Dietmar Kueglers Westwind 06: Winter der weißen Büffel - Dietmar Kuegler - E-Book

Dietmar Kueglers Westwind 06: Winter der weißen Büffel E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Jahr für Jahr zieht eine Herde weißer Büffel durch das Land der Sioux in die milden Täler am Sweetwater, um zu überwintern. Für die Lakota sind sie Boten der Götter, daher gehen sie jeden Winter in das Tal der Büffel zur großen Bisonzeremonie.Der Trader Horeb Manderly aber ist entschlossen, die heiligen Büffel abzuschlachten. Ihre Felle sollen ihm ein Vermögen einbringen.Die Printausgabe umfasst 138 Buchseiten.

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WESTWIND

In dieser Reihe bisher erschienen

2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous

2303 Der Sohn der Wildnis

2304 Im Banne des Donnervogels

2305 Der Ruf der Wölfe

2306 Winter der weißen Büffel

2307 Zeit der Adler

Dietmar Kuegler

Winter der weißen Büffel

Westwind - Band 6

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-096-3Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

Er schoss in regelmäßigem Abstand. Nach jedem Schuss wartete er gut eine halbe Minute. Früher hatte er dazu auf die zerbeulte Taschenuhr geschaut, die er am Gürtel trug. Jetzt brauchte er das nicht mehr, er hatte es im Gefühl. Mit jedem Schuss tötete er.

Er lud die langläufige Hawken Rifle, im Sattel sitzend, mit geschickten, raschen Bewegungen, während er sein Pferd langsam weitertrieb.

In knapp fünfzig Yards Entfernung trottete die Büffelherde dahin. Der strenge Geruch, der sie begleitete, hüllte ihn ebenso ein wie der schweißige, klebrige Staub, der die Herde umwaberte. Er raubte ihm fast den Atem, aber auch daran hatte er sich gewöhnt, wie an so vieles andere. Er legte die Rifle wieder an, zielte und drückte ab.

Die Kugel traf einen mächtigen Bullen. Er stampfte noch zwei, drei Schritte weiter, bevor er mit den Vorderläufen einbrach und mit dumpfem Brüllen auf die Seite stürzte, liegenblieb.

Die Herde geriet dort, wo er gefallen war, zunächst in hektische Bewegung. Einige Tiere versuchten, aus dem Trott auszubrechen. Aber es dauerte nur Sekunden, dann hatten sie sich wieder beruhigt und schlossen die Lücke, um weiterzuziehen.

Ein Meer von schmutzig braunen Pelzrücken: Es mochten zehntausend sein. Sie füllten die Prärie mit urweltlicher Kraft. Ihre Hufe verursachten ein permanentes, dumpfes Grollen, das wie ein ununterbrochener Gewitterdonner klang. Das dröhnende Blöken und Schreien mischte sich in das Brausen und Rollen, das die Herde umgab und weit in die Prärie ausstrahlte, genau wie die Schussdetonationen, die immer wieder Lücken in die Reihen rissen und trotzdem kaum bemerkbar wurden – die Masse der Bisons war zu gewaltig.

Die toten Tiere blieben am Trail liegen, der sich breit und düster durch die Plains zog, eine gewaltige Rinne niedergetrampelten Grases.

Barton Chase sah die Sonne sinken, als er die Hawken Rifle das letzte Mal hob und einen Schuss abfeuerte, mit dem er eine Büffelkuh tötete. Dann hielt er sein Pferd an. Er konnte die Arme kaum noch heben. Er hatte seit fünf Stunden ununterbrochen Bisons getötet. Er hockte entspannt im Sattel, während die Herde vorbeizog.

Als er sich umdrehte, sah er den Häutewagen auftauchen. Das Gefährt war ihm im Abstand von mehreren hundert Yards gefolgt. Es hielt neben den getöteten Tieren an. Am Heck war eine flaschenzugartige Vorrichtung befestigt. Chases Partner schnitten die Hufe der Büffel ab, schlitzten die Haut fachgerecht auf, befestigten die Haken der Zugvorrichtung daran und zogen mit Hilfe einer Kurbel die Haut ab. Das alles dauerte kaum drei Minuten. Die dampfenden, blutigen Kadaver blieben liegen, von den Zungen abgesehen, die die Enthäuter herausschnitten und mitnahmen.

„Das war ein guter Tag“, sagte der Mann auf dem Bock, als er Barton Chase fast erreicht hatte. „Einhundertzweiundvierzig Häute.“

„Ich spür‘s in meinen Knochen“, sagte Chase. Seine Nase lief, die Augen tränten. Der stinkende Staub und der ätzende Pulverdampf zeigten Wirkungen. „Ich reite zu den Cottonwoods hinüber und bereite das Lager vor.“

Er zog sein Pferd herum und ritt gemächlich auf die einsame Baumgruppe oberhalb einer Bodenrinne zu, während die Enthäuter den letzten Tieren die Haut abzogen. Die Herde verschwand hinter einer Bodenwelle.

Chase stieg aus dem Sattel, hobbelte das Pferd an und sammelte Feldsteine für eine Feuerstelle, sowie Reisig für das Feuer. Während er am Boden kniete und die ersten Flammen anblies, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Langsam drehte er sich um.

Der Indianer stand kaum zehn Schritte von ihm entfernt. Er war aus der Bodenrinne aufgetaucht. Chase hatte ihn nicht gehört. Er war ein junger Mann, halbnackt, nur mit einem Lendenschurz und Mokassins bekleidet. Im Haar trug er lediglich ein Stirnband ohne Feder. Er hatte einen Pfeilköcher und einen Bogen umhängen und ein Messer im Gürtel.

Der Wind von Westen, der den Geruch der Bisonherde noch mit sich trug, umwehte ihn und bewegte die Strähnen seines langen Haares. Er stand reglos auf seinem Platz und starrte Chase unverwandt an.

*

Chase richtete sich auf und griff nach seinem Gewehr.

„Was willst du?“

Der Indianer antwortete nicht. Chase ging langsam auf ihn zu. Dabei blickte er sich lauernd um.

„Bist du allein? Wer bist du? Welcher Stamm?“

Der Krieger schwieg. Sein dunkles Gesicht glich einer Maske.

„Warum redest du nicht?“

„Ihr tötet die Büffel“, sagte der Krieger plötzlich.

„Ihr auch“, sagte Chase.

„Ihr nehmt nur die Häute“, sagte der Krieger. „Wir nehmen alles. Wir vergeuden nichts.“

„Wir leben nicht wie Wilde“, sagte Chase. „Wir brauchen nur die Häute und ein bisschen Fleisch.“

„Wir brauchen die Hörner, die Hufe, die Därme, die Sehnen, die Zähne und die Knochen. Wir brauchen alles. Wir töten nur so viele Büffel, wie nötig ist. Die Büffel sind ­heilig.“

„Unsinn“, sagte Chase. „Dann sind die Ameisen auch heilig. Büffel sind so zahlreich wie Fliegen.“

„Alles ist heilig“, sagte der Indianer. „Der Bison aber ist der Herr unseres Landes.“

„Verschwinde“, sagte Chase. „Los, hau schon ab! Ich habe keine Lust, mir dein Geschwätz anzuhören.“

„Du bist Büffel-Chase“, sagte der Krieger. „Ich kenne dich. Ich habe dich in Fort Laramie gesehen. Du hast die Büffelhäute verkauft. Du bist ein Mörder.“

Chase schwang die Hawken Rifle herum. Der Kolben prallte dem jungen Krieger gegen die Brust, bevor er ausweichen konnte. Er stürzte mit einem Aufschrei zu Boden. Hier krümmte er sich zusammen, rang nach Atem und versuchte, sich wieder hochzustemmen.

Chase versetzte ihm einen Tritt. Der Krieger stürzte erneut. Er wälzte sich herum und federte unvermittelt wieder hoch. In seiner rechten Faust blitzte das Messer.

„Du hast den Tod tausendfach verdient, Büffel-Chase!“ Er warf sich gegen den Jäger.

Chase riss das Gewehr hoch, ließ den anderen auflaufen und rammte ihm den Lauf der Hawken unter das Kinn. Der Krieger stürzte und blieb benommen liegen. Chase beugte sich über ihn und nahm ihm das Messer ab. Hinter ihm rollte der Häutewagen heran.

„Ärger?“, fragte der Mann auf dem Bock.

„Eine verdammte Rothaut“, sagte Chase. Er betrachtete den Medizinbeutel und sagte: „Bisonbruderschaft der Sioux. Vermutlich ist er hier, um zu meditieren.“

„Und wenn er nicht allein ist?“

„Das kriegen wir schon raus“, sagte Chase. „Wir können ihn ohnehin nicht mehr laufenlassen, er würde uns Ärger bereiten.“

„Zum Teufel mit den Rothäuten“, sagte einer der Enthäuter. Er war von Kopf bis Fuß mit Bisonblut bedeckt. „Ich werde kein Auge schließen, solange ich nicht weiß, ob er allein ist oder nicht.“

Sie schleppten den Krieger zu einem der Cottonwoodbäume, warfen eine Schlinge über einen dicken Ast und legten sie dem Krieger um die Handgelenke. Dann zogen sie ihn hoch, so dass er ein paar Zoll mit den Füßen über dem Boden hing.

Er schlug die Augen auf und stöhnte. Chase versetzte den Körper des Kriegers mit einem Stoß in schwingende Bewegungen. Er pendelte hilflos hin und her. Der Strick schnitt in die Haut der Handgelenke ein.

„Sind deine Brüder in der Nähe?“, fragte Chase.

„Auf eine Haut mehr oder weniger kommt es nicht an“, meinte ein anderer.

Sie lachten.

Der Krieger schwieg. Sein Gesicht hatte einen stoischen Ausdruck angenommen.

„Wir lassen ihm Zeit zum Überlegen“, sagte Chase. „Wenn wir gegessen haben, wird er reden.“

Er versetzte den Krieger erneut in Schwingungen und ging dann mit den anderen zum Feuer.

Die Abendsonne schien dem Krieger mitten ins Gesicht. Er schloss die Augen und wusste, dass er sterben würde. So sammelte er alle Kraft und stimmte einen Todesgesang an.

„Sei still, zum Teufel!“, schrie der Wagenlenker. Er sprang auf und presste die Hände auf die Ohren. „Dieses verdammte Jaulen hält kein Mensch aus.“

Die Stimme des Kriegers schwoll an und ebbte ab, in monotonem Rhythmus, aber mit großer Eindringlichkeit. Einer der Enthäuter lief zu dem Krieger hinüber, holte aus und wollte ihm die Faust in den ungeschützten Leib schlagen.

Ein Schatten wirbelte plötzlich durch die Luft. Ein heller, scharfer Laut war zu hören. Der Krieger stürzte unvermittelt vom Baum. Sein Gesang erstarb. Er blieb verkrümmt im Gras liegen. Neben ihm lag ein kurzstieliger Tomahawk, mit dem durch einen gezielten Wurf das Seil durchtrennt worden war.

Ein Mann tauchte aus der Bodensenke auf und schritt durch die Abendschatten. Er war mittelgroß und sehr breit. Seinen Bewegungen wohnte eine ruhige, unerbittliche und scheinbar unüberwindliche Kraft inne. Er trug indianisch bearbeitetes Wildleder, auf dem Kopf eine Biberpelzkappe. Ein dichter, dunkler Bart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts. In den Fäusten hielt er eine langläufige Kentucky Rifle.

„Keine Bewegung!“ Seine Stimme klang rau. Er erreichte den Krieger, bückte sich, hob den Tomahawk mit der Linken auf und schlug blitzschnell zu.

Der Enthäuter wurde getroffen und kippte um.

„Kannst du aufstehen, Yellow Robe?“

Der Krieger antwortete gepresst und richtete sich mühsam auf.

„An eurer Stelle würde ich mich nicht sehr lange hier aufhalten“, sagte der Trapper und deutete auf den hoch beladenen Häutewagen. Die Sioux mögen es nicht, wenn man ihre Prärien mit stinkenden Kadavern füllt.“

„Wer bist du?“, fragte Chase. Er umrundete das Feuer.

„Ich bin McNott“, sagte der Trapper.

„Dann bist du ein verdammter Squawman“, sagte Chase.

„Meine Frau ist lange tot“, entgegnete McNott. „Es ist keine Beleidigung, wenn einem gesagt wird, wo man hingehört. Ich habe nie etwas anderes gewollt, als bei denen zu leben, denen dieses Land gehört.“

Er zielte auf die Brust von Chase: „Geh zurück, sonst töte ich dich, so wie du die Büffel getötet hast.“

„Ihr Mountain Men seid verdammte Idioten“, sagte Chase. „Ihr verbrüdert euch mit den stinkenden Rothäuten, die euch eines Tages das Messer in den Rücken stoßen, und ihr bildet euch ein, die Welt anhalten zu können. Aber ihr werdet euch wundern! Die Büffel verstopfen die Prärien. Deshalb müssen sie weg. Wenn die Büffel weg sind, ziehen die Siedler nach Westen und nehmen die Prärie unter den Pflug. So sieht es aus, McNott. Männer wie du gehören in die Steinzeit.“

„Mag sein, Chase“, sagte McNott. „Aber ich bin lieber in der Steinzeit als in deiner Welt. Deine Welt stinkt nach Tod. Nach toten Büffeln, nach toten Wäldern.“

„Jeder im Westen kennt deinen Namen, McNott“, sagte Chase. „Aber du bist nicht unsterblich. Nimm dich in Acht.“

„Ich glaube, dass du mehr Grund dazu hast“, antwortete McNott.

Er bewegte sich langsam rückwärts. Der junge Krieger hatte Bogen und Pfeilköcher genommen und ging neben McNott her.

Der Angriff von der Seite überraschte McNott. Yellow Robe stieß einen Ruf aus. McNott drehte sich. Er sah den Mann aus dem Gebüsch springen und drückte instinktiv ab. Die. Kentucky Rifle krachte. Der Schuss erwischte den Angreifer. Der Mann wurde vom Aufprall der Kugel herum­gerissen, ließ ein wildes Geheul hören und sackte zu Boden. Er wälzte sich wimmernd durch das hohe Gras, während sich McNott wieder nach vorn wandte.

Einer schrie: „Er hat keine Kugel mehr im Lauf!“

Sie griffen ihn an. McNott erwartete sie breitbeinig. Er ließ die Kentucky Rifle hochfliegen und drehte sie mit Rammbewegungen nach rechts und links. Einer der Kerle wurde von der metallenen Kolbenplatte getroffen, der andere vom Lauf. Sie gingen beide zu Boden. Da waren die nächsten da.

McNott empfing den einen mit einem Fußtritt. Der zweite wurde von dem jungen Indianer gepackt, bevor er McNott erreichte, herumgerissen und zu Boden geworfen.

McNott ging in die Knie. Das war sein Glück. Chase hielt eine Pistole in der Rechten und feuerte. Die Kugel strich sengend über McNotts Kopf. McNott drehte sich um und begann zu laufen. Yellow Robe folgte ihm. Sie hasteten in die Senke. Dahinter glitzerte die Oberfläche eines Creeks im Abendlicht.

*

„Wir sahen das Feuer“, sagte McNott, während er neben Yellow Robe herlief. „Wir wollten nur sicher gehen, keine gefährliche Gesellschaft zu haben – da entdeckte ich dich.“

„Du bist nicht allein?“

„Ich habe meinen Sohn dabei.“

Sie erreichten den Fluss. Das leichte Kanu lag im Schutz von überhängenden Weidensträuchern auf der Böschung. Daneben kauerte ein kräftiger Junge von vielleicht elf oder zwölf Jahren, der genau wie McNott in Wildleder gekleidet war. Sein Haar war schwarz und lang, seine Haut dunkel wie die eines Indianers.

Er fragte nicht, als er seinen Vater heraneilen sah. Er schob das Kanu, in dem sich zwei Bündel mit Pelzen befanden, ins Wasser, sprang hinein und ergriff eins der Paddel. McNott wartete, bis Yellow Robe das Kanu bestiegen hatte, dann schob er es in tieferes Wasser, wobei er selbst bis über die Knie in den Creek watete. Er schwang sich hinein, ergriff das zweite Paddel und begann es kraftvoll zu betätigen. Das Kanu glitt auf den Creek hinaus, während das Abendlicht schwächer wurde.

Die Jäger tauchten oberhalb des Creeks auf, als sich das Kanu bereits in der Mitte befand und in rascher Fahrt dem Strom folgte. Mehrere Schüsse krachten. McNott sah es aufblitzen. Er zog den Kopf ein.

Die Kugeln schlugen knapp vor dem Kanu ein und zauberten Fontänen aus dem Wasser. Das leichte Fahrzeug geriet schnell aus der Reichweite der Gewehre. Die fortschreitende Dämmerung hüllte es wie eine schützende Decke ein.

Aus dem Schilf klangen vereinzelt die Rufe von Ochsenfröschen. Der Wind der Prärie raschelte geheimnisvoll im hohen Gras, das sich auf den sich buckelnden Anhöhen über dem Creek wiegte. Hinter ihnen wurde es still.

*

„Sie nennen uns Wilde“, sagte Yellow Robe. „Aber ein Sioux würde niemals tun, was diese weißen Männer tun. Morgen wird der Himmel voller Geier und Krähen sein. Sie werden die Kadaver nicht alle fressen können, die draußen in der Prärie liegen.“

„Nur die Häute und die Zungen werden bezahlt“, erwiderte McNott. „Das allein ist für Männer wie Chase wichtig. Außerdem hast du selbst gehört, was er gesagt hat: Sie wollen die Prärien leerjagen, damit Platz für Farmer ist.“

„Das werden wir niemals zulassen!“, rief Yellow Robe. Er sprang erregt auf. Die silberne Mondscheibe streute einen milchigen Schimmer auf das weite Land. Die Augen des Kriegers glitzerten zornig. „Das Land gehört den Sioux und den Arapahos und Cheyenne – und das wird immer so sein.“

„Ich wollte, ich wäre so sicher“, sagte McNott. „Ein Mann wie Chase weiß, was er tut. Wovon wollt ihr leben, wenn die Bisons nicht mehr da sind?“

„Es wird immer Büffel geben“, sagte Yellow Robe. „Weil der Große Geist es so will. Die Büffel sind die Boten der Götter der Erde, so wie die Adler die Boten der Götter des Himmels sind.“

„Wenn die Götter schweigen ...“ McNott sprach nicht weiter. Er blickte in das kleine Feuer, das er und Young Tree angefacht hatten. Sein Sohn saß ihm gegenüber. Er schien nicht müde zu sein und lauschte den beiden Männern.

„Warum sollten die Götter schweigen? Wir leben so, wie sie es von uns erwarten. Wir werden wie jedes Jahr die großen Bison-Rituale durchführen, und die weißen Büffel werden in die milden Täler ziehen, um zu überwintern, während wir ihnen Opfer bringen.“

„Deswegen sind wir hier“, sagte McNott. „Ich bringe Young Tree, damit er den großen Bisontanz mittanzen kann.“

„Du bist einer von uns, McNott“, sagte Yellow Robe. Er hatte sich etwas beruhigt und setzte sich wieder. „Deine Haut ist weiß, aber dein Herz und dein Verstand sind längst rot. Es wird uns eine Freude sein, Young Tree aufzunehmen. Er soll die weißen Büffel sehen. Solange die weißen Büffel in unsere Jagdgründe ziehen, wird das Glück uns nicht verlassen. Die Götter schicken uns die weißen Büffel, damit wir wissen, dass sie über uns wachen. Solange wir die weißen Büffel sehen, sind wir die Herren dieses Landes.“

„Ist es wirklich eine ganze Herde?“, fragte Young Tree.

„Es ist der herrlichste Anblick, den es auf Erden geben kann“, sagte Yellow Robe. Seine Blicke waren ins Leere gerichtet. „Es sind viele. Mancher Krieger ist glücklich, wenn er in seinem ganzen Leben einmal einen weißen Büffel sieht. Aber wir sehen die ganze Herde, jedes Jahr.“

„Niemand darf sie jagen?“, fragte Young Tree.

„Die weißen Büffel sind heilig“, erwiderte Yellow Robe. „Der Bison gibt uns alles, was wir zum Leben brauchen. Er kleidet uns, er ernährt uns. Aber die weißen Büffel bringen uns den Segen des Großen Geistes.“

„Ich freue mich darauf, sie zu sehen“, sagte Young Tree.

„Du wirst sie sehen“, sagte McNott. „Schlaf jetzt.“

Er stieß die Feuersglut auseinander und schwieg. Trotz der hoffnungsvollen Worte befielen ihn Sorgen. Er musste immer wieder an Barton Chase denken. Instinktiv ahnte er, dass Männern wie Chase die Zukunft gehörte. Das war es, was ihm, der gewohnt war, gegen alle Gefahren zu kämpfen, Furcht bereitete.

2.

Den Tag über hatte er gefastet, wie so oft auf seinem langen Weg, den er schon zurückgelegt hatte. Anfangs bereitete ihm das Fasten immer Schwierigkeiten. Aber er wusste, dass das nur der Kampf zwischen dem Körper und seinem Willen war. Am Ende musste der Wille siegen. So war es auch diesmal gewesen. Jetzt hatte er nicht einmal das Bedürfnis, zu essen. Er fühlte sich leicht, und wenn er schnellfüßig durch die Grasebene eilte, dachte er manchmal, dass er fliege.

Er brauchte kein Pferd. Für die Aufgabe, die ihm aufgetragen war, genügte es, wenn er sich auf seine Füße verließ. Er lief jeden Tag eine Strecke, die mancher Mann zu Pferd auch nicht schneller zurücklegen konnte. Dabei lief er barfuß. Seine Füße hatten eine fingerdicke Hornschicht. Ihn konnten weder strömender Regen noch die sengende Hitze der schattenlosen Plains ernsthaft behindern. Er wusste, dass er im Einklang mit den Göttern war, die über seinen Weg wachten, weil er sich in der Hand des Großen Geistes befand.