Die letzte Träne der Elfe - Oliver Grudke - E-Book

Die letzte Träne der Elfe E-Book

Oliver Grudke

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Beschreibung

Der einstige Pakt zwischen Menschen und Elfen wurde vor langer Zeit von den Elfenkönigen gebrochen und längst haben die Menschen das Volk der Elfen vergessen. Unerlaubt durchschreitet die Elfe Ni´niel die Pforte zur Menschenwelt und trifft auf den jungen Grafen Balduin. Entgegen des Verbotes ihres Volkes verliebt sie sich in den Grafen. Auch nach ihrer Rückkehr kann sie ihn nicht vergessen und beginnt durch die zeit zu reisen, um zu sehen wie es ihm ergangen ist. Doch sie sieht düstere Ereignisse. Verrat und auch Balduins Tod. Ni´niel kehrt in die Menschenwelt zurück um das Schicksal zu verändern, doch eine böse, dunkle Macht ist ebenfalls in die Menschenwelt gelangt und stellt sich gegen sie und die Menschen, die sie auf ihrer Reise ins Herz geschlossen hat. Ni'niel muss erkennen, dass sich Schicksale nicht verändern lassen und auch Cernunnos der Herr des Waldes will keinen neuen Pakt zwischen Elfen und Menschen. Gewinnt am Ende nur der Tod? Ein packender Fantasy Roman mit großen Gefühlen.

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Seitenzahl: 421

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Die letzte Träne der Elfe

© 2021 Oliver Grudke

Coverdesign von: Sascha Riehl (www.sascha-riehl.de)

Lektorat: Nadine Senger

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

ISBN Softcover: 978-3-347-54935-7

ISBN Hardcover: 978-3-347-54938-8

ISBN E-Book: 978-3-347-54941-8

ISBN Großschrift: 978-3-347-54944-9

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 01

Kapitel 02

Kapitel 03

Kapitel 04

Kapitel 05

Kapitel 06

Kapitel 07

Kapitel 08

Die letzte Träne der Elfe

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 01

Kapitel 08

Die letzte Träne der Elfe

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Es ist kalt.

Der Himmel ist klar und die Luft riecht frisch. Ein großer roter Mond steht über dem kleinen Dorf, fast so, als würde er das Kommende drohend ankündigen.

Mich ankündigen.

Aus den Schornsteinen kommt weißer Rauch und legt sich wie ein Leichentuch über die Dächer der Menschen.

Menschen.

Von all den Rassen, welche die Schöpfung eins hervorbrachte, ist diese die böseste, die gefährlichste.

Langsam setze ich meinen nackten Fuß nach vorne. Leicht biegt er die abgestorbenen Grashalme des letzten Sommers nach unten. Es liegt kein Schnee, und doch fällt eine Menge gefrorener Raureif auf meine nackten Zehen. Es ist angenehm kühl. Vielleicht kühlt dies auch mein erhitztes Gemüt.

Vielleicht.

Ich setze den anderen Fuß nach vorne und beginne langsam auf das Dorf zuzugehen.

Langsam.

Doch mit jedem Schritt rieche ich den Geruch der Menschen. Das Böse darin.

Neid, Missgunst, Egoismus, Mord, Lügen, Verleumdungen, all das verkörpert diese Rasse mehr als es je eine andere getan hätte.

Dennoch bin ich hier.

Hier in dieser Zeit.

Denn ich habe unter all den verabscheuungsvollen Menschen etwas anderes gefunden.

Ein gutes Herz.

Eines, das mein eigenes berührt hat.

Das sollte nicht so sein.

Das darf auch nicht so sein.

Elfen lieben keine Menschen.

Sie hassen sie, sie töten sie.

Und doch war es bei dem einen anders.

Es war schön. Feuer durchströmte meinen Körper wie ich es noch nie gespürt habe. Doch was nicht sein darf, sollte nicht sein. Und ich bin gegangen. Bevor es weh tat. Ihm weh tat. Mir bereitet allein der Gedanke an jene Zeit noch immer große Schmerzen. Doch jener, der dies alles vermochte, wird mich längst vergessen haben. Wird sein Leben gelebt haben, und am Ende seiner Zeit gestorben sein. So wie all die Sterblichen. Ich habe versucht, diesen einen zu vergessen.

Jahre, Jahrhunderte.

Doch es gelang mir nicht und ich wurde neugierig. Ich wollte sehen, wie es ihm erging, sehen, woher er kam und wohin ihn seine Reise führte. Und ich begann in der Zeit zu reisen. Zuerst zurück, dann nach vorn, immer weiter und immer weiter. Bis ich das Ende sah.

Sein Ende. Und dabei sah ich schlimme Dinge. Ich sah die schwarzen Seelen so vieler Menschen, welche ihm Treue und Liebe gelobten. Und ihn dann bitter verrieten.

Deshalb bin ich nun hier.

Ich werde ihn beschützen.

Beschützen, weil sein Herz und das meine verbunden sind. Weil diese sich berührten.

Vor langer Zeit.

Doch ich werde mit all jenen, welche ihm den Verrat und Tod bringen, nicht gnädig sein. Ich werde die Elfe der Rache sein. Ich werde allen den Tod bringen und so das gute, das einzige gute Herz unter all diesen verhassten Menschen schützen.

Der Raureif knirscht unter meinen Füßen, als ich mich dem alten Kreuz, welches auf der Anhöhe über dem Dorf steht, nähere. Der Mond ist nun noch größer und lässt den Schatten des steinernen Kreuzes wie einen Pfeil auf das Dorf zeigen. Als wäre es mein Wegweiser. Und der ist es auch.

Denn dort unten werde ich beginnen.

Mit der Rache.

Ich setze mich auf die alte Bank neben dem Kreuz. Meine Augen schweifen über das Dorf und über das schöne Tal mit den sanften Hügeln. Doch meine Gedanken schweifen zurück. Zurück an jenen Tag, als ich ihn das erste Mal sah. Als sein Herz und das meine einen Bund eingingen.

Einen Bund zwischen Menschen und Elfen.

Einen, der nicht sein darf.

Die Luft riecht frisch und würzig. Tau liegt auf den Pflanzen und die Bäume tragen ihr frisches, hellgrünes Laub, als wäre es ihr Sonntagsstaat. Mein langes, feuerrotes Haar fällt locker über meinen Po. Sanft setze ich immer wieder meine nackten Füße Schritt für Schritt in das kühle Moos.

Ein schöner Ort.

Und doch ist die Welt dahinter eine feindliche, ja eine tödliche Welt. Es ist die Welt der Menschen, einer bösen Rasse, von der nur der Tod ausgeht. Die anderen, vor allem meine Mutter hat mich vor dieser Rasse gewarnt. Und deshalb werde ich auf der Hut sein, und keinen jener treffen. Und wenn, so werde ich mich nicht zu erkennen geben, doch das sollte mir nicht schwerfallen. Längst wissen die Menschen nichts mehr von uns. Sie glauben nur das, was sie sehen können. Sie leben nur für ihr eigenes Streben nach immer mehr und zögern nicht dabei, andere ihrer Rasse zu vernichten, sollte dies dem eigenen Vorteil dienen.

Und doch ist es schön hier. Hier in diesem abgelegenen Wald. Mächtige Buchen stehen hier. Ich öffne die Augen und sehe, wie der Wind mit ihren frischen, noch weichen Blättern spielt. Als ich meinen Blick wieder nach vorne richte, sehe ich einen großen Hirsch, der gemächlich die jungen Pflanzen äst. Er scheint mich zu kennen, denn er spürt, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Auch wenn ich die Gestalt einer jungen Menschenfrau angenommen habe, so sieht das stattliche Tier mehr. Viel mehr, denn es sieht mein Herz, welches den Frieden liebt und das Leben jeglicher Rasse. Er weiß, dass ich ihm nie etwas zuleide tun könnte. Und doch sieht er nicht alles. Denn wir können hassen, ja wir nehmen Rache und töten. All jene die Unrecht tun, jene, die andere ausbeuten, jene, die die Liebe und den Frieden verraten. All jene sollten besser in ständiger Furcht leben. Auch wenn sie nichts mehr von uns wissen, wenn all ihre Erinnerungen an mein Volk, an den Pakt und an das Glück längst im Sog des Bösen verschwunden und getilgt wurden. Auch wenn mein Volk den Pakt längst gelöst hat, so gibt es uns noch immer und wird es uns auch noch geben, wenn die Rasse der Menschen längst

untergegangen ist.

Ich streiche mit meinen schlanken Fingern durch mein Haar, als könnte ich so die dunklen Gedanken vertreiben.

Dies ist ein schöner Ort!

Und doch drängen sich dunkle Gedanken in mich wie ich diese noch nie erlebt habe.

Seltsam.

Ich gehe weiter. Die Sonne blinzelt durch die Blätter und ihre Strahlen schaffen es immer wieder, bis auf den grünen Teppich von weichem kühlen Moss zu treffen. Ich sehe meinen Schatten. Nur kurz. Nur für einen Moment.

Er gefällt mir. Ich gefalle mir. Groß, schlank, sehr lange Haare.

Bald wird die Zeit kommen, wo sich ein Jüngling um mich bemüht.

Wie wird dieser sein?

Etwa ein stattlicher Krieger? Ein Kämpfer, welcher mich auf Händen trägt und umgarnt?

Ich setze mich auf einen Baumstumpf und lasse mich rücklings in das weiche Moos fallen. Dann schließe ich die Augen und beginne zu träumen.

Zu träumen von dem Jüngling, nein besser von dem Mann, der er sein wird. Eine starke Brust, welche mich beschützt und liebt. Er wird mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen, und wenn die Zeit reif ist, so werde ich ihm einen Erben schenken. Einen, auf den er stolz sein kann.

Sein kann und wird.

Ich seufze und setze mich wieder auf. Noch ist viel Zeit dafür. Ein warmer Wind fährt durch mein Haar. Der Frühling wird bald dem Sommer weichen. Dann folgt der Herbst und alsbald ist ein neues Jahr vergangen. Meiner Rasse ist dies nicht wichtig. Wir kennen den Tod nicht. Doch die Menschen, sie lernen ihn alle einmal kennen. Die einen schnell, die anderen schneller. Ein Jahr der Menschen ist für meine Rasse nur ein Wimpernschlag, manchmal weniger.

Ich weiß so viel über die Menschen, und doch bin ich noch nie einem begegnet. All mein Wissen habe ich von den Gelehrten, meiner Mutter und meiner älteren Schwester, die behauptet, schon dreimal einem begegnet zu sein. Doch das habe ich ihr nicht geglaubt.

Vor langer Zeit, sie sagen vor dreitausend Jahren, lebten wir zusammen. Wir, die starke unsterbliche Rasse, und die Menschen, mit ihrem kurzen und verletzlichen Leben. Wir gingen einen Pakt ein. Wir beschützten die Menschen, wir halfen ihnen, zeigten ihnen Dinge und lehrten sie mit viel Wissen. Doch dann, als sie meinten, alles zu wissen, alles zu können, begannen sie uns zu hintergehen. Zu verfolgen, zu verbrennen und zu töten.

Doch die Menschen wussten nicht alles. Sie konnten uns nicht töten, doch sie konnten uns verletzen. Unseren Stolz, unsere Liebe unser Herz. So lösten wir den Bund und keinem Mensch wurde je wieder Hilfe zuteil. Wir schlossen das Portal und somit drang keine Nachricht, kein Hilferuf, kein Flehen und Betteln mehr zu uns hindurch.

Von Zeit zu Zeit öffneten die ältesten unserer Krieger das Portal und gingen hinüber in die Welt der Menschen. Vielleicht hofften sie, Vernunft und eine Umkehr erkennen zu können. Doch sie kamen immer wieder enttäuscht zurück. Längst hatten die Menschen neue Götter. Götter, welche sie als Vorwand nahmen uns zu töten und zu vernichten. Ja, sie gingen weiter, sie quälten ihr eigenes Volk. Alsdann ließen wir ab und von da an waren die Menschen auf sich allein gestellt.

Bis jener Tag kommt, an dem sie sich selber vernichtet haben. Dann werden die anderen Lebewesen, die unter ihrer Knechtschaft leiden, zurückkehren und wieder frei sein.

Ich blicke hinüber zum Hirsch. Viele Tage werden ihm nicht bleiben. Hier in diesem tiefen Wald werden sie ihn nicht schnell finden. Doch sie werden kommen, ihn jagen und töten. Sie werden das Leben in ihm auslöschen. Jetzt, da ich wieder diese dunklen Gedanken und Gefühle spüre, spüre ich auch einen Schmerzen in meiner Brust. Ich möchte dem Hirsch helfen, ihn beschützen. Vielleicht ihn aus dieser Welt hinwegbringen. Doch das ist mir untersagt. Es ist mir auch untersagt, hier zu sein. Niemand von uns darf mehr hier sein. Hier in der Welt dieser schlechten Rasse.

Warum bin ich dann hier?

Vielleicht aus Neugier? Zu sehen, wie es hier ist? Wie die Menschen wirklich sind? Vielleicht möchte ich einen treffen?

Kurz lache ich auf und schüttele den Kopf. „Nein, treffen möchten wir keine, mein Freund. Nicht wahr!“, sage ich zu dem Hirsch. Und ich weiß, dass er mich versteht. So wie wir die Tiere verstehen können, eine Gabe, die den Menschen fremd ist. Welche Gabe den Menschen überhaupt zuteil ist, das wissen nur jene selbst. Meine Mutter sagt, die Menschen haben nur die Gabe zu töten und zu vernichten. Mag sein, dass dies so ist, doch selbst in meinen kühnsten Träumen vermag ich mir keine solche Rasse vorzustellen.

Das Frühjahr ist immer die beste Zeit, um die Kräuter für die Tinkturen und Salben und für meine Tränke zu suchen. Dann, wenn die Pflanzen in ihrer Blüte stehen, dann besitzen diese die größte Kraft und die magischste Wirkung.

Hier gibt es alles. In reichlicher Fülle! Weil die Menschen nichts von deren Kräften der Natur wissen. Weil sie für so viele Dinge blind sind. In unseren Wäldern sind die kräftigsten Pflanzen rar geworden. Ja manche gibt es gar nicht mehr. So wie das Arum Marculatum oder die Drachenwurz, welche ich besonders benötige. Doch ich weiß, dass ich diese Pflanzen hier finden werde.

„Ah!“, rufe ich, als ich fast auf ein kleines Convallaria majalis trete. Doch ich weiche rechtzeitig aus. Zu zart sind ihre kleinen Glöckchen. Ich beuge mich hinab, um ihren betörenden Duft einzuatmen. Gerade als ich mich fast ganz hinübergebeugt habe, stupst mich etwas an und ich falle vorwärts in den kühlen, mit Moos bewachsenen Waldboden. Mühsam drehe ich mich um und versuche aufzustehen, als ich in die tiefschwarzen Augen eines großen Untiers blicke. Es hat ein großes Maul, scharfe Zähne und tropft aus den Lechzen. Sein Blick haftet starr an mir. Langsam greife ich unter mein langes Brokatkleid, das mit goldenen Stickereien überzogen ist, um den darunter verborgenen Dolch zu ziehen. Doch dann höre ich eine Stimme.

Eine wie ich noch nie eine gehört habe.

Sanft und doch stark zugleich. Fest und doch gütig im Wesen.

„Aranzza, welch Beute hast du mir denn heute aufgespürt?“

Vorsichtig richte ich mich auf und schaffe es nur mit Mühe, mich wieder auf meine Beine zu stellen. Das Untier lässt mich nicht aus seinem Blick und ich es nicht aus dem meinen. Doch dann blicke ich kurz auf und erschrecke. Durch das frische Grün der noch jungen Pflanzen kommt er auf mich zu. Meine Hand greift noch fester nach dem Dolch, bereit, diesen zu benutzen, denn die Menschen sind leicht zu töten. So sagte man mir.

„Brat mir doch einer einen Storch. Da sind wir auf die Pirsch gegangen, um frisches Wild auf die Teller zu bekommen und dann stöbert der gute Aranzza ein junges Weib auf“, sagt der Mensch und lacht dazu.

Doch dies ist kein Lachen, welches verletzen möchte. Es ist ein fröhliches, lebensfrohes Lachen. Und noch etwas ist sonderbar, jetzt da ich den Menschen, und es ist wohl ein männliches Wesen, fest in meinem Blick habe, so sollte ich tief in seine Seele und sein Herz blicken. Doch das gelingt mir nicht. Selbst als ich mich anstrenge, schaffe ich es nicht, in ihn hineinzublicken. Das macht mir Angst, jedoch ist es auch so, dass ich mich auf eine sonderbare Weise nun geborgen fühle. So geborgen wie ich mich nicht einmal in unserer Welt, in der Welt der Elfen fühle.

Er kommt näher. Dabei bewegt er sich kraftvoll und doch mit einer angenehmen Leichtigkeit. Er trägt einen grünen leinenen Rock, dazu braune lederne Beinlinge. Sein Rock und die Beinlinge weisen Spuren des Gebrauchs auf. Er ist keiner, der zu viel besitzt.

„Nun, hat es Euch die Sprache verschlagen oder seid Ihr etwa stumm? Stellt Euch Eurem Herrn vor!“, sagt er in einem befehlerischen und doch verspielten Ton.

„Meinem Herrn? Warum solltet Ihr mein Herr sein?“ Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. Dann bemerke ich die Armbrust, welche locker über seiner rechten Schulter baumelt. Er ist wie alle Menschen, er ist gekommen, um zu töten. Er ist gekommen, um den Hirsch zu töten. Meine Hand greift nun den Dolch noch fester.

Entschlossener!

Denn ich bin mir sicher, sollte heute und hier etwas sterben, so wird es nicht der Hirsch sein.

„Dies liegt auf der Hand. Meinem Vater gehören die Ländereien hier. Mit allem und jedem. Und da ich sein einziger Sohn und Erbe bin, eines Tages mir. So bin ich alsdann Euer Herr.

„Denkt Ihr das?“, sage ich kühl und abweisend. Doch etwas in mir findet Interesse an diesem Menschen. Er wirkt anders. Anders als von ihnen immer berichtet wurde. Vor ihm fürchte ich mich nicht. Ich streife die Moos- und Schmutzreste von meinem Kleid ab.

„Ein gar edles und kostbares Gewand habt Ihr da an Euch. Sagt, ist dies Gold? Und gar Seide?“

Ich hebe meinen Kopf wieder an und fixiere die Augen des

Menschen.

„Gewiss!“

Nun wirkt er verunsichert.

„Nur Edle und von hohem Rang besitzen solche Gewänder. Seid Ihr

von edlem Stand?“

„Sicher!“, sage ich und lasse seine Augen nicht aus den meinen. Er verbeugt sich vor mir.

„Dann stehe ich in Eurer Schuld und habe zu Unrecht mich als Euer Herr auserkoren. Doch wollt Ihr mir nicht doch Euren Namen verraten?“

Nun bin ich es, die verunsichert wirkt. Er möchte meinen Namen wissen? Warum? Wozu? Was steckt dahinter?

„Ich bin Balduin vom Drachenfels. Eigentlich der Dritte, da es vor meiner Zeit auch welche gab, die diesen Namen trugen!“ Er zuckt mit der Schulter, als würden ihm seine Stellung und sein Titel nichts bedeuten. Nun schaut er mich mit seinen großen braunen Augen fröhlich an. Nie habe ich einen solchen Blick gesehen. Einen Blick, dem ich nicht widerstehen oder mich widersetzen könnte.

„Ni`niel!“, sage ich und erschrecke mich darüber, wie schnell ich meinen Namen nenne. Seine Augen werden größer.

„Ein gar sonderbarer Name. So stammt Ihr nicht von hier?“

„Nein!“

„Ich habe auch noch nie ein solch teures Gewand gesehen, hierbei gibt es nur Leinen, manchmal Leder. Selbst die Tuchhändler führen keine solchen Stoffe.“

Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, denn er ist neugierig und ich spiele mit ihm.

„Da bin ich mir sicher. Eure Armbrust, seid ihr gekommen, um zu töten?“ Ich halte den Dolch noch immer verborgen und fest in meiner Hand. Doch längst bin ich weit davon entfernt, diesen zu benutzen. Er zuckt mit der Schulter.

„Es sind schlechte Zeiten. Das Volk, ja selbst wir auf der Feste hungern. So wurde auch ich gesandt, das Jagdglück zu suchen und es wird erwartet, es zu auch finden“, sagt er und schnallt die Armbrust ab.

Ich bewege meine Hand und den Dolch langsam hervor. Mit kurzen Schritten gehe ich auf ihn zu. Jetzt stehe ich ihm so nah, dass ich ihn riechen kann. Und wieder ist es anders als berichtet wurde. Er stinkt nicht nach Tod und dem Bösen, nein, ich mag seinen Geruch. Es ist ein frischer Geruch.

Ich zögere und meine Hand hält den Dolch längst nicht mehr so fest.

Die Armbrust fällt ins Moos und verschwindet zwischen großem Adlerfarn. Er nimmt einen kleinen ledernen Beutel, welcher locker an seinem breiten Gürtel baumelt und geht einige Schritte zu einem großen Felsen. Dann streut er den Inhalt darauf.

„Ihr müsst wissen, in diesen Wald verirrt sich nie jemand. Umso verwunderter findet Ihr mich, als ich Euch traf. Auch die Tiere leiden. Der Winter war lang und hart. So bringe ich ihnen immer etwas Salz, das stärkt sie. Ich könnt nie einem solchen wunderbaren Tier etwas zuleide tun. Seht, er kommt. Er fürchtet auch Euch nicht, und das, obwohl Ihr ihm fremd seid. Ihr seid sonderbar, Ni`niel“, sagt Balduin und tritt einen Schritt zurück. Dann kommt der große alte Hirsch auf uns zu. Ohne Furcht und ohne Sorge. Fast ist es, als verneige er sich, als dieser beginnt, das Salz vom Stein zu lecken.

„Ich weiß, das Salz ist kostbar. Doch ich kann welches erübrigen, und die anderen können Brei essen. Noch ist etwas Getreide in den Speichern. Habt Ihr Hunger?“ Er setzt sich auf den Baumstumpf.

„Wer? Ich?“, frage ich verwundert. Sorgt er sich um mich. Ein Mensch um eine Elfe?

„Ich sehe sonst niemanden, dem die Frage gegolten haben könnte. Also habt Ihr?“ Er lacht.

„Vielleicht?“, sage ich schüchtern.

„Nun denn, setzt Euch und wir teilen diesen Apfel. Mehr habe ich nicht bei mir!“ Er zieht einen roten Apfel unter seinem Rock hervor.

„Setzen, zu Euch?“ Meine Stimme wirkt brüchig. Und ein sonderbares Gefühl, das ich nicht kenne, durchströmt meinen Körper.

„Hier ist Platz für uns beide. Oder fürchtet Ihr Euch vor mir? Oder gibt es jemanden, dem Ihr versprochen seid?“ Balduin rutscht etwas zur Seite.

Ich setze mich und gebe keine Antwort.

„Wieder muss ich Euch bitten, habt Ihr gar ein Messer bei Euch?“

Langsam ziehe ich den Dolch unter meinem Gewand hervor. Ich reiche diesen Balduin.

„Beim heiligen Sankt Georg, welch ein Prunkstück. So etwas Kostbares habe ich noch nie in meinen Händen gehalten. Ist das Gold? Und Rubine?“, sagt er vor Begeisterung.

Ich bekomme heiße Wangen und mein Herz schlägt schneller. Ja, es rast fast vor Erregung. Nicht weil ihm der Dolch gefällt, nein, es ist, weil er mir gefällt.

„Ich denke schon. Doch Gold ist nichts Wertvolles!“, sage ich und schaue ihm zu, wie er den Apfel teilt. Er teilt sein bescheidenes Mahl mit mir. Mit mir, die er nicht kennt. Die ihm fremd sein sollte. Die ihn töten wollte.

„Ich kenne Euer Land nicht, doch muss es reich sein, wenn Ihr Gold nicht schätzt!“, sagt er und beißt in seine Hälfte des Apfels.

„Oh, wir schätzen die wahren Werte. Das Leben, die Liebe, den Frieden und die Schöpfung!“, sage ich und beiße schüchtern in meine Hälfte des Apfels.

„Wahre Worte, Ihr seid besser als der Pfaff sonntags in der Kirche.“ Er lacht, wieder so unbeschreiblich schön.

„Findet Ihr das?“

„Ja, Euer Reden zeugt von bester Bildung. Wollt Ihr mir nicht den Namen des Landes sagen, aus dem Ihr kommt? Sicher seid Ihr dort eine Prinzessin, und ich nur ein armer Herr ohne viel Reichtum!“ Er spuckt einen Apfelkern aus.

„Ihr kennt das Land nicht, jedoch bin ich keine Prinzessin!“, antworte ich wahrheitsgemäß und rieche weiter seinen Duft, der mich zunehmend betört, besser und mächtiger als der Duft des kleinen Convallaria majalis.

„Wer ein solches Kleid trägt und einen solchen Dolch besitzt, wäre bei uns eine Königin.“ Balduin gibt mir den Dolch zurück. Dabei berühren sich kurz unsere Finger. Es fühlt sich an, als würde in einer Sekunde ein Feuer überspringen. Heiß und intensiv.

„Sollte eine Königin, eine Herrin nicht andere Werte besitzen als Reichtum? Sollte sie nicht die Sorgen des Volkes teilen und gar beseitigen oder lindern?“ Ich schaue auf meinen Finger, als könnte ich dabei das Feuer, welches kurz durch diesen floss, noch immer sehen.

„Ihr sprecht weise Worte, und ich möchte euch recht geben. Doch hier herrscht nur das Gold und die Gier danach. An machen Tagen fürchte ich, dass diese beiden eines Tages meinen Tod bedeuten könnten.“ Balduin wirkt nachdenklich. Und ich erschrecke.

Seinen Tod?

Eines Tages!

Gewiss!

Er wird dem Tod nicht entkommen. Keiner der Menschen kann dies. Und doch ist es sonderbar, doch bekomme ich Furcht, jener Tag könnte für Balduin zu schnell kommen. Schneller als es mir lieb sein könnte.

Mir?

Was interessiert mich ein Mensch?

Niemand von meinem Volke interessiert sich noch für die Menschen. Da diese sich nur für sich selbst interessieren. Nur auf ihren Reichtum bedacht sind. Wieder versuche ich in die Seele von Balduin zu blicken. Doch es gelingt mir nicht.

„Ihr seid jung und stark. Der Tod ist noch in weiter Ferne für Euch!“, sage ich mutig, doch ich bin mir nicht sicher.

„Ja, lasst uns nicht länger Trübsal blasen. Doch edle Herrin, was sucht Ihr so tief in den Wäldern und noch dazu ohne Begleitung? Fürchtet Ihr Euch nicht?“ Eine Falte bildet sich auf seiner Stirn. Es ist eine Sorgenfalte.

Er sorgt sich um mich.

Mein Herz macht einen Sprung vor Freude.

Das sollte so nicht sein.

Er ist doch ein Mensch.

Nur ein einfacher Mensch.

Ist er das?

Ist er das wirklich?

Auch für mich?

Der Hirsch hat sein Salz geleckt und beginnt sich zurückzuziehen. Auch für mich wäre es Zeit zu gehen. Doch mir gefällt es, hier zu sitzen und Balduin zuzuhören.

„Ich sammle Pflanzen und Kräuter!“ Meine Stimme wirkt verändert. Schüchtern.

„Oh, dann seid Ihr eine Baderin, oder eine Heilerin, nicht etwa eine Hexe?“ Er lacht und ich spüre, dass er nicht an Hexen glaubt. So wenig wie an Elfen. Das betrübt mich.

Sehr.

Doch es könnte auch von Vorteil sein. Denn er sieht mich nur als Frau, ja vielleicht als Freund und nicht als Beschützerin. Kämpferin und Streiterin für sein Streben nach Gold.

Doch mein Herz spricht davon, dass Balduin nie nach Gold streben wird.

Woher weiß mein Herz dies? Vermag ich doch nicht, in das seine zu blicken und mir Gewissheit zu verschaffen.

„Seht in mir, was ihr wollt!“ Meine Worte sind kühl und doch beginnt in mir ein heißer Sturm zu toben.

„Gewiss keine Hexe. Ihr seid eine Baderin. Der heilige Georg soll mich einen Lügner schimpfen, wenn Ihr nicht aus dem fernen Konstantinopel stammt.“ Er wirkt stolz und denkt, er hat mein Geheimnis erraten. Doch das hat er nicht, kein Mensch erinnert sich an uns, doch mir gefällt dies. Denn er interessiert sich für mich. Für eine einfache Frau, die er im Wald getroffen hat.

„Ihr seid Christ, nicht wahr?“ Eigentlich ist es keine Frage, sondern eine Feststellung. Denn alle hier sind Christen. Alle Menschen haben, nachdem wir den Pakt beendet habe, sich neue Götter gesucht. Welche, denen sie ihr Leid antragen, die sie um Hilfe ersuchen und unter deren Namen sie morden und meucheln.

„Den Glauben würde ich mit meinem Leben verteidigen!“ Balduin springt auf und klopft sich stolz auf die Brust. Ich kann mir ein Kichern kaum verkneifen. Was für ein Jüngling er noch ist. Noch stehen er und sein Stolz für die Rechtschaffenheit. Noch hat er nicht den Hass der anderen gespürt, besonders dann, wenn sie einen betrügen und hintergehen. Doch diese Gedanken verdränge ich. Denn sein Ungestüm bezaubert mich.

„Das würdet Ihr, gewiss!“, flüstere ich.

„Nun, welch Pflanze Ihr auch sucht, ich kann Euch helfen, diese zu finden!“ Balduin ist noch stolzer und wirkt fast einen Kopf größer.

„Ihr? Kennt die Kräuter?“ Ich schüttele ungläubig den Kopf.

„So sagt, welch Kraut sucht Ihr?“

„Das Arum Marculatum!“, antworte ich.

Balduin wird still und wirkt verlegen.

„Nun kennt Ihr es, und könnt mich zu einem hinführen?“

„Nun, ich muss gestehen, dass außer den paar Worten, die wir in der Kirche sprechen, ich der lateinischen Sprache nicht mächtig bin.“ Balduin wirkt nun wieder etwas schüchtern. Er reibt nervös mit seiner Hand seine Schläfe.

Ich mag das.

„Den Aronstab suche ich!“ Ich lächle ihn an und streiche mir dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Balduin bekommt rote Backen. Er ist verlegen.

„Den kann ich euch zeigen. Es gibt viele davon.“

„Schön! Gehen wir?“

„Für heute ist es zu spät. Der Rückweg sollte bei Tageslicht erfolgen. Wir kommen morgen wieder. Dann könnt ihr so viel davon haben, wie ihr braucht.“

Balduin geht ein Stück und Aranzza bleibt neben mir sitzen.

„Kommt, im Wald ist es gefährlich beim Einbruch der Dunkelheit. Mein Vater wird uns auf der Feste ein einfaches Mahl und Lager geben.“ Balduin streckt die Hand nach der meinen aus. Nur zu gerne würde ich diese ergreifen. Spüren und fühlen. Ihre Wärme, seine Nähe. Doch das darf ich nicht. Ich hätte keinem Menschen begegnen dürfen, niemals. Weiter kann ich nicht gehen.

Darf ich nicht gehen.

„Für mich ist es nicht gefährlich im Wald!“ Ich sehe Balduin an und in mir kommt eine große Traurigkeit auf.

„Vor den Bären und Wölfen wird Euch Euer Dolch nicht schützen. Also kommt. Ihr könnt nicht allein bleiben.“ Er kommt auf mich zu und möchte meine Hand ergreifen.

Ich erschrecke und weiche zurück.

„Ich bin nicht allein. Mein Gefolge ist nicht weit“, lüge ich und spüre den Schmerz in meiner Brust, welcher die Lüge erzeugt. Elfen lügen nicht, selbst wenn es den Untergang bedeuten würde.

Doch ich lüge.

Jetzt.

„Etwa in südlicher Richtung, unten am Fluss?“ Balduin scheint besorgt.

Ich nicke stumm.

„Dann seid Ihr auf dem Land des Fürstbischofs. Er und seine Schergen sind gefährlich. Ihr solltet rasch weiterziehen. Ich begleite Euch.“ Balduin schnallt sich die Armbrust auf den Rücken und geht in die andere Richtung.

„Nein!“, schreie ich viel zu laut und er erschrickt.

„Denkt Ihr, ich lasse Euch alleine durch den Wald?“ Er geht weiter, als sei es eine beschlossene Sache.

„Das werdet Ihr müssen!“, rufe ich ihm nach.

„Das werde ich nicht!“ Balduin stapft weiter, doch Aranzza bleibt bei mir. Er kann meine Gedanken lesen. Er weiß, wer ich bin.

„Zeigt Ihr mir morgen den Aronstab?“, frage ich und flüstere zu Aranzza: „Achte auf deinen Herrn!“

Als sich Balduin umdreht, bin ich bereits verschwunden.

„Wo seid Ihr? Ni`niel? Wo versteckt Ihr Euch? Ni`niel!“ Seine Rufe verhallen in der Tiefe des Waldes. Doch sie dringen ein in mein Herz. Sie dringen sehr tief ein.

Ich sollte morgen nicht zurückkehren.

Doch ich werde es tun.

Die Nacht ist nie mein Feind gewesen. Viele sagen, in ihr könne das Böse leben und seine Taten vollbringen. Doch schützt die Nacht nicht das Böse, es lebt auch am Tage und verbirgt sich oft hinter der Heuchelei deines Freundes.

All dies gibt es nur in der Welt der Menschen. Gewiss auch in den anderen Rassen herrscht oft Zwist. Doch dieser wird immer redlich ausgetragen.

Ich stochere in der Glut des kleinen Feuers, welches ich oben auf der Kuppe des Berges entfacht habe. Einige Pilze stillen meinen Hunger. In der Ferne sehe ich ein kleines Licht. Es scheint aus der Feste, in der Balduin lebt.

In die er mich mitnehmen wollte.

Und ich zu gerne mitgegangen wäre.

Er ist der erste Mensch, den ich je gesehen und mit dem ich je gesprochen habe.

Und nichts, was die Ältesten, oder meine Mutter über dieses gesagt hat, trifft zu.

Balduin ist nicht böse oder heimtückisch. Im Gegenteil, er ist ein lebensfroher junger Mann.

Und zugegeben, ein sehr stattlicher und hübscher Mann. Einen solchen habe ich unter den Elfen noch nicht gesehen. Meine Gedanken sind nur noch bei Balduin. Wie sonderbar. Und dann immer, wenn ich an ihn denke, dann wird es um mein Herz heißer als die Glut des kleinen Feuers sein könnte.

Sonderbar.

Ein knackender Ast verrät die Ankunft meines Besuchers.

„Seid mir gegrüßt, edler Herr des Waldes!“, sage ich und schaue auf. Durch das Dickicht der jungen Tannen schlüpft der mächtige Hirsch. Wachsam schaut er sich um.

„Ihr seid allein?“, fragt er mich.

„Gewiss!“

„Das ist auch besser so. Den Menschen darf man nicht trauen.“

„Ihr tut es doch auch!“, sage ich und stochere wieder in der Glut.

„Balduin von Drachenfels ist anders. Ihn kenne ich schon, seit er noch sehr klein war. Und er mich!“ Der Hirsch kommt näher ans Feuer, um sich zu wärmen. Die Nächte im Frühjahr können noch sehr kalt sein.

„Ist er ein Freund?“, sage ich und kenne seine Antwort.

„Können Tiere und Menschen Freunde sein? Ihr seid eine Elfin.“

„Sie können es, ich habe davon gehört. Ja, ich gehöre zum Volk der Elfen. Du hast mich gleich erkannt. Und ich denke, ich bin nicht die Erste, die du siehst, nicht wahr?“

„Nein, doch es ist lange her. Die Dinge haben sich nicht zum Guten gewandelt, seit der Pakt gebrochen wurde.“ Der Hirsch legt sich zu mir an das Feuer.

„Unserem Volk ist das Schicksal der Menschen gleichgültig!“ Ich stecke einen Pilz auf meinen Stab und halte diesen in das Feuer.

„Aber euch nicht. Ich gestehe, Balduin ist ein Freund. Er hat noch nie die Hand gegen uns Tiere erhoben.“ Der Hirsch bläht seine Nasenlöcher auf.

„Was meint Ihr damit?“ Ich stelle mich dumm.

„Ihr wollt ihn morgen wieder treffen, so ist es doch?“

„Mag sein!“

„Nennt man Euch nicht Ni’niel? Die Tränenreiche, und Elfe des Schwertes von Gormuhl?“ Er schaut mir tief in meine Augen.

„So ist es.“ Ich möchte eigentlich nicht antworten. Schwerfällig steht der Hirsch auf.

„Nun, Ni`niel, gebe ich euch einen Rat. Vergesst Balduin und geht dahin zurück, wo die Euren leben.“

Ein Schmerz durchzieht meinen Körper. Die Worte des Hirsches verletzen mich.

„Wer seid Ihr? Ein Hirsch? Der König des Waldes? Ein Tier, das mir, einer Elfe, Ratschläge erteilen möchte? Wie könnt Ihr es wagen!“ Meine Stimme wird laut. Der Hirsch dreht sich um.

„Ihr könnt ihm nicht geben, was er sucht. Ebenso wenig werdet Ihr bei ihm finden, was Eure Sehnsucht stillen könnte. Es wird keinen neuen Pakt geben, Ni`niel!“

„Was erdreistet Ihr Euch? Wer bist du? Du bist nicht nur ein Hirsch. Gib dich mir zu erkennen!“, fauche ich und bin aufgestanden. Die Wut lässt meine Ader an meiner Schläfe pochen.

„Und wenn ich dies nicht tue? Dann holt Ihr das Schwert! Ni`niel, geht nach Hause und stiftet keinen Unfrieden.“ Der Hirsch geht auf das Dickicht zu, aus dem er gekommen war.

Meine Wut ist beinahe in Hass übergegangen.

Hass!

Hass auf die Überheblichkeit, die Heimtücke, den Verrat und all jene, die wie der Hirsch es sich getrauen, mir Vorschriften zu machen.

Kurz bevor er sich aufmacht zu entschwinden, dreht er noch einmal sein Haupt zu mir und blickt tief in meine Augen, aber auch in meine Seele.

„Dies war ein Rat eines Freundes. Nicht mehr und nicht weniger. Ihr kennt Euer Temperament am besten, und so manch einer, der es je wagte, sich euch in den Weg zu stellen. Vergesst den heutigen Tag, Ni´niel!“ Dann entschwindet der Hirsch, ohne sein wahres Ich mir zu offenbaren.

Nun ist die Nacht noch dunkler geworden, und ich kann den Tag kaum erwarten.

Denn ich schlage den Rat des Hirsches aus.

Die Vögel singen heute ein besonders schönes Lied. Die Luft ist frisch und würzig. Selbst durch das grüne Dach der alten Bäume spüre ich die immer stärker werdende Kraft der Sonne. Es wird heute wieder ein sehr warmer Tag werden.

Doch da ist noch eine neue Wärme, ja ein Feuer, das in mir zu lodern begonnen hat. Ein Gefühl, als brenne mein Herz. Dabei schlägt es, je mehr Zeit vergeht, immer schneller und aufgeregter.

Seit dem Morgengrauen sitze ich auf dem alten Baumstumpf und warte.

Warte auf ihn.

Mit großer Sehnsucht.

Auf Balduin.

Er wird kommen.

„Wegen mir!“, flüstere ich fast lautlos und möchte an meine Worte glauben. In so viel unendlicher Zeit habe ich mich noch nie nach etwas so sehr gesehnt. Nach einem kleinen Moment, so wie gestern. Als sich unsere Finger berührten.

Ein Kribbeln, eine aufsteigende Wärme und das Pochen meines Herzens.

Immer wieder blicke ich mich verstohlen um, und hoffe, dass der Hirsch oder wer er auch immer sei, nicht zurückkommt.

Ich möchte Balduin für mich, alleine. Nur für mich.

Ich möchte keinen Pakt schließen, sondern nur spüren. Etwas das es bei uns schon so lange nicht mehr gibt. Jetzt, da ich weiß, wie es sich anfühlen kann, bin ich umso trauriger, dass es in unserer Welt keine Gefühle mehr gibt. Alles ist bestimmt und geordnet.

Die Männer bei uns ehren die Frauen, ja sie würden alles für diese tun und doch, letztlich können sie ihnen etwas nicht geben.

Liebe!

In den Schriften steht, dass mit dem Bruch des Paktes die Liebe für immer verschwand.

Bei den Elfen wie bei den Menschen, und all den anderen Rassen.

Doch dies ist nicht wahr.

Ich habe die Liebe gefunden und ich habe diese gespürt.

Gestern, als sich unserer Finger berührten. Denn da haben sich auch unsere Herzen berührt. Und deshalb weiß ich, dass er wieder zurückkommen wird.

Jedoch sagt mein Verstand, dass ich auf den Rat des Hirsches hören sollte. Ich sollte zurückgehen, und Balduin sein Leben leben lassen. Es kann keine Verbindung geben, ich werden nie Teil seines Lebens sein. Und wenn er längst vergangen ist, so werde ich noch viele Tausende von Menschenjahren weiterexistieren.

Aber ich werde nun einfach nicht auf meinen Verstand hören. Denn wer sollte es mir untersagen, hier zu sein? Wer würde es wagen?

Was wäre, wenn ich doch einen Pakt schließe. Einen, der nur uns beträfe. Nur mich und Balduin, den starken Mann. Ich könnte ihn schützen. Ihm beistehen. Und doch wäre am Ende meine Kraft zu schwach. Denn der Tod kommt zu allen Menschen. Zu den einen früh, zu den anderen spät. Noch hat er nie auch nur einen von ihnen vergessen.

Ich sollte zurückkehren.

Ich habe ihn nicht kommen sehen, ja nicht einmal gespürt oder gerochen. Aranzza hatte es geschafft, sich im Unterholz an mich heranzuschleichen und dann plötzlich aufzuspringen und mich mit seiner kühlen schwarzen Schnauze kurz anzustupsen. Plump falle ich schon wieder in das vom Morgentau noch nasse Grün. Als ich mühevoll aufstehe, klebt eine Schnecke an meinem Brokatkleid, welche ich mit Abscheu abstreife.

Balduin, der sich hinter einer dicken Buche versteckt gehalten hat, kommt hervor und lacht laut. Es ist ein nettes Lachen, ein fröhliches, und steckt mich an.

Ich lache mit und fühle mich frei dabei.

„Was lacht Ihr? Etwa mich aus?“, rufe ich und weiß es doch besser.

„Gott bewahre, das würde ich mich nie getrauen, eine Prinzessin auszulachen.“ Er bekommt wieder die roten Backen, welche mir so gefallen.

„Ich bin keine Prinzessin!“, sage ich und säubere mein Kleid von Moos und kleinen Ästen.

„Für mich seid Ihr eine!“, antwortet Balduin mit belegter Stimme und schaut dann verlegen auf den Waldboden.

„Papperlapapp! Redet keinen Unsinn. Nun zeigt Ihr mir den Aronstab?“, frage ich und er lacht erneut, was mich etwas verunsichert. Hat er geflunkert und weiß nichts von der Pflanze?

„Ihr verunsichert mich! Was ist denn so lustig?“ Nun bekomme ich auch rote Backen.

„Wenn ich es schaffen kann, euch zu verunsichern, dann ist dies schon ein guter Tag. Ihr habt da etwas!“, sagt Balduin und kommt auf mich zu.

„Nicht!“, murmele ich und möchte zurückweichen, doch da ist der Baumstumpf im Weg.

„Wartet!“, sagt Balduin und hebt seinen rechten Arm.

„Nicht!“, sage ich noch einmal und strecke meinen Kopf so weit zurück wie es nur geht.

„So haltet doch einen Moment still, es geschieht Euch doch nichts!“ Balduin wischt mit seinem Ärmel seines Rockes über meine Nase.

„Ihr hattet da Schmutz an Eurer Nase, jetzt seht Ihr besser aus! Kommt Ihr?“

„Schmutz?“, murmele ich und kann ihm nicht recht geben. Denn es geschah etwas mit mir. Etwas in mir beginnt sich zu verändern. Wieder habe ich die Berührung genossen.

Sehr sogar.

Und ich möchte mehr davon.

Viel mehr.

In meiner Welt ist es nicht üblich, sich zu berühren. Zärtlichkeiten auszutauschen. Alles ist bestimmt, alles ist vollkommen.

Ich bin nicht vollkommen, möchte es nicht sein.

Möchte mutig sein, und bin es.

Balduin hat wieder die Armbrust geschultert und stapft mit großen Schritten ein kleines Tal mit dichtem Wald und dichtem Adlerfarn zwischen den Baumriesen hinauf. Dabei pfeift er ein Lied, welches ich schön finde.

„Ihr seid so geschwind, ich kann euch kaum folgen!“, rufe ich ihm zu. Er hält inne und dreht um. Dann kommt er ein paar Schritte zurück.

„So werde ich langsamer gehen, Herrin!“ Balduin verbeugt sich vor mir.

„Ich bin nicht deine Herrin!“, sage ich mit etwas Zorn in meiner Stimme.

„Wie Ihr wünscht!“ Balduin grinst mich über beide Backen an.

„Wenn Ihr, also wenn Ihr meine Hand nehmen könnt, so wäre es mir möglich, Schritt zu halten“, sagt meine Stimme schneller als ich es für möglich gehalten hätte. Ich sehe wie zuvor Balduin schüchtern auf die Erde. Dabei schlägt mein Herz mir bis zum Hals.

„Ihr habt schöne Hände mit schlanken zarten Fingern. Ich nur grobe Pranken gleich die eines Bären. Ich möchte Euch nicht verletzen“, sagt er und schaut noch immer unschlüssig und nervös meine Hände an.

„Ihr würdet mich nie verletzen!“, sage ich und greife nach seiner Hand. Mutig! Mutiger als ich es mir vorstellen konnte. Ich merke, wie sich der Körper von Balduin verspannt. Zugleich spüre ich das Feuer in mir noch heftiger. Es gleicht nun einem Vulkan.

„Ist es noch weit? Sagt, was für ein Lied pfeift Ihr da? Seht, jetzt kann ich Schritt halten.“ Ich rede und rede und versuche Balduin, aber auch mir die Nervosität zu nehmen.

„Es ist gleich da vorne!“, stammelt Balduin leise. Zuerst war seine Hand fast steif, doch dann, langsam und vorsichtig schlingen sich seine Finger um die meinen. In mir tobt ein Sturm der Emotionen wie ich ihn noch nie gekannt habe.

Wie ich ihn mir hätte in den kühnsten Träumen nie erträumen können.

Ein warmer Wind streift durch mein Haar. Mein Herz öffnet sich und ist bereit für sein Herz.

Es in mir aufzunehmen. Sich mit seinem zu vereinen.

Ja vielleicht einen Pakt zu schließen.

Wen würden wir dabei stören?

Wessen Missfallen heraufbeschwören?

Wer kann es wagen, mir, der Herrin von Gormuhl, sich zu widersetzen?

„Seht, hier ist es. Und ich habe nicht zu viel versprochen. Es gibt viele. Ja Hunderte.“ Balduin löst seine Hand von der meinen. Gleich spüre ich einen kalten eisigen Windstoß.

Gefahr droht!

Doch mein Verstand ist noch umnebelt. Von all den Gefühlen. Nach denen ich nun schon fast süchtig geworden bin.

„Ihr habt recht! Es müssen Hunderte sein. Ich bin Euch, Balduin von Drachenfels, zu Dank verpflichtet“, sage ich und verneige mich vor ihm. Dabei schaut mich Aranzza ungläubig an. Fast als wollte er mir etwas sagen. Sagen, dass sich noch nie eine Elfe vor einem Menschen verneigt hat.

Dann, wenn dem so sein könnte, bin ich nun die Erste.

Balduin steht plötzlich vor mir und nimmt meinen Kopf zwischen seine starken Hände. Er zieht diesen nach oben. Für eine Sekunde sind unsere beiden Lippen sehr nahe beieinander.

Doch der Moment ist schnell vorbei.

Zu schnell.

„Verneigt euch nicht vor mir. Ich bin nur ein einfacher Mann. Unser Stand ist unter dem Euren, und wir besitzen nicht viel. Ich bin es, der sich vor Euch verneigen muss!“, sagt Balduin und wieder versuche ich, in sein Herz zu blicken, doch es gelingt mir abermals nicht. Dennoch spüre ich, dass er es redlich meint, und so denke ich nicht fähig der Lüge.

Nun schaue ich ihn an. Mit meinen blauen Augen. Tief und fest, als könnte ich in sein Herz blicken.

„Balduin von Drachenfels, Ihr seid ein reicher Mann.“ Balduin möchte widersprechen, doch ich lege meinen schlanken Zeigefinger auf seine weichen Lippen.

„Ihr besitzt mehr als viele Eurer Rasse. Ihr besitzt Ehre“, fahre ich fort und beginne mich dann nach den Pflanzen zu bücken. Balduin steht noch immer verwirrt da.

„Seltsam, Eure Worte“, sagt er und ich bemerke meinen Fehler.

„Sagt mir, welchen Trunk, Sud oder Salbe kann man aus der Pflanze herstellen?“

„Einen Trunk mit großer Wirkung. Doch alleine vermag es der Aronstab nicht, es benötigt noch die Kraft der Drachenwurz dazu.“ Ich schneide vorsichtig mit meinem Dolch die erste Pflanze ab.

„So sucht Ihr auch jene?“ Balduin lacht und Aranzza knurrt.

„Sicherlich.“ Ich schneide weiter die Pflanzen ab. Ich nehme nur wenige. Das genügt.

„Dann müsst Ihr doch mit mir auf meine Feste gehen. Dort am Graben und vor den Schanzen, dort wächst es zahlreich, Euer Drachenkraut.“ Balduin spricht und ich spüre seine Freude darüber, dass ich ihm folgen werde.

Doch das werde ich nicht.

Kann ich nicht und darf ich nicht.

„Vater ist schon so gespannt auf Euch. Erst wollte er es mir nicht glauben. Doch ich bin ein schlechter Lügner und spreche stehts die Wahrheit.“ Er zuckt mit der Schulter und ich spüre, wie gerne ich mit ihm gehen möchte.

Vielleicht hat der Hirsch doch recht gehabt und ich sollte längst fort sein, denn es wird nun nur noch mehr weh tun.

Doch jetzt in diesem Moment tut es nicht weh, nein es fühlt sich gut an.

Vielleicht könnte ich ihm doch folgen. Für eine Weile. Sie würden mich nicht erkennen. Keiner der Menschen, denn sie haben unser Volk längst vergessen.

Aranzza fletscht seine Zähne.

„Nun Ni´niel, was sagt Ihr? Wollt Ihr mir zu einem bescheidenen Mahl auf die Burg meines Vaters folgen?“ Die Augen von Balduin sehen mich flehend an. Ich stehe auf und kann seinen Wunsch nicht abschlagen. Ja, ich denke ich werde ihm nie etwas abschlagen können.

„Ihr könnt sehr hartnäckig sein, Balduin von Drachenfels!“ Ich lächle und spüre wieder meine roten und heißen Wangen.

„Das deute ich als Ja!“, sagt Balduin fröhlich, als Aranzza zu bellen beginnt. Dann bricht durch das dichte Unterholz ein riesiger Bär. Zähnefletschend kommt er auf uns zu.

„Ni`niel, stellt Euch hinter mich“, schreit Balduin und greift nach einem einfachen morschen Ast.

„Heja, heja! Verschwinde!“ Der fuchtelt und stößt damit gegen den Bären. Dieser lässt sich nicht beirren und kommt immer näher. Ich spüre seinen Willen zu töten. Der Bär kennt keine Gnade für die Menschen, denn er würde auch keine erfahren.

Balduin überschätzt sich. Er möchte mich schützen, doch der Bär ist ihm zehnfach überlegen.

„Haltet ein und verschont diesen einen!“ Ich spreche die Sprache der Elfen.

Der Bär hält inne. Er hebt seinen mächtigen Kopf und schaut mich mit seinen dunklen Augen an.

„Eine Elfe, wie sonderbar. Lange habe ich diese Sprache nicht gehört. Lange habe ich niemanden von eurem Volke gesehen. Seid mir gegrüßt.“ Der Bär geht weiter auf den fuchtelnden Balduin zu.

„Verschwinde, du Untier!“, schreit Balduin mutig, was mir imponiert, doch umso mehr Angst bereitet.

Denn er hat keine Chance.

„Verschont ihn!“, sage ich in meiner Sprache. Der Bär brüllt.

„Warum sollte ich? Wenn ich ihn nicht heute töte, so tötet er morgen mich!“ Der Bär stellt sich auf seine Hinterfüße. Er ist enorm groß.

„Ich bitte euch, verschont ihn. Er hat keine Waffe, er will doch nur mich beschützen“, flehe ich.

„Ha, welch Unsinn redet Ihr da? Beschützen? Vor mir? Wir Tiere hegen keinen Groll gegen Euch Elfe, doch hätten wir mehr als nur einen Grund dazu, nicht wahr?“ Der Bär schlägt zu und den Ast aus den Händen von Balduin. Dieser stürzt fast, fängt sich jedoch

schnell wieder.

„Wir tun den Tieren nichts“, sage ich und verstehe nicht, wie wir Groll auf uns geladen haben könnten.

„Das mag sein, doch habt ihr den Pakt gebrochen, das Portal geschlossen und uns mit dieser abscheulichen Rasse zurückgelassen. Täglich töten sie uns. Wir sind wenige geworden, wenige, die überlebt haben. Doch nur für eine kurze Zeit, denn dann kommt der Nächste und tötet uns. Nicht dieser, denn ich töte ihn zuerst.“ Wieder brüllt der Bär fast ohrenbetäubend.

„Ich bitte Euch! Verschont ihn!“, bettele ich nun.

„Was interessiert Euch ein Mensch? Was treibt Euch in die Welt der Menschen zurück? Sie sind es nicht wert, er ist es nicht wert.“ Dann schlägt der Bär mit voller Wucht und ausgefahrenen Krallen zu. Balduin wird getroffen. Ich sehe Blut. Viel Blut. Erschrocken trete ich einen Schritt zurück und stoße gegen die unachtsam weggeworfene Armbrust. Der Bär holt zu seinem zweiten und sicherlich letzten Schlag aus. Ich hebe die Armbrust auf und ziele.

„Haltet ein, ich bitte Euch ein letztes Mal.“ Meine Worte werden fester und fordernder.