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Da es auch explizite sexuelle Beschreibungen gibt, sollten es nur Erwachsene lesen.
Netiri ist eine Leibwächterin von Königin Kleopatra. Beim Untergang des ägyptischen Reiches durch den Sieg Octavians gerät Netiri in die Hände des Amun-Hohepriesters Heisthinos. Der will sie für sein Leben im Jenseits auf besondere Art als ewige Sklavin präparieren.
2000 Jahre später wird ihr Sarkophag gefunden. Schmuggler verkaufen die Mumie nach Amerika. Bevor sie in den Gewölben eines Sammlers verschwindet, werden die Artefakte von der Polizei entdeckt und sichergestellt. Dabei wird ihre Hülle beschädigt und sie erwacht.
Bei ihrer Flucht wird die junge Frau von Ken Jordan aufgegriffen, der ihre Herkunft aber nicht erkennt. Die Frau schweigt über sich. Er muss erst verstehen lernen, mit wem er es zu tun hat, während sie die aktuelle Zeit begreifen muss. Nichts ist mehr so, wie sie es kannte.
Und sie trägt neben ihrer Herkunft noch ein viel größeres Geheimnis mit sich herum. Als jemand begreift, was diese Frau wissen kann, beginnt die Jagd auf sie.
Auszug aus dem Buch:
Tief atmete sie ein. Sie fühlte sich schwach. Kein Wunder, wenn dieser Auswurf von Apophis mir kaum etwas zum Essen gibt. Sie tastete vorsichtig um sich herum. Niemand sollte merken, dass sie wach war. Ihre Fingerspitzen sagten ihr genug. Sie lag auf Holz und auch an den Seiten neben ihr waren Holzwände. Eine Kiste? Ganz dunkel erinnerte sie sich, dass sie für das Jenseits vorbereitet werden sollte. Erst jetzt spürte sie die Gewichte auf der Brust und anderen Körperstellen. Sie entschloss sich, die Augen vorsichtig zu öffnen.
Krampfhaft unterdrückte sie das Aufstöhnen, als die Helligkeit ihr wie Messer in die Augen stach. Ganz vorsichtig versuchte sie es erneut und nur sehr langsam gewöhnten sich ihre zu schmalen Schlitzen geschlossenen Augen an die Helligkeit. Sie hatte das Gefühl, im Sonnenlicht zu liegen. Dabei war ihre letzte Erinnerung die Fackeln in Kellerraum gewesen.
Mit dieser Erinnerung fiel ihr auf, dass Hände und Hals nicht mehr von Metall umschlossen war. Sie war frei. Frei? Wohl nicht. Irgendetwas hatte dieser Bastard doch mit ihr vor. Und freilassen würde es mit Sicherheit nicht sein. Dunkel erinnerte sie sich an die Drogen, die man ihr verabreicht hat und die daraus resultierende Bewusstlosigkeit.
Sie lauschte in sich hinein. Nein, da gab es keine Beeinträchtigung mehr. Ihre Gedanken flossen normal und waren nicht mehr in dicke Watte gehüllt oder liefen zäh wie in halbtrockenem Nilschlamm.
Wenn nur dieses Gefühl der Steifheit und Schwäche nicht wäre. Sie öffnete ihre Augen weiter. Langsam erkannte sie, dass sie tatsächlich in einer offenen Kiste lag. Weit über ihr war ein Dach. Aber so ein Dach hatte sie noch nie gesehen. Es war zwar silbrig hell, aber Metall konnte es doch nicht sein. Wer würde auch schon ein Dach aus Eisen bauen? Wer wäre auch so verschwenderisch? Dächer musste leicht und stabil sein. Holzbalken, Bretter, Schilf und Lehm waren bewährte Techniken.
Und diese grellen Flecken. Gab es da Löcher und die Sonne schien herein? Hatte man dort etwa auch kostbares Glas verwendet, um das Licht zu verteilen?
Sie strengte ihr Gehör an. Nichts war zu hören. Da zwitschern keine Vögel, da sind keine Stimmen. Wo bin ich hier? Auch die Luft riecht anders. Bin ich nicht mehr in Alexandria? Da fehlt der Geruch von Herdfeuern und Salzluft. Wo bin ich?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Ich erzähle eine Geschichte, keinen Tatsachenbericht.
Wegen der expliziten Beschreibungen ist sie für Leser (m/w/d) ab 18 Jahren geeignet.
Alle hier vorkommenden Personen sind erwachsen und – abgesehen von historisch belegten – frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.
Es werden auch Aktionen aus dem Bereich BDSM beschrieben.
Bitte denken Sie immer an die Grundsätze bei BDSM:
Gegenseitiges Einverständnis, bewusste Akzeptanz und vor allem Sicherheit.
Ich bitte darum, echte Folter nicht mit BDSM zu verwechseln, sondern diese beiden Welten strikt zu trennen.
Eine wiedererweckte Mumie gibt es in vielen Filmen und Geschichten. Meine persönlich beste Verfilmung ist immer noch „The Mummy“ mit Boris Karloff von 1932, schlichter und doch viel intensiver als moderne Actionversionen, auch durch sehr viel mehr Realitätsnähe in der Filmhandlung. Für mich ebenfalls durch den langen Dialog zwischen Imhotep (Mumie) und Helen Grosvenor („Opfer“) und dem damit verbundenen Bemühen, Verständnis für das Handeln der Mumie zu wecken.
Warum muss die Mumie immer der Täter, warum darf sie nicht auch einmal das Opfer sein?
Es würde mich freuen, wenn diese Geschichte gefällt.
Wenn man eine Geschichte mit einem historischen Hintergrund oder in Zusammenhang mit historischen Personen erzählen will, muss man sich auf die Spurensuche begeben, um alles möglichst korrekt einbeziehen zu können … ansonsten wird es nur Fantasy.
Kleopatra VII. Philopator, die wohl bekannteste Zeitgenossin neben den römischen Größen Gaius Iulius Caesar (13.07.100 … 15.03.44 v.Chr.), Gaius Octavius (bekannt als Octavian, später Augustus, 23.09.63 v.Chr. … 19.08.14 n.Chr.) und Marcus Antonius (etwa 83 … 01.08.30 v.Chr.), wurde 69 vor Christus geboren. Ihr vermutlicher Todestag ist der 12.08.30 v.Chr. (nach heutiger Zeitrechnung).
Nach dem Tod ihres Vaters, Ptolemaios XII. bestieg die damals 18-jährige im Jahr 51 v.Chr. gemeinsam mit ihrem 10-jährigen Brudergemahl Ptolemaios XIII. den Thron.
Wegen der Herrschaft folgte ein langer Krieg zwischen den Geschwistern, der 47 v.Chr. durch Gaius Iulius Caesar entschieden wurde. Ptolemaios XIII. ertrank im Nil. Ab da herrschte Kleopatra alleine über Ägypten. 47 v.Chr. gebar sie den Sohn Ptolemaeus Caesar (auch Caesarion genannt), den Caesar zwar als Sohn anerkannte, aber nicht als Erben einsetzte.
Nach dem Tod Caesars im März 44 v.Chr. kehrte sie aus Rom nach Ägypten zurück und stabilisierte durch eine kluge Regierung ihr Reich.
Ab 41 v.Chr. ging sie eine Beziehung mit Marcus Antonius ein, einem der Triumvirn neben Octavian und Lepidus. Als die Römer ihr riesiges Reich neu organisierten, übernahm Antonius Ägypten als Einflussbereich. Mit Antonius hatte sie die Zwillinge Alexander Helios und Kleopatra Selene. Später kam eine weitere Tochter dazu. Verheiratet war Kleopatra aber wahrscheinlich nicht mit ihm.
32 v.Chr. brach nach politischen Intrigen und militärischen Fehlern von Antonius der offene Kampf zwischen Octavian und Antonius aus. Der dritte des Triumvirats, Lepidus, war bereits von Octavian ausgeschaltet. Die Seeschlacht von Actium 31 v.Chr. gewann Octavian ebenso wie den letzten Kampf vor Alexandria im Sommer 30 v.Chr.
Antonius erhielt eine gefälschte Nachricht, dass Kleopatra tot sei und stürzte sich in sein Schwert, starb aber nicht sofort. Er erfuhr noch den wahren Aufenthaltsort Kleopatras und ließ sich zu ihr bringen, wo er wahrscheinlich am 01.08.30 v.Chr. starb.
Octavians Gesandter konnte Königin Kleopatra, die sich mit dem toten Antonius in ihrem Mausoleum verschanzt hatte, gefangen nehmen. Fortan wurde sie von Octavians Soldaten im Palast bewacht. Aus Angst, im Triumphzug durch Rom geführt zu werden, beging sie Selbstmord mit ihren beiden Dienerinnen Eiras und Charmion.
Ihr Sohn Caesarion wurde später durch Octavian hingerichtet. Die drei Kinder mit Antonius wurden eine Zeitlang von Octavia, Octavians Schwester, erzogen und teils verheiratet. Ihre Spuren verlieren sich.
Die genaue Todesursache bei Kleopatra wurde nie vollkommen aufgeklärt. Octavian bekam eine Nachricht mit der Selbstmordabsicht und war der Erste am Sterbeort. Man geht heute von einer Vergiftung aus. Die Schlangengiftlegende wurde von ihrem Leibarzt Olympos initiiert, nur wurde nach zeitgenössischen Berichten keine Schlange im Raum gefunden und eine Schlange allein hätte für die drei Frauen nicht gereicht.
Octavian ließ Kleopatra neben Antonius beisetzen. Auch die beiden Dienerinnen, die mit ihr starben, wurden dort beigesetzt. Archäologisch wurde das Grab noch nicht entdeckt.
Andere Theorien zu Kleopatras Tod beinhalten auch die Option, dass sie heimlich auf Befehl Octavians ermordet wurde. Ein Grund für einen Mord könnte gewesen sein, dass Octavian Kleopatra nicht im Triumphzug mitführen wollte, um eine Anteilnahme zu verhindern. Alternativ besteht die Theorie, dass er die Selbstmordabsicht nur durch nachlässige Bewachung unterstützte.
Diese letzten, nicht ganz eindeutig belegten Umstände und Tage greife ich in meiner Geschichte als Anfang auf und schaffe eine neue Theorie. Manches ist vielleicht auch anders interpretiert. Manche Aussagen lege ich in den Mund der historischen Person oder spiegele dabei Theorien wieder. Aber wer weiß, vielleicht ….
Alle nicht in den Geschichtsbüchern vorkommenden Personen sind für diese Geschichte frei erfunden, ebenso wie alle durch sie ausgeführten Aktionen und Verknüpfungen mit historischen Personen.
Ansonsten bemühe ich mich, die historische Umgebung, zeitliche Abfolgen oder Quellenbezüge möglichst korrekt wiederzugeben, soweit sie gesichert bekannt sind.
Vorwort
Geschichtliches Vorwort
Inhalt
Herrscherin
Fund
Unbekannt
Lernen
Anfang
Folter
Damoklesschwert
Schatten
Verstehen
Verborgen
Epilog
Alexandria, 01.08.30 v.Chr.
Stumm sahen die Bewohner von Alexandria zu, als Kohorte um Kohorte in die Stadt einmarschierte. Die Belagerung war kurz gewesen. Mit einem letzten Aufbäumen hatte Markus Antonius versucht, den herannahende Octavian zu stoppen. Vergeblich.
Nach seiner Niederlage bei Actium war eine Legion nach der anderen und in den letzten Monaten auch ein Vasall nach dem anderen zu Octavian übergelaufen. Und Octavian wollte den totalen Sieg. Darum hatte er auch Antonius‘ Angebot, sich aus der Politik zurückzuziehen, abgelehnt. Er wollte niemandem in seinem Rücken haben. Deswegen war er nach Alexandria marschiert.
Ein letztes kleines Gefecht hatte Antonius noch nahe Alexandria gewinnen können. Doch als er sich zur Entscheidungsschlacht vor den Toren von Alexandria aufstellte, wechselte seine Reiterei und die Flotte die Seite. Antonius gab auf und kehrte als gebrochener Mann in die Stadt zurück.
Während er mit seiner Leibwache noch auf dem Rückweg war, ergab sich seine verbliebene Armee. Sie waren zahlenmäßig jetzt weit unterlegen und sahen keinen Sinn in einem Kampf, wenn auch der Führer floh. Sie konnten nicht mehr als ihr Leben gewinnen.
Als die Bewohner der Stadt diesen Verlauf des Kampfes mitbekamen, schickten sie schnell eine Abordnung unter Führung des Amun-Hohepriesters zu Octavian, um die Kapitulation der Stadt anzubieten. Ohne nennenswerte Truppen hatten sie keine Möglichkeit, die große Stadt zu verteidigen. Nicht einmal die Flucht war möglich, denn an Land war Alexandria von römischen Truppen umschlossen und der Hafen durch römische Galeeren blockiert.
Die Verhandlungen waren nur kurz. Eigentlich wurden nur die Bedingungen und die Geiseln diktiert und sie wurden sofort bestätigt. Die Sieger hatten alles bereits vorbereitet gehabt. Die Bedingungen für die Stadt waren mild. Auch deswegen gab es keine Diskussionen. Die Städter waren froh, dass die Soldaten keine Übergriffe machen würden, wenn sich alle Seiten ruhig verhielten.
Octavian befahl, nur zwei Legionen in die Stadt zu entsenden. Alle anderen würden die nächsten Tage direkt vor der Stadt ihre Lager aufschlagen. Sie wurden durch die Stadt versorgt und waren gleichzeitig die Mahnung, welche Macht vor den Toren stand.
Natürlich wurde die Stadtwache als erstes entwaffnet und in ihrer Kaserne bewacht. Die Sicherung der Mauern und Tore übernahmen Octavians Einheiten. Jede Manipel und jede Zenturie kannte ihren Auftrag und Zielort. Alles war präzise festgelegt.
Stunden zuvor war Markus Antonius mit einem Dutzend Begleiter die Straße zum Palast entlanggaloppiert. Sein Gesicht war verkniffen und verbittert. Er hatte nicht erwartet, dass seine letzten Verbände ihn derart verraten würden. Schaumflocken wehten an ihm vorbei. Die Pferde waren abgetrieben und am Ende ihrer Kraft.
Im Palasthof zügelte er seinen Hengst und sprang ab, noch bevor das Tier richtig stand. Ohne sich weiter um seine Begleiter zu kümmern, lief er die Stufen hinauf. Nacheinander stiegen auch die Begleiter ab und eilten ihm hinterher. Etliche Sklaven nahmen die Pferde an. Sie würden sich um die keuchenden Tiere kümmern und sie langsam abkühlen durch ruhiges Bewegen.
Der Palast war still. Die Bediensteten und Sklaven schlichen stumm durch die Gänge. Marcus Antonius rief nach seiner Geliebten, doch nur Schweigen antwortete ihm. Schließlich stieß er die Tür zu ihren privaten Gemächern auf, doch niemand war hier.
Er schnippte nur mit den Fingern und schon eilte sein Sklave herbei, um ihm beim Abnehmen seines Brustpanzers zu helfen. Den vergoldeten Helm hatte er neben seinem Schwertgürtel auf den Tisch geworfen.
Als er nur noch in Tunika und Waffenrock gekleidet war, ließ er sich in einen der Scherenstühle fallen. Sein Sklave bracht ihm sofort einen Pokal mit verdünntem Wein. Die Frage, wo die Königin war, konnte er nicht beantworten. Er wusste nur, dass sie den Palast verlassen hatte. Marcus Antonius legte den Kopf in den Nacken. Kleopatra war spazieren und draußen geht unsere Welt zu Grunde. Also alles ein fast normaler Tag. Sein Sarkasmus war ausgeprägt.
In seinem Kopf tauschten sich die verbleibenden Möglichkeiten aus. Eine Flucht war kaum noch möglich aus der Stadt. Wohin auch sollte er gehen? Im Norden und Westen standen die Truppen seines Gegenspielers. Im Süden waren die schwarzen Königreiche, aber ob die ihn akzeptierten, war fraglich. Nach Osten durchbrechen, wäre vielleicht machbar, wenn er bis nach Indien wollte, aber er musste am Partherreich vorbei und die waren keine Freunde.
Etwas später wurde ihm eine Botschaft überbracht. Er wurde blass bei Lesen.
‚Mein Liebster, Spione haben mich informiert, dass Octavian uns in den Carcer Tullianum nach Rom bringen lassen will, wo auch schon Vercingetorix erdrosselt wurde. Diesen Weg werde ich nicht gehen. Aber ich bin dir bereits vorangegangen in das Jenseits und bitte dich, mir zu folgen, bevor es zu spät ist.‘
Kleopatra war tot, war der einzige Gedanke, der ihn beherrschte. Damit gab es keine Hoffnung mehr für ihn.
Er wankte, als er zum Tisch ging und sein Schwert aus der Scheide zog. Damit kniete er nieder. Den Knauf des Gladius platzierte er in der Fuge zwischen den Fliesen. Während eine Hand das Heft der Waffe umklammerte, schob die andere die Spitze unter sein Brustbein. Mit einem Schrei ließ er sich nach vorne fallen. Das Schwert drang tief ein, verfehlte aber sein Herz durch die Bewegung. Nur schaffte er es nicht mehr, die Waffe zu bewegen.
Kurz darauf betrat einer seiner letzten Getreuen den Raum. In seiner Begleitung war Eiris, die treue Dienerin von Kleopatra. Beide schrien entsetzt auf, als sie den blutenden Marcus Antonius am Boden sahen. Schnell erkannten sie aber auch, dass die Wunde tödlich war. Es würde nur noch kurze Zeit dauern.
Marcus stöhnte, als er von Eiris erfuhr, dass Kleopatra noch lebte und sich in ihrem Mausoleum eingeschlossen hatte. Sofort ließ er sich von seinen letzten Männern dorthin bringen. Er hielt durch, nur um in den Armen der Geliebten zu sterben.
Dann waren Octavians Truppen in die Stadt einmarschiert. Eine Vorausabteilung fand heraus, wo Kleopatra und Antonius zu finden waren. Mit einem Trick konnte Kleopatra in dem kaum zugänglichen Gebäude überwältigt werden. Die schweren und dicken bronzenen Tore waren verriegelt. Nur mit schweren Belagerungsgerät hätte man eindringen können. Aber das hätte gedauert. Und sie hatte gedroht, ihre Schätze zu vernichten, wenn die Römer das versuchen würden. Die hatten sich aber während der Verhandlungen Zugang durch ein nicht ganz verschlossenes Fenster im Obergeschoss des zweistöckigen Gebäudes Zugang verschafft und Kleopatra und ihre beiden Dienerinnen Eires und Charmion überwältigt. Dann waren sie zurück in den Palst gebracht worden. Kleopatra bekam eine Zimmerflucht zugewiesen und stand dort unter Bewachung.
Octavian hatte seinem nun toten Gegner Respekt erwiesen. Kleopatra durfte seine Leiche in einer kurzen Zeremonie in ihrem Mausoleum bestatten. Der römische Sieger hatte ihr ebenso zugesagt, dass ihre Leiche dort auch später liegen dürfe.
Dann saß die ehemalige Königin gebrochen in ihrem Zimmer. Eiris und Charmion umsorgten sie weiterhin. Und Eiris war es, die ihrer Herrin einen Plan unterbreitete. Kleopatra zögerte. Sie musste erst noch einiges klären, bevor sie sich entschied. Noch waren ihre letzten Hoffnungen nicht zerstört.
Deswegen bat sie Octavian einige Tage später um ein Treffen.
Kleopatra hatte sich in ein schlichtes Gewand gekleidet. Sie wollte damit gegenüber ihrem Besucher signalisieren, dass sie ihre Niederlage eingestand. Octavian dagegen in seinem vergoldeten Brustpanzer und mit dem Helm unter dem Arm war der strahlende Sieger.
„Warum hast du mich hergebeten, Kleopatra?“
„Du bist der Sieger. Marcus Antonius ist tot. Niemand kann dir mehr gefährlich werden. Nun herrscht du alleine über Rom. Wäre es nicht die Möglichkeit, dass ich deine neue Provinz für dich verwalte? Ich kenne die Menschen hier und auch, was sie brauchen. Ich kann dir nützlich sein. Stell mir einen deiner Vertrauten an die Seite. Er darf mich gerne beaufsichtigen.“
Offen sah sie ihren Gegenüber an. Octavian lächelte spöttisch.
„Nein, du wirst nicht mehr regieren. Du bist zu klug. Caesar hast du um deinen Finger gewickelt. Mit Marcus Antonius hast du es auch geschafft. Warum also nicht mit einem weiteren Vertrauten?“
Sie senkte den Kopf.
„Dann erlaube bitte, dass mein Sohn Alexander Helios dein Regent wird. Es würde das ägyptische Volk in seiner Treue bestärken.“
„Oder seinen Verrat. Nein, Kleopatra. Mit deinen Kindern habe ich andere Pläne. Und auch mit dir.“
„Was meinst du damit?“
„Rom hat dir doch gefallen? Du wirst Rom wiedersehen. Und du wirst in Roms Nähe bleiben. Keiner aus deiner Linie wird Ägypten je wieder beherrschen.“
Kleopatra wurde blass. Er hatte dabei nur sie erwähnt, nicht aber ihre Kinder. Bedeutete das, …? Sie riss den Kopf hoch und versuchte in seiner Miene zu lesen. Sein Grinsen wurde selbstgefällig.
„Auch Rhodon liebt Gold“, sagte er ruhig und betrachtete dabei angelegentlich seine Finger.
Kleopatra taumelte leicht. Sie kannte nur einen Mann namens Rhodon. Er war der treue Lehrer ihres Sohnes Ptolemaeus Caesar, den alle nur Caesarion nannten. Die beiden waren unterwegs zu einem Herrscher in Indien. Dort sollten sie sich verstecken. Oder doch nicht? Ihr Blick wurde ängstlich.
„Caesar war sehr beliebt. Ich bin zwar sein offizieller Erbe, aber es wird keinen anderen Sohn Caesars geben. Mach dich damit vertraut.
Und … bereite dich darauf vor, in einigen Tagen die Reise nach Rom anzutreten, sobald ich hier alles geregelt habe.“
Sein Nicken war spöttisch, als er sich umdrehte und den Raum verließ. Die Wache verschloss den Zugang hinter ihm.
Drinnen sank Kleopatra auf einen Stuhl. Er hatte sie endgültig vernichtet. Octavian hatte es nicht ausdrücklich gesagt, aber sie interpretierte seine Aussagen derart, dass ihre Kinder bereits tot waren. Einige Minuten saß sie zusammengesunken und resignierte. Dann straffte sie sich und ihre Miene wurde hart.
„Eiris!“ rief sie laut
Gleich darauf tauchte ihre Dienerin in der Tür auf.
„Herrin?“
„Wir machen es. So schnell es geht.“
„Ja, Herrin. Ich sage Bescheid.“
Eiris verneigte sich und verschwand. Die Königin hatte sich entschieden.
Es dauerte noch vier Tage, bis die Vorbereitungen abgeschlossen waren. Sie waren bereits angelaufen, noch bevor Eiris ihren Vorschlag der Königin unterbreitet hatte, sogar noch bevor die Stadt eingenommen worden war. Jetzt, nachdem Octavians Legionäre die Stadt und die Zugänge kontrollierten, war nur einiges schwieriger geworden. Aber alles fußte auf einem Plan, den die Königin bereits vor fünf Jahren erdacht hatte, um sich mit Marcus Antonius in ein Privatleben zurückzuziehen. Bereits davor hatten die Spannungen zwischen Octavian und Antonius angefangen. Schon damals hatte Kleopatra eine Alternative als letzten Ausweg gesucht. Ein Besuch in der Bibliothek, die dem Museion angegliedert war, hatte ihr nach einige Gesprächen mit Gelehrten eine Idee geliefert.
Und sie hatte die letzten Jahre genutzt. Nur waren die Voraussetzungen andere geworden, weil Antonius sich als störrisch erwiesen hatte. Nach anfänglichen Erfolgen hatte er mit zu hohem Einsatz gespielt und wollte die Niederlage nicht eingestehen. Und Octavian hatte dem Rückzug ins Privatleben nicht zugestimmt. Jetzt war es zu spät. Antonius war tot und sie selber festgesetzt.
Doch hatten andere im Verborgenen weiter die Fäden gezogen. Jetzt fehlte nur noch das Letzte, Entscheidende. Mitten in der Nacht verschob sich knirschend eine Bodenfliese in der Ecke von Kleopatras Schlafgemach. Schon die ersten Erbauer hatte die üblichen Geheimgänge und Fluchtwege eingerichtet. In der Dunkelheit schoben sich zwei Frauen aus dem Gang in das Zimmer.
Ein leiser Ruf weckte Kleopatra und sie erhob sich sofort. Die beiden Neugekommenen knieten nieder, doch ein stummer Wink der Königin hieß sie, sich zu erheben. Dann umarmte sie eine der Frauen. Beide flüsterten miteinander, bis die Königin sich löste. Diesmal war es Kleopatra, die sich vor der anderen verneigte. Die Neugekommene gab ihren schwarzen Umhang an Kleopatra weiter und legte sich auf das Bett. Sie trug ein ähnliches Gewand, wie Kleopatra es anhatte. Vorher stellte die Begleiterin noch eine kleine Amphore an die Seite neben das Bett.
Die beiden Frauen in ihren Umhängen verschwanden in dem Stollen. Hinter ihnen rückte die Fliese wieder in ihre Position.
Fast eine Stunde später huschte vier Gestalten in schwarzen Mänteln und mit aufgezogenen Kapuzen aus einer kleinen Villa, die außerhalb des Palastviertels lag. Dort hatte der unterirdische Gang geendet. Zwei weitere Frauen hatten hier gewartet. Zusammen ging es an die nächste Etappe. Sie mussten einen Teil der Stadt durchqueren. Dann würden sie in einem anderen Haus wieder über den Keller im Untergrund verschwinden und erst weit westlich außerhalb der Stadt wieder an die Oberfläche kommen. Dort warteten noch zwei Helfer mit Pferden. Und einen Tagesritt nach Westen wartete in einer schwer zugänglichen Bucht ein Schnellsegler. Er würde alle zum endgültigen Ziel bringen. Auch die kostbare Ladung war bereits an Bord.
Es war Pech, dass die vier den Weg des Amun-Hohepriesters Heisthinos kreuzten, der in der Nacht noch unterwegs war, um sich mit einem Freund zu beraten. Wegen der Situation in der Stadt wurde der Hohepriester des Amun von sechs Wächtern begleitet. Zu dieser Stunde war niemand unterwegs, außer den römischen Patrouillen.
Abrupt blieb die Gruppe stehen, als vier schwarze Gestalten mit wehenden Umhängen vorbeieilen wollten.
„Stehenbleiben!“ befahl der Hohepriester laut.
Diese nächtliche Eile war verdächtig. Konnte er damit etwas aufdecken, würde es seine Position gegenüber den Besatzern verbessern.
„Weiter. Merit, bring sie weg, wir decken euch“, zischte eine weibliche Stimme.
Während zwei Gestalten weiterliefen, stellten sich die anderen beiden geduckt zwischen sie und die Gruppe um den Hohepriester.
„Festnehmen. Alle!“
Was hier lief, war mehr als verdächtig. Sofort liefen die sechs Wächter los. Sie trugen nur Dolche und Schlagstöcke. Auch das waren Einschränkungen durch die Besatzer. Offene Kampfwaffen, wie Lanze, Bogen oder Schwert, waren den Bewohnern untersagt.
Mit schnellen Bewegungen streiften die Schwarzgekleideten die Umhänge mit den Kapuzen ab. Jetzt sahen alle, dass es sich um zwei Frauen handelte. Mit kurzen Stiefeln, einem knielangen weiten Rock und einem ledernen Wams trugen sie zwar keine Rüstung, waren dafür aber beweglich. Und auch sie trugen lange Dolche, die sie nun zeigten.
Sechs gegen zwei machte den Männern Mut. Doch es dauerte nicht lange, da krümmten sich zwei Wächter auf dem Boden. Die Frauen waren flink. Und sie verstanden zu kämpfen. Die Männer hatten sie unterschätzt.
Die restlichen vier Männer drangen nun langsamer vor. Beide Seiten hatten es schwerer, Treffer zu landen. Während die Frauen gewandt auswichen und sich dabei langsam zurückzogen, behinderten sich die Männer wegen der Straßenbreite.
Eine Katze beendete den Kampf. Aufgeschreckt kreischte das Tier und hieb ihre Krallen in den Schenkel einer Frau. Sie schrie auf. Reflexartig schlug sie nach der Katze. Ihre damit geöffnete Deckung nutzte ein Wächter sofort und stach mit dem Dolch zu. Mit einem leisen Schrei fiel sie nach hinten. Ihre Hand presste sich auf die tödliche Wunde in ihrem Bauch.
Bei dem Schrei zuckte der Blick der zweiten Frau unwillkürlich zu ihrer Partnerin … und ein Knüppel traf ihren ungeschützten Kopf an der Schläfe. Wortlos fiel auch sie um.
Bevor die Wächter weiter auf die Frau einschlagen konnten, schritt Heisthinos ein. Er hatte gesehen, dass die anderen beiden Gestalten in den dunklen Gassen verschwunden waren. Aber vielleicht erfuhr er von den beiden hier etwas.
„Hört auf. Fesselt sie und nehmt sie mit“, befahl er scharf.
„Herr, die hier ist tot. Mein Stich hat sie leider ins Herz getroffen“, gab ein Wächter bekannt.
„Dann lass sie liegen. Nehmt die andere mit. Ich will sie zuhause befragen.“
Minuten später war die Gasse bis auf die tote Frau leer. Die beiden schwerverletzten Wächter hatte man mitgenommen.
„Wer bist du?“ fragte Heisthinos später die wimmernde Frau in seinem Kellergewölbe.
Sie hing nackt vor ihm in den Fesseln. Er hatte sie entkleiden lassen, um verborgene Waffen zu finden. Ihre Füße waren gespreizt an Ringen im Boden angebunden. Die Hände waren hinter dem Rücken eng zusammengebunden und man hatte sie daran schräg nach hinten hochgezogen. Ihr Po schwebte so in der Luft und alles Gewicht hing an den verdrehten Schultern.
„Netiri“, bekannte die Frau stöhnend.
„Wer waren deine Begleiter“.
Netiri spuckte aus und sah ihn hasserfüllt an. Heithinos nickte schweigend und der Wächter, der mit ihm hier war, schlug mit der Peitsche einmal hart quer über Netiris Oberschenkel. Sie schrie gellend, denn der Schlag hinterließ sofort eine rote Linie. Gleichzeitig wippte sie in den Schultern und grausamer Schmerz loderte dort auf.
Eine Stunde später beendete der Hohepriester diese Folter. Die Frau hatte nichts gesagt, nur vor Schmerzen geschrien. Rote Linien bedeckten Schenkel und Körper. An einige Stellen sickerte Blut aus den Linien. Gerade war sie zum dritten Mal bewusstlos geworden.
Heisthinos ließ sie losbinden und an eine Säule fesseln. Sie sollte den Oberkörper nicht mehr bewegen dürfen. Er hatte eine neue Idee, um sie zum Sprechen zu bringen. Dann wartete er, bis sie das Bewusstsein wiedererlangte. Schließlich sollte sie es genießen können, was er mit ihr machte.
Eine halbe Stunde später wusste er so gut wie alles. Nur über das Ziel hatte sich Netiri ausgeschwiegen. Sie behauptete, nur die beiden, die entkommen waren, hätten das Ziel gekannt. Es war das einzige, was Netiri hatte verschweigen können. Auch wenn man ihrem Körper kaum etwas ansah von der Folter, aber aus dem anfänglichen Schreien war schnell ein Kreischen und Brüllen geworden. Und Heisthinos hatte geschwiegen, bis sie von sich aus die Antworten auf seine früheren Fragen geschrien hatte. Erst dann hatte er sie erlöst.
Nun aber hing sie nur noch schlaff in den Fesseln und wimmerte vor Schmerzen.
Heisthinos war überrascht durch die Antworten. Aber es nutzte ihm wenig, wenn er das Ziel nicht kannte. Er überlegte, wie er vorgehen sollte. Er konnte auf die Tat hinweisen, aber mehr auch nicht. Natürlich konnte er die Frau den Römern übergeben. Auch die kannten Methoden, um andere zum Sprechen zu bringen. Doch mit jeder Stunde wurde der Vorsprung größer. Bereits jetzt war er kaum einholbar.
Doch er schwieg, weil er Bedenken hatte, dass er als Beteiligter und Helfer eingestuft wurde. Die Römer war da manchmal sehr einfach, wenn sie wütend wurden. Da bräuchte es nur den Vorwurf, er habe es nicht verhindert, und sein Kopf würde rollen. Allein das verzögerte Weitergeben dieser Gefangenen konnte ihm dann das Genick brechen.
Netiri aber legte er in Ketten. An Hals und Händen fast bewegungslos sitzend an die Wand angekettet, musste sie die nächsten Tage ertragen. Kaum Essen und Trinken schwächte sie weiter.
Drei Tage später trat ein Tribun in Octavians Gemächer. Nach seinem Gruß überreichte er einen gerollten und versiegelten Papyrus.
„Der wurde gerade von einem Legionär abgegeben, Herr. Kleopatra hat ihn beauftragt, ihre Botschaft zu überbringen.“
Octavian nahm ihn entgegen und entrollte ihn. Schnell überflog er die Nachricht.
‚Ich werde Rom nicht wiedersehen.‘
Mehr stand dort nicht. Die Bedeutung war aber auch so unmissverständlich. Der Feldherr sah seinen Soldaten an. Der Tribun zuckte mit den Schultern. Er kannte den Inhalt nicht.
„Mitkommen“, befahl Octavian und eilte los.
Der Tribun folgte ihm. Auch zwei der vier Legionäre vor seinem Zimmer mussten mit. Die vier Männer eilten einige Straßenzüge weiter durch die anbrechende Dämmerung zum Palast der Königin. Ohne anzuhalten liefen sie zu der Zimmerflucht von Kleopatra. Die sechs Legionäre am Zugang nahmen Haltung an, als Octavian an ihnen vorbeieilte und die Tür aufriss.
„Bleib stehen, Octavius.“
Der scharfe Befehl der Frau, gekleidet in der königlichen Robe, ließ alle an der Tür stehen bleiben. Ihnen gegenüber, etwa 10 Meter entfernt an der anderen Wandseite, saßen drei Frauen. Kleopatra hatte auf einem Triclinium Platz genommen. Sie hatten eine weiße Stoffbahn mit purpurnen Rändern über das Speisesofa gelegt und ihm so den Anschein eines Throns gegeben.
Rechts und links von ihr saßen Eiris und Charmion, ihre Leibdienerinnen, auf kleinen Schemeln vor diesem improvisierten Thron. Auch sie waren prunkvoll, fast festlich gewandet. Alle drei Frauen hielten eine Trinkschale in der Hand.
„Schicke deine Männer hinaus und komm nicht näher, Römer.“
Der letzte der Triumvirn sah keine Waffen. Selbst wenn, ein Ruf und seine Leute wären sofort bei ihm. Und er selber trug sein Gladius an der Seite. Ohne den Blick von den Frauen zu wenden, winkte Octavian mit der Hand. Zögernd befolgten die Soldaten seinen Befehl.
„Schließt die Tür“, befahl er ruhig.
Gefordert hatte es Kleopatra nicht, aber er befahl es von sich aus. Die ehemalige Herrscherin wollte etwas. Er fühlte, dass es wichtig sein würde. Und deswegen würde er es sich zuerst alleine anhören. Gerüchte konnte er nicht gebrauchen.
„Herr?“
„Tut es!“
Leise schloss sich die Tür. Octavian war alleine mit den Frauen. Er lehnte seinen Rücken neben der Tür an die Wand. So behielt er den Rücken frei. Ein möglicher Angriff konnte ihn nicht überraschen. Er war neugierig, was Kleopatra von ihm wollte. Momentan amüsierte ihn ihre Dominanz. So hatte er sie kennengelernt. Heute war sie keine gebrochene Frau mehr, heute war sie wieder eine stolze Königin. Was also wollte sie? Forderungen? Bitten? Schweigend sahen sie sich gegenseitig an.
„Du kommst zu spät, Römer. Du hast verloren“, sagte Kleopatra schließlich lächelnd.
Alle drei Frauen nahmen einen Schluck aus ihren Trinkschalen. Auch Eiris und Charmion grinsten fast unverschämt. Das machte ihn stutzig und er sah schärfer hin.
„Aber du wirst noch eine Wahl haben, Octavian“, lächelte Kleopatra hoheitsvoll, als ob sie die Siegerin war.
Er zog die Augenbrauen zusammen, während er dem Klang ihrer Stimme lauschte. Dann riss er sie weit auf. Ihm war etwas aufgefallen. Blitzschnell erkannte er den Plan. Falsch, nicht den Plan, sondern das Ergebnis, denn der Plan war bereits erfolgreich ausgeführt worden. Man präsentierte ihm gerade den Erfolg. Und es war anders, als er erwartet hatte. Ganz anders. Und die Frauen hatten Recht.
Eine Stunde später öffnete sich die Tür und Octavian trat heraus. Sein Gesicht war steinern.
„Holt Olympos, ihren Leibarzt“, befahl er leise.
Der Tribun sah über Octavians Schulter. Kleopatra war zur Seite gesunken und ihre beiden Dienerinnen lagen auf dem Boden. Mehr konnte er nicht sehen. Octavian hatte die Tür hinter sich bereits wieder zugezogen.
Kurze Zeit später betrat der Arzt zusammen mit Octavian das Zimmer. Fast eine weitere Stunde verbrachten sie dort, bis sie wieder herauskamen. Über Kleopatras Oberkörper war ein weißes Laken gebreitet. Jeder verstand, dass die drei Frauen tot waren.
„Holt angemessene Särge und legt die Frauen hinein. Fragt den Haushofmeister. Niemand nimmt die Laken von Kleopatra weg. Niemand sieht sie an. Ihr bewacht die geschlossenen Särge. Tribun, ihr alle haftet mit eurem Leben dafür. Wir werden sie morgen in ihrem Mausoleum bestatten.“
Octavian wandte sich an die beiden Soldaten, die ihn neben dem Tribun hierher begleitet hatten.
„Folgt mir.“
Die Männer verließen den Palast. Hinter ihnen sorgte der Tribun für die drei Särge. Die Herrscherin hatte sie bereits seit längerem vorbereiten lassen und der Verwalter kannte den Ort, an dem sie verwahrt waren. Alle drei Frauen wurden in ihren Gewändern vorsichtig in die Särge gelegt. Alle gingen sehr behutsam mit den Toten um, auch die beiden Dienerinnen erfuhren die gleiche Behandlung. Aber alle sahen auch das Lächeln in den Gesichtern der Dienerinnen. Ihrem Ende waren sie wohl glücklich entgegengetreten. Sorgfältig achtete der Tribun darauf, dass niemand unter das Tuch blickte, das Kleopatras Kopf und Oberkörper bedeckte. Es blieb ebenso im Sarkophag, als dieser geschlossen wurden. Der Arzt stand die ganze Zeit neben ihm.
„Wie?“ fragte der Tribun leise und neugierig.
Ihm war aufgefallen, dass keine Trinkschalen mehr neben den Toten gelegen hatten. Aber er würde nicht nach deren Verbleib fragen.
„Eine Viper ist in Ägypten ein ehrenvoller Tod“, kam die Antwort.
Der Arzt sprach zumindest so laut, dass die Soldaten es mitbekamen. Der Tribun sah sich um. Auch die Soldaten stocherten nun mit einem bedenklichen Gesichtsausdruck mit ihren Lanzen in die Kissen und klopften an Vorhänge. Nur konnten sie kein Reptil im Zimmer oder den angrenzenden Räumen finden. Fragend blickten sie den Arzt an. Der zuckte mit stoischer Miene die Schultern.
Octavian marschierte mit den Soldaten zum Mausoleum. Allerdings betrat er das Gebäude alleine und hieß die Legionäre, Wache zu stehen. Alleine machte er sich anschließend auf den Heimweg. Seine Soldaten durften niemanden in das Mausoleum lassen.
In seinen Gemächern legte er seine Rüstung ab, wusch sich die schmutzigen Hände und ließ sich einen Pokal mit verdünntem Wein bringen. Damit trat er an das Fenster und starrte in die Nacht hinaus.
Als später der Tribun erschien und den Abschluss der Maßnahmen meldete, nickte der Feldherr und schickte den Mann hinaus. Er wollte jetzt alleine sein.
Octavian blickte weiter hinaus in die Nacht. Sein Blick schweifte über die Dächer der Stadt. Seine Gedanken glitten in die Vergangenheit. Er hatte gesiegt. Niemand stand mehr zwischen ihm und der Macht. Die Macht Roms. Sie gehörte nun ihm. Ihm allein.
Und doch fühlte er sich leer, als ob er der Verlierer war. Bin ich es nicht auch in gewissem Maße, sinnierte er. Ich habe nach Macht gestrebt und sie bekommen. Gegner gibt es keine mehr. Was habe ich nun als Aufgabe? Welche Ziele soll ich mir setzen?
Er lachte bitter auf.
Ja, ich habe keine Gegner mehr. Aber nicht, weil ich sie alle in den Staub getreten habe. Die meisten, ja. Aber der wichtigste hat sich selber umgebracht, doch nicht auf meinen Befehl oder aus Furcht vor mir, sondern wegen seiner Liebe. Und die andere …?
Er hob den Pokal ein wenig an.
„Meine Gratulation, Kleopatra. Deine List ist gelungen. Du bist die würdigste Gegnerin. Wenn Marcus mehr auf dich gehört hätte, wäre ich heute wohl nicht hier. Ich hoffe, dass sich unsere Wege nicht mehr kreuzen. Mögen deine Götter dir gewogen sein und dir Frieden schenken.“
Seine Stimme war leise. Eine gewisse Wut schwang darin mit. Er verlor sehr ungern. Und doch war auch ein hörbarer Respekt zu vernehmen.
Am nächsten Mittag ließ Octavian zwei Zenturien der 1. Kohorte seiner Legio VI ‚Victrix‘, die ihn schon seit Actium begleitete, antreten und marschierte zum königlichen Palast. Mit diesen 160 Männern wollte er der Beisetzung einen würdigen Rahmen geben.
Ein Teil der Legionäre trug die drei geschlossenen Sarkophage auf gekreuzten Speeren, wie sie sonst einen ruhmreichen Helden zu Grabe trugen. Unter dem steten langsamen Dröhnen der Kesselpauken marschierte die gesamte Formation in gemessenem Schritt zum Mausoleum der Kleopatra.
Fast völlige Stille lag über der Stadt. Schweigend säumten Bewohner der Stadt den Weg. Die Gerüchte waren schnell geflogen.
Die beiden Posten standen wie Statuen neben den nun geöffneten bronzenen Torflügeln. Während die beiden Zenturien auf dem Vorplatz in Paradeaufstellung antraten, wurden die drei Särge hineingetragen. Der Sarkophag mit Kleopatra wurde in die schlichte Granitwanne gebettet und die steinerne Platte mit ihrer Kartusche darüber gehoben. Neben ihr war der geschlossene Granitblock mit dem Namen von Marcus Antonius. Die beiden Särge von Kleopatras Dienerinnen Eiris und Charmion wurden vor ihrem Grab abgestellt.
Abschließend wurden die Bronzetore geschlossen und durch den Mechanismus verriegelt und versiegelt. Damit war der ägyptische Feldzug endgültig beendet. Octavian würde noch einiges abschließen oder organisieren und dann nach Rom zurückkehren.
Später wurde er gefragt, warum er den beiden Dienerinnen diese Ehre erwiesen hatte. Er lächelte und sagte, dass die beiden dafür gesorgt hätten, dass Marcus und Kleopatra wieder vereint seien. Sie hätten ihrer Königin dabei mehr Ehre bewiesen, als mancher Feldherr ihm gegenüber.
Jeder nickte bei seinen Worten, obwohl keiner sie wirklich verstand. Und Octavian war nicht bereit, sein Wissen zu teilen. Was am Vortag geschehen war, nahm er viele Jahre später mit in sein Grab.
Da Octavian den Selbstmord von Kleopatra hatte verkünden lassen, zerschlugen sich auch andere Pläne. Damit wurde auch Heisthinos‘ Plan, Octavian zu informieren, endgültig hinfällig. Er brauchte nicht mehr auf seine Spione warten. In einem ersten Moment hatte er Netiri umbringen wollen.
Dann aber hatte er sich an etwas erinnert, dass er vor Jahren in einem abgelegenen Tempel des Thot gefunden hatte. Verborgen unter anderen Rollen war ihm der nur halbbeschriebene Bogen aufgefallen. Zuerst hatte er es als mystische Beschreibung abgetan, aber der Text hatte ihn fasziniert. Am Ende sah er ihn als eine Anleitung an, wie man sich für das Leben im Jenseits Sklaven schaffen konnte.
Nun hatte er ein geeignetes Opfer. Netiri hatte ihm einen Triumpf gekostet. Dafür würde sie büßen. Natürlich wäre es einfach, sie zu Tode zu foltern, aber das war zu wenig. Sie würde für eine Ewigkeit seine gehorsame Sklavin sein und ihm im Jenseits alle Wünsche erfüllen. Ihr Körper würde ihm gehören. Sie würde es wissen. Sie würde ihn hassen. Und sie würde nichts dagegen tun können, wenn er sie wieder und wieder auf alle erdenklichen Arten benutzte. Ihre Seele würde an ihn gebunden sein, willenlos und mit vollem Bewusstsein. Ja, das war eine angemessene Strafe für dieses Weib.
Heisthinos gab seine Aufträge weiter.
Sein Meister der Kräuter und Heiltränke, Amenhet, bekam die Aufgabe, den Sud anzurühren, mit dem später die Binden bei der Mumifizierung getränkt werden mussten. Asphalt, Zinnober, Quecksilber und verschiedene Harze waren nur einige wenige Bestandteile dieser Flüssigkeit. Auch eine breite Palette von verschiedenen Pflanzen, Pulvern und anderen Substanzen gehörte dazu. Die genauen Mengen, Reihenfolgen und Zeitvorgaben standen alle in dem Papyrus.
Semprones, der Schriftgelehrte, musste die dünnen Goldplättchen gravieren, die notwendig waren, um an genau beschriebenen Positionen beim Bandagieren eingebunden zu werden. Sie würden mit ihren magischen Sprüchen das Ka, die Seele, bannen und nicht entweichen lassen. Damit wäre die Person zwar tot, aber doch noch nicht gestorben. So konnte das Ka nicht den Weg ins Jenseits finden. Gefangen in dem toten Körper würde sie hinüberwechseln und musste dienen.
Der Hohepriester bestimmte noch vier vertrauenswürdige und verschwiegene Priester, die den Körper vorbereiten mussten. Netiri wurde mit Opiaten betäubt. Erst dann wurden ihre Fesseln gelöst. In einer anderen Kammer wurde ihr nackter Körper gewaschen, gesalbt und alle kleinen Wunden behandelt.
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Die Ebene war nicht von dieser Welt und doch auch wieder. Dimensionen überschnitten sich an dieser Stelle. Gerade materialisierten einige Gedanken und schufen eine scheinbare Realität. Tief schwarz erstrahlte die Helligkeit. Wesen, die eigentlich als immaterielle Existenzen lebten, ließen hier passende Avatare erscheinen. Durchschimmernde Gestalten, die sich deutlich erkannten und für Außenstehende doch nur Schleier waren. Irdische Augen würden diesen Raum niemals betrachten können.
Wenn Menschen es hätten verfolgen können, dann hätten sie eine schwarzgraue männliche Gestalt, in einer Art Rock und mit nacktem Oberkörper gekleidet, materialisieren sehen, die einen hundeähnlichen Kopf trug. Genauer gesagt, einen Schakalkopf.
Leise fluchend betrachtete die Gestalt ein Bild, das nur sie sehen konnte. Seine Gedanken drangen in andere Räume und machten andere aufmerksam.
Eine andere Gestalt erschien. Dieses Mal war es eine schlanke, hellhäutige Frau in einem fließenden Gewand gekleidet und die eine Straußenfeder über dem Kopf wie einen Schmuck schweben hatte.
<<Was ist los, mein lieber Anubis, dass du hier derart unfreundliche Gedanken verbreitest?>>
Der Schakalköpfige deutete wortlos auf das Bild vor ihm. Eine Handbewegung reichte, um auch die Frau daran teilhaben zu lassen. Schweigend betrachteten sie die Handlung. Nur sie hörten, was gesprochen wurde.
<<Du hast Recht. Das ist nicht gutzuheißen.>>
<<Woher kommt das Wissen dazu?>>
Beide Gestalten sahen sich flüchtig an. Dann verließ ein lauter Gedanke diese Ebene. Gezielt und scharf rief er nach einer weiteren Person, die prompt erschien.
Jetzt stand eine weitere männliche Gestalt bei der Gruppe. Er trug ebenfalls einen Art Rock, aber sein heller Oberkörper war noch mit einer Weste bedeckt. Und sein Kopf war der eines Vogels mit langem gebogenem Schnabel. Ein Ibis, hätten Menschen ihn genannt.
<<Maat, Anubis? Um was geht es, dass ihr meinen Rat benötigt?>>
<<Wir brauchen keinen Rat, sondern eine Erklärung, Thot>> antwortete Anubis bissig.
Die erneute Handbewegung zeigte nun auch Thot das Bild. Schweigend betrachtete auch er die Informationen. Dabei schien er ein wenig zu schrumpfen.
<<Da also ist die Schriftrolle geblieben>> murmelte er leise.
<<Ich habe sie schon gesucht. Der Mensch muss sie in meinem Tempel gefunden haben, wo ich sie wohl vergessen hatte. Aber sie war nicht für ihn bestimmt. Das habe ich nicht vorhergesehen>>
<<Wir können es nicht zulassen. Es stört die Ordnung. Du weißt, was passiert, wenn Seth davon Wind bekommt>> sagte Maat bedächtig.
<<Oder gar Osiris. Dann wird es richtig lustig>> ergänzte Anubis mit grimmiger Ironie.
Thot dachte nach und suchte eine Lösung. Seine verlorene Schriftrolle durfte nicht in der Menschenwelt existieren. Diese Menschen, die sie gerade benutzten, kannten sie aber wohl auswendig. Also nutzte es nichts, sie nur zu vernichten. Die Menschen durfte er auch nicht umbringen. Das wäre eine Einflussnahme, die die anderen Götter auf den Plan rufen würde. Ein Ausführen durfte ebenfalls nicht erfolgen, denn das würde Seth verärgern, wenn jemand starb und sein Ka, seine Seele, nicht abgeholt werden konnte.
Langsam zeichnete sich eine Idee ab. Doch dafür brauchte er Hilfe.
Erneut materialisierte eine Gestalt. Wieder war es eine Frau in einem langen Gewand, aber diese Frau hatte den Kopf einer Löwin.
Maat und Anubis schickten ein Seufzen durch den Raum. Noch ein Beteiligter mehr.
<<Willst du nicht gleich alle rufen?>> fragte Anubis sarkastisch.
<<Nein>> erwiderte Thot gelassen.
<<Aber die Betroffene ist eine Dienerin von Sachmet und ich benötige außerdem Sachmets Unterstützung bei meiner Überlegung>>
Es dauerte nur Gedankenlänge und Sachmet war informiert. Sofort verstand sie die Problematik. Die Schriftrolle musste ausgeführt werden, durfte aber nicht funktionieren und die Frau durfte durch das Ritual nicht sterben, es aber auch nicht überleben.
Für Menschen wäre es ein unfassbar kurzer Moment gewesen, aber für diese Wesen dauerte es eine ausgiebige Diskussion und das Verwerfen unzähliger Ideen und Variationen, bis alle vier lachten. Die Lösung war vorhanden. Alle waren zufrieden.
Sachmet, die Göttin des Krieges und auch der Heilung, plante mit Thot, dem Gott der Weisheit und Magie die Umsetzung. Anubis als Gott der Totenriten gab den beiden notwendige Hinweise und Maat, die Göttin der Gerechtigkeit und Ordnung, prüfte jeden Schritt.
Sie durften nichts Bestehendes verändern, aber sie konnten hinzufügen. Thot plante zwei zusätzliche Elemente, die dem Ganzen eine Veränderung gaben und dabei wieder verschwinden würden.
Als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, nickten die vier und konzentrierten sich.
Gleich darauf standen sie wieder entspannt und beobachteten die weitere Entwicklung.
<<Thot, du hast doch schon wieder etwas verändert am Plan>> fauchte Sachmet plötzlich.
Der zuckte die Schulter.
<<Nicht verändert, sondern nur ergänzt>> gab er ohne Reue zu.
<<Wenn alles richtig abläuft, wird sie wieder aufwachen, sobald ihr Kokon zerstört wird, und ihr Leben wird normal weitergehen. Da es nicht morgen sein wird, wie ich vorhersehe, habe ich ihr die Möglichkeit gegeben, dass sie die erste Sprache, die sie dann hört, sehr schnell beherrschen lernt>>
<<Gut. Das ist akzeptabel>> beruhigte sich Sachmet.
Langsam verblassten die materialisierten Avatare und die Ebene lag wieder leer in tiefschwarzer Helligkeit.
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Im Kellergewölbe rührte Amenhet die Flüssigkeit genau nach Vorgabe an. Alle notwenigen Substanzen hatte er vorher abgemessen und abgewogen. Peinlich genau in der Reihenfolge der Zugabe standen sie auf dem Tisch. In dem silbernen Kessel daneben simmerte die Flüssigkeit unter ständigem Rühren. Zwischendurch veränderte sich die Farbe und es war das Zeichen für Amenhet, die nächste Substanz einzurühren.
An dem Tisch auf der anderen Seite arbeitete Semprones schnell und konzentriert. Dünne goldene Plättchen, jede so groß wie eine Handfläche, wurde mit Schriftzeichen graviert. 12 dieser Platten mussten für das Ritual erstellt werden. Die Texte für jede einzelne standen auf dem Papyrus, der vor ihm ausgerollt lag. Diese Plättchen wurden beim Bandagieren der Leiche als Segensprüche mit eingewickelt. In Kontakt mit der Mixtur würde ihre Magie wirken.
Etliche Fackeln und Öllampen erhellten die Arbeitsplätze. Silberne Spiegel reflektierten das Licht und schufen mehr Helligkeit.
Wie es genau passierte, konnte Semprones hinterher nicht erklären. Als er sein Handgelenk ausschütteln wollte, weil es durch die Arbeit schmerzte, musste er wohl an den kleinen Behälter mit Wasser gestoßen sein, den er für das Nachschleifen des kleinen Stichels benötigte. Auf jeden Fall schwappte Wasser über und lief über die Tischplatte bis zu dem Papyrus, der mit vier Skarabäen aus Kupfer geöffnet gehalten wurde. Und das Wasser benetzte den unteren Teil.
Semprones erschrak. Es war das einzige Dokument. Wenn er es beschädigte, würde ihn Heisthinos wahrscheinlich pfählen lassen. Hektisch griff er nach dem Leinentuch, mit dem er sonst seinen Schweiß abwischte und tupfte die feuchten Stellen ab.
Erleichtert atmete er auf, weil nur der untere Rand angefeuchtet worden war. Dort hatte sowieso kein Text gestanden.
Plötzlich keuchte er. Wie aus dem Nichts erschienen neue Hieroglyphen auf dem Papyrus. Er stierte auf das, was dort neu erschien. Es war nicht vollständig. Aber hatte die Feuchte einen verborgenen Text hervorgebracht?
„Sklave! Hole den Herrn. Hole den Hohepriester Heisthinos sofort hierher. Sage ihm, dass es ein Problem gibt. Lauf, so schnell du kannst. Los jetzt!“
Der junge Sklave, der auf einem Hocker neben der Tür gesessen hatte, sprang auf und lief los. Er war für solche Botengänge und Besorgungen abgestellt worden. Hastig klatschten seinen Sandalen über den blanken Steinboden. Sein kurzer brauner Rock und der Metallreif um seinen Hals kennzeichneten ihn als Sklaven.
Vor dem Arbeitszimmer des Hohepriesters bremste er ab. Lautlos glitt er durch den Vorhang und kniete sich vorschriftsmäßig nieder, seine Hände vorgestreckt auf dem Boden. Dann wartete er, bis er angesprochen wurde.
„Was ist, Sklave?“
„Herr, der Schreiber Semprones schickt mich. Er bittet um eure Anwesenheit, denn er hat ein Problem, für das er eurer Hilfe bedarf.“
Demütig blickte der Sklave weiter zu Boden, während er seine Meldung abgab.
Der Hohepriester wäre beinahe unschicklich aufgesprungen. Er wusste, welche Aufgabe Semprones ausführte. Und da gab es ein Problem?
Er erhob sich jetzt in gemessener Form und ging den Weg, den der Sklave gekommen war, mit ruhigen Schritten zurück, obwohl er am liebsten gerannt wäre. Der Sklave stand auf und folgte seinem Herrn ohne weitere Anweisung in angemessenem Abstand.
„Was gibt es?“ fragte der Hohepriester scharf, als er neben Semprones stand.
Der wies stumm auf den Papyrus. Sofort erkannte auch Heisthinos die Veränderung.
„Wie ist es passiert?“
„Herr, Feuchtigkeit hat den Papyrus an der Stelle berührt und die neuen Zeichen wurden sichtbar. Vielleicht ist es eine versteckte Information in geheimer Schrift. Ich wollte eure Anweisung vernehmen.“
Heisthinos nickte und betrachtete den Papyrus ausgiebig. Dann holte er ein neues Leinentuch und feuchtete es an. Vorsichtig betupfte er den unbeschriebenen Teil der Schriftrolle. Fasziniert sahen er und der Schreiber zu, wie weitere Schriftzeichen auftauchten. Hatte er sich schon gewundert, dass so viel leerer Raum auf dem Papyrus war, wurde jetzt der Sinn verständlich. Eine geheime Botschaft. Das passte zu der Wichtigkeit des Papyrus.
Mühelos entzifferten sie die neuen Anweisungen. Danach wurden zwei weitere Goldplatten notwendig. Auch die notwendigen Texte und Symbole standen hier, die diesen Platten Magie einhauchen würden.
Heisthinos atmete durch. Fast wäre das Ritual schiefgegangen, weil es unvollständig gewesen war.
„Gut gemacht. Nun lasse dir die beiden zusätzlichen Platten aus meiner Schatzkammer bringen und beschrifte sie, wie es hier geschrieben steht. Beeile dich. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.“
„Ja, Herr.“
Während der Hohepriester seinen Rückweg antrat und über die Veränderung nachdachte, machte Semprones einige hieratische Zeichen auf einen anderen Papyrusstreifen. Damit schickte er den Sklaven zum Hofmeister, der auch die Schatzkammer verwaltete. Der Sklave konnte weder lesen noch schreiben. Aber er wusste, was passieren würde, wenn er das Geforderte nicht umgehend brachte.
Aber es dauerte noch eine Weile, bis auch in diese Platten die Hieroglyphen eingraviert waren.
Netiri war unterdessen gewaschen worden. Alle Wunden hatte man gereinigt und versorgt. Unter dem Einfluss der Opiate lag sie ruhig auf dem Tisch. Die Priester hatten ihr eine erste Lage an Binden bereits um den gesamten Körper gewickelt.
Jetzt brachte der Hohepriester den Papyrus. Semprones trug den Korb mit den nun 14 goldenen Täfelchen. Amenhet folgte mit dem Sud und den Kessel trugen zwei nubische Sklaven.
Heisthinos entrollte den Papyrus an dem Stehpult. Er gab genaue Anweisungen, welche Goldtafel wo auf dem Körper der jungen Frau platziert werden musste. Die anderen Priester fixierte sie dann mit weiteren Binden. Die beiden neuen Bleche wurden auf ihrer Stirn und dem Mund platziert. Jetzt erst wurde ihr Gesicht komplett eingehüllt. Auch ihre Haare verschwanden unter den weißgrauen Binden. Weitere Schichten banden ihre Arme gestreckt an ihre Seite und nicht, wie üblich, gekreuzt über ihrer Brust.
Schnell und doch sorgfältig tränkte Amenhet die angelegten Binden mit dem Sud. Durch das Drehen des Körpers wurde auch die Rückseite so behandelt. Und die nächste trockene Binde wurde darüber gewickelt und ebenso begossen. Schicht um Schicht wurde Netiri so eingehüllt. Hatte sie nach dem ersten Umwickeln ihres Gesichtes das Zucken angefangen, weil ihre Sauerstoffzufuhr eingeschränkt wurde, lag sie jetzt ganz still, nachdem das erste Tränken des gesamten Körpers beendet war. Nicht ein Zucken erfolgte noch, obwohl Binden und Nässe sie komplett von der Luft abschnitten.
Als die Priester mit dem Einwickeln und Amenhet mit dem Tränken fertig waren, traten alle zurück. Heisthinos rezitierte noch einige Sprüche, die auf der Schriftrolle verzeichnet waren. Dann schwiegen alle und betrachteten das Werk.
Plötzlich keuchten alle auf. Innerhalb von Sekunden hatten sich die Binden in einen grünen Farbton veränderte. Die Hülle war steinhart geworden und wirkte wie matt lackiert. Nichts ließ sich eindrücken. Es schien, als ob man eine Steinstatue umwickelt hätte und nicht einen noch lebenden Menschen.
Heisthinos war zufrieden. Alles war verlaufen, wie es geschrieben stand. Damit hatte er seine Dienerin, nein, seine Sklavin für das andere Leben.
„Legt sie in die Kiste“, wies er die Priester an.
„Seid vorsichtig. Wenn die Hülle beschädigt wird, ist der Bann gebrochen. Nur ich darf es tun, damit sie mir dienen kann.“
Den Papyrus wickelte er wieder auf und schob ihn in eine lederne Hülle, die er an seinen Gürtel hängte.