Dietmar Kueglers Westwind 07: Zeit der Adler - Dietmar Kuegler - E-Book

Dietmar Kueglers Westwind 07: Zeit der Adler E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Das Dampfschiff, das den Yellowstone River stromaufwärts fuhr, hatte den Tod an Bord: mit Pocken infizierte Wolldecken. Kurz nachdem die Cheyenne ihre Pelze eingetauscht hatten, begann das große Sterben. McNott zieht nordwärts in die Berge, um die anderen Stämme zu warnen. Doch die Händler sind längst auf seiner Spur, um ihn zum Schweigen zu bringen.Die Printausgabe umfasst 140 Buchseiten.

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Seitenzahl: 151

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WESTWIND

In dieser Reihe bisher erschienen

2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous

2303 Der Sohn der Wildnis

2304 Im Banne des Donnervogels

2305 Der Ruf der Wölfe

2306 Winter der weißen Büffel

2307 Zeit der Adler

Dietmar Kuegler

Zeit der Adler

Westwind - Band 7

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-097-0Dieser Roman als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

Gegen Mittag hatte Natohpe den Aufstieg zum Felsen der Adler begonnen. Der Aufstieg war schwer. Die Felswand war steil. Sie zeigte nach Osten und war der Sonne ausgesetzt, deren Strahlenbündel immer kräftiger wurden.

Der graublaue Granit heizte sich auf. Manchmal dachte Natohpe, dass seine Hände verbrennen würden. Aber er hatte gelernt, Schmerzen zu ertragen, und so stieg er weiter.

Manchmal ruhte er aus, wenn er eine Auskerbung oder eine Spalte erreichte, die groß genug war, ihn aufzunehmen. Schweiß rann ihm in dichten Bahnen über den Körper. Natohpe trug nur einen Lendenschurz und ein Stirnband. Er war barfuß. Eine dicke Hornhaut auf den Sohlen verhinderte, dass er sich die Füße am scharfkantigen Gestein aufschlitzte.

Natohpe war geschickt. Er wusste die Vorsprünge, Kanten und Schrunden im Fels auszunutzen.

Er nahm das Messer zwischen die Zähne, als er den Adlerhorst erreichte. Der Horst war meisterhaft angelegt. Auf dem Klippenvorsprung waren Fellreste und Federn zu sehen, verkrustetes Blut bedeckte den Stein. Scharfer Gestank trieb Natohpe entgegen.

Er überwand das aufsteigende Ekelgefühl und kletterte in die Höhle. Er kauerte sich ins Halbdunkel und schöpfte Atem. Sein Herz schlug hart und schnell. Er war aufgeregt, aber er spürte keine Furcht.

Als er sich hinausbeugte, sah er den Adler. Es war ein prächtiger Anblick. Voll Majestät und Würde. Natohpe war wie gebannt. Der Adler schwebte, ohne die weit ausgebreiteten Schwingen zu bewegen, in den heißen Aufwinden. Sein weißer Kopf schimmerte in der Vormittagssonne wie Silber.

Natohpe nahm das Messer fester in die Rechte. Es erschien ihm für einen Moment fast als Frevel, einen Adler zu töten. Doch er wollte mit ihm kämpfen, und er wusste, dass er seine Vision zu erfüllen hatte. Es würde ihm ewigen Ruhm und die Anerkennung aller Krieger einbringen, wenn er mit dem weißköpfigen Adler in dessen Horst kämpfte und ihn besiegte.

Jeder wusste, dass der Adler der Bote des Donners war, der Bote der mächtigsten Götter. Die Kraft und Größe des Adlers würden in ihn übergehen, wenn er ihn tötete.

Seine Muskeln spannten sich. Er hielt sich im Schatten. Der Adler kreiste über dem Fels, neigte sich und näherte sich dem Horst.

Auf einmal war er da. Er landete mit vorgestreckten Fängen. Seine gebreiteten Schwingen warfen einen mächtigen Schatten. In der Höhle war es plötzlich dunkel wie in der Nacht.

Der Adler war groß, viel größer, als Natohpe es je vermutet hätte. Noch nie hatte er einen Adler so dicht vor sich gesehen: die kräftigen Klauen, die gewaltigen Schwingen, der vorgereckte Kopf mit den eisgrauen Augen und dem scharf nach vorn gekrümmten Schnabel, der muskulöse, gefiederte Leib, der mit jeder Bewegung wilde Kraft ausstrahlte.

Natohpe versuchte, sich an das zu erinnern, was ältere Krieger ihm gesagt hatten. Es fiel ihm schwer, und er handelte instinktiv: Er warf sich nach vorn und griff blitzschnell mit der Linken zu. Er umkrampfte das rechte Bein des Adlers knapp oberhalb der Krallen.

Im nächsten Moment traf ihn ein mörderischer Schlag mit einer der Schwingen. Er verlor das Gleichgewicht und rollte zurück. Mühsam hielt er sich auf dem Klippenvorsprung. Er verstärkte seinen Griff und versuchte, mit dem Messer in der Rechten zuzustoßen. Aber der Adler tobte und wehrte sich, sodass er nicht traf.

Er war stark. Er stieß ein grelles Pfeifen aus. Natohpe dachte für einen Moment daran, was geschah, wenn auch das Adlerweibchen noch auftauchte. Dann traf ihn schon der nächste Schlag der kräftigen Schwingen. Die linke Klaue grub sich in seine Faust. Natohpe schrie. Der Adler neigte den Kopf vor und hieb heftig mit seinem Schnabel zu.

Natohpe schützte instinktiv sein Gesicht. Noch immer klammerte er sich an dem Adler fest, aber seine Kräfte ließen nach. Er war kaum noch bei Besinnung. Nur noch sein Überlebenswille hielt ihn bei Bewusstsein.

Er kniete auf dem Klippenvorsprung vor dem Adlerhorst. Direkt vor ihm gähnte die Tiefe. Der Adler flatterte und schien, je länger der verzweifelte Kampf dauerte, noch an Kraft zu gewinnen.

Natohpe war sicher, dass der Vogel ihn mit jeder Bewegung seiner Flügel hochriss. Und immer wieder schlugen die Schwingen über seinem Kopf zusammen.

Er ließ unvermittelt los. Sein Messer hatte er längst verloren. Er kippte vornüber auf den Fels, auf die eingetrockneten Reste der Beutetiere des Adlerpärchens, das hier lebte. Der Adler schwebte befreit empor. Er kreiste einmal über dem Horst und stürzte sich mit wildem, markdurchdringendem Schrei nieder.

Seine Klauen gruben sich in den Rücken Natohpes. Er hackte mit dem Schnabel in den Nacken des jungen ­Cheyenne.

Natohpe stürzte. Er fiel wie ein Stein, während der Adler hochstieg und einen Triumphschrei hören ließ. Von Ferne tauchte ein zweiter Vogel auf, das Adlerweibchen.

Natohpe sah und hörte nichts. Er merkte nicht, dass er gegen ein Krüppelgehölz fiel, das aus der Felswand ragte. Er blieb daran hängen. Die Äste federten. Einer verhakte sich in Natohpes Lendenschurz. Das verhinderte, dass er weiterfiel. Leblos hing er da, zwischen Himmel und Erde. Die Sonne brannte auf ihn nieder.

Der Ast, an dem er hing, knackte und knarrte. Er bog sich immer weiter durch.

Unvermittelt brach er. Aber er brach nicht glatt, sondern faserte am Stamm auf. Fast bis zur Wurzel. So rutschte Natohpe nur den Fels hinunter und schrammte sich die Haut auf.

Der Hang verlor jetzt an Steile. Er wurde schräger. Natohpe überschlug sich und rollte und glitt abwärts, bis er inmitten von Mesquitegehölzen landete und reglos liegen blieb.

Hoch über ihm kreiste das Adlerpärchen. Es schien direkt in die Sonne hineinzufliegen, die am Horizont immer höher kletterte, bis sie ein gleißender Glutfleck im Taubenblau des Himmels über den Rockies war.

*

Erst war er blind. Er war sicher, dass seine Augen verbrannt waren. Schließlich wurde ihm klar, dass er auf dem Rücken lag und die Sonne direkt in sein Gesicht glühte. Er wandte mühsam den Kopf zur Seite. Dann erst spürte er den Schmerz.

Dieser kam von überallher. Sein ganzer Körper fieberte, als sei er eine einzige offene Wunde. Er konnte sich mit größter Mühe bewegen, aber jeder Versuch löste so rasende Schmerzen aus, dass er es vorzog, ruhig liegen zu bleiben, nachdem er sich ein wenig tiefer in den Schatten geschoben hatte.

Er war so schwach, dass er kaum die Arme heben konnte. In seinen Ohren rauschte und dröhnte es, in seinem Kopf tobte ein wildes Hämmern.

Mühsam erinnerte er sich an das, was geschehen war. Er fieberte, wodurch die Bilder, die in ihm aufstiegen, beängstigende Plastizität gewannen und ihn wie eine reale Bedrohung ansprangen.

Er durchlebte noch einmal den furchtbaren Kampf mit dem Adler, glaubte, die wuchtigen Hiebe der Schwingen zu spüren, die entsetzlichen Schnabelhiebe. Er wand sich, als würden die Klauen noch einmal tief in sein Fleisch ­eindringen.

Er gewahrte Schatten über sich, zuckte zusammen und krümmte sich. Er schlug die Arme vor das Gesicht und sah erst jetzt, wie seine Unterarme aussahen: Der linke Arm war vollkommen mit einer Blutkruste bedeckt. Um die Wunden herum hatten sich Eitermale gebildet. Bebend vor Schreck ließ er die Arme sinken und meinte, die kalten Augen des Adlers direkt über seinem Gesicht zu haben.

Es war nur seine Fantasie, die ihm die schrecklichen Bilder wieder und wieder vorgaukelte und ihn quälte. Die Schatten über ihm, die ihm wie der schwebende, tanzende große Raubvogel vorkamen, waren nur die Zweige der Sträucher, unter denen er Schutz gefunden hatte. Sie bewegten sich im Wind.

Das Fieber war stark, in seinem Körper wühlte eine Entzündung, aber seine Gedanken klärten sich nach und nach. Ein Durstgefühl setzte ein, das ihn fast um den Verstand brachte.

Er erinnerte sich mit Mühe der Disziplin, die ihm beigebracht worden war. Er dachte an die Gesänge, die der Medizinmann ihn gelehrt hatte. Gesänge von Tod und Leid, von Leben und Freude, von Triumph und Niederlage. Gesänge an alle gütigen, starken Götter und Geister. Natohpe erinnerte sich daran, dass die Krieger sangen, wenn die Angst sie zu überwältigen drohte: „Nur die Erde und die Felsen leben ewig, alles andere muss vergehen.“ Und er wusste, dass das Sterben kein Ende war, sondern nur ein Übergang in eine andere Welt. Er wurde ruhiger.

Er durfte sich nicht gegen das sträuben, was die Götter mit ihm vorhatten. Wieder versuchte er nach einiger Zeit, seine Arme und Beine zu bewegen. Es zuckte, brannte und stach in seinem Körper, aber seine Muskeln und Sehnen funktionierten noch.

Er zwang sich dazu, nachdem er die lähmende Angst verdrängt hatte, seine Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren: Er konnte nicht liegen bleiben. Er musste einen Platz haben, wo er ein wenig vor wilden Tieren geschützt war und wo er etwas Essbares und Wasser fand. Er erinnerte sich, dass er auf seinem Weg zum Adler­felsen einen Bach passiert hatte. Dieses Gewässer musste er erreichen.

Zweifel daran, ob er es schaffen konnte, ließ er nicht aufkommen. Mit leiser, heiserer, brüchiger Stimme begann er, den Kriegsgesang zu singen, den der Medizinmann ihn gelehrt hatte. Einen Gesang, der Mut und Kraft gab und die Gedanken von Selbstzweifeln und Verzagtheit frei machte. Er ertrug die Schmerzen leichter. Er wälzte sich auf den Bauch und kroch auf allen vieren durch das Gehölz.

Natohpe fühlte sich wie eine Schnecke. Ab und zu fiel er nach vorn und blieb nach Atem ringend auf dem Bauch liegen, das überhitzte Gesicht im Moos. Aber immer wieder zwang er sich hoch und kroch weiter.

Schüttelfrost durchfloss ihn und brachte ihn zum Frieren, obwohl die Sonne gnadenlos herunterglühte.

Er erreichte den Schatten des Waldes, kaum noch seiner Sinne mächtig. Hier verließen ihn die Kräfte. Er versank in einer unendlichen Schwärze.

2.

Er kniete nach Indianerart in seinem Birkenrindenkanu, als er den Yellowstone herabfuhr. Er handhabte das Paddel mit spielerischer Leichtigkeit, obwohl die Strömung bei der Einmündung des Flusses in den Missouri stärker und tückischer wurde.

Er war ein Mann von breiter, gedrungener Statur, der Kraft und Ausdauer ausstrahlte. Er trug Hemd und Hosen aus gegerbtem Hirschleder. Auf dem Kopf hatte er eine Mütze aus Waschbärfell. Ein dichter, schwarzer Bart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts.

Sein Name war Abe McNott, er stammte aus Schottland, und das war schon fast alles, was er über seine Herkunft wusste. Er hatte fast sein ganzes Leben in den Wäldern und Bergen des Nordwestens verbracht und war selbst ein Teil der Wildnis geworden.

Von den Three Buttes strich ein träger Windhauch herü­ber und kräuselte die Oberfläche des Stroms. Der Wind trug das Ahnen des Herbstes in sich. Hier und da färbten die Blätter sich schon dunkel.

McNott sah das Dampfschiff an der Mündung des Yellow­stone liegen. Aus den Zwillingsschloten stieg Rauch.

Das Schiff hieß Beaver King und war einer jener ­extrem flachen Steamer mit einem Heckrad, wie sie auf den seichten Flüssen tief im Westen fuhren.

Auf dem Oberdeck standen Männer in derber Woll­kleidung und mit bunten Mützen, wie sie in den französischen Gebieten getragen wurden.

McNott lenkte sein Kanu ans Ufer, sprang an Land und zog das Kanu die Böschung hoch. Er nahm sein langläufiges Kentucky-Gewehr heraus, schulterte es, ergriff mit der Rechten ein schweres Bündel Felle und stapfte zu den Blockhütten hoch, die oberhalb des Landungsplatzes standen.

Musik klang ihm entgegen. Er sah ein großes Lagerfeuer am Flussufer lodern. Von den Lagerschuppen schleppten schwarze Sklaven Ballen und Fässer über eine schmale Gangway an Bord der Beaver King.

McNott steuerte das größte Lagerhaus an. Die beiden Türflügel standen offen. Vier bärtige Männer in bunten Capotes, knielangen Wollmänteln, kauerten vor dem Eingang auf Pferdedecken und mischten ein Kartenspiel. Sie schauten kaum auf, als McNott vorbeiging.

Er betrat die Hütte. Der Raum war lang und schmal. Die Regale an den Wänden waren mit Handelswaren gefüllt, mit Stoffballen, Kaffee, Zucker, Ledergürteln und -schuhen, einfachen Messern, Äxten und Pfeifen und Kisten voller bunter Perlen verschiedener Größen und Ausführungen.

Im Hintergrund stand ein grob gezimmerter Brettertisch, an dem zwei Männer Platz genommen hatten: Einer war ein vierschrötiger Bursche in einem fleckigen Unterhemd. Er hatte eine feuerrote Narbe auf der Stirn und am Haaransatz, wo erkennbar war, dass irgendwann versucht worden war, ihm den Skalp abzuziehen. Dies war Caleb Gynn, der Besitzer des Trading Post. McNott kannte ihn seit Jahren und konnte ihn nicht leiden. Gynn war ein ­bösartiger Kerl, aber er hatte nie jemanden betrogen. Dafür ging das Gerücht um, dass er mehrere Trapper, die es abgelehnt hatten, mit ihm Handel zu treiben, erschossen haben sollte. Da die Indianer seit Langem einen weiten Bogen um ihn schlugen, trat er nur noch als Zwischenhändler auf.

Er hob den Kopf und grinste McNott schmallippig entgegen. Ihm waren mehrere Zähne weggefault, was seinem Mund das Aussehen einer Trümmerlandschaft gab.

„Ich wusste, dass du kommen würdest“, sagte er. Er deutete auf einen Stuhl. „Alle sagen: McNott hat sich bei den Cheyenne verkrochen und hat keine Lust mehr, die Wildnis zu verlassen. Aber ich habe gewusst, dass du einem guten Geschäft nicht abgeneigt bist.“

„Geschäfte interessieren mich nicht, Gynn“, sagte McNott. Er setzte sich und lehnte das Kentucky-Gewehr gegen den Tisch. „Ich wollte wissen, ob plötzlich wieder nach Biberpelzen verlangt wird. Und ich wollte einige Vorräte einkaufen.“

„Sind da Felle drin?“ Gynn deutete auf das Bündel McNotts. „Du kriegst dafür, was du haben willst von mir. Pulver, Blei, Kaffee, Zucker. Allerdings – der Preis für Biber ist nicht gut.“ Er grinste noch immer. „Es kann nur besser werden.“

„Ich werde bestimmt nicht darauf warten“, antwortete McNott. Er musterte den zweiten Mann am Tisch: Er war mittelgroß und hager, beinahe knochig. Er trug einen abgewetzten schwarzen Gehrock und einen Zylinder. Sein Gesicht wurde von einer scharf vorspringenden Adlernase beherrscht und von zwei kleinen, stechenden Knopfaugen.

„Das ist Endicott Jarvis“, sagte Gynn. „Er ist der Eigner der Beaver King.“

„Wen vertreten Sie, Mister Jarvis?“, fragte McNott. „Die American Fur Company? Die Northwest-Company?“

„Sie haben scharfe Augen, Mister McNott“, sagte Jarvis mit einer hellen, hart klingenden Stimme. „Ich könnte Ihnen sagen, dass ich auf eigene Rechnung fahre, aber das würden Sie mir nicht glauben. Spielen wir also mit offenen Karten: Ich bin für die Hudson Bay Company hier.“

„Das ist erstaunlich, Mister Jarvis. Die Hudson Bay hatte sich aus dem Geschäft in diesem Teil des Landes zurückgezogen.“

„Zeitweise, Mister McNott, nur zeitweise. Wir räumen nicht ohne Not gute Handelsgebiete.“

„Gynn hat mich also wegen Ihnen eingeladen, herzukommen.“

„Ihr Name ist uns auch in Kanada bekannt“, sagte Jarvis. „Sie gehören zu den erfahrensten Trappern und Händlern im amerikanischen Nordwesten, und das seit gewiss zwanzig Jahren. Sie haben beste Beziehungen zu den Cheyenne, den Arapaho und den Sioux. Die Indianer vertrauen Ihnen. Sie werden einsehen, dass es eine durchaus logische Überlegung ist, wenn wir uns um die Unterstützung eines solchen Mannes bemühen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie hergekommen sind.“

„Ich wusste nicht, dass ich als Führer gebraucht werde“, sagte McNott.

„Nur indirekt“, mischte Gynn sich ein. „In erster Linie geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Cheyenne und die anderen Stämme überhaupt mit den Leuten von Mister Jarvis Handel treiben. Den Weg zu den Stämmen würden sie notfalls allein finden. Aber du weißt, wie das ist: Die Rothäute sind misstrauisch, wenn fremde Trader auftauchen. Aber wenn du dabei bist und sagst, dass alles seine Ordnung hat, holen sie ihre besten Felle raus und sind zum Tauschhandel bereit. Es wird dein Schaden nicht sein, McNott, und auch die Indianer sollen nicht schlecht dabei wegkommen.“

„Ich habe mich seit mindestens zehn Jahren aus Prinzip nicht mehr an irgendeine Handelsgesellschaft verpflichtet“, antwortete McNott. „Ich habe keine guten Erfahrungen gemacht. Ich habe immer nur so viel Handel getrieben, wie nötig war, um leben zu können. Die großen Companies sind noch nie ehrlich mit den Indianern umgegangen. Sie müssen Profite machen, weil sie sonst ihre Angestellten gar nicht bezahlen könnten. Deswegen nehmen sie die Indianer aus, wo immer sie können. Ich will dabei nicht mitmachen.“

„Sie haben ein falsches Bild von uns, Mister McNott“, sagte Jarvis. „Früher hat es sicher Auswüchse gegeben. Inzwischen haben die Zeiten sich geändert. Wir sind an einer langfristigen Zusammenarbeit mit den Indianern interessiert und können es uns daher gar nicht leisten, sie zu verärgern. Sie sollten sich zunächst einmal die Bedingungen anhören, die wir Ihnen bieten.“

„Die Bedingungen sind für mich nicht wichtig, Mister Jarvis. Es gibt nichts, was Sie mir bieten könnten, was ich nicht schon hätte. Wer wie ich in der Wildnis lebt, hat keine großen Ansprüche. Es tut mir leid, aber ich fürchte, Sie müssen allein versuchen, mit den Indianern zurechtzukommen. Ich habe zu viele schlechte Erfahrungen machen müssen.“

„Wir haben davon gehört, Mister McNott.“ Jarvis blieb unbeeindruckt. „Es ist keine Frage, dass sich im Pelzhandelsgeschäft in den letzten zwanzig Jahren zwielichtige Elemente getummelt haben. Sie wissen selbst am besten, dass solche Leute heute keine Chance mehr haben. Die Indianer haben gelernt, was Felle wert sind. Man kann sie heute nicht mehr hinters Licht führen. Kein vernünftiger Mensch würde sich außerdem noch auf so ein Risiko einlassen. Ich spiele mit offenen Karten, Mister McNott: Vor zehn Jahren wäre ich vielleicht versucht gewesen, auf die billigste Weise die besten Pelze in größtmöglicher Menge zu kriegen. Heute bin ich vorsichtig geworden. Ich will ein faires Geschäft, bei dem beide zufrieden sind. Ich bin sicher, Sie würden es auch sein.“