch ziemlich gedrückt zwischen den beiden Frauen.

Der Vater hatte ihr beim Aufbruch gesagt, dass die Reise fünf Tage dauern würde und vier davon hatten sie bereits hinter sich.

Seit dem Aufbruch am Morgen konnte sie die Hügel des Harzes in der Ferne erkennen.

Bisher hatte sie in ihrem Leben nur die Gegend rund um Dresden gekannt und die war, von ein paar kleinen Hügeln mal abgesehen, eher flach gewesen.

Derzeit fuhren sie durch einen Wald. Sie blickte staunend aus dem Fenster zur Seite und konnte die hohen Wipfel der Bäume vom Wagen aus kaum über sich erkennen.

Barbara ließ somit wohl die Zivilisation hinter sich und ihre Reise näherte sich langsam ihrem Ende.

Nur ihr Vater kannte den Mann, für den sie als Braut vorgesehen war. Graf Fridolin entstammte der Linie der mächtigen Grafen von Mansfeld, war aber nur der dritte Sohn und würde damit sicher nur ein kleines Stückchen Land besitzen. Großer Reichtum war da wohl kaum zu erwarten.

Die mitgeführte Mitgift war ansehnlich und befand sich hinten an der Kutsche in einer Kiste. Darin waren Kleider, Schmuck und natürlich viele Goldstücke.

Viel wusste sie noch nicht von Fridolin, nur, dass er über zehn Jahre älter als sie war. Doch das war ja normal. Die Männer waren immer älter, als die Frauen. Manche heirateten sogar mehrmals hintereinander, da die Frauen oft bei den Geburten starben, selbst in so hochgeborenen Kreisen, wie sie es nur kannte.

Niemand hatte ihr gesagt, warum sie gerade hier hin sollte und keiner würde es ihr erklären. Vielleicht gab es dafür keine Erklärung oder es ging einfach nur um die Verbindung ihrer Familie mit der viel mächtigeren der Grafen von Mansfeld.

Sie selbst war da nur ein kleines Licht und von klein auf dazu erzogen worden, zu folgen und zu gehorchen. Also würde sie sich in ihr Schicksal fügen.

Gedankenverloren spielte sie mit den Fingern in ihren langen braunen Haaren, die in ein paar Tagen, nach der Hochzeit, wohl unter der Haube verschwinden würden. Zumindest dann, wenn sie das Haus verließ.

Neue Fragen kamen hoch: Wo würde sie wohnen? In einer Burg? Einem Schloss oder einem Rittergut? Auch das hatte ihr bisher noch niemand bekannt gemacht.

Das hoppelnde Gefährt verließ den Wald, war jetzt auf einer holprigen Straße unterwegs und wenn es nach der Qualität der Wege ging, dann wurde die Gegend immer schlechter. Das ließ gerade ihre Hoffnung auf ein schönes Zuhause rapide sinken.

Eine einstmals blühende Landschaft mit Bergwerken und einer ertragreichen Landwirtschaft war es gewesen. Das hatte ihr die Mutter aus einem Buch vorgelesen, doch das war schon hundert Jahre alt gewesen. Die Straße sprach nicht dafür, aber die fruchtbaren Felder gab es offensichtlich noch.

Barbara wurde momentan regelrecht durchgerüttelt und schaute ihre Mutter fragend an. Gwendolyn winkte allerdings nur ab, denn antworten hätte sie jetzt sowieso nicht gekonnt.

Sie fuhren am Waldrand dahin und aus dem Fenster heraus schaute Barbara auf die Gegend. Sie saß mit dem Rücken zum Kutscher und hatte damit links den Wald und rechts die wogenden Felder.

Das soeben von ihrer Kutsche passierte Dorf machte keinen guten Eindruck auf sie. Schmutzige Katen und Hütten konnte sie erspähen. Solche zum Teil halb zerfallene Gehöfte kannte sie nur aus den Schilderungen ihrer Großmutter Johanna.

Magere Kühe sah sie auf dürftigen Wiesen. Zerlumpte Bauernkinder, die am Rande des Weges mit Steinen spielten, wenn sie nicht gerade auf den Feldern schufteten.

Über all das glitt ihr Blick, aber er blieb nicht daran haften.

Bisher waren ihr Mühsal und Arbeit erspart geblieben und nach dem Willen ihrer Mutter sollte das auch weiterhin so bleiben.

Ihre Finger ertasteten das kleine goldene Kreuz um ihren Hals. Am vorletzten Sonntag war sie noch in Dresden im Gottesdienst gewesen, am letzten unterwegs. Jetzt war es Dienstag und am Ende dieser Woche würde sie schon heiraten.

Die Grafen von Mansfeld waren glühende Verehrer der Lehren von Luther1 und damit würde Barbara ihren evangelischen Glauben wohl behalten dürfen.

Der Wagen bog ab und fuhr in einen Waldweg hinein. Die Bäume kamen immer näher und nicht nur Barbara rückte ein Stück vom Fenster fort.

Auch Gwendolyn rutschte ihr gegenüber näher an Barbaras Vater heran.

Die dichten und dunklen Wälder waren nicht so nach dem Geschmack von Mutter und Tochter, doch der Weg führte nun einmal hier entlang.

Beide atmeten deutlich auf, als der Wald passiert war, die Kutsche abbremste und sie sich damit wohl endlich dem Ziel näherten.

Barbara drehte den Kopf und konnte einen Blick auf die Kante eines schmucken Baues erhaschen. In der Einfahrt zu diesem Schloss stand ein Karren, wodurch die Kutsche zuerst halten musste. Der Bauer führte zwei müde Ochsen und die beiden Tiere zogen das Fuhrwerk, welches leer war und sicher gerade die Abgaben gebracht hatte.

Barbara erhaschte einen kurzen Blick in das mürrische Gesicht des Bauern und darin blitzen dessen Augen kurz auf, bevor der alte Mann sich fort drehte.

Nachdem der Karren sie passiert hatte, ruckte die Kutsche wieder an. Nur Augenblicke später stoppten sie und danach wurde die Wagentür von außen geöffnet.

Zuerst stieg der Vater aus und schaute sich um. Ihm folgte die Mutter und diese reichte dann ihr die Hand.

Sie betrat den gepflasterten Hof, als die Diener hinter der Kutsche die Kiste gerade abgeladen hatten.

Barbaras Blick wanderte zu dem Haus, das in Zukunft ihr Zuhause werden würde.

Es war ein durchaus prachtvolles, großes und dreistöckiges Anwesen, mit bunt bemalten Wänden und nur einer niedrigen Mauer darum herum. Ein wirklich imposantes Gebäude, welches sie in dieser Form hier niemals erwartet hätte.

Selbst in Dresden gab es wohl nur wenige so vortreffliche Herrenhäuser, wie dieses hier.

Suchend ging ihr Blick umher. Wo war ihr zukünftiger Gemahl? Nahm er sie nicht in Empfang?

Schließlich sah sie einen vornehm, nach der neuesten Mode, gekleideten Mann aus dem Schloss treten.

Bunte Schleifen und Bänder zierten sein Wams. Er war stattlich gebaut und gut genährt. Das konnte nur Graf Fridolin sein.

Ihr Vater ging auf ihn zu und die beiden Männer begrüßten sich mit einer kurzen Ehrbezeugung.

Barbara schlug die Augen nieder und machte einen tiefen Knicks, in dem sie vor ihm verharrte.

1 Martin Luther (10. November 1483 - 18. Februar 1546), war ein Augustinermönch und Theologieprofessor, der zum Urheber der Reformation wurde.

2. Kapitel Keine Wahl!

Kaspar fuhr sich mit der Hand durch das kurze blonde Stoppelhaar und schaute seinen Vater fragend an. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was der alte Mann gerade eben gesagt hatte.

„Und du bist dir sicher, dass du dich nicht verhört hast?“, erkundigte er sich und hoffte, dass der Vater einlenken würde, doch der grauhaarige Mann schüttelte den Kopf und ließ sich ächzend neben ihn auf die Bank fallen.

„Der Dorfmeier hat es genau mit diesen Worten verkündet!“, entgegnete der Bauer und stütze seinen Kopf in die Hand.

Kaspar überschlug die Rechnung in Gedanken, dann hieb er mit der Faust auf den Tisch.

„Wenn der Graf die Abgaben so sehr erhöht, dann bleibt uns kaum noch etwas zum Leben übrig!“, entfuhr es ihm wütend.

„Ich weiß! Wir haben hier fünfzehn Mäuler zu stopfen!“, antwortete ihm der Vater und sah verbittert aus.

„Ich hätte nicht übel Lust, alles hinzuschmeißen und nach Magdeburg zu gehen!“, sagte Kaspar und setzte hinzu: „Dort könnte ich als Schreinergeselle oder bei einem Tischler unterkommen und hätte nicht diesen Ärger hier!“

„Du kannst nicht gehen!“, erklärte der alte Bauer und ergänzte sofort: „Du musst den Hof weiterführen! Der ist seit zehn Generationen im Besitz der Familie! Das ist unser Grund! Und Achim ist noch viel zu jung, um ihn zu führen. Bis er so weit sein könnte, bin ich zu alt und gebrechlich!“

„Dann müssen wir eine andere Lösung finden. Fünfzehn Mäuler sind zu viel!“, entgegnete Kaspar und stellte sich die Familie vor. Mutter, Vater, zwei Schwestern, der kleine Bruder, vier Knechte und fünf Mägde umfasste sein erweiterter Hof.

Bis vor wenigen Jahren hatten sie damit ein gutes Auskommen gehabt und was war jetzt? Abermals schlug er mit der Faust auf den Tisch.

„Ich kann weder auf die Knechte, noch auf die Mägde verzichten!“, erklärte er, denn eigentlich führte Kaspar bereits den Hof, obwohl der Vater diesem noch offiziell vorstand.

„Was stellst du dir vor? Sollen Mutter und ich gehen?“, blaffte ihn der Vater an und rieb sich den grauen Bart. Gedankenverloren setzte der alte Mann dann hinzu: „Bei der Abgabe sind wir dann im Januar sowieso alle verhungert!“

Beide Männer sahen betreten vor sich auf den alten Holztisch. So viele Entscheidungen waren in den letzten zweihundert Jahren schon hier getroffen worden und jetzt war eine neue fällig. Eine schwerwiegende!

Wie konnte der Hof weiterexistieren?

Schweigend erhob sich Kaspar und ging zum Herd hinüber. In den Flammen des Herdfeuers erhoffe er sich, eine Antwort zu finden. Er teilte die Arbeit durch die Anzahl der Köpfe und egal wie lange er darüber nachdachte, es blieb nur eine Lösung übrig: Mägde gegen Schwestern, Knechte gegen den Bruder!

Ohne Mägde und Knechte war die Arbeit allerdings einfach nicht zu schaffen.

Diese Abwägung war so fürchterlich und dennoch unvermeidbar.

„Wir sollten alle an den Tisch holen! Diese Frage duldet keinen Aufschub!“, legte Kaspar schließlich fest.

Der Vater nickte ihm müde zu.

Wenig später saß die ganze Familie am Tisch und blickte ihn fragend an, denn es kam nur sehr selten vor, dass alle am Mittag hier in der Küche des Bauernhofes versammelt waren.

Ächzend erhob sich Kaspar, sah den Vater an, der ihm zunickte, und begann seine Erklärung: „Der Graf hat die Abgaben des Gehöftes erhöht!“

Für einen Moment blickte er von Gesicht zu Gesicht, dann setzte er fort: „Die Arbeit bleibt dieselbe, aber ich kann nicht alle von euch durch den Winter bringen.“

Ein Gemurmel ging durch die Anwesenden. Schnell hob er die Hand und ließ sie verstummen.

Händeringen suchte er eine Fortsetzung seiner Worte und sondierte wieder in den Augen des Vaters, danach blickte er zu seinen beiden Schwestern.

„Kloster oder Heirat!“, sagte er zu ihnen und sah, wie beide zusammenzuckten.

Danach schaute er zu seinem zehnjährigen Bruder und ließ ihm nur eine Wahl: das Kloster!

Stumm nickte Achim und nahm sein Schicksal klaglos an.

Anders sahen das wohl die beiden Schwestern.

Er ließ ihnen noch etwas Zeit und sagte deshalb zu den Mägden und Knechten: „Auf eure Mithilfe kann ich nicht verzichten!“

Schließlich entließ er die Familie wieder zu ihnen Arbeiten.

Nur er und der Vater blieben in dem Raum zurück.

„Warum deine Geschwister?“, erkundigte sich der alte Mann und sah ihn fragend an.

Kaspar ließ sich auf die Bank fallen und entgegnete ihm: „Ich kann die Mägde und Knechte antreiben. Sie sind Arbeitskräfte, aber ich kann doch weder Gisela noch Achim oder erst recht nicht Ruth anschreien und zur Arbeit antreiben. Und auf das Anschreien wird es demnächst hinauslaufen! Außerdem ist es in der Not dann einfacher, schnell eine Magd zu entlassen, als für eine der Schwestern einen Mann zu finden!“

Der Vater nickte müde und setzte hinzu: „Da hast du wohl richtig überlegt!“

Mit traurigen Augen schaute er zu ihm herüber.

„Aber es reicht höchsten für eine Mitgift. Was wird, wenn beide heiraten wollen?“, fragte der alte Mann.

„Da sei Gott vor!“, entgegnete Kaspar und sah zum Feuer hinüber.

Deswegen hatte er ihnen ja diese Wahl gelassen. Doch das Kloster wollte auch eine Mitgift haben, wie ihm jetzt gerade in diesem Moment einfiel.

„Es geht nicht!“, erklärte er gepresst und der Vater nickte.

Schweigend sahen sie wiederum vor sich hin.

Es dauerte eine Weile, bis Kaspar aufstand und sagte: „Ich gehe an die Arbeit. Vielleicht fällt mir dabei eine Lösung ein!“

Nach ein paar Augenblicken stand er mit der Mistgabel im Stall und wich Ruths Blick aus.

Die siebzehnjährige Schwester molk momentan zusammen mit der Mutter die fünf Kühe. Sie war ein Jahr jünger, als er und hatte sich sicherlich noch nie Gedanken um ihr Zukunft gemacht, zumindest sagte das ihr Blick, mit welchem sie ihn musterte.

Nur eine von beiden konnte heiraten. Eigentlich nur Ruth, zu der er jetzt hinübersah.

Gisela war vor einem Monat sechzehn geworden und für sie war einfach keine Aussteuer mehr übrig! Damit kamen weder Kloster noch Heirat für sie infrage! Was war also zu tun?

Soeben sah er die Schwester aus dem Schweinestall kommen, Hand in Hand mit einer Magd. Sie machte doch hier schon die Arbeit einer Magd, aber er wollte sie nicht irgendwohin als Dienstmädchen geben. Oder doch?

Ein neuer Gedanke blitze durch Kaspars Kopf: Wenn der Graf schon daran schuld war, dann sollte er doch diesen Fehler auch wieder korrigieren!

Er warf die Mistgabel in die Ecke, trat auf den Hof und winkte die Schwester zu sich.

3. Kapitel Mägdewege

Gisela strich sich eine vorwitzige Haarsträhne hinter ihr Ohr. Der Gesichtsausdruck ihres Bruders sagte eigentlich alles aus. Gerade eben war sie noch mit Martha, der alten Magd, im Schweinestall gewesen und jetzt hatte ihr Bruder sie mitten auf dem Hof gestoppt.

Fragend blickte sie ihn an und bemerkte die Verzweiflung in seinen Augen.

„Es reicht nicht für die Mitgift? Oder?“, fragte sie und strich sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.

Wie von ihr erwartet, nickte Kaspar.

„Und was jetzt?“, befragte sie ihn.

Würde sie im Hause bleiben können? Gedankenverloren schweifte ihr Blick über das Haus, zwei Scheunen und drei Ställe, die das Gehöft bildeten.

Bisher war sie nie länger als einen Tag von hier fort gewesen, seit sie sich zurückerinnern konnte und offenbar kam jetzt ein Abschied auf sie zu.

Nicht, dass sie es nicht erwartet hätte, aber dass dieser schon so bald kam, das war ihr bis gerade eben nicht bewusst gewesen.

Hinter Kaspar trat Ruth aus dem Kuhstall und schaute zu ihnen herüber.

Noch immer sah Kaspar sie zweifelnd an. Es schien ihm sichtlich schwerzufallen, ihr seine Entscheidung zu verkünden. Blieb ihr nur das Kloster, aber damit hatte sie sich schon fast abgefunden. Die Arbeit dort war dieselbe, die sie schon seit Jahren auf dem Hof machte. Nur die Kleidung würde sich dabei ändern.

„Also? Welches Kloster?“, fragte sie ihn daher fordernd und sah ihn den Kopf schütteln.

„Das Geld reicht nur für Ruth!“, entgegnete er und schaute über die Schulter zu der anderen Schwester zurück, die jetzt, nach der Nennung ihres Namens, zu ihnen trat.

„Auch das Kloster beansprucht eine Mitgift. Du wärest ja dann eine Braut Christi, aber es reicht eben nur für eine von euch beiden.“

Ruth trat neben sie und sie warteten beide auf die Entscheidung des Bruders.

Eigentlich hatte damit nur Ruth die Chance einer Wahl. Für sie würde es keine geben.

„Raus mit der Sprache!“, sagte Ruth jetzt und fasst sie bei der Hand.

„Der Graf hat uns diese Suppe eingebrockt und er muss sie auch auslöffeln“, antwortete Kaspar und machte es damit nur noch rätselhafter.

Nach einer kurzen Pause setzte er fort: „Ich habe heute früh auf dem Schloss in der Küche gehört, dass dort noch eine Magd gesucht wird.“

„Und da würdest du sagen, dass das genau die Position ist, auf die ich gehöre?“, fragte Gisela zweifelnd.

Grübelnd blickte sie Kaspar an und durch ihn hindurch. Eine Magd auf dem Schloss? Vielleicht nicht ganz so schlecht, wie in ein Kloster zu gehen. Nur ein einziges Mal war sie mit dem Vater im Herrenhaus gewesen. Sie konnte sich allerdings noch gut an den prunkvollen Bau erinnern, auch wenn sie nur die Küche von innen gesehen hatte. Doch da wäre ja auch ihr Platz als Magd.

Kaspar deutete ihr Zögern wohl als Ablehnung, daher setzte er als Erklärung nach: „Ich würde dich ungern als Magd bei einem Bauern sehen, denn schließlich bist du die Tochter eines Bauern und hättest Besseres verdient.“

Gisela fiel ihm ins Wort: „Soll ich noch heute aufbrechen? Oder morgen?“

Jetzt sahen ihre beiden Geschwister sie verwundert an, daher fügte sie hinzu: „Magd im Hause des Grafen ist so schlecht nicht!“

Kaspar nickte erleichtert und entgegnete: „Vielleicht schon heute. Ich habe heute früh davon erfahren. Nicht, dass die Stelle morgen bereits besetzt ist!“

Augenblicklich schien er auf Eile zu drängen.

Gisela nickte und lief in das Haus zurück.

Ihre paar Habseligkeiten waren geschwind gepackt. Kleidung würde sie dort erhalten und was brauchte sie schon mehr? Nur den Kamm mit dem beinernen Griff, der diese wundervolle Schnitzerei aufwies, und ihr wertvollster Besitz war.

„Fertig!“, rief sie nach ein paar Augenblicken, dann trat sie auf den Hof und es begann die Verabschiedungsrunde.

Vierzehn lieb gewordene Menschen wollten verabschiedet werden. Die Umarmungen waren lang und innig. Und tränenreich bei Mutter, Martha und der Schwester.

Mit einem Päckchen Verpflegung als Wegzehrung wanderte sie schon kurz darauf zügig zum Schloss.

Der Weg betrug zu Fuß nur eine knappe Stunde und so folgte sie einfach dem Pfad, der sich durch das Land schlängelte. Vorbei an fruchtbaren Äckern, die im vollen Korn standen. Durch kleine Waldstücke und über ein paar Bäche, über die Brücken führten.

Der Pfad war durch die Ochsenkarren der Bauern ausgefahren. Tiefe Rillen hatten die Räder in den Weg gegraben und nur in der Mitte konnte man einigermaßen normal gehen, doch dort stand das Gras fast kniehoch. Es kitzelte Giselas Beine, die der halblange Rock bis zur Wade freiließ.

Nach der Hälfte des Weges erfrischte sie sich in einem Bach, denn schließlich hatte ihr hektischer Aufbruch ihr keine Zeit zur gründlichen Körperpflege gelassen. Und mit dem Geruch nach Schweiß und Schweinestall würde sie im Schloss höchstens noch Aschenmagd werden können.

Bis zum Knie im kühlen Wasser stehend, im ärmellosen, leinenen Unterkleid, wusch sie sich daher besonders gründlich. Die Mutter hatte ihr anscheinend extra dafür einen Würfel Kräuterseife in den Beutel getan.

Wenig später roch sie wie eine Wiese im August und machte sich beschwingt und singend auf den weiteren Weg.

Voraus gingen ihre Gedanken. Was würde werden?

War die Stelle schon besetzt? Wenn ja, was blieb ihr dann? Zurück zum elterlichen Hof würde sie jedenfalls nicht mehr gehen, denn sie wollte dort niemanden zur Last fallen.

Endlich konnte sie die Fassade des herrschaftlichen Hauses hinter einer niedrigen Mauer sehen. Stolz stand das eindrucksvolle Gebäude dort inmitten von hohen Bäumen.

Nachdem Gisela das Tor in der Mauer durchschritten hatte, befand sie sich auf dem Vorhof und dort wandte sie sich nach links, wo sich das unscheinbare Türchen für das Personal befand.

Der geschmückte Eingang an der Front des dreistöckigen Baues war ja nur für die Herrschaft, wie ihr der Vater beim letzten Besuch erklärt hatte.

Mutig klopfte sie an der offen stehenden Pforte zur Küche. Eine dicke, verschwitzte Magd sah zu ihr heraus und fragte: „Was bringst du?“

„Ich habe gehört, ihr sucht eine Magd?“, entgegnete sie geradeheraus.

„Maria“, rief die Magd nach hinten und verschwand in der Tiefe des Raumes.

Eine große Frau in besserer Kleidung trat zu ihr heraus und wiederum erklärte Gisela, dass sie sich als Magd bewarb.

Maria musterte sie ausgiebig und nickte dann, sie gab den Weg frei und Gisela trat ein.

Hinter der Tür wirtschafteten fünf Mägde in der Küche.

„Der Graf heiratet Ende der Woche, da können wir jede Hand gebrauchen“, erklärte Maria und setzte hinzu: „Du weißt aber, dass der Herr Graf auf dem Recht der ersten Nacht besteht?“

„Ich will hier nur arbeiten und ihn nicht heiraten!“, entgegnete Gisela und lachte, doch Marias Gesichtsausdruck ließ sie verstummen.

„Das ist der Preis für eine gute Stelle, immer satt zu essen und sonntags ein Stück Fleisch in der Suppe!“, erklärte die Frau.

Gisela nickte zustimmend und musste trotzdem schlucken.

4. Kapitel Ein goldener Käfig

Fridolin war ihr gegenüber ziemlich aufmerksam, aber er nahm sich dennoch nicht die Zeit, ihr das Schloss zu zeigen. Einer seiner Kammerdiener tat das für ihn und irgendwie fühlte sich Barbara dadurch vernachlässigt und das schon am ersten Tag.

Wie sollte das nur weitergehen?

Gleichzeitig hatte ihr die Mutter auch noch eröffnet, dass sie und der Vater schon am nächsten Tage wieder zurückfahren würden. Sie hatten sie nur gebracht und konnten offensichtlich nicht bis zur Hochzeit bleiben. Wichtige Geschäfte und ein eiliger Brief des Kurfürsten riefen den Vater unverzüglich zurück an den Hof.

Dorthin wäre auch sie gern wieder gegangen, denn hier war alles so trostlos und das schon nach dieser kurzen Zeit! Doch woher kam dieses Gefühl?

Das Schloss selbst war vom Feinsten ausgestattet, was es im Moment gab. Selbst die Kleidung des Grafen war in Paris hergestellt, aber was nutzte ihr das, wenn sie alleine war. Es gab hier keine Gesellschafterin für sie, keinen Freundinnen, nur Dienerschaft!

Gerade saß sie in dem prachtvollen Saal im obersten Geschoss des Schlosses, in einem Sessel, mit dem Blick in den Park, und keiner um sie herum beachtete sie.

Barbara fühlte sich, als wäre sie ein Teil des Sitzmöbels. Ein Gegenstand, hier abgestellt, bis jemand sie brauchte.

Sie hatte sich das irgendwie anders vorgestellt.

Bisher hatte sie in Dresden und Meißen mit ihren Freundinnen die Bälle besucht, war im Schloss des Kurfürsten ein und ausgegangen und jetzt war sie hier. Irgendwo in der Wildnis!

Auf der Herfahrt hatte sie gesehen, dass rings um das Schloss nichts war. Nur Felder und Wälder. Praktisch war sie eine Gefangene hier. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen?

Die Mutter hatte sie noch vor der Abreise gefragt, ob sie das wollte und sie hatte unwissend zugestimmt.

Barbara stemmte sich aus dem Sessel hoch und trat an das Fenster. Dieser Saal konnte sich durchaus mit den Prachtsälen in Dresden messen, aber bei der Aussicht aus dem Fenster bot sich ihr keine Freude.

„Junge Herrin?“, hörte sie eine Frauenstimme hinter sich und wandte sich herum.

Die Mamsell stand hinter ihr, machte einen tiefen Knicks und sagte dann: „Ich kann euch erst morgen eine Zoffmagd geben. Ist das für euch in Ordnung?“

„Ja“, entgegnete Barbara und drehte sich wieder zurück zu dem Fenster, wodurch ihr Blick erneut auf den Wipfeln der Bäume lag.

Es kam ihr in den Sinn, die Mutter zu bitten, sie wieder mitzunehmen, aber sie verwarf diesen Gedanken. Das würde ab jetzt ihr Heim für die nächsten Jahre sein und sie würde sich damit arrangieren müssen.

Ohne dass es jemand bemerkte, ging sie aus dem Raum, stieg die Treppe hinab und trat auf den Platz vor dem Schloss.

Langsam umrundete sie das herrschaftliche Anwesen und schlenderte in Gedanken versunken einen mit Sand bestreuten Weg durch den angrenzenden Park.

Alleine und einsam folge sie der Spur.

Ihr zukünftiger Mann hatte keine drei Sätze mit ihr gesprochen und dabei hatte sie doch so viel von ihm wissen wollen. Nur er konnte doch diese Trostlosigkeit hier für sie irgendwie ertragbar machen.

Am Ende des Weges stand unter einem Baum, vor einem idyllisch gelegenen Teich, eine Bank und Barbara ließ sich seufzend darauf fallen.

Ohne Ziel schaute sie in die Ferne. Nichts hielt momentan ihren Blick bis zum Horizont auf, denn es gab eine Schneise durch den Wald, welche direkt vor ihr lag. Am anderen Ufer dieses Gewässers.

Hufgeräusch riss sie aus ihren Gedanken. Im Sitzen wandte sie sich um und erspähte einen Knecht, der ein wirklich wunderschönes Pferd am Zügel auf dem Waldweg bewegte.

Wenigstens reiten würde sie hier können, um dem betrüblichen Gefängnis ihrer Einsamkeit zu entkommen. Die Weite des Landes vor ihr lud geradezu dazu ein, sich in den Sattel zu schwingen und zu reiten, bis man die Sonne erreicht hatte. Zumindest bildlich.

Barbara erhob sich von der Bank und trat zu dem Knecht. Der Mann verbeugte sich vor ihr, aber sicher wusste er nicht, wer sie war. Nur das kostbare Kleid hatte ihn wohl zu dieser Verbeugung verleitet.

Liebevoll strich sie dem Schimmelhengst über die Nase.

„Ein wirklich schönes Tier!“, bemerkte sie und der Knecht nickte.

„Es ist das Lieblingspferd des Herrn Grafen!“, entgegnete er, vermutlich um die Besitzverhältnisse zu klären.

Dann setzte sie sich zurück auf die Bank und sah dem sich entfernenden Reittier nach. Sie würde den Grafen fragen, ob er ihr diesen wundervollen Hengst zum Ausritt überließ. Ein wenig Hoffnung fiel bei diesem Gedanken in ihre Seele.

Langsam setzte die Dämmerung ein und so machte sich Barbara schließlich wieder auf den Weg zurück zum Schloss.

Als sie den Saal abermals betrat, kümmerte sich niemand um sie. Vermutlich hatte noch nicht einmal jemand bemerkt, dass sie gegangen war und stundenlang irgendwo alleine gesessen hatte.

Unstet ging ihr Blick von einem zum anderen. Die Zoffmagd würde sie auch erst am nächsten Tag bekommen und so war sie an diesem Abend dann wohl auch alleine in ihrem Zimmer, von dem sie momentan noch nicht mal wusste, wo es sich befand.

Die Mamsell trat in den Raum und Barbara winkte sie zu sich.

„Ich möchte in mein Zimmer gehen“, sagte sie.

Die Mamsell machte einen Knicks und zeigte mit der Hand, dass sie ihr folgen sollte.

Zusammen stiegen sie eine Treppe hinab, folgten einem Gang und betraten ein schönes Zimmer und wenn der Ausblick aus dem Raum auf ein anderes Schloss gegangen wäre, dann hätte sie sich darüber sehr gefreut, aber das Fenster zeigte zum Pferdestall!

„Soll ich euch beim Entkleiden helfen?“, erkundigte sich die Magd.

Barbara winkte nur ab.

Obwohl es noch Tag war, streifte sie sich die Kleidung ab, wickelte sich in die Decke und legte sich in ihr Bett. Die Trostlosigkeit der Situation stürzte erneut auf sie ein und da sie alleine war, konnte sie die Tränen laufen lassen.

Es gab niemanden, der daran Anstoß nehmen konnte.

Schließlich machte das Weinen sie müde und ihr fielen die Augen zu. Es war die erste Nacht in ihrem neuen Zuhause und sie fragte sich, was da wohl für Träume kommen würden.

Und sie träumte von diesem wunderschönen Schimmel, den der Knecht am Zügel geführt hatte. Vielleicht war es ja auch ein Zeichen, dass das Fenster genau zum Stall dieses wundervollen Tieres hinausging.

Der Gedanke an das Pferd und die Freiheit in dessen Sattel trockneten die Tränen des Abends. Vielleicht war hier nicht alles verloren.

Dieser goldene Käfig öffnete sich ein kleines Stück und der Schlüssel war dieser herrliche Schimmelhengst.

5. Kapitel Der Preis der vollen Schüssel

B is zum Abendmahl war Gisela noch der Meinung gewesen, dass Maria mit dieser Bemerkung über die erste Nacht nur einen schlechten Scherz gemacht hatte, doch dann stand unmittelbar vor dem Essen einer der Diener in einer prachtvollen Livree vor ihr und überbrachte ihr die Instruktionen für dieses erste Treffen mit dem Grafen.

Die Anweisungen waren einfach und unmissverständlich: Nach dem Beginn der Nacht im Unterkleid, sauber gewaschen und mit gekämmtem Haar in der Mägdekammer auf ihn zu warten.

Jetzt musste Gisela abwägen, ob das Essen wirklich diesen Einsatz wert war. Jungfernschaft gegen einen vollen Bauch.

Doch wenn sie ablehnen würde, so wäre diese erste Nacht im Schloss höchstwahrscheinlich auch schon wieder ihre letzte und daher stimmte sie nickend zu.

Bis dahin hatte ihr dieser erste Tag ganz gut gefallen. Die Arbeit war nicht schwer und in der Küche sangen die Mägde, während sie Gemüse putzten und kochten.

Maria war die Mamsell und stand dem ganzen Personal vor und das war eine gewaltige Menge von Menschen, wie Gisela bei der kurzen Instruktion auf dem Schloss von ihr erfuhr.

Offensichtlich schien Maria einen Narren an ihr gefressen zu haben, denn sie begleitete Gisela persönlich durch alle Räume des riesigen Gebäudes. Von der Mägdekammer im Dachgeschoss, die dort den ganzen Platz unter dem Dach einnahm, bis zum Keller mit der Vorratskammer. Von der Wäscherei im Schloss, wo sich die Mägde abends auch wuschen, bis zum prachtvollen Saal, in welchem demnächst die Hochzeit gefeiert werden sollten.

Wenn sich Gisela nicht verzählt hatte, so waren hier mehr als zwanzig Mägde und sicher noch einmal ebenso viele Knechte in diesem Haus, und darum herum, beschäftigt.

Neben dem Schloss gab es auch noch Scheunen, Ställe und das Haus für die Knechte, welches sich neben einer Scheune befand.

Offensichtlich wurden am Abend Knechte und Mägde räumlich voneinander getrennt.

Beim Abendmahl war das Esszimmer neben der Küche voller Menschen. Ein Geschnatter und Gelächter war in dem Raum, bevor das Essen durch vier Küchenmägde aufgetragen wurde, welches für die Mägde überraschend reichhaltig ausfiel. Die Tischplatte schien sich fast durchzubiegen.

Während der Mahlzeit beugte sich die dicke Ella, die neben Gisela saß, zu ihr herüber, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und erklärte: „Solch eine Schlemmerei gibt es hier nicht immer, aber wir kochen alles für die Feier zur Probe vor und es wäre doch schade, um das gute Essen!“

Ella lächelte und schob sich ein Hühnerbein in den Mund.

Und kurz darauf setzte draußen die Dämmerung ein.

Gisela sprang von ihrem Platz und eilte zur Waschküche hinunter, um sich schnell zu säubern.

An einer der Wände stand eine Reihe von steinernen Trögen, in welchen die Mägde am Tage die Wäsche wuschen. Momentan waren es die Waschtröge für die Mägde.

Gisela streifte sich ihr Kleid ab und wusch sie wiederum im Unterkleid mit der Kräuterseife.

„Deine erste Nacht?“, fragte eine der Mägde, die sich momentan neben ihr einseifte.

Gisela nickte, aber noch immer wusste sie nicht, ob sie das wirklich tun wollte, doch wo sollte sie denn sonst hin?

Die Magd neben ihr beugte sich zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Ein kleiner Tipp für dich: Der Herr Graf möchte beim Beischlaf keinen Ton von dir hören.“

Gisela nickte und entgegnete: „Danke!“

Wie vornehm das hier zuging. Die Magd sagte Beischlaf und der Diener hatte vorhin gesagt, dass sie mit dem Herrn Graf das Lager teilen würde.

Bei diesen Worten dachte sie an den väterlichen Hof zurück. Da waren die Mägde mit den Knechten einfach nur zum Ficken in der Scheune ins Stroh gegangen.

Während sie sich sorgfältig abseifte, rauschten all die Dinge durch ihren Kopf, die ihr die Mutter vor Monaten erzählt hatte. Und sie dachte an Martha, die sie vor Jahren beobachtet hatte, als diese mit dem Knecht im Stroh gewesen war. Leise waren die beiden damals nicht gerade gewesen.

Die zunehmende Dunkelheit trieb sie zur Eile an. Mit dem Kleid im Arm und den Schuhen in der Hand rannte sie barfuß die Treppe nach oben, wo sich ihr zukünftiges Nachtlager befand.

„Welcher Strohsack wird meiner?“, fragte sie Ella, die gerade gähnend mit einem Talglicht in der Tür der Kammer stand.

„Neben mir ist noch frei. Der letzte an der Wand dort drüben“, erklärte die Küchenmagd und zeigte nach links.

Ein Strohsack, eine Decke und ein Haken an der Wand, mehr gab es nicht.

Gisela hängte Tasche und Kleid auf und prüfte den Strohsack.

„Du musst!“, äußerte Ella dann und zeigte dabei zur Tür, in welcher jetzt der Diener in der schmucken Uniform stand.

Schon zuvor hatte sie diesen Anzug bewundert. Goldfarbene Knöpfe und bunte Bänder zierten das Wams des Knechtes. Der grauhaarige Mann hatte ein gütiges Gesicht und lächelte sie an. So in etwa hatte sie sich ihren Großvater vorgestellt, von dem ihr ihre große Schwester Mechthild immer erzählt hatte. Die war jetzt seit fünf Jahren verheiratet und hatte damit das schon hinter sich, was Gisela in dieser Nacht noch bevorstand.

„Bereit?“, erkundigte sich der alte Mann, als sie vor ihn trat.

Mit gemischten Gefühlen nickte sie ihm nur zu.

Nachdem er sie zur Kontrolle umrundet hatte, gingen sie über die Treppe nach unten. Der Diener trug einen kostbar aussehenden Leuchter vor sich her. Dieser beleuchtete die schmale Stiege, die nur dem Personal vorbehalten blieb. Die Herrschaften gingen über die breite Treppe vorn.

Durch eine Seitentür betraten sie einen Vorraum, der direkt an das Zimmer des Grafen grenzte. Der alte Mann schob eine Tür auf, zeigte hinein und bedeutete: „Warte hier! Ich hole dich dann später wieder hier ab.“

Sie trat langsam in das Gemach, welches von vielen Kerzen hell erleuchtet war. Mitten in diesem Raum stehend, blickte sie sich um.

Noch war Gisela alleine in dem Zimmer, das überaus prachtvoll ausgestaltet war. Besonders das große Bett mit den Stützpfosten und dem großen Baldachin zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich. An den Pfosten waren geschnitzte Figuren zu sehen und sie glitzerten, als wären sie aus purem Gold gemacht.

„Jetzt weiß ich auch, warum er die Abgaben erhöht hat“, murmelte Gisela und fuhr mit den Fingern über die geschnitzten Tiergesichter.

Die Wartezeit dehnte sich und sie stand barfuß im ärmellosen und knielangen Unterkleid in der Kammer.

Immer noch wägte sie das Für und Wider ab und doch war mit ihrem Erscheinen in diesem Gemach ja schon alles gesagt. Wo sollte sie auch sonst hin?

Schließlich hörte sie Schritte und die Vordertür schwang auf. Schnell machte sie einen tiefen Knicks, denn das hatte ihr Maria noch zuvor mit auf den Weg gegeben: Vor der Herrschaft immer Knicks oder Verbeugung, bis man aufgefordert wurde, aufzustehen, oder die Herrschaften an einem vorbei waren.

Sie richtete ihren Blick zum Boden und wartete.

Der Mann kam auf sie zu, umrundete sie und blieb dann vor ihr stehen. Sie sah ihn nur vom Gürtel an abwärts.

Anschließend legte er ihr die Hand unters Kinn und zog sie so nach oben. Erneut umrundete der Mann sie und trug ein reich geschmücktes Wams.

Hinter ihr stehen bleibend, fuhr er mit den Fingern durch ihr langes Haar und schnalzte mit der Zunge.

„Na, da hat Maria endlich mal was Gutes eingestellt“, ließ er sich von hinten freudig vernehmen, dann setzte er hinzu: „Zieh das Kleid aus!“

Gisela schob die Träger zur Seite und schnell rutschte der Stoff über die Hüften nach unten.

Flugs legte sie danach ihre Hände übereinander vor ihren Schoß.

Ein kräftiger Schlag auf ihren Hintern folgte und es klatschte, aber sie verkniff sich jeden Ton.

„Fein! Du gefällst mir!“, erklärte der Mann und trat vor sie hin.

Gemächlich streifte er sich das Wams ab, warf es hinter sich und klatschte in die Hände.

Der Diener erschien und half ihm aus den Schuhen und der Hose, dann verschwand der Diener mit den Sachen des Grafen und damit stand dieser im Unterhemd vor ihr.

Der Graf hatte einen ziemlichen Bauch und somit stand das Hemd vorn von ihm ab. Es hing wie ein Zelt über seiner Leibesmitte und fiel bis weit auf die Oberschenkel.

Für einen Moment stellte sich Gisela vor, wie der Graf wohl mit Ella das Lager geteilt hatte, verkniff sich aber das Schmunzeln.

Wortlos zeigte er mit der Hand auf das Bett und Gisela ging die zwei Schritte. Das Lager war sehr weich, wie sie feststellte, als sie mit den Fingern darüber strich.

Langsam setzte sie sich nieder und wartete auf den Mann, der sich gerade umständlich das Unterhemd über den Kopf zog.

Danach kam er auf sie zu.

Mit einer leichten Angst hing ihr Blick an seinem Gemächt, das beim Gehen bereits gierig zuckte.

Trotz seiner Leibesfülle war er sehr schnell bei ihr, drückte sie mit dem Rücken in das Bett und legte sich über sie.

Gisela dachte an Martha und öffnete sich für den Grafen, der das zufrieden grunzend quittierte. Er zog ihr die Knie nach oben, schob sich zwischen ihre Schenkel und stieß unvermittelt zu.

Sie biss sich auf die Lippe, um nur keinen Laut herauszulassen.

Ein kurzer Schmerz jagte durch ihren Körper, der aber schnell verebbte.

Der beleibte Mann über ihr schob sich sofort tief in ihren Schoß und dann begann er sich keuchend in ihr zu bewegen.

Kein Ton kam auch weiterhin über ihre Lippen und nur das Schnaufen des Mannes war zu hören.

Dann bäumte er sich auf, ergoss sich zuckend in ihr und schickte sie wenig später wieder aus dem Zimmer.

Mit dem Unterkleid in der Hand eilte sie vor die Tür und zog sich dann dort auch wieder an.

Wenig später wartete sie auf den Diener.

Grübelnd blickte sie auf die geschlossene Tür zum Zimmer des Grafen. Gerade schmerzte ihr Schoß ein wenig, aber das war der Preis für ihre Aufnahme in dieses prächtige Anwesen gewesen.

6. Kapitel Augenblicke

A uf das Drängen sämtlicher Verwandten hin hatte sich Graf Fridolin von Mansfeld-Vorderort jetzt endlich doch noch dazu durchringen können, sich wieder zu vermählen. Der Tod der geliebten Frau zwei Jahre zuvor hatte ihn zu sehr geschmerzt.

Constanze war bei der Geburt der gemeinsamen Tochter gestorben und das Kind hatte die Mutter nur um wenige Atemzüge überlebt.

Wein, Weib, Gesang und wilde Jagden durch den Wald mit Freunden hatten ihn bisher gut von dem Schmerz abgelenkt, doch was kam jetzt auf ihn zu?

Zufrieden saß er in dem Sessel in seinem Saal. Die Bittsteller traten vor ihn und er hielt Gericht. So ließ es sich leben.

Schließlich kam sein Kammerdiener zu ihm und erklärte, dass die Kutsche gerade auf den Hof rollte.

Schnell wimmelte er alle ab und ging nach unten.

Als die Karosse vor der Treppe zum Stehen kam, trat er auf den Grafen zu, der gerade daraus ausstieg und begrüßte ihn herzlich.

Vor ein paar Jahren hatten sie sich bei einem Empfang des Kurfürsten kennengelernt und vor kurzem war der Graf auf ihn zugegangen, weil er seine Tochter mit ihm vermählen wollte.

Auch die junge Frau stieg aus. Kurz begrüße er sie, dann führte er seine Besucher durch das Schloss. Er war sehr stolz auf diesen prachtvollen Bau. Die bewundernden Blicke seiner Gäste schmeichelten ihm, denn das hier war tiefstes Mansfelder Land und nicht die Residenzstadt, die seine Gäste ständig um sich hatten.

Barbara, seiner zukünftigen Frau, trat er höflich entgegen, doch er hielt ihrem Blick nicht stand. In ihren Augen sah er seine Constanze. Sie hatte dieselben Augen! Das durfte doch nicht wahr sein!

Jeder Blick jagte wieder diesen Schmerz durch seinen Körper.

Er brauchte Ablenkung davon und da traf es sich gut, dass sein Diener ihm im Saal die Nachricht überbrachte, dass eine neue Magd im Schloss eingetroffen war.

Als Hausherr oblag es ja ihm, das Personal auf ihre Fähigkeiten zu testen. Das war genau die richtige Art von Zerstreuung, die er sich gewünscht hatte und wenn diese Magd auch noch hübsch war, dann umso besser!

Wie ein Fürst setzte er die Audienz fort und auch dabei sah er die bewundernden Blicke seiner Gäste. Das gefiel ihm außerordentlich gut.

Zusätzlich wusste er ja auch, dass der Graf wieder zum Kurfürsten zurückfahren würde und dort konnte ein gutes Wort nicht schaden. Jeder positive Eindruck, den der Mann mit in die kurfürstliche Residenz nahm, war jetzt Gold wert.

Vielleicht würde ja auch ein kleines Geschenk für noch mehr Bewunderung sorgen? Oder zwei? Eines für den Grafen und eines für dessen Frau.

Mit einer Handbewegung holte er Johann zu sich, der den Auftrag bekam, zwei exquisite Aufmerksamkeiten zu wählen, die er ihm genau auftrug.

Wenig später war der Kammerdiener mit den gewünschten Dingen zurück: Ein kostbar verziertes Schwert für den Grafen und eine prächtig mit Edelsteinen besetzte Spange für dessen Frau.

Sicherlich würden die beiden in Zukunft darauf angesprochen werden, wenn sie diese beiden Gegenstände bei Bällen und Empfängen trugen und damit würde sein Name in Verbindung und im Gespräch bleiben.

Danach begann das Mahl und da seine Gäste nur diesen einen Abend hatten, wurde reichlich aufgetafelt.

Jeder ließ es sich schmecken und erst zum Schluss bemerkte er, dass der Stuhl seiner zukünftigen Frau leer geblieben war.

Sein Diener teilte ihm mit, dass Barbara schon zu Bett gegangen war. Offensichtlich war die beschwerliche Reise für sie zu anstrengend gewesen.

Noch einmal winkte er Johann zu sich und fragte ihn, ob die Magd bereit für die Einweisung sein würde, was dieser bestätigte.

Mit dem Einbruch der Nacht erhob er sich daher von der Tafel, wünschte seinen Gästen noch einen schönen Abend und stieg eiligst zu seinen Gemächern hinunter.

Gespannt auf die neue Magd betrat er den Raum. Die Frau war sehr hübsch und genau das, was er jetzt zur Ablenkung gebraucht hatte.

Es mochte seltsam klingen, dass er die Augen seiner Frau vergessen wollte, indem er zwischen den Schenkeln einer anderen lag, aber bisher hatte es immer geholfen.

Und diese Magd war sichtbar gut gebaut. Ihr Haar war gepflegt und zeigte an, dass sie aus einem guten Hause stammte.

Überraschend kam dann noch hinzu, dass sie noch Jungfrau gewesen war.

Schnaufend durchbrach er ihren Widerstand.

Diese Frau war genau nach seinem Geschmack, wie er für sich selbst feststellte, nachdem er sich in ihrem Schoß ergossen hatte.

Er würde sich dieses Dienstmädchen warm halten und sie am nächsten Abend wieder durch Johann zu sich rufen. Es war schon schön, der Herr zu sein.

Während die Frau das Zimmer nackt verließ, drehte er sich auf den Rücken und dachte über sein Leben nach.

Wieder kam der Schmerz zurück. Die Frau im Nebenzimmer, die bald seine Gemahlin werden sollte, die hatte diese Wunde wieder aufgerissen. Sollte sie ihn eigentlich nicht heilen? Oder musste es erst noch schlimmer werden, bevor es gut werden konnte?

Als er die Kerzen ausblies, sah er wieder den Blick dieser Augen. Das Blau des Meeres hatte darin gelegen. So wie bei Constanze. Dieselbe Farbe!

Zum Glück hatte die Magd braune Augen und sie hatte keinen Ton von sich gegeben, so wie er es gewollt hatte.

Fridolin begann an die Magd zu denken, um sich von den blauen Augen abzulenken. Es half und langsam schlief er ein.

Doch aus diesem Schlaf schreckte er schließlich wieder hoch.

Im Bett sitzend überlegte er weiter. Die junge Gräfin war ja nur hier, um ihm einen Erben zu schenken. Das war nun mal ihre und seine Pflicht.

Das musste nicht unbedingt Spaß machen, konnte es aber. Er durfte ihr dabei nur nicht in die Augen sehen!

Sein Blick fiel auf das Gemälde seiner verstorbenen Frau an der Wand, welches der Mond gerade beleuchtete. Eigentlich hätte er es schon lange abnehmen müssen, zumindest bis zur Hochzeit musste dies noch geschehen.

Es galt loszulassen. Constanze, das Kind und sicher auch den Schmerz. Danach würde alles gut werden.

Gerade fühlte er, dass die Augen der Frau auf dem Bild ihn nicht mehr losließen. Es waren Augenblicke aus dem Jenseits, Augenblicke für die Ewigkeit.

Konnte Barbara diesen Platz einnehmen? Er musste es einfach mit ihr versuchen.

7. Kapitel Erinnerungen

M issmutig rührte Kaspar mit dem Löffel in der Schüssel herum. Diese Entscheidung war ihm wirklich nicht leicht gefallen und er konnte nur hoffen, dass Gisela, die den Hof als erste verlassen hatte, nicht die falsche Alternative gewählt hatte. Doch eigentlich hatte er ihr ja gar keine Auswahl gelassen.

Jetzt blickte er zu Ruth und gab ihr noch etwas Zeit für ihre Angelegenheit: Hochzeit oder Kloster.

Er sah auch, wie seine Mutter Sofia dem Bruder liebevoll über den Kopf strich und um ihn und Sofia aufzumuntern erzählte er: „Im Kloster gibt es bestimmt besseres Essen, als diesen Brei hier!“ Dabei hob er den Löffel und ließ die klebrige Masse in den Napf zurückfallen.

Achim musste bei dem Geräusch schmunzeln.

Der Vater stöhnte auf. „Das ist kein Brei. Das sind Sägespäne mit etwas Hafer!“, erklärte der alte Mann und ließ die Faust auf den Tisch knallen.

Alle in dem Raume schauten zu dem alten Bauern, der jetzt zornig seine Schüssel in die Ecke schleuderte. Dann begann er: „Mein Großvater hatte noch Brei im Napf. Selbst im Winter war das so gewesen. Der Boden war und ist fruchtbar. Bei meinem Vater ging das schon los. Als der alte Graf gestorben war, da wurden im strengsten Winter manchmal Sägespäne untergemischt und in diesem Jahr müssen wir das selbst im Sommer machen!“

Sie kannten alle die Geschichten, die der alte Mann am Abend immer erzählte, wenn sie am Feuer im einzigen geheizten Raum des Hauses saßen. Besonders im Winter hatte man Zeit und saß hier mit Handarbeiten und Gesprächen zusammen. An viele dieser Unterhaltungen konnte sich Kaspar erinnern.

Bereits mit dem Tode des Grafen Volrad III.2 war die einst so reiche Grafschaft Mansfeld in drei Häuser aufgespalten worden, weil sich die Erben nicht einig geworden waren und Volrad es deshalb so festgelegt hatte. Die Grafschaft war damals in drei Teile zerlegt worden: in Mansfeld-Vorderort, -Mittelort und -Hinterort.

Das war seitdem immer so weiter gegangen und momentan gab es fünf Grafen und deren Söhne. Jeder davon hatte ein Stück des Landes für sich beansprucht und natürlich wollte jeder davon versorgt werden.

Die einzelnen Landstücke wurden kleiner und die Schlösser im Gegenzug immer prächtiger.

Erst am Vormittag war er in dem Schloss gewesen, in welchem Gisela jetzt hoffentlich wenigstens gut versorgt werden würde.

Der Graf herrschte über gerade mal fünf Dörfer und wollte natürlich nur das Beste vom Feinsten. Er selbst hatte das Wams eines der Diener gesehen, dessen Knöpfe wie Gold glänzten.

Fünfhundert Menschen, Bauern, Bäuerinnen, Knechte und Mägde, mussten diesen Reichtum mit ihrer Hände Arbeit und dem Ertrag von ihren Feldern bezahlen.

Demnächst stand auch noch eine prunkvolle Hochzeit an und sicherlich war das der Grund, warum die Abgaben noch einmal drastisch erhöht wurden.

Noch immer hätte er liebend gern alles hingeschmissen und wäre nach Magdeburg gegangen. Er hatte das Schreinerhandwerk gelernt und war sehr geschickt beim Aufbau der Häuser. In der großen Stadt hätte er als Geselle ein gutes Auskommen, doch der Vater ließ das nicht zu.

Voller Wut warf Kaspar jetzt auch seinen Napf in dieselbe Ecke, in welcher auch der des Vaters zuvor gelandet war.

Da mit dem Wurf der Schüssel das Mahl offiziell beendet war, aber noch niemand gehen wollte, begann eine Diskussion darüber, wie es mal gewesen war und auch darüber, was so alles schiefging in diesem Lande.

Aber sie alle an diesem Tisch waren eben an das kleine Stück Land gebunden. Wo sollten sie hin? Kaspar wäre der Einzige gewesen, der eine Möglichkeit gehabt hätte, doch ausgerechnet er durfte nicht gehen.

Und eigentlich war es ein fruchtbarer Boden. Wo gab es so etwas schon noch einmal? Von nicht ungefähr war die Grafschaft Mansfeld zu Großvaters Zeiten noch eine der reichsten Sachsens gewesen.

Es hatte Silber gegeben und der Boden ermöglichte gute Ernten und volle Scheunen.

Während in dem Raume alle wild durcheinander redeten, erhob sich Kaspar von seiner Bank und ging nach draußen.

Die frische Luft des Abends umfing ihn dort und kühlte sein erhitztes Gemüt etwas ab.

Nach einigen Schritten stand er an seinem Feld.

Mit den Fingern fuhr er durch die Halme und überlegte, wie viele davon wohl jetzt schon dem Grafen gehörten und auch dem Kloster.

Still setzte er sich auf einen kleinen Hügel und sah in den Sonnenuntergang hinüber. Ein paar Augenblicke später hockte sich Ruth zu ihm und brach sich einen Grashalm ab.

Unschlüssig drehte die Schwester den Halm in ihren Fingern.