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Abigail *** Ein einziger Moment nahm mir alles, was mir wichtig war. Meinen Mann, meine Karriere und meinen Lebenswillen. Ich verkrieche mich in meiner Wohnung und verfluche jenen schicksalhaften Abend im August, der alles auf den Kopf stellte. Mein einziger Halt ist meine Schwester, die mir hilft, wo sie nur kann. Plötzlich taucht mein neuer Nachbar auf. Er ist so attraktiv, wie er aufdringlich ist. Aber warum fühle ich mich auf eigenartige Weise zu ihm hingezogen? *** Ethan *** Eine neue Stadt, eine neue Anstellung, ein neues Leben. Das ist es, was mich in New Orleans erwartet. Nachdem meine Ex mich aus unserer gemeinsamen Wohnung geworfen hat, habe ich meine sieben Sachen gepackt, um in New Orleans Fuß zu fassen. An dem Tag, an dem mein Bruder und ich meine Sachen in mein Apartment schaffen, sehe ich sie zum ersten Mal. Abigail Hudson, meine Nachbarin. Eine Frau, die geheimnisvoller nicht sein könnte, und mein Interesse vom ersten Moment an weckt. Was hat sie nur zu verbergen? *** Können zwei verletzte Seelen einander heilen?
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Copyright © 2018 Drucie Anne Taylor
Korrektorat: S.B. Zimmer
Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art
Auflage 01 / 2024
Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen, Firmen sowie Warenzeichen gehören den jeweiligen Copyrightinhabern.
1. Ethan
2. Abigail
3. Ethan
4. Abigail
5. Ethan
6. Abigail
7. Ethan
8. Abigail
9. Ethan
10. Abigail
11. Ethan
12. Abigail
13. Ethan
14. Abigail
15. Ethan
16. Abigail
17. Ethan
18. Abigail
19. Ethan
20. Abigail
21. Ethan
22. Abigail
23. Ethan
24. Abigail
25. Ethan
26. Abigail
27. Ethan
Epilog
Danksagung
Kennst du schon?
Über die Autorin
Weitere Werke der Autorin
Rechtliches und Uninteressantes
Abigail
Ein einziger Moment nahm mir alles, was mir wichtig war. Meinen Mann, meine Karriere und meinen Lebenswillen. Ich verkrieche mich in meiner Wohnung und verfluche jenen schicksalhaften Abend im August, der alles auf den Kopf stellte. Mein einziger Halt ist meine Schwester, die mir hilft, wo sie nur kann.
Plötzlich taucht mein neuer Nachbar auf. Er ist so attraktiv, wie er aufdringlich ist. Aber warum fühle ich mich auf eigenartige Weise zu ihm hingezogen?
Ethan
Eine neue Stadt, eine neue Anstellung, ein neues Leben. Das ist es, was mich in New Orleans erwartet. Nachdem meine Ex mich aus unserer gemeinsamen Wohnung geworfen hat, habe ich meine sieben Sachen gepackt, um in New Orleans Fuß zu fassen. An dem Tag, an dem mein Bruder und ich meine Sachen in mein Apartment schaffen, sehe ich sie zum ersten Mal. Abigail Hudson, meine Nachbarin. Eine Frau, die geheimnisvoller nicht sein könnte, und mein Interesse vom ersten Moment an weckt. Was hat sie nur zu verbergen?
Können zwei verletzte Seelen einander heilen?
»Wohin damit?«, fragt mein Bruder, als er eine weitere Kiste aus dem U-Haul Wagen, in dem all mein Besitz ist, holt. »In die Wohnung oder den Keller?«
Ich werfe einen Blick darauf. »Da steht deutlich Wohnzimmer. Wenn etwas in den Keller gehört, steht's auf dem Karton, du musst mich nicht alle paar Minuten fragen.«
»Ist ja gut, ich will nur sichergehen, dass ich nichts falsch unterbringe.«
»Na sicher«, entgegne ich grinsend, hebe den Schwingsessel hoch und trage ihn ins Haus. Ein Jobangebot, das mir sehr gelegen kam, hat mich in die Stadt verschlagen. Mein Bruder, der seit Jahren hier lebt, ist froh darüber, denn wir beide sind bei Pflegeeltern aufgewachsen, nachdem unsere Eltern bei einem schweren Verkehrsunfall umgekommen sind. Als ich den Sessel ins Treppenhaus geschafft habe, sehe ich eine Frau an den Briefkästen. »Hi, wohnst du hier?«
Mit aufgerissenen Augen schaut sie zu mir, dann schließt sie ihren Briefkasten ab und wendet sich ohne ein Wort von mir ab.
»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Mein Name ist Ethan, ich bin der neue Mieter in der zweiten Etage!«, rufe ich ihr hinterher, doch sie ist schon zur Treppe verschwunden. Ich lasse den Sessel vor der geschlossenen Fahrstuhltür stehen und folge ihr. »Miss?«
Ihre Schritte werden schneller.
»Warte doch!«
Eine Tür knallt.
Seufzend bleibe ich stehen. Was ich gesehen habe, hat mich umgehauen, aber sie sah aus, als hätte ich sie erschreckt.
»Ethan?«, ruft Caden und es schallt durchs gesamte Treppenhaus.
»Komme!« Ich mache mich auf den Weg zu ihm und schaue in sein fragendes Gesicht.
»Warum läufst du ohne Sessel hoch?«
»Ich wollte mich einer Nachbarin vorstellen, aber sie ist abgehauen«, erkläre ich und schaue auf die Apartmentnummer des Briefkastens, vor dem sie stand.
2B: Hudson.
Caden lacht. »Hast du wieder erfolgreich eine Frau vertrieben?«
»Ich glaube viel mehr, dass sie sich vor mir erschreckt hat.«
»Ich erschrecke mich auch jedes Mal vor deinem Gesicht«, foppt er mich.
Kopfschüttelnd und trotzdem lächelnd gehe ich an ihm vorbei. »Lass uns deine restlichen Sachen nach oben schaffen.«
»Alles klar.«
»Danach ordere ich Pizza. Bier steht im Kühlschrank.«
»Wird immer besser«, sagt mein Bruder gut gelaunt.
* * *
Nachdem wir die letzten Kisten in meine neue Wohnung getragen haben, baut mein Bruder das Entertainment System auf. Die meisten Möbel hatten wir bereits zusammengeschraubt, da Kendra mir bloß meinen Sessel gelassen hat. Alle anderen Möbel hat sie nach unserer Trennung für sich beansprucht. Heute haben wir die ganzen Kartons und jenen Schwingsessel in meine Wohnung gebracht. In den letzten Tagen, die ich schon hier verbracht habe, kam es mir seltsam leer vor, da ich meine Sachen noch nicht bei mir hatte, bis auf die neuen Möbel und ein paar Lampen. Während er beschäftigt ist, gehe ich mit dem Handy auf den Flur, um in aller Ruhe die Pizza zu bestellen, statt sein Fluchen zu hören. Mein Blick schweift durch den langen Gang. Die Frau, die ich vorhin im Eingangsbereich gesehen habe, wohnt in Apartment 2B, ich in 2D schräg gegenüber. Ich weiß nicht, ob ich bei ihr klopfen und mich vorstellen soll.
Was kann schon schiefgehen?
Nichts.
Nachdem ich die Pizzen bestellt habe, gehe ich an die Tür von Ms. Hudson und klopfe.
Einen Moment später höre ich, dass die Kette vorgelegt wird. Sie öffnet die Wohnungstür ein Spaltbreit. »Wer sind Sie?«, fragt sie leise, beinahe schüchtern.
»Hi, mein Name ist Ethan Walker, ich bin schräg gegenüber eingezogen und wollte mich vorstellen, Ms. …«
»Hudson. Mrs. Abigail Hudson.«
»Ist Ihr Mann zu Hause? Dann könnte ich mich ihm auch vorstellen«, erkundige ich mich.
Sie schüttelt den Kopf. »Mein Mann ist nicht zu Hause.«
»Wann kommt er denn?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Sie zeigt mir bloß eine Gesichtshälfte, aber was ich sehe, gefällt mir außerordentlich gut. Sie hat weiche Gesichtszüge, volle Lippen und grüne Augen. Ihr Haar ist lang und dunkelbraun.
»Oh, ist er verreist?«
»Lassen Sie mich bitte in Ruhe, Mr. Walker.« Dann schließt sie schon die Tür.
Ich klopfe noch einmal.
»Was wollen Sie denn noch?«
»Es tut mir leid, falls ich im Treppenhaus zu aufdringlich war, Mrs. Hudson. Ich wollte mich Ihnen wirklich nur vorstellen.«
»Schon in Ordnung.«
»Falls Sie irgendwas brauchen, ich wohne in Apartment 2D.«
»Gehen Sie einfach, Mr. Walker.«
Mit einem resignierten Seufzen wende ich mich von der Tür ab.
War ich vielleicht zu aufdringlich?
Abigail muss in meinem Alter sein, aber warum ist sie so schüchtern?
Nachdenklich gehe ich zurück in mein Apartment.
»Die Pizza kommt gleich«, lasse ich meinen Bruder schon einen Moment später wissen.
»Alles klar, was hast du bestellt?«
»Salami, Thunfisch, Schinken und Funghi«, erwidere ich.
»Auf einer Pizza?«
»Nein, insgesamt drei Pizzas. Eine mit Salami, eine mit Thunfisch und eine mit Schinken und Pilzen«, entgegne ich.
»Und warum bist du auf den Flur gegangen?«
Ich setze mich in meinen Sessel und schnappe mir die Gitarre, die ich vorhin beim Auspacken dagegen gelehnt habe. Während meine Fingerspitzen die Saiten streifen, um sie schwingen zu lassen, sehe ich ihn an. »Ich habe mich bei der Frau vorgestellt, die ich vorhin im Treppenhaus erschreckt habe.«
»Und?«
»Sie hat mich darum gebeten, sie in Ruhe zu lassen«, sage ich schulterzuckend.
»Aber das wirst du nicht?«, hakt Caden interessiert nach.
»Doch, denke schon. Sie ist zwar hübsch, aber unglaublich schüchtern … und verheiratet.«
»Dann solltest du sie besser in Frieden lassen.«
»Warum ist eine verheiratete Frau so schüchtern?«, frage ich interessiert.
Caden stellt den Plattenspieler auf den Stereoturm und schaut mich nachdenklich an. »Vielleicht wird sie von ihrem Mann geschlagen.«
»Daran dachte ich auch, aber sie sagte, dass er nicht da ist und sie nicht sagen kann, wann er nach Hause kommt.«
Mein Bruder nickt. »Oder sie ist von Natur aus immun gegen deinen Charme.« Anschließend grinst er mich an, kommt zu mir und zerzaust meine Haare.
»Alter!«, stoße ich aus, dabei entziehe ich ihm meinen Kopf. »Lass die Finger von meiner Frisur.«
Er lacht auf. »Wie ich immer sage, du wärst besser ein Mädchen geworden.«
Daraufhin verdrehe ich die Augen und lehne mich zurück, die Gitarre stelle ich an die Seite des Sessels ab. »Vielleicht kann ich sie mal zum Essen einladen.«
»Ich bezweifle, dass sie zusagen wird, nachdem sie dich gebeten hat, sie in Frieden zu lassen«, entgegnet Caden überzeugt.
»Du weißt, wie ehrgeizig ich bin, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe«, halte ich entschieden dagegen.
Mein Bruder verdreht die Augen. Er ist älter als ich und hat ein wenig die Rolle unseres Vaters übernommen, obwohl ich das bei drei Jahren Altersunterschied nie sonderlich ernst nehmen konnte. »Eher hartnäckig.«
Amüsiert grinse ich ihn an.
* * *
Dieser Mann war nett, aber ich habe mich vorhin so sehr vor ihm erschreckt, dass ich Reißaus genommen habe. Ich will niemanden im Haus kennen, denn ich verlasse meine Wohnung sowieso nur im äußersten Notfall oder wenn ich Alex im Krankenhaus besuche. Seit dem Unfall in jener Nacht habe ich Angst, vor die Tür zu gehen, weshalb ich auf Cleo, meine ältere Schwester, angewiesen bin. Sie bringt mich in die Klinik, fährt für mich einkaufen, und erledigt auch alles andere für mich.
Ich sitze an meinem Klavier und lasse meine Finger die Tasten streifen, doch spiele ich sie nicht. Seit Jahren habe ich dem Instrument keine Klänge mehr entlockt, denn wann immer ich mich auf diesen Hocker setze, sehe ich Alex vor mir.
Alex, der seit Jahren im Koma liegt, aber einfach nicht aufwachen will. Die Ärzte sagten mir, dass er hirntot sei, doch kann ich die Maschinen nicht einfach abschalten lassen. Es ist egoistisch, das weiß ich, aber ich will nicht, dass er mich verlässt.
Ohne ihn bin ich allein.
An jedem verdammten Tag vermisse ich ihn, allerdings weine ich nicht mehr. Cleo ist der Meinung, dass ich mich von ihm lösen und ihn gehen lassen muss, aber das kann ich einfach nicht.
Früher haben wir oft gemeinsam gespielt, er sein Saxophon, ich das Klavier. Meine Schwester filmte uns sogar dabei und immer wieder sehe ich mir diese Aufnahmen an. Sie zeigen mich in glücklicheren Zeiten. Wir beide haben viel zu schnell und viel zu früh geheiratet, aber wir waren immer glücklich. Manchmal hatten wir kaum Geld, weil meine Aufträge ausblieben und er auch keine Auftritte mit seiner Band hatte, doch dann folgte der Durchbruch für uns beide. Ich wurde immer öfter als Model gebucht, seine Band immer öfter für Bars, Feste und am Ende sogar für Konzerte. Die Jungs wollten die Gruppe nach dem Unfall auflösen, doch ich bat sie, weiterzumachen, denn Alex hätte nicht gewollt, dass sie aufgeben. In der Band spielte er Gitarre, obwohl er sein Saxophon über alles geliebt hat. Es steht immer noch hier, ich putze es jede Woche, genauso wie die Gitarre, doch die Saiten sind inzwischen gerissen, weil Cleo sie einmal zum Schwingen bringen wollte. Ich kann mich nicht von seinen Instrumenten trennen, mir kommt es so vor, als wäre ich durch sie mit ihm verbunden. Durch die Musik haben wir uns kennengelernt, ich war bei der Gründung des Gentlemen's Squads dabei und bin eine Art Ehrenmitglied, aber seit jenem Abend habe ich mich nicht mehr mit den Jungs getroffen. Sie hätten Alex nicht dazu animieren dürfen, immer mehr zu trinken.
Es klopft erneut an der Wohnungstür. Irritiert schaue ich dorthin, erhebe mich vom Klavierhocker und gehe herüber. Ein Blick durch den Spion verrät mir, dass mein neuer Nachbar einen weiteren Versuch wagen will, mich zu bedrängen. »Ich sagte doch, dass Sie mich in Ruhe lassen sollen.«
»Ich habe nur eine Frage, Mrs. Hudson.«
»Stellen Sie sie.«
»Können Sie mir vielleicht zwei Teller und einen Pizzaschneider leihen?«
Ich seufze schwer, dann öffne ich die Tür. »Einen Pizzaschneider besitze ich nicht, aber ich weiß, dass die Pizzas hier geschnitten geliefert werden.«
Er lächelt mich an. »Und was ist mit den Tellern?«
»Ich gebe Ihnen Brettchen, warten Sie.« Statt ihn hereinzulassen, schließe ich die Wohnungstür vor seiner Nase, obwohl er einen Schritt auf mich zugemacht hat, und gehe in die offene Küche. Ich hole zwei runde Holzbrettchen aus dem Küchenschrank und laufe zurück. »Ich denke, die sind besser.« Anschließend überlasse ich sie ihm.
»Mein Bruder und ich haben ziemlich viel Pizza bestellt, möchten Sie vielleicht auch ein Stück?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, aber danke.«
»Dann vielleicht ein Glas Wein?«
Wein.
Wein war daran schuld, dass Alex und ich diesen Unfall hatten.
Ich hatte ihn beschworen, mich fahren zu lassen, weil er viel zu viel getrunken hatte, aber er wollte selbst hinters Steuer. Wenig später hatten wir in der Nähe des Bayous einen schweren Autounfall.
»Mrs. Hudson?«
Blinzelnd hebe ich den Blick wieder und sehe in Mr. Walkers blaue Augen. »Auch das muss ich ablehnen, dennoch danke.«
»Dann kommen Sie morgen zum Abendessen. Ich möchte mich erkenntlich zeigen, weil Sie mir ausgeholfen haben«, sagt er und ich habe den Eindruck, dass er keinen Widerspruch zulässt.
»Mr. Walker, ich danke Ihnen für die Einladung, aber nein, ich möchte einfach meine Ruhe haben.«
Jemand lacht, doch sehe ich die Person nicht. »Komm schon, Ethan, ein weiterer Korb wird dein Ego zerstören.«
Da ich die Tür nur so weit geöffnet habe, dass ich ihn ansehen kann, schaue ich nicht auf den Flur, um zu erfahren, wer dort sonst noch steht.
»Mrs. Hudson, bitte. Ich bin normalerweise nicht so verzweifelt, dass ich jemanden überrede, mit mir zu Abend zu essen, aber ich bin neu in der Stadt und kenne nur meinen Bruder, der mich gerade so herzlich ausgelacht hat. Sie würden mir einen großen Gefallen tun.«
»Nein«, wiederhole ich entschieden und drücke die Tür zu. »Die Brettchen können Sie mir gespült vor die Tür legen!«, lasse ich ihn wissen, als ich verriegle.
Ich höre, dass er seufzt.
»Lass die Frau besser in Ruhe, sie ist verheiratet.«
»Aber sie trägt keinen Ring. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie wirklich verheiratet ist«, vernehme ich Ethan Walkers Stimme.
»Nicht jeder trägt einen Ehering, Bruder, und jetzt komm, ich habe Hunger, aber du willst ja nicht, dass ich die Pizza direkt aus dem Karton esse.«
Ich schnaube amüsiert. Irgendwie erinnern mich die beiden an Cleo und mich. Kopfschüttelnd vertreibe ich den Gedanken daran, dass ich meinem neuen Nachbarn vielleicht Unrecht getan habe, und setze mich dann auf die Couch. Ich schalte den Fernseher ein, bleibe auf einem Jazzsender hängen und lege mich hin. Das wird meine düsteren Gedanken vertreiben und mich einmal mehr in den Schlaf wiegen.
* * *
Drei Tage und ich habe Abigail nicht mehr gesehen. Immer wieder habe ich auf den Flur geschaut, wenn ich Schritte gehört habe, doch nichts. Anscheinend verlässt sie kaum ihre Wohnung.
Wieder ertönen Schritte, weshalb ich mir ein paar Kartons schnappe, um sie nach unten in den Müll zu bringen.
»Oh, guten Tag«, sagt eine junge Frau, die Abigail verdammt ähnlich sieht. »Sind Sie der neue Nachbar, über den meine Schwester sich seit Tagen beschwert?«, fragt sie interessiert, als ich an ihr vorbeigehe.
Ich schaue sie an. »Wer ist denn Ihre Schwester?«
Sie deutet auf Abigails Apartment. »Abigail Hudson.« Sie lächelt. »Ich bin Cleo Rowland und Sie?«
»Ethan Walker.« Ich drücke die drei ineinander gesteckten Kartons gegen die Wand und strecke meine Hand zum Gruß aus. »Freut mich sehr.«
»Dito.« Sie betrachtet mich von oben bis unten, was wirklich ziemlich unangenehm ist. »Woher kommen Sie?«
»Kalifornien.«
»Das hört man.« Cleo lächelt mich an.
»Und Sie?«, erkundige ich mich, aber ihr Südstaatenakzent ist überdeutlich. Ich bin mir sicher, dass sie von hier ist.
»French Quarter, hier geboren, aufgewachsen, geblieben«, erklärt sie.
Mein Mundwinkel zuckt. »Ihre Schwester auch?«
»Sie war zwischendurch ein paar Jahre in New York und hat ein Sprachtraining gemacht, damit ihr Akzent nicht mehr so durchkommt«, erklärt Cleo. »Möchten Sie vielleicht auf einen Kaffee mit reinkommen?«
»Ich sollte erst mal die Kartons wegbringen, aber ich bin mir sicher, dass Ihre Schwester nicht damit einverstanden wäre.«
»Ach was, Abby muss hinnehmen, dass ich Leute mitbringe, denn ihretwegen habe ich kaum noch ein Privatleben.«
Ich hebe eine Augenbraue, als sie sich augenscheinlich auf die Zunge beißt. »Verlässt sie ihre Wohnung nicht?«
»Selten, aber das wissen Sie nicht von mir.«
Anscheinend kann Cleo nicht viel für sich behalten. Möglicherweise kann ich so aber etwas mehr über Abigail herausfinden, denn ihre raue Art hat mein Interesse geweckt. Ich mag keine glattgebügelten Püppchen, die zu allem Ja und Amen sagen, sondern stehe mehr auf Wildkatzen, die durchaus dazu imstande sind, ihre Krallen auszufahren. Abigail scheint so eine Wildkatze zu sein. »Ich werde schweigen wie ein Grab.« Ich schenke ihr ein Lächeln, das ihr einen roten Schein auf die Wangen zaubert, und sie erwidert es verlegen.
»Stellen Sie die Kartons doch einfach in Ihre Wohnung, dann trinken wir einen Kaffee und danach können Sie sie runterbringen«, schlägt sie vor.
»Vielleicht sollten Sie erst mal Ihre Schwester fragen, ob es in Ordnung ist, wenn ich hereinkomme.«
»Das geht schon klar«, winkt sie ab.
»Okay.« Ich wende mich ab und bringe die Kartons zurück in mein Apartment. Ich stelle sie gleich neben der Tür ab, die ich danach abschließe, und gehe zurück zu ihr.
Cleo dreht den Schlüssel im Schloss und betritt die Wohnung ihrer Schwester. »Abby, bist du da?«
»Ich bin in der Küche!«, kommt es zurück.
»Ich habe deinen neuen Nachbarn zum Kaffee eingeladen. Ich hoffe, es stört dich nicht.« Ihr Ton lässt keinen Widerspruch zu, dennoch gibt es ein Scheppern in der Wohnung. Cleo schaut zu mir. »Kommen Sie rein, Ethan.«
»Danke.« Etwas verhalten betrete ich Abigails Apartment und lasse meinen Blick schweifen. An den Wänden hängen Jazzposter und ich sehe sowohl ein Klavier als auch ein Saxophon sowie eine Gitarre. »Guten Tag, Mrs. Hudson.«
»Mr. Walker«, sagt sie nickend, als sie zu mir schaut. Ihr Haar hat sie über die linke Hälfte ihres Gesichts gekämmt. »Ich setze Kaffee auf.« Schon wendet sie sich wieder ab.
»Setzen Sie sich, Ethan«, bietet Cleo mir an und zeigt zum Tisch.
»Danke«, wiederhole ich, gehe zu ihr herüber und nehme Platz. Der Tisch ist im Kolonialstil gehalten, die Stühle sind schwer, aber sehr geschmackvoll. Insgesamt ist das ganze Apartment äußerst geschmackvoll und modern eingerichtet. »Schön haben Sie es hier, Mrs. Hudson.«
»Danke«, sagt Abigail knapp, während sie an der Kaffeemaschine werkelt.
Ich kann nicht anders, als sie zu betrachten. Sie hat wirklich sexy Kurven und ihr Hintern sieht in den Shorts verdammt knackig aus.
Cleo räuspert sich. »Warum sind Sie nach New Orleans gekommen, Ethan?«
»Ich habe mich einer Jazzband angeschlossen. Ich war als Gitarrist und Sänger in Kalifornien mäßig erfolgreich und hatte schon immer den Wunsch, mich einer Jazzband im French Quarter anzuschließen«, erzähle ich.
»Welcher Band haben Sie sich denn angeschlossen?«
»Wie wäre es, wenn wir uns duzen?«, schlage ich vor.
»Persönlicher«, erwidert sie grinsend. »Cleo.«
»Das weiß ich doch schon.« Ich lasse ein wenig meinen Charme spielen und zwinkere ihr zu.
Erneut tritt ein roter Schein auf Cleos Wangen. »Also in welcher Band spielst du nun?«
»Gentlemen's Squad.«
Neben uns geht etwas zu Bruch, weshalb ich zu Abigail schaue. »Sorry.« Ihre Hände zittern, doch geht sie in die Hocke und sammelt die Scherben ein.
»Hast du dich verletzt?«, fragt Cleo, als sie zu ihr geht.
Auch ich erhebe mich, um Abigail zu helfen, doch beide heben eine Hand, um mich aufzuhalten.
»Nein, es geht schon, ich habe mich bloß vor einer Biene erschreckt«, antwortet Abigail leise, als sie die letzten Scherben einsammelt. »Fuck«, stößt sie aus. Nun blutet ihre Hand.
»Okay, setz dich an den Tisch. Ich hole den Verbandskasten und räume anschließend auf«, meint Cleo.
Abigail lässt sich mir gegenüber nieder und starrt ihre blutende Hand an. »Es geht schon, Cleo, es ist nur ein kleiner Schnitt.«
»Ja und der letzte kleine Schnitt musste genäht werden, also werde ich es mir diesmal ganz genau ansehen.«
»Kann ich vielleicht irgendwie helfen?«, erkundige ich mich, weshalb beide ihre Aufmerksamkeit auf mich richten.
»Im Bad steht ein Verbandskasten. Wenn du den holen könntest, wäre mir schon geholfen«, sagt Cleo.
»Wo finde ich es?«
Abigail zeigt mit ihrer unverletzten Hand in einen Flur. »Die zweite Tür rechts und er steht auf dem Schrank neben der Tür.«
»Alles klar.« Ich mache mich auf den Weg ins Bad.
»Warum hast du ihn mitgebracht?«, vernehme ich Abigail.
»Ich dachte, es würde dir guttun, mal ein anderes Gesicht, als immer nur meines zu sehen.«
»Aber ich will diesen Mann nicht sehen.«
»Er ist nett und er spielt bei den Gents, was heißt, dass er gar kein schlechter Kerl sein kann.«
»Ich will wirklich keinen Mann kennenlernen, Cleo.«
»Abby, Alex liegt seit Jahren im Koma, du solltest dich endlich wieder umsehen.«
»Dass will ich aber nicht.«
»Dann lass es, aber stoß nicht jeden weg, der dich anspricht. Es ist doch super, einen Nachbarn zu haben, der mal nach dir sehen kann, wenn ich arbeiten muss«, gibt Cleo zu bedenken.
»Du behandelst mich wie ein kleines Kind.«
»Weil du dich wie eines verhältst. Seit drei Jahren komme ich täglich her, um nach dir zu sehen. Der Unfall war schlimm, aber du lebst, deshalb tu nicht so, als dürftest du nicht weiterleben, nur weil Alex vor sich hin vegetiert«, sagt Cleo ernst.
Ich bleibe einen Moment im Bad, um zu hören, wie viel sie noch von sich preisgeben werden. Abigail hatte also einen Unfall und ihr Mann liegt im Koma. Verdammt, jetzt weiß ich auch, warum sie mir nicht sagen konnte, wann er zurückkommt. Mit meiner Frage hatte ich sie sicher eiskalt erwischt. Ich greife nach dem Verbandskasten und verlasse das Bad wieder.
»Du wartest ja nur darauf, dass ich die Maschinen abschalten lasse.«
»Alex ist hirntot, Abby. Er wird nie wieder aufwachen, damit musst du dich abfinden. Ich weiß, wie schwer es ist, jemanden zu verlieren.«
»Du kannst deine Freundin nicht mit meiner ersten großen Liebe vergleichen«, kontert Abigail leise.
Ich räuspere mich, damit sie mitbekommen, dass ich zurückkomme. Es muss nicht sein, dass sie sich belauscht fühlen.
Beide verstummen, doch Abigail schaut zu mir. »Können Sie mir den Verbandskasten geben?«
»Ich habe eine Ausbildung als Sanitäter gemacht, wenn Sie einverstanden sind, schaue ich mir Ihre Hand an und verbinde sie danach«, biete ich an.
»Nein, das ist nicht …«
»Abby«, ermahnt Cleo sie sofort.
Sie seufzt und legt ihre verletzte Hand auf den Tisch. »Na schön.«
Ich nehme neben ihr Platz. »Ich entschuldige mich im Voraus, falls ich Ihnen wehtue.«
»Ich komme mit Schmerzen klar«, sagt sie leise.
Ich öffne den Verbandskasten, hole mehrere Kompressen sowie Desinfektionsmittel und eine Pinzette heraus. »Passiert so etwas öfter?« Vorsichtig schiebe ich meine Hand unter ihre.
»Gelegentlich. Ich bin etwas tollpatschig«, antwortet Abigail, ohne mich anzusehen.
Ich nicke und tupfe behutsam das Blut von dem Schnitt. Ich bin froh, dass mir so etwas nichts ausmacht, denn Caden und ich hatten als Kinder so einige Verletzungen. Außerdem habe ich während meiner Ausbildung so viel gesehen, dass mich nicht einmal mehr der schlimmste Verkehrsunfall beeindrucken kann. Schockieren ja, aber es macht mir nichts aus, sofort zu helfen. »Es sind einige Splitter in der Wunde. Entweder wir fahren zu einem Arzt oder ich entferne sie, aber dann muss es ohne Betäubung gehen.«
»Machen Sie nur«, entgegnet sie tonlos, allerdings schaut sie nicht auf ihre Hand.
»In Ordnung.« Nachdem ich Handschuhe angezogen habe, desinfiziere ich die Pinzette und auch ihre Wunde. Anschließend fange ich an, die kleinen Splitter herauszuholen. »Okay, können Sie vielleicht mit der Lampe des Handys auf die Wunde leuchten? Dann kann ich sicher sein, dass ich alle Splitter erwische.«
Daraufhin zückt Abigail ihr Handy, schaltet die Lampe ein und hält den Lichtschein auf den Schnitt.
* * *
Ein paar Minuten später habe ich ihre Hand verbunden. »Fertig.«
»Danke, Mr. Walker.«
»Ethan«, entgegne ich.
»Danke, Ethan.«
»Gern geschehen.«
»Siehst du, es ist gut, einen Nachbarn zu haben, der so was kann, denn ich hätte dich ins Krankenhaus gebracht«, meint Cleo.
Abigail zieht ihre Hand weg. »Wenn der Schnitt tiefer gewesen wäre, hätte ich ins Krankenhaus gemusst, aber das ist er nicht.«
Cleo bringt die Kaffeekanne an den Tisch, Tassen brachte sie bereits, als ich Abigail versorgt habe. »Wie trinkst du deinen Kaffee, Ethan?«
»Schwarz.«
»Gute Wahl«, nuschelt Abigail, dennoch verstehe ich sie.
»Was nur alle mit schwarzem Kaffee haben«, sagt Cleo amüsiert und setzt sich zu uns. »Welches Instrument spielst du eigentlich?«, wendet sie sich dann an mich.
»Gitarre und Saxophon, aber ich fange als Gitarrist beim Gentlemen's Squad an.«
Abigail holt tief Luft. »Wieso spielen Sie beide Instrumente?«
»Duzen Sie mich doch bitte.«
Sie schüttelt den Kopf, als ich sie ansehe.
»Na dann«, murmle ich und räuspere mich anschließend. »Ich habe als Kind gelernt, Gitarre zu spielen, danach das Saxophon, weil ich eine neue Herausforderung brauchte. Danach war ich auf der Juilliard und nach dem Diplom habe ich angefangen, als Musiker zu arbeiten. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.«
Abigail schaut auf den Tisch, ihre verletzte Hand hat sie auf ihrem Schoß liegen.
»Stimmt irgendwas nicht?«, frage ich sie.
»Alles okay, ich habe nur nicht mit Besuch gerechnet.«
»Ich kann auch wieder gehen.«
»Das wäre …«
»Nicht nötig!