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Jasmin Weber ist verzweifelt. Die Heimunterbringung ihrer Großmutter ist gefährdet und sie benötigt Geld. Ihr Chef bringt sie auf den Gedanken, sich das Geld aus den Häusern reicher Leute zu besorgen.
Ein Opfer ist Roger Wulf. Er entwickelt das Programm ELKE, mit dem ein Smart Home umfangreich und intelligent gesteuert werden kann.
Das zweite Opfer ist Hans Brehme, ein Makler mit teilweise dubiosem Geschäftsgebaren.
Jasmin wird von beiden ertappt.
Roger stellt sie vor die Wahl, Polizei oder einen Tag lang seine Sklavin zu sein. Das Ergebnis ihrer Entscheidung überrascht beide.
Hans hingegen erpresst sie, damit sie für ihn einbricht und stiehlt.
Entscheidend wird es, als Hans von ihr fordert, dass sie das Programm ELKE bei ihrem Freund Roger stehlen soll. Das ist aber der Moment, an dem sich noch jemand einmischt.
Auszug:
Langsam wachte Jasmin wieder auf. Ihr letzter Eindruck war der gigantische Höhepunkt gewesen. Und Roger hatte sie an seine Brust gebettet und ihr geholfen, endgültig Ruhe zu finden. Sie war so fertig gewesen, dass sie dabei vor Erschöpfung eingeschlafen war.
Nun fühlte sich alles wie ein Bett an, nicht mehr wie die Liege. Noch trug sie diese Manschetten, aber sie war nicht mehr angebunden.
Roger ist ja so ein … ihr fiel keine passende Bezeichnung ein. Von Bastard über Schwein bis zum Arschloch probierte sie in Gedanken alles aus, aber nichts schien ihr passend für diesen … Folterknecht. Ja, Folterknecht klingt gut. Er hat mich stundenlang gefoltert. Immer wieder hochgetrieben und kurz vor dem Ziel hängengelassen. So etwas macht nur ein ausgewachsener Sadist. Genau, Sadist klingt auch gut. Wie kann der eine Frau nur so gemein am Kochen halten? Das ist doch pervers. Oh, Perversling klingt auch gut.
Wenn er mich wenigstens hinterher nicht in den Arm genommen hätte, dann könnte ich ihn jetzt hassen. Oh Mann, das hat sich so gut angefühlt, in seinen Armen aufgefangen zu werden. Dafür könnte ich ihn lieb…? Waaas? Den perversen, hundsgemeinen, sadistischen Folterknecht liebhaben? Hat mir die Sonne das Gehirn verbrannt? Wie pervers bin ich denn selber drauf?
Jasmin fühlte sich hin und her gerissen. Die Zeit auf der Liege war eine Qual gewesen. Er hatte sie zum Betteln gebracht. Sie schämte sich dafür, dass sie sich hatte so gehen gelassen. Sie knirschte mit den Zähnen, als sie vor sich selber zugab, noch nie einen so gigantischen Höhepunkt erlebt zu haben. Sie hatte buchstäblich Sterne gesehen. Und dann in seinen Armen wieder Ruhe gefunden. Sie war ihm so dankbar, dass er sie da nicht allein gelassen hatte.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Ich erzähle eine Geschichte, keinen Tatsachenbericht.
Wegen der expliziten Beschreibungen ist sie für Leser (m/w/d) ab 18 Jahren geeignet.
Alle hier vorkommenden Personen sind erwachsen und frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.
Es werden auch Aktionen aus dem Bereich BDSM beschrieben.
Bitte denken Sie immer an die Grundsätze bei BDSM:
Gegenseitiges Einverständnis, bewusste Akzeptanz und vor allem Sicherheit.
Es würde mich freuen, wenn diese Geschichte gefällt.
Über Kritik oder Kommentare würde ich mich auch freuen.
1998 erschien der Roman „The-Twenty-Four-Hour-Bride“ von Day Totton Smith in den USA. In Deutschland wurde er 2001 veröffentlicht unter dem Titel „Aus Sehnsucht nach Zärtlichkeit“ von Day Leclaire.
Bei der Liebesgeschichte ging es um ein Paar, das sich nach Monaten wieder begegnete und mit den Entwicklungen und Verwicklungen der Vergangenheit klarkommen muss. Eine wichtige Nebenfigur in der Geschichte war „Gem“, der sprechende Computer im Haus, der alles steuerte und sich überall einmischte.
Wenn man das Erscheinungsjahr bedenkt, den damaligen Stand der Computertechnik, den Gedanken an ‚Smart Home‘, wie wir ihn heute kennen, dann war das ein genialer, fast zukunftsweisender Roman.
Ich jedenfalls habe ihn jedes Mal beim Lesen genossen. Besonders auch Gems Verhalten und Kommentare.
Deswegen ist Elke in dieser Geschichte auch meine Hommage an diesen ‚alten‘ Roman.
Keine Wahl
Großmutter
Nächtliche Besuche
Pech
Bestrafung
Revanche
Einladungen
Zwang
Eindringen
Erkenntnisse
Neugier
Fantasien
Aktionen und Reaktionen
Niederlagen
Überraschungen
Heimkehr
Epilog
Nachdenklichkeit als Nachwort
Langsam schlurfte die Frau durch die Stille der Nacht. Vier Uhr hatte die Kirchturmglocke geschlagen, als die Frau sie das letzte Mal gehört hatte.
Ihre abgewetzten Turnschuhe hoben sich kaum vom Asphalt bei jedem Schritt. Ihre Jeans war wahrscheinlich einmal blau gewesen. Jetzt zeigte sie alle möglichen dunklen Farben. Vieles stammte vom Erdreich oder dem Müll in dunklen Ecken. Seit zwei Jahren lebte sie nun schon auf der Straße. Alles, was sie noch besaß, trug sie mit sich.
Ihr langer dunkelbrauner Mantel schlabberte um ihre hagere, hochgewachsene Gestalt. Die linke Außentasche hing nur noch an einigen Fäden und die meisten Knöpfe fehlten. Eigentlich war es zu warm für einen Mantel. Der Juni war bisher sehr mild gewesen. Trotzdem hatte die Frau den Mantel vorne zugeschlagen und hielt ihn mit einer Hand zusammen. Mit der anderen stützte sie ihren kostbaren Schatz, den sie darunter verborgen trug. Gelegentlich lief eine Träne über ihre Wange und tropfte auf den Mantel. Die matten und strähnigen schwarzen Haare hingen ihr bis auf die Schultern. Sie waren unregelmäßig geschnitten. Wie es eben aussah, wenn man sie sich selber ohne Spiegel mit einem halbstumpfen Messer kürzte.
Langsam schlurfte die Frau durch die Stille der Nacht. Wer in ihr Gesicht sah, sah die Erfahrungen von zwei Jahren Straße. Tief lagen die braunen Augen in ihren Höhlen. Eine kleine dreieckige Narbe war neben ihrem linken Auge sichtbar. Die Wangenknochen stachen hervor. Sie mochte schlank wirken auf den ersten Blick, aber sie hatte Hunger. Und das nicht erst seit gestern. Das Gesicht sah müde aus. Resignation sprach aus jeder Pore. Wer sie sah, hätte nie gedacht, dass die Frau erst 21 Jahre alt war. Man hätte sie locker um mindestens zehn Jahre älter eingestuft. Zwei Jahre Straße hinterließen ihre deutlichen Spuren.
Schritt für Schritt näherte sie sich dem Hinterausgang des Krankenhauses. Hier brannte keine Beleuchtung. Nur das grüne Leuchten der Lampe mit dem Aufdruck ‚Notausgang‘ spendete Licht. Ein Dutzend großer Müllcontainer standen ein paar Schritte entfernt in der Nähe des offiziellen Lieferanteneingangs. Hierher kamen auch die Schwestern und Pfleger fast regelmäßig und entsorgten den Müll von den Stationen. Die einen oder anderen traten dann auch hinter die Müllcontainer, um für ein paar Minuten Ruhe bei einer Zigarette zu finden. Ein paar Male tief die milde Nachtluft einatmen und sich vorzustellen, man stünde zu Hause auf dem Balkon. Es waren immer nur kurze Pausen, dann mussten die ständig unterbesetzten Stationen wieder betreut werden.
Die Frau hoffte, dass gerade jetzt niemand kam und ihr Fragen stellte. Langsam streifte sie den Mantel ab und hielt das kostbare Bündel immer vorsichtig an ihre Brust gepresst. Nur ein eingerissener dunkelgrüner dünner Pullover bedeckte noch ihren Oberkörper. Den Mantel ließ sie zu Boden gleiten und formte ihn zu einem Nest. Dann legte sie das Bündel hinein. Es war in ihr letztes Unterhemd gewickelt. Aus der Hosentasche holte sie eine schmutzige kleine Plastiktüte und legte sie neben das Bündel. Sanft schlug sie den Mantel über das Bündel. Es sollte nicht frieren.
Noch einmal bückte sie sich und küsste das winzige Gesicht, das nicht bedeckt war. Dann musste sie sich abwenden, denn ihre Tränen liefen nun ungebremst über ihre Wangen und fielen auf den Boden.
Zwei Wochen lang hatte sie es versucht. Sie hatte sich entscheiden müssen. In einer Hausecke hatte sie das Mädchen geboren. Eine alte Frau, die ebenfalls auf der Straße lebte, hatte ihr geholfen. ‚In einem anderen Leben war ich Arzthelferin‘ hatte die Alte mit ihren wenigen Zähnen gegrinst. Vielleicht stimmte es, denn sie hatte beinahe routiniert gewirkt und geholfen. Manche warf das Leben aus der Bahn und leitete den Absturz ein.
Die Frau hatte neun Monate davor das Pech gehabt, dass sie am falschen Ort Flaschen gesammelt hatte. Da waren zwei angetrunkene Männer vorbeigekommen. Es hatte sie nicht interessiert, ob die junge Frau wollte oder nicht. SIE wollten. Nur das hatte für die beiden gezählt. Und sie hatten ihren Willen auch mit ihren Fäusten durchgesetzt. Was zählte der Wille einer Frau von der Straße?
Wer auf der Straße lebt, hat nicht das Geld, um sich regelmäßig die Pille zu besorgen. Die junge Frau war schwanger geworden bei der Begegnung. Obwohl ihr alle Mitbewohner der Straße geraten hatten, einen ‚Engelmacher‘ aufzusuchen, hatte sie es ausgetragen. Die anderen hatten sie nicht unbedingt verstanden, aber auch, wenn sie selber kaum etwas besaßen, dann hatten die meisten doch noch ihre Ehre. Die Ehre der Straße. In gewisser Weise lebten sie das Motto der Musketiere, wie es Alexandre Dumas in seinen Romanen um die 3 Musketiere anpries: ‚Alle für einen, einer für alle‘. Die Straßenbewohner halfen der jungen Frau, soweit es ging.
Nun wuchs es ihr über den Kopf, so klein ihre Tochter auch war. Betteln mit dem Kind im Arm ging nicht. Polizei, Jugendamt und andere hätten es ihr sofort weggenommen. Aber woher Windeln und Babynahrung besorgen? Noch war Sommer, aber in ein paar Monaten …?
Das Baby wirkte ruhig und schwächlich. Deshalb hatte sich die Frau zu diesem Schritt entschlossen.
„Es wird besser, Jasmin. Du wirst es besser haben“, murmelte sie leise.
Noch einmal streichelte ihre zitternde Hand die Stirn der Kleinen. Dann richtete sie sich auf und schlurfte weg. Ihre Tränen liefen weiter. Es war der schwerste Schritt, den sie hatte machen müssen. Der nächste fiel ihr jetzt dagegen wesentlich leichter.
Jasmin hatte sie ihre Tochter genannt. Jasmin, ‚die Unschuldige‘. In der kleinen Plastiktüte war alles, was sie an Wert noch gehabt hatte. Auf einem speckigen Zettel hatte sie den Vornamen des Kindes und das Geburtsdatum notiert. Und den Wunsch, dass es in eine gute Familie kommen sollte. Mit Asta hatte sie unterschrieben. Alle auf der Straße nannten sie Asta. Ihr ‚Astrid‘ hatten alle einfach abgewandelt und dabei war es geblieben. Nachnamen interessierten sowieso niemanden. In der nächsten Stunde würden sicher mehrere Schwestern oder Pfleger kommen, um eine Morgenzigarette zu rauchen. Und sie würden das Kind finden. Es lag ja im Licht der Notbeleuchtung, nur ein paar Schritte entfernt.
Langsam schlurfte die Frau weiter durch die Stille der Nacht. Schritt um Schritt näherte sie sich ihrem Ziel. Inzwischen waren die Tränen versiegt. Jetzt lag eine ruhige Gelassenheit in ihrem Gesichtsausdruck. Sie kam ihrem nächsten Ziel immer näher.
Der Zaun, der es abgrenzte, war alt und an einigen Stellen durchlässig. Ruhig schlüpfte die junge Frau durch das Loch im Zaun. Dann rutschte sie die Böschung hinunter. Auf die braunen Flecken zusätzlich auf der Hose kam es nicht mehr an. Unten trat sie über den Schotter auf die Gleise. In dieser Schneise fuhr alle halbe Stunde der Schnellzug durch. Die Kurve vor ihr bremste ihn nicht. Gerade fing die Dämmerung an, aber hier unten war es noch dunkel. Das Zwielicht würde ihr hoffentlich helfen, zu spät gesehen zu werden.
Zuerst spürte sie das Zittern auf den Gleisen. Dann vernahm sie das Brummen und Rattern der sich rasch nähernden Bahn. Sie spreizte die Arme leicht, als ob sie das Kommende umarmen wollte. Sie hoffte, dass es schnell vorbei sein würde, wenn der Zug sie frontal erfasste. Sie hoffte es, weil sie es nicht ertragen würde, jeden weiteren Tag in ihrem Leben das letzte Bild ihrer Tochter und damit ihr Versagen vor Augen zu haben. Als sie die Lichter der Zugmaschine um die Kurve kommen sah, schloss sie die Augen. Sie lächelte dünn, während sie noch einmal tief Atem holte. Innerlich war sie ganz ruhig.
25 Jahre später.
Mit schnellen Schritten betrat die junge Frau das Pflegeheim. Sie war auf dem Weg zu ihrer Großmutter. Fast jeden Tag schaute sie vorbei und verbrachte eine oder zwei Stunden mit der alten Dame. Die schwarzen Haare, die ihr normalerweise bis über die Schulterblätter fielen, hatte sie heute zu einem dicken Zopf zusammengefasst. Neben einer modischen Bluse trug sie enge 7/8tel Jeans, die ihre schlanken Fesseln und die halbhohen Riemchensandaletten betonten. Schlank und grazil würde man sie beschreiben. Auch der mittelgroße Busen passte sehr gut zu ihrer Figur.
Mit einem Lächeln nickte sie der Empfangsdame zu und die nickte wohlwollend zurück. Man kannte sich seit Jahren. Ab und zu ein nettes Wort und ein kleiner Plausch bildeten die Grundlage für die andauernde Sympathie. Für die Empfangsdame war die junge Frau ein gern gesehener Besucher. Nicht nur, weil sie fast täglich ihre Oma besuchte. Allein das war schon eine Seltenheit, verglichen mit anderen Bewohnern und deren Familien. Nein, die junge Frau bezog auch andere Mitbewohner mit ein, wenn die in der Nähe waren. Dann lächelten auch andere und fühlten sich wohler.
Jasmin Weber trat an das Bett ihrer Großmutter. Die lebte seit drei Jahren in dem Pflegeheim. Es hatte Jasmin viel Geld gekostet, sie dort unterzubringen. Vorteilhaft war für sie auch, dass es in ihrer Nähe war. Und es war ein sehr gutes Heim. Die Pfleger kümmerten sich hier wirklich um ihre Patienten. Jasmin hatte dies schon mehrfach positiv feststellen können.
Hilfreich war gewesen, dass ihrer 78jährige Großmutter nicht zu den ‚armen Leuten‘ gehört hatte. Als es sich abzeichnete, dass sie pflegebedürftig wurde, hatte sie vorsorglich ihre Enkelin als Betreuerin eingesetzt. Sie hatte auch festgelegt, in welchem Umfang ihre Enkelin sie betreuen sollte. Das hatte sie sogar mit einem Anwalt aufsetzen lassen. Damit konnte Jasmin das Haus ihrer Großmutter und deren Besitz verkaufen, um ihr den Platz im Pflegeheim zu sichern. Immerhin kostete der Patz in diesem Heim über 5000 Euro im Monat.
Nur, als Barfrau verdiente Jasmin selber nicht viel. Ihr reichte es für die kleine 2-Zimmerwohnung und den eigenen Lebensunterhalt. Jasmin hatte da keine großen Ansprüche. Aber das Geld ihrer Großmutter war inzwischen zusammengeschrumpft. Das Ende war abzusehen. Damit stand für Jasmin täglich die Überlegung im Raum, wie sie das Heim in absehbarer Zeit finanzieren sollte. Das Sozialamt hatte schon signalisiert, dass es diese Kosten nicht übernehmen würde. Da gab es deutlich günstigere Unterbringungsmöglichkeiten. Und das bedeutete Umzug und schlechtere Versorgung, vielleicht sogar weiter entfernt. Für die alte Dame wäre es eine Katastrophe. Für das Amt eine Kostenersparnis.
Seit einigen Monaten zeichnete sich auch noch Demenz bei ihrer Großmutter ab. Als sie es das erste Mal erlebte, war sie zutiefst erschüttert gewesen. Gerade hatten sie sich über einen Ausflug unterhalten, den sie mit anderen Heimbewohnern zusammen gemacht hatten, denn auch so etwas wurde hier angeboten. Mitten in dem Gespräch war es geschehen. Ohne Vorwarnung.
„Jasmin heißen Sie? Einen schönen Namen haben Sie. Meine Enkelin heißt übrigens auch so. Ich glaube, ich sollte sie wieder einmal einladen. Wissen Sie, Jasmin ist ein hübsches Mädchen. Ich muss sie einmal fragen, was sie machen will, wenn sie die Schule beendet hat“, hatte ihre Großmutter ihr erzählt.
Sie hatte über ihre Enkelin Jasmin, die für sie noch in die Schule ging, erzählt. Sie hatte kleine Anekdoten erzählt und dass ihre Enkelin kurz vor dem Abitur stand. Ihr, Jasmin, genau dieser Enkelin, die ihr gerade gegenübersaß und 25 Jahre alt war, hatte sie es erzählt.
Dann hatte Ihre Großmutter kurz vor sich hingestarrt und erzählte gleich darauf wieder weiter über den Ausflug und wie schön er gewesen war, als ob das Ganze nicht passiert wäre. Jetzt wusste sie wieder, dass ihre Enkelin neben ihr saß.
Zuerst hatte Jasmin gedacht, ihre Oma hätte einen Scherz gemacht, aber es wurde ihr langsam bewusst, dass es Realität gewesen war. Keine Verstellung. Kein Scherz.
Sie hatte hinterher mit dem Arzt gesprochen und der hatte nur ernst genickt.
„Wissen wir bereits. Manchmal erkennt sie die Leute nicht mehr. Oder sie erinnert sich nicht an Begebenheiten oder Absprachen. Beginnende Demenz. Wir versuchen, das mit entsprechenden Medikamenten zu bremsen. Aufhalten oder umkehren können wir das nicht, nur verlangsamen. Deswegen wissen die Betreuer, dass sie ein besonderes Auge auf ihre Großmutter haben müssen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie einen Spaziergang macht und nicht mehr weiß, wo und wer sie ist. Wir lassen sie nur noch in Begleitung nach draußen.“
Etwas später saß Jasmin neben ihrer Großmutter und sah ihr beim Essen zu. Heute gab es leckeren Apfelkuchen zum Kaffee. Ein kleines Blumengesteck war auf jedem der Tische im Speiseraum. Durch die großen Panoramafenster schien die Sonne herein und füllte den Raum mit einer warmen Atmosphäre. Ja, es ist schön hier. Hoffentlich kann sie immer hier sein, dachte Jasmin.
Damit war sie wieder bei den drohenden Geldproblemen. Dieses Jahr reichte es auf jeden Fall. Weil sie immer so viel wie möglich von ihrem eigenen Gehalt abzweigte und sparte, würde auch das nächste Jahr noch sicher abgedeckt werden können. Aber dann wurde es eng. Sehr, sehr eng.
Jasmin brauchte Geld. Sie wollte das Problem nicht vor sich herschieben, bis es zu spät war. Aber ihre Aussichten waren mehr als schlecht.
Jetzt war sie 25. Vor fünf Jahren waren ihre Eltern gestorben. Ein volltrunkener Autofahrer war in die Tische eines Straßencafés gerast. Ihre Eltern hatten keine Chance gehabt. Jasmin war damals monatelang so verzweifelt gewesen, dass sie ihre Ausbildung bei der Polizei abgebrochen hatte. Damals hatte ihre Großmutter sie zu sich genommen und ihr über die Verzweiflung hinweggeholfen. Über ein halbes Jahr hatte es gedauert, bis sie wieder normal reagierte. Aber da war der Ausbildungsplatz weg und ihr war es egal gewesen. Ohne ihre Eltern hatte sie wenig Anreiz.
Lange hatte sie mit ihrem Schicksal gehadert. Mit 18 hatte sie erfahren, dass sie adoptiert worden war. Ihre Mutter hatte sie vor einem Krankenhaus ausgesetzt. Da war sie zwei Wochen alt gewesen. Mit den Webers hatte sie tolle Eltern bekommen. Er war im Polizeidienst und sie arbeitete auf dem Bürgermeisteramt. Beide waren schon etwas älter gewesen, aber es hatte bei ihnen nie geklappt mit dem Kinderwunsch. Dann hatten sie Jasmin adoptiert. Und nun waren die Eltern tot und sie wieder allein. Nun gut, sie hatte noch eine Großmutter, die Mutter von Papa Weber. Das war alles.
Langsam hatte sich bald darauf auch abgezeichnet, dass ihre Großmutter abbaute. Viele Dinge wurden für sie immer schwieriger oder beschwerlicher. Anfangs war Jasmin froh gewesen, ihrer Großmutter helfen zu können. Für sie war es der Dank gewesen, weil sie ihr über den Verlust der Eltern geholfen hatte. Erst nach und nach hatten beide Frauen den langsamen Kräfteabbau als solchen registriert. Dann hatten sie sich zusammengesetzt und geplant. Und alles wurde schriftlich festgelegt, damit es später keine Diskussionen geben konnte. Jasmin hatte darauf bestanden.
Seit knapp drei Jahren arbeitete sie in einer Bar. Da sie ihre Ausbildung abgebrochen hatte, war sie damals froh gewesen, diesen Job zu bekommen. Und wegen ihrer Großmutter konnte sie sich keine neue Ausbildung leisten wegen dem geringen Einkommen dabei.
Bernhard Grewe, der Barbesitzer, hatte ihr den Job angeboten. Eine der wenigen früheren Freundinnen hatte den Kontakt vermittelt.
Anfangs hatte sie sich sehr unwohl gefühlt. Immerhin war es eine Nachtbar. Zwar mit gehobenen Gästen, aber es war eine Nachtbar. Öffnungszeit von 20 bis 2 Uhr. Freitags und samstags war Hochbetrieb. Sonntag und Montag war die Bar geschlossen. Der Rest der Woche lief unterschiedlich. Im Hintergrund gab es das Podium mit dem Dance-pole. Später am Abend waren dort die Stripperinnen aktiv. Und es gab die anderen Mitarbeiterinnen, die sich bemühten, die fast ausschließlich männlichen Gäste zum Trinken zu animieren. Oder sie halfen den Gästen, sich in den Separees zu entspannen. Wer da mitmachte, konnte ein ordentliches privates Trinkgeld sammeln.
Jasmin musste nur in einem knappen, hautengend Trikot hinter der Theke stehen und servieren. Den ‚Dienst am Kunden‘ machte sie nicht. An den knappen, recht offenherzigen Dress hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Und sie hatte herausgefunden, dass ihr Job hier doch sehr gut bezahlt wurde, verglichen mit ähnlichen Anstellungen.
Unter den Kolleginnen herrschte eine gute Atmosphäre und Bernhard Grewe stand wie ein Patriarch an der Spitze. Er hatte immer ein offenes Wort für seine Angestellten und half, wenn es ihm möglich war. Vielleicht sollte sie einmal mit ihm reden? Möglich, dass er ihr zu einer besser bezahlten Position verhelfen konnte.
Der Schock kam am nächsten Tag, als sie die Post las.
Das eine Schreiben sah schon ziemlich amtlich aus. Es war an sie adressiert und im Fenster konnte sie den Namen des Absenders erkennen. Der sagte ihr nichts. Das dahinter aber der Begriff Insolvenzverwalter auftauchte, jagte ihr einen ersten kalten Schauer über den Rücken. Insolvenz klang gar nicht gut. Und so einer schrieb ihr? Was hatte es mit ihr zu tun?
Mit banger Miene riss sie den Umschlag auf und zog die drei zusammengefalteten Seiten heraus. Mit jeder Zeile, die sie las, nahm ihr Entsetzen zu. Was da stand, konnte doch nicht stimmen.
Als sie damals das Haus ihrer Großmutter verkauft hatten, war die Frage gewesen, wie man das Geld am gewinnbringendsten anlegen konnte. Schon damals hatten die beiden Frauen gewusst, dass es nicht beliebig lange reichen würde. Vielleicht hatten sie dabei auch einfach die Augen verschlossen vor der Möglichkeit, dass das Sozialamt, wenn es soweit war, die alte Frau irgendwoandershin verlegen würde. Aber sie hatten nach guten Anlagemöglichkeiten mit nicht allzu langer Laufzeit und trotzdem guter Rendite gesucht. Da war die Empfehlung, in einen Windpark zu investieren bei durchschnittlich acht Prozent Zinsen, ein Glücksfall gewesen.
Also hatten sie 50.000 dort investiert. Die letzten Jahre war auch immer eine mehr als durchschnittliche Rendite gemeldet und mit investiert worden. In sieben Monaten wäre der Vertrag abgelaufen und das Kapital wäre wieder verfügbar gewesen. Dann hätten sie runde 70.000 zurückbekommen durch Zins und Zinseszins. Genau richtig für über ein Jahr Pflegeheim.
Und jetzt standen vor ihren fassungslosen Augen Worte wie betrügerischer Bankerott, Insolvenz, kein Kapital mehr vorhanden, Gesellschafter untergetaucht und ähnliches mehr.
In Summe besagte das Schreiben, dass sie nur exakt null Komma null Euro zurück erhalten würde. Null! Nada! Nichts! Niente! Alles weg. Punkt.
Jasmin starrte die nächsten Minuten weiter auf das Blatt, ohne irgendetwas wirklich zu sehen. Der Schock hielt sie in seinem Griff. Sie versuchte zu begreifen, was das Schreiben besagte.
Mühsam kämpfte sich ihr Denkprozess wieder an die Oberfläche und dachte weiter. Wenn das Schreiben Tatsache war, dann blieben nur noch exakt neun Monatsrechnungen, die sie für ihre Großmutter begleichen konnte. Neun Monate! Ein dreiviertel Jahr! Nicht mehr!
Trotzdem brauchte sie fast noch eine weitere Stunde, bis sie eine Rückfrage, ob es wirklich keine Erstattung, Auszahlung oder irgendeinen Schadensersatz gab, abgeschickt hatte. Das Mail beinhaltete die verzweifelte Hoffnung, dass es doch noch einen Lichtschein, sei er auch noch so klein, am Horizont gab. Vielleicht blieb es nicht bei der Null. Doch ein anderer Teil in ihrem Denken schüttelte nur den Kopf vor solch naiver Hoffnung.
Beim Besuch am Nachmittag musste sich Jasmin sehr zusammennehmen und normale Fröhlichkeit heucheln. So eine Nachricht durfte ihre Großmutter nicht belasten. Sie sollte glücklich sein. Ihr Leben war manchmal schwer genug gewesen. Dafür standen ihr jetzt Ruhe, Freude und Sorgenfreiheit zu. Das war jetzt allein Jasmins Problem. Und sie würde eine Lösung finden.
Natürlich hatte sie auch abends, als sie zur Arbeit erschien, den Schock noch nicht verdaut. Selbst Bernhard Grewe, der genau wie seine Angestellten eine Stunde vor Öffnung der Bar anwesend war und bei den Vorbereitungen half, merkte es.
Als Barfrau musste Jasmin unter anderem die Zitronenscheiben für Drinks, die Eiswürfel und anderes frisch vorbereiten und in die entsprechenden Vorratsbehälter füllen. Sonst lief dabei alles mit fröhlichen Sprüchen ab. Alle Frauen, die hier arbeiteten, kannten und respektierten sich. Da wurde natürlich auch gekabbelt. Aber alles lief auf freundschaftlicher Basis.
Heute war Jasmin nur auffallend schweigsam und reagierte nicht einmal auf gutmütige Sticheleien. Sie arbeitete langsam und starrte minutenlange Löcher in die Luft.
Schließlich holte Bernhard sie hinter dem Tresen hervor und nahm sie mit in sein Büro. Dort schloss er die Tür. Normalerweise war es etwas, dass Jasmin als positiv empfand, wie ihr aller Chef sich um seine Mitarbeiterinnen kümmerte und wie er bei Problemen das nicht vor den anderen klärte. Nur heute saß sie vor ihm und wand sich innerlich bei seiner Frage, was mit ihr los sei.
„Ich habe heute von einem ziemlichen finanziellen Verlust erfahren“, rückte sie nach einigen Sekunden heraus.
„Sehr hoch?“
„Etwa 70“, gestand sie.
Leise pfiff Bernhard durch die Zähne. Siebzigtausend war viel. Dass sie nicht von 70 Euro allein redete, war ihm sofort klar gewesen. Bei diesem Betrag brauchte er auch nicht über ein Vorstrecken nachdenken.
„Keine Chancen, es doch noch zu bekommen?“ fragte er mitfühlend.
„Die wievielte Stelle nach dem Komma möchtest du wissen?“
Diesmal rettete sich Jasmin in blanken Sarkasmus. Alle in der Bar duzten sich mit Bernhard. Auch das schuf eine fast familiäre Atmosphäre.
Bernhard hob entschuldigend die Hände. Wieder hatte er verstanden, dass es keine Möglichkeiten gab.
„Hast du andere Möglichkeiten, an den Betrag zu kommen? Ein weiterer Job?“
Er versuchte, ihr andere Möglichkeiten aufzuzeigen. Sie schüttelte den Kopf.
„Das Geld wäre in etwas über einem halben Jahr fällig gewesen. Dann etwa würde ich es auch brauchen. Kennst du einen anderen Job für mich, bei dem ich das in dem Zeitraum verdienen kann?“
Immer noch schwelte Sarkasmus in Jasmins Stimme. Bernhard schüttelte den Kopf. Solche Verdienstmöglichkeiten konnte er ihr nicht nennen.
„Ich weiß“, murmelte sie.
„Bei dem Betrag kann ich gleich eine Bank überfallen.“
Noch immer ließ sie den Sarkasmus durchklingen. Er dagegen zog seine Augenbrauen zusammen. Ihm schoss eine andere Idee durch den Kopf. Vor allem, weil es sich an die Anfrage eines alten Freundes anlehnte.
„Bank ist zu aufwendig und das rentiert sich kaum“, spielte er mit.
„Aber geh zu reichen Leuten und erleichtere sie ein wenig.“
„Wie meinst du das“, nahm sie den Köder auf.
„Ich dachte so an Robin Hood. Raube bei den Reichen und gib es den Armen. Und es gibt einige reiche Typen hier in unserer Gegend. Der eine oder andere hat auch immer genügend Kleingeld zu Hause. Man muss es nur holen. Die merken es nicht einmal, wenn ihnen ein paar Tausender abgehen.“
„Du meinst einbrechen? Das kann ich nicht.“
„Es ist ja auch nur hypothetisch. Aber ich erinnere mich an das Mal, wie du vor einem Jahr mir die Tür hier geöffnet hast, als ich meine Schlüssel hier drinnen habe liegengelassen.“
Es war der zweite Köder. Absichtlich redete er nicht über ihr Können. Aber dass sie in seinem Auftrag hier eingedrungen war und ihm damit geholfen hatte, war Tatsache. Sauber und ohne Beschädigung hatte sie es geschafft. Für ihn war es eine Notsituation gewesen. Weil er ihren Hintergrund kannte, hatte er sie damals gefragt, ob sie es schaffen würde. Sie hatte.
Jetzt winkte er ab und lachte leise. Er wischte die Idee vom Tisch.
„Ich weiß, so etwas machst du nicht. War ja nur ein Gedankenspiel. Wenn ich da zum Beispiel an Hans Brehme denke, von dem weiß ich, dass er immer ein paar Tausender in seinem Schreibtisch hat für schnelle Geschäfte.“
Damit hatte er den dritten Köder gelegt. Doch er brach das Gespräch hier ab und bat Jasmin nur, sich an ihre Aufgaben hier zu erinnern. Dann schickte er sie zurück an ihre Arbeit.
Er hatte Jasmin immerhin wieder soweit zurückgeholt, dass sie ihre Arbeit ordentlich verrichtete.
Doch der Samen war gelegt. In den nächsten Tagen kehrte der Gedanke an Einbrüche bei reichen Leuten immer wieder zu ihr zurück. War es anfangs die gedankliche Verbindung mit ‚blöde Idee‘, wandelte es sich im Laufe der Tage zu ‚kann ich es schaffen?‘ und ‚wie kann ich es machen?‘ um.
In ihr kamen die Erinnerungen hoch an die Ausbildungszeit, die sie bei der Polizeischule durchlaufen hatte. Auch dort hatte es das Fach gegeben, bei dem es um Gebäudesicherheit, Alarmanlagen und ähnliches ging. Damals waren die häufigen Fehler beschrieben worden. Damals waren die Schwachstellen aufgelistet worden. Und diese Unterlagen hatte sie noch. Sie hatte sogar noch das kleine Werkzeugset zum Öffnen von Schlössern, dass damals jeder bekommen hatte für die praktischen Übungen.
Vielleicht waren ihre Unterlagen heute technisch gesehen nicht mehr die aktuellsten, aber wer modernisierte auch seine Sicherheit alle paar Monate, wenn nichts passierte? Auch das war eine häufige Schwachstelle, dass man dem veralteten System noch immer vertraute, weil eben nichts passierte.
Wie hatte es der Lehrer damals beschrieben? ‚Die Leute übersehen, dass Sicherheit wie Krieg ist. Angreifer und Verteidiger rüsten permanent auf und entwickeln weiter. Wer nicht mitmacht oder nachlässt, verliert den Kampf‘.
Sie erinnerte sich an eine Reportage, bei der die Aussage kam, dass ‚der Einbrecher von heute keine Brechstange mehr verwendet, sondern ein Smartphone‘. Zuerst hatte sie selber gelacht, aber dann war gezeigt worden, wie einfach teilweise die Elektronik eines Smart Home übernommen wurde. Da hatte sie gestaunt, wie plötzlich der Reporter, natürlich vor den staunenden Augen des Hausbesitzers und mit dessen Genehmigung, die Haustür öffnete. Nur mit seinem Smartphone.
Jetzt fiel ihr der Bericht wieder ein. Allerdings gab sie sofort zu, dass sie sich bei der Software nicht sehr gut auskannte. Sie war eine Userin, keine Programmiererin, wie sie sich lächelnd eingestand. Nichts gegen die Idee, aber die konnte sie nicht umsetzen.
Aber sie war stolz auf sich, als es ihr mit dem Werkzeug ohne Probleme gelang, die eigene Haustür zu öffnen. DAS funktioniert, hakte sie gedanklich ab.
Dann ertappte sie sich dabei, wie sie eine Liste reicher Personen in ihrer Umgebung erstellte. Nicht jeder Reiche schaffte es dorthin, denn das Kriterium war, dass sie Bargeld haben mussten. Schmuck und ähnliches mochte viel wert sein, aber Jasmin kannte keine Hehler. Da bestanden zu große Chancen, an die Falschen zu geraten oder mit der Ware aufzufallen. Auch Goldmünzen waren schwierig, weil man meist die Besitzdokumente benötigte beim Verkauf. Es lief immer auf Bargeld hinaus. Nur, wer hatte wirklich Tausende im Haus?
Jasmin lernte auch den Unterschied von reich und reich dabei. Es gab viele Firmenbesitzer, die als reich eingestuft wurden, weil sie eine gutgehende und wertvolle Firma besaßen. Das war aber nur der Wert der Firma. Andere wurden als reich bezeichnet, weil sie viele Immobilien besaßen. Meist war es geerbt und sie lebten von den Mieteinnahmen. Aber Firma oder Besitz zu haben und gleichzeitig auch noch kapitalkräftig zu sein, gab es wenige Kandidaten.
Also studierte sie Internetberichte über die Kandidaten. Am Ende standen nur zwei sichere Namen auf der Liste und einige mögliche. Nur bei den Sicheren gab es genügend Belege, dass die gerne bar bezahlten und da auch mal höhere Beträge über den Tisch gingen.
Zum einen war es Roger Wulf, der sich mit seiner Firma auf Smart Home spezialisiert hatte. Wieder hatte Jasmin an den damaliger Bericht gedacht. Trotzdem hatte sie es nicht als damit illusorisch abgetan, sondern als Herausforderung betrachtet.
Der andere Kandidat war Hans Brehme. Als Makler kaufte und verkaufte er alles Mögliche. Sie erinnerte sich, dass ihr Chef ihn damals genannt hatte. Er hatte sogar gesagt, dass der sein Geld im Schreibtisch aufbewahrte.
Und es kam der Moment, an dem sich Jasmin eingestand, dass sie schon sehr intensiv mit dem Gedanken an einen Einbruch liebäugelte. Eigentlich plante sie sogar bereits.
Mit dieser Erkenntnis hatte sie erst einmal wieder eine Reihe unruhiger Stunden. Durch das Eingeständnis, ich breche ein und stehle Geld, brach ein Gewissenskonflikt in ihr aus. Der erste Gedanke war, es sofort und unwiderruflich zu verwerfen. Dann allerdings stand das Bild vor ihren Augen, wie ihre Großmutter in nunmehr acht Monaten aus ihrem Zimmer geholt und weggebracht wurde. In ihrer Vorstellungswelt tauschte ihre Oma das helle, freundliche und mit einiger ihrer persönlichen Erinnerungsstücke ausgestattete Zimmer mit einer dunklen engen Kammer mit abgenutzten Möbeln und fleckigen Wänden.
Es wurde eine grausame Folter für Jasmin, an diesen Unterschied zu denken. Hier die fürsorglich behandelte alte Dame und dort die links liegengelassene Alte auf dem Abstellgleis. Selbstbestimmtes Leben mit Freiheiten contra Sozialfall ohne Spielraum.
Jasmin wusste, dass sie sich selber mit den Bildern folterte und dass diese nicht wahr waren, aber diese Bilder kamen fast automatisch, wenn sie an das verbleibende Geld dachte. Genauso dröhnte dann die Stimme des Mitarbeiters vom Sozialamt in ihren Ohren, als er ihr mitteilte, dass die Sozialkasse auf keinen Fall bereit wäre, diesen horrenden Betrag an das jetzige Heim weiter zu zahlen.
Nur ganz flüchtig kam die Überlegung, wer denn die Unterbringung zahlen würde, wenn sie selber im Gefängnis saß? Oder wurde es schnell übermalt von der Statistik mit der geringen Aufklärungsrate bei Hauseinbrüchen?
Aber es kam der Moment, an dem Jasmin eine Entscheidung treffen musste. Es war der Tag, als die nächste Monatsrechnung fällig wurde. Noch sieben Monate. Count down läuft.
Das würfelförmige Gebäude sah von außen einfach nur furchtbar aus. Ein mannshoher Zaun mit Sichtschutzverblendung umzog das Grundstück. Ein großes stählernes Schiebetor neben einer Fußgängertür trennte die Straße ab. Außer saftig grüner Wiesenfläche und der gepflasterten Zufahrt zur Garage gab es nur noch das Haus.
Jasmin schauderte. Wenn man sich die weiße Farbe wegdachte, wirkt es wie ein Bunker. Oder wie ein Würfel. Zwei Reihen Fenster bedeuteten zwei Etagen und wahrscheinlich kam ein Keller hinzu. Nur der Abstand zwischen den Fensterreihen erschien ihr groß. Entweder waren die Fenster im Obergeschoss sehr weit oben, oder die Böden zwischen den Etagen waren sehr dick.
Mit einer Drohne hatte sie das Gebäude am Ende der Sackgasse am Stadtrand und das Gelände darum in den letzten Tagen ausgekundschaftet. Das interessanteste an dem zweigeschossigen Gebäude war die Dachterrasse. Richtig begrünt hatte der Eigentümer die Fläche und sogar ein paar Büsche an den Rand gepflanzt. Zwei Liegen standen unter einem Sonnensegel. Auch ein gemauerter Grill war zu erkennen.
Das Schönste aber war die Tür zum Haus auf der Terrasse. Es war eine einfache Schiebetür aus Glas in einem Metallrahmen. Und die Drohne hatte kein Schloss gesichtet.
Auch auf dem ganzen Grundstück gab es keine Kameras oder erkennbare Alarmanlage. Zumindest hatte Jasmin kein entsprechendes Gerät identifizieren können. Weder Kameras noch Bewegungsmelder. Das einzige, das Sicherheit versprach, waren die metallenen Läden vor den Fenstern. Es gab keine Jalousien, sondern wie bei einem Haus in früheren Zeiten gab es Läden, die aufgeklappt werden mussten. Die Drohne hatte ihr gezeigt, dass sie aus Metall bestanden, auch, wenn sie dunkelgrün gestrichen waren.
Jetzt, in der Nacht, waren allen Läden geschlossen. Jasmin fiel bei der Erkenntnis nicht auf, dass jemand die Läden geschlossen haben musste. Bei Tag waren sie noch geöffnet gewesen, obwohl der Besitzer gestern weggefahren und noch nicht wieder zurück war.
Kurz atmete sie durch. Es musste sein. Jasmin rief sich das Bild ihrer Oma vor Augen. Nur das zählte. Damit zog sie sich die Kopfmaske über. Nur die Augen waren noch erkennbar. Alles andere, wie auch der ganze Körper, war jetzt unter mattschwarzem enganliegendem Lycra verborgen.
Noch einmal suchte ihr Blick die Umgebung ab. Niemand oder irgendeine Bewegung waren zu sehen. Mit einem Ruck zog sie sich an dem mannshohen Zaun hoch und stand zwei Sekunden später auf dem Rasen hinter der Mauer. Schnell eilte sie zum Haus und stellte sich an die Außenwand. Erneut glitt ihr Blick die Hauswand entlang. Keine Kameras zu erkennen.
Jasmin nahm den Rucksack ab und stellte ihn neben sich. Sie zog den mit Gummi ummantelten Wurfanker heraus und hielt das angeknotete Seil locker in der Linken.
Abschätzend trat sie ein paar Schritte von der Hauswand weg. Langsam wirbelte sie den Wurfanken an einem kurzen Seilstück. Als sie sie sicher war, ließ sie los.
In einem leichten Bogen flog der Wurfanker hoch und zog das Seil hinter sich her. Das Ende behielt sie fest in der Hand.
Mit einem leisen Klackern verschwand der Wurfanker über der Dachbrüstung.
Erneut sah sich Jasmin um. Keine Bewegungen waren feststellbar.
Langsam holte sie das Seil wieder ein, bis der Haken griff. Jetzt zerrte sie kräftiger, aber er hielt.
Den Rucksack schwang sie wieder auf den Rücken, bevor sie am Seil hochkletterte. Mit einem letzten Aufschwung stand sie dann auf dem Dach. Sie zog das Seil hoch und legte es auf der Brüstung ab. Wieder ließ sie die Blicke schweifen. Immer noch waren keine Bewegungen zu sehen oder fremde Geräusche zu hören. Nur der leichte Wind raschelte in den Blättern der Büsche auf der Dachterrasse.
Beinahe lautlos glitt Jasmin zur Schiebetür und inspizierte sie. Tatsächlich, kein Schloss oder Riegel waren zu sehen. Immerhin sah das Ganze nach Sicherheitsglas aus. Und dann kein Schloss? Unter leichtem Druck glitt die Tür zur Seite.
Jasmin betrat das Treppenhaus und schob die Tür wieder zu. Langsam ging sie die Treppe hinunter und öffnete die Tür zum Obergeschoss. So nüchtern das Gebäude von außen aussah, das Innere gefiel ihr. Alle Wände und Decken waren mit hellen Holzpanelen verkleidet und der Boden mit einem dunkelbraunen Teppich bedeckt. Es sah edel aus.
Mit einer winzigen Stiftlampe leuchtete sie den Flur aus. Keine Bewegungsmelder waren zu sehen. Bereits die erste Tür zur Linken zeigte ihr das Schlafzimmer des Besitzers. Auch hier sah sie kein Alarmgerät. Ein breites Bett, ein riesiger Kleiderschrank und eine Kommode bildeten die Einrichtung.
Jasmin schüttelte den Kopf. War der Typ so leichtsinnig, dass er keine Alarmanlage eingebaut hatte? Millionär und so sparsam? Unter ihrer Maske grinste sie. Ihr konnte es nur recht sein.
Schnell stand sie an der Kommode und zog eine Schublade nach der anderen heraus. Mit ein, zwei Griffen hob sie die Kleidung darin an, aber sie fand nichts Interessantes.
Dann wandte sie sich dem Schrank zu. Dort wurde sie fündig. Auf dem Boden war eine größere Metallbox verankert. Festgeschraubt, wie es aussah. Aber kein Zahlenschloss, sondern ein einfacher Schlüssel sicherte den Deckel.
Jasmin holte ihr Schlüsselset aus dem Rucksack. Mit zwei Haken tastete sie im Schloss herum und nach weniger als einer Minute klickte es leise. Sie konnte den Deckel öffnen.
Leise pfiff sie zwischen den Zähnen. Wie leichtsinnig doch manche Menschen sind, dachte sie. Vor ihr lagen einige Geldbündel. Jeweils schön mit Banderole umschlossen. Mit ihren behandschuhten Händen zählte sie schnell ab. Da lagen rund hunderttausend Euro vor ihr. Jasmin war fassungslos. Sie nannte es beinahe verantwortungslos, wenn jemand so viel Geld in einer Blechdose aufbewahrte, die er möglicherweise noch Safe nannte. Selbst ohne Dietrich hätte sie das Ding mit dem Schraubenzieher in wenigen Sekunden geöffnet.
Trotzdem nahm sie nur zehntausend an sich und verstaute sie im Rucksack.
Sie verschloss den Deckel wieder und schob alles so hin, wie es vorher ausgesehen hatte.
Genauso leise, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder. Am Seil glitt sie wieder außen herunter, zog es mit einem Ruck ab und verstaute alles im Rucksack. Zwei Minuten später lag Haus und Grundstück wieder wie unberührt im Mondlicht.
An Roger Wulfs Smartphone brummte ein Alarm.
‚Dringende Hausmitteilung‘ stand da in großen Buchstaben auf dem Display.
„Einen Moment bitte, meine Herren.“
Mit den Worten unterbrach er das Gespräch, das er gerade mit seinem neuesten Interessenten in New York führte. Momentan saßen sie in einer exklusiven Bar zusammen. Die Verkaufsgespräche waren für Roger gut verlaufen und nun folgte der obligatorische Smalltalk nach der Vertragsunterzeichnung.
Schnell wechselte er am Smartphone die Einstellung und sah zu, wie ein Einbrecher sich in seinem Haus bewegte. Treppenhaus, Flure und Räume waren mit winzigen Kameras überwacht und hatten den Besuch aufgezeichnet. Winzige LEDs spendeten eine Grundhelligkeit, die den Kameras reichte. Elke übermittelte ihm gerade die Informationen. Für eine Reaktion war es aber zu spät.
Im Kopf vermerkte er, dass er sich hier andere Maßnahmen überlegen musste. Das würde er zu Hause in Angriff nehmen.
Dann beendete er die Übertragung und wandte sich seinen Gesprächspartnern wieder zu.
Roger Wulf war 35 Jahre alt und schlank. Noch einmal glitt seine Hand über die kurzen schwarzen Haare. Äußerlich sah man ihm nicht an, dass er verärgert und sehr beunruhigt war.
Nach seiner Rückkehr stellte er überrascht fest, dass der Einbrecher nur zehntausend hatte mitgehen lassen. Er war perplex. Wieso hatte der nicht alles mitgenommen? Roger begriff es nicht. Vor allem, weil es Bargeld war. Kein Hehler, nichts war notwendig, um es auszugeben. Warum nur zehntausend. Der Gedanke ließ ihn nicht los.
Doch sein nächster Schritt war, den bisherigen Safe durch ein besseres Modell zu ersetzen. Jetzt gehörte die Eingabe eines Zahlencodes dazu. Und er hatte die Möglichkeit, es an sein Kontrollsystem anzuschließen. Damit dürfte ein Einbrecher keine Chance mehr haben, entschied er.
Drei Wochen danach schob sich eine schlanke, schwarz gekleidete Gestalt auf die flache Garage neben der Jugendstilvilla am Rande des Vorortes. Beim Bau war das Haus weit außerhalb gewesen und stand auf einem riesigen Grundstück. Doch waren im Laufe der Jahre Teile davon an die Stadt verkauft worden und weitere Häuser waren näher herangerückt. Immer noch war es ein großes Grundstück und die rechteckige Villa mit dem ersten Stock und dem Spitzgiebeldach sah gepflegt aus. Die Doppelgarage war später angebaut worden und hinter dem Haus grenzte eine Hecke das Grundstück zum anschließenden Wald ab.
Jasmin hatte per Drohne festgestellt, dass das kleine runde Fenster in der Hauswand über der Garage nicht ganz geschlossen war. Und sie hatte die Abfahrt des älteren Mannes gesehen, der erst einen Koffer einlud und dann mit einem silbernen Mercedes fortfuhr. So, wie es aussah, kam der heute nicht mehr zurück.
Jetzt war es kurz nach Mitternacht, als sie über das Garagendach zu dem Fenster huschte. Tief in der Wand eingelassen, war es tatsächlich gekippt. Es erforderte einige Verrenkungen, um es trotzdem öffnen zu können. Das ist der Vorteil, wenn man schlank ist, dachte sie schmunzelnd, während sie das Haus betrat. Das Fenster lehnte sie nur an.
Während sie noch in der kleinen Abstellkammer wartete und die Zufahrtsstraße über das Garagendach beobachtete, plante sie ihr weiteres Vorgehen. Büro klang nach Arbeit und Arbeitszimmer. Das würde normalerweise nicht im ersten Stock zu suchen sein. Also musste sie ins Erdgeschoß.
Ein Hauptproblem bei Zimmern waren Bewegungsmelder. Dabei war egal, was sie auslösten. Nur, schnelle Bewegungen würden sie auf jeden Fall auslösen. Momentan sah sie es als Vorteil an, dass es hier keine geschlossenen Läden gab, sondern nur Lamellen, die Licht hereinließen.
Vorsichtig und langsam öffnete Jasmin die Zimmertür einen Spalt. So, wie sie vor dem Betreten der Abstellkammer kontrolliert hatte, schob sie nun den kleinen Spiegel in den Raum und betrachtete alle Wände. Nirgendwo hing ein Bewegungsmelder.
Zimmer für Zimmer und über das Treppenhaus tastete sie sich vor, bis sie im Arbeitszimmer war. Drei Wände voller Regale mit Ordnern, ein wuchtiger Mahagonischreibtisch und die drei Clubsessel darum, waren für sie eindeutig. Auch hier gab es keine Bewegungsmelder.
Vorsichtig glitt sie um den Schreibtisch herum. Auf beiden Seiten gab es mehrere Schubläden. Welche war die richtige? Ein vorsichtiges Probieren grenzte weiter ein. Nur eine war verschlossen.
Gleich darauf saß Jasmin auf dem Fußboden. Aus ihrer Bauchtasche angelte sie sich eine kleine dünne Stiftlampe, die sie mit dem Mund halten konnte. Nur trübes Licht spendete sie, aber es war hell genug, dass Jasmin mit den Haken aus ihrem Set arbeiten konnte. Keine Minute später klickte es leise und die Schublade ließ sich herausziehen.
Schnell erhob sie sich wieder und blickte hinein.
Oh, oh, dachte sie. Auch hier lag Geld. Aber es lag eine matt glänzende Pistole in der Schublade. Der Herr rechnete wohl mit renitenten Geschäftspartnern.
Jasmin zählte kurz die Geldbündel. Rund 25.000 lagen hier. Diesmal nahm sie nur 5.000 mit. Dann verschloss sie die Schublade wieder und verließ auf dem gleichen Weg das Gebäude. Dem Außenfenster gab sie beim Zuziehen einen Ruck und es blieb geschlossen. Sie grinste. Wahrscheinlich war der Rahmen leicht verzogen und klemmte nun. Gut zu wissen für die Zukunft.
Hans Brehme kehrte eine Woche später von der Auslandsreise zurück. Da es zu spät war, noch seinen Banker zu besuchen, legte er das mitgebrachte Geld in die Schublade. Erst in den nächsten Tagen würde er das Geld über andere Wege auf sein Konto verschieben. Niemand sollte wissen, wieviel Geschäfte er am Fiskus vorbei betrieb.
So bekam er gar nicht mit, dass etwas fehlte. Später war er der Meinung, dass er versehentlich zu viel transferiert hatte.
Nur auf seinem Server gab es für den Tag eine Filmdatei, die die schwarze Gestalt in seinem Arbeitszimmer zeigte. Die Lichtschranken an Türen und Fenstern im Erdgeschoß hatten nicht ausgelöst. Eine zweite Filmsequenz zeichnete den Vorhof mit dem Bereich vor den Garagen und der Haustür auf.
Jasmin brach zum zweiten Mal in Rogers Haus ein. Wieder hatte sie an den Tagen davor das Haus überwacht und mit einer Drohne ausgespäht. Selbst der Vergleich mit den Bildern vom letzten Mal zeigte keine Veränderungen. Sie konnte sich nur wundern. Über einen Monat war vergangen und der Besitzer hatte nicht nachgebessert? Sie konnte es kaum glauben, aber sie konnte auch nichts erkennen.
Jetzt stand sie zum zweiten Mal auf der Dachterrasse. Erneut schüttelte sie den Kopf. Immer noch war kein Schloss oder Sperrmechanismus an der Schiebetür. Lautlos glitt sie ins Haus. Wieder sah sie keine Bewegungsmelder oder andere Alarmeinrichtungen.
Sie glitt ins Schlafzimmer und öffnete gleich den Schrank. Wenn der Typ jetzt auch noch die billige Blechkiste gelassen hatte, dann hatte er wohl noch gar nicht mitbekommen, dass er bestohlen worden war, dachte sie lächelnd.
Doch diesmal stand ein kleiner Safe an der Stelle. Immerhin war der mit einem elektronischen Codeschloss ausgestattet.
Das stellte sie vor Probleme. Trotzdem versuchte sie es erst einmal mit den gängigsten Zahlencodes. Manche Leute waren so naiv, dass sie die Werkseinstellung ließen oder so schwierige Kombinationen wie viermal die ‚1‘ oder ‚1234‘ einstellten.
„Entschuldigen Sie, aber ist dies ein Einbruch?“ fragte eine sanfte Frauenstimme.
Jasmin keuchte auf und wirbelte herum. Ihre kleine Taschenlampe schickte das Licht hektisch durch den Raum, aber es war niemand zu sehen.
„Wer ist da?“ fragte sie vorsichtig.
„Ich“, antwortete die Frauenstimme.
„Wer ist ich? Wie heißen Sie?“ fragte Jasmin, immer noch hektisch atmend von dem Schreck. Im Kopf rasten die Gedanken. Vor allem die zu dem Thema Flucht.
„Mein Name ist Elke“, kam es zurück.
„Und wo sind Sie?“ wollte Jasmin wissen.
„Ich bin hier“, war die nicht hilfreiche Antwort. Niemand war im Raum. Die Stimme schien eher von überall zu kommen.
Jasmin überlegte. Noch war niemand zu sehen. Also musste es sich um jemanden handeln, der anscheinend über versteckte Lautsprecher zu ihr sprach.
„Nein, das ist kein Einbruch“, erwiderte sie frech.
„Ich bin eine Freundin und soll Roger Geld aus seinem Safe bringen, aber mir fällt die Kombination gerade nicht ein. Können Sie mir helfen?“
„Natürlich. Ich überwache alles im Haus. Da es kein Einbruch ist, helfe ich Ihnen gerne.“
Hinter Jasmin klickte es leise. Als sie sich erneut umdrehte, sah sie, wie die Safetür sich öffnete. Den Zahlencode konnte sie jetzt ablesen am Display und merkte ihn sich. Schnell griff sie hinein und nahm sich zwei Geldbündel, die sie im Schein ihrer kleinen Lampe kurz prüfte.
Genauso schnell schob sie die Bündel in ihren Rucksack.
„Vielen Danke, Elke“, grinste Jasmin mit leichtem Spott in der Stimme.
„Gern geschehen.“
Dann stand sie auf und eilte den Weg, den sie gekommen war, zurück. Minuten später war alles wieder ruhig.
Zwei Tage später kehrte Roger Wulf von seiner Dienstreise zurück. Wieder ein neuer Kunde, der sich für sein computergesteuertes Haus interessierte.
Er trat vor die Haustür, nachdem er den Wagen vor der Garage geparkt hatte. Lautlos schwang die Tür auf, als er sich näherte. Roger nickte. Die Gesichtserkennungssoftware funktionierte gut. Elke hatte ihn erkannt, als berechtigt eingestuft und richtig reagiert. Gut. In Gedanken setzte er seinen Haken auf die tägliche Prüfliste.
Roger stellte seine Koffer im Flur ab. Den würde er später auspacken. Das konnte Elke noch nicht. Dafür betrat er sein Wohnzimmer und ließ sich müde in einen Sessel fallen.
„Elke, ein Wasser bitte“, sprach er in den Raum.
Keine Minute später senkte sich eine Kachel in der Mitte des modern gestylten Wohnzimmertisches und Sekunden später hob sich eine kleine Wasserflasche zusammen mit einem Glas aus der Öffnung. Eine schwarze Tischplatte, die aus kleineren Kacheln zu bestehen schien, wurde von einem matt gebürsteten dicken Aluminiumsock getragen. Eine der Kacheln bildete diesen Lieferservice. Der Rest des Transportsystems war in manchen Wänden und dem Hohlraum zwischen den Etagen untergebracht.
Er zog Flasche und Glas zu sich. Erneut hakte Roger innerlich diese Funktion seines Systems ab.
Elke stand eigentlich für ‚Elektronische Kontrolleinheit‘ und war sein am weitesten fortgeschrittenes Modell. Hier bei sich zu Hause experimentierte er und in der Firma setzte er es dann mit seinem Team zur Serienreife um.
„Gab es irgendwelche Anrufe, Elke?“
„Es gab einen Anruf deiner Mutter. Sie bittet um deinen Rückruf. Sonst gab es keine Anrufe, Roger“, ertönte eine samtige Frauenstimme. Niemand merkte ihr an, dass sie ein Computerprogramm war.
Er nickte. Später würde er seine Eltern anrufen. Wahrscheinlich war es wieder eine Einladung zum Essen. Und ein weiterer Versuch, ihn dabei mit der Tochter irgendeines ihrer Bekannten zu verkuppeln.
„War sonst noch etwas los, Elke?“
„Alles wurde programmgemäß ausgeführt.“
Dahinter verbarg sich unter anderem das Wässern des Rasens und der Dachterrasse, wenn es nicht geregnet hatte. Sensoren maßen den Bedarf, Elke dosierte gemäß ihrer Datenbank und das Wasser wurde aus einer unterirdischen Zisterne verwendet. Die wurde durch Regenwasser und Grundwasser gespeist. Ebenso gehörte das Lüften der Räume, Reinigen der Böden und anderes mehr dazu.
„Und deine Freundin war da und hatte für dich Geld aus deinem Safe geholt.“
Ruckartig richtete Roger sich auf. Freundin? Er hatte doch gar keine. Geld geholt? Doch wohl nicht wieder …
„Elke, bist du sicher, dass es kein Einbruch war?“
Er traute seinem System nicht. Hatte er hier einen Fehler programmiert?