Lady Vampira - Rene Winter - E-Book

Lady Vampira E-Book

Rene Winter

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Beschreibung

Seit über 200 Jahren ist Desiree ein Vampir. Durch ein grausames Ritual dazu gemacht, geht sie ihren Weg, um zu überleben. Sie kann ihr Schicksal nicht ändern, aber sie kann es gestalten.

Bernd ist eine Wette eingegangen. Dazu muss er eine Session bei einer Domina erleben. Ihm wird ‚Lady Vampira‘ empfohlen und er bucht bei ihr einen Termin. Die Lady ist für ihn überraschend jung und schlägt ihn in ihren Bann. Obwohl er durch diesen Besuch seine Wette verliert, bucht er die nächsten Termine, nur um sie wiederzusehen.

Auch Lady Vampira beginnt sich für Bernd zu interessieren. Sie stellt fest, dass er weder devot ist, noch wirklich Sklave sein will. Er wird für sie zu einer Herausforderung. Sie stellt ihn vor schwierige Entscheidungen, denn sie zeigt ihm nur einen Teil ihrer Persönlichkeit. Sie bietet ihm eine Beziehung an, aber allein zu ihren Bedingungen.

Über die andere große Facette ihres Lebens stolpert er nur durch Zufall. Erneut steht er vor einer Herausforderung. Wie soll er mit dem neuen Wissen umgehen? Welche Entscheidung ist richtig?

Und plötzlich wird auch Lady Vampiras Vergangenheit wieder geweckt. Ein Toter wird lebendig und bedroht sie alle.

 

 

Auszug aus dem Buch:

„Ich habe dir gesagt, dass diese Halskette für mich sehr wertvoll ist“, sagte sie und deutete auf die Kette.

Sybille nickte. Was hatte das denn mit der Diskussion zu tun?

„Ich habe sie zusammen mit dem Armband von meinem Ehemann bekommen als Andenken an unseren Hochzeitstag und die Geburt unserer Tochter.“

Wieder schnappte Sybille nach Luft. Ihre Blässe nahm zu.

„Sie … sie sind verheiratet und haben eine Tochter? Wie alt sind Sie denn?“ platzte sie schließlich heraus.

„Du kannst mich als 22 bezeichnen und sowohl Ehemann als auch Tochter sind schon lange tot.“

Wieder ließ Desiree es einfach so im Raum stehen. Sie wollte, dass Sybille von alleine darauf kam.

„Aber …“

Sybilles Blässe wurde fast zu einem Weiß. Mit 22 schon verheiratet gewesen, ein Kind und beide waren schon lange tot? Was bedeutete ‚schon lange‘? Wie jung hatte die Frau ihr gegenüber denn geheiratet.

Sie sog erschrocken den Atem ein. Ihr fielen gerade die Jahreszahlen der Münzen ein, weil die Frau darauf verwiesen hatte. Hochzeitstag? Geburt der Tochter? Ein Prägedatum Ende 18. Jahrhunderts? Und es tauchte dieses ‚Lady Vampira‘ wieder auf und eine Assoziation, die mehr als verrückt klang. Aber das konnte Desiree doch wohl nicht meinen? … oder … etwa … doch?

„Nein …“

Desiree nickte schweigend. Sie hatte erkannt, dass die Besucherin die Puzzlestücke in Position brachte.

„Du …? Aber …? Wie …?“

Sybille kam nicht über die ersten Worte bei den anbrandenden Fragen hinaus. Das war alles zu unwahrscheinlich, zu … verrückt.

„Bin ich die Nächste?“

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Rene Winter

Lady Vampira

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Lady Vampira

 

Eine Fantasy-Lovestory mit BSDM

 

 

 

 

 

 

 

 

Rene Winter

 

2021

 

[email protected]

 

Intro

 

Ich erzähle eine Geschichte, keinen Tatsachenbericht.

 

Wegen der expliziten Beschreibungen ist sie für Leser (m/w/d) ab 18 Jahren geeignet.

Alle hier vorkommenden Personen sind erwachsen und frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.

 

Es werden auch Aktionen aus dem Bereich BDSM beschrieben.

Bitte denken Sie dabei immer an die Grundsätze bei BDSM:

Gegenseitiges Einverständnis, bewusste Akzeptanz und vor allem Sicherheit.

 

 

 

 

 

Es würde mich freuen, wenn diese Geschichte gefällt.

 

 

Historischer Hinweis:

 

Die Geschichte beginnt am Vorabend der Französischen Revolution. Ich habe die geschichtlichen Rahmendaten soweit korrekt verwendet. Natürlich sind die hier handelnden Personen nicht in den Geschichtsbüchern vertreten und stehen auch nicht in Verbindung mit relevanten historischen Persönlichkeiten. Zeitgeschehen und -orte sollen den Rahmen aufzeigen.

Die „Katakomben von Paris“ sind zeitlich passende geschichtliche Tatsache und basieren auf den jahrhundertelang genutzten unterirdischen Steinbrüchen, die bis in eine Tiefe von 35 Metern reichen und ein Stollennetz von ca. 300 Kilometern umfassen, die bis heute noch nicht völlig erforscht sind. Durch Einsturzgefahren versuchte man ab 1772 diese Hohlräume wieder aufzufüllen. Durch die wachsende Bevölkerung wurden die Friedhöfe von Paris zu klein und man überführte die Gebeine exhumierter Leichen wegen verkürzter Ruhefristen auf Friedhöfen ab1785 in die Katakomben.

Ich habe mir nur die Freiheit genommen, einen Teil dieses unterirdischen Systems etwas besser auszugestalten.

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Intro

Historischer Hinweis

Inhalt

Grauen

Feuer

Vertrauen

Wette

Session

Heißes Spiel

Spielende

Anfänge

Erklärungen

Erkennen

Geschenke

Lernen

Leben oder Tod

Erschütterungen

Epilog

 

 

Grauen

 

Nahe Paris, 01. Juli 1789

 

Zügig trabten die beiden Rappen und zogen die hellbraune geschlossene Kutsche über die Straße. Sie war schlicht gehalten, ohne Verzierungen oder Wappen an der Tür. Hier, einige Kilometer außerhalb von Paris, waren die Straßen noch gut befestigt.

Nicht umsonst war Paris ein Zentrum für den Adel. Der Hof von Versailles war auch nach den ersten Tagen der beginnenden Revolution immer noch Tummelplatz für den König und hunderte Adlige. Viele hundert Bedienstete sorgten für das Funktionieren und ein noch immer ziemlich glanzvolles Leben am Hofe.

Doch die Situation hatte sich verschärft. Vor einigen Tagen hatte der König die Generalstände brüskiert, indem er den Sitzungssaal hatte sperren lassen. Unter lautstarken Protesten waren die Abgeordneten abgezogen und hatten im nahen Ballhaus ihre Sitzung abgehalten. Dort hatten sie voll Pathos geschworen, auszuharren, bis der Staat eine Verfassung bekommen hatte.

Die allgemeinen Spannungen nahmen zu. Manchmal war man sich nicht mehr sicher, ob die anwesenden Soldaten den König beschützten oder ihn bewachten. Und die Bürger, die faktisch einen zweiten Ring um die gesamte Anlage schlossen, bewachten alle.

Sebastien, Comte de Avrillion, hatte die Zeichen für sich gedeutet und Urlaub vom Hof genommen. Für ihn hatte Louis XVI. den Bogen überspannt, als er die Versammlung der Generalstände verhindert hatte. Er war sich nur nicht sicher, ob der König selber so borniert war oder ob seine engsten Berater ihn einfach falsch informierten. Die Ausflüge, die Sebastien regelmäßig zu seinem Pariser Stadthaus unternommen hatte, zeigten ihm allerdings, wie sehr es in der Stadt brodelte. Er hatte die Flugzettel gelesen. Angefaultes Obst und Gemüse war auch an seine Kutsche geprallt. Als Rückzugsort erschien ihm das Stadthaus nicht mehr geeignet, denn faktisch war Paris ein Pulverfass. Und die ersten Übergriffe würde es in der Stadt geben.

Deswegen hatte er beschlossen, sich auf das kleine Schlösschen seiner Familie, fast fünfzig Kilometer südlich Paris entfernt, mit seiner jungen Frau und der kleinen Tochter zurückzuziehen. Dort war man weit ab und man würde die weitere Entwicklung abwarten. Möglich, dass der König doch einlenkte und sich alles beruhigte. Dann würde man zurückkehren.

Während er und seine Frau Desiree sich sorgenvoll ansahen, saß die dreijährige Tochter Michelle auf dem Sitz und starrte aufgeregt aus dem Türfenster der Kutsche. Für die Kleine war eine Kutschfahrt aufregend. Selbst jetzt bei der beginnenden Dämmerung war der umgebende Wald und die Äcker etwas Interessantes. Sonst lebte sie im Schloss von Versailles oder im Stadthaus. Aber dort waren es hauptsächlich die Zimmer, Häuser und Gebäude der Umgebung, die vielleicht einen Spaziergang boten. Zumindest das Schloss hatte einen prachtvoll angelegten Garten, den der Comte mit seiner Familie betreten durfte – wenn nicht gerade der König mit seinem Hofstaat flanierte. Der Comte gehörte nicht zu diesem erlauchten Kreis. Er fungierte nur als Untersekretär im Finanzbereich. Aber er hatte damit das Recht, im Schloss wenigstens ein Appartement bewohnen zu dürfen.

Vorgestern Abend hatte er sich mit seiner Frau ausgesprochen. Beide waren einhellig der Meinung gewesen, dass es, besonders wegen der Tochter, besser wäre, vorerst von der Pariser Umgebung Abstand zu nehmen. Selbst wenn er deswegen seinen Posten verlieren würde, konnte die Familie damit leben. Die Erträge aus den Feldern um das Schlösschen reichten aus. Vielleicht reichte es nicht für ein ähnlich glanzvolles Leben wie am Hofe, aber es war gesichert.

 

Vorne auf dem Bock saß neben dem Kutscher auch noch Bertrand, der Leibdiener des Comte. Die anderen Dienstboten waren im Stadthaus geblieben oder mit den Koffern und Kästen bereits gestern mit dem Leiterwagen vorausgefahren. Jetzt lagen nur noch einige Stunden Fahrt vor ihnen und sie würden das Schlösschen erreicht haben. Es würde spät in der Nacht sein, aber sie hatten nicht länger warten wollen.

Bertrand hatte neben sich eine geladene Muskete stehen. Martialisch trug er heute auch den Säbel und hatte zusätzlich noch zwei Reiterpistolen im Gürtel. Auch das war eine Entscheidung des Comte gewesen. Er wollte die Reise ohne Vorreiter und Begleittross durchführen. Er erhoffte sich damit weniger Aufmerksamkeit. Ohne Begleiter würde man die Kutsche eher einer Ausfahrt zuordnen denn einer Abreise, als sie nach dem Mittagessen Versailles verlassen hatten.

Auch der Comte hatte sich ausreichend bewaffnet. Immerhin war auch der ganze Schmuck und sein Geld an Bord der Kutsche. Alles war in den letzten Tagen heimlich aus dem Stadthaus geholt worden. Niemand sollte mitbekommen, wie wertvoll die Reisegesellschaft war. Dazu waren die Zeiten zu unsicher.

Außer dem Rattern der Räder und dem Klappern der Hufe war es still draußen. Langsam zog die Dunkelheit hoch. Niemand sonst war gerade auf dieser Straße unterwegs, wie es aussah. Da die meiste Strecke an Feldern entlangführte, wollte man durchfahren. Das wurde durch den wolkenlosen Himmel und den schon am Horizont sichtbaren fast vollen Mond unterstützt. Selbst in Waldabschnitten würde das Mondlicht ausreichen, den Weg zu finden.

Eine Stunde später verlangsamte sich plötzlich die Fahrt. Sofort beugte sich dem Comte aus der Wagentür.

„Was ist los, Bertrand?“ fragte er halblaut.

Der Comte wollte nicht laut reden, denn im Wagen hatte sich seine Tochter auf dem Sitz zusammengerollt und ihren Kopf auf den Schoß der Mutter gebettet. Sie war eingeschlafen. Das gleichförmige Rattern und Schwingen der Kutsche hatten sie müde gemacht.

„Da vorne liegt ein Baum auf der Straße. Wir können höchstens im Schritttempo daran vorbei oder wir müssen ihn beiseiteschieben, Herr.“

„Dann pass genau auf. Vielleicht ist es eine Falle“, wies Sebastien seinen Diener an.

Bertrand nahm die Muskete in die Hand und spannte den Hahn. Damit gab er das Zündloch frei. Ein Fingerdruck würde dann den Feuerstein zum Einsatz bringen und den Schuss auslösen. Schweigend starrte er in die Dunkelheit zwischen den lichten Bäumen. Er suchte nach einer Bewegung, die ihm die Anwesenheit von Wegelagerern verriet.

Der Kutscher konzentrierte sich auf den Weg um den Wagen zwischen den Bäumen um das Hindernis herum zu fahren. Im Schritttempo tastete er sich vor. Nur das Mondlicht erhellte den Weg und die Bäume standen glücklicherweise nicht zu dicht. Die Kutsche schwankte bei den Unebenheiten. Aber die beiden Männer auf dem Kutschbock federten das Pendeln der Kutsche aus.

Es brauchte Minuten, bis die Kutsche wieder auf dem Fahrweg war. Das Hindernis war überwunden. Die beiden Männer sahen sich erleichtert an. Nichts war passiert. Bertrand senkte die Muskete und entspannte sich. Was sollte jetzt noch passieren?

 

Genau in dem Moment donnerten mehrere Musketen los. Pulverdampf hing an vier Stellen neben Bäumen. Der Kutscher und Bertrand hörten noch die Schüsse, dann schlugen schon die Kugeln in ihre Körper und sie sackten tot zusammen. Die Schützen hatten gut gezielt und den Moment gewählt, an dem die Aufmerksamkeit nachließ.

Die beiden Pferde wieherten und rissen die Köpfe hoch bei dem Lärm. Nur zur Flucht kamen sie nicht, denn ein Mann sprang hinter einem dichten Busch hervor und packte die Pferde am Zaumzeug. Still blieben sie stehen und stampften nur mit den Hufen.

Langsam lösten sich ein halbes Dutzend Männer aus dem Schatten der Bäume und kam schweigend auf die Kutsche zu.

In dem Fenster der Kutschentür tauchte unverhofft eine Hand mit einer Pistole auf. Peitschend löste sich der Schuss. Einer der näherkommenden Männer griff ächzend an seine Brust und fiel nach hinten. Schnell war die Hand wieder in der Kutsche verschwunden und durch den Pulverdampf sahen die Männer auf dem Weg eine zweite Pistole auftauchen. Mit dem Aufbrüllen des Schusses warfen sie sich zur Seite. Einer der Männer schrie kurz laut und blieb dann still liegen.

Nur eine Sekunde später wurde die Tür der Kutsche auf der anderen Seite aufgerissen und zwei Pistolen bedrohten den Comte und seine Frau.

„Fallen lassen“, kam das scharfe Kommando.

Der Comte erstarrte. Er hatte gerade nach der dritten Pistole greifen wollen. Nun hatte er keine Chance mehr, die Waffe rechtzeitig zum Einsatz zu bringen. Langsam hob er die Hände.

Ihm gegenüber hatte Desiree ihre Augen aufgerissen. Zu schnell war alles passiert. Und auch die Tochter Michelle machte einen vor Angst erstarrten Eindruck.

Dann wurde auch die andere Tür aufgerissen und ein Säbel deutete auf die Brust des Comte.

„Ganz vorsichtig aussteigen, du Hurensohn. Mach‘ eine falsche Bewegung und ich schlitz dich auf.“

Sebastien bewegte sich langsam. Er hatte momentan keine Möglichkeit, das Blatt zu wenden. Er wusste noch nicht einmal, wie viele Gegner es waren.

Kaum hatte er die Kutsche verlassen, packten ihn mehrere Fäuste und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken. Dann drückten sie ihn auf den Boden, wo er knien musste. Hilflos musste er mitansehen, wie als Nächste seine Frau aus der Kutsche geholt wurde. Auch sie musste niederknien. Nur die Tochter hielt einer am Kragen ihres Kleides fest. Michelles Lippe zitterte. Am liebsten hätte sie losgeweint, aber die Angst vor den Männern erstickte es. Sie zitterte am ganzen Körper.

 

„Bitte lassen sie uns gehen. Nehmen sie, was in der Kutsche ist“, bat der Comte.

Die Wegelagerer schwiegen. Neben den dreien, von denen jeder einen Gefangenen festhielt, standen noch drei weitere Männer. Zwei waren dabei, die abgeschossenen Musketen neu zu laden, die anderen hielten Säbel und lange Messer bereit. Teilweise hatten sie auch Pistolen im Gürtel stecken.

In dem Moment löste sich noch eine Gestalt aus dem Wald und trat ins Mondlicht. Da die Angreifer nicht auf ihn reagierten, musste er dazugehören. Der Fremde war schlank und durchschnittlich groß. Neben den Wegelagerern in ihren schmutzigen und teilweise bunt zusammengewürfelten Kleidungen sah der Neuankömmling gut, fast vornehm angezogen aus. Elegante braune Stiefel, braune enge Tuchhosen und ein dunkelrotes Wams kleideten ihn. Dazu kam der Hut mit breiter Krempe und einem kleinen Federbusch. Sein Gesicht war glattrasiert, im Gegensatz zu den anderen. Auffallend war aber seine bleiche Hautfarbe. Verstärkt wurde das noch durch die hellblonden Haare und die blauen Augen. An seiner Seite hing ein Degen und eine Pistole steckte in seiner schmalen Bauchschärpe.

„Wen haben wir denn da?“ fragte der Unbekannte jovial, als er bei der Gruppe angekommen war.

Der Mann, der den Comte an der Schulter hielt, gab seinem Gefangenen einen Stoß. Sebastien verstand, dass er eine Antwort geben musste.

„Ich bin der Comte de Avrillion und das sind meine Frau und meine Tochter. Bitte lassen Sie uns gehen. Nehmen Sie, was wir haben. Bitte.“

Der Comte flehte. Dass die Angreifer ihre Gesichter nicht hinter hochgezogenen Halstüchern versteckten, gab ihm Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen.

„Was können sie uns denn bieten, Comte?“

„Im Wagen unter meinem Sitz sind Geld und Schmuck. Bitte.“

„Pierre ist tot, Jaques. Der Bastard hat meinen Bruder erschossen“, stieß der bärtige Wegelagerer, der neben Sebastien stand, wütend hervor.

Der zuletzt gekommene Mann nickte. Er musste damit wohl Jaques heißen. Sein Blick schweifte über die drei Gefangenen. Seine Miene war hart, während er überlegte.

Seine Bande bestand aus zwei Gruppen. Die eine war nur in Paris aktiv. Mit der anderen hatte er sich an dem Weg postiert, um Beute zu machen. Sie hatten in der Nähe eine alte Hütte besetzt, die den Ausgangspunkt für ihre Raubzüge stellte. Die Kutsche versprach gute Beute. Wenn er die Insassen betrachtete, sogar sehr gute. Die hübsche junge Frau wollte er jetzt spontan für sich und seine anderen Zwecke. Sie würde seine neue Frau und Dienerin werden. Die anderen dagegen …?

 

Dann fluchte er leise. Pierre war tot. Verdammter Mist. Der Mann war sein Stellvertreter bei dieser Gruppe gewesen. Er hatte Köpfchen gehabt. Sein Bruder Luis dagegen war eher der Psychopath. Er genoss es zu töten. Aber er kannte auch die Kontakte zu den Hehlern, weil er immer mit seinem Bruder unterwegs gewesen war. Deswegen brauchte ihn Jaques auch weiterhin.

Und deswegen musste Luis wegen dem Tod seines Bruders befriedigt werden. Jaques als Anführer musste für seine Gruppe sorgen und Gerechtigkeit walten lassen. Die Bande würde den Tod von Pierre nicht als Akt der Notwehr, sondern als Mord ansehen. Und er brauchte jetzt einen neuen Anführer.

„Pech gehabt, hochgeborener Parasit. Du hättest dich nicht wehren dürfen“, sagte Jaques langsam und grinste.

Er nickte Luis zu.

Der Mann grinste böse. Dann wischte seine Hand durch die Luft und die Klinge seines langen Messers blitzte kurz.

Sebastien gab ein ersticktes Gurgeln von sich. Seine Frau sah die rote Flut aus dem Schnitt quer durch den Hals ihres Mannes sprudeln. Nur einige Male zuckte der Comte. Dann fiel er vornüber in den Dreck.

„Kinder brauche ich keine. Luis.“

Mit dem neuen Befehl drehte sich der Mörder von Sebastien etwas und seine Klinge blitzte erneut. Gellend schrie Desiree auf, als sie sah, dass ihre Tochter das gleiche Schicksal traf wie ihren Mann. Sie sprang auf und riss sich von dem durch ihre Aktion überraschten Mann hinter ihr los. Voll rasendem Zorn wollte sie sich auf den Mörder stürzen. Sie kam nicht weit. Jaques hatte ihre Reaktion erwartet und war ihr in den Weg getreten. Hart schlug er zu. Bewusstlos sank Desiree zu Boden.

„Fesseln und knebeln. Sie gehört mir“, wies er einen der Männer an und deutete auf die Frau.

„Also, was haben wir in der Kutsche?“ stellte er die nächste Frage.

Schnell hatten die Männer nachgesehen und die kleine Truhe unter der Sitzbank herausgeholt. Sie stellten sie wortlos vor Jaques ab. Der kniete nieder und öffnete sie. Ein freudiges Aufkeuchen ging durch die Männer, als im Mondlicht die goldenen Louis d’or und silbernen Ecus matt schimmerten. Daneben funkelten Edelsteine, eingefasst in verschiedenen Halsketten, Diademen und Broschen. Etliche lederne Beutel lagen auch in der Truhe.

Jaques griff in die Truhe und holte zwei dicke Beutel heraus. Er wog sie kurz in der Hand und warf sie Luis zu.

„Luis. Du bist jetzt der Nachfolger deines Bruders. Du führst die Gruppe nun. Das ist jetzt eure Belohnung für heute. Deine Befehle bekommst du von mir. Und du hältst dich daran. Keine Extratouren, verstanden?“

Luis nickte. Er wusste, dass Jaques ein besserer Anführer war. Nur Stellvertreter zu sein, gab ihm selber aber auch Macht. Doch er würde nicht zugeben, dass er Angst vor Jaques hatte.

„Ja, Jaques. Ich habe verstanden.“

„Gut. Dann sucht einen Platz und verscharrt die Leichen im Wald. Die Kutsche nehmt ihr mit und stellt sie in die Scheune. Was noch von Wert in der Kutsche oder bei den Leichen ist, gehört euch. Vergesst die Waffen nicht. Verkauft alles oder nutzt es selber. In zwei Tagen gibt es neue Anweisungen. Und erst einmal Ruhe in dieser Gegend. Wir wollen keine Miliz hier haben.

So, und jetzt bringt die adlige Schlampe zu meinem Wagen. Schnallt sie auf ein Brett und verstaut sie im Geheimfach. Ich nehme sie mit. Sie gehört jetzt mir. Sagt Vincent, dass es mein Befehl ist. Wenn ich komme, fahren wir zurück. Die Truhe stellt ihr neben sie in das Geheimfach.“

Er winkte mit der Hand und seine Anweisung wurde ausgeführt. Gleich darauf war er allein. Ein Teil brachte die Frau und die Truhe zu seinem Wagen, der Rest ging in den Wald, ein Loch auszuheben. Vincent, sein Kutscher, würde den Männern helfen, die Frau sicher zu verstauen.

Als er allein war, ging Jaques zu dem getöteten Comte und drehte ihn auf den Rücken. Dann kniete er sich daneben und beugte sich über dessen Hals.

 

Langsam erwachte Desiree. Sie wusste nicht, wo sie war. Die Luft war stickig. Langsam erkannte sie, dass ein zusammengedrehtes Tuch sie am Sprechen hinderte und in ihre Mundwinkel schnitt. Hände und Füße waren gefesselt und zusätzlich war ihr Körper an eine Planke gebunden. Bewegen konnte sie sich nicht. Zu guter Letzt hatte man ihr noch einen Jutesack über den Kopf gezogen. Sie lag wohl in einem engen Raum, denn die schaukelnden Bewegungen ließen sie immer wieder gegen Wände stoßen. Das Schaukeln musste von einem Wagen kommen.

Schlagartig fiel ihr wieder ein, was passiert war. Erstickt schrie sie in den Knebel und riss an ihren Fesseln. Aber alles saß fest und außer einem dumpfen Geräusch und kleinen ruckartigen Bewegungen kam nichts von ihr. Jetzt strömten ihre Tränen über ihre Wangen. Der letzte Eindruck war, dass Mann und Kind tot waren. Sie waren vor ihren Augen ermordet worden. Kaltblütig. Ohne Notwendigkeit.

Desiree versank in dumpfe Lethargie. Immer wieder schluchzte sie erstickt auf und weinte. Über ihre Zukunft machte sie sich keine Gedanken. Nur die Bilder von Sebastien und Michelle, wie sie starben, standen vor ihren Augen. Wieder und wieder sah sie das Messer blitzen und hörte die letzten erstickten Laute ihrer Liebsten. Apathisch lag sie für die nächste Zeit. Sie fühlte sich wie gestorben.

Irgendwann blieb der Wagen stehen. Zuerst nahm sie es nicht wahr. Zu sehr war sie in ihrem Leid versunken. Erst als die seitliche Begrenzung entfernt worden war und Fackellicht durch den Sack über ihrem Kopf fiel, wurde ihr bewusst, dass sie ihr vorläufiges Ziel erreicht hatte. Doch es interessierte sie nicht. Sie blieb apathisch und wimmerte nur wenig.

Sie spürte, wie sie mit dem Brett herausgezogen und davon losgeschnallt wurde. Desiree wehrte sich auch nicht, als mehrere Hände sie festhielten, während die restlichen Fesseln gelöst wurden. Sie reagierte auch nicht weiter, als man ihr die Kleider auszog. Als sie nackt war, schlossen sich eiserne Schellen um ihre Handgelenke und fesselten sie erneut hinter ihrem Rücken. Immer noch war sie geknebelt und hatte den Sack über dem Kopf.

Die Hände packten ihre Arme und führten sie weg. Sie fühlte Steinplatten, Stroh und Erde unter ihren Füßen. Etliche Minuten wurde sie so geführt. Schließlich musste sie sich bücken und wurde vorwärtsgeschoben. Dann lag sie auf altem Stroh. Still blieb sie einfach liegen. Sie hörte Metall klicken. Wahrscheinlich war sie eingeschlossen worden, vermutete sie. Das Licht verlöschte und Stille herrschte. Desiree war ihren Peinigern fast dankbar, dass sie sie in ihrem Schmerz über den Verlust in Ruhe ließen.

 

Irgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn sie merkte erst, dass sie nicht mehr allein war, als sie von dem Strohlager gezogen wurde. Sie wurde aufgerichtet und kniete am Boden. Apathisch ließ sie es geschehen. Ihr Mann und ihre Tochter waren tot. Was jetzt mit ihr geschah, war ihr gleichgültig.

Geblendet schloss sie die Augen, als der Jutesack von ihrem Kopf gezogen wurde. Das Fackellicht wirkte blendend. Sie blinzelte die Tränen weg, die hochquollen. Vor ihr stand Jaques. Er wirkte immer noch bleich. Und seine blonden Haare verstärkten es noch. Aber er war es nicht allein. Auch die beiden Männer und die eine Frau waren genauso bleich. Als ob sie nie die Sonnen kennengelernt hatten, dachte Desiree flüchtig.

Jaques trat hinter sie. Es klirrte metallisch und gleich darauf schloss sich ein eiserner Ring am Ende einer Kette um ihren Hals. Es klickte zweimal, als er das Schloss verriegelte. Kalt lag die Kette zwischen ihren Schulterblättern.

Erst jetzt entfernte er den Knebel.

„Wie heißt du?“ fragte er.

Sie hatte aber nur kurz Zeit, die Kiefer zu bewegen, denn er gab ihr eine harte Ohrfeige, als sie nicht gleich antwortete. Die Kette auf ihrem Rücken rasselte.

„Desiree de Avrillion“, murmelte sie halblaut.

„Desiree also. Gefällt mir. Den Rest kannst du vergessen. Du bist keine ‚de Avrillion‘ mehr. Du gehörst jetzt mir.“

Gleich darauf drückte er ihr einen Ring in den Mund, den er mit einer Schnur in ihrem Nacken befestigte. Der Ring schmeckte nach Metall und hielt ihren Mund weit offen.

„Wir wollen doch nicht, dass du an deiner Kotze erstickst, Schlampe“, spottete er.

Er ging vor ihr in die Hocke und umfasste ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste.

„Pass auf, Mädchen. Die nächsten fünf Tage wirst du vorbereitet auf dein neues Leben. In fünf Tagen mache ich dich zu meiner nächsten Frau. Dann wirst du mir für immer dienen. Der Weg dahin ist hart, aber dafür ist die Belohnung groß.“

Er erklärte es nicht weiter. Sie konnte mit dem Ring in ihrem Mund aber auch nichts äußern außer einem Lallen.

Jaques erhob sich und blickte seine Begleiter an.

„Fünf Tage. Solange bleibt sie hier angekettet. Ihr könnt sie in der Zeit benutzen, wie ihr wollt. Nehmt sie ruhig hart ran. Nur werdet ihr sie nicht verletzen. Verstanden? In fünf Tagen feiern wir. Dann wird sie ein neues Mitglied unserer wachsenden Gemeinschaft werden. Dann könnt ihr euch an ihr laben. Solange ist sie tabu. Sagt es den anderen.“

„Ja, Jaques“, kam die dumpfe Antwort von allen.

Er nickte und verließ die Kammer.

 

Für Desiree begann die Hölle. Fünf Tage lang nahmen ihre Quallen und Agonie immer mehr zu. Fünf Tage lang kam Jaques dreimal am Tag und gab ihr eine Tasse Wasser zu trinken. Nahrung bekam sie keine. In ihren Eingeweiden wütete der Hunger und schwächte sie. Das Wasser reichte kaum aus, den Speichelverlust auszugleichen. Ihre Lippen wurden spröde und rissig. Ihr Kiefer schmerzte, als ob eine riesige Zange am Wirken war. Fünf Tage, in denen sie von einem Dutzend Männern und drei Frauen laufend vergewaltigt wurde. Fünf Tage, in denen sie in den eigenen Exkrementen liegen musste.

Nach den fünf Tagen hatte sie keinen Willen mehr. Hunger, Durst und Misshandlungen hatten sie bis auf einen winzig kleinen Restfunken gebrochen. Nur der Hass auf Jaques wegen der Ermordung von Mann und Tochter hielt ihren Lebensfunken am Glimmen.

Nach der Hölle fing ihr Horror aber erst an. Geschwächt durch die fünf Tage an Qualen hatten Jaques Männer keine Probleme, sie mit einigen Eimern Wasser zu säubern. Immer noch mit gefesselten Händen wurde sie tiefer in die Katakomben von Paris geführt. Hier hatte er sein eigentliches Versteck. Und hier bereitete er den Horror vor.

Desiree wehrte sich nicht, als ihr die rostigen Fesseln abgenommen wurden. Dafür wurde sie auf ein riesiges T-förmiges Holzkreuz gebunden, das an Seilen von der Decke hing. Mit Schlingen um die Handgelenke wurden ihre Arme sehr stramm auseinandergezogen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr die Arme aus den Schultergelenken gezerrt wurden. Schon färbten sich die Hände dunkel durch das gestaute Blut. Mehrere Riemen über den Körper und die Beine machten sie völlig bewegungslos.

Die ganze Zeit über rührte Jaques in einen großen Topf. Hin und wieder gab er winzige Mengen aus verschiedenen Tiegeln und Töpfchen dazu. In einem großen Regelschrank standen dutzenden solcher Behältnisse. Zwischendurch studierte er einen alten Folianten. Danach kam wieder eine Prise in den Topf und wurde verrührt.

Entsetzt beobachtete sie, wie der sich selber in den Unterarm schnitt und sein Blut in diesen Topf lief. Mit fast morbidem Interesse merkte sie, dass es eine ziemliche Menge Blut war. Oder täuschte es einfach nur? Schließlich legte ihm eine der bleichen Frauen einen Verband an. Erneut rührte er die Flüssigkeit im Topf um.

Aus dem Regal holte er sich ein merkwürdiges Gestell und steckte es in vorbereitete Löcher neben ihrem linken Unterarm.

„Du, meine Liebe, wirst in Kürze eine Veränderung erleben. Ich werde an dir ein Ritual durchführen, das dein Leben verändert. Du wirst dabei Furchtbares durchleiden müssen. Es ist ein Bestandteil des Rituals. Aber du wirst mir danken, denn ich schenke dir Unsterblichkeit. Dafür wirst du mir dienen. Du wirst nicht anders können, denn ein Teil von mir lebt in dir weiter.“

In liebenswürdigem Tonfall erklärte er ihr, was passieren würde. Desiree konnte nur lallen mit dem Ringknebel, den sie immer noch trug. Panisch schüttelte sie den Kopf, doch Jaques lachte nur. Er ging zurück zu dem Topf und rührte weiter. Noch andere Pulver und Tropfen kamen hinzu.

Eine kurze Zeit sah sie ihm zu, dann schwenkte ihr Blick durch den Raum. Sie bemerkte, dass weitere Männer und Frauen kamen. Alle waren sie so bleich wie Jaques. Irgendwie wirkte es ungesund. Am Ende waren die 15 Männer und Frauen, die sie schon die letzten fünf Tage gequält hatten, hier bei Jaques versammelt. Merkwürdigerweise hatte jeder ein meterlanges Seilstück in der Hand.

 

Dann wurde der T-förmige Holzstück, an das sie gebunden war, durch die Aufhängungen an allen drei Enden so positioniert, dass sie etwa in Hüfthöhe parallel zum Boden hing. Und die Teile mit den Armen wurden noch etwas gedreht, so dass ihre rechte Hand tiefer hing als die linke. Die Menschen versammelten sich um sie herum. Nur Jaques stand hinter ihrem Kopf.

„Heute Nacht vollziehen wir das Ritual erneut“, sagte er mit lauter Stimme.

„Heute Nacht wird Desiree meine neue Braut. Sie wird aufgenommen in das noch kleine Volk. Aber wir werden wachsen. Wir werden mehr. Und wenn sich die anderen durch die Revolution umbringen, werden wir leben und gedeihen. Wir sind die Zukunft. Ist es heute noch Paris, wird es morgen Frankreich und dann werden wir uns ausbreiten über der ganzen Welt. Niemand kann uns aufhalten. Wir haben Zeit, denn wir sind unsterblich. Ich werde über mein Volk und meine Kinder herrschen.“

Jaques machte eine Pause und ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen.

„Beginnt das Ritual“, rief er laut und riss seine Arme hoch.

Schweigend begannen die Menschen mit den Seilen auf Desirees Körper zu schlagen. Hart trafen die Schläge Brust, Bauch, Scham und Beine. Jeder Treffer hinterließ rötliche Striemen. Nur die Arme und der Kopf wurden ausgespart. Brennende Schmerzen ließen das Opfer in seinen Knebel schreien. Doch hier in den Tiefen der Katakomben würde sie niemand hören.

Ausweichen konnte sie nicht. Dazu war sie zu fest angebunden. Plötzlich kam ein sengender Schmerz an ihrem rechten Handgelenk dazu. Ihr Kopf ruckte herum. Entsetzt sah sie, dass Jaques ihr tief in den Arm vor dem Handgelenk geschnitten hatte. Gleich darauf sprudelte ihr Blut hervor.

Ihr Entsetzen steigerte sich, als sich Jaques vorbeugte und seine Lippen um die Wunde legte. Sie sah seine Schluckbewegungen. Der Mann trank ihr Blut.

Nach etlichen langen Schlucken hob er den Kopf. Desiree sah den Tropfen Blut auf seinen Lippen. Er gab ein Geräusch von sich, als ob er den herrlichsten Wein getrunken hätte.

„Schlagt sie weiter. Ihr Herz muss rasen und das Blut durch ihre Adern pumpen. Sie braucht die Schmerzen, damit der Wandel gelingt“, rief er.

Desiree röchelte. Ein anderer Mann beugte sich über die blutende Wunde und saugte. Als er genug hatte, trat der Nächste an seine Stelle. Einer saugte immer und die anderen peitschen sie. Dazwischen tropfte ihr Blut auf den Steinboden. Unbeschreibliche Schmerzen tobten durch ihren Körper. Desiree spürte, wie sie die Kraft verließ. Immer trüber wurden ihre Gedanken. Müdigkeit senkte sich über ihren Körper. Eigentlich ist Verbluten ganz angenehm, dachte sie. Man schläft ein und wacht nie mehr auf.

Fast bekam sie den Stich am linken Arm nicht mit. Nur träge drehte sie den Kopf. Verwundert sah sie, wie Jaques ein dünnes gekrümmtes silbriges Rohr in ihre Armvene gestoßen hatte. Am anderen Ende war eine offene Schale angelötet, in die er jetzt die Flüssigkeit aus dem Topf hineingab. Er füllt diese Flüssigkeit in meinen Körper? Warum? Nur träge glitten ihre Gedanken wie durch dicke Wattewolken. Sie stand an der Grenze zur Bewusstlosigkeit. Ohne große Regung spürte sie das Brennen in ihrem Körper. Die Flüssigkeit musste es wohl bewirken. Über ihren Arm breitete es sich durch den Körper aus. Ihr Herz fing an zu rasen und ihr Kopf versank im schwarzen Nebel. Stille kehrte ein. Sie spürte keine Schmerzen und Schläge mehr. Sie merkte nicht, wie ihr Blut Schöpfer für Schöpfer durch diese Flüssigkeit ersetzt wurde.

Erst, als der Topf geleert war, endete das Ritual. Jaques entfernte das Gerät von ihrem linken Arm und die beiden Wunden wurden dick verbunden. Man schnallte sie von den Balken und legte sie auf eine Bahre. Damit trug man sie weiter in einen Nebenraum und dort wurde sie auf ein Bett gelegt. Erneut wurde ihr ein Ring um den Fußknöchel gelegt und mit einem Schloss an einer Kette zum Bettpfosten gesichert.

 

Sie war bleich wie eine Tote. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Brust bewegte sich nicht. Kein Atemzug war sichtbar. Nur die dicken Striemen auf ihrem Körper schimmerten in rötlichen und bläulichen Farben. Einige Stellen hatten geblutet und kleine Krusten hinterlassen.

Den Knebel nahm man ihr nun auch aus dem Mund und drückte ihn zu. Mit einigen feuchten Lappen wischten sie die Blutspuren von dem Körper. Zuletzt wurde sie mit einer Decke zugedeckt. Nichts ragte darunter hervor, als sie zurechtgezogen worden war.

Dann verließen alle den Raum und nahmen die Fackeln mit. Ihre Ruhestätte versank in totaler Dunkelheit.

Niemand betrat in den folgenden zwei Tagen den Raum oder schaute nach der Frau. Erst am dritten Tag betrat Jaques den Raum. Hier in den Katakomben, in permanenter Dunkelheit gab es keine Zeit. Draußen, auf den Straßen von Paris, war längst die Dunkelheit hereingebrochen. Neben Fackeln und Laternen sorgte das Mondlicht für ein wenig Helligkeit.

Hier in der Kammer stand jetzt eine Laterne auf dem Tisch. Er hatte sie mitgebracht, genau wie einen halbgefüllten Becher und eine Schüssel mit einem Brei. Er setzte sich auf einen Stuhl und wartete.

Den Folianten kannte er auswendig. In ihm stand, dass der Sud, den er in ihre Adern gefüllt hatte, 48 Stunden brauchte, um sein Werk zu vollbringen. 48 Stunden, in denen der Proband eigentlich wie tot war. Jeder Mediziner hätte es ihm bescheinigt. Nach seiner Schätzung musste es jeden Moment soweit sein.

Er wollte sein neues Kind persönlich begrüßen, so wie er es bei den 15 Menschen vor ihr schon getan hatte. Alle waren ihm gefolgt und dienten ihm treu. In allen floss sein eigenes Blut. Er entschied, wer der Nächste war. Nur sein Blut erschien ihm für das Ritual geeignet. Und dass er sein Blut für sie gab, schuf ebenso diese Verbindung untereinander.

Desiree erwachte. Tief sog sie Luft ein, wie ein fast Ertrunkener, die die Wasseroberfläche durchbrach. Die Decke behinderte sie und sie schob sie weg. In den nächsten Momenten hechelte sie nur. Sie hatte das Gefühl, dass sie keine Luft bekommen hatte und der Körper nun danach schrie. Langsam beruhigte sich ihr Atem. Auch ihre wirren Gedanken beruhigten sich. Das Gefühl, beinahe erstickt zu sein, hatte völlige Panik in ihr erzeugt. Jetzt merkte sie, dass sie auf einem Bett lag und nur eine Decke sie zugedeckt hatte. Sie spürte keine Schmerzen am Körper. Aber sie fühlte die Decke direkt auf ihrem Körper. Sie war nackt. Und sie spürte den Metallring um ihren Knöchel. Sie war eine Gefangene. Gefangene?

Das war der Moment, in dem sie aufkeuchte. Schlagartig hatte ihr Gedächnis eingesetzt. Sie erinnerte sich. An alles. Die Kutschfahrt, der Überfall, die Ermordung von Mann und Tochter, die dauernde Schändung, das Ritual, die Männer und Frauen, die ihr Blut tranken und sie peitschten, ….

Fahrig tasteten ihre Hände über ihren Körper, doch sie fühlte keine Wunden. Allerdings lagen noch die Bandagen an ihren Unterarmen. Schnell hatte sie den Stoff abgewickelt. Die unteren Lagen waren blutig, doch an ihrem Körper gab es keine Wunde. Die Laterne war nicht hell, aber Desiree sah nicht einen Schnitt oder eine Strieme. Wie konnte es sein? Sie hatte den Schnitt gesehen. Sie hatte gesehen, wie das Blut aus ihr herausfloss. Das waren keine Tropfen, sondern ein Sprudeln gewesen.

Desiree tastete die Stelle ab. Da war … nichts? Keine Narbe, nichts?

Es war das dritte Mal, dass sie keuchte bei der Frage. Wie lange hatte sie hier bewusstlos gelegen? Wie lange dauerte es, bis solche Wunden heilten? Und auch noch keine Narben hinterließen? Tage? Wochen?

 

„Zwei Tage.“

Sie schrie auf, als die dunkle Stimme aufklang. Hektisch sah sie sich um. Erst jetzt fiel ihr der Schatten hinter der Laterne auf. Dort saß jemand. Ein Mann nach der Stimme. Hektisch riss sie die Decke vor ihren nackten Körper.

„Wer ist da?“ rief sie mit Panik in der Stimme.

Ihr standen die Vergewaltigungen wieder vor den Augen. Ging es jetzt weiter?

Die Gestalt erhob sich und trat ins Licht. Dort nahm sie wieder Platz. Jetzt erkannte sie den Mann.

„Jaques!“

„Gut erkannt. Jaques Massaux. Zu ihren Diensten, Madam.“

Im Sitzen wedelte er übertrieben mit der Rechten und imitierte den höfischen Gruß als Persiflage. Seine lässige und völlig unbotmäßige Art straften seine Höflichkeit Lügen. Entspannt saß er auf dem Stuhl und betrachtete die Frau, die anfing zu zittern.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Das Ritual ist vorbei. Jetzt gehörst du zu meiner Familie.“

Desiree riss die Augen auf.

„Was heißt das?“ stotterte sie verwirrt.

Der Mann gehörte nicht zu ihrer Familie. Der war ein Mörder.

„Desiree de Avrillion ist tot. Du darfst dich gerne weiter Desiree nennen. Der Name gefällt mir. Was du jetzt bist, habe ich erschaffen. Du bist mein Geschöpf. Wenn du so willst, ich bin dein Vater in deinem neuen Leben. Ich bin dein Herr. Du gehörst damit mir. Und du wirst tun, was ich dir sage.“

Entspannt saß Jaques auf seinem Platz und genauso ruhig gab er seine Erklärung ab.

„Ich bin doch nicht tot“, widersprach Desiree verwirrt.

Erneut tastete sie ihren Körper ab. Er wirkte blasser, aber das konnte auch am Licht liegen, fand sie. Vielleicht auch der Schreck nach so einer Aussage.

„Doch, du bist nur als meine Schöpfung wiedergeboren worden.“

„Was heißt das?“

Sie verstand nicht, worüber er redete. Sie fühlte ihren Körper, ihr Gedächnis ließ sie nicht im Stich, eigentlich war alles normal.

„Erinnerst du dich an das Ritual?“ fragte er als Antwort.

„Ja“, dehnte sie.

Er konnte sehen, wie ein Angstschauer über ihren Körper lief. Das entlockte ihm ein Lächeln.

„Was haben ich und meine anderen Kinder getan?“

Desiree öffnete schon den Mund, aber sie stockte. Seine Frage zielte auf etwas Besonderes. Was war das? Nochmals durchlief sie das Grauen des Rituals. Das Peitschen? Plötzlich stand es vor ihren Augen.

„Ihr habt mein Blut getrunken?“

Erneut durchzog ein Schaudern ihren Körper bei der Vorstellung.

„Richtig. Wir nennen uns Vampire. Wir sind eine neue Rasse von Menschen. Eine bessere Rasse. Und du …“

Jaques richtete sich auf und wies mit dem Finger auf sie. Auch seine Stimme wechselte von entspannt zu einem harten Tonfall.

„… du bist jetzt auch ein Vampir.“

 

Fassungslos konnte sie den Mann nur anstarren. Vampire gab es doch nicht. Das waren Gestalten aus Märchen, mit denen man Kinder erschreckte.

„Nein, uns gibt es wirklich.“

Jaques konnte ihre Gedanken an ihrem Gesicht ablesen. Er nahm die Schüssel mit dem Brei und hielt sie ihr hin. Zögernd nahm sie es entgegen. Es roch nicht sehr appetitlich, aber plötzlich knurrte ihr Magen leise.

Wenn mein Magen knurrt, kann ich nur ein Mensch sein, dachte sie. Während sie den Mann nicht aus den Augen ließ, löffelte sie hastig den Brei in sich hinein. Erst, als sie ihn leergekratzt hatte, reichte sie ihn ohne ein Wort des Dankes zurück. Genauso wortlos nahm er die Schüssel entgegen und stellte sie wieder auf den Tisch. Dann lehnte er sich wieder zurück und wartete.

Es dauerte noch einige Minuten, bis es passierte. Desirees Magen knurrte erneut. Sie blickte ihn erstaunt an. Das hatte sie noch nie erlebt, dass nach dem Essen der Magen knurrte.

„Siehst du, dein Magen braucht andere Nahrung. Alles, was du bisher zum Leben gebraucht hast, zählt nicht mehr für deinen Körper. Der braucht jetzt das hier zum Leben.“

Mit den Worten hielt er ihr den Becher hin.

„Was ist da drin?“ wollte sie wissen.

Dieses Mal hatte sie nicht zugegriffen. Sie wollte erst Bescheid wissen.

„Das ist Blut. Frisches Blut. Du solltest es schnell trinken. Es fängt bereits an zu stocken.“

Entsetzt wich Desiree bis an die Wand zurück.

„Nein, ich trinke kein Blut“, stieß sie hervor.

Jaques grinste nur.

„Es ist ganz frisch. Der Mann, von dem es stammt, war noch nicht einmal betrunken.“

„Menschenblut?“

Desiree flüsterte das Wort voll Abscheu.

„Natürlich. Stell dich nicht so an“, sagte Jaques jetzt mit harscher Stimme.

„Das ist nun mal unsere Nahrung. Als neue überlegene Rasse nutzen wir das Vieh richtig. Bei unserer derzeitigen Zahl reicht zwei Menschen am Tag, um uns alle satt zu machen. Und da wirst du in Zukunft helfen. Du wirst das Vieh in den Stall locken. Den Rest übernehmen andere. Du trinkst, wenn du an der Reihe bist.“

Leidenschaftslos zählte er ihr die zukünftigen Erwartungen und Aufgaben vor.

„Nein!“

Vehement schüttelte Desiree den Kopf.

„Doch!“ bestimmte Jaques.

„Sie können mich nicht zwingen, andere Menschen in ihr Verderben zu locken.“

„Brauche ich nicht. Du hast die Wahl. Entweder bestrafe ich dich und bringe dich nach draußen. Sobald die Sonne am Himmel erscheint, wirst du sterben. Unter der Sonne sterben wir. Oder ich lasse dich hier und du verhungerst ganz einfach. Ohne Blut stirbst du nach ein paar Tagen.“

„Dann bringe mich raus“, forderte sie wild.

Er grinste.

„Nein. Dann hast du es zu schnell hinter dich gebracht. Du bleibst fein hier angekettet, Schätzchen.

Weißt du was? Ich lasse dich am besten eine Weile schmoren. Dann komme ich wieder und frage dich erneut. Viel länger hältst du sowieso nicht durch. Du wirst mich vor Hunger anbetteln, dir Nahrung zu geben. Du wirst mir alles versprechen, um satt zu sein.

Den Becher lasse ich dir hier, falls du deine Meinung änderst. Wenn das Blut getrocknet ist, musst du es eben herauskratzen und kauen. Ist nicht ganz so nahrhaft, aber es reicht. Ansonsten wird nur jede Nacht jemand kommen und die Lampe neu mit Öl füllen.“

Jaques stand auf und stellte den Becher mit dem Blut vor ihrem Bett ab. Dann verließ er den Raum. Zurück blieb nur die Laterne mit ihrer zuckenden Flamme, die den Raum in trübe Helligkeit tauchte.

 

In den nächsten beiden Tagen lernte Desiree, dass ihr Körper eine innere Uhr besaß. Nach den Legenden und Jaques Aussage konnte sie daran Sonnenuntergang und Aufgang erkennen. Zumindest fand sie diese Verbindung. Wenn es draußen hell wurde, wurde sie schnell müde. Sie brauchte dann nur noch für einige Sekunden die Augen schließen und sie schlief tief und traumlos. Demzufolge wurde sie wach, wenn die Sonne unterging.

Zwei Tage vergingen, an denen jeweils kurz nach dem Erwachen in einem dunklen Raum eine Lampe in dem Gang auftauchte. Jeden Tag kam Simone, eine der drei blassen Frauen, und füllte den Vorratsbehälter an der Laterne im Raum auf. Dann ging sie wieder. Ein Wort wechselte sie nicht mit Desiree.

Zwei Tage wütete der Hunger in ihren Eingeweiden. Trotzdem dachte sie nie daran, nachzugeben. Das Blut im Becher war längst getrocknet und schwarz geworden. Sie sah die Ratten, die versuchten, sich Brocken herauszunagen.

Am dritten Tag kreisten ihre Gedanken nur noch um Essen. Langsam rückte der Gedanke, Blut zu trinken, immer näher. Doch noch immer schreckte sie vor dem Gedanken an Menschenblut zurück. Ein Mensch war für sie etwas Heiliges, Gottes Krone der Schöpfung. Sie hatte erlebt, dass für diesen Jaques ein Menschenleben nichts bedeutete. Ihren Mann und ihr unschuldiges Kind hatte er vor ihren Augen umgebracht. Nein, einem Menschen würde sie nie das Blut aussagen können. Lieber würde sie im Anblick von Nahrung verhungern. Ihr grollender Magen und die Schmerzen im Unterleib machten ihr diese Entscheidung sehr schwer, weil sie immer den Becher sah.

Plötzlich kam ihr die Alternative. Fleischspeisen hatte es in ihrem Haushalt gegeben. Manchmal war es noch nicht ganz durch gewesen, wenn der Koch geschlafen hatte und es war blutig gewesen. Blutwurst und Blutpudding hatte es auch schon gegeben. Aber das war Tierblut. Das wäre akzeptabel – nur kein Mensch.

Eine Kuh gab es hier nicht, aber es gab Ratten.

Sie hatte Glück. Das Blut im Becher war ein gutes Lockmittel. Es dauerte nicht lange und sie hatte die erste Ratte gefangen und getötet. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte sie ihr das Genick gebrochen. Es hatte noch eines Tricks gebraucht, bis sie das Fell lösen konnte. Voller Ekel hatte sie die ersten Tropfen Blut aufgeleckt. Aber sie hatte gespürt, wie neue Energie ihren Körper durchfloss. Deswegen hatte sie noch zwei weitere Ratten erlegt und deren Blut getrunken. Es hatte gereicht, dass der nagende Hunger verschwand. Gesättigt war sie nicht, aber es reichte für diese Nacht.

Die toten Ratten schob sie in eine dunkle Ecke. Niemand sollte wissen, dass sie eine Alternative gefunden hatte. Vielleicht würde man denken, dass sie zu schwach geworden war und sie losketten. Vielleicht konnte sie dann fliehen.

 

In der folgenden Nacht tauchte Jaques wieder auf. Diesmal kam er und füllte die Öllampe auf und entzündete sie neu.

„Na, meine Kleine? Soll ich dir einen frischen Becher Blut bringen? Ganz frisch. Heute Abend laben wir uns an einer adligen Schlampe. Sie stand auf der Fahndungsliste und wollte sich hier verstecken. Dumm für sie. Aber nun braucht sie die Guillotine nicht mehr fürchten.“

Jaques grinste Desiree an. Die wandte sich schaudernd ab.

„Also, soll ich dir etwas Leckeres bringen?“

„Hau ab, du Bastard. Lass mich in Ruhe. Ich werde kein Blut von dir annehmen.“

Er lachte laut.

„Ich kann dir auch kein Blut von mir anbieten. Wir können uns nicht gegenseitig nähren. Unser Blut ist keine Nahrung für unsereins, sondern löst nur Übelkeit aus. Es könnte uns sogar töten. Nein, wir brauchen frisches Blut. Ich kann dir nur frisches Blut anbieten. Soll ich es dir bringen? Du musst nur ja sagen. Dann kommst du hier frei und darfst mir dienen. Wie sieht es aus?“

„Verpiss dich.“

„Pass auf, Schlampe. Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast. Sonst würdest du mit Respekt behandeln und meine Füße küssen.“

Seine Stimme spiegelte Wut wieder. Sie widersetzte sich ihm. Das wollte er nicht hinnehmen. Allerdings gab es noch nicht so viele von ihnen, dass er auf sie verzichten wollte.

„Ich bin im Jahre des Herrn 1361 in Avignon geboren worden. Mein Herr war bei Papst Gregor XI. an seinem Hof bei Avignon. Ich war ein Sohn seines Beichtvaters. Natürlich nicht legitim. Aber es sicherte mir einen Platz an seiner Residenz. Er sorgte für einen Platz in der kleinen Garde des Papstes. So bekam ich eine militärische Ausbildung.

Nur hatte ich keine Lust, nach Rom umzusiedeln, als der Papst dorthin zog. Ich war Franzose. Also nahm ich meinen Abschied. Ich war Söldner, Wächter und anderes mehr. Mit 25 traf ich einen Einsiedler. Er wurde mein Lehrer.“

Jaques stieß ein spöttisches Lachen aus.

„Ich habe ihm anfangs geglaubt, als er behauptete, aus Jerusalem zu stammen. Er gab sich so gläubig, dass er mit seinem Körper nicht das Licht Gottes beschmutzen wollte. Deshalb kam er nur nachts aus seiner Höhle und betete.

Zwei Jahre habe ich ihm geglaubt. Allerdings gab es mysteriöse Todesfälle in der Umgebung. Viele kamen, um den Segen des Alten Eremiten zu empfangen. Viele Spenden vereinfachten das Leben.

Dann allerdings kam die Nacht, in der ich selber sein Opfer wurde. Und er machte mich durch das Ritual zu seinem ewigen Diener. Damit er nicht auffiel, musste ich die Menschen zu ihm bringen, an denen wir uns labten. Das Entsorgen war kein Problem, denn tief in der Höhle des Eremiten gab es einen Abgrund.

Ich wurde sein erster Gehilfe und lernte, wie man das Ritual anwenden musste. Er lehrte mich alles. Er zeigte mir, dass unser Blut nach wenigen Momenten in der Sonne zu Krümmeln wurde. Drei weitere Diener holte er sich. Er schwärmte von der Idee, ein eigenes Reich zu schaffen.

Viele Jahre lebten wir dort. Die Verehrung wurde immer größer. Man nannte ihn einen Heiligen. Er schuf die Legende, dass seine Frömmigkeit Gott veranlasst hatte, ihn so lange leben zu lassen. Er war dumm. Denn dieser Ruf brachte ihm die Aufmerksamkeit des damaligen Papstes, Clemens VII., ein. Es durfte keinen geben, dem Gott mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachte als dem Papst. So eine Aussage unterminierte den Anspruch, der höchste Gläubige zu sein. Niemand konnte frommer sein als der Papst. Nur der Papst sprach mit Gott und Gott verkündete nur dem Papst seine göttlichen Weisheiten. Jede anderslautende Behauptung stammte vom Satan und seinen Dämonen.

Also schickte er eine Truppe, die den ‚Heiligen‘ nach Rom bringen sollten. Sie kamen am Tag und sie nahmen alle mit, die sie fanden. Ich hatte Glück, dass ich in einer versteckten Nebenhöhle ruhte.

Ich habe daraus gelernt, dass man nicht zu lange an einem Ort bleiben kann. Aber hier in Paris geht es. Hier leben so viele, dass niemand alle kennt. Man wechselt einfach regelmäßig den Bezirk. Und erst, wenn diese unterirdischen Räume voll sind mit meinen Anhängern, dann werden wir die Oberfläche von dem Vieh säubern.“

Jaques lehnte sich zurück. Er wartete auf die Anerkennung zu seinen Leistungen. Doch Desiree verweigerte sie ihm. Sie schauderte vor derart viel Hinterlist und Grauen.

„Nie werde ich dir dienen. Lieber verrecke ich hier.“

Er lachte hämisch.

„Zwei, vielleicht drei Tage noch, dann wirst du mich anbetteln vor Hunger. Mal sehen, wie ich dann gelaunt bin. Wir sehen uns wieder, meine kleine Schlampe.“

Damit stand er auf und schlenderte kichernd davon.

 

Die nächsten Nächte überlebte Desiree wieder durch das Blut von Ratten. Es gab genug davon. Aber sie wurden vorsichtiger. Trotzdem reichte es.

Sie war überrascht, als vollkommen unplanmäßig Simone auftauchte. Vor drei Stunden hatte sie die Laterne aufgefüllt und neu entzündet. Desiree war noch überraschter, als Simone ihr den Ring um ihren Knöchel aufschloss und ein altes Kleid auf das Bett warf.

„Was soll das?“ fragte Desiree misstrauisch.

„Ich lass dich frei. Wir verschwinden alle von hier.“

„Warum? Was ist passiert? Was ist mit Jaques?“

„Jaques ist tot.“

„Wie ist das passiert? Ich dachte, wir können nur verhungern oder durch die Sonne starben?“

„Blödsinn. Du kannst auch normal umgebracht werden. Wenn die Verletzung groß genug ist, dass die Heilung es nicht rechtzeitig schafft.“

„Und Jaques?“

Simone strich sich mit dem gestreckten Zeigefinger in einer universellen Geste über die Kehle.

„Er hat gestern einen Tipp bekommen, wo sich ein Bruch lohnt. Mit drei Leuten ist er hin. Es war eine Falle. Alle wurde festgenommen und eingesperrt. Noch am Morgen wurden sie durch ein Schnellgericht verurteilt. Die Gefängnisse sind übervoll. Also Guillotine.

Das Urteil wurde im Lauf des Tages im Gefängnishof vollstreckt. Mitten im Sonnenschein. Jaques und meine Brüder haben es nicht einmal bis zum Schafott geschafft. Trotzdem hat man die Toten der Form halber noch enthauptet. Wir haben es vorhin durch Informanten erfahren.

Da wir nicht wissen, ob unsere Brüder noch gefoltert worden waren und unser Versteck verraten haben, verschwinden wir lieber.

Du bist trotz allem eine von uns. Also verschwinde ebenfalls. Bessere Chancen gebe ich dir nicht. Überlebe oder verrecke. Mir ist es egal.“

Damit drehte sich Simone um und eilte aus dem Raum.

Nach einigen Sekunden erhob sich Desiree und streifte das Kleid über. Es war ihr zu groß, aber das war der jungen Frau egal. Nach Tagen trug sie endlich wieder Bekleidung.

Mit der Laterne in der Hand verließ sie den Raum. Bisher hatte sie hier nichts kennengelernt. Sie kannte den Raum, in dem sie anfangs gefangen und vergewaltigt worden war. Dann war da der Raum, in dem sie zum Vampir gemacht worden war. Und sie kannte die Kammer der letzten Tage. Jetzt erkundete sie Raum für Raum in ihrer näheren Umgebung. Da gab es Vorratslager für normale menschliche Nahrung mit Getreidesäcken und Fässern mit Pökelfleisch. Sicher hat Jaques es geraubt und verkaufte es für teures Geld.

Immerhin fand sie auch einen Raum, in dem er die verschiedensten Kleidungsstücke gab. Manches war zerrissen, manches sogar mit blutigen Stellen. Aber am Ende trug Desiree wieder vernünftige Kleidung und Schuhe. Sogar Unterwäsche hatte sie gefunden.

 

Eine Stunde später stieß sie auf Jaques Raum. Sie vermutete, dass es seiner war, denn hier herrschte penible Ordnung. Es standen Schränke und eine Kommode im Raum. Da war ein Tisch mit vier Stühlen und natürlich ein breites bequemes Bett.

Als sie den Raum inspizierte, fand sie die Geldkiste, die ihr Mann damals in die Kutsche verladen hatte. Sie musste schlucken, als ihr die Erinnerung hochstieg. Wieder durchlebte sie das Grauen der folgenden Nacht.

Der Zugang war durch eine richtige Holzwand mit Tür abgetrennt, nicht nur durch einen Vorhang, wie die anderen Räume.

Zwei Räume weiter war das Zimmer, in dem sie umgewandelt worden war, wie Jaques sich ausgedrückt hatte. Das große Holzkreuz lehnte nun an der Wand. Nur die beiden großen Schränke standen an der Wand.

Desiree ging durch den Raum. Aus einem benachbarten Zimmer hatte sie sich eine Schubkarre besorgt. Jaques hatte sie wohl in der Nähe haben wollen, um schwerere Gegenstände zu transportieren. Die Karre hatte eine flache Holzplatte mit einem anmontierten Brett als Stütze vor dem hölzernen Rad. Damit konnten aufgeladenen Gegenstände nicht nach vorne herunterrutschen.

Als erstes lud sie die Kiste auf, die ihrer Familie gehörte. Sie hatte sie offen in der Ecke gesehen. Einiges von den Münzbeuteln und dem Schmuck war verschwunden. Desiree verschmerzte es. Danach zu suchen und sich mit den anderen Vampiren zu streiten, brachte nichts. Sie hatte nur nachgesehen, dass ihr Lieblingsschmuck noch da war. Und er war vorhanden. Alles andere war zweitrangig.

Dafür legte sie anderes hinein, dass sie als wertvoll einstufte. In einen Korb kamen verschiedene Kleidungsstücke und andere Dinge, die sie als notwendig zum Leben erachtete. Auch zwei von diesen Saugdingern für Blut steckte sie ein. Natürlich waren auch Flaschen mit Laternenöl in dem Korb.

Als sie alles, was sie mitnehmen wollte, auf der Karre verstaut und mit Seilen gesichert hatte, sah sie sich weiter um. Und sie fand, wonach sie suchte. Ein Schrank war gefüllt mit Tiegeln und beschrifteten Glasflaschen. Kleine duftende oder stinkende Säcke, Wurzeln und getrocknete Pflanzen lagen in den Fächern. Beutel mit Kristallen und kleinen Splittern fand sie in anderen Ablagen.

Und sie fand den dünnen Folianten. Das Durchblättern zeigte ihr, dass es wohl die Rezeptur und die Anwendung dieses Mittels beinhaltete, das jetzt durch ihre Adern lief.

Schnell hatte sie mit Brettern und Stoffen einen kleinen Scheiterhaufen geschaffen. Die Säckchen und Beutel wanderten auch dorthin. Die Tiegel und Flaschen entleerte sie darüber und ließ die leeren Behältnisse auch darauf fallen. Ganz oben stellte sie den geöffneten Folianten darauf.

Einige Minuten stand sie daneben und betrachtete den bunten Haufen. Anscheinend gingen die Dinge aus dem Schrank schon Verbindungen ein, denn es stank zunehmend mehr.

Desiree öffnete eine weitere Laterne und entzündete sie. Dann ließ sie die auf den Stapel fallen. Das Öl lief aus und entzündete sich mit einem puffenden Geräusch an der Flamme. Nur Sekunden später brannte der ganze Haufen.

Hell brannte das Feuer. Zischend vergingen Reagenzien in den Flammen. Manche färbten die Flammen intensiv rot oder sogar blau oder grün. Manches verpuffte mit leisem Knattern. Anderes förderte dicke gelbliche Rauchwolken, die sich unter der Decke hinzogen und verliefen.

Eine Zeitlang stand Desiree daneben. Sie sah zu, wie der Foliant sich verzog und dann die Blätter Feuer fingen. Stück für Stück verbrannte die Pergamentseiten. Kleine schwarze Flocken lösten sich und flogen mit der aufsteigenden Hitze durch den Raum.

Als der Foliant fast völlig verbrannt war, drehte sich Desiree und schob ihre Kiste und die anderen Dinge mit der kleinen Karre weg. Die Katakomben von Paris waren riesig. Und sie hatte Zeit. Während hinter ihr das Feuer weiterprasselte, beleuchtete nur eine Laterne ihren Weg durch dunkle Gänge. Irgendwann würde sie Nachschub für die Laterne benötigen. Aber sie hatte ja Zeit.

 

 

Feuer

 

Vor drei Jahren.

Samstag, 0:42 Uhr.

 

Das Feuer prasselte leise. Kleine Flammen leckten über die eingedrückte Motorhaube des Wagens. Ab und zu knackte es in den Metallverstrebungen.

Jetzt, nach Mitternacht war niemand auf der abgelegenen Straße unterwegs, der an dem Unfallort vorbeiführte. Die Dunkelheit hüllte den Ort ein. Nur die kleinen Flämmchen auf der Motorhaube erhellten für kurze Momente den Ort.

Der dunkelbraune Ford Fiesta musste ungebremst aus der Kurve getragen worden sein. Die gut zwei Meter hohe Böschung schien er nicht berührt zu haben, denn hier waren keine Spuren sichtbar. Dafür war er auf der Wiese aufgeschlagen und hatte das Gras förmlich umgepflügt, nur um kaum fünf Meter weiter einen Findling zu treffen. Der hatte den Wagen vollends gestoppt. Die Geschwindigkeit hatte den Wagen zusammengefaltet. Kaum mehr als einen Meter betrug noch der Radabstand von Vorder- und Hinterrädern auf der rechten Seite. Der Wagen lag schräg. Das bedingte der Aufprall mit der rechten Seite auf den Felsen.

Wieder flackerten die Flammen. Auf dem Erdboden suchte sich das Benzin, das aus dem aufgerissenen Tank herauslief, seinen Weg. Die Abschüssigkeit des Bodens erlaubte der Flüssigkeit nur den Weg durch die vom Fahrzeug gezogenen Furchen in Richtung Findling. Benzinduft lag in der windstillen Luft.

Das neuerliche Flackern erlaubte einen Blick ins Fahrzeuginnere. Die Frontscheibe fehlte. Auch die beiden Airbags vorne waren wieder zusammengefallen. Der Fahrer war ein Mann um die 40 und trug einen grauen Anzug. Sein Körper lehnte an dem Lenkrad und die Arme hingen herab. Sein Kopf lag extrem abgewinkelt auf der Seite. Er hatte kurz geschorene Haare. Das Gesicht war glattrasiert. Jetzt allerdings lief Blut aus den braunen Haaren über seine Stirn. Blut sickerte auch aus dem leicht geöffneten Mund. Seine Augen standen offen, aber sie sahen nichts mehr. Der Glanz in den Pupillen war für immer erloschen. Sein Genick war gebrochen.

Neben ihm auf der Beifahrerseite hing eine etwa gleichalte Frau mit schulterlangen roten Haaren im Sicherheitsgurt. Ihr dunkelblaues Kleid war unterhalb der Brust blutgetränkt. Auch ihr Blick war erloschen. Beim Aufprall war die Kunststoffverkleidung vor ihr geborsten und eine breite Zacke war beim Zusammenschieben der Karosserie unter ihren Rippen in ihr Herz gedrungen.

Hinter dem Fahrer saß noch ein Mädchen oder junge Frau. Der Sitzgurt fixierte auch sie, doch die verbogene Rücklehne klemmte sie fest. Vor allem kam sie nicht an den Öffner, der durch die verschobene Rückwand verdeckt war. Sie war allerdings nur bewusstlos. Ihr Kopf war gegen die Scheibe geprallt. Auch sie hatte dunkelrote Haare, die ihr in einem Zopf auf den Rücken fielen. Passend trug sie ein dunkelgrünes langes Kleid.

Vorne im Motorraum tanzten die kleinen Flammen. Kunststoff, Öl, Benzinreste und die Kabelisolationen hielten sie am Leben. Manchmal leckten die Flammen durch die Risse nach draußen. Langsam fraßen sich die Flammen entlang der Verkabelung in den Innenraum. Erste Rauchfahnen kamen dort aus den Lüftern und unter der geborstenen Armaturensäule hervor. Das fehlende Frontfenster entließ sie aus dem Fahrgastraum.

Der erste Tropfen geschmolzener Kabelisolation fiel auf den Rock der toten Frau. Auch das bestand aus Kunststofffasern und ein Loch wurde hineingeschmolzen. Gleich daneben fiel der zweite Tropfen und brannte ein weiteres Loch.