Dietmar Kueglers Westwind 03: Der Sohn der Wildnis - Dietmar Kuegler - E-Book

Dietmar Kueglers Westwind 03: Der Sohn der Wildnis E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Die Armee verspricht Frieden, daher lässt sich der Cheyenne-Häuptling Kaliko von Abe McNott überzeugen, das große Council in Fort Laramie zu besuchen. Noch während an den Ratsfeuern über einen Vertrag verhandelt wird, beginnt im Land der Indianer bereits der Bau von neuen Forts. Die großen Trecks nach Westen sind unterwegs, um das Land des roten Mannes in Besitz zu nehmen. Auf große Hoffnung folgt Betrug. Am Ende steht nicht Frieden, sondern Krieg.Die Printausgabe umfasst 138 Buchseiten.

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WESTWIND

In dieser Reihe bisher erschienen

2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous

2303 Der Sohn der Wildnis

2304 Im Banne des Donnervogels

Dietmar Kuegler

Der Sohn der Wildnis

Westwind - Band 3

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-093-2Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

In der Luft war Rauch. Der Mann, der nach Indianerart im Birkenrindenkanu kniete, zog das Paddel ein. Er hob den Kopf. Der Rauch trieb mit dem Wind von Westen heran. Das Feuer befand sich flussaufwärts.

Mit aufmerksamen Blicken suchte der Mann die Ufer des Big Horn River ab. Sie waren teils kahl, teils mit dichtem Buschwerk besetzt, teils steinig und schroff.

Das Kanu drehte sich. Der Mann tauchte rasch das ­Paddel wieder ins Wasser und lenkte das leichte, schlanke Boot zurück in die Strommitte. Er war ein untersetzter, breitschultriger Mann. Von Kopf bis Fuß war er in Hirschleder gekleidet. Auf dem Kopf trug er eine Biberpelzkappe, unter der lang, strähnig und verfilzt das Haar hervorquoll, während sein Gesicht in monatealtem Bartgestrüpp fast unterging.

Sein Name war McNott. Er war ein Mann der Wildnis, ein Fallensteller, dessen Wiege in Schottland gestanden hatte. Das war lange her. Er erinnerte sich kaum noch, wie er in den Westen gekommen war, wo er sein Schicksal gefunden hatte.

Der Rauch wurde stärker. Es war kein Indianerfeuer. McNott ruderte langsamer. Er war einer der wenigen weißen Männer so tief im Nordwesten. Die Anwesenheit anderer Weißer bedeutete zunächst immer Gefahr.

Abenddämmerung sank über den Fluss. Der Himmel hing tief. Der Wind trieb das gelbbraune und rostrote Laub von den Bäumen. McNott konnte den nahenden Winter bereits spüren.

Plötzlich sah er das Feuer. Es befand sich ein Stück oberhalb des Big Horn-Flusses. Daneben hatten sich zwei Männer niedergelassen. Im Schatten des Gehölzes standen zwei Pferde und drei Maultiere.

McNott blieb wachsam. Die Strömung wurde stärker. Das Kanu glitt schneller dahin.

Die Männer am Ufer entdeckten ihn. Einer richtete sich auf und schritt zum Ufer hinunter. Er trug einen formlosen, gefütterten Mantel und eine Wollmütze.

„Hallo, Kanu!“, rief er.

McNott zog das Paddel ein. Er hielt sich in der Flussmitte.

„Trapper?“, rief der Mann vom Ufer.

„Ja“, antwortete McNott. „Händler?“

„Richtig.“

„Ihr seid zu weit östlich“, sagte McNott. „Die ­Cheyenne sind weiter im Westen und im Norden die Sioux und Arapaho.“

„Du kennst dich gut aus.“

„Ich bin nicht erst seit gestern hier.“

„Komm an Land. Wir haben frischen Kaffee.“

„Ich muss weiter.“ McNott tauchte das Paddel kräftig ein. Der Mann hatte gelogen. Sie waren keine Händler. Die Männer wussten nichts über den Aufenthalt der Indianerstämme dieses Gebiets. Sie hatten keine Waren bei sich. Der Himmel mochte wissen, was sie im Schilde führten.

Irgendetwas warnte McNott. Er hatte die Männer nie zuvor gesehen, aber es trieb sich seit einigen Jahren viel zwielichtiges Gesindel in den Bergen und Wäldern herum.

Mit kräftigen Paddelstößen trieb er das Kanu weiter. Da krachte es plötzlich hinter ihm.

McNott spürte einen sengenden Schmerz über seiner linken Schulter. Es krachte wieder. Ein Ruck erschütterte das Kanu. McNott ließ sich geistesgegenwärtig nach vorn in den Bootsrumpf fallen. Das Kanu schlingerte. McNott blickte zurück und sah die beiden Männer am Flussufer stehen. Sie hatten ihre Gewehre angelegt und feuerten.

McNott wälzte sich herum und zog die Kentucky Rifle dicht zu sich heran. Er zählte die Schüsse. Es waren vier. Der letzte traf das Heck des Kanus und fetzte ein breites Stück aus dem hölzernen Rahmen. Wasser plätscherte in den Rumpf. McNott registrierte, wie es rings um ihn stieg. Jetzt war es still. McNott fuhr im Kanu hoch. Das Boot schaukelte, aber als McNott kniete, lag das Kanu still im Wasser.

Die Männer luden ihre Gewehre und Pistolen.

McNott hob seine Kentucky Rifle an die Schulter, zielte kurz und feuerte.

Einer der Männer am Ufer wurde von dem 69er Geschoß getroffen. Er ließ sein Gewehr und den Ladestock fallen, hob die Arme, als wolle er sich an einem unsichtbaren Balken festhalten, und stürzte nach hinten.

McNott legte das Gewehr auf die beiden Fellbündel im Heck des Bootes. Auf den Boden konnte er es bereits nicht mehr legen: Das Wasser stand schon drei Zoll hoch. McNott griff nach dem Paddel, stieß es kräftig ins Wasser und steuerte das Kanu zum Ufer hin.

McNott sah, dass der zweite Mann sich nicht um den anderen kümmerte, den er getroffen hatte. Er hatte sein Gewehr geladen, legte es an und zielte.

McNott duckte sich tief. Er meinte, das Zischen der Kugel zu hören, als sie an ihm vorbeistrich. Der Mann am Ufer riss seine langläufige Reiterpistole hoch und schoss zum zweiten Mal. Die Kugel durchschlug die Rinde des Bootes. Weiteres Wasser drang in den Rumpf ein.

McNott schätzte die Entfernung bis zum Ufer. Noch fast fünfzehn Yards. Das war zu weit. Das schaffte er nicht. Das Kanu nahm immer mehr Wasser auf. Es sank schnell, und es war immer schwerer zu manövrieren. McNott ließ das Paddel fallen, griff nach seinem Gewehr und hob es hoch über den Kopf. Er richtete sich auf und sprang vom Kanu aus ins Wasser.

Er befand sich bereits in seichtem Gewässer, sank aber bis zu den Hüften ein. Das Gewehr hoch erhoben, watete er zum Ufer.

Hinter ihm bekam das Kanu Schlagseite und lief endgültig voll Wasser. Es versank mitsamt den beiden Fellbündeln, die McNott sorgfältig verschnürt und mit sich geführt hatte.

McNott strauchelte, hielt sich mühsam auf den Beinen, war vor allem besorgt, dass das Gewehr und sein Pulverhorn nass würden, und erreichte keuchend die ­Uferböschung. Er kämpfte sich hoch, rutschte oben aus und sank auf die Knie.

Nur einen Moment lang dachte er an die Felle, die er verloren hatte. Dann konzentrierte er sich auf die ­Situation: Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum die Fremden auf ihn geschossen hatten. Er wusste nur, dass er um sein Leben kämpfen musste.

McNott blieb auf den Knien liegen, füllte Pulver in den Lauf der Rifle, schob eine Kugel in einem sorgfältig gefette­ten Schusspflaster nach und stopfte die Ladung kräftig in den Lauf hinunter. Er schüttete etwas Pulver auf die Pfanne. Erst dann richtete er sich auf. Geduckt erklomm er die Böschung und verhielt hinter einem Felsblock oberhalb des Flusses. Von hier aus lauschte er nach vorn. Die Dämmerung verdichtete sich. Die Sonne versank hinter den Bergen und Wäldern im Westen. Sie war kaum mehr als ein trüber, rötlicher Fleck.

McNott glitt in das Waldland oberhalb des Flusses. Seine Sinne waren gespannt. Die Wildnis war seine Welt. Hier gab es nichts, was er nicht kannte. Er unterschied jedes Geräusch, jede Bewegung. Er wusste, was Gefahr bedeutete und was nicht.

Er bewegte sich in Richtung auf das Lager der beiden Fremden. In den Wipfeln rauschte der Wind. Unter ihm gurgelte der Fluss. McNott verdrängte alles, was ihn hätte ablenken können. Wer in der Wildnis überleben wollte, musste imstande sein, alle Zweifel, Überlegungen und Befürchtungen seinem Instinkt unterzuordnen.

Er hatte ein feines Gespür dafür entwickelt, wie er sich in gefährlichen Situationen zu verhalten hatte. Schattengleich bewegte er sich voran, bis er den Geruch des Feuers wieder wahrnehmen konnte. Da er jetzt den Wind im Rücken hatte, bedeutete das, dass er dem Feuer bereits sehr nahe sein musste. Er ging in die Knie. Der rechte Zeigefinger lag am Abzug der Kentucky Rifle. Langsam schob er sich weiter.

Er konnte das Feuer nur noch riechen, nicht mehr sehen. Vermutlich hatte der unverletzt gebliebene Mann die Glut zertreten. Das war geschickt, obwohl McNott nicht den Eindruck hatte, dass die beiden Fremden sehr viel vom Leben in der Wildnis wussten.

McNott lauschte angespannt. Er hörte das Röcheln eines Menschen. Es ging in ein klagendes Wimmern über. Der Mann, den er getroffen hatte, lebte also noch.

„Sei still!“, hörte er jemanden sagen. „Er ist in der Nähe. Wenn ich nicht aufpasse, erwischt er mich auch noch. Er wird überall erzählen, dass er uns gesehen hat.“

Der andere stöhnte durchdringend. Dann eine brüchige Stimme: „Ich halte es nicht aus ...“

„Du musst!“ Das war der zweite Mann. „Sonst bringe ich dich endgültig um.“

Pferde schnaubten. McNott kroch jetzt fast auf allen vieren. Obwohl der Baumbestand vor ihm noch dicht war, wusste er bereits, dass er gleich auf die Lichtung oberhalb des Flusses stoßen würde. Er sah plötzlich die Pferde vor sich. Der Verletzte saß im Sattel. Der andere band ihn mit einem Lederriemen daran fest.

„Nicht so eilig“, sagte McNott. Er tauchte halb aus dem Unterholz auf.

Der Mann neben den Pferden reagierte sofort. Er fuhr gedankenschnell herum. McNott sah die langläufige Pistole in seiner Faust.

Eine rötliche Pulverwolke schmauchte auf. Es krachte. McNott warf sich geistesgegenwärtig rücklings ins Unterholz zurück. Direkt vor ihm klatschte die Kugel in einen Baumstamm und zerfetzte die Rinde. Holzsplitter trafen McNott im Gesicht. Er schloss die Augen. Die Haut, die von den Splittern getroffen worden war, brannte.

McNott vernahm einen klagenden Schrei. Er stemmte sich hoch und sah noch, wie das Pferd mit dem Verletzten auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung ins Unterholz eintauchte. Dahinter trotteten die Maultiere.

McNott hob die Kentucky Rifle und feuerte.

Der zweite Mann hatte sich flach auf den Pferdehals geworfen. Die Kugel strich über ihn hinweg. McNott sprang auf und stürmte hinterher. Er tat einen Satz über die erloschene Feuerstelle. Doch bevor er den anderen einholte, war der ebenfalls in den Wald geritten.

Aus der Düsternis des Unterholzes krachte es. McNott zog den Kopf ein. Die Kugel riss über ihm mehrere Zweige ab und blieb in einem Baum stecken.

McNott blieb stehen. Er hörte, wie das Hufgeräusch sich entfernte. Es war sinnlos, den Männern jetzt zu folgen. Die fortschreitende Dunkelheit sorgte für zu viele Unwägbarkeiten und Risiken. McNott kehrte um. Er kehrte zu dem Platz zurück, wo er an Land gewatet war. Nachdem er nach allen Seiten gesichert hatte, legte er sein Gewehr zu Boden, tappte ins Wasser und versuchte, die Stelle zu erreichen, wo das Kanu versunken war.

Es war im Grunde schon zu dunkel, aber McNott arbeitete verbissen. Er stieß nach einigem Suchen, die ­ganze Zeit über bis über die Hüften im Wasser stehend, auf das versunkene Boot. Dreimal tauchte er unter und versuchte, das Kanu hochzuzerren. Es war schwer. Seine Fäuste rutschten jedes Mal an der glatten Außenhaut ab. Aber McNott war zäh. Ausdauer war etwas, was er sich früh hatte aneignen müssen, um in der Wildnis bestehen zu können. Erschöpft, mit schmerzenden Muskeln und durchgefroren bis auf die Knochen, dazu nass wie ein Biber, zerrte er das Kanu bis ins seichte Wasser und schließlich auf die Böschung.

Nach Atem ringend blieb er daneben sitzen. Die Sonne war untergegangen. Ein halber Mond stand über den Bergen und verwandelte den Big Horn River in einen Strom aus Silber.

McNott untersuchte die Beschädigungen am Bootskörper. Es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, sie zu reparieren. McNott war zu müde, zu abgekämpft, um noch Zorn zu empfinden. Er zog die nassen Sachen aus und trocknete sich ab. Die Nächte waren bereits recht frisch. Trotzdem fachte er kein Feuer an. Er nahm die Fellbündel aus dem Boot, schnürte sie zusammen und wickelte sich in eine Decke. Er legte sich neben den Fellen nieder.

Ihm drohte im Augenblick keine Gefahr mehr, da war er ganz sicher. Nach wie vor verstand er nicht, warum die Fremden versucht hatten, ihn umzubringen. Er dachte über das nach, was er gehört hatte: Er sollte keine Gelegenheit haben, zu erzählen, dass er die Männer getroffen hatte. Aber er kannte sie nicht – und er wusste nicht, wem er etwas erzählen konnte.

McNott schlief ein.

*

Erst hatte er die Schreie der Aasvögel gehört, dann nahm er die schwachen Geräusche wahr, die von den kleinen Tieren des Waldes verursacht wurden, wenn sie in Aufregung waren, das vielfältige unterschiedliche Rascheln, Knistern und Knacken. Er wusste, dass der Tod nahe war. Doch es vergingen noch fast fünf Minuten, bis er auf den Toten stieß.

Der Mann lag seitlich im Moos. Er war wächsern bleich. Die Augen standen weit offen. Es war der Mann, den McNott am Vorabend angeschossen hatte. McNott setzte die schweren Fellbündel ab, die er auf dem Rücken trug. Er beugte sich über den Toten. Der Anblick machte ihn betroffen. McNott zog den gefütterten Wollmantel zur Seite und sah den Verband an der linken Schulter. Der Verband bestand aus einem zerfetzten Hemd. Der Stoff war durchblutet und völlig verkrustet.

Das Gesicht des Mannes war von tiefen Falten durchkerbt und eingefallen. Die Wangenknochen standen unnatürlich vor. Der Mund war geöffnet. McNott schob die Rechte vor und drückte dem Toten die Augen zu. Seine Kugel hatte ihn nur an der Schulter verletzt. Vermutlich hatte er eine Menge Blut verloren, und die überstürzte Flucht hatte ihm den Rest gegeben. McNott ging an dem Toten vorbei und untersuchte die Spuren. Danach hockte er sich neben die Leiche. Der Mann war offenbar nicht tot aus dem Sattel gestürzt, er war erst hier, wo er jetzt lag, gestorben. Alles deutete darauf hin, dass er allein auf sein jämmerliches Ende gewartet hatte.

Der zweite Mann hatte sich nicht aufgehalten. Er hatte anscheinend nicht einmal nachgesehen, ob sein Partner wirklich tot war. Es gab keine Spuren, die darauf schließen ließen, dass er abgestiegen war, um sich um den Gestürzten zu kümmern.

Anscheinend war der Lederriemen, mit dem der Mann am Sattel festgebunden gewesen war, gerissen. Der Mann war gestürzt, und der andere war einfach ohne Aufenthalt weitergeritten, in der Annahme, der Partner sei tot.

Er war aber nicht tot gewesen. In seinen Händen, die zusammengekrampft waren, befanden sich Moos und Erde. Der Mann hatte sich gequält. Vielleicht hätte ihm geholfen werden können.

McNott war nicht besonders zart besaitet. Niemand war das, der sein Leben lang in der Wildnis zugebracht und Tag für Tag dem Tod ins Auge gesehen hatte. Der oft gezwungen gewesen war, zu kämpfen und zu töten und der selbst mehrmals fast umgekommen wäre. Wer sich in Gefahr begab, musste damit rechnen, getötet zu werden.

Was er nie verstanden hatte, war das sinnlose Töten und Sterben.

Er hatte seine Frau und sein Kind verloren, als weiße Soldaten das kleine Cheyenne-Dorf niedergemetzelt hatten, in dem er gelebt hatte. Das war Jahre her. Trotzdem konnte er es nicht vergessen, und verstehen konnte er es schon gar nicht. Ebenso wenig wie er verstehen konnte, dass manche Jäger ganze Gebiete leerjagten und die Biber und anderen pelztragenden Tiere, von denen er und andere Trapper lebten, restlos ausrotteten.

Der Mann vor ihm hätte noch leben können. Nach den Wortfetzen, die er am gestrigen Abend aufgeschnappt hatte, war ihm klar, dass der Mann nicht hatte am Leben bleiben dürfen. Weil er vielleicht etwas hätte erzählen können, was besser ungesagt blieb.

McNott begriff es trotzdem nicht. Es gab so viele Dinge, die er nicht verstand. Wenn er zurückblickte, wenn er daran dachte, wie schnell und rücksichtslos die neue Zeit, die Zeit der Pioniere, die das Land erobern und sich untertan machen wollten, in den letzten Jahren in den Westen gekommen war und Gebiete erfasst hatte, in denen er noch vor zehn Jahren der einzige weiße Mann gewesen war, fühlte er eine gewisse Melancholie.

Er hatte wenig Hoffnung, dass jene Männer, die in letzter Zeit durch die Wildnis zogen und offenbar weder Händler noch Jäger waren, Gutes im Schilde führten. Das Verhalten der bei- den Fremden ließ kaum andere Schlüsse zu. Trotzdem fragte McNott sich, weshalb der andere Mann sogar seinen Partner im Stich gelassen hatte, um unbehelligt verschwinden zu können. Es musste einen triftigen Grund geben.

McNott konnte sich keinen vorstellen. Das Gebiet am Big Horn Fluss war zu nichts anderem gut als zur Jagd. Deshalb war er hier. Hier gab es weit und breit keine weiße Ansiedlung. Keine Farmer, keine Holzfäller, nicht einmal einen Trading Post. Das Gebiet eignete sich nicht zur Ansiedlung von Farmern. Die großen Trecks, die nach ­Kalifornien und Oregon zogen, bewegten sich weiter südlich. McNott fragte sich, was hier von so großer Wichtigkeit war, dass man ihn hatte töten wollen und ein anderer Mann sein Leben hatte lassen müssen.

McNott richtete sich auf. Er trug Reisig herbei und bedeckte den Toten, so gut es ging. Eine andere Möglichkeit hatte er nicht. Er besaß keine Werkzeuge, um eine Grube auszuheben, und es gab nur wenige Steine in der Nähe.

McNott schleppte einige kopfgroße Brocken heran, als er die Leiche mit Zweigen und Laub geschützt hatte, und legte die Steine zusätzlich darüber. Trotzdem machte er sich keine Illusionen: Irgendwann würden die Wölfe kommen.

McNott lud sich die Fellbündel wieder auf den Rücken. Er konnte sich nicht länger aufhalten. Die Sonne stieg. Es wurde sehr warm unter dem Laubdach. McNott schritt kräftig aus. Er hielt seine Kentucky Rifle mit der Rechten am Lauf gepackt und schleifte sie hinter sich her. Irgendwann erreichte er wieder das Ufer des Flusses und folgte dessen Verlauf.

*

Er wusste, dass das Land wildreich war. Aber er hatte seit zwei Tagen nicht einmal ein Präriehuhn zu Gesicht bekommen. Seine Vorräte waren aufgebraucht. Schon lange. Den letzten Rest hatte er zurücklassen müssen, als er vor dem Trapper geflüchtet war.

Die Mulis, die er mit sich führte, trugen nur noch Geräte, Decken und das Zelt.

Dale Carlyle hatte am Vortag noch einen Rest Trocken­fleisch gehabt und sich eine Menge wilder Erdbeeren suchen können. Aber auch Beeren gab es nicht mehr. Nur noch Dornengestrüpp.