Edgar Wallace - Neue Abenteuer 02: Die goldenen Mönche - Dietmar Kuegler - E-Book

Edgar Wallace - Neue Abenteuer 02: Die goldenen Mönche E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Edgar Wallace hat viele Kriminalfälle beschrieben. Inspektor Ebenezer Pommery von Scotland Yard kennt sie alle. Sie helfen ihm, neue knifflige Aufgaben zu lösen. Die Printausgabe umfasst 168 Buchseiten.

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Seitenzahl: 174

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In dieser Reihe bisher erschienen

1901 Dietmar Kuegler Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle

1902 Dietmar Kuegler Die goldenen Mönche

1903 Thomas Tippner Im Bann des Erlösers

1904 J. J. Preyer Der Spieler

1905 Reiner F. Hornig Das Geheimnis der toten Augen

1906 Thomas Tippner Die verlorenen Mädchen von London

1907 Thomas Tippner Die Flussratten von London

1908 Thomas Tippner Der Kreis der Verschworenen

1909 Reiner F. Hornig Das Erbe des Magiers

Die goldenen Mönche

Edgar Wallace - Neue Abenteuer

Buch 2

Dietmar Kuegler

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.

Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2017 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

 Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-95719-072-7

1902 vom 25.08.2024

Inhalt

Der 1. Fall

1. Die Affenmenschen

2. Spurensicherung

3. Männer ohne Gedächtnis

4. Die Spur führt nach Afrika

5. Weiß Edgar Wallace Rat?

6. Seltsame Begegnungen und Entdeckungen

7. In den Fängen der Affen

8. Der Fall kommt in Bewegung

9. Das Rätsel wird gelöst

Der 2. Fall

1. Der Überfall

2. Das gläserne Auge

3. Friedhofsnacht

4. Weiß Edgar Wallace Rat?

5. Das Phantom am Fenster

6. Ein gefährliches Treffen

7. Die Verwirrung wächst

8. Jagd auf die Masken

9. Das Rätsel wird gelöst

Der 3. Fall

1. Die Totenorgel

2. Gefährliche Blüten

3. Geheimnisvolles Gaunertreffen

4. Der Überfall

5. Inspektor Pommery hat eine Spur

6. Geistergesang

7. Auf gefährlichen Pfaden

8. Weiß Edgar Wallace Rat?

9. Ein Mordanschlag

10. Irrlichter im Moor

11. Das Rätsel wird gelöst

Der 1. Fall

Kapitel1

Die Affenmenschen

Es war eine Nacht ohne Sterne. Eine pechschwarze Wolkendecke hatte den Himmel überzogen. Aus dem düsteren Schlund zuckten knatternd wie gleißende Lichtfinger Blitze zur Erde, begleitet von wuchtigen Donnerschlägen, die das Tosen des Sturms übertönten, der über die bewaldeten Hügel von Northamptonshire raste. Der Zug der Great Northern stampfte gegen den Sturm an nach Süden. Dem mächtigen Schlot der Swindon-Lokomotive entwichen fauchend riesige Rauchschwaden, die sofort nach hinten fortgerissen wurden. Im sprühenden Funkenregen des offenen Feuerlochs sah man die rußverschmierten Gestalten des Lokführers und des Heizers auf dem Führerstand arbeiten. In regelmäßigen Abständen zog der Lokführer an einer Reißleine und ließ eine schrille Kesselpfeife durch die Nacht hallen. Gerade war der Zug über die Eisenbrücke gerollt, die den River Welland überspannte. Das metallische Rattern war verstummt und wieder dem monotonen, durchdringenden Surren der Räder gewichen, das den Männern auf der Lok längst in Fleisch und Blut übergegangen war. Genauso wie Howard Lane, dem Schaffner des Schnellzuges Edinburgh-London, der müde durch die finsteren Abteile stapfte und ab und zu an einem Fenster stehen blieb und in die stürmische Nacht hinausschaute. Von der herrlichen Landschaft waren nur die Hügelbuckel wie die Rücken schlafender Riesentiere und die tanzenden Baumspitzen zu erkennen. Lane gähnte, als er das Postabteil erreichte. Er rückte seine Uniform gerade und nickte den beiden Wachmännern der Bahngesellschaft zu, die auf unbequemen Stühlen vor der Tür des Abteils saßen. Sie hatten großkalibrige Webley-Revolver im Gürtel und Karabiner auf dem Schoß liegen.

„Noch knapp dreieinhalb Stunden bis London“, sagte Howard Lane. Er zog ein Etui aus der Tasche und bot den Wachmännern Zigaretten an. Sie griffen zu. Einer sagte: „Das ist die längste Nacht meines Lebens.“

„Und das alles wegen der Klunker.“ Der Schaffner schaute die Tür des Postabteils an, als könne er hindurchblicken und die Juwelen sehen, die im Stahlschrank des Waggons transportiert wurden. Tatsächlich hatte er sie noch nie gesehen. Er kannte nur einige Abbildungen in den Zeitungen von Edinburgh, wo die Diamanten und Smaragde, die zu einem alten afrikanischen Kronschatz gehörten, auf einer Ausstellung gezeigt worden waren.

„Diese Klunker sind immerhin über zweihunderttausend Pfund wert“, bemerkte einer der Wachmänner. „Ich werde froh sein, wenn wir die Dinger in London wieder los sind. Wenn ich bloß dran denke, habe ich ein Kribbeln im Rücken.“

„Würdest du das auch sagen, wenn sie dir gehörten?“

„Dann kriegte ich wahrscheinlich nie mehr ein Auge zu.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht scharf darauf, so ein Vermögen in der Tasche zu haben.“

„Ich hätte nichts dagegen einzuwenden.“ Der Schaffner lächelte schmal. Er zog an seiner Zigarette. „Wenn ich so viel Geld hätte, brauchte ich mir nie mehr die Nächte um die Ohren zu schlagen.“ Er wandte sich ab. „Wenn ich die nächste Runde mache, bringe ich euch einen Schluck zu trinken mit.“

Ein Donnerschlag dröhnte durch die Nacht, ein Blitz zerriss die Dunkelheit. Sein gleißendes Licht zuckte in das Abteil. Fast gleichzeitig schrillte die Dampfpfeife der Lokomotive.

Der letzte Waggon des Schnellzuges war ebenso unbeleuchtet wie alle anderen Wagen. Deswegen waren die Gestalten, die von der hinteren Plattform aus auf das leicht gewölbte Waggondach kletterten, in der Dunkelheit zuerst nicht zu sehen. Dann zuckten für Sekundenbruchteile mehrere Blitze durch die Nacht und strahlten sechs große Affen an, die mit schwerfälligen Bewegungen geduckt über die Waggondächer tappten. Sie hatten es offenbar nicht leicht, das Gleichgewicht zu halten. An das gleichmäßige Rattern und Schwanken des Zuges gewöhnten sie sich schnell, aber nicht nur der Fahrtwind, auch die Sturmböen, die mit wütendem Heulen über das Land zogen, zerrten an ihnen. Gerade sprangen die Affen zum vorletzten Waggon hinüber. Sie schienen sekundenlang in der Luft zu schweben, landeten sicher und balancierten weiter. Ihre schwarzen Gesichter hatten den starren Ausdruck von Raubtieren, ihre Augen glitzerten dunkel. Mit seiltänzerhafter Sicherheit wechselten sie zum nächsten Waggondach über. Unaufhaltsam gelangten sie nach vorn. Sie passierten die Bremserhäuschen, ohne sich darum zu kümmern. Die Männer darin wurden jetzt nicht gebraucht, sie schliefen. Sie kamen der Lok immer näher. Wieder und wieder wurden sie von beißenden Rauchschwaden aus dem Schlot des Kessels eingehüllt.

Die großen Affen erreichten den zweiten Waggon hinter dem Kohlentender. Sie kletterten hinunter auf die Plattform. Einer hantierte mit einem Spezialschlüssel. Er öffnete die Waggontür. Die Affen drangen in den dunklen Gang des Postwagens ein.

Plötzlich war ein trüber Lichtschein vor ihnen. Dann tauchte der Schaffner auf. Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein Mund öffnete sich weit. Er sah die pelzumhüllten Gesichter der Affen, die blitzenden Zähne und die hoch erhobenen schwarzen, haarigen Hände. Ohne einen Laut drängten die großen Affen auf ihn zu. Draußen schrillte gerade wieder die Dampfpfeife der Lok.

Kapitel2

Spurensicherung

Ein wolkenloser blauer Himmel dehnte sich über London. Es war ein warmer Spätsommertag. Inspektor Ebenezer Pommery schwitzte in seinem kleinen klapprigen Sunbeam Roadster, der puffend und knatternd den York Way hochrollte und neben King’s Cross Station anhielt. Der Motor verstummte. Der Inspektor, mittelgroß, rundlich, mit traurigem Seehundsschnauzbart, stieg aus und betrat das imposante, fast wie eine Kathedrale wirkende Bahnhofsgebäude. Der Bahnsteig, auf dem der Schnellzug Edinburgh-London eingelaufen war, war von starken Polizeikräften abgesperrt worden. Neugierige drängten sich, in dichten Trauben zusammengeschart, an den Gittern. Der intensive und für Bahnhöfe so typische Geruch nach Ruß, Rauch, Schmierfett und Öl wehte dem Inspektor entgegen, der in seinem abgetragenen Tweedanzug unauffällig und wenig beeindruckend wirkte; sein harmloses Aussehen hatte schon viele getäuscht. Pommery entdeckte seinen Assistenten, Sergeant Daven, neben dem Postwaggon am Kopfende des Zuges. Daven sprach gerade mit dem Lokführer, einem breitschultrigen Mann in verrußtem Overall.

„Eine Stunde Verspätung ist ganz normal, Sir“, sagte der Lokführer, als der Inspektor sich näherte. „Wir hatten letzte Nacht über Northampton und Bedford ein schweres Unwetter, deshalb sind wir nicht so rasch vorangekommen. Außerdem gibt es auf einer so langen Strecke immer mal kleinere Verzögerungen. Angehalten haben wir aber nur einmal, ein Stück hinter Kettering. Da war das Haltesignal aufgerichtet. Wahrscheinlich wurde eine Weiche umgestellt. Es hat vielleicht fünfzehn Minuten gedauert, dann konnten wir weiterfahren.“

„Und Sie haben überhaupt nichts von dem bemerkt, was im Zug vorging?“

„Nicht die Spur, Sir. Selbst wenn hinten eine Bombe hochgegangen wäre, hätten wir nichts gehört. Im Kessel stampft und faucht es ganz schön, Sir, und es dröhnt im Führerstand, dass einem die Knie weich werden.“

„Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung.“ Daven seufzte. Er wandte sich Inspektor Pommery zu. „Ein rätselhafter Fall, Sir. Sie haben wahrscheinlich schon gehört, um was es geht.“

„Mir wurde gesagt, es handle sich um einen größeren Juwelenraub. Ich bin sofort losgefahren.“ Pommery musterte den Postwagen eingehend. „Keine Spur von Gewaltanwendung. Wo ist das Personal?“

„Das ist es eben, Sir: Die Kerle müssen sich mit einem Spezialschlüssel Zugang zum Waggon verschafft haben. Und das Personal ist verschwunden. Genau wie die Juwelen. Spurlos. Der Schaffner und die Wachmänner der Bahngesellschaft. Es waren drei, zwei haben vor dem Abteil gesessen und einer drinnen, wie ich inzwischen erfahren habe.“

„Um was für Juwelen handelt es sich?“

„Das ist das Peinliche, Sir. Es sind ausgesucht phantastische Steine, die zum Kronschatz eines alten afrikanischen Stammes gehörten, der in einer unserer Kolonien gelebt hat. Als die Königsdynastie ausgestorben ist, hat unsere Kolonialverwaltung den Schatz in Besitz genommen. Jetzt befindet er sich in England, wird gelegentlich bei Ausstellungen gezeigt und gehört zum britischen Staatsschatz. Sein Wert beträgt über zweihunderttausend Pfund.“ Davens Stimme senkte sich. „Die Regierung hat einen Unterstaatssekretär aus dem Außenministerium geschickt, der die Ermittlungen überwachen soll. Ein unangenehmer Mensch, wenn Sie mich fragen, Sir. Sehr hochnäsig, und sehr ...“

„Ist der leitende Inspektor von Scotland Yard endlich da?“, tönte eine nasale Stimme aus der offenen Waggontür. Wenig später erschien der Mann, zu dem die Stimme gehörte. Er war hager, hochgewachsen, mit leicht gekrümmten Schultern, aber tadelloser Haltung. Er hatte ein schmales, knochiges Gesicht mit stechenden Augen und spitzer Nase. Sein dunkelgrauer Maßanzug saß korrekt. Auf dem Kopf trug er einen Bowler.

Inspektor Pommery stellte sich vor. Der andere musterte ihn mit unverhohlener Skepsis.

„Das ist Sir Ashton Brown, Inspektor“, stellte Sergeant Daven vor.

„Was haben Sie bereits unternommen, Inspektor?“, fragte der Unterstaatssekretär.

„Ich bin hergekommen, Sir“, erwiderte Pommery mild. „Mehr war mir im Moment nicht möglich zu unternehmen, da mir nicht einmal genau gesagt worden war, was eigentlich passiert ist. Aber Sie werden sicher die Güte haben, mich umfassend zu unterrichten.“

„Diese Güte werde ich keineswegs haben, Inspektor. Die Ermittlungsarbeiten sind Ihre Sache. Es ist wenig ergiebig für Sie, mich auszufragen.“

„Es sind wenige Leute da, die ich sonst befragen könnte“, sagte Pommery. „Die Wachmänner und der Schaffner sind spurlos verschwunden.“

„Ich werde Sie im Auge behalten, Inspektor!“, verkündete Sir Ashton unheilvoll. „Die Regierung, vor allem aber das Königshaus, ist außerordentlich daran interessiert, dass der gestohlene Schmuck wieder aufgefunden wird. Zum Glück handelt es sich nur um einen Teil des gesamten Kronschatzes von Hogame. Allerdings befinden sich Zepter und Diadem einer Stammesprinzessin dabei, sowie der Hofagi-Diamant, das Symbol des jeweiligen Königs der Hogame.“

„Sie haben mir mit diesen Auskünften bereits sehr geholfen, Sir Ashton. Ich bin sicher, dass ich Ihnen noch viele Fragen stellen werde. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“ Inspektor Pommery ließ den Unterstaatssekretär einfach stehen und stieg in den Postwaggon. Hier fand er einige Beamte von Scotland Yards Spurensicherung vor. Sie krochen auf allen vieren durch das Abteil und pinselten Wände, Türen und Bänke mit feinem Pulver ein, um nach Fingerabdrücken zu suchen.

„Haben Sie schon etwas gefunden, Gentlemen?“, fragte Pommery.

Die beiden Beamten schauten auf. Einer sagte, und seine Stimme zitterte dabei ein wenig: „Wir haben Fingerabdrücke gefunden.“

„Glauben Sie, dass unsere Kartei uns weiterhilft?“

„Kaum, Sir. Solche Abdrücke haben wir gewiss nicht in der Kartei.“

„Das wissen Sie schon jetzt genau?“

„Ganz genau, Sir. Was wir hier haben, sind die Abdrücke von Affen.“

„Affen?“ Pommery zog die Augenbrauen hoch. Er fühlte ein unsicheres Kribbeln im Magen, wie immer, wenn ein Fall anfing, problematisch zu werden.

„Menschenaffen, Sir. Gorillas, um genau zu sein.“

„Was sollen die hier im Postwaggon ...“ Pommery stockte. Sein Herz schlug etwas schneller. „Wollen Sie damit sagen, dass der Diebstahl dieses unglaublich wertvollen Schmucks von Affen ...“

„Wir sagen nur, dass auf dem Stahlschrank die Fingerabdrücke von Affen zu finden sind. Aber ... Wer sollte es sonst getan haben?“

„Vielleicht wollten sie einen Affenkönig krönen!“, rief ein anderer Beamter. Er lachte schallend über seinen eigenen dummen Witz. Niemand sonst lachte mit. Der erste Beamte sagte: „Das ist ganz unmöglich.“

Pommery schüttelte den Kopf: „Kein Verbrechen ist unmöglich.“ Er entdeckte neben der Tür ein paar dunkle verfilzte Haare am Boden und hob sie auf. Sie stammten von einem tierischen Pelz. „Analysieren Sie das“, sagte er und reichte sie einem Beamten. Er trat auf den Gang hinaus und sah zwei umgestürzte Stühle. Daneben lag ein Karabiner. Offenbar hatte ein Kampf stattgefunden. Pommery stieg aus dem Waggon. Sergeant Daven erwartete ihn. Er blickte gerade erleichtert hinter Sir Ashton Brown her, der gravitätisch zum Ausgang schritt.

„Gibt es schon einen Hinweis, Inspektor?“, fragte Daven.

„Es waren Affen“, antwortete Pommery ohne äußere Erregung. „Große Menschenaffen.“

Sergeant Daven blieb der Mund offen stehen. Pommery aber schlenderte gemächlich zum Ende des Zuges. Er machte einen schläfrigen Eindruck – aber er sah alles, was auf dem Bahnsteig passierte.

* * *

Der Stundenschlag von Big Ben klang bis in das Büro von Inspektor Pommery im verwinkelten viktorianischen Gebäude von Scotland Yard am Embankment. Die Herbstsonne schien durch die blanken Scheiben. Sergeant Daven trat mit einer Akte unter dem Arm ein.

Pommery, der versonnen am Fenster stand, drehte sich um. „Gibt es etwas Neues? Sind die Wachmänner und der Schaffner aufgetaucht?“

„Leider noch nicht, Sir. Es wird fieberhaft entlang der Strecke gesucht. Ich habe hier die erste Fassung des Protokolls. Es müssen noch heute Abschriften davon ins Innenministerium und zu Sir Ashton ins Außenministerium geschickt werden. Man will dort dauernd unterrichtet werden. Dem Fall wird höchste Bedeutung zugemessen. Wie ich inzwischen erfahren habe, hatten die Juwelen des Hogame-Stammes hohen Symbolwert. Es hat deswegen in Afrika sogar einmal einen Aufstand gegeben.“

„Wir werden wie immer systematisch vorgehen, Sergeant. Wichtig ist zunächst für uns: Wie konnte der Überfall überhaupt stattfinden? Woher sind die Täter gekommen? Wie sind sie mitsamt der Beute und immerhin vier ausgewachsenen Männern Personal verschwunden?“

„Die Affen, Sir“, ergänzte Sergeant Daven.

„Wir müssen uns an die vorhandenen Spuren halten. Die Fingerabdrücke am Stahlschrank stammen eindeutig von Affen.“

„Vielleicht sollten wir im Zoo nachfragen, Sir“, sagte Daven mit schmalem Grinsen.

„Seien Sie nicht so affig, Sergeant. Sie wissen so gut wie ich, dass es sich ganz offenbar um eine hervorragende Maskerade gehandelt haben muss, die unsere Spurensicherung völlig verwirren sollte. Das ist den Tätern auch gelungen.“ Pommery runzelte die Stirn. „Es könnte allerdings sein ...“ Er ging zu seinem Schreibtisch. „Sie sagten, die Juwelen hätten in Afrika Symbolwert. Nun, vielleicht hat auch das Hinterlassen von Affenspuren am Tatort eine bestimmte Bedeutung. Ich meine, es könnte mehr dahinter stecken, als nur eine meisterhafte Tarnung.“

„Denken Sie an etwas Bestimmtes, Sir?“

„Noch nicht, Daven. Ich weiß noch zu wenig.“ Pommery setzte sich. „Notieren Sie bitte: Ich brauche einen Fahrplan der Great Northern für die Strecke Edinburgh-London sowie eine genaue Streckenkarte, mit den eingezeichneten Haltesignalen. Sodann brauche ich eine Liste sämtlicher Schmuckstücke, die aus dem Zug gestohlen worden sind, sowie die Namen aller Personen, die von dem Transport und den genauen Umständen, unter denen er stattgefunden hat, Kenntnis gehabt haben. Besorgen Sie mir eine Liste aller Juweliere in London, die jemals mit der Polizei zu tun hatten, und lassen Sie eine Anweisung an die Zollbehörden schicken, dass ab sofort Personen, die aufs Festland reisen, gründlicher überprüft werden.“

„Befürchten Sie, dass der Schmuck umgeschliffen werden könnte?“

„Wir müssen mit allem rechnen. Vor allem müssen wir schnell handeln, Sergeant.“

„Vielleicht war es das Wachpersonal selbst, Sir.“

„Daran habe ich auch schon gedacht, Sergeant. Die Leute hatten die beste Gelegenheit. Wir können im Augenblick keinen Verdacht leichtfertig beiseiteschieben. Ich halte diese Möglichkeit aber für nicht sehr wahrscheinlich.“

Pommery lehnte sich zurück. Er zog zwei Bücher heran, die griffbereit auf seinem Schreibtisch lagen. Daven schielte darauf, bevor er sich zur Tür wandte. Er las: Der viereckige Smaragd und Der Diamantenfluss. Zwei Romane von Edgar Wallace. „Glauben Sie, dass Sie darin Hinweise finden, die uns für unseren Fall nützlich sind?“

„Überlegungen von Edgar Wallace sind immer nützlich, Sergeant. Es gibt kein Verbrechen, welches er nicht beschrieben hat.“ Pommery schlug das Buch Der viereckige Smaragd auf und sagte: „Wir werden sehen ...“

Er vertiefte sich in den Roman und hörte nicht einmal mehr, wie Sergeant Daven hinausging.

Kapitel3

Männer ohne Gedächtnis

Die schwarzen Polizeiwagen rasten in hohem Tempo in den Hof des Scotland-Yard-Gebäudes. Inspektor Pommery stand am Fenster seines Büros und schaute hinunter. Eilig verließ er den Raum und benutzte den quietschenden, ächzenden Paternoster, um in eine der unteren Etagen zu gelangen. Als er das Büro betrat, in dem bereits alles für das Verhör vorbereitet worden war, war Sergeant Daven schon da. Hinter einer hohen Remington-Schreibmaschine saß ein Polizist in Uniform bereit. Pommery sprach kein Wort. Prüfend betrachtete er die vier Männer, die soeben hereingeführt worden waren und nun auf harten Stühlen saßen. Es handelte sich um die drei Wachleute und den Schaffner des Schnellzuges Edinburgh-London. Sie waren am westlichen Stadtrand von London angetroffen worden, wo sie wegen ihrer Uniformen und des merkwürdigen Benehmens aufgefallen waren. Einige Passanten hatten sie für Betrunkene gehalten und sofort die Polizei verständigt.

Sergeant Daven trat dicht neben den Inspektor und raunte ihm zu: „Angeblich wissen sie nichts. Sie haben nichts gesehen. Sie wissen nicht, wie sie nach Kensington gekommen sind. Sie wissen nicht, wo sie sich in den letzten drei Tagen aufgehalten haben.“

„Haben Sie einen Arzt verständigt, Sergeant?“

„Bereits auf dem Revier in Kensington. Er ist mitgefahren und wird gleich hier sein.“

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür und ein hagerer Mensch mit fliehender Stirn, schlenkernden Armen und dicker Brille auf der spitzen Nase trat ein. „Ich bin Dr. Lenhard“, stellte er sich vor.

Pommery zog ihn in eine Zimmerecke und fragte, während er die vier Männer nicht aus den Augen ließ: „Können Sie schon eine Beurteilung abgeben, Doktor?“

„Man hat ihnen Drogen gegeben“, antwortete der Arzt. „Man sieht es an ihren Augen. Der Gedächtnisverlust ist absolut glaubwürdig. Es sieht fast so aus, als seien die Nacht des Überfalls und die letzten drei Tage vollständig aus ihren Köpfen gelöscht.“

„Kann dieser Gedächtnisverlust beseitigt werden? Wird die Erinnerung zurückkommen?“

„Das ist schwer zu sagen, Inspektor. Die Drogen sind offenbar in hoher Dosierung gegeben worden. Das kann zu einem dauernden Hirnschaden geführt haben. Genaues kann man erst sagen, wenn man die Patienten längere Zeit beobachtet hat.“

Pommery legte die Hände auf dem Rücken übereinander und näherte sich den Männern. Sie schauten ihm uninteressiert entgegen. Ihre Gesichter hatten einen eigenartig leeren, beinahe unheimlichen Ausdruck, ihre Augen waren stumpf.

„Sie“, sagte Pommery. Er blieb vor dem Schaffner stehen. „Ihr Name, bitte!“

„Howard Lane.“ Die Stimme klang kraftlos und schlapp. Wie eine Sprechmaschine redete er weiter: „Schaffner der Great Northern auf den Schnellzügen Schottland-London. Ich muss an meinen Arbeitsplatz ...“

„Wissen Sie, wo Sie sich befinden, Mr Lane?“

„Nein.“

„Bei Scotland Yard. Bei der Polizei, Mr Lane. Können Sie sich an irgendetwas erinnern, was in den letzten Tagen passiert ist?“

„Bei der Polizei?“ Lane hob irritiert den Kopf. „Ich bin gestern wie üblich zum Dienst gegangen. Ich habe in Edinburgh den Zug nach London bestiegen.“

„Das war vor vier Tagen, Mr Lane.“

„Das ist Unsinn. Es war gestern.“

Pommery gab es auf. Er nickte einem uniformierten Beamten zu. Die Männer wurden hinausgeführt. Dr. Lenhard folgte ihnen. Er sagte: „Ich werde sie noch einen Tag zur Beobachtung im St. Thomas Hospital unterbringen. Körperlich scheinen sie ansonsten gesund zu sein. Wenn Sie nichts anderes anordnen, Inspektor, kann ich sie morgen oder übermorgen entlassen.“

Pommery nickte. Er nagte an seiner Unterlippe. Im nächsten Moment flog die Tür auf, und mit riesigen Schritten stürmte Sir Ashton Brown herein. Er baute sich imposant im Raum auf und starrte Pommery mit blitzenden Augen an. „Wo sind die Täter?“

„Welche Täter, Sir?“ Pommery musterte den Unterstaatssekretär schläfrig. „Wir haben glücklicherweise das verschwundene Personal des ausgeraubten Zuges lebend wieder aufgefunden. Von den Tätern fehlt fast jede Spur.“

„Es kann doch wohl kein Zweifel darüber bestehen, dass die Wachleute mit dem Raub zu tun haben.“

„Es bestehen sogar beträchtliche Zweifel, Sir Ashton. Ich habe schon von vielen Verbrechern gehört, die auf raffinierteste Weise ihre Taten zu verschleiern versucht haben. Aber noch nie von im Grunde biederen, ehrbaren Männern, die stets ein ordentliches Leben geführt haben und nun freiwillig eine so große Menge von hirnschädigenden Drogen schlucken, die sie fast schwachsinnig machen, um eine kriminelle Tat zu tarnen.“

„Sie glauben also den Gedächtnisverlust?“, fragte Sir Ashton verächtlich.

„Ganz recht, Sir.“ Inspektor Pommery lächelte verbindlich. „Aber es ist gut, dass Sie da sind, denn ich hatte ohnehin vor, Sie aufzusuchen, um Ihnen einige Fragen zu stellen.“

„Mir? Ich bin lediglich von der Regierung beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Ermittlungen rasch vorwärtskommen. Ich wüsste nicht, wie ...“

„Schreiben Sie mit, Constable“, sagte Pommery zu dem Polizisten hinter der Schreibmaschine. „Sir Ashton, warum sind diese so wertvollen Juwelen aus Afrika nach England gebracht worden? Wie ich hörte, hat dieser Kronschatz des Hogame-Stammes in Afrika großen Symbolwert.“