Dietmar Kueglers Westwind 01: Der Tod der grossen Wälder - Dietmar Kuegler - E-Book

Dietmar Kueglers Westwind 01: Der Tod der grossen Wälder E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Abe McNott, ein Trapper im frühen 19. Jahrhundert, liebt die Freiheit der Rocky Mountains und lebt gemeinsam mit den Cheyenne, den Herren des Landes.Der Händler John Ackerman will mit brutaler Gewalt das Pelzgeschäft am Missouri an sich reißen und heuert dazu McNott an. Doch Ackermans Gier kennt keine Grenzen. Er geht über Leichen und versucht, die großen Wälder westlich des Missouri auszubeuten.Als McNott erkennt, dass er betrogen wird, beginnt für ihn ein Kampf auf Leben und Tod.Die Printausgabe umfasst 162 Buchseiten.

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WESTWIND

In dieser Reihe bisher erschienen

2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous

Dietmar Kuegler

Der Tod der großen Wälder

Westwind - Band 1

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.

© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-091-8

1.

Der Fluss war so alt wie die Welt, und der Greis an seinem Ufer schien nicht einen Tag jünger zu sein. Er hockte auf den morschen Planken des Bootssteges und ließ die nackten Füße ins Wasser hängen, während seine knotigen Hände aus geschmeidigen Weidenruten einen Korb flochten. Er sah das Kanu von Westen herangleiten und fuhr in seiner Arbeit fort, ohne das schmale, längliche Boot aus Rindenstücken und Leder aus den Augen zu lassen.

Der Mann im Kanu trug Hemd und Hose aus Hirschleder, das nach Indianerart gegerbt und genäht war. Auf dem Kopf hatte er eine Mütze aus Waschbärenfell. Ein dichter schwarzer Bart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts.

„Hallo, alter Mann.“ Er zog das Paddel ein und blinzelte in die Sonne. „Ist das hier Lewisville?“

Der Alte nickte. Seine Hände flochten die Weidengerten. Der Korb nahm Stück für Stück Gestalt an.

„Es ist still hier“, sagte der Mann im Boot. Er blickte zu den Hütten oberhalb des Stromes hinauf. Es waren flache Blockhäuser aus ungeschälten Baumstämmen mit schmalen Fensterluken ohne Glasfüllung. Die Fugen zwischen den Stämmen waren mit Lehm verschmiert, die Dächer mit Stroh oder Schindeln bedeckt.

Die Siedlung bildete kein geschlossenes Ganzes. Die Hütten waren willkürlich, in unterschiedlichem Abstand zueinander auf die Hügel, fast fünfzig Yards entlang des Flusses, gebaut worden.

„Ist es immer so still hier?“

„Sehr still“, sagte der Alte. Er nahm eine neue Weidenrute auf und flocht weiter. Seine wasserhellen Augen blickten den anderen an. „Alle sind gegangen. Schon vor einem halben Jahr. Mitten im Winter. Ein Mann war hier und hat gesagt, dass es im Westen Gold gibt. Da haben sie ihre Sachen gepackt und sind gegangen.“

„Alle?“

„Ackerman ist noch da.“ Seine Hände hörten auf, sich zu bewegen. „Ackerman sagt, er wartet. Auf dich?“

„Vielleicht.“ Der Mann im Boot richtete sich auf und kletterte auf den Steg. Er zurrte das Kanu mit einer Lederschnur an einem der schiefen Poller fest, bückte sich tief hinab und hob ein langes, schlankes Gewehr aus dem Kanu und zwei schwere Bündel mit Biberfellen.

Er schritt, von der Last ein wenig gebeugt, über den Bootssteg und stieg zu den Hügeln hinauf. Er war ein sehr kräftiger Mann. Er war nicht sehr groß, die Schultern sehr breit, die Gestalt gedrungen und massig, ohne Fettansatz. Seine Bewegungen wirkten langsam, fast schwerfällig, aber sie waren nur sparsam, überlegt und gut koordiniert. Dieser Mann wusste in allen Dingen genau, was er tat. Er ging in Richtung der Hütten. Vor einer der ersten tauchte ein struppiger Hund auf und blickte dem Fremden entgegen. Er bellte. Hinter einem der Fenster sah der Mann ein Gesicht, das gleich wieder verschwand.

Es gab keine Wege, nur Trampelpfade, die an den Hütten vorbeiführten und in einiger Entfernung in einen breiteren Wagenweg mündeten, der durch tiefe Radspuren markiert wurde. Dann begann auch schon dichtes Waldland.

Der Mann blieb vor jedem Haus stehen. An einer langgestreckten Blockhütte hing ein vom Wetter ausgeblichenes Schild. An einer Seite hatte der Wind es losgerissen.

Dining Room & Hotel

Antilopensteak, täglich frisch

Der Mann strich sich über den Bart. Er stieß die lose in den Angeln hängende Tür auf und trat ein. Der Fußboden war aus gestampftem Lehm, die Einrichtung bestand aus grob gezimmerten Bänken und Tischen. Überall lag Staub, es roch nach Schimmel.

Der Mann warf seine Fellbündel auf einen der Tische und schaute sich um. Aus dem Hintergrund des langgestreckten Raumes tauchte eine Gestalt auf: klein, breit, ein Bauch, der das fleckige Hemd fast sprengte, das von breiten, ausgeleierten Hosenträgern in die Schultern gepresst wurde.

„McNott.“

„Hallo, Ackerman.“

„Setz dich.“ Ackerman strich sich über sein spärliches Haar und zauberte hinter einer Latten-Theke eine Flasche und zwei Gläser hervor.

„Ich habe gute Felle mitgebracht“, sagte McNott. „An den Stromschnellen oberhalb von Sand Hills ist das Kanu umgekippt. Ich habe meine letzten Vorräte verloren, aber die Felle sind hier.“

„Du hast immer Glück“, sagte Ackerman.

„Du nicht?“

„Sieh dich doch um. Kein Aas ist mehr hier. Ich kann meinen Whisky allein saufen und meine Vorräte allein auffressen. Davon wird man dick und dämlich, und man tritt auf der Stelle. Der alte Tom ist der einzige, mit dem man noch reden kann.“

„Der Alte am Fluss?“

„Ich glaube, er war nie jung“, sagte Ackerman. „Ich brauche dich, McNott.“ Ackerman beugte sich vor. Seine kleinen Augen glitzerten. „Ich habe noch Geld, McNott, eine Menge. Ich kaufe deine Felle.“

McNott antwortete nicht.

„Ich kaufe noch viel mehr“, fuhr Ackerman fort. „Sag mir, was du von diesem Drecksnest hier hältst.“

„Die Lage ist nicht schlecht“, sagte McNott.

„Die Lage ist ausgezeichnet“, sagte Ackerman. „Der Niobrara mündet in den Missouri. Er hat bis hierhin genug Tiefgang für die Schifffahrt. Sein Bett bleibt ziemlich konstant und verändert sich nicht bei jedem Frühjahrshochwasser. Ich hab’ den alten Tom gefragt. Er weiß es. Er weiß alles. Wenn noch eine vernünftige Straße angelegt wird, wenn ein paar richtige Häuser stehen und einmal in der Woche ein Flussdampfer hier anlegen würde ...“

„Für wen?“

„Ich kriege Leute her“, sagte Ackerman. „Ich kriege alles hierher. Dieses Nest wird eine Großstadt, genau wie New Orleans oder St. Louis. Dazu brauche ich dich.“

„Ich baue keine Städte, John. Ich stelle Fallen und sammle Pelze.“

„Genau das, McNott. An wen verkaufst du normalerweise?“

„Unterschiedlich. Meistens an Händler in St. Louis.“

„Amerikanische Pelzkompanie, wie? Ab jetzt verkaufst du an mich. Du kennst die Hudson Bay Company?“

„Sicher.“

„Haben die Engländer aufgezogen. Große Sache. Sie nehmen Trapper unter Vertrag und kaufen ihnen alle Pelze ab. Sie handeln mit den Rothäuten und stapeln Felle in ihren Lagerhäusern, dass einem die Augen übergehen.“

„Ich weiß“, sagte McNott.

„Hör zu“, sagte Ackerman. „Ich werde es genauso machen. Ich brauche dich, weil du die besten Trapper kennst. Du sollst mit ihnen reden. Sie sollen nicht mehr in St. Louis verkaufen. Sie sollen alle an mich verkaufen. Nur noch an mich. Ich will keine Verträge abschließen wie die Pelzkompanie. Ich will keine prozentmäßige Beteiligung für den Weiterverkauf mit euch aushandeln. Dabei werdet ihr nur übers Ohr gehauen. Ihr verkauft an mich, ich zahle den Preis, und wie ich die Pelze weiterverkaufe, ist allein mein Risiko. Ich biete euch einen höheren Preis, als ihr ihn jetzt erzielt, und ich biete zu günstigen Bedingungen die Ausrüstung, die ihr jedes Jahr braucht, bevor ihr in die Wälder geht. Außerdem ist der Weg zu mir kürzer als der nach St. Louis.“

Er atmete ein paarmal durch, bevor er weitersprach.

„Ich baue hier ein großes Depot mit allen Handelswaren, die ihr für die Wildnis braucht, und Lagerhäuser für die Pelze. Wenn ihr es schafft, die Indianer in den Wäldern dazu zu bringen, die Felle, die sie erbeuten, auch an mich zu verkaufen und nicht mehr an die Engländer, werdet ihr beteiligt. Wir machen alle unseren Schnitt. Ein glattes und faires Geschäft.“

McNott schwieg. Er nahm einen indianischen Tabakbeutel vom Gürtel und stopfte sich eine kurze, selbstgeschnitzte Pfeife.

„Die Idee ist gut, John“, sagte er nach einer Weile. „Ich glaube, dass ich ein paar Trapper an dich vermitteln kann. Aber wir sind Einzelgänger. Das muss draußen in den Wäldern so sein. Wir brauchen keinen Boss über uns.“

„Freie Partnerschaft“, sagte Ackerman. „Keine Verträge. Ich vertraue auf euer Wort und ihr auf meins. Ihr garantiert mir die Felle, ich garantiere euch die Abnahme zu einem höheren Preis, als er in St. Louis geboten wird. Wer gehen will, kann gehen. Und wenn ich auf den Pelzen sitzen bleibe, ist die Sache in einem Jahr ohnehin vorbei, dann bin ich pleite. Aber ihr habt nichts verloren.“

„Das hört sich gut an, John.“

Ackerman blickte McNott in die Augen. Er sagte: „Wir kennen uns seit Jahren. Ich bin einer von euch. Keiner von denen, die euch bloß ausnehmen wollen, weil sie meinen, dass ihr dort oben in den Wäldern nicht wisst, wie es auf der Welt zugeht. Ich bin kein Mann, der in den Wäldern leben könnte, aber ich bin auch keiner von den feinen Schurken, die euch um den Lohn eurer Arbeit betrügen. Ich hab schon immer mit Mountain Men Handel getrieben, und, habe ich euch schon einmal betrogen?“

„Nein, John.“ McNott sog an seiner Pfeife. „Ich bin kein Geschäftsmann. Ich bin Jäger. Bei uns herrschen andere Gesetze. Ich hab mein Leben lang Pelze erjagt und sie verkauft. Ich will einen guten Preis und für mein Geld eine anständige Ausrüstung.“

„Das sollst du alles kriegen“, sagte Ackerman. „Und die anderen auch. Mehr als das. Ihr müsst daran denken, dass ihr eines Tages keine Pelze mehr bekommen könnt. Für die Zeit sollt ihr genug zurücklegen können. Solange in St. Louis die amerikanische Pelzkompanie die Preise diktiert, seid ihr immer die Dummen.“

„Anfangs war die Pelzkompanie in Ordnung“, sagte McNott. „Erst als sie das Geschäft im Griff hatte, wurde es schlimm. Du könntest eines Tages die gleichen Ideen haben, wenn du erst mal alles in der Hand hast.“

„Du kennst mich, McNott. Ich bin Händler, ich will Geld verdienen, aber ich will, dass alle zufrieden sind. Nur so werden die besten Geschäfte gemacht.“

„Gut, John.“ McNott merkte, dass seine Pfeife ausgegangen war. Er zündete sie wieder an, während Ackerman sein Glas leerte und Whisky nachschenkte.

„Ich bin dabei“, sagte McNott.

„Dann werden die anderen auch dabei sein. Wir müssen mindestens ein Dutzend erstklassiger Trapper für den Anfang haben. Dann fängt es an, sich zu lohnen. Es werden automatisch mehr, wenn die Sache läuft.“

„Ich fahre morgen“, sagte McNott. „Vorher will ich was essen, und dann will ich schlafen. Ich habe zwei Tage nicht geschlafen und genauso lange nichts gegessen.“

„Du kriegst alles“, sagte Ackerman. Er sprang eilig auf, beugte sich über den Tisch und grinste. Als er seine Rechte ausstreckte, ergriff McNott die Hand und drückte sie.

„Antilopensteak?“, fragte McNott. „Täglich frisch?“

Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter zur Tür, wo das Schild hing. Ackerman grinste zurück.

„Blödsinn. Ich habe noch keine Antilope gesehen, seit ich hier bin“, sagte Ackerman. „Eine Truthahnkeule kannst du haben. Gestern geschossen.“

„Bring den ganzen Truthahn“, sagte McNott. Er lehnte sich zurück und griff nach seinem Glas. Er nippte daran. Der Whisky war scharf. Er brannte in McNotts Kehle. Er strömte wie Feuer in seinen Magen. Eine wohlige Hitze erfüllte den Trapper. Trägheit nahm von seinem Körper Besitz. Je länger er darüber nachdachte, umso besser gefiel ihm Ackermans Vorschlag. Er kannte Ackerman schon seit Jahren. Er war einer der vielen kleinen Händler, die am Missouri auf und ab zogen und Geschäfte mit Trappern abschlossen, die aber auch mit den Indianern Handel trieben. Ackerman war besonders geschickt. Dass er nicht immer einer der vielen kleinen Trader bleiben würde, war McNott schon früher klar gewesen. Und Ackerman hatte nie betrogen.

2.

McNott wusste, dass ihm jemand folgte, seit er den Niobrara verlassen hatte und mit seinem Kanu auf den Missouri eingeschwenkt war.

Ein Mann auf einem Pferd. Er war allein, und er war unvorsichtig. McNott hatte sein Feuer am Vorabend gesehen. Seitdem war er auf der Hut. Das Land war groß und wild und fast menschenleer. Es gab im Umkreis von hundert Meilen nicht einmal ein dugout, ein Erdloch eines kleinen Präriefarmers. Wenn hier ein Mann einem anderen folgte, hatte das seinen Grund. Es bedeutete meistens nichts Gutes.

McNott lenkte sein Kanu zum Ufer, zog das Paddel aus dem Wasser und erklomm eine mit dichtem Buschwerk bewachsene Böschung, nachdem er sein Kanu am Stamm einer verkrüppelten Kiefer festgezurrt hatte.

McNott hatte sein Gewehr bei sich. Er lief geduckt durch das Unterholz. Seine Bewegungen waren gleitend und geschmeidig. Er verursachte kaum ein Geräusch. Alle fünf Schritte blieb er stehen und lauschte angespannt.

Er war ein Mann der Wildnis. Er lebte in den großen Wäldern. Dort war er allein auf sich angewiesen – und auf seine Fähigkeiten, zu überleben. McNott war über vierzig Jahre alt. Die Hälfte seines Lebens hatte er in der Einsamkeit der großen Wälder zugebracht. Dort war es eine Leistung, so alt zu werden. McNott kannte die Geheimnisse der Wildnis. Hinter einer mächtigen Grannen-Kiefer ging er in die Hocke und spähte über die Ebene westlich des Flusses.

Er wartete. Reglos verharrte er. Er besaß die Geduld des erfahrenen Jägers.

Schließlich sah er den Mann. Er saß auf einem Pinto. Langsam ritt er am Flussufer entlang und blickte starr nach vorn.

Der Mann trug einen Topfhut und einen Staubmantel, der rechts und links von ihm am Sattel hinunter hing wie die Schwingen eines toten Vogels. Er saß ein wenig nach vorn gebeugt im Sattel.

McNott beobachtete jede seiner Bewegungen. Der Mann hatte einen dichten Schnauzbart, dessen Enden weit über die Mundwinkel reichten.

Er näherte sich dem Gehölz und schickte sich an, einen Bogen hierum zu schlagen. Als er McNotts Versteck passiert hatte, erhob der Trapper sich und trat aus dem Schatten der Grannen-Kiefer.

„Hier bin ich“, sagte er.

Das Pferd scheute. Es tänzelte ein wenig, und es dauerte einige Momente, bis der Mann es unter Kontrolle hatte.

„Steig ab“, sagte McNott.

Er richtete sein Kentucky-Gewehr auf den Fremden. Der Mann wurde blass. Er rutschte steifbeinig aus dem Sattel und blieb neben dem Pferd stehen. Der Staubmantel reichte bis zu seinen Knöcheln.

„Sie begehen einen Fehler“, sagte er.

„Wer bist du?“

„Gus Lance.“

„Amerikanische Pelzkompanie?“ Der andere schwieg.

„Seit wann bist du hinter mir her?“

„Ich hab Sie in Lewisville gesehen.“

„Kennst du mich?“

„Sie sind Abe McNott.“

„Was willst du von mir?“

„Nichts.“

McNott hob das Kentucky-Gewehr noch ein Stück an und zielte auf die Brust des anderen.

„Sie begehen einen Fehler“, wiederholte Lance. Seine Stimme klang hell und nervös.

„Fahren Sie nach St. Louis, wie jedes Jahr, und alles ist in Ordnung.“

„Ich habe meine Pelze schon verkauft“, sagte McNott.

„Schade“, sagte Lance. „Jammerschade.“

„Bist du deshalb hinter mir her?“

„Ackerman ist verrückt“, sagte Lance. „Er will zu viel, er weiß nicht, auf was er sich einlässt. Sie hätten besser darüber nachdenken sollen, McNott.“

„Ich habe nachgedacht. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass ich ein freier Mann bin, der mit seinen Pelzen tun und lassen kann, was er will. Du wirst dich auf deinen Gaul setzen und dort hin reiten, wo du hergekommen bist. Sag den Leuten, die dich geschickt haben, dass sie selber Fallen stellen sollen. Anders werden sie keine Pelze mehr kriegen. Nicht von mir, und auch nicht von den anderen. Erst recht nicht, wenn man Halunken wie dich hinter uns herschickt.“

Lance drehte sich um und langte zum Sattelhorn seines Pferdes hoch. McNott ließ das Kentucky-Gewehr sinken, blieb aber wachsam.

„Wenn du das nächstemal einem Mann nachreitest, such dir einen aus, der blind und taub ist. Der nächste könnte schießen, wenn er dich entdeckt, und dann erst Fragen stellen.“

„Danke für den Tipp, Mister McNott.“

Lance schwang sich in den Sattel und drehte sich zur Seite. In seiner rechten Faust lag eine kurzläufige, einschüssige Stiefelpistole mit untenliegendem Hammer. Er hatte sie während des Aufsitzens gezogen, als er McNott halb zugewandt gewesen war.

Sein Schnauzbart schien sich zu sträuben. Lance grinste, ohne dadurch freundlicher zu wirken. Er hatte, eine breite Zahnlücke oben rechts.

„Auf Wiedersehen, McNott“, sagte er.

Als er abdrückte, erstarrte sein Grinsen, denn McNott hatte sich, während Lance aufgestiegen war, zwei Schritte zur Seite bewegt und stand nicht mehr da, wo Lance hinzielte.

McNott sah den orangefarbenen Mündungsblitz und hörte den scharfen Knall des Schusses. Pulverrauch stieg auf und hüllte den Reiter für einen Moment ein.

„Auf Wiedersehen, Lance“, sagte McNott, als er abdrückte.

Lance hockte wie angewurzelt im Sattel und hielt die Pistole noch immer in der Faust. Er blickte McNott fassungslos an, bis das schwere Projektil des Kentucky-Gewehrs ihn aus dem Sattel hob.

Lance kippte nach hinten. Das Pferd scheute. Lance war tot, noch bevor er im Gras aufschlug. In verrenkter Haltung blieb er liegen.

Abe McNott stellte das Kentucky-Gewehr auf den Boden, nahm das Pulverhorn vom Gürtel und lud die Waffe nach. Er trug vorbereitete, in gefettete Schusspflaster gebettete Kugeln in einer Zinnschachtel bei sich und stopfte eine davon mit dem Ladestock in den Lauf. Zum Schluss füllte er Pulver in die Pfanne und klappte das Schloss zu. Dann erst beugte er sich über Lance.

McNott seufzte. Er drehte sich um und ging zum Fluss zurück. Aus seinem Kanu holte er einen kurzen Spaten. Damit kehrte er zu dem Toten zurück und begann, neben der Grannen-Kiefer ein Grab auszuheben.

Die Sonne stieg höher. Es wurde sehr heiß. McNott schwitzte. Er stampfte die Erde über dem Toten fest und ging dann zu Lances Pferd. Er nahm den Sattel und schleppte ihn zum Ufer. Hier warf er ihn in den Fluss. Dem Pferd versetzte er einen Schlag auf die Kruppe und sah ihm nach, als es in die Prärie hinausgaloppierte.

McNott kehrte zu seinem Kanu zurück. Er hatte sich bis zu dem Augenblick, da er den Verfolger bemerkt hatte, noch nicht den Kopf darüber zerbrochen, welche Folgen die Idee Ackermans hatte. Jetzt fragte er sich, ob es für ihn das Risiko wert war, diese Sache zu betreiben. Er konnte diese Frage nicht beantworten, noch nicht. Aber das war auch gar nicht so wichtig: McNott war Schotte von Geburt. Er hatte einen angeborenen Dickschädel. Wer versuchte, ihn einzuschüchtern oder zu etwas zu zwingen, erreichte meistens das Gegenteil. Die Tatsache, dass ihm ein Mann gefolgt war, der ihn hatte zwingen wollen, seine Verbindung mit Ackerman platzen zu lassen, genügte, um nun erst recht auf seinem Entschluss zu beharren. Außerdem versprach er sich Vorteile. Und er hatte sein Wort gegeben.

McNott kletterte in sein Boot und stieß es vom Ufer ab. Er lenkte es bis zur Mitte des Stromes hinaus, wo es von der kräftigen Strömung erfasst wurde und er das Paddel nur noch zum Steuern benötigte.

*

Er hörte die Musik, das Lachen und den Lärm, und er sah die Feuer schon aus großer Entfernung. Abe McNott sah eine Sandbank vor sich auftauchen und schätzte, dass dort über fünfzig Kanus lagen. Er fühlte eine wachsende Erregung in sich, als er das Zeltlager sah und die rauen Stimmen der Männer hörte.

Sie trafen sich Jahr für Jahr hier, wenn sie aus den Bergen kamen, aus den Wäldern: die Fallensteller, Trapper und Mountain Men. Zwei Meilen vor St. Louis. Einige waren auf Maultieren her geritten, viele waren hunderte von Meilen zu Fuß gegangen, Fellbündel von zweihundert Pfund Gewicht und mehr auf dem Rücken mit sich schleppend. Andere hatten das Kanu benutzt, genau wie McNott. Sie waren den Platte-Fluss heruntergefahren oder den Niobrara. Die meisten trafen sich jedes Jahr hier, manche aber verließen nur alle zwei oder drei Jahre mit ihrer Beute die Einsamkeit, und viele davon hatten in der ganzen Zeit keine Menschenseele zu Gesicht bekommen und außer ihrer eigenen Stimme nur die Laute der Tiere gehört.

McNott kannte sie fast alle, und sie kannten ihn. Als er sein Kanu festgemacht und die Sandbank verlassen hatte, blieb er stehen. An einem der Feuer stand ein Mann und spielte auf einer Mundharmonika. Ein paar andere Männer hielten sich an den Händen und vollführten einen wilden Tanz. Sie lachten und schrien, hatten offenbar getrunken und schwenkten ihre Hüte.

Bei einem der Zelte unweit des Flusses hockte ein Mann, der so breit war wie hoch. Er trug wie McNott einen Hirschlederanzug. Auf dem Kopf hatte er eine rote Wollmütze.

Man nannte ihn La Tulipe, die Tulpe. Niemand wusste warum. Seinen richtigen Namen kannte keiner, vermutlich nicht einmal er selbst. Er war Franzose. Vor Jahren hatte er für die Hudson Bay Company gearbeitet und verkaufte seine Felle nun selbständig.

McNott ging zu ihm hinüber und hockte sich neben ihn.

„Hast du einen Schluck für mich?“

Tulipe sprang auf. „McNott!“ rief er. „Ich warte seit drei Tagen auf dich! Du bist spät dran.“

„Ich wurde aufgehalten.“ McNott nahm ihm die Flasche aus der Hand, setzte sie an den Mund und trank. Er musste sich beherrschen. Er spürte, wie die eiserne Selbstkontrolle, der er sich draußen in der Wildnis unterwarf, nach und nach von ihm abfiel. Er verspürte den Wunsch, sich sinnlos zu betrinken, nach St. Louis weiterzufahren, sich eine Frau zu suchen und einen Monat lang wilde Orgien zu feiern. Das Geld dazu hatte er. Ackerman hatte gut bezahlt.

„He, McNott ist wieder da!“, schrie Tulipe. Von den anderen Feuern näherten sich ein paar Männer. Sie drückten McNott die Hand.