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In den subtropischen Karstbergwäldern im Norden Vietnams kämpfen Tierschützer um den Erhalt einer der seltensten Primatenarten der Welt: Vom clownesken Tonkin-Stumpfnasenaffen gibt es nur noch etwa 250 Individuen. Erst 1989 wurde die ausgestorben geglaubte Art wiederentdeckt. Die nicht ungefährliche Sisyphosarbeit vietnamesischer Ranger und Biologen in der unwegsamen Region zeitigt erste Erfolge. Der Autor begleitete die Ranger auf einem viertägigen Fieldtrip als erster westlicher Journalist in die abgelegenen Berge nahe der Grenze zu China. Er berichtet vom Kampf um den Erhalt der Art, von Korruption, Wilderei und Wildtierhandel und vom Wandel im heutigen Vietnam. - Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos und Karten. Auch als Taschenbuch sowie als englischsprachige Ausgabe unter dem TItel "Tonkin Expedition" erhältlich.
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Inhaltsverzeichnis
Expedition Tonkin
Kai Althoetmar
Auf der Suche nach Vietnams letzten Stumpfnasenaffen
Impressum:
Titel des Buches: „Expedition Tonkin. Auf der Suche nach Vietnams letzten Stumpfnasenaffen“.
Erscheinungsjahr: 2022.
Inhaltlich Verantwortlich:
Edition Kultour
Kai Althoetmar
Am Heiden Weyher 2
53902 Bad Münstereifel
Deutschland
Text: © Kai Althoetmar.
Titelfoto: Tonkin-Stumpfnasenaffe, Vietnam. Foto: Quyet Le Khac, CC BY-SA 2.0.
Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.
Die Recherchen zu diesem Buch erfolgten eigenfinanziert und ohne Zuwendungen oder Vergünstigungen Dritter.
Vietnam. Karte: Dirk Tussing, CC BY-SA 2.0.
Unter Primatenforschern kursiert eine Liste, die für Nicht-Zoologen ein wenig nach Fahndungsplakat und „Wanted!“ klingt. „Primates in Peril. The World's 25 Most Endangered Primates“ nennt sich die Hitliste der 25 meistgefährdeten Primatenarten der Welt, die die Weltnaturschutzunion IUCN alle paar Jahre herausgibt. Gleich drei Tabellenplätze belegt in dieser Liga der Rarsten Vietnam. Nur Madagaskar hat noch mehr Kandidaten für den Artentod aufzubieten.
Mit seinen 25 Primatenarten ist Vietnam neben Amazonien, Indone-sien, Madagaskar und dem Kongo-Becken ein Hotspot der Arten-vielfalt auf dem „Planeten der Affen“ und übertrifft jedes andere Land auf Südostasiens Festland.
Von diesen 25 Arten zählen Vietnams acht Spezies blattfressender Altweltaffen zu den rarsten. „Fast alle sind bedroht durch ihre Ausbeutung für Medizin, für Fleisch und den Gebrauch als Haustiere - und gezeichnet von zersplitterten und drastisch geschrumpften Populationen“, schreiben die US-Forscher Eleanor Sterling, Martha Hurley und Le Duc Minh in ihrem Standardwerk „Vietnam - A Natural History“.
Auf einige der meist gefährdeten Primaten trifft auch das Prädikat „meistgesuchte“ zu. Der Heilige Gral der Affenforscher, das Goldene Vlies, das Bernsteinzimmer der Primatologie - jede der Top-25-Spezien ist so selten, daß sie zur Legende taugt, was daran liegen mag, daß die eine oder andere Art schon mal für ein halbes oder ganzes Jahrhundert als bereits ausgestorben galt. Oder damit, daß eine Begegnung mit ihr, wenn überhaupt, nur am Ende einer langen Reise steht. Zum Beispiel eine mit Rhinopithecus avunculus.
Vooc mui hech nennen ihn die Vietnamesen. Im Deutschen heißt das putzige Tier Tonkin-Stumpfnase oder Tonkin-Goldaffe, im Englischen auch Dollman's Snub-nosed Monkey. Es sieht aus wie ein Clown mit eingedrückter Nase und ist so rar, daß alle verbliebenen Exemplare bequem in einer vietnamesischen Dschunke Platz hätten. Jahrzehntelang galten die „Tonkins“ bereits als ausgestorben, bevor die Art 1989 wiederentdeckt wurde. Die letzten wenigen Hundert Individuen turnen heute durch die Wipfel subtropischer Bergwälder im Norden Vietnams. Die größte Population lebt im Reservat Khau Ca dicht an der Grenze zu China, einer Sperrzone für Ausländer. Wissenschaftler, die den Drachen der vietnamesischen Bürokratie nicht fürchten, einmal ausgenommen. Dort, in die unwegsamen Karstberge, wollen wir hin.
Tonkin-Stumpfnasen sind eine von fünf Stumpfnasenaffenarten und die einzige Vietnams (siehe Kastentext). Erforscht ist das Quintett kaum. Bis 1993 wurden Stumpfnasen noch zur Gattung der Kleideraffen gezählt. Mittlerweile begründen sie eine eigene Gattung. Taxonomisch zählen beide Gattungen zur Familie der Meerkatzenverwandten. Auf einer gedachten Abstammungstafel stehen „Tonkins“ heute zwischen dem Rotschenkligen Kleideraffen und den vier anderen Stumpfnasen-Arten.
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Stumpfnasenaffen: Bedroht sind sie alle
Die nur in Asien vorkommenden Stumpfnasenaffen gehören zur Familie der Meerkatzenverwandten. Drei der fünf Stumpfnasenarten sind im Süden und Zentrum Chinas beheimatet. Neben den Tonkin-Stumpfnasen umfaßt die Gattung noch vier Arten. Auch sie sind alle in ihrem Bestand bedroht.
Schwarze Stumpfnasen: Ihre Zahl wird auf 1.500 bis 2.500 geschätzt. IUCN-Status: „stark gefährdet“. Kein Primat lebt so hoch wie die Schwarzen Stumpfnasen im südöstlichen Tibet und im nordwestlichen Yunnan, die in Höhen von 3.000 bis 4.700 Metern monatelang Schnee und Minusgraden trotzen. In den letzten 25 Jahren sank der Bestand um ein Fünftel. Versuche, die Affen zu züchten, schlugen bislang fehl. Die Schlingenjagd nach Moschushirschen, die ihrer Drüsen wegen für die Parfumherstellung gewildert werden, dezimiert die Primaten gleich mit. Eine ganze Population von 50 Tieren fiel zuletzt Pestiziden zum Opfer, andere sind auf lange Sicht von Inzucht bedroht.
Graue Stumpfnasen: Ihre Vorkommen sind auf 750 bis 900 Tiere am Mount Fanjing in den schwer zugänglichen Wuling-Bergen in Zentralchina beschränkt. Die Rote Liste stuft sie als „stark gefährdet“ ein. Im Winter steigen die kleinen Gruppen aus Höhen von bis zu 2.500 Metern in die Flußtäler hinab. Lebensraumverlust, Wilderei und Störungen durch Massentourismus setzen auch ihnen zu.
Graue Stumpfnasen. Kamerafallenfoto: San Diego Zoo Global & Fanjingshan National Nature Reserve.
Burmesische Stumpfnasen: Die Art ist der Fachwelt erst seit wenigen Jahren bekannt. 2010 entdeckte ein Forscherteam um den Schweizer Primatologen Thomas Geissmann die Primaten mit dem schwarzen Fell und den weißen Ohrbüscheln in den kühl gemäßigten Gebirgsregenwäldern im Norden Myanmars. Lokale Jäger hatten von den Affen im Tal des Maw-Flusses berichtet, die an Regentagen mit dem Kopf zwischen den Knien auf den Bäumen sitzen und sich dabei durch lautstarkes Niesen bemerkbar machen sollen. Ihr Bestand wird auf etwa 300 Individuen geschätzt. IUCN-Status: „vom Aussterben bedroht“. Dazu kommt eine 2011 entdeckte und noch ganz uner-forschte Population Burma-Stumpfnasen in Yunnan jenseits der Grenze zu China. Dammprojekte und Rodungsstrassen drohen das isolierte Verbreitungsgebiet in Myanmar zu erschließen, Wilderei tut ihr Übriges. Über die Art ist bislang so wenig bekannt, daß selbst das Mammutwerk "Handbook of the Mammals of the World", die Bibel der Säugetier-Zoologie, zur Fortpflanzung der Tiere lapidar vermerkt: „Keine Informationen verfügbar“.
Goldstumpfnasen: Nicht akut vom Aussterben bedroht sind nur die Goldstumpfnasen, die im westlichen Zentralchina im Reich des Riesenpandas vorkommen. Die Bestände dreier Unterarten summieren sich zu etwa 15.000 Tieren. Ihr Status lautet dennoch „stark gefährdet“. Die Gründe: Lebensraumverlust durch Landwirtschaft und Straßenbau für den Tourismus, im Fall einer Unterart auch Wilderei. Im alten China war das Fell der Goldstumpfnasen als zeremonielle Kleidung für Mandarine begehrt. Die rot-gold-braun-orange schillernden, kältetoleranten Primaten, die im Sommer durch Bergwälder bis 3.000 Meter Höhe streifen, schließen sich zu Gruppen von bis zu mehreren Hundert Tieren zusammen. Zu Winterbeginn ziehen sie in die Täler und legen ihr Sommerfell ab, das eine rötere Winterbehaarung ablöst. Als einzige Stumpfnasenart werden sie erfolgreich in chinesischen Zoos gehalten - mit Zuchterfolg.
Goldstumpfnasen. Foto: Eva Hejda, CC BY-SA 2.0.
Die meisten natürlichen Feinde haben die Goldstumpfnasen, zumal in den Tälern: Asiatischer Wildhund, Leopard, Wolf, Steinadler und Habicht. Die in den Subtropen lebenden Arten müssen vor allem den Nebelparder fürchten.
Bis Stumpfnasen-Weibchen das erstemal gebären, vergeht eine lange Zeit. Bei Grauen Stumpfnasen dauert es etwa neun Jahre, bei Goldstumpfnasen bis zu sechs Jahren. Der Zeitabstand zwischen zwei Geburten beträgt bis zu drei Jahre - von der Populationsdynamik einer Wühlmaus oder eines Kaninchen ist das weit entfernt. Wenig erforscht ist die Lebensspanne. Goldstumpfnasen in Gefangenschaft wurden schon bis zu 30 Jahre alt.
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Tonkin-Stumpfnasen, die erstmals 1912 wissenschaftlich beschrieben wurden und ihren Namen dem nahen Golf von Tonkin verdanken, leben in nur wenigen subtropischen Wäldern der Karstbergen Nordvietnams in Höhen von bis zu 1.300 Metern. Die Art war schon immer endemisch, aber ursprünglich in mehr vietnamesischen Provinzen verbreitet als sie es heute ist. Die Weltnaturschutzunion IUCN stuft sie als „vom Aussterben bedroht“ ein. Die Fachwelt geht von 200 bis 250 Individuen aus. Jahrzehntelange Abholzung und Bejagung hatten die Primaten bis an den Rand der Ausrottung gebracht. 1989 dann die Überraschung, als nahe des Städtchens Na Hang in der Provinz Tuyen Quang 100 Kilometer südlich der Grenze zu China eine Gruppe Tiere wiederentdeckt wurde.
Wir sind die erste Gruppe Europäer, die in das Wildschutzgebiet Khau Ca gelassen wird. „Die haben hier aktuell Probleme mit den Minderheiten“, sagt Tilo Nadler mit sächsischem Akzent. Nadler, schier altersloser Senior im Unruhestand, gebürtiger Dresdner, weißer Backenbart, Nickelbrille und Halbglatze, immer im Safarihemd mit dem Gorilla-Sticker der ZGF unterwegs, der von Bernhard Grzimek gegründeten Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, ist Wahl-Vietnamese, Artenschützer, Primatenforscher, Filmemacher, gelernter Klimatechniker und sarkastischer Kommentator des großen Artensterbens. Mit „die“ meint er die Provinzregierung. Vor einigen Jahren habe es hier bei Unruhen 150 Tote gegeben. Darum die scharfen Kontrollen und die Sperrzone.
Nadler hat diesen Field Trip eingefädelt, eine Post Conference Tour, wie es in der Sprache der Wissenschaftler heißt. Nadler leitet im Cuc Phuong Nationalpark 120 Kilometer südlich von Hanoi zusammen mit seiner 31 Jahre jüngeren vietnamesischen Frau Nguyen Thi Thu Hien ein Primatenrettunszentrum, das Endangered Primate Rescue Center (EPRC), gesponsert vom Zoo Leipzig. 2015 hat er sich aus der Führung zurückgezogen und den Stab an die Neuseeländerin Sonya Prosser weitergegeben. 2018 übernahm der Brite Adam Davies, zugleich Vietnam-Repräsentant des Zoos Leipzig, den Direktorenposten. Im Frühjahr 2022 ist der Pole Radoslaw Ratajszczak, langjähriger Direktor des Breslauer Zoos, nach seiner Pensionierung an Davies' Stelle gerückt. Nadler hatte 1993 die Stelle des ZGF-Projektleiters Vietnam übernommen. 1991 hatte er sich in Vietnam verliebt, als er über die seltenen Delacour-Languren einen Film drehte. Kurz nach seinem Einstieg bei der ZGF konfiszierte er zwei Delacour-Languren lebend, weitere Beschlagnahmungen folgten - es war die Geburtsstunde des Primatenrettungszentrums. In Hollywood würde er vermutlich als „Affenflüsterer“ firmieren.
Es ist angenehme 28 Grad warm, Oktober in den Subtropen. „Wir hatten hier mal im Sommer 14 Tage lang tagsüber nie unter 40 Grad, nachts nie unter 35 Grad", erzählt Nadler. Es klingt wie: Das kann hier auch die Hölle werden. Nadler will keine Affenstreichler, keine Naturschutzromantiker, keine Wehleidigen auf diesem Field Trip. Und er sagt das so.
Von Hanoi, der quirligen subtropischen Hauptstadt im Norden Vietnams, in die Provinzhauptstadt Hà Giang sind es 318 Kilometer, von dort in die Wälder bei Na Yen, zur Khau Ca Tonkin Snub-Nosed Monkey Species and Habitat Conservation Area, ist es nochmals eine halbe Autostunde, alles in allem eine Tagesreise. Im Familienvan sitzen mit mir, Nadler und Hien noch Christian Roos, Leiter der Abteilung Primatengenetik beim Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen, Kerstin Mätz-Rensing, Tiermedizinerin und Leiterin der DPZ-Arbeitsgruppe Pathologie, und der US-Zoologe Hugh Baley vom Woodland Park Zoo in Seattle.
Tilo Nadler im Van Long Nature Reserve. Foto: Kai Althoetmar.
Etwa 50 Kilometer nördlich von Hanoi sehen wir in dem Städtchen Phú Tho am Roten Fluß Schilder, auf die mit naiver Hand Bären gemalt sind.