1,99 €
Vicente Neiva stöhnte schmerzvoll auf. Etwas ging mit ihm vor, etwas Unheimliches, Schreckliches, das spürte er mit allen Fasern seines Körpers. Rosenkreuzer!, ertönte die Stimme in seinem Kopf. Okkultistischer Freimaurer! Bald kommt die Macumba dich holen, Neiva-Schwein!
Der Fahrer wandte den Kopf. Er stieß einen entsetzten Schrei aus und stoppte den Wagen mit quietschenden Bremsen. »Señor Neiva, um der Heiligen Jungfrau willen, was ist mit Ihnen?«
Neiva spürte das Reißen und Ziehen im Gesicht. Sein Kopf schmerzte, als die Knochen sich verformten ...
Auf dem Rückweg nach London legt Dorian Hunter auf Jeff Parkers Bitten einen Zwischenstopp in Rio de Janeiro ein. Über die Hintergründe schweigt Jeff sich seltsamerweise aus - selbst als sich Menschen plötzlich auf grausige Art und Weise verwandeln und der Fluch der Macumba zu wirken beginnt ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
DIE SCHWEINEMENSCHEN VON RIO
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
mystery-press
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9795-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen. Unterstützung in seinem Kampf erhält er zunächst durch den englischen Secret Service, der auf Hunters Wirken hin die Inquisitionsabteilung gründete.
Bald kommt Dorian jedoch seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren.
Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten. Er jagt die Dämonen auf eigene Faust, und als die Erfolge ausbleiben, gerät Trevor Sullivan, der Leiter der Inquisitionsabteilung, unter Druck. Die Abteilung wird aufgelöst.
Hunter bleibt nur sein engstes Umfeld: die junge Hexe Coco Zamis, die früher selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; weiterhin der Hermaphrodit Phillip, der weder Mann noch Frau ist und dessen hellseherische Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen – sowie die Ex-Mitarbeiter des Secret Service Marvin Cohen und Donald Chapman. Letzterer wurde bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft.
Trotz der Rückschläge ist es Dorian schließlich gelungen, Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, zu vernichten. Doch mit Olivaro steht schon ein Nachfolger bereit, der in der Vergangenheit keinerlei Skrupel hatte, sogar mit Dorian zusammenzuarbeiten, wenn es seinen eigenen Interessen diente. In der Zwischenzeit hat Dorian seinen alten Freund Jeff Parker im südamerikanischen Dschungel aufgestöbert, wo er auf einer Expedition zur alten Goldstadt der Inka, El Dorado, verschollen war. In El Dorado begegnet Hunter überdies der Inka-Prinzessin Machu Picchu, die über die Fähigkeit verfügt, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Mehr noch, Machu Picchu selbst ist nur ein Traum, während ihr Körper nach dem Inferno in El Dorado im Orinoco treibt.
Der Rückweg nach London führt Dorian, Jeff und Machu Picchu schließlich über Rio de Janeiro, wo bereits die »Schweinemenschen« auf Dorian warten …
DIE SCHWEINEMENSCHEN VON RIO
von Earl Warren
In ein Opfernetz verschnürt, die Hände auf dem Rücken zusammengenagelt, versank der Körper der Inka-Prinzessin in den Fluten.
Zum Orinoco trieb sie, den Fluss hinunter.
Sie war nicht tot, wenn sie auch den Silbernagel nicht spürte, der ihre Hände zusammenhielt, und nichts von ihrer Umgebung wahrnahm, von den Schrecken und Gefahren des Flusses.
Die Stromschnellen, Piranhas und Kaimane konnten ihr nichts anhaben. In einer magischen Sphäre glitt Machu Picchu dahin, trieb hinaus ins offene Meer. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, denn sie träumte von einem Glück an der Seite Dorian Hunters.
Die Küste entlang trieb Machu Picchu gen Süden, mit dem Brasilstrom ums sturmumtoste Kap Hoorn, in den Pazifik und in die Südsee. Sie schlief und träumte vom Leben und vom Glück.
Denn der Traum war Leben, das Leben ein Traum.
1. Kapitel
Vicente Neiva stöhnte schmerzvoll auf. Das Spiegelbild verschwamm vor seinen Augen. Das Brummen des elektrischen Rasierapparats erschien ihm plötzlich wie ein Dröhnen, in das sich höhnisch lästernde Stimmen mischten.
»Rosenkreuzer! Okkultistischer Freimaurer! Erkenne die Macht der Macumba und beuge dich! Auf die Knie, Vicente Neiva! Neiva, du reiches Schwein! Schwein, Schwein, SCHWEIN! Bald kommt die Macumba dich holen, Neiva-Schwein!«
Mit einem Aufschrei drosch der schlanke, grauhaarige Mann die Faust in den Badezimmerspiegel, dass er klirrend zerbarst. Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper. Er zitterte. Da war es wieder, dieses Gefühl des Unbehagens und der Übelkeit, schlimmer als je zuvor.
Etwas ging mit ihm vor, etwas Unheimliches, Schreckliches, das spürte Vicente Neiva mit allen Fasern seines Körpers. Die unheimlichen Stimmen waren verhallt, doch die Angst blieb.
Neiva wusste, dass er zu seinem Nachfolger musste. Ihm musste er das Geheimnis der Loge der okkultistischen Freimaurer von Rio de Janeiro anvertrauen in der Zeit, die ihm noch blieb.
Schon hörte er die unheimlichen Stimmen wieder.
»Beeil dich, Schwein! Lauf, damit du noch zurechtkommst, Schwein Vicente Neiva!«
Er wankte aus dem Badezimmer. Den ganzen Tag hatte er im Bett gelegen, er, der sonst so aktive und vitale Mann; er war unfähig, etwas zu unternehmen oder sich um seine Geschäfte zu kümmern. Seine dreißig Jahre jüngere Frau Luisa schaute ihm besorgt entgegen.
»Vicente, was ist mit dir? Wie siehst du aus? Deine Augen sind ganz blutunterlaufen, dein Gesicht verzerrt. Was quält dich, Lieber?«
»SCHWEIN!« Die Stimme war wie ein Fanfarenstoß.
Neiva zitterte. Mit flackerndem Blick wandte er sich an seine Frau. »Hast du das gehört? Jemand hat mich beschimpft, mich ein Schwein genannt.«
Unsicher schaute sie ihn an. »Mir käme nie in den Sinn, etwas Derartiges zu dir zu sagen. Soll ich Dr. Tomas anrufen?«
»Dr. Tomas, Dr. Tomas, Dr. Tomas! Wie kann mir dieser alte Quacksalber, dem die Haare aus der Nase wachsen, helfen?« Vicente Neiva erkannte seine Stimme kaum wieder, rau und heiser klang sie, ganz anders als sonst. »Ich – muss weg. Wo ist Rodolfo – dieser faule Taugenichts von Fahrer?«
»Ich habe ihn weggeschickt. Du selber hast gesagt, du hättest heute keine Verwendung mehr für ihn. Er wird sich in der Firma nützlich machen.«
Neiva griff zum Telefon. Das Grauen schnürte ihm die Kehle zu. Er spürte, dass etwas auf ihn zukam, ein entsetzliches Schicksal. Er befand sich in der Penthousewohnung seines eigenen Hochhauses an der Ecke Avenida Atlantica – Rua Hilario de Gouveia. Durch die großen Panoramafenster flutete Licht herein. Man hatte einen herrlichen Ausblick auf den Strand von Copacabana mit seinen Hotelpalästen und auf den Atlantik.
Neiva hatte jetzt keinen Sinn für die Schönheit dieses Bildes. Er telefonierte mit seinem Fahrer und sagte ihm, er sollte den Buick Riviera aus der Tiefgarage holen.
Luisa redete auf Neiva ein, aber er hörte nur ihre Stimme, verstand sie nicht.
Er raffte im Schlafzimmer seine Kleidungsstücke zusammen, legte den Hausmantel ab und zog sich an.
Der Fahrer klingelte. Er erkannte seinen Chef kaum wieder. Neivas Gesicht war eigenartig verzerrt.
»Wir fahren zu Joao Pinzon nach Jacarecagua«, stieß Neiva hervor. Jedes Wort fiel ihm schwer.
Er folgte dem Fahrer zum Fahrstuhl, ohne auf die Vorhaltungen seiner Frau zu hören. Er musste zu Pinzon. Der Gedanke hatte sich in sein Gehirn gebrannt.
Der Lift glitt nach unten und hielt im Erdgeschoss. Als sie durch die Halle eilten, wurde Neiva respektvoll gegrüßt, denn er war ein Mann von Ansehen und Bedeutung in Rio. Ihm gehörten mehrere Apartmenthäuser, zwei Hotels, eine gutgehende Maklerfirma. Im 19. und 20. Stock dieses Hauses war seine Firma untergebracht.
Auf dem Parkstreifen der sechsspurigen Avenida Atlantica wartete der chromblitzende Buick. Es herrschte das übliche Nachmittagsgewimmel. Neiva stieg ein. Der Fahrer schloss den Wagenschlag, setzte sich hinters Lenkrad und fuhr los.
Schweißtropfen glänzten auf Neivas Stirn, als er sich im Sitz zurücksinken ließ. Er schloss die Augen. Es war ihm, als lachte ihn jemand höhnisch aus, als hörte er fernen, dumpfen Trommelklang und dazwischen immer wieder ein Wort: Macumba.
Neiva war der Großmeister der okkultistischen Freimaurer in Rio, ein Mann von dreiundfünfzig Jahren, bis vor wenigen Tagen noch selbstsicher, erfolgsgewohnt und davon überzeugt, dass er mit allem fertig werden könnte, was auf ihn zukam. Jetzt verspürte er eine ganz erbärmliche Angst.
Begonnen hatte es damit, dass sich die Loge der okkultistischen Freimaurer gegen die Macumba gewandt hatte, jene Geheimsekte, die in der letzten Zeit immer mehr unheilvollen Einfluss gewann. Auf der letzten Sitzung, die ein paar Tage zurücklag, hatten Neiva und die ganze Loge die Kampfansage der Macumba erhalten: einen geköpften Hahn mit zusammengebundenen, gekreuzten Beinen. Es war eine tödliche Drohung. Kampf bis aufs Messer und Vernichtung verhieß sie.
Neiva hatte gelacht, die Bedenken der Logenbrüder zerstreut. Zur Loge gehörten einflussreiche und angesehene Männer. Sie hatten überallhin Verbindungen. Was wollten ihnen diese ungewaschenen, barfüßigen Halsabschneider aus den Armenvierteln mit ihrem Mummenschanz schon anhaben können? Inzwischen dachte Neiva anders. Die grausige Gewissheit keimte in ihm auf, dass sich die Macumba-Anhänger schwarzer Magie bedienten.
Der Fahrer sagte etwas zu ihm. Neiva sah auf. Ein Verkehrsstau in der Rua Real Grandeza. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Elend, wie er sich fühlte, war ihm jede Minute zu viel, die er unterwegs sein musste.
Zum ersten Mal bedauerte er es, dass Pinzon so weit außerhalb wohnte, dass Jacarecagua so umständlich zu erreichen war. Fast durch die ganze Fünf-Millionen-Stadt musste man. Neiva schien es schon Ewigkeiten zu dauern, bis sie endlich das Elendsviertel Grajau erreichten. Zerlumpte Kinder spielten auf der Straße. Der Fahrer hupte, und missmutig wichen sie aus. Ein Straßenjunge warf einen Dreckbatzen gegen den Luxuswagen. Der Fahrer wollte halten und aussteigen, aber Neiva bedeutete ihm keuchend weiterzufahren. Auf der ausgebauten Estrada Jacarecagua kamen sie schneller vorwärts.
Vicente Neiva spürte plötzlich einen brennenden Durst. Er wollte seinem Fahrer sagen, er solle bei dem kleinen Gasthof neben der Straße anhalten, aber nur ein tierisches Grunzen kam über seine Lippen. Er konnte kein verständliches Wort mehr hervorbringen. Das Gelächter, das er fortwährend vernahm, schwoll zu einem gellenden Crescendo an.
Neiva grunzte wieder.
Der Fahrer wandte den Kopf. Er stieß einen entsetzten Schrei aus und stoppte den Wagen mit quietschenden Bremsen.
»Señor Neiva, um der Heiligen Jungfrau willen, was ist mit Ihnen?«
Neiva spürte das Reißen und Ziehen im Gesicht. Sein Kopf schmerzte, als die Knochen sich verformten. Er stöhnte auf, wollte den Fahrer an den Schultern packen, ihn um Hilfe anflehen, konnte aber nur das tierische Grunzen hervorbringen.
Der Fahrer riss die Wagentür auf und floh schreiend.
Neiva krümmte sich auf dem Rücksitz. Er wusste nicht, wie lange seine Qualen andauerten. Es war so schlimm, dass er sich wünschte zu sterben, nur um endlich erlöst zu sein.
Als er sich schließlich aufsetzen konnte, war es schon dunkel. Viele Wagen waren vorbeigefahren, doch wer hätte sich schon um den ordentlich am Straßenrand stehenden Buick kümmern sollen?
Neiva warf einen Blick in den Rückspiegel. Er erkannte undeutlich eine Fratze, aber es war, als befände sich eine Schicht über dem Spiegel oder seinen Augen, die ihn daran hinderte, die genauen Konturen wahrzunehmen.
Es fiel ihm wieder ein, dass er zu Joao Pinzon wollte, seinem Nachfolger in der Freimaurerloge. Er stieg aus, setzte sich vorn hinters Lenkrad und fuhr los zu dem abgelegenen Stadtteil. Noch einmal wurde ihm übel, bekam er scheußliche Schmerzen. Er wollte schreien, doch nicht einmal das konnte er. Er hörte jemanden grotesk und erstickt grunzen, hörte ein leises Quieken und Fiepen und erkannte erst nach einiger Zeit, dass er selbst es war, der diese Töne hervorbrachte.
Mein Gott, was geht mit mir vor?
Die Stimmen in seinem Kopf waren jetzt verklungen. Er sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Es ging schon auf Mitternacht zu. Endlich erreichte er die Rua Retiro dos Artistas und das stattliche Haus Joao Pinzons. Als er ausstieg, sah er, dass das Haus im Dunkeln lag. Im großen Garten hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Ein Feuer brannte, Trommelklang war zu hören. Auf der Straße war niemand zu sehen. Die Bewohner der großen Villenhäuser mit den prunkvollen weißen Fassaden verkrochen sich.
Vicente Neiva schlich sich an die Menschenmenge heran. Es waren Macumba-Anhänger, Männer und Frauen, Farbige und Weiße, Reiche und Arme. Einige waren halbnackt und hatten die Oberkörper mit weißen Streifen bemalt, andere trugen modische Kleidung. Allen gemeinsam war der verzückte, entrückte Gesichtsausdruck. Sie klatschten in die Hände und wiegten sich zu den Rhythmen hin und her.
Am hochlodernden Feuer stand eine bizarre Gestalt, grotesk und unheimlich anzusehen. Der Mann – ein hochgewachsener Farbiger – trug einen zerlumpten dunklen Anzug und hatte einen zerschlissenen Zylinderhut auf dem Kopf. Auf seiner linken Schulter saß ein weißer Papagei. Er stützte sich auf einen Stab mit einem faustgroßen, weißen Totenkopf am oberen Ende. Um den Hals trug er eine Kette mit Tierzähnen, Federn und magischen Symbolen, die Neiva nicht genau erkennen konnte. Es war ein Priester der Macumba, die viele ihrer Riten und Gebräuche beim Voodoo-Kult entlehnt hatten. Obwohl er wie eine Vogelscheuche gekleidet war, strahlte der Macumba-Priester eine böse, unheimliche Aura aus, die Neiva körperlich spüren konnte. Die Stimmen der Macumba-Anhänger wurden nun lauter. Begeisterte Schreie waren zu hören. Einige Macumba mussten ins Haus eingedrungen sein, denn sie schleppten jetzt einen Mann heran. Inmitten der Menschenmenge vor dem Feuer wurde er losgelassen. Er lief um sein Leben, aber es umgab ihn ein Wall von Menschenleibern. Er wurde zurückgestoßen, mit Tierblut und stinkenden Flüssigkeiten bespritzt, gekniffen, an den Haaren gezerrt und geschlagen. Die Macumba bespuckten ihn, brüllten ihm mit zu Fratzen verzerrten Gesichtern ihren Hass ins Gesicht.
Es war ein Höllenspektakel. Dem Unglücklichen wurden Tierkadaver, krähende Hähne und magische Symbole entgegengehalten. Der Mob spielte mit ihm, ohne ihm vorerst ernsthaft weh zu tun.
In seiner Verzweiflung rannte er auf den Macumba-Priester los, doch der hielt ihm seinen Totenkopfstock entgegen. Der gehetzte Mann taumelte zurück, als der Totenkopf den Rachen aufriss und ihm heiße Asche ins Gesicht blies.
Neiva hatte den Mann noch nicht richtig gesehen. Immer versperrte ihm die Menge den Blick. Er war aber überzeugt, dass es Joao Pinzon war, sein Nachfolger.
Neiva fiel auf, dass er keinen Schrei des Gehetzten über den allgemeinen Lärm, das Rasseln, Pfeifen und Trommeln hinweg hörte. Er duckte sich in die Schatten eines hohen Busches.
Dann wurde es im Garten von Joao Pinzons Villa ruhig, bedrohlich ruhig. Die Menschenmenge wich auseinander. Vor dem flackernden Feuer stand der Mann. Im Hintergrund wurde etwas herbeigeschleppt. Vicente Neiva wollte sehen, was es war. Er stieg auf die Mauerbrüstung, in die die Stangen des Zaunes eingelassen waren. Jetzt konnte er über die Köpfe der Menge blicken.
Der Kleidung und der Gestalt nach schien ihm der Mann am Feuer unzweifelhaft Joao Pinzon zu sein. Einige Schritte von ihm entfernt stand der Macumba-Priester und murmelte unverständliche Worte. Die Macumba-Anhänger hatten einen bösen, lüsternen Ausdruck, als erwarteten sie gleich ein Schauspiel, das ihre Gelüste vollauf befriedigen würde. Ein großer Kasten wurde von vier Macumba herangeschleppt. Sie öffneten ihn. Eine zehn Meter lange Boa constrictor glitt heraus. Sie wollte vor dem Feuerschein und der Menge fliehen, aber der Macumba-Priester rief ein paar beschwörende Worte. Die Boa richtete sich auf. Der fußballgroße Kopf pendelte hin und her. Ein so großes Exemplar einer Boa constrictor hatte Vicente Neiva noch nie gesehen.
Der Mann, den er für Joao Pinzon hielt, wollte fliehen. Jetzt erst wandte er Vicente Neiva das Gesicht zu. Es war gut, dass Neiva nicht mehr schreien konnte, sonst hätte er sich unweigerlich verraten.
Der Mann in Pinzons Kleidern und mit seiner Figur hatte das Gesicht eines Schweins. In der Schweineschnauze wurden spitze Zähne sichtbar, kleine Äuglein starrten voller Panik um sich und spitze Ohrlappen fielen an der Seite des Gesichts herunter.
Der Schweinemann konnte nicht entkommen. Ein angstvolles Quieken kam aus seiner Schnauze. Hinter ihm glitt die Schlange heran. Er drehte sich um. Die Boa constrictor richtete sich vor ihm auf, und der Blick ihrer starren Augen bannte ihn. Die Boa umschlang den Schweinemann. In der Stille, die nur vom Prasseln des Feuers und einer fernen Dreiklang-Autohupe unterbrochen wurde, hörte Neiva die Knochen krachen. Ein letztes Quieken, ein Grunzen und Schnaufen, dann war der Schweinemann tot.
Die Macumba begannen wieder mit ihrem Spektakel; sie hüpften und tanzten um das Feuer. Der Priester rief schaurige Gottheiten an.
Vicente Neiva bebte und zitterte. Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, glitt seine eine Hand tastend über sein Gesicht, vor dem sein Fahrer so erschrocken war. Neiva spürte eine Schnauze, Nüstern und kleine Äuglein in einem fetten Schwartengesicht.
Er quiekte wie ein Schwein. Einige Macumba wurden aufmerksam und wandten sich ihm zu. Neiva hatte gesehen, was ihm blühte. Von Grauen erfüllt rannte er in die Nacht.
Wir flogen mit einer DC 8 der Cruzeiro do Sul, der größten brasilianischen Fluglinie, von Manaus am Amazonas nach Rio de Janeiro. Mein Freund Jeff Parker hatte mich dazu überredet. Er meinte, ich müsste in Rio unbedingt einen sehr wichtigen Mann kennen lernen. Jeff tat mächtig geheimnisvoll. Ich wusste nur, dass dieser Mann Vicente Neiva hieß. Was für eine Stellung er bekleidete und welche Bewandtnis es mit ihm hatte, damit rückte Jeff Parker nicht heraus.