Dietmar Kueglers Westwind 04: Im Banne des Donnervogels - Dietmar Kuegler - E-Book

Dietmar Kueglers Westwind 04: Im Banne des Donnervogels E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Der Sonnentanz, die machtvollste religiöse Zeremonie der Plains-Indianer, soll dem Stamm der Crow Jagd- und Kriegsglück bringen. Doch während des Rituals greifen Krieger der Pawnee an und rauben die bedeutendste Stammesmedizin der Crow, das Kriegshemd des Häuptlings Bear Chief. Wenn dieses Hemd nicht wiederbeschafft werden kann, so glauben die Crow, sind sie dem Untergang geweiht.Der Trapper Abe McNott verspricht Bear Chief, das wertvolle Gewand zurückzuholen.Die Printausgabe umfasst 136 Buchseiten.

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Seitenzahl: 146

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WESTWIND

In dieser Reihe bisher erschienen

2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous

2303 Der Sohn der Wildnis

2304 Im Banne des Donnervogels

Dietmar Kuegler

Im Banne des Donnervogels

Westwind - Band 4

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-094-9Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

Als die Sonne den Zenit erreicht hatte und wie eine lodernde Fackel am Himmel stand, schritt Bear Chief den Hang hinauf. Bis auf einen Lendenschurz war er nackt. Er hatte gefastet. Ein Gefühl beschwingter Taubheit hatte seine Glieder ergriffen. In ihm war eine große Leichtigkeit, obwohl er wusste, dass ihn Furchtbares erwartete. Die Trommeln dröhnten und brachen jäh ab, als er das weite Rund auf der Anhöhe betrat. Die Luft kochte.

Bear Chief blieb in der Mitte des Runds stehen. Am Boden lagen zwei Büffelschädel. Bear Chief beachtete sie nicht. Er blickte in die Sonne, bis er schwarze Flecken sah.

Das Trommeln setzte wieder ein. Red Eagle löste sich aus der Reihe der Krieger. Sein Messer blinkte wie Erz. Er ging auf Bear Chief zu, der ihm mit starrem Blick entgegensah. Bear Chief zuckte nicht einmal. Laute, kehlige Schreie ertönten von den Kriegern am Rande des Tanzplatzes.

Red Eagle hatte die spitzen Stöcke mit den Leder­riemen vom Boden aufgehoben. Am Ende der Riemen hingen die ausgebleichten Büffelschädel.

Bear Chief hatte sein Gesicht wieder der Sonne zugewandt. Er starrte in die gleißende Glut, bis er fast blind war und meinte, Feuer im Kopf zu haben. Das Geschrei der anderen Krieger steigerte sich noch. Die Trommeln brausten geradezu.

Die Messerklinge schlitzte Bear Chiefs Brust auf. Blut quoll hervor. Red Eagle stieß die spitzen Stöcke durch die Öffnungen in der Haut. Das Blut von Bear Chief strömte über seine Hände. Red Eagle trat zurück. Die Stöcke verkeilten die Riemen in den Schlitzen der Brusthaut.

Bear Chief begann zu singen. Seine Stimme klang heiser, wurde aber mit jedem Wort kräftiger. Er flehte die Götter der Sonne an, ihm die Schmerzen zu nehmen, ihm Kraft zu geben, ihn mit ihrem Geist zu erfüllen. Dann begann er den Sonnentanz. Er bewegte sich stampfend im Kreis, Rasseln schwingend, singend. Die Lederriemen strafften sich. Er schleifte die Büffelschädel hinter sich her. Bear Chief spürte es nicht, nachdem der Schmerz ihn zunächst beinahe überwältigt hatte. Er tanzte wie in einem Rausch. In seinem Kopf waren bunte, verschwommene Bilder. Bear Chief glaubte, von weichen Armen aufgehoben und fortgetragen zu werden, während er tanzte und tanzte. Er merkte kaum, dass seine Kraft nachließ, je länger er tanzte.

Es dauerte lange. Er war stark. Seine Haut hielt eine Menge aus. Er schleppte sich nur noch über den sandigen Platz, dessen Boden von tiefen Schleifspuren und Blut gezeichnet war. Bear Chief taumelte. Seine Bewegungen wurden ruckartiger.

Da zerfetzte der erste Hautstreifen. Der Lederriemen mit dem spitzen Stock wirbelte durch die Luft. Der Büffelschädel blieb liegen. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der anderen Krieger.

Bear Chief aber tanzte weiter. Sein Gesang wurde jetzt leiser und abgehackter. Die Worte waren kaum noch zu verstehen. Seine Haut aber wollte und wollte nicht reißen. Wie ein Tonnengewicht hing der bleiche Büffelschädel an ihm. Er bekam kaum noch die Füße hoch.

Atemlose Spannung lag über dem Tanzplatz. Am Rande trat der Medizinmann nach vorn. Er war von Kopf bis Fuß mit Erdfarben bemalt, hielt eine Rassel und einen Adlerfederfächer in den Händen. Auf dem Kopf trug er eine Vogelhaube. Er reckte die Arme beschwörend in die Höhe. Da riss der zweite Hautstreifen. Der Büffelschädel blieb liegen. Bear Chief torkelte weiter. Sein kräftiger Körper wirkte ausgelaugt, seine hohe Gestalt war verkrümmt. Er bewegte sich in Trance weiter, als sei es seinen Füßen unmöglich, anzuhalten, als gäbe es eine unsichtbare Kraft, die ihn weiter trieb.

Plötzlich blieb er stehen, schwankte und stürzte auf die Seite. Das Dröhnen der Trommeln brach ab.

Dafür war jetzt der Gesang des Medizinmannes zu hören. Mehrere Krieger liefen auf den Platz und hoben Bear Chief auf. Seine Muskeln waren so verhärtet, dass er steif wie ein Brett war. Der Medizinmann strich mit dem Adlerfächer über ihn.

Sie trugen ihn zum Bach hinunter und legten ihn in den Schatten. Seine Haut brannte wie Feuer. Er fieberte. Mit glasigen Augen starrte er die Krieger an. Aber er sah sie nicht.

„Bear Chief ist ein großer Krieger!“, rief der Medizinmann. „Er hat den Tanz der Sonne getanzt und die bösen Geister bezwungen. Er hat dem ganzen Stamm ein großes Opfer gebracht.“

Einige Krieger warfen frisches Reisig in das Feuer, das während des Sonnentanzes fast niedergebrannt war. Die Flammen loderten hoch auf, und die anderen Krieger begannen jetzt ebenfalls zu tanzen. Eintöniger Gesang ertönte. Stampfend und schreiend bewegten sie sich im Kreis.

*

Er sah die Schatten im Uferdickicht des Yellowstone und wusste, dass er in Gefahr war.

McNott zog das Paddel ein und wandte den Kopf zu seinem Sohn um, der hinter ihm in dem leichten Birkenrindenkanu saß.

„Duck dich tief ins Kanu“, sagte er.

Young Tree fragte nicht. Er wusste, dass sein Vater nichts von ihm verlangte, was sinnlos war. Er legte sorgfältig das Paddel auf den Boden des Kanus und kauerte sich dann zusammengekrümmt ins Heck, sodass er gerade noch über den Kanurand blicken konnte.

McNott blieb in seiner halb knienden, halb hockenden Haltung, die es ihm ermöglichte, ohne große Anstrengung das Paddel in gleichmäßigen Bewegungen zu gebrauchen, rechts und links ins Wasser einzutauchen und das Kanu voranzutreiben und zu dirigieren. Er war ein mittelgroßer, ungemein kräftiger Mann mit sehr breiten Schultern. Ein dichter, verfilzter Vollbart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts. Der Rest war von der Sonne der Prärien fast zu Leder gebrannt worden. Buschige Brauen wölbten sich über hellen Augen, in denen sich die Weite des Landes spiegelte. Unter der Biberpelzmütze quoll langes Haar hervor.

Abe McNott war Schotte von Geburt. Viel mehr wusste er über seine Herkunft nicht. Wann er das heimatliche Hochland verlassen hatte und in die Wildnis des amerikanischen Westens gezogen war, hatte er längst vergessen, so lange lebte er bereits hier.

Hier war ihm jeder Baum, jeder Stein vertraut. Er verstand das Murmeln und Plätschern der Flüsse und Bäche und die Stimme des Windes. Er hatte viele Sommer und Winter vorüberziehen sehen und war immer tiefer mit diesem wilden Land verwurzelt, in dem er so frei war wie sonst nirgends auf der Welt.

McNott tauchte das Paddel wieder ein. Die Strömung des Yellowstone war stark. Er durfte nicht zulassen, dass sie sich des leichten Kanus bemächtigte. Vorher hatte er seine langläufige Kentucky Rifle näher an sich herangezogen. Die Schatten waren noch immer da. Obwohl das Uferdickicht sehr dicht war, konnte McNott sie wahrnehmen. Seine Augen waren in den vielen Jahren des harten Lebens hier im Westen schärfer geworden, ebenso wie seine Ohren und seine übrigen Sinne. Er kannte alle Geheimnisse, jedes Geräusch. Er erkannte Gefahren, die noch weit entfernt waren, frühzeitig genug, um sich darauf einstellen zu können.

Die gegenwärtige Gefahr war nahe. Obwohl die Schemen im Gehölz unwirklich erschienen, wusste er, dass sie nichts mit den Pflanzen oder dem Spiel des Sonnenlichts zu tun hatten. Er befand sich bereits auf dem Gebiet der Crow. Aber er wusste, dass er noch weit von deren Dörfern entfernt war. Unvermittelt vernahm er ein feines ­Sirren in der Luft. Er reagierte sofort und ließ sich nach vorn ins Kanu fallen. Seitlich von seinem Kopf bohrte sich ein Pfeil in den Bootsrand. Es gab einen unangenehmen, ploppenden Laut. Das gefiederte Ende vibrierte. McNott rührte sich nicht. Der nächste Pfeil war bereits unterwegs, glitt über das Kanu hinweg und stieß ins Wasser.

McNott spähte über den Kanurand und sah jetzt mehrere halb nackte Krieger am Ufer. Sie wateten ins Wasser. McNott richtete sich ruckartig auf, tauchte das Paddel tief ein und versetzte das Kanu mit wenigen, kräftigen Schlägen in schnellere Bewegungen. Als die nächsten Pfeile durch die Luft sirrten, lag er bereits wieder in Deckung.

„Pawnee“, raunte er nach hinten zu Young Tree.

„Aber wir sind im Gebiet der Crow.“

„Das ist ein böses Zeichen.“

McNott umklammerte den Kolbenhals seines Gewehrs. Er hatte oft mit Indianern gekämpft. Es gab immer Stämme, bei denen selbst Männer wie er unwillkommen waren, die versuchten, ihn reinzulegen. Er mochte die Pawnee nicht. Sie lagen in alter Fehde mit vielen Stämmen, zu denen McNott freundschaftliche Beziehungen hatte. Sie wussten das, und manche der Pawneeführer behandelten ihn wie einen Feind, obwohl er auch schon mit ihnen Handel getrieben und Verhandlungen für sie geführt hatte. Es war kein Verlass auf sie, da sie seit längerer Zeit dazu neigten, sich weißen Landsuchern und der Armee anzuschließen, um sich Vorteile in Form von Pferden, Gewehren und Alkohol zu verschaffen. Dafür stellten sie sich auf die Seite der Weißen. Sie waren seit Generationen mit ­anderen Völkern der Plains verfeindet und hofften, zusammen mit dem weißen Mann gegen ihre alten Feinde ziehen zu können. Allein konnten sie Völker wie die Sioux und Cheyenne nicht besiegen, aber mit weißer Hilfe war das vielleicht möglich.

Trotzdem hatte McNott Hemmungen, zu schießen. Er lebte schon so lange in der Wildnis, und auch wenn er manchmal gezwungen war, um sein Leben zu kämpfen, hatte er es doch meistens vermieden, seine Gegner zu töten. Er wusste, wie sehr Indianer Stimmungen unterworfen waren – heute konnten sie erbitterte Feinde, morgen bereits wieder Freunde sein. Der Tod war endgültig, und er konnte Rachegelüste heraufbeschwören, die jahrelang anhielten.

McNott spähte über den Rand des Kanus. Er sah jetzt fünf Krieger am Ufer. Sie redeten miteinander. Zwei liefen hinter dem Kanu her. McNott wollte sich gerade aufrichten, um das Paddel wieder ins Wasser zu tauchen, als er Young Trees Warnruf hörte. Er wandte den Kopf und sah ein anderes Kanu auf dem Strom. Es musste aus einer der zahlreichen überwucherten kleinen Buchten des ­Yellowstone hervorgeglitten sein. Zwei Krieger saßen darin, die die Paddel tief ins Wasser stießen und das Kanu schräg auf McNott und Young Tree zutrieben. Sie näherten sich schnell, zumal sie die Strömung als Hilfe hatten.

McNott wartete, bis sie sich zwischen ihm und den Kriegern am Ufer befanden, sodass er sicher sein konnte, dass er vom Ufer aus nicht beschossen wurde. Dann richtete er sich wieder auf und versuchte, davonzupaddeln. Aber die beiden Krieger hatten ihm bereits den Weg verlegt. Sein Kanu jagte direkt auf ihres zu. McNott drückte das leichte Boot zur Seite, um die Krieger nicht zu rammen und beide Kanus zum Kentern zu bringen. Aber sie drängten gegen ihn. Der Mann am Heck handhabte das Paddel mit einer Kunstfertigkeit, wie sie nur ein Indianer beherrscht, der von Kind auf mit Kanus umgegangen ist. Der Mann am Bug hatte sein Paddel eingezogen und hob seinen Bogen. Aus nur wenigen Yards Entfernung zielte er auf McNott.

Vom Ufer her ertönte bereits triumphierendes Geheul. McNott riss seine Kentucky Rifle hoch und schoss, im Kanu kniend.

Durch den Feuerblitz, der aus der Mündung zuckte, sah er den Krieger nach hinten stürzen. Bogen und Pfeil fielen ins Wasser. Der Mann breitete die Arme aus und verschwand im Kanu. Das Boot schwankte so stark, dass es aussah, als würde es umkippen.

McNott ließ die Kentucky Rifle in sein Kanu fallen. Er blickte über die Schulter zurück und sah, dass sich Young Tree ebenfalls aufgerichtet hatte und geschickt das Paddel gebrauchte, um das Kanu zu steuern. McNott beugte sich vor und bekam die Spitze des Pawnee-Kanus zu packen. Der zweite Krieger versuchte gegenzupaddeln, aber McNott hielt eisern fest und richtete sich halb auf. Er sah den Mann im Boot liegen, den er getroffen hatte. Er lebte noch. Der zweite riss einen Tomahawk aus dem Gürtel, wirbelte ihn über den Kopf und versuchte, ihn nach McNott zu schleudern. McNott kippte mit einer ­gewaltigen Kraftanstrengung das Kanu um. Die beiden Pawnee stürzten in den Yellowstone.

Der unverletzte Krieger tauchte wenig später prustend wieder auf. Er schwamm mit gewaltigen Armbewegungen bis zu McNotts Kanu, hängte sich an die linke Seite und versuchte ebenfalls, es umzustürzen. Young Tree schlug mit dem Paddel zu. Er traf die rechte Hand des Pawnee. Der Krieger schrie und ließ los. McNott erwischte die linke Hand.

Der Krieger versank im Wasser. Vom Ufer her war Wutgeheul zu vernehmen. McNott duckte sich und spähte hinüber. Er meinte, einen der Pawnee-Krieger dort zu kennen, war sich aber nicht ganz sicher, zumal seine Aufmerksamkeit von einigen Stromschnellen voll in Anspruch genommen wurde, in die das Kanu jetzt glitt. Es begann zu schlingern und sich zu drehen. McNott kämpfte zusammen mit Young Tree, um das Boot auf Kurs zu halten.

Die Pawnee hasteten am Ufer entlang. Ein Pfeilregen setzte ein.

„Runter!“, schrie McNott und ließ sich nach vorn fallen, obwohl das Kanu sich wieder um die Achse drehte. Young Tree nahm ebenfalls Deckung. Die Pfeile strichen über das Kanu hinweg. Zwei oder drei schlugen gegen die Bordwand und prallten ab, einer fiel neben McNott in den Rumpf.

Das Kanu drehte sich jetzt wie ein Kreisel. McNott zog sich hoch. Ungeachtet der Gefahr versuchte er, mit dem Paddel gegenzuhalten.

Der Fluss schäumte und sprudelte. Gischt spritzte über den Bug. Ein paar Felsen, an denen tote Baumstämme ­hingen, ragten aus dem Wasser. Das Kanu schlingerte ­darauf zu. Mit Mühe gelang es McNott, das schlanke Boot daran vorbeizudirigieren. Es schrammte leicht an einem der Riffe, dann stand der Bug wieder in Strömungsrichtung. Die Indianer am Ufer blieben zurück. Das Kanu tanzte auf den Wellen. Es wurde regelrecht hochgeworfen und versank jedes Mal wieder in Wellentälern. Wasser schwappte in den Rumpf. Der Yellowstone brauste und gurgelte dumpf. Dann eine scharfe Biege – und dahinter war der Fluss wieder ruhig und gebändigt. Die Strömung war stark, aber das Wasser glitt gleichförmig dahin.

McNott beugte sich vor und riss einen der Pfeile, die in der Bordwand stecken geblieben waren, aus dem Holz. Er schleuderte ihn ins Wasser. Das Kanu glitt gut zwei Meilen weiter, dann lenkte McNott es auf das Ufer zu.

Bevor sie anlegten, beobachtete er die bewaldeten Flussränder, bis er sicher war, dass sie keine Überraschung erleben würden. Wenig später schrammte der Kiel des Kanus über Sand. McNott sprang aus dem Boot und zog es am Ufer hoch.

*

Die Abendsonne brachte den breiten Strom zum Glühen. Der Yellowstone durchzog das wilde, unberührte Land wie eine Lebensader. In bizarrer Düsternis erhoben sich Felsen über dem Strom, woanders reichte der Wald bis ins seichte Ufergewässer. Die Geräusche von Nachtvögeln waren zu vernehmen.

McNott registrierte jeden Laut und jeden Schattenfall, ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Er war zu sehr vertraut mit allen Dingen der Natur, die ihn umgaben, dass er immer sofort wusste, ob Gefahr drohte oder ob es nur ein Tier war, das vorbeiglitt, oder ein Windhauch im Geäst. Das Feuer, das er und Young Tree angefacht hatten, war nur klein und brannte fast rauchlos. Als das Fleisch gebraten war, löschte McNott es sofort wieder.

„Wir haben nichts von einem Feldzug der Pawnee gegen die Crow gehört“, sagte Young Tree. Er war von kräftiger, stämmiger Gestalt wie sein Vater, mit der dunklen Haut der Cheyenne. Manchmal, wenn McNott ihn anschaute, dachte er an seine Frau, die an den Pocken gestorben war, die weiße Männer mitgebracht hatten. Dann empfand er die Einsamkeit, die ihn für viele Jahre nicht gestört hatte, als bedrückend, denn er fühlte die Jahre in sich. Er wurde älter. Und ihn belastete die Sorge um Young Tree. Er fragte sich, ob er den Jungen richtig aufzog, wenn er ihm die Lebensweise lehrte, die er seit Jahrzehnten für richtig hielt.

McNott ahnte, dass die Zeit, in der er den Westen erlebt hatte, zu Ende ging. Die Zukunft der Indianer würde schwer werden. Andererseits hatte Young Tree Indianerblut in sich, und die wenigsten Probleme würde er in der Welt der Indianer haben, solange eine dunkle Haut in der Welt der Weißen Feindschaft und Hass auslöste. Aber wie sah die Zukunft der Indianer aus? Young Tree war noch jung. Wenn er zum Mann herangewachsen war, wie würde die Welt dann aussehen? Young Tree hätte eine Mutter gebraucht, die ihn lehrte, was er ihm nicht beibringen konnte.

„Es kann sich um eine kleine Gruppe von Kriegern handeln“, sagte McNott. „Es gibt immer hier und da junge Krieger, die auf Kriegsruhm aus sind und auf eigene Faust aufbrechen, um Kämpfe zu suchen und ihre Tapferkeit zu beweisen. Die Pawnee sind stärker als die Crow. Es ist kein großes Risiko für Pawnee-Krieger, kleine Crow-­Dörfer anzugreifen oder in den Wäldern auf Jagdtrupps zu lauern und sie zu überfallen. Die Pawnee haben Gewehre und Pferde in viel größerer Zahl als die anderen Stämme.“

„Was für Gründe haben die Pawnee dafür?“

„Es gibt keine anderen Gründe als die alte Feindschaft zwischen den Pawnee und den Stämmen im Norden. Niemand weiß mehr, warum das so ist. Und die Suche nach Ruhm ist für einen Krieger Grund genug. Manchmal brechen die Crow, die Arapaho oder die Cheyenne auf, um nach Süden zu gehen, oder sie ziehen aus, um Pferde zu rauben und ihren Stamm zu versorgen. Es ist eine harte Welt. Wir werden die Crow warnen müssen – wenn es nicht schon zu spät ist.“

„Glaubst du, dass die Pawnee uns verfolgen werden?“