Ghost - Hinter den Schatten - Akira Arenth - E-Book

Ghost - Hinter den Schatten E-Book

Akira Arenth

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Beschreibung

Ghost - Hinter den Schatten Genre: Gay Urban Fantasy Romance Print 338 Seiten inkl. Illustrationen! Seit einem grausamen Massenmord im 18.Jahrhundert, der in die Geschichte Irlands einging, gilt die Burg Konguaire als verflucht. Lord Kane Bréanain von Reagan, siebter Baron Reagan of Konguaire, soll 162 Menschen unter mysteriösen Umständen in den Tod gerissen haben, bevor er sich in seinem privaten Turm selbst das Leben nahm und seine Seele dem Teufel opferte. Nach ungewöhnlich vielen Vorbesitzern und einem glücklichen Zwischenfall fällt die Burg dem jungen Rian O`Dwyer in die Hände, der seit seiner Kindheit von "Lord Kane dem Schrecklichen" fasziniert ist. Er glaubt nicht wirklich an die Geistergeschichten und will ein Museum des Grauens in der Burg eröffnen. Doch als er dafür den versiegelten Eingang des verfluchten Turms aufsprengt, findet er die persönlichen Briefe eines Leibdieners namens Mael und muss erkennen, dass die Historik gelogen hat. Leider gefällt es dem Baron gar nicht, dass jemand in seinen intimen Nachlässen herumschnüffelt ...

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Ghost - Hinter den Schatten - Klappentext
Prolog
Kapitel 1 - Rian - Entschluss
Kapitel 2 - Lord Kane - Frei wie der Wind
Kapitel 3 - Rian - Täuschung
Kapitel 4 - Lord Kane - Erkenntnis
Kapitel 5 - Rian - Entdeckung
Kapitel 6 - Lord Kane - Auferstandener Engel
Kapitel 7 - Rian - Glühzeit
Kapitel 8 - Lord Kane - Die bittere Wahrheit
Kapitel 9 - Neila - Das Ende einer Seele
Nachwort
Danksagungen
Impressum
Fußnoten

Ghost - Hinter den Schatten - Klappentext

Genre: Gay Urban Thriller Fantasy Romance

Print 338 Seiten inkl. Illustrationen!

Seit einem grausamen Massenmord im 18.Jahrhundert, der in die Geschichte Irlands einging, gilt die Burg Konguaire als verflucht. Lord Kane Bréanain von Reagan, siebter Baron Reagan of Konguaire, soll 162 Menschen unter mysteriösen Umständen in den Tod gerissen haben, bevor er sich in seinem privaten Turm selbst das Leben nahm und seine Seele dem Teufel opferte. Nach ungewöhnlich vielen Vorbesitzern und einem glücklichen Zwischenfall fällt die Burg dem jungen Rian O`Dwyer in die Hände, der seit seiner Kindheit von „Lord Kane dem Schrecklichen“ fasziniert ist. Er glaubt nicht wirklich an die Geistergeschichten und will ein Museum des Grauens in der Burg eröffnen. Doch als er dafür den versiegelten Eingang des verfluchten Turms aufsprengt, findet er die persönlichen Briefe eines Leibdieners namens Mael und muss erkennen, dass die Historik gelogen hat. Leider gefällt es dem Baron gar nicht, dass jemand in seinen intimen Nachlässen herumschnüffelt ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A K I R A A R E N T H

V A E L I S V A U G H A N

Prolog

 

Feurig schöne, glitzernde Funken schweben über mir und tanzen in einem Reigen, als hörten sie auf eine Melodie, die aus dem Ballsaal hervorhallt.

Es kann nicht sein … und doch … ganz leise … da höre ich es, das zarte Streichen einer Violine im Wind, untermalt von sachtem Klavierspiel.

Wie sehr ich die Musik vermisse …

Das Lachen meiner Lieben am Bankett, den Tanz in rauschenden Gewändern, die duftenden Speisen, fein säuberlich drapiert und formvollendet angerichtet … Der Geschmack von gebackenem Fasan, gefüllt mit Äpfeln und Maronen.

Ich erinnere mich an so vieles … wie kann das nur sein?

Ich höre, obwohl meine Ohren schon lange fort sind. Ich sehe, auch wenn ich keine Augen mehr habe, und ich rieche selbst den Regen in der Luft, wenngleich ich keine Nase mehr besitze.

Der Boden ist weit unter mir: zerstört, überwuchert von Efeu, dem ich beim Eindringen zusah. Ich schwebe, geborgen in meinem eigenen Sein und bewege mich bei jedem Luftzug durch das alte Gemäuer, wie ein Tuch im Wind.

Was ist das? Sind es Glühwürmchen oder kleine Wesen der Zwischenwelt, die mich auf ihren Pfad locken wollen?

Nein. Jetzt erkenne ich es. Die Feuersbrunst lodert noch immer in meinem Geist, selbst so viele Jahre nach ihrem Erlöschen.

Sie quält mich, sie wärmt mich, erinnert mich an die schlimmste Stunde meines Lebens und brennt weiter in meiner Seele, die auf ewig in diesen Mauern gefangen ist.

Es ist so lange her ...

Mein Name … wie ist mein Name?

'Kane', haucht der Wind in einem zarten Klang.

Natürlich.

Ich höre die sachte Stimme meines Geliebten und sehe sein selig lächelndes Gesicht vor mir. Diese Erinnerung ist so präsent, dass sie alles andere überdeckt.

Mael … der Engel, dem mein Herz gehört. Im hellen Licht strahlten seine goldenen Locken, als er in den Wiesen auf meiner Brust lag und mir von seinem Tag erzählte, während ich versonnen an einer seiner Haarsträhnen spielte. Welch ein friedvoller Frühlingstag es doch war. So flüchtig ...

Ich werde ihn niemals vergessen!

Warum quält mich das Schicksal weiter in alle Ewigkeit? Warum kann ich nicht endlich die Pforten zur Unterwelt durchschreiten, selbst wenn ich nicht ins Himmelreich fahre?

Darauf gibt es nur eine Antwort.

Es gibt keinen Himmel und die Hölle ist das Wandeln auf Erden.

...

Mein Name ist Lord Kane Bréanain von Reagan, siebter Baron Reagan of Konguaire, und ich bin vor über zweihundert Jahren gestorben.

 

 

Kapitel 1 - Rian - Entschluss

 

1997 – Irland – Gegenwart.

»Bist du dir wirklich sicher, dass wir das tun sollten?«, nervt mich Neila schon wieder und schaut sich andauernd ängstlich um. »Mal ehrlich: Merkst du überhaupt, welchesKlischee wir gerade bedienen? Zwei unvorsichtige Studenten, Dunkelheit, eine verlassene Ruine … Ich komme mir vor, wie zu Beginn eines billigen Horrorfilms!«

»Genau!«, lache ich auf und stoße sie an. »Bohoo ... gleich kommt Caspar um die Ecke und will dein allerbester Freund sein.«

»Ich meine es Ernst, Rian! Was wäre so schlimm daran gewesen, nach der Zwangsversteigerung herzukommen?«

Gelangweilt streife ich die eine Seite meines aschblonden Sidecuts zurück, die mir andauernd vors Gesicht fällt, ziehe die Augenbrauen hoch und schnalze mit der Zunge. »Ich kaufe nichts, was ich nicht mindestens einmal gesehen habe und auf der Seite des Amtsgerichts waren lediglich vier Fotos von der Außenansicht zu sehen! Das reicht mir aber nicht! Ich muss einfach sicher sein, dass es die Richtige ist!«

»Das verstehe ich ja«, haucht sie mir zu und zittert leicht. »Aber wir hätten garantiert auch eine Besichtigung vereinbaren können und - warum steigen wir nicht wenigstens bei Tageslicht ein?«

»Man! Das hab ich dir doch schon erklärt! Weil uns keiner sehen darf!« Wir sind beide im selben Alter und studieren auch an derselben Uni: sie Archäologie, ich Geschichts- und Altertumswissenschaften. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass sie deutlich naiver ist als ich. »Mal ernsthaft – in deinem Job musst du später andauernd irgendwelche unerforschten Stätten öffnen und in gruseligen Tempeln umherlatschen, dich an Lianen von einer Klippe zur anderen schwingen, Grabräuber jagen und -«

»Ich heiße nicht Lara Croft!«, faucht sie mir dazwischen und stemmt die Hände in die Hüften. »Du solltest wirklich aufhören, so viel Zeit vor deiner Konsole zu verbringen!«

»Tue ich das nicht gerade? Ich bin draußen, an der frischen Luft, verbringe Zeit mit meiner besten Freundin und trotzdem meckert sie mich voll! Komm schon, außerdem ist es so einfach viel thrilliger! Jetzt könntest du wenigstens mal die Taschenlampe aufs Schloss halten, wenn du mich schon die ganze Zeit vollquatschst!«

Sie verdreht grinsend die Augen und hält die Funzel hoch. »Na schön, ich bin ja schon ruhig. Aber wenn du dir da drinnen irgendeinen Dämon einfängst und dich ab morgen nur noch rückwärts im Krebsgang fortbewegst, dann fahre ich nicht in den Vatikan, um dir einen Exorzisten zu besorgen!«

»Ein Dämon ist kein Schnupfen Neila, den kann man sich nicht einfach so einfangen!« Endlich höre ich es klicken und ziehe den oberen meiner beiden eingeführten Dietriche zur Seite, während sich knarzend das große Eingangstor zur Halle öffnet. »Na also! Geht doch!«

»Ich bin beeindruckt! Hätte es mit deinem Erbe nicht geklappt, wäre dir eine erfolgreiche Karriere als Kleinkrimineller sicher gewesen.«

»Haha, ich lache später«, motze ich flachsig zurück, doch ich gebe zu, dass mir mein Herz ein wenig in die Hose rutscht, als ich den schweren Eingang öffne und wir mit unseren Taschenlampen ins Innere des Empfangssaales leuchten. Hätte ich doch zur Sicherheit wenigstens meinen Hund mitgenommen!

»Wow … sieh dir das an!« Neila scheint all ihre Angst abgelegt zu haben, denn sie prescht plötzlich vor und leuchtet zu den Gemälden hinauf, welche uns bedrohlich starrend ansehen. »Das sind alle Lords und Ladys von Konguaire Castle, die jemals gelebt haben. Schau dir die Kleider an, die Detailliertheit ihrer Frisuren …«

»Ja, damals maß man Reichtum und Einfluss unter anderem an der Qualität der Familienportraits. Die Reagans müssen wahrhaft eine wohlhabende Sippe gewesen sein«, werfe ich nun auch mal mit meinem Fachwissen um mich.

»Vielleicht finden wir in den Gewölben ja noch einige ihrer Gebeine, wenn wir die Ausgrabungen einleiten?« Jepp, jetzt ist sie in ihrem Element.

»Eben hattest du noch Angst vor bösen Geistern und jetzt willst du ihre Gräber ausheben? So schnell können sich Meinungen ändern.«

»Hey! Das ist nicht fair!«, verteidigt sie sich und kommt zu mir zurück. »Du warst es, der mir nächtelang erzählt hat, all die öffentlichen Sagen und Theorien würden nicht stimmen! Der die Wahrheit herausfinden und beweisen wollte, dass an den Mythen nichts dran ist! Du hast mich mit dem Unsinn angesteckt!«

Ich nehme ihren tippenden Finger von meiner Brust und sehe sie ernst an. »So ist es auch!« Danach atme ich einmal tief durch und schlucke meine aufgestiegene Angst herunter. »In allen Burgen und Schlössern stimmen die Aufzeichnungen weitestgehend überein, doch immer, wenn es um die Adelsfamilie Reagan geht, widerspricht eine Abschrift der anderen. Es ist fast so, als hätte man sie jedes Mal den Umständen entsprechend angepasst!« Ich sehe mir die Bilder an den Wänden an und schnaufe enttäuscht, als ich nicht auf Anhieb finde, wonach ich suche. »Das einzige Portrait, das von Lord Kane Bréanain bisher gefunden wurde, hängt in der Irischen Nationalgalerie. Es war ein Geschenk seiner Verlobten Alannah, die ja ebenfalls darauf zu sehen ist. Er lehnte sie jedoch ab, deshalb befand sich das Bild auch nicht auf Konguaire und kam viele Jahre später in staatlichen Besitz. Wenn dies also wirklich sein letzter Wohnsitz war, müsste er in der Reihe der Ölgemälde auftauchen.«

Wir gehen beide separat jedes der vierzehn Gemälde durch, die über dem Treppenaufgang in den oberen Stockwerken hängen, doch das größte von ihnen zeigt nur seinen Vater, Lord Tyran Angus von Reagan, sechster Baron Reagan of Konguaire und nicht seinen Sohn.

»Rian, schau nicht so enttäuscht«, tröstet mich Neila leise und streicht mir über den Rücken, als ich die Arme hängen lasse. »Vielleicht ist an den Geschichten ja doch etwas dran?«

»An den Geisterstorys? Ich bitte dich!«, antworte ich salopp, denn ich bin ein Mann der Realität und glaube nicht an solchen Humbug, sonst würde ich wohl kaum in Erwägung ziehen, dieses alte Gemäuer zu kaufen.

»Nun, vielleicht genügt es, dass die Leute daran geglaubt haben? Vielleicht hat der wütende Mob sein Portrait damals einfach verbrannt, weil es als verflucht galt?«

»Die ganze Burg ist an der Spitze der Top-Ten-Liste von Irlands 'Haunted Castles'! Also wenn, dann hätten sie alles niederbrennen müssen!« Doch dabei bringt sie mich auf eine Idee. »Warte mal! Nachdem man die Leichen beerdigt hatte und das Gelände geweiht worden war, ließ der einzige entfernte Verwandte der Reagans es jahrelang verriegeln und überließ die Burg dem Verfall. Niemand wagte es, die Ruhestätte des verfluchten Barons zu betreten. Danach war die Burg vierunddreißigmal in Privatbesitz und die neuen Eigentümer setzten angeblich nie einen Fuß in das Gemäuer.«

Neila runzelt die Stirn und sieht mich fragend an. »Was willst du damit sagen?«

»Das alles gelogen war!«, stoße ich wütend aus und reiße die Hände in die Luft. »Das ist doch auch völlig bescheuert! Das Einzige, was nach der Entdeckung der Leichen entwendet wurde, war das Gold aus den Schatzkammern, aber sonst nichts! Wer kauft denn ein Schloss voller Reichtümer und sieht es sich dann nicht einmal an?«

»Jemand, der nicht verflucht werden will, vielleicht? Die Leute hier sind sehr abergläubisch und dass die Burg alle paar Jahre erneut für einen Spottpreis zum Verkauf angeboten wurde, war sicherlich auch nicht unbedingt vertrauenerweckend.«

»Gnaahhh, manchmal machst du mich wirklich wahnsinnig! Warum kann es denn nicht einfach mal die logischste Erklärung von allen sein? Nämlich dass die Auflagen zum Denkmalschutz und die Instandhaltungskosten die Inhaber finanziell aufgefressen haben? Deshalb haben sie sich heimlich genommen, was irgendwie wirklich wertvoll war und diese Ruine danach als angeblich niemals berührtes Kleinod an den nächsten Deppen weitergereicht! Ich werde sicher nicht der Nächste sein, der -«

»Oder ...«, unterbricht sie mich scharf und legt einen ihrer Finger auf meinen Mund, » er hängt nicht hier, weil er der Familie schon zu Lebzeiten Schande gemacht hat? Vielleicht ist sein Portrait irgendwo anders? Wo es nicht jeder hereinkommende Gast sehen konnte?«

Ich denke kurz nach, nehme ihre Griffel aus meinem Gesicht und nicke. »Du hast Recht, das wäre eine Möglichkeit«, stimme ich ihr schließlich zu und reibe mir übers Kinn. »Allerdings wäre es auch unhöflich gewesen, ihn in irgendeinen Seitenflur zu hängen, also muss es ein Platz sein, der ebenso würdig ist, auch wenn er nur vom engsten Kreis der Familie gesehen wird.«

»Wie zum Beispiel in den Kemenaten[Fußnote 1]?«

Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass es mich gerade dezent ankotzt, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Also schnaufe ich nur, nicke und gehe die Treppen nach oben voran.

»Laut des ursprünglichen Grundrisses müssen wir hier nach links und dann … dort rüber?« Es ist so dunkel, dass man nicht einmal mehr die Hand vor Augen sieht. Unsere Taschenlampen werfen nur einige Meter weit spärliche Strahlen, die sich dann in der Schwärze der Flure verlieren.

»Mir kommen gerade so viele Horrorfilme in den Sinn. Wie war das mit dem Baby, das an der Decke entlangkrabbelt?«, flüstert Neila und ich merke, wie sie krampfhaft versucht, ihre Angst mit Humor zu überspielen. Trotzdem klammert sie sich die ganze Zeit an meiner Jacke fest.

»Hör auf dich verrückt zu machen! In solchen Momenten darf man an so was nicht denken, sonst spielt dir dein Verstand bald irgendwelche morbiden Streiche.« Ich bemühe mich einfach ruhig zu bleiben und jedes klappernde, schnarrende oder kratzende Geräusch auf den starken Wind draußen zu schieben, was mir jedoch nur halbwegs gelingt. »Hier, das müsste es sein.«

Eine große, halbrunde Zimmertür tut sich am Ende des Ganges auf und lässt uns wieder in einen Raum mit Fenstern gelangen, welcher vom stärker werdenden Mondlicht erhellt wird. Die Fensterscheiben sind größtenteils kaputt und man sieht deutlich den Zerfall im direkten Umfeld davor. Alles, was vom hereinströmenden Unwetter verschont geblieben ist, zeigt sich aber in erstaunlich gutem Zustand.

»Ich glaube, hier sind wir richtig«, flüstere ich leise und entdecke einen großen Kamin in der Mitte des Zimmers. »Scheint das offizielle Arbeitszimmer mit Empfangsbereich zu sein.«

»Gut, dann wollen wir uns mal umsehen«, erklingt es hinter mir und ich spüre, wie sie mich loslässt, um selbst auf Erkundungstour zu gehen.

An den Wänden befinden sich überall Regale, voll mit alten Büchern, die ich mir näher ansehe. Manche von ihnen haben nur ein paar Stockflecken, andere sind feucht geworden und bereits völlig vermodert. Doch ein paar einzelne, weit weg von den zerstörten Fensterscheiben, scheinen vollkommen trocken geblieben zu sein. So trocken, dass die spröden Seiten brechen, wenn man sie nur berührt. Raumteiler aus gedrechseltem Holz stehen herum und passen sehr gut zu den dunklen Holzmöbeln. Ein großer, ausladender Schreibtisch, mitsamt einem grün gepolsterten Stuhl, steht auf der einen und ein großes Sesselarrangement auf der gegenüberliegenden Seite. Man spürt förmlich, was hier für wichtige Treffen stattgefunden haben, bei denen bedeutende Verträge und Abkommen entstanden sein müssen.

»Hier! Ich hab ihn, ich hab ihn!«, ruft Neila plötzlich freudig hinter einem der abgetrennten Bereiche und wedelt mit ihrer Taschenlampe. »Da steht es: '7th Baron Reagan of Konguaire'! Das ist er!«

Hastig eile ich herbei, doch als ich mein Licht erst etwas verwirrt über die Wand und dann über eine Kommode streifen lasse, bin ich enttäuscht. »Das ist alles …?« Es ist ein winziges Tischbild, oval geschnitten und ebenso gerahmt, gerade mal eine halbe Armlänge groß.

»Jetzt hör auf. Wir sind auf Konguaire, seiner Burg und auf dem Rahmen steht sein Name! Wie viele Beweise brauchst du denn noch?«

Grummelnd nehme ich das Winzportrait in die Hand und gehe ans Fenster, damit mir das Mondlicht, zusammen mit meiner Taschenlampe, den bestmöglichen Überblick verschafft. Eine Sekunde stocke ich, fahre mit den Fingern über die kantige Struktur und verliere mich für einen Moment in den schwarzen Augen des Barons. Welch strenger Ausdruck in diesem jungen Gesicht, so gerade heraus, als würde er nichts und niemanden fürchten.

»Das ist nicht echt ...«

»Was? Warum sollte es nicht echt sein?«, ruft Neila erschrocken und kommt zu mir herüber.

»Weil - er viel zu attraktiv dargestellt ist. Auf den anderen zeitgenössischen Portraits in der Galerie haben die abgebildeten Personen meistens Glubschaugen, die Köpfe sind lang gezogen, die Hände anatomisch inkorrekt. Hier ist alles perfekt. Außerdem trägt er keine Perücke! Alle adligen Herren trugen zu dieser Zeit immer Perücken!«

Neila rollt mit den Augen und tippt auf den Rahmen. »Hast du dir mal das Datum angesehen? Wann ist er geboren? 1739, oder? Hier steht 1755! Das heißt, dieses Portrait wurde 18 Jahre vor seinem Tod gemalt, als er gerade mal 16 war. In dem Alter war eine Perücke noch optional und wer sagt, dass sie in seinem Fall denselben Maler engagiert haben, wie bei allen anderen Bildern?«

»Mist … hat sie auch wieder Recht.«

»Trotzdem ist es doch sehr ungewöhnlich, dass ausgerechnet sein großes Abbild als amtierender Baron fehlt! Und ich weiß, dass eins gemalt wurde, denn ich habe die entsprechende Aufzeichnung im Auftragsbuch eines Malers im Stadtarchiv gefunden.«

Meine Freundin stemmt die Hände in die Hüften und zieht eine Schnute, so wie sie es immer tut, wenn sie nachdenkt.

»Ich bin trotzdem der Meinung, du solltest es kaufen. Es ist ganz eindeutig die Burg der Reagans und schau dir an, wie viele tolle Sachen hier noch erhalten sind. Allein schon was auf dem Schreibtisch steht: die Metallfassung des Federhalters, die Bücher, die Kerzenhalter, der Kelch und diese hübsche, kleine Siegeltruhe ...«

»Siegel ...?« Sofort haste ich zurück und reiße die verzierte Holzkiste auf, doch auch hier gähnt mir Enttäuschung entgegen. »Da sind nur harte Siegelwachsklumpen drin. Den Siegelring hat er wahrscheinlich noch getragen, als er star-« Metallisches Hämmern rauscht plötzlich durch die Gänge und wir zucken beide so heftig zusammen, dass wir beinahe umfallen.

»Was … was war das?«, stottert Neila flüsternd und krallt sich an mir fest. »Lass uns abhauen! Sofort! Ich will nicht mehr!«

»Schon gut …«, versuche ich, sie zu beruhigen und gehe langsam auf die angelehnte Tür zu, darauf gefasst, dass sie jeden Augenblick zuknallt. Doch zum Glück tut sie es nicht. »Wir werden jetzt ganz friedlich hier hinausmarschieren und nichts Schlimmes wird passieren!«, wispere ich ihr zu und nehme es als gutes Omen, kein abschätziges Lachen aus dem dunklen Flur zu hören.

Zügig schleichen wir den Weg zurück, welcher zum Glück relativ einfach zu merken war, finden die große Treppe und rennen dann förmlich der Nacht entgegen …

*

Vollkommen außer Atem, zitternd und mit dem Herz in der Hose, sitzen wir vor dem Burgtor in meinem klapprigen Toyota Corolla 80s und versuchen uns zu beruhigen.

»Du musst zugeben, das war scheiße unheimlich!«, stößt Neila aus und versucht dabei zu lächeln, was ihr nicht ganz gelingt.

»Aber auch cool …!«, gebe ich zurück und setze ein künstliches Grinsen auf, obwohl mein Herz gerade übermäßig heftig gegen meinen Brustkorb hämmert. Nein, ich darf die Nerven nicht verlieren. Immerhin bin ich ein Mann und vor meiner besten Freundin Schwäche zeigen, kommt nicht in Frage. »Das war … bestimmt nur irgendeine Ratte, die im Keller etwas heruntergestoßen hat.«

Ausnahmsweise nickt sie und stimmt mir sogar zu, was selten der Fall ist. »Ja, wahrscheinlich.«

Einige Minuten herrscht Schweigen zwischen uns, doch dann ziehe ich bedächtig das Portrait des Barons aus meiner Jacke, zusammen mit einem Buch und ernte vorwurfsvolle Blicke. Bevor sie jedoch etwas sagen kann, komme ich ihr zuvor. »Guck nicht so! Das hier sind die Aufzeichnungen des Baumeisters von Konguaire. Wenn wir die Seiten auseinanderbekommen, ohne dass sie brechen, gibt es uns vielleicht noch einige Hinweise, die wir nicht bemerkt haben. Ich will beides morgen von Angus prüfen lassen, vor dem Termin beim Amtsgericht. Wenn er mir bestätigen kann, dass es sich bei dem Gemälde um keine Fälschung handelt und die Notizen im Buch aufschlussreich sind -«

»Dann wirst du die Burg kaufen?«, platzt sie mit ihrer Frage heraus, die ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt.

»Natürlich!«

 

 

 

Kapitel 2 - Lord Kane - Frei wie der Wind

 

Auch wenn ich ihn zumeist nicht anheben kann, so sehe ich doch immer wieder in meinen versilberten Handspiegel, welcher auf der Kommode liegt. Ich bin ein Zerrbild meiner selbst, wie ein Mensch, den man nur aus dem Augenwinkel sieht. Mal bin ich eher schemenhaft, wie ein zerrissener Schatten, in anderen Nächten sehe ich aus, als bestünde ich aus reinem, mit Nebel durchzogenem Wasser. Doch die Form meines früheren Daseins ist durchaus erkennbar, einschließlich meines Gesichts.

Mein Gesicht … Wieso ist es überhaupt noch da? Unverändert und keinen Tag gealtert?

Meine langen Haare liegen auf meinen Schultern und ich fühle ihre Struktur, auch wenn sie ihre einst dunkelbraune Farbe verloren haben. Eisblaue Augen in einem fahlen, stoischen Antlitz, dessen Bartwuchs sich eingestellt hat.

Ich trage dieselbe Kleidung, in der ich gestorben bin, zumindest sehe ich sie, wenn ich an mir hinunterschaue. Ist das nicht absurd? Oder gibt mein äußeres Erscheinungsbild einfach nur das wieder, woran ich mich erinnere?

Plötzlich zieht sich ein störendes Geräusch durch meine Überlegungen und unterbricht meine Gedanken.

-Klock Klock Klock Klock-

Ein gleichmäßiges Hämmern ist zu hören, dann verstummt es und ertönt kurz darauf erneut, im gleichen Intervall. Ist es schon wieder Frühling, sodass die Vögel im ausgebrannten Dachstuhl ihr Unwesen treiben? Arglistige Braten! Hätte ich noch meine Flinte, so wären sie längst auf meinem Teller gelandet. Jahrelang versuchte ich, den Turm von allem Getier freizuhalten, doch irgendwann gab ich es auf.

Wozu diese kalten Mauern von Lebewesen freihalten? Dienen sie so wenigstens einem letzten Wesen als Heim, auch wenn es schwarz verkohlt ist und sich der Regen hunderte Male seinen Weg durch das große Loch in der Decke suchte. Die Bohlen sind aufgequollen, gerissen und moderten in all der Zeit vor sich hin. Das wenige Mobiliar, welches die Feuersbrunst verschonte, verwitterte und ich beobachtete schmerzenden Herzens Jahr für Jahr seinen Zerfall.

Ein Vermögen habe ich einst dafür bezahlt.

Hier, in meinem Arbeitszimmer, war das Zentrum meines Daseins, heute ist es ein einziger Trümmerhaufen. Eine Treppe tiefer befindet sich mein Schlafgemach, Raum meines größten Glücks, sodass ich meinen geliebten Turm nur zum Reisen, Essen und Jagen verlassen musste. Hier konnte ich Mael empfangen, wann immer ich wollte, fernab garstiger Blicke. So war es einst der schönste Ort auf Erden und ich investierte beinahe mein halbes Vermögen, um ihn für uns zu sichern und mit den auserlesensten Dingen auszustatten. Kein Diener störte, kein Verwandter, der uns überraschen konnte … Dies war mein Ziel. Ich ließ den Turm abriegeln, alle Ausgänge zumauern und nur über einen einzigen Weg zugänglich machen, damit kein Mensch uns beim Liebesakt entdeckte.

Leider wurde mir genau diese Maßnahme letztendlich zum Verhängnis, denn mein Paradies entpuppte sich als mein Grab, welches ich zu verlassen nicht mehr imstande bin.

-Klock Klock Klock Klock-

Schon wieder? Und diesmal so laut, dass es unmöglich ein Tier sein kann! Sollten sich etwa wahrhaftig …?!

Plötzlich höre ich es krachen und scheppern, als würde jemand direkt unter mir eine Kanone abfeuern. Das Gemäuer erzittert. Haben wir Krieg? Wer ist denn so töricht, eine verlassene Burg anzugreifen?

Es rumpeln Steine und dann vernehme ich menschliche Stimmen, gedämpft, wie durch ein altes Sprachrohr, die sich von unten mit gebündelten Lichtkegeln über meine geheime Wendeltreppe nähern.

»Bist du des Wahnsinns, Barrey? Der ganze Turm hätte einstürzen können und dann wäre alles verloren gewesen!«

»Keine Sorge, wir haben alles unter Kontrolle Herr O’Dwyer. Deswegen nennt man es ja eine kontrollierte Sprengung.«

»Trotzdem hätte wohl auch die Hälfte an Dynamit genügt, um einen Durchgang zu schaffen! Den Rest hätten Sie freihämmern können! Sie wollten sich doch lediglich Arbeit ersparen.«

»Das waren meterdicke Blöcke! Nicht umsonst ist niemand bisher in diesen ...«

»Still!«

Die Zankhälse verstummen, als sie in meinem Schlafgemach ankommen. Ganze sieben Eindringlinge an der Zahl und ich beobachte sie geschockt, schwebend von der Decke aus, während ihre seltsamen Öllampen in Kastenform den Raum erhellen. »Raus! Alle! Sofort!«, blökt ein junger Mann, welcher bereits zuvor die größten Tiraden schwang. »Ich will mir das alles in Ruhe ansehen! Allein! Lasst mir zwei der Baulampen hier und dann arbeitet am Einbau der Fenster weiter! Los, hopp!«

Welch garstiger Geselle. Wie kann ein Kerl ohne Adelstitel andere Männer befehligen? Die Dienerschaft klebt noch kurz mit den Augen an meinen persönlichsten Besitztümern, verschwindet dann jedoch murrend zur Tür hinaus, während der junge Machthabende weitere Kästen verteilt.

Es ist befremdlich, nach all diesen Jahren wieder echte Stimmen zu vernehmen, die nicht nur in meinen Gedanken existieren. Doch sie klingen mehr wie kratzige Rufe, die man nur durch eine Wand aus Nebel hört.

Nachdem sich die Schritte der Meute entfernt haben, drückt der Kerl auf ein seltsames, rundes Ding und durchflutet den intimsten Raum meines Lebens mit grellem, bläulichem Licht. Ich fahre geblendet zusammen, schwebe zum Kronleuchter, dem dunkelsten Punkt des Zimmers, und beobachte schließlich, wie sich der störrische Gesichtsausdruck des jungen Mannes verändert. Plötzlich quietscht er förmlich auf, reißt die Mütze von seinen hellen Haaren herunter und springt in die Luft!

»Der Wahnsinn!!! Ich hab's doch gewusst! Die Aufzeichnungen haben gestimmt! Sie haben wirklich gestimmt! Schau doch nur, Käpt´n Klette!«

Erst jetzt bemerke ich direkt hinter seinem Fuß einen kleinen … was ist das eigentlich? Ein Hund, nehme ich an. Auf jeden Fall hechelt es und läuft auf vier Beinen. Dieser seltsame 'O’Dwyer' gibt einen erneuten Freudenausruf von sich, schnappt das Vieh und quetscht es, bis ihm die Augen hervorquellen. Ach nein, das scheint immer so auszusehen …

»Sieh dir das nur an! Es ist alles so gut erhalten!« Jetzt wühlt dieser Langfinger schon in meinen Sachen, als seien sie sein Eigentum, was mich unglaublich wütend macht! Was erlaubt sich dieser Frevler eigentlich?

Seit dem großen Feuer war nie mehr jemand in meinen Gemächern gewesen und auch ich war niemals fähig, die Mauer zu durchdringen, die meine Peiniger am Ausgang des Turmes errichtet hatten. Haben denn die Menschen vollkommen die Achtung vor den Gedenkstätten der Toten verloren?

»Diese Planken, das Bett, der Stuhl dort drüben … das ist bestes Eichenholz!«, palavert er weiter und erzählt mir, was ich längst schon weiß. Schließlich habe ich es bezahlt! Als er mit seinen Händen jedoch über den Saum meiner Bettdecke fährt, knirsche ich mit den Zähnen oder dem, was ich für meine Zähne halte.

»Unglaublich! Erkennst du diesen Abdruck in den Laken? Man sieht förmlich bis heute, wie er gelegen hat. Er muss wirklich beinahe zwei Meter groß gewesen sein.« Zwei Meter sieben, um genau zu ein, aber höre ich da doch einen Funken Ehrfurcht in seiner Stimme? »Dieser Raum ist wie ein Tor in die Vergangenheit … als hätte der Baron gestern noch hier geschlafen. Selbst die Brokatstoffe haben überlebt. Wir müssen unbedingt alles präparieren und den Turm mit in die geplante Besichtigungstour aufnehmen! Ich bin mir sicher, dafür zahlen die Leute sogar noch mal extra.« Dann bückt sich der Gauner auch noch, kniet auf dem Teppich und entdeckt die Truhe unter meinem Bett, welche er sogleich mit einem Rumpeln hervorzieht.

›Lasst die Finger davon, elender Bankert!‹, knurre ich ihn an, doch natürlich hört er mich nicht. Alles was mir bleibt, ist zuzusehen, wie er eine eiserne Stange nimmt und ohne Rücksicht auf Verluste mein Siegel aufbricht. Das ist zu viel! 'Nein!!!' brülle ich, so laut ich kann.

Sein Atem stockt. Der Blonde starrt plötzlich an die Decke und ich bemerke, dass der Kronleuchter schwingt, an dem ich mich festhalte.

›Habe ich ihn bewegt?‹

»Oh man … da kriegt man ja beinahe schon wieder Angst«, lacht er und streichelt sein schwarzes Fellknäuel, welches sich im selben Moment fiepsend auf seinen Schoß zurückgezogen hat. »Das eine Mal hat mir wirklich gereicht! Wahrscheinlich bin ich einfach schon zu lange hier und mein Verstand spielt mir deshalb Streiche. Neila würde sich königlich amüsieren.« Er lässt sich trotzdem nicht beirren, fährt fort in seinem Tun und öffnet den Deckel.

Da liegen sie: Gold- und Silbermünzen, Rollen meiner Aufzeichnungen, Ergebnisse meiner jahrelangen Arbeit, wertvolle Stoffe, Briefe und Zeichnungen … die Trümmer meines Daseins, die Säulen meines Lebens.

O’Dwyer breitet alles auf dem steinernen Boden aus, entrollt meine Schriften und liest sie ohne Scham. »Das ist … der Wahnsinn«, wiederholt er sich dabei murmelnd. »Allein der Inhalt dieser Truhe ist mehr wert als die ganze Burg!«

Nun übertreibt er aber. Warum sollten die paar Münzen und Fetzen Pergament mehr Wert sein als meine gesamte Festung? Da unterbricht ein ebensolches Papier meine Gedanken, welches vom Stapel zur Seite fliegt und halb aufgerollt enthüllt, was ich bereits seit langem verrottet glaubte.

Meine geisterhafte Kehle schnürt sich zu, mein Gesicht brennt vor aufkeimender Trauer und drückender Schmerz zieht sich durch meine unsterbliche Seele. Es ist eine Zeichnung, eine Zeichnung meines geliebten Mael, eigenhändig von mir angefertigt in einer stürmischen Sommernacht.

Er sieht noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Warm lächelnd, als sei er die Sonne selbst. Lediglich die ausgefransten Ränder und der vergilbte Braunstich samt dunkler Flecken zeigen, dass dieses Abbild meines Engels so alt ist wie diese Mauern.

»Das … das ist es! Das ist der Beweis!«, gluckst der Dieb erneut, während er meine Zeichnung ignoriert und stattdessen meine Briefe liest. »Dies ist wirklich das geheime Schlafgemach von Lord Kane Bréanain dem Schrecklichen!«

› Was???‹

Ich wurde niemals … niemals in meinem ganzen Leben 'der Schreckliche' genannt! Das ist doch vollkommener Hohn! 'Der Stattliche' vielleicht oder 'der Einsame', meinetwegen auch 'der Sonderbare', aber keinesfalls war ich je schrecklich!

Der junge Mann steht auf, sieht sich weiter um und bevor er die herausgerutschte Zeichnung entdecken kann, lasse ich mich eilig zu Boden sinken und befördere sie mit dem Luftstoß einer schnellen Bewegung zurück unters Bett. Nun stehe ich neben dem ungezogenen Bengel, der sich die Arme reibt, als wäre ihm kalt. Hat er meinen Windhauch gespürt? Erst blickt er überlegend zur Tür, dann schaut er prüfend umher, bis er direkt durch mein Gesicht hindurchsieht und ich ihn erstmalig wirklich mustern kann.

Nun bin ich es, der erstarrt.

Es ist beinahe so, als stünde meine Zeichnung lebendig vor mir. Mein Sein zieht sich schmerzhaft zusammen und pulsiert so kräftig, als wäre ich noch im Besitz eines Herzens. Er hat eine solche Ähnlichkeit mit Mael, dass ich zu zittern beginne. Abgesehen von seiner seltsamen Kleidung und dieser noch merkwürdigeren Haartracht. Ein junger Mann in seinem Alter, mit halbseitig abrasierten Haaren? Nun ja, vielleicht ist er krank und musste sie deshalb so kürzen? Seine azurblauen Augen stechen jedoch in klarer Farbe hervor. Animalisch, nicht so sanft himmelblau wie die meines Geliebten und auch sein wohldefinierter Körper zeigt keinerlei Mangelerscheinungen, soweit ich das durch die Stoffe beurteilen kann.

›Nein. Ich muss mich beruhigen. Er ist es nicht! Er kann es nicht sein!‹

Je länger ich ihn betrachte, desto mehr kleine Unterschiede fallen mir nun auf und ich beschwichtige mich. Seine Schultern sind breiter, sein Kinn etwas kantiger und seine Augenbrauen dunkel. Seine Haare aber, scheinen noch heller als die von Mael zu sein. So hell, wie ich es noch nie bei einem Menschen seines Alters sah. Außerdem besitzt er keine solch kräftigen Locken, sondern lediglich ein paar lasche Wellen.

»Dieser Raum war vollkommen abgeschottet«, murmelt er in diesem Moment zu seinem kleinen Köter. »Keine Fenster, der einzige Zugang vermauert und die Decke … ist das dort eine Eisenklappe?«

Er läuft an mir vorbei, geradewegs an den Zugang zu meinem Arbeitszimmer.

›Genügt es ihm denn nicht, dass er meine Bettstatt durchforstet? Muss er jetzt auch noch mein Grab entweihen?‹, denke ich wütend, doch gleichzeitig entspanne ich mich, denn er wird diese Luke niemals aufbekommen.

Er zieht meinen guten Ohrensessel herbei, steigt darauf, bohrt dann mit seinem metallischen Haken an der Kante herum und versucht, die Vorrichtung nach oben zu stemmen, wobei er sich fleißig abrackert.

Tja, da kann er lange buckeln. Dort oben liegen drei Tonnen schwere Steine auf dem Boden. Die halbe Außenmauer ist eingestürzt, als das Feuer wütete und der Dachstuhl zusammenbrach. Niemand, der nicht durch Wände fliegen kann, wird jemals wieder hinaufkommen.

»Verdammte Scheiße!«, flucht er lauthals und bestätigt damit meine Annahme, dass er aus niederem Geblüt stammt. Dann holt er einen kleinen, grauen Kasten hervor, der kratzig schnarrt, als er daran herumfummelt. »Barrey! Schicken Sie Flanagan rauf, er soll den Bohrer mitbringen!«, motzt er das Ding an und ich wundere mich ernsthaft, dass es denselben Namen zu haben scheint, wie sein Untergebener. Doch dann spricht es auch noch knarzig zurück!

»Wollten Sie nicht erst mal mit dem Hubschrauber aufs Dach? McGrath ist jetzt hier und könnte Sie hochfliegen.«

»Warum sagt mir das denn keiner?«, schnauzt er zurück und stampft mit dem Fuß auf, wobei er fast seinen Hund trifft, der dicht gedrängt an seinem Bein sitzt. Anscheinend hat er seinen Namen nicht von ungefähr.

»Gut, ich komme runter. Aber ich mache hier überall Fotos und wehe irgendetwas wird auch nur einen Zentimeter verschoben! Wenn ich Sie oder einen Ihrer Helfer in der Secret Area erwische, stehen Sie dafür gerade und ich verklage Sie höchstpersönlich! Ist das klar?«

»Jawohl.«

Wie will dieser Grünschnabel denn einen kleinen Kasten verklagen? Zumal dieses Ding ganz offensichtlich an seinem Gürtel hängt und noch nicht mal selbstständig laufen kann. Vielleicht sitzt ein winziger Papagei drin? Aber den vor Gericht zu zerren wäre auch ziemlich unsinnig.

Er holt ein weiteres Kästchen hervor und hält es sich dicht ans Auge. Anscheinend will er es untersuchen!? Dann blitzt es plötzlich wie in einer Sturmnacht immer und immer wieder und auch meine vorgehaltenen Hände bringen wenig Schutz. Direkt danach pfeift er fröhlich, als sei überhaupt nichts geschehen, liest seinen unförmigen Hund vom Boden auf und läuft zurück zur Treppe, geradewegs durch mich hindurch.

Mein durchsichtiger Körper zieht sich wie Rauch um ihn herum und setzt sich dann fließend wieder zusammen, ohne eine wirkliche, feste Form anzunehmen. Plötzlich bleibt er stehen, erstarrt regelrecht und ich sehe, wie sich auf seinen unbedeckten Unterarmen eine Gänsehaut bildet.

Er dreht seinen Kopf langsam über die Schulter, starrt in den Raum, genau wie zuvor und wagt es kaum zu atmen. Doch dann kläfft seine kleine Töle und er schüttelt den Kopf.

»Ja ja, hast ja Recht, Käpt´n Klette. Irgendwo müssen wohl doch einige Luftschlitze sein, durch die es pfeift. Ich werde das Team für die Isolierung später mal hochschicken, wenn ich alles gesichert habe.«

Also entweder versteht dieser Kerl wahrhaftig, was sein pelziger Begleiter sagt, oder er ist einfach nur verrückt. Jedenfalls fasst er sich er wieder und läuft dann fröhlich den Weg hinunter, mitten durch die eingerissene Wand, die sie so rüde zerstört haben.

---ENDE DER LESEPROBE---