Geliebter Delphin - Rene Winter - E-Book

Geliebter Delphin E-Book

Rene Winter

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Beschreibung

Joyce hält es auf Turtle Island nicht mehr aus. Zu viele glücklichen Paare sind um die junge Single-Frau. Passend sucht und findet sie einen neuen Job. Trainerin, Therapiehelferin und Tierpflegerin in einem Therapiezentrum, das mit Delphinen arbeitet. Es wird von Henry Gain und seiner Tochter Jane geführt.

Schnell merkt Joyce, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen ist. Nun ist sie es, die sich in den deutlich älteren Henry verliebt. Und es gibt einen großen Schatten über dem Zentrum.

Eine Hotelkette will hier eine neue Anlage bauen und dazu das Zentrum schlucken. Henry wehrt sich dagegen und Joyce hilft. Als die Gegenseite zu sehr harten Bandagen greift und andere Mitarbeiter einschüchtert, holt Joyce weitere Hilfe in Person ihres Freundes Eric. Dass Eric dann auch hier einen dauerhaften Platz findet, ist nur ein Nebeneffekt. Was die beiden aber auf die Beine stellen, um dem Zentrum zu helfen, sorgt für Furore, nicht nur bei den Gästen.

Doch die Gegner schlafen auch nicht.

 

Wegen expliziten Darstellung nur für Erwavhsene

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Rene Winter

Geliebter Delphin

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Geliebter Delphin

 

 

Eine Lovestory

 

 

 

 

 

 

 

 

Rene Winter

 

2022

 

[email protected]

 

Vorwort

 

Ich erzähle eine Geschichte, keinen Tatsachenbericht.

 

Wegen der expliziten Beschreibungen ist sie für Leser (m/w/d) ab 18 Jahren geeignet.

Alle hier vorkommenden Personen sind erwachsen und frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.

 

 

Turtle Island, das DSC und dieses hier genannte Therapiezentrum sind auch Erfindungen, obwohl es andere Therapiezentren auf den Keys gibt.

 

 

Persönliche Ergänzung: wer einmal die Gelegenheit hat, mit Haien oder Delphinen zu schwimmen, sollte sie nutzen. Es ist ein wahnsinniges Gefühl, diesen faszinierenden Tieren in der Natur zu begegnen und von ihnen akzeptiert zu werden (Das Titelbild habe ich in Monkey Mia, Australien, beim Schwimmen aufgenommen).

Man sollte ihnen nur mit dem Respekt begegnen, den sie verdienen. Sie sind weder Bestien noch Streicheltiere, sie sind neugierig oder ignorierend, sie haben einen eigenen Willen.

Für dieses Buch habe ich auch die Arbeit in Begegnungsstellen und für Therapien vereinfacht dargestellt. Ich kann nur ‚Chapeau‘ sagen für diese Institutionen und deren Arbeit.

 

 

 

Es würde mich freuen, wenn diese Geschichte gefällt.

Inhalt

 

Vorwort

Inhalt

Vorschläge

Anfang

Erwachen

Henry

Eric

Irrtümer

Hai-Begegnungen

Tim

Geschenk

Beweise

Bekenntnisse

Versenkt

Überraschungen

Epilog

Vorschläge

 

Bentam Ltd., Las Vegas, Nevada, USA:

„Ich sehe da eine gute Möglichkeit, auch an der Ostküste einen ersten Stützpunkt zu errichten“, erklärte Zack seinem Onkel Joseph Bentham und wies auf die Mappe, die er auf den Tisch gelegt hatte.

Zack, wie Zacharias Bentam auch genannt wurde, kümmerte sich um Neuplanungen der Bentam Hotelkette. Zu seinen Aufgaben gehörten Innovationen, die eingeführt wurden, Umbauten und Neubauten. Er war 38 Jahre alt und trug die schwarzen Haare kurz im Bürstenschnitt. Man sah ihm allerdings an, dass er mehr der Büromensch war. Sein dunkelblauer Dreiteiler mit messerscharfen Bügelfalten und die schwarzen Designer-Slipper sprachen deutlich. Auch sein Bauchansatz erzählte von den vielen Stunden hinter dem Schreibtisch und den wenigen bei der Anwendung von Fitnessgeräten.

Ihm gegenüber saß Joseph Bentam, Mitte 50 und ebenso mit kurzen, nur grauen Haaren. Ihm gehörte die kleinere Hotelkette mit aktuell 10 Hotels an der amerikanischen Westküste und dem Casino-Hotel hier in Las Vegas. Die oberen vier Etagen des 12-stöckigen Gebäudes beinhaltenen die Firmenzentrale. Der Zugang war nur über einen eigenen Aufzug möglich.

Ein wesentlicher Aspekt seiner Hotels war das jeweilige Freizeitangebot, natürlich auch spezialisiert auf die jeweilige Lage des Hotels. Dort hatte er meist kleine Firmen oder Unternehmen, die hauptsächlich für ihn arbeiteten, eingebunden. So hatten die ein festes Einkommen und konnten nebenbei noch eigene Kunden bedienen. Damit förderte er auch die Kreativität, denn wenn sich etwas bei eigenen Kunden als lukrativ herausstellte, boten sie es seiner Kette mit an, denn er sorgte für mehr Stammkunden.

Jetzt hatte sein Neffe ihm den Plan für ein erstes Hotel an der Ostküste, nämlich nahe Key West an der Südspitze Floridas auf den Tisch gelegt. Und das Angebot klang interessant.

„Ich stelle mir etwa 40 Zimmer vor. Das Ganze liegt an einer Bucht, die gesichert ist. Dort hat aktuell ein kleiner Familienbetrieb das Gelände im Besitz. Sie betreiben eine Delphin-Therapie-Anlage. Bewegungskranke und auch leichte Fälle psychischer Probleme werden dort durch Schwimmen und Kontakt mit trainierten Delphinen betreut. Ich bin schon in erste Kontaktgespräche mit dem Besitzer, Henry Gains, getreten. Natürlich wird noch viel gesprochen werden, aber ich sehe die Möglichkeit, das Gelände zu übernehmen und die trainierten Delphine in ein Schwimmen mit Gästen einzubinden. Ansonsten Ausflüge in die Karibik, die Everglades und Disney World, Cap Canaveral sind auch als Mehrtagesausflüge möglich.“

Zack hatte seine Präsentation gut vorbereitet. Es würde eine ziemliche Investition darstellen, aber man konnte sich an etwas Bestehendem, dem Therapiezentrum anlehnen. Infrastruktur, Wege und anderes mussten nicht komplett neu entwickelt werden. Da würde man sparen können.

Beide Männer sprachen nicht zum ersten Mal über das Projekt, aber heute würde über den nächsten Schritt entschieden. Heute lagen alle Zahlen und Planungsangaben von den Experten auf dem Tisch. Joseph dachte nach. Noch einmal wog er alle genannten Pros und Kontras ab. Da musste er seinem Neffen gratulieren. Der hatte nicht nur ein Loblied auf seine Idee gesungen, sondern auch ganz genau die Problematiken erklärt.

„Gut. Gehen wir es an. Du hast mich überzeugt. Du bist jetzt voll dafür verantwortlich. Kümmere dich um alles und halte mich auf dem Laufenden.“

Joseph hatte sich entschieden. Von Alaska bis Kalifornien deckte er bereits ab. Las Vegas war ein Muss gewesen. Wenn er jetzt in Florida Fuß fassen konnte, bot sich die Entwicklung über Texas bis New Mexiko an, ebenso wie das Hochrollen an der Atlantikküste in Richtung Kanada.

Beide Männer schüttelten sich die Hand und gingen zurück an ihre Schreibtische.

 

 

2 Monate später

Dolphin & Shark Center, Turtle Island, Florida, USA:

Joyce hatte sich unter eine Palme gesetzt und blickte auf das Meer hinaus. Wieder einmal hatte die 22jährige die Einsamkeit gesucht. Die junge Frau war schlank und hatte eine sportliche Figur. Es ergab sich fast automatisch, da hier im ‚Dolphin and Shark Center‘ oder im DSC, wie es abgekürzt wurde, alle mitanpackten. Jeder konnte jeden ersetzen oder zumindest einigermaßen vertreten. Natürlich hatte jeder auch seine Spezialitäten und besonderen Aufgabenbereiche. Sie selber ersetzte die Tierärztin durch ihre Ausbildung in Veterinärmedizin.

Heute war ihr wieder alles zuwider. Nicht dass die Arbeit ihr keinen Spaß machte, aber irgendwie fühlte sie sich frustriert und lustlos. Darüber dachte sie nach.

Die Sonne war schon untergegangen, als sie ihre Ergebnisse zusammenfasste.

Ein Teil ihrer Frustration kam von ihren Geschwistern. Da war einfach die Tatsache, dass ihre beiden Brüder, Benedict und Dolph vor wenigen Monaten geheiratet hatten und nun mit ihren Frauen hier lebten. Joyce mochte Xenia, die Ehefrau von Dolph und auch Luana, die Frau von Ben, wie Benedict meist abgekürzt wurde. Gemeinsam hatten die drei Frauen viel Spaß und Gemeinsames unternommen.

Aber es war diese Liebe, die die beiden Paare so glücklich ausstrahlten. Hinzu kamen die Liebesbeweise von Jim und Henriette, dem dritten Ehepaar auf der Insel, und die Liebesbezeugungen zwischen Natalia und Jennifer, die auch zusammenlebten und ein Paar darstellten.

Plötzlich waren nur Ronald, Eric und sie selber Singles hier auf Turtle Island. Und aus Joyce Sicht bestand keine Gefahr, dass sie sich zu einem der beiden ungebundenen Männer hingezogen fühlte. Da fand sie sich selber auch nicht sehr attraktiv, obwohl sie hübsche blaue Augen und blonde schulterlange Haare vorweisen konnte. Nur fehlte ihr die Brust, wie sie fand. Mit Cup AA plus Taschentuch konnte sie fast schon wieder als Junge durchgehen.

Aber als 22jährige, ohne eine Chance, hier selber einen Partner zu finden, unter derart vielen Liebesbezeugungen wie Küsschen hier, Streicheln da oder sehnsüchtige Blicke dort, begraben zu werden, fand Joyce, gelinde gesagt, nur frustrierend.

 

Der zweite für sie frustrierende Punkt war ihre Fähigkeit, sich in einen Delphin, genauer in einen 2,30 Meter langen Großen Tümmler, zu verwandeln. Niemand wusste, woher sie diese Fähigkeiten hatten, aber es schien dominantes Erbgut zu sein, denn egal, ob nur einer oder beide Partner es konnten, ein Kind war in den meisten Fällen auch mit dieser Fähigkeit gesegnet oder verflucht. Je nach persönlichem Standpunkt. Und Joyce betrachtete es eher als Fluch. Die Frauen, wie neben ihr auch Jennifer und Henriette, verwandelten sich ausschließlich in Delphine und die Männer, wie ihre beiden Brüder und auch Eric und Ronald, in ausgewachsene Weiße Haie von über vier Metern Länge.

Eine andere Eigenart dieser Fähigkeit war, dass ein erstes Wandeln erst mit 18 bis 20 Jahren möglich war und sich mit etwa 60 wieder verlor. Das Menschsein blieb aber die Grundform und auch die Gedanken und Intelligenz nach einem Wandel war weiter der Mensch mit all seinem menschlichen Wissen. Nur kamen dann die tierischen Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Tragen. Als Delphin konnte Joyce nicht mit Menschen ‚reden‘, sie sprach auch nicht fließend ‚delphinisch‘, aber sie verstand und sprach die Delphinsprache zumindest rudimentär. Es war, als ob ein Deutscher nur ein Dutzend Worte Englisch konnte, nach Florida reiste und sich dort zu verständigen versuchte.

Für Joyce lag das erste eigene Wandeln nun erst wenige Monate zurück. Bis dahin hatte sie es immer unterdrückt. Wenn der Körper bereit war, das Wandeln zuließ, dann signalisierte er es dem Kopf. Man spürte, dass es noch eine andere Gestalt gab. Aber man musste sich sehr bewusst darauf konzentrieren, es zu wollen. Nur mal eben an Delphin denken, reichte nicht. Sonst würden sie hier bei ihrer Tätigkeit nur noch am Wandeln sein. Ohne ein intensives ‚Ich will ein Delphin … oder wieder Mensch werden‘ und sich gleichzeitig das Bild vorzustellen, lief nichts.

Natürlich musste auch der Rahmen passen. Delphine und Haie waren Meeresbewohner. Ohne Salzwasser funktionierte es nicht. Im Süßwasser wurde Joyce nicht zum Delphin, wie sie wusste.

Für Joyce lag das Verweigern in ihrer Kindheit. Sie hatte vom Ufer aus mitansehen müssen, wie ihre Eltern bei einem Badeurlaub von Bullenhaien angegriffen und getötet worden waren. Seit dem Tag war sie nicht mehr im Meer geschwommen, einfach aus der eingebrannten Furcht, ein ähnliches Schicksal wie die Eltern erleiden zu müssen. Und mit den Jahren hatte es sich zu einem Trauma aufgebaut.

Auf der Insel gab es einen See. Dort zu schwimmen, störte sie gar nicht. Aber hinaus ins Meer gehen und schwimmen, ließ sie am Ufer erstarren, wenn die Knie vom Wasser umspielt wurden.

Als Mitarbeiterin einer Meeresschutzstation war ihr Verhalten eigentlich ein Unding. Aber ihrer Familie, und durch die Heirat zählte sie Xenia als Mitbesitzerin ebenso dazu, gehörte das DSC. Ein Familienunternehmen, wenn man so wollte. Was anderes hatte und wollte sie nicht. Denn ihre Arbeit verrichtete sie im Center an Land oder auf einem der Arbeitsboote. Nebenbei war sie die erfahrenste Bootsführerin der kleinen Gemeinschaft für das kleinere Zodiac als schnelles Boot.

Vor Monaten war sie zusammen mit Xenia, der heutigen Frau ihres Bruders Dolph, von Drogenhändlern entführt worden. Die hatten so die Hilfe des DSC bei der Bergung einer gesunkenen Drogenladung erpressen wollen. Die beiden Frauen hatten die Gangster einfach auf einer kleinen Sandbank abseits aller Schifffahrtswege ausgesetzt. Unter dem Druck hatte Joyce nachgegeben. Xenia wusste, dass sie wandeln konnte und hatte sie dazu gebracht. Und sie hatte sich zwischen Joyce und dem tieferen Wasser positioniert, als Schutz und Wall vor einer möglichen Bedrohung aus dem Meer. So hatte Joyce ihr erstes Wandeln geschafft.

Eigentlich war sie stolz auf ihre Leistung, weil es letztendlich auch zur Festnahme der Entführer geführt hatte. Und doch war es nur ein sehr dünner Riss in der Wand ihres Traumas. Auch jetzt kam sie nur zum Wandeln, wenn jemand sie beschützte, sich zwischen sie und dem offenen Meer postierte. Heute war sie mehr als dankbar, wenn Xenia es wieder für sie machte.

Natürlich hatten ihre Brüder ihr zu dem ‚Durchbruch‘, wie sie es nannten, gratuliert. Aber ihre Gesichter sprachen Bände, wenn Joyce sie bat, diese Schutzposition für sie einzunehmen. Es selber beschönigend, bezeichnete Joyce es als spöttisch, doch sie hatte auch krassere Begriffe auf der Zunge. Und dieses Betteln und bespöttelt werden, half ihr nicht weiter. Im Gegenteil führte es schon wieder zu einem Ablehnen des Wandelns. Deswegen suchte sie auch hier eine Lösung.

 

Wie schon an den letzten Abenden surfte sie später in ihrem Häuschen im Internet. Wieder suchte sie nach Möglichkeiten oder Hilfen, wie sie ihr Trauma loswerden konnte. Was sie stattdessen als Angebot fand, ließ sie eine weitere Woche grübeln. Dann begann ein E-Mail-Verkehr zwischen ihr und dem Anbieter. Sogar mehrere Onlinetreffen via TEAMS als visueller Plattform fanden statt. Dann waren sich beide Parteien einig, ein Termin wurde festgelegt. Zwei Tage später erhielt Joyce Post, die sie kurz durchlas und schon konnte Fred, der Schiffer, der das Center mit Nachschub, Post und Lebensmitteln versorgte, einen Umschlag wieder mit zurücknehmen.

Erst jetzt fand Joyce auch den Mut, ihre Familie zu informieren. Immerhin würde es eine deutliche Veränderung in ihren Leben darstellen. Also lud sie Ben, Dolph, Xenia und Luana zum Abendessen zu sich ein.

Der Abend verlief zäh. Alle Gäste spürten die Anspannung bei der jungen Frau. Auch wenn die Lasagne gelungen war, waren die Blicke aller skeptisch, das Lachen klang gekünstelt, die Bewegungen blieben fahrig und die Pausen des Schweigens dauerten. Schließlich saßen alle noch mit dem restlichen Wein im Wohnzimmer. Wieder herrschte verlegenes Schweigen.

„Also, was ist los, Joyce“, platzte Luana schließlich heraus.

Die lief rot an und senkte den Kopf. Ihre Hände knetete sie in ihrem Schoß. Man merkte ihr an, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Und doch schwieg sie noch. Die Forderung hatte sie aus ihrem sich sammeln herausgerissen. Es verlief nicht nach ihrem Plan.

„Was hast du angestellt?“ frotzelte Dolph.

Dafür erntete er einen kleinen Knuff von seiner Frau.

„Ärgere sie nicht, Dolph. Sie hat ein Problem und sie tut sich schwer“, meinte Xenia und schickte einen mitfühlenden Blick zu Joyce.

Die warf einen dankbaren Blick zurück.

„Denk daran, wie du rumgedruckst hast bei deinem Heiratsantrag. Wenn ich dir die Schachtel nicht aus deiner Hand genommen und nachgesehen hätte, ständen wir vielleicht immer noch dort.“

Diesmal war es Dolph, der eine rötliche Färbung auf den Wangen hatte.

„Du hast nur den Ring schneller entdeckt, als ich meinen Antrag vorbringen konnte“, entschuldigte er sich gleich und erntete ein leises allgemeines Kichern.

„Das liegt wohl in der Familie“, legte Luana nach.

„Ich habe Ben damals gefragt und er schwieg eine halbe Stunde, bis er antwortete“, erklärte sie gleich hinterher.

„Gar nicht wahr“, brauste Ben auf.

„Stimmt, mein Schatz, entschuldige. Es waren nur 29 Minuten“, lächelte Luana zurück.

Dieses Mal war das Lachen lauter und auf Bens Kosten. Als Entschädigung für ihr ‚großzügiges‘ Auslegen der Zeit und sein Dulden, schmiegte sie sich an ihren Mann und küsste ihn. Schließlich wussten beide, wie es wirklich gewesen war und dieses Frotzeln gehörte für sie dazu.

Dann aber wandte sie sich Joyce zu und ihr ernsterer Blick würde durch ein sanftes Lächeln abgemildert.

„Wenn ich so höre, dass die Corbins alle solche Probleme haben, wenn es um Wichtiges geht, dann möchte ich wissen, wie er in deinem Fall heißt, Joyce.“

 

„Henry Gain“, platzte die junge Frau heraus.

Überrascht saßen alle aufrecht und blickten Joyce an. Mit so einer Überraschung hatten sie nicht gerechnet. Eigentlich war die Frage nach einem Mann nur ein Witz gewesen, denn hier auf der Insel hatte Joyce nie jemand besucht und weggefahren war sie auch nicht, wie alle schnell im Kopf recherchierten. Joyce und ein Mann? Wer war das?

Das war dann auch die Frage, die laut ausgesprochen wurde.

„Wer ist … Henry Gain?“

Noch einmal holte Joyce tief Luft. Dann begann sie ihre Erklärung.

„Bitte unterbrecht mich nicht, bis ich fertig bin mit meinen Erklärungen. Es fällt mir sowieso schon schwer genug, diesen Schritt zu gehen. Bitte nehmt meine Gründe auch nicht als Beschuldigungen oder Vorwürfe, dazu habe ich euch alle viel zu lieb. Nehmt es bitte nur als Begründung.“

Erneut holte sie tief Luft und ihre Knöchel leuchteten weiß, weil sie die Hände so zusammenpresste.

„Um mit der Tür ins Haus zu fallen, in zwei Wochen fange ich einen anderen Job an.“

Schnell hob sie die Hand, als sich bereits einige Münder öffneten.

„Bitte lasst mich ausreden. Es ist ja nicht, weil es mir hier nicht gefällt. Im Gegenteil. Eigentlich möchte ich nicht weg. Aber ich habe das Problem, dass ich hier schlecht einen Freund finden kann. Und um mir herum sind vier Paare, die mich mit ihrem Glück überfluten. Ich gönne euch das Glück, glaubt mir, aber es zeigt mir deutlicher, dass ich alleine bin. Und Eric oder Ronald kann ich mir als Tröster nicht vorstellen für mich.

Wenn also wenige hierherkommen, dann werde ich woanders hingehen müssen, um jemanden für mich zu finden.“

Sie machte eine kurze Pause, um wieder durchzuatmen. Die anderen schwiegen. Sie konnten die Argumentation nachvollziehen.

„Und Henry Gain ist … jemand?“ fragte Xenia vorsichtig.

Joyce schüttelte den Kopf.

„Henry Gain ist ein Meeresbiologe und ihm gehört auf den Saddlebunch Keys ein großes Gebiet. Dort betreibt er ein Delphin-Therapiezentrum für autistische und behinderte Kinder. Schwimmen mit Delphinen, einfach ausgedrückt. Er ist 40 Jahre alt und lebt dort mit seiner 19jährigen Tochter Jane, die gleichzeitig als Delphintrainerin arbeitet. Jetzt sucht er jemanden als zusätzlichen Trainer und gleichzeitig mit medizinischen Kenntnissen um Delphine. Zumindest ist dort Publikumsverkehr.

Und es bringt mich zum zweiten Grund für meine Entscheidung. Ihr wisst, dass ich immer noch Panik bekommen, wenn ich ins Meer muss. Ihr braucht mir nicht erklären, dass es nach den letzten Erfahrungen unnötig ist. Was, glaubt ihr, erkläre ich jeden Tag meinem Kopf?

Aber dort hoffe ich, dass mir die Örtlichkeit hilft. Das Zentrum hat eine große Bucht, die zum Meer hin durch ein stabiles Netz gesichert ist. Schließlich wollen die ihre Delphine nicht verlieren, ihnen aber andererseits viel natürliches Leben bieten. Und sie wollen keine unliebsamen Besucher bei den Patienten. Ich hoffe, das Abgesperrte hilft meinem Bewusstsein. Und bei der Größe der Bucht kann ich unauffällig bleiben.“

 

Erneut herrschte Schweigen. Es waren viele Informationen und vor allem würde es Änderungen hier im Center bedeuten.

„Und wer macht deinen Job hier?“ provozierte Dolph.

„Wir hatten doch schon über jemanden nachgedacht, der sich auch mit Medizin auseinandersetzen soll. Ich habe mit Natalia gesprochen und sie hätte Interesse. Und als Bootsführer für das Zodiac stellt sich Luana nicht schlecht an.“

Luana grinste breit und war einen bedeutsamen Blick zu ihrem Mann. Siehst du, sagte er deutlich aus und Ben schmunzelte. Er war stolz auf seine Frau, die sich in den letzten Monaten von der eher verwöhnten Partymaus zur Organisatorin des Centers gemausert hatte. Und sie hatte ihr Leben riskiert, um seines zu retten. Nun noch Bootsführerin? Ben konnte ihr nur zufrieden den Rücken streicheln, was sie fast schnurren ließ.

„Gut. Dann können wir auch darüber nachdenken, ob wir uns auch Unterstützung in Form von Studenten holen. Das macht zwar manche Dinge einfacher, aber bildet auch Risken für uns.“

„Vielleicht sollten wir auch nochmals mit dem alten Medizinmann reden. Ich könnte mir vorstellen, dass er uns auch einen oder zwei Namen nennen kann, die gerne hier arbeiten würden“, warf Xenia ein.

Sie erinnerte ihren Mann an das kürzliche Gespräch mit dem alten Indianer wegen ihrem neuen Buch. Sie hatten lange über das gesprochen, was er gesagt oder aus ihrer Sicht angedeutet hatte. Wenn sie richtig lagen, kannte er das Wandeln. Und dann kannte er vielleicht auch Mitglieder seines Stammes mit der gleichen Fähigkeit. Dolph nickte. Das wäre auch eine Möglichkeit, die sie prüfen konnten.

Jetzt war es Dolph, der tief durchatmete. Joyce hatte ihn überrascht. Mit einem Weggang von ihr hatte er nicht gerechnet. Aber, so wie es aussah, hatte sie die Planung bereits abgeschlossen. Die Entscheidung war bereits gefallen. Seine Schwester hatte sie heute nur noch informiert. Innerlich konnte er nur nicken. Sie hatte sich alles gut überlegt. Auch ihre Gründe und Argumente waren richtig gewesen.

Dann nickte er mit einem kleinen Lächeln. Sie hatte wirklich gut überlegt. Die Saddlebunch Keys. Das war eine Fahrstunde von Key West entfernt. Man konnte sich ohne wirklichen Aufwand besuchen. Sie war nicht aus der Welt, wie man so sagte.

„Ok“, nickte er erneut, „also ein Delphin-Therapiezentrum. Schwimmen mit Delphinen. Arbeiten mit Kindern. Warum nicht?“

Auch Ben, Luana und Xenia nickten nun. Sie waren zu dem gleichen Ergebnis gekommen.

„Na dann, Joyce, was sollen wir noch für dich organisieren?“

Die Frage kam von Luana. Joyce atmete auf. Ein zaghaftes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

„Ihr habt keine Einwände?“

Die vier sahen sich an und prusteten los.

„Einwände haben wir jede Menge. Schließlich bist du unsere Schwester und Familie“, brachte es Ben auf einen Punkt.

„Aber du hast dir alles gut überlegt und damit haben wir keine wirklichen Argumente, dagegen zu sein. Es gefällt uns nicht, sicher. Doch wir akzeptieren deine Entscheidung. Das einzige, was wir dir mitgeben, ist die Tatsache, dass du jederzeit hierher zurückkommen kannst.“

„Und wenn du Hilfe oder Rat oder nur eine Schulter brauchst, melde dich. So weit bist du nicht weg, dass wir nicht in ein paar Stunden bei dir sein können“, ergänzte Xenia.

Wie auf ein geheimes Kommando erhoben sich alle und ein gegenseitiges Umarmen begann. Dass auch ein paar Tränen flossen bei den Frauen, gehörte ebenso zu der Stimmung.

Den Rest des Abends und auch die nächsten Tage waren angefüllt mit dem geplanten Weggang, ihren neuen Arbeitsbereich und ihrem neuen Chef. Jetzt bekamen es auch die anderen Kollegen im DSC mit. Auch sie wurde von dieser Veränderung überrascht, aber keiner stellte sich quer. Nachdem sich jeder den Gründen angeschlossen hatte, unterstützten sie die junge Frau nach besten Kräften in ihren Vorbereitungen.

 

Schließlich war es soweit. Nach einem tränenreichen Abschied brachte die DIGGER, eines der beiden Arbeitsboote des DSC, Joyce mit einem Teil ihres Gepäcks nach Key West. Ihre Begleiter halfen ihr, alles in das Haus, das dem DSC nahe dem Hafen gehörte, zu bringen und sie halfen auch mit, Xenias alten Wagen zu beladen. Für das Erste würde Joyce den dunkelroten Lupo nutzen. Später wollte man sehen, ob sie sich etwas Eigenes zulegte oder nicht. Dem DSC stand auch ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung.

Trotzdem war Joyce am nächsten Morgen furchtbar nervös. In der Vergangenheit waren Schulbesuche und Ausbildungen zwar auch woanders erfolgt, aber es war immer das Bewusstsein, nur für eine gewisse Zeit gehen zu müssen. Und dieses Mal war es ein Wechsel des Arbeitsplatzes. Das war wie der Anfang eines neuen Lebens.

Und jetzt war sie unterwegs über den Overseas Highway zu ihrem Ziel. Die Route war im Navi eingegeben und der Verkehr hatte nach dem Verlassen von Key West nachgelassen. Die Musik im Radio war ansteckend und Joyce klopfte den Takt am Lenkrad mit. Aufregung und Nervosität hielten sich die Waage. Doch auch die Freude wuchs langsam an. In Gedanken malte sie sich schon die Tätigkeiten aus, die auf sie zukamen. Das Gelände kannte sie zwar bisher nur von Bildern, aber sie konnte sich gedanklich bereits einblenden.

Nach dem Abfahren vom Highway verengte sich die Straße. Zwar war alles weiter asphaltiert, aber man merkte, dass es eher eine Zufahrt war. Das besagte auch das große Schild mit Bild und Schriftzug des Delphin-Therapiezentrums. Mit dem Schild machte Bauch und Kopf einen Satz. Sprunghaft stieg Nervosität und Aufregung weiter an.

Sie runzelte kurz die Stirn, als sie die Vermessungstrupps links und rechts von der Straße bemerkte. Plante man hier Erweiterungen? Dann schob sie die Frage wieder zur Seite. Sie würde es ja demnächst aus erster Hand erfahren, was man hier plante.

Kurz darauf verlor sie die Leute aus ihrem Sichtfeld, denn die Straße führte im Bogen und tauchte im Wald unter. Hier war ein breiter Streifen neben der Straße gerodet. Joyce vermutete, dass die als Vorsichtsmaßnahme für Stürme gedacht war. So konnten abgebrochene Bäume nicht die Strecke blockieren.

Nur wenig später passierte sie einen hohen Zaun. Das Tor selber stand offen. Jeder konnte einfahren.

Und dann sah sie auch schon die Anlage. Nach dem Zaun trat der Wald zurück und bot eine große Wiesenfläche mit einzelnen Buschgruppen. Alles sah sehr gepflegt aus, war ihr erster Eindruck. Mit dem Ende der Straße waren auf beiden Seite Parkbereiche ausgewiesen.

Rechts vor dem höheren Gebäude, das das Zentrum, Büros, Kantine und einen Fitnessraum beherbergte, waren vier flache Bungalows gelegen. Dort wohnte die Gäste, die hier Stunden gebucht hatten. Oft kamen sie von weit her, so dass sie diese Kombination aus Urlaub und medizinischer Assistenz genießen konnten.

Auch auf der linken Seite gab es einen Parkplatz. Die vier Häuser dahinter waren größer und wurden von den Gains und ihren ständigen Mitarbeitern bewohnt, wie sie wusste. Zusätzlich kamen täglich noch einige Hilfskräfte für die Pflege der Unterkünfte und die Küche aus dem nächsten Ort.

Langsam steuerte Joyce den linken Parkplatz an. Nach dem Einparken schaltete sie den Motor aus und ließ noch einmal ihren Blick schweifen. Erst dann stieg sie aus und lehnte sich an ihr Auto. Hier werde ich nun arbeiten. Es ist schon anders als Turtle Island. Doch auch hier streift Wind leise durch die Bäume und die Luft riecht nach Salz und Meer. Aber alles wirkt harmonisch und friedlich.

 

Kurz schloss sie den Wagen ab. Um ihr Gepäck würde sie sich später kümmern. Zuerst musste sie Henry Gain finden und sich vorstellen. Man würde sich zusammensetzen und den Tag planen. Passieren würde wahrscheinlich nicht allzu viel außer Kennenlernen und Einrichten.

Sie vermutete Henry im Hauptgebäude. Schließlich stand zwischen den Parkplätzen am Ende der Straße eine Säule mit Hinweisschildern. Gäste und Kantine waren momentan uninteressant, aber Büro klang nach Ziel.

Sie war erst den halben Weg gegangen, als die Glastür heftig aufgestoßen wurde und zwei Männer herauskamen. Beide waren etwa im selben Alter, so um die 40, schätzte Joyce ein.

Den einen mit dem kurzen braunen Haarschnitt und dem roten T-Shirt mit dem Logo des Therapiezentrums erkannte sie sofort. Das war Henry Gain. Mit ihm hatte sie sich schon virtuell unterhalten.

Der andere Mann hatte schwarze Haare im militärisch kurzen Bürstenschnitt. Doch sein sicher maßgeschneiderter dunkelblauer Anzug verbarg nicht den dezenten Bauch. Mochte er durch die Frisur auch Energie und Stärke zeigen wollen, so blieb unter dem Strich nur der Büromensch in Joyce Augen übrig.

„Überlegen Sie es sich gründlich. Ich biete Ihnen eine einmalige Chance für die Zukunft. Denken Sie auch an ihre Tochter“, grollte der Schwarzhaarige.

„Und ich habe Ihnen gesagt, dass ich kein Interesse habe. Wollen Sie mir drohen, wenn Sie meine Tochter betonen?“ antwortete Henry Gain mit deutlicher Schärfe im Tonfall.

„Warum soll ich drohen? Ich habe Ihnen Ihre Optionen für die Zukunft genannt. Sehen Sie zu, was Sie daraus machen“, winkte der Dickere mit lautem Spott ab.

Mit einer abfälligen Handbewegung wandte er sich von Henry ab und ging zu einer großen silbergrauen Limousine. Bevor er sie erreichte, stieg der Fahrer aus. Er war hager, wirkte aber drahtig und kräftig, was auch an dem nur millimeterlangen langen Haarschnitt lag und der grauen Uniform lag. Schnell öffnete er seinem Chef die hintere Tür und ließ ihn einsteigen. Er schloss die Tür wieder und glitt hinter das Lenkrad. Mit einem leisen Schnurren erwachte der Motor des Fahrzeugs. Gleich darauf stieß es zurück, wendete und verließ zügig das Grundstück.

Joyce wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Henry Gain zu. Der hatte dem anderen mit zusammengepressten Lippen hinterhergeblickt. Als der Wagen wegfuhr, schwenkte Henrys Blick zu Joyce herüber. Immer noch waren seine Brauen wütend zusammengezogen. Prüfend blickte er die junge Frau an. Die atmete durch und kam mit einem leichten Lächeln näher.

„Hallo, Henry, ich bin Joyce. Jetzt lernen wir uns auch persönlich kennen.“

Mit den Worten, versuchte Joyce die Atmosphäre zu mildern. Schon bei den Video-Gesprächen hatten sie sich bei der Einigung auf das zukünftige Du verständigt. Deshalb wollte sie auch jetzt nicht wieder damit anfangen, auch wenn immer noch Zorn in der Luft lag. Ebenso ging sie jetzt nicht auf diesen merkwürdigen Vorfall ein. Henry sollte sich erst einmal wieder beruhigen. Dann konnte sie fragen und sich erklären lassen. Wenn sie hier arbeitete, musste sie verstehen, was an Problemen anstand.

Und Henry entspannte sich. Durch den anderen hatte er nicht mehr an seine neue Mitarbeiterin gedacht, die heute kam. Nun fiel es ihm sofort wieder ein und sein Gesicht entspannte sich. Auch er lächelte breit und streckte ihr die Hand entgegen.

 

„Willkommen, Joyce.“

Sie war beeindruckt, wie schnell er seine Wut in sich verschloss und jetzt Herzlichkeit strömen ließ. Das Lächeln veränderte ihn. Schnell glitt ihr Blick über seine Gestalt und sein Gesicht, während sie nähertrat. Er war keine Riese, aber er hatte breitere Schultern als der Durchschnitt. Sein Körper wirkte trainiert, was sicher auch dem Leben und der Arbeit geschuldet war. Blitzartig kam ihr der Vergleich zwischen dem Büromenschen eben und dem Naturburschen vor ihr. Die kleinen Lachfalten an den Augen sagten ihr, dass Henry kein ernster Mensch war, sondern auch gerne lachte. Und dann fiel ihr auf, dass ihr Herz beschleunigte, während sie ihn betrachtete. Ihr wurde warm. Sie fühlte sich … zufrieden?

War sie zufrieden, weil sie den neuen Job begann oder weil er hier war? Sie traute sich nicht, es zu analysieren, aber ihr war das Bild vom Felsen in der Brandung gekommen. Und das verband sie mit Henry.

Energisch drängte sie die Gefühle nach hinten. Jetzt fing ihr neuer Job an, ein neues Leben. Jetzt wurde Professionalität gefordert. Dementsprechend war dann der erste Händedruck. Es durchzuckte sie. Wieder waren ihre Gedanken bei dem Mann vor ihr. Was hat er, dass ich mich so aufgeregt und doch so sicher fühle?

Auch Henry war zusammengezuckt. Er hätte nicht erwartet, dass sie so elektrisierend wäre. Auch er merkte, wie es ihn warm durchrieselte. Kritisch betrachtete er sie in seinem Kopf, ohne sich äußerlich etwas anmerken zu lassen.

Sie war jung. Gut, das habe ich schon bei der Bewerbung gelesen. Ich habe es im Video gesehen, aber jetzt? So real vor mir wirkt sie noch jünger, fast wie meine Tochter. Ok, drei Jahre, aber was ist das, vergleichen mit beinahe 20 zu mir? Warum fühle ich mich so elektrisiert?

Henrys Frau war seit neun Jahren tot, bei einem Verkehrsunfall gestorben, weil ein Mann unter Drogen ihr Auto gerammt hatte. Seine Tochter war damals zehn gewesen und er hatte sie alleine großgezogen. Es war schwer gewesen, das Therapiezentrum und eine pubertierende Tochter unter Kontrolle zu halten. Geholfen hatte ihm, dass Jane unheimlich gerne mit den Delphinen zusammen war. Manchmal hatte er bewusst kontrolliert, ob sie nicht schon Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen gehabt hatte. Seine Tochter hatte nur gelacht. Es hatte auch Frauen in seinem Leben gegeben, nachdem er die Trauer zurückgedrängt hatte, doch es hatte meist nicht lange gehalten. Zu abgelegen, zu viel Arbeit, zu wenig Zeit für sie, waren oft die Argumente der Frauen am Ende gewesen. Interessanterweise war Jane nie ein Argument gewesen. Keine hatte sich über Feindschaft seitens der Tochter oder Mehrbelastung durch sie beklagt. Eher war das Gegenteil der Fall, dass Jane gerne gesehen war. Und Jane hatte die Frauen als Teil seines Lebens toleriert. Er hatte die Geliebten und auch Jane verstehen können.

Aber dieses elektrisierende Gefühl, dieses schnellere Schlagen des Herzens, diese innere Freude hatte er bisher nur bei seiner Frau erlebt. Wieso nun mit Joyce? War er bereits so ausgehungert, dass er eine derart junge Frau brauchte?

 

Beide traten einen Schritt zurück und verbargen ihre jeweilige Verwirrtheit hinter Lächeln und höflichen Begrüßungsfloskeln. Um zu einem sachlichen Gespräch zurückzukehren, machte Henry mit ihr eine kleine Runde und zeigte ihr die wesentlichen Anlagen und Gebäudeteile.

Lange standen sie nebeneinander auf dem Steg. Henry erklärte ihr die Bucht, die wie ein großes Oval geformt war. Insgesamt fast 550 Meter lang und bis zu 250 Meter breit war es ein riesiges Becken. Hier der Steg war etwa ein Drittel vom Ende der Bucht. Auf der Seite des Steges war der Meeresboden flach. Das Ufer war ein Sandstrand, der schnell bis auf zwei Meter absackte. Und es wurde langsam immer tiefer. Bis hier zum Ende des Steges, der immerhin fast 50 Meter hinausragte und am Ende eine quadratische Plattform hatte, senkte sich der Boden auf maximal zehn Meter. Der gegenüberliegende Uferstreifen war nur fünf Meter breit und dabei nur zwei Meter tief Auch hier herrschte Sand vor. Aber es wuchsen auch Palmen und Mangroven, die das Ufer bewaldeten und gleichzeitig schützten. Der Bereich dazwischen aber war wie eine Kerbe mit ziemlich steilen Felswänden. Dort war der Boden um die 20 Meter tief.

„Der Übergang zum offenen Meer dagegen ist nur 70 Meter breit und zehn tief. Hier hat man ein stabiles Netz gespannt. Luftgefüllte Kunststofffässer sind dicht nebeneinander in dem Netz eingeschlossen. Damit ragt diese Barriere gut einen halben Meter über die Wasseroberfläche. Die Flexibilität des Netzes folgt auch Wellen und der Tide. Mit Metall am Boden fixiert, erlaubt es den Austausch von Wasser und Fische mit einer Handspanne Durchmesser können bei der Maschengröße hinaus oder hinein. Insofern bevölkern Krabben, Plattfische und andere diese Bucht. Nur die größeren Räuber bleiben draußen und die Delphine drinnen.

Doch sie haben Platz und natürlichen Lebensraum. Wir geben ihnen einen Teil ihrer Nahrung, aber sie sorgen auch selber für sich. Es soll so natürlich wie möglich sein. Wir zwingen sie nicht zu ihrer Tätigkeit. Wir haben lange gebraucht, um sie soweit zu haben, dass sie von alleine kommen. Vielleicht ist es ein Freundschaftsdienst, vielleicht tun sie es aus ihrer sozialen Gruppe heraus. Wir vermuten, dass sie spüren, dass unsere Gäste Hilfe brauchen. Und dann kommen sie, um zu helfen.“

Henry unterbrach seine Erläuterungen. Mit fast melancholischem Blick sah er auf das Wasser hinaus.

„Es ist immer ein berührender Moment, wenn ein Gast sich ihnen öffnet und eine Beziehung entsteht. Wenn wir das schaffen, dann sind wir meistens einen großen Schritt weiter.“

Er wandte sich Joyce zu, die auch an der Brüstung des Steges lehnte.

„Wie du siehst, reden wir hier nicht von Patienten, sondern Gästen. Es klingt angenehmer. Da hier auch nicht Therapie rund um die Uhr erfolgt, ist es eine Mischung aus Urlaub und Therapie. Dafür haben wir die Gästebungalows.“

Sein Blick schwenkte über ihre Schulter. Ein Strahlen zog über sein Gesicht.

„Da kommt Jane, meine Tochter.“

Joyce drehte sich um und sah eine junge Frau, vielleicht etwas jünger als sie selber, näherkommen. Sie war schlank und hatte eine sportliche Figur mit schulterlangen schwarzen Haaren. Mit ein wenig Neid betrachtete Joyce den Oberkörper der anderen. Jünger und deutlich mehr als ich. Warum nur muss ich mit Doppel-A gesegnet sein.

Jane trug noch immer den roten Einteiler mit den dunkelblauen Logo des Therapiezentrums über der linken Brust. Eigentlich war es eher ein schlicht geschnittener Einteiler, zwar elegant aber nicht unbedingt sexy.

Gleich darauf schüttelten sich die beiden jungen Frauen lächelnd die Hand. In Sekundenschnelle hatte sie sich wortlos mit Blicken abgetastet und waren sich sofort sympathisch.

 

„Hey, du bist also Joyce, die Neue.“

„Ja, ich möchte hier einen Neuanfang machen.“

„Warum? Hat dir deine bisherige Tätigkeit nicht mehr gefallen?“

Jane fragte einfach drauflos. Sie hatte wenige Hemmungen. Wer hier arbeiten wollte, sollte lernen, dass Vertrauen eine wesentliche Grundlage des Zusammenhalts war. Nicht nur zwischen Delphin und Mensch, sondern auch bei den Menschen untereinander. Geheimnisse und Verschweigen gehörten nicht dazu. Sicher musste man nicht alles ausbreiten. Privat blieb privat, aber wenn es die Arbeit berühren konnte, sollte man den anderen zumindest verstehen können.

„Eigentlich sind es zwei Gründe für mein Hiersein, Jane. Zum einen wollte ich etwas mehr über mich herausfinden. Das ist aber rein privat. Und ich wollte neue Erfahrungen. Nichts gegen das DSC, auch da gibt es Abwechslung. Aber sagen wir, es sind immer die gleichen Köpfe, mit denen man redet, mit immer gleichen Einstellungen und Gedanken. Auch hier geht es um Delphine, aber mit einem anderen Blickwinkel. Was kann ich aus dem Bisherigen mitnehmen, was gibt es an neuen Aspekten? Das waren wichtige Punkte für meine Entscheidung.“

Henry und Jane nickten. Henry hatte es schon gewusst, aber die Wiederholung bestätigte es erneut. Auch Jane konnte ihr folgen. Es waren Überlegungen hinsichtlich den ‚eingefahrenen Gleisen‘, die sich jeder einmal stellen musste.

Eine Minute später waren die beiden jungen Frauen in ihr Gespräch vertieft. Sie hatten sich akzeptiert und die Delphine als gemeinsame Grundlage gefunden. Henry wurde einfach ausgeklammert. Er konnte nur schmunzeln, aber er hörte entspannt zu. Warum sollte er stören. Aus seiner Sicht war es gut, wenn seine Tochter diesen Kontakt aufbaute.

Eine Viertelstunde später unterbrach er aber dennoch. Joyce war neu und noch nicht alles geklärt. Deswegen führte er sie in das Hauptgebäude in sein Büro. Seine Tochter folgte ihnen. Ihm war es recht, denn die beiden würden eng zusammenarbeiten und Jane kannte noch nicht alle Wünsche von Joyce, die diese in den Gesprächen geäußert hatte. Gemeinsam setzten sie sich an den kleinen Besprechungstisch.

„Also, Joyce“, fing er an, „deine Hauptaufgabe wird das Betreuen unserer Gäste sein. Außerhalb der Therapiestunden lassen wir die Gäste in Ruhe, sind aber hier im Gebäude als Anlaufstelle bei Fragen, Umplanungen und so weiter, verfügbar. Da werden wir drei noch einen Schichtplan aufstellen.

Wir haben vormittags und nachmittags jeweils zwei Therapiestunden. Du wirst einen Teil davon übernehmen. In den nächsten drei Wochen wirst du Jane dabei begleiten und lernen. Nebenbei musst du Pride, Cloud und Dancer, unsere drei Delphine kennenlernen. Das gilt umgekehrt genauso. Sie müssen dir vertrauen können. Auch da kannst du mit Jane zusammenarbeiten, denn sie spielt und schwimmt gerne mit den dreien.

Wenn sonst etwas ist, wirst du später noch unseren Techniker, Mike Henley, kennenlernen und auch die anderen Mitarbeiter hier in der Küche und so. Mit denen wirst du zwar kaum etwas zu tun haben, aber sie gehören im weiteren Sinne zum Zentrum dazu.“

 

Joyce nickte. Was er gesagt hatte, entsprach den bisherigen Absprachen. Auch nebenbei würde sie auf Grund ihrer Ausbildung auch die Gesundheit der Tiere betreuen.

Eigentlich war da noch ein Punkt, der aber nur sie betraf und den sie bisher erfolgreich verdrängt hatte. Der Arbeitsplatz war im Wasser. Genauer gesagt, im Meer. Auch wenn es eine Bucht war und mit einem Zaun abgetrennt, es war das Meer. Sie musste in dieses Meer. Sie sollte darin arbeiten. Nur … sie hatte fast eine Phobie vor dem Meer. Hier gab es niemanden, der Bescheid wusste. Sie würde es auch niemandem verraten. Diese Angst vor dem Meer musste sie überwinden. DAS und noch ein weiterer Grund waren die wahren Gründe für ihr Hiersein. Sie hoffte, dass sie ihre Angst, das Meer würde sie umbringen, überwinden konnte. Sonst wäre sie morgen schon wieder auf der Heimfahrt.

„Gut, Henry, kein Problem. Ich hatte mir sowieso vorgenommen, die nächsten Tage viel zu schwimmen. Da es, wie du gesagt hast, ein offener Bereich ist, lasse ich die Delphine zu mir kommen. Zusammen mit Jane werden sie mich dann besser kennenlernen.

Allerdings ist da noch der andere Punkt, den ich dir bei unseren bisherigen Gesprächen genannt hatte. Nenn mich ruhig einen Einzelgänger oder Eigenbrötler. Ich habe gesagt, dass es die Tage gibt, an denen ich mich eine oder zwei Stunden zurückziehen werden. Dann bin ich nicht erreichbar. Wie sieht es damit aus?“

Jane horchte auf. Eigenbrötlerisch? Joyce war doch nicht alt. Irgendwie stand für Jane dieser Begriff in Verbindung mit alten Knackern, die mit Altersstarrsinn ihre Eigenarten pflegten.

„Was bedeutet das, Joyce?“ wollte sie wissen.

Joyce zuckte die Schultern.

„Es ist etwas Privates. Es gibt Zeiten, da muss ich für mich sein, mich sozusagen von der Welt abkoppeln. Also ziehe ich mich zurück und bin für die Welt verschwunden. Ich habe Henry bei den Gesprächen darauf hingewiesen, dass ich da morgens oder nachmittags die Gelegenheit brauche. Ich werde mir hier einen Rückzugsort suchen. Ich fahre nicht weg, wenn das befürchtet wird. Nur wird mich in der Zeit niemand erreichen können.“

Joyce hatte es so umschrieben. Ihr Ziel war, wenn es ihr gelang, ins Wasser zu gehen, dann auch das Wandeln hier in diesem Becken durchzuführen. Wo drei Delphine waren, würde ein vierter nicht unbedingt auffallen. Zumindest nicht, wenn sie sich ein zeitliches Limit setzte.

„Nein, Joyce, das ist kein Problem. Das hatte ich dir bei unseren Gesprächen zugestanden. Sicher verstehe ich nicht den Grund, aber wenn es nicht mit deiner Arbeit hier zusammenhängt, musst du es nicht erklären. Das einzige ist, dass wir es koordinieren müssen. Wenn du dir die Zeit, oder besser Auszeit, nimmst, sprich es ab und trage es im Plan ein. Dann wissen alle Bescheid“, meine Henry sachlich.

„Danke. Mache ich.“

„Wenn das soweit alles ist, dann kann dir Jane deine Unterkunft zeigen und du schaust dir einmal selber das Gelände an, Joyce.

Nochmals: willkommen im Team.“

Mit den Worten schüttelte er ihr noch einmal die Hand. Dann folgte sie Jane aus dem Büro.

 

„Sag mal, welche Kleidergröße hast du eigentlich?“ fragte Jane nach dem Verlassen des Büros.

Joyce nannte ihre normale Größe. Jane bedeutete ihr kurz zu warten und die junge Frau verschwand in einem kleinen Lagerraum. Gleich darauf kam sie wieder heraus und verschloss den Raum wieder. Jetzt hatte sie drei eingeschweißte Tüten bei sich.

„Deine Badeanzüge“, grinste sie und schlenkerte die Tüten.

Joyce schmunzelte. Auf dem Steg hatte sie den roten Einteiler von Jane gesehen. Züchtig bedeckte er alles und hatte auch keinen hohen Beinausschnitt. Das war dann wohl der einheitliche Dress beim Therapiezentrum. So etwas stärkte das Team und hob sie gleichzeitig von den anderen ab.

„Naja, Baywatch ist es nicht, aber sie gefallen mir“, lächelte sie zurück.

Gemeinsam gingen die beiden jungen Frauen zu Joyce‘ Wagen und nahmen sich einige Kartons und Koffer mit. Den Rest würde Joyce eben später noch holen. Das erste, etwas größere Haus gehörte den Gains. Das hatte Henry beim kurzen Rundgang schon angesprochen. Hier wohnten Henry mit seiner Tochter.

Den folgenden Bungalow schloss Jane auf und legte den Schlüssel auf die kleine Kommode neben dem Eingang. Hinter ihr betrat Joyce das Häuschen und sah sich um. Vom schmalen langgestreckten Flur gingen vier Türen ab.

„Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer und Bad“, wies Jane nacheinander auf die Türen.

Den Karton und die Badeanzüge legte sie im Flur ab. Auch Joyce stellte ihre mitgebrachten Sachen ab. Sie würde sich erst umsehen und dann einräumen.

„Wenn du noch etwas brauchst oder Fragen hast, komm in das Hauptgebäude. Mittagsbuffet gib es zwischen zwölf und zwei Uhr ebenfalls dort. Heute Abend bist du bei uns eingeladen. Ansonsten sieh dich erst einmal selber um.“

Fragend sah Jane die neue Kollegin an, doch Joyce schüttelte den Kopf. Im Moment gab es viele Informationen. Sie war zufrieden, dass man ihr den Rest des Tages gab, um sich hier zurechtzufinden. Darauf verließ Jane den Bungalow. Auch für sie standen Arbeiten an.

Joyce schlenderte durch das Haus. Es war zwar klein, aber für eine Person groß genug. Möbel gab es bereits. Insofern war alles bezugsfertig. Viel war in hellem Holz ausgeführt, aber auch dezente Stoffe in Mint, Gelb und Apricot sorgten für Behaglichkeit. In der nächsten Stunde räumte sie ihre mitgebrachten Sachen ein. Ebenso holte sie noch die restlichen Sachen aus dem Wagen. Am Ende fühlte sie sich zu Hause, weil jetzt auch ihre persönlichen Dinge in der Wohnung standen.

Dann war es auch schon Zeit, sich um Mittagessen zu kümmern. Heute nutzte sie das Angebot aus der Kantine. Das Buffet war nicht sehr groß, aber es gab Fleisch, Fisch und Salate im Angebot. Eigentlich sollte jeder etwas finden können, was ihm schmeckte. Joyce nutzte die Gelegenheit, sich auch gleich mit dem Küchenpersonal bekannt zu machen. Schnell kam ein kleiner Plausch zustande. Auch die Mitarbeiterinnen dort, die nur tagsüber kamen und abends wieder nach Hause zu ihren Familien in der Stadt fuhren, freuten sich, über die kleine Abwechslung.

Allerdings bekam Joyce dadurch mit, dass das Zentrum Probleme hatte. Ganz genau wurde es nicht gesagt, aber es war die Rede von Behinderungen und Bedrängung. Da konnte sie schlecht bewerten, wie schlimm es wirklich war, aber sie nahm sich vor, das Thema beim Abendessen vorsichtig anzusprechen. Es erinnerte sie an den Vorfall bei ihrer Ankunft mit diesem merkwürdigen Mann.

 

 

Anfang

 

Den Nachmittag verbrachte Joyce mit dem Erkunden des Geländes. Dafür hatte sie sich umgezogen. Jetzt trug sie den roten Einteiler des Zentrums und hatte ein T-Shirt darüber gestreift. An den Füßen trug sie Turnschuhe, weil sie die Bodenbeschaffenheit nicht kannte. Und sie hatte sich für alle Fälle ein Handtuch aus dem Haus über die Schulter gelegt.

In der Richtung der Zufahrt waren viel Wiese, kleine Buschgruppen und einige stille Rückzugsecken angelegt worden. Der Wald schloss den Bereich zwischen Küste und umgebenden Zaun ab. Auf der Seite der Wohneinheiten war der Zugang zum Wasser Wiese und Sand. Alles war flach. Es gab keine steilen Bereiche oder Stufen.

Die andere Seite der Bucht war eine schmale Landzunge. Es gab viele sandige Stellen und oft lag eine dünne Erdschicht über dem felsigen Untergrund. Immerhin gab es genug Halt für einige zähe halbhohe Bäume und an der Küste auch für etliche Mangroven, die ihre Wurzeln weit hinausreckten. Hier war nichts befestigt, sondern es gab nur einen Trampelpfad, der aber auch keine regelmäßige Nutzung aufwies.

Doch gerade das reizte Joyce. Hier würde sie die Abgeschiedenheit finden, die sie suchte und wollte. Ganz am Ende, schon nahe dem Netz fand sie ihren Platz. Für das Sicherheitsnetz der Bucht waren zwei armdicke stählerne Pfosten im Boden versenkt und mit Beton verstärkt worden. Daran war das Netz befestigt. Es lag mit dem Ende schon auf dem Land. So gab es selbst an der Seite kein Durchkommen.

Zwei umgestürzte Stämme schotteten die Sicht des Platzes zu dem Weg, den Joyce gekommen war, ab. Der sandige Fleck daneben lud ein zum Verweilen. Und eine schmale Sandstrecke führte ins Wasser, an den Seiten durch Mangroven gegen Sicht abgetrennt. Überhaupt war der Baumbestand auf der Landzunge nicht sehr dicht. Immer wieder gab es kleine Lücken. Joyce hatte es wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Diese winzige Lichtung gefiel ihr am besten. Abgelegen und doch nicht zu weit weg. Verborgen und gleichzeitig mit einem Zugang. Schlecht einsehbar und gleichzeitig offen.

Sie setzte sich einige Minuten auf einen der Stämme und ließ ihre Blicke schweifen. Auf der einen Seite sah sie durch Bäume und Büsche das endlose Meer. Auf der anderen Seite lag die ruhige Bucht. Tatsächlich war draußen auf der offenen See mehr Dünung als in der Bucht. Und doch mussten die Wellen von draußen eine Breite von mehr als 50 Metern und auch einige Meter Höhe überwinden, wenn das Wasser die Landzunge überspülen wollte. Ihr Platz war ziemlich sicher.

Joyce empfand diesen Platz als sicher für ihre Vorhaben. Sie wollte wandeln. Sie wollte es üben. Hier innerhalb des Netzes empfand sie es als sicherer. Schließlich würde ihr hier niemand helfen können. Wenn sie erst die Routine innerhalb vom Netz hatte, würde der nächste Schritt das offene Meer sein. Bis dahin war es aber noch weit. Der allererste Schritt wäre, dass sie überhaupt ins Wasser kam. Schon das Schwimmen ohne ‚Sicherung‘ war ihr in den letzten Wochen auf Turtle Island immer noch sehr schwergefallen. Nein, das ist nicht ganz richtig. Wenn ich erst einmal drin bin, habe ich kaum Schwierigkeiten. Nur muss ich reinkommen. DAS ist das Problem. Hier muss ich es souverän hinbekommen, damit niemand etwas merkt. Es darf nicht der Grund werden, dass man mich wegschickt.

 

Ihr Gesicht war hart, als sie Handtuch, Shirt und Schuhe auf dem Sand ablegte. Langsam trat sie an das Wasser der Bucht heran. Der Blick hetzte über die Oberfläche und ihr Atem ging schnell. Ihre Lippen waren fest zusammengepresst. Die Hände waren zu Fäusten geballt an ihrer Seite.

Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen. Dann benetzten die kleinen Wellen ihren Fuß das erste Mal. Sie stockte für einen Moment und machte den nächsten Schritt. Ihr Knöchel war im Wasser. Noch ein langsamer Schritt und noch einer.

Das Wasser reichte ihr bis zu den Knien. Joyce blieb wie angenagelt stehen. Ihre Gedanken hatten sie wieder einmal fest im Griff und bannten sie. Ihre Sicht verwandelte sich. Ihre Augen sehen etwas lange Zurückliegendes. Wieder einmal. Wie jedes Mal.

Ich bin zehn. Vor mir liegt nicht mehr die geschützte Bucht, vor mir ist das weite offene Meer des Atlantiks. Im Norden liegt die Stadt Prainha im nördlichen Brasilien. Meine Familie macht ihren ersten Urlaub seit Jahren. Nur Dolph fehlt. Dolph, der älteste Sohn und mein großer Bruder. Er hat einen Fortbildungskurs und konnte deswegen nicht mit. Aber ich bin nicht so traurig. Ich liebe zwar meinen Bruder, aber er ist oft ernst und benimmt sich fast wie die Eltern. Mit meinem zweiten Bruder, Benedict, habe ich mehr Spaß. Heute haben wir einen Ausflug am Strand gemacht. Die Sonne scheint warm vom Himmel. Mama und Papa sind bereits ins Wasser gegangen. Ich stehe mit Ben noch am Ufer. Nach der Zeit in der Sonne fühlt sich das Meer kalt an. Vor mir ist eine Krabbe auf dem Sand. Ich hocke mich hin und beobachte sie. Ben steht neben mir und erklärt mir etwas. Vom Meer kommt die Stimme meines Vaters.

„Kommt endlich. Das Wasser ist herrlich. Eine Abkühlung tut euch auch gut.“

Ich blicke zu ihnen. Mama und Papa stehen im Wasser. Es geht meinem Papa bis an die Brust. Mama hängt an seiner Schulter. Beide lachen und winken.

„Auf, kleine Krabbe. Schwimmen wir zu ihnen“, grinst Ben auffordert und hält mir seine Hand hin.

Ich stehe auf, grinse bei seinem Kosenamen und nehme seine Hand in meine. Beide winken wir den Eltern zu. Gemeinsam gehen wir ins Meer. Ich kreische leise, weil es sich kalt anfühlt auf meiner warmen Haut. Ben lacht und zieht mich weiter. Draußen lachen Mama und Papa. Ich sehe zu ihnen und winke zurück. Das Wasser schwappt an meine Knie.

„Schau, Ben, da kommen Delphine. Schnell, ich will hin.“

Bens Blick folgt meiner deutenden Hand. Ich bin stolz, dass ich die Gruppe von Rückenflossen der Delphine zuerst gesehen habe, die gerade auf meine Eltern zusteuern. Ben beschirmt seine Augen mit der freien Hand. Mit einem Ruck bleibt er stehen. Was ist los? Seine Hand drückt meine plötzlich fest. Es tut weh. Vorwurfsvoll sehe ich hoch. Ben ist blass geworden. Wo ist seine Bräune hin?

„Raus! Raus da! Haie! Ma! Dad! Raus! Haie!“ schreit Ben gellend.

Ich zucke zusammen und sehe wieder zu meinen Eltern. Die drehen sich um bei Bens Rufen. Papa schreit und Mama auch. Hektisch versuchen sie durch das brusttiefe Wasser zu uns zu kommen. Die Rückenflossen sind schon sehr nahe.

Plötzlich verschwindet Mama unter Wasser. Als sie wieder auftaucht, kreischt sie. Papa dreht sich zu ihr um und will wohl zu ihr. Will er ihr helfen? Dann taucht auch er unter.

Ben reißt mich aus dem Wasser an seine Brust. Er hält meinen Kopf fest, dass ich nicht zu Mama und Papa sehen kann. Ich strampele und bettele, wieder hingestellt zu werden. Ben geht rückwärts. Hinter mir schreien Mama und Papa. Angst und Schmerz höre ich. Warum lässt Ben mich nicht runter? Warum hilft er unseren Eltern nicht?

Plötzlich ist es still hinter mir. Kein Papa, keine Mama sind mehr zu hören. Ich reiße mich los und drehe meinen Kopf. Vor mir ist das weite offene Meer des Atlantiks, so weit ich sehen kann. Mama und Papa sind nicht zu sehen. Tauchen beide? Nur da, wo sie waren, ist das blaugraue Wasser dunkler. Rötlicher? Wo sind meine Eltern?

Langsam verschwindet der Film in ihrem Kopf. Schweiß glitzert auf ihrer Stirn und ungeweinte Tränen brennen in ihren Augen. Wieder einmal sah sie ihre Erinnerung, erlebte, wie ihre Eltern einer Rotte von Bullenhaien zum Opfer fiel. Und wieder war es passiert, als das Wasser, wie damals, ihre Knie berührte. Das Damals ist jetzt auch schon 12 Jahre her.

Es hatte Tage, … falsch … Wochen und Monate gebraucht, bis sich Joyce überhaupt wieder ans Meer wagte, nachdem sie verstanden hatte, dass ihre Eltern tot waren. Das Meer hatte die Eltern ermordet.

Und es hatte 12 Jahre gebraucht, bis sie das erste Mal im Meer geschwommen war. Wenn die Verbrecher sie und ihre Schwägerin Xenia nicht vor einigen Monaten entführt und auf der Sandbank ausgesetzt hätten, wäre sie noch immer nicht im Meer gewesen. Nur die Chance, dass sie allein Xenia retten konnte, hatte sie dazu gebracht. Und Xenias Hilfe.

Heute war niemand bei ihr. Heute musste sie es alleine schaffen. Zum ersten Mal nach den 12 Jahren. Deswegen war sie unter anderem hier.

 

Wie so oft rasten ihre Gedanken so schnell wie ihr Herzschlag. Ins Meer hatte sie nicht gekonnt. Doch merkwürdigerweise hatte sie nie Probleme gehabt, im Schwimmbad oder im kleinen See auf Turtle Island zu baden. Da hatte sie nie diese Erinnerungen. Nur beim Meer. Lag es am Salzgeruch des Meeres? Oder war es einfach nur das Wissen, dass vor ihr das Meer und kein See war.

Joyce biss die Zähne zusammen. Ihre Gedanken klammerten sich an das Netz, an den Schutz des Bereiches. Hier konnte es keine Haie geben. Hier gab es nicht die Gefahr, die ihre Eltern das Leben gekostet hatte. Hier gab es jahrelange Bestätigung der Sicherheit. Wie ein Mantra jagte sie diese Argumente durch ihren Kopf bei jedem kleinen Schritt vorwärts, zu dem sie sich so zwang. Bis ihr schließlich das Wasser bis über die Brust ging und sie sich abstieß.

Noch immer flirrten ihre Augen in hektischer Suche über die Wasseroberfläche. Stoß für Stoß wurde sie ruhiger. Das Mantra begann seine Wirkung. Und sie war jetzt am Schwimmen und es war nichts passiert. Langsam schwand ihre Anspannung. Jetzt konnte sie das Wasser genießen. Wie immer dachte sie darüber nach, warum sie es nicht schaffte, einfach so ins Wasser zu kommen. Warum war da der Unterschied zwischen Teich oder Schwimmbad und dem Meer? Warum half ihr das Wissen, dass hier keine Bedrohung war, nicht wirklich? Allerdings hatte sie hier die Chance, zu üben. Vielleicht schaffte sie es das nächste Mal schneller.

Für einen winzigen Moment stockte ihr Schwimmen, als drei Finnen weit vor ihr auftauchten. Dann aber hatte sie schon die Form von Delphinen erkannt. Ruhig schwamm sie weiter. Sie lächelte, als die drei Tiere sich eine Zeitlang in ihrer Nähe aufhielten. Anscheinend waren sie neugierig auf das fremde Wesen in ihrem Revier. Dann verzogen sie sich und Joyce kehrte zu ihrem Ausgangspunkt zurück.

Eine Weile blieb sie auf ihrem Handtuch sitzen und ließ sich von der Sonne trocknen. Ihr Auge betrachtete die friedliche Umgebung. Kurz sah sie nochmals die Delphine. Dann schwenkte ihr Blick in die andere Richtung. So dicht stand nichts, dass sie nicht auch das offene Meer sehen konnte. Weit draußen zog ein großes Schiff kaum merklich seine Bahn. Ob Frachter oder Passagierschiff war nicht erkennbar, aber eigentlich war es auch egal. Da draußen war etwas mehr Dünung als in der abgeschirmteren Bucht. Doch mit dem leichten Wind, dem Kreischen der Möwen wirkte es auch friedlich. Und doch konnte es so mörderisch und tödlich sein.

Schließlich erhob sie sich. Erneut ging sie zögernd auf das Wasser der Bucht zu. Sie wollte es erneut versuchen. Aber schon der Gedanke an das, was unweigerlich passieren würde, ließ sie zögern. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sie sich vorwärts. Und erneut durchlief sie ihre Vergangenheit, als das Wasser ihre Knie umspülte.

Voll Bitterkeit schwamm sie dann noch eine kurze Runde, nachdem es ihr nach langen Minuten gelungen war, ihren Körper nach dem Durchleben der Vergangenheit vorwärts zu zwingen und nicht zu flüchten. Erst dann kehrte sie in ihre neue Wohnung zurück.