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»Liebst du mich noch?« »Heute nicht mehr. Ich liebe dich morgen wieder.« *** Vada Simmons hatte alles, was sie sich wünschen konnte, bis zu jenem schicksalhaften Tag im Sommer. Ihr Leben gleicht einem Scherbenhaufen. Ihr Bruder Mase hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihr beizustehen, doch ist er inzwischen am Ende seiner Kräfte. Als auch noch sein bester Freund aus Kindheitstagen auftaucht, gerät Vadas Welt noch weiter ins Wanken. Jackson Barnes kehrt nach langer Zeit in seine Heimatstadt zurück, um die Praxis seines Vaters zu übernehmen, der in den Ruhestand gegangen ist. Zufällig begegnet er seinem damaligen besten Freund Mase wieder. Von Vadas Schicksal zutiefst berührt, spürt er das Verlangen, ihr ins Leben zurück helfen zu wollen, aber die Vergangenheit steht unweigerlich zwischen den beiden. Drohen Geheimnisse und nie verheilte Wunden das neugewonnene Vertrauen zu zerstören?
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Copyright © 2019 Drucie Anne Taylor
Korrektorat: S.B. Zimmer
Satz & Layout © Julia Dahl
Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art
Auflage: 01 / 2024
Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Markennamen, Firmen sowie Warenzeichen gehören den jeweiligen Copyrightinhabern.
»Liebst du mich noch?«
»Heute nicht mehr. Ich liebe dich morgen wieder.«
Vada Simmons hatte alles, was sie sich wünschen konnte, bis zu jenem schicksalhaften Tag im Sommer. Ihr Leben gleicht einem Scherbenhaufen. Ihr Bruder Mase hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihr beizustehen, doch ist er inzwischen am Ende seiner Kräfte. Als auch noch sein bester Freund aus Kindheitstagen auftaucht, gerät Vadas Welt noch weiter ins Wanken.
Jackson Barnes kehrt nach langer Zeit in seine Heimatstadt zurück, um die Praxis seines Vaters zu übernehmen, der in den Ruhestand gegangen ist. Zufällig begegnet er seinem damaligen besten Freund Mase wieder. Von Vadas Schicksal zutiefst berührt, spürt er das Verlangen, ihr ins Leben zurück helfen zu wollen, aber die Vergangenheit steht unweigerlich zwischen den beiden.
Drohen Geheimnisse und nie verheilte Wunden das neugewonnene Vertrauen zu zerstören?
Skillet - Don’t Wake Me
Calum Scott & Leona Lewis - You Are The Reason
Ed Sheeran - Perfect
Backstreet Boys - If I Don’t Have You
Romeo & Julia (Das Musical) - Vergiss mich nie
Cat Ballou - Novemberrään
Bon Jovi - Bed Of Roses
Bon Jovi - Always
Mehrzad Marashi - Don’t Believe
Calum Scott - Dancing On My Own
Linkin Park ft. Kiiara - Heavy
Josh Groban - Evermore
Sascha Rotermund - Ich warte hier auf dich
Natural - Runaway
Natural - I’ll Be Back For More
Skillet - Stars
Beyonce - If I Were A Boy
Bryan Adams - All For Love
Ed Sheeran - Photograph
Backstreet Boys - All I Have To Give
Westlife - You Raise Me Up
Backstreet Boys - Show Me The Meaning Of Being Lonely
Backstreet Boys - I’ll Never Break Your Heart
Backstreet Boys - Drowning
Westlife - Unbreakable
Westlife - I Wanna Grow Old With You
Backstreet Boys - Yes I Will
Backstreet Boys - Shape Of My Heart
Elton John - Sacrifice
Tina Turner - On Silent Wings
Ne-Yo & Cassandra Steen - Never Knew I Needed
Queen - No One But You (Only The Good Die Young)
Max Schneider - Breakeven
Kelly Clarkson - Piece By Piece
Westlife - The Rose
Bryan Adams - (Everything I Do) I Do It For You
Backstreet Boys - As Long As You Love Me
Backstreet Boys - 10.000 Promises
1. Vada
2. Jackson
3. Vada
4. Jackson
5. Vada
6. Jackson
7. Vada
8. Jackson
9. Vada
10. Jackson
11. Vada
12. Jackson
13. Vada
14. Jackson
15. Vada
16. Jackson
17. Vada
18. Jackson
19. Vada
20. Jackson
21. Vada
22. Jackson
23. Vada
24. Jackson
25. Vada
26. Jackson
27. Vada
28. Jackson
Das wohl größte Danke, das ich wohl je aussprechen werde
Über die Autorin
Weitere Werke der Autorin
Rechtliches und Uninteressantes
Es war eiskalt.
Draußen
Drinnen.
Tief in meinem Herzen.
Alles kam mir eisig vor.
Sie sind tot, geisterte eine mechanische Stimme durch meinen Kopf. Ich wiederholte es wie ein Mantra, damit ich es endlich verstand.
Das Wissen war da, aber ich realisierte es einfach nicht.
Mein Mann und meine Tochter waren tot.
Sie waren in den Wäldern Montanas unterwegs, als James auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle über den Wagen verlor und frontal in einen Lkw geprallt war, der Baumstämme geladen hatte. Lynn, unsere Kleine, saß hinter ihm im Kindersitz, als einer der Stämme auf der Fahrerseite die Windschutzscheibe mit so einer Wucht durchbrach, dass er James und sie durchbohrte. So endete ihr Campingausflug, den sie jedes Jahr zu Beginn der Sommerferien machten. Der Sheriff hatte mich informiert und mein Körper schaltete in jenem Augenblick, in dem er mir diese furchtbare Nachricht überbracht hatte, auf Autopilot.
Wir hatten nie viel Geld für besondere Urlaube gehabt, aber James liebte die Natur, was er an Lynn weitergegeben hatte.
Ich starrte ins Kaminfeuer. Seit es passiert war und auch mein Bruder davon erfahren hatte, lebte ich bei ihm. Er wollte mich nicht alleine lassen, weil man mich im Krankenhaus für labil hielt. Ich wusste nicht, wie viele Wochen und Monate schon vergangen waren, aber mir war bewusst, dass ich nie mehr die Alte sein würde.
Das Geräusch der sich schließenden Tür ließ mich zusammenzucken. »Hey, Vada, ich bin wieder da!« Mein Bruder Mase, bei dem ich gezwungenermaßen wohnte.
Ich reagierte nicht, weil ich mich in meinen Erinnerungen verlor. Auf meinen Lippen lag ein Lächeln, denn ich sah meine kleine Lynn auf dem Teppich mit ihrem Dad spielen. So wie sie es immer getan hatte, wenn wir hier waren. Mase hatte unheimlich viele Spielsachen für seine Nichte gekauft, mit denen wir sie beschäftigten, wenn wir ihn besuchten. Oftmals saßen wir mit ihr auf dem Teppich, um gemeinsam mit ihr zu spielen. Feuerwehrmann, Räuber und Gendarme, oder wir haben mit den Autos gespielt, die sie Puppen vorzog.
Lynn war kein typisches kleines Mädchen.
»Hey«, wiederholte Mase mit warmer Stimme.
Ich sah zu ihm hoch. »Hi«, wisperte ich, nachdem er mich aus meiner Erinnerung gerissen hatte.
Er sah mich besorgt an. »Kein guter Tag?«
»Es gibt keine guten Tage mehr.« Ich wischte die Tränen von meinen Wangen, erhob mich und umarmte ihn, weil ich ihm dankbar für seine Fürsorge war. Allerdings wollte ich nach Hause, dorthin, wo ich mich James und Lynn besonders nahe fühlte. Auch wenn ich mich davor fürchtete, alleine in dem Haus zu leben, das ich mit meiner Familie geteilt hatte.
Er seufzte vernehmlich. »Vada, ich weiß, dass sie dir fehlen, aber James hätte nicht gewollt, dass du dich hängen lässt.«
Ich schniefte. »Ich weiß.«
Mase drückte mich fest an sich. »Mir fehlen sie auch.«
Vorsichtig löste ich mich von ihm, nickte, dann setzte ich mich zurück auf die Couch. Mein Blick fiel auf den Fleck, den Lynns Traubensaft beim letzten Weihnachtsfest auf dem Teppich hinterlassen hatte. Meine Mundwinkel zuckten wegen des Bildes, das vor meinem geistigen Auge aufgeflammt war. »Ich höre sie immer noch lachen und sehe sie vor mir, als wäre sie gar nicht weg.«
»Das liegt an deiner Trauer.«
»Weißt du, was er mir als Letztes sagte?«, fragte ich.
Mase nickte. »Du hast es mir erzählt.«
Ich senkte den Blick, atmete tief durch, um nicht an jenen Tag zu denken, an dem ich James und Lynn zum letzten Mal sah. »Wie spät ist es?«
»Acht.«
Verwundert sah ich ihn an. »So spät schon?«
»Ja, ich komme gerade von der Arbeit.« Er schenkte mir ein Lächeln. »Hast du den ganzen Tag hier gesessen, seit ich heute Morgen abgehauen bin?«
Vorsichtig schüttelte ich den Kopf, aber ich wusste genau, dass er meine unausgesprochene Lüge erkennen würde, schließlich war Mase nicht dumm. Er war der klügere Kopf von uns beiden, immerhin war er nicht mit 16 Vater geworden. Ich war 15 Jahre alt, als ich mit Lynn schwanger wurde. Aber Lynn war kein Fehler, sie war die Krönung von James’ und meiner Liebe. Sie war all das, was ich mir immer gewünscht hatte. Mit 18 Jahren hatte ich ihn geheiratet, er war damals 21 Jahre alt. Eltern hatte ich keine mehr. Mase und ich hatten sie verloren, als wir noch klein waren. Ich erinnerte mich nicht einmal an die beiden, weil ich erst zwei Jahre alt war, als sie umkamen, aber Mase erzählte mir immer wieder von ihnen, sodass ich ein Gefühl von ihnen bekommen hatte.
»Also hast du wieder den ganzen Tag hier gesessen.« Er seufzte resigniert. »Du musst wieder leben, Kleine, sie sind seit …«
»Ich weiß!«, fuhr ich ihm energisch über den Mund und erhob mich abermals. »Hast du Hunger?«
»Ziemlich großen sogar.«
»Soll ich etwas für uns kochen?«
Mase winkte ab. »Ein alter Freund kommt gleich vorbei, um über alte Zeiten zu quatschen. Ich denke, wir ordern Pizza.«
»Okay, dann gehe ich schlafen«, sagte ich leise.
»Bleib doch dabei, immerhin kennst du ihn auch.«
Kopfschüttelnd ging ich in die Küche.
»Er hat nach dir gefragt«, sagte er, als er mir dorthin folgte.
Ich starrte in den Kühlschrank. »Wer soll es sein?«
»Jackson.«
Meine Augen wurden groß. »Jackson Barnes?«
»Genau der.«
»Ich dachte, er wäre NASCAR-Fahrer und würde Gott weiß wo leben.«
»Nein, er ist vor ein paar Tagen zurück in die Stadt gekommen, um die Praxis seines Dads zu übernehmen, außerdem hat er bloß sein Studium damit finanziert.«
»Mhm.« Ich holte einen Schokoladenpudding heraus und schloss den Kühlschrank. »Schön für ihn.« Nachdem ich mir einen Löffel genommen hatte, setzte ich mich an den kleinen Esstisch, der am Küchenfenster stand.
Hunger.
Das Gefühl kannte ich nicht mehr. Ich aß, weil es nötig war, nicht, weil ich es wollte oder Appetit hatte. Mase zwang mich in den meisten Fällen dazu, etwas zu essen, denn er wollte nicht, dass ich noch mehr abnahm. Meine Kleidung hing locker an meinem Körper, der ein paar Kilo verloren hatte. Meine Haut war blass, weil ich nicht mehr aus dem Haus ging. Die Augenringe waren die nächste Stufe von Lila.
Ich machte nichts mehr aus mir, aber wieso auch?
Ich war seit einem halben Jahr in Trauer, hatte die Lieben meines Lebens verloren und vermisste sie so sehr, dass es wehtat.
Jeden Morgen, wenn ich feststellte, dass es kein Albtraum war, aus dem ich erwachte, brach mein Herz aufs Neue.
Mir war klar, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem man James oder mich begraben würde, doch rechnete ich nie damit, dass ich Lynn einmal beerdigen musste.
Es war wider die Natur, dass sie vor mir gegangen war. Wir hatten noch so viel vor und nun waren all diese Pläne nichtig. James, Lynn und ich würden nicht unseren Kram zusammenpacken und nach Kanada ziehen, weil er dort einen Job gefunden hatte. Das Campingwochenende sollte der Abschied von ihrem Lieblingscampingplatz sein, allerdings hatten sie ihn nie erreicht.
Ich war zu Hause geblieben, weil ich schwanger war, es war eine Risikoschwangerschaft, deshalb wollte James nicht, dass ich sie begleitete.
Dieses Baby hatte ich genauso wie die beiden verloren.
»Vada?«
Ich hob den Blick vom Puddingbecher, der immer noch verschlossen in meiner Hand lag, um ihn anzusehen. »Ja?«
Mase betrachtete mich besorgt. »Möchtest du wirklich nichts vom Lieferservice?«
Kopfschüttelnd sah ich zurück auf den Becher.
»Willst du den Pudding anstarren oder essen?«
»Ich bin nicht mehr sicher«, antwortete ich leise, dabei drehte ich ihn in meinen Händen.
»Hast du heute schon etwas gegessen?«, hakte er nach und nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz.
»Nein«, hauchte ich, damit er nicht wütend wurde.
Mase schnaubte. »Dann bestellen wir dir eine Pizza oder einen Salat, irgendwas. Du musst essen, Vada.«
»Ich weiß.«
»Also?«
Noch einmal hob ich den Blick, um Mase meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. »Ich weiß nicht.«
Seufzend erhob er sich. »Soll ich uns lieber etwas kochen?«
»Mach dir meinetwegen keine Umstände«, antwortete ich kleinlaut, stand ebenfalls auf und brachte den Schokopudding zurück in den Kühlschrank. »Ich werde schlafen gehen.«
»Es ist erst kurz nach acht, Vada«, erinnerte er mich. »Wenn du jetzt ins Bett gehst, bist du heute Nacht wieder wach und grübelst.«
Ich ließ die Schultern hängen. »Was soll ich denn sonst tun?«
»Bleib bei Jackson und mir.« Er räusperte sich. »Du kennst ihn auch schon seit einer Ewigkeit. Er würde sich bestimmt freuen, dich wiederzusehen.«
»Ich will ihn aber nicht sehen«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne.
»Warum nicht?«
Ein schweres Seufzen stahl sich aus meiner Kehle. »Sieh mich doch an. Sehe ich so aus, als würde ich einem Mann begegnen wollen?«
Mase wirkte überrascht. »Ich sehe dich an und sehe eine Frau, die nicht mehr am Leben teilnimmt. Ich will meine lebensfrohe Schwester zurück, nicht die trauernde Witwe, Vada.«
»Sie ist mit James und Lynn gestorben«, hauchte ich, wandte mich ab und verließ die Küche.
»Vada, warte.«
Auf der Treppe, die mich nach oben in das Gästezimmer führen sollte, das ich bewohnte, blieb ich stehen.
Seine schweren Schritte, die seinen Arbeitsschuhen geschuldet waren, ertönten hinter mir. »Vada, ich weiß, dass du trauerst, aber …«
Das Klopfen an der Tür unterbrach ihn ruppig, ließ ihn augenblicklich verstummen.
»Dein Besuch ist da«, wies ich ihn hin.
Mein Bruder hob eine kantige Augenbraue. »Lauf nicht weg, sondern warte auf mich, ich will noch mit dir sprechen.« Dann drehte er sich um und ging zur Tür, die ich von hier aus nicht sehen konnte.
Sie wurde geöffnet. »Hey, Jax, komm rein«, vernahm ich Mase' Stimme.
»Hey, alles okay? Siehst genervt aus.«
Sein Klang hatte sich verändert. Ich kannte noch Jacksons kindliche Stimme, die mich anfeuerte, wenn ich versuchte, meinen Bruder zu fangen. Lautlos wandte ich mich ab, um mich zurückzuziehen.
»Ich habe gesehen, dass du dich bewegt hast, Vada!«, rief Mase und ich erstarrte.
»Vada ist hier?«, fragte Jackson überrascht. »Ich dachte, sie wohnt mit …«
»Ich erkläre es dir später«, fuhr mein Bruder ihm über den Mund.
»Alles klar.«
Schritte.
Ich setzte mich auf die oberste Stufe und wusste genau, dass Jackson zumindest meine Füße und Beine vom Wohnzimmer aus sehen konnte, weil es hier keinen Flur gab, sondern man direkt jenen Raum betrat.
Ich stützte meine Ellenbogen auf meine Oberschenkel, meinen Kopf in meine Hände und wartete ab.
»Warum willst du schon schlafen gehen?«, fragte mein Bruder, als er wieder in mein Sichtfeld trat.
* * *
»Weil ich müde bin«, hörte ich Vadas leise Stimme. Sie hatte sich verändert, klang nicht mehr so hoch und glücklich wie damals.
Ich saß mit einem Bier auf dem Sofa, das Mase mir in die Hand gedrückt hatte, und wartete darauf, dass er zurückkam.
Ich wusste nur zu gut, dass sie früh geheiratet hatte.
Warum war sie hier und wo war ihr Mann?
Bevor ich die Stadt verlassen hatte, war sie mit James Simmons zusammen, hatte ein kleines Mädchen, das ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, aber von den beiden fehlte jede Spur.
»Vada, komm schon, dort oben wirst du genauso wenig schlafen wie im Wohnzimmer«, gab Mase zu bedenken.
»Lass mich einfach schlafen gehen. Bitte, Mase!« Sie klang verzweifelt. So hatte sie sich früher nie angehört.
»Nein, du hast den ganzen Tag nichts gegessen, lass uns Pizza bestellen, iss etwas, danach werde ich dich nicht aufhalten.«
»Ich will nicht nach unten«, sagte sie entschiedener.
Ob es an mir lag?
Damals hatte ich mich über sie lustig gemacht, weil sie mir mit dreizehn Jahren ihre Liebe gestanden hatte. Ich war achtzehn und bei Gott, sie war mir zu jung.
Wir waren miteinander aufgewachsen, uns aber inzwischen fremd geworden. Im Gegensatz zu mir hatte sie alles.
Familie, Kind, Haus.
James und sie waren damals das Stadtgespräch, weil sie die jüngsten Eltern Dahlonegas waren. Sie bekamen viele Geschenke, ich erinnerte mich gut daran, dass das Haus von James' Eltern aus allen Nähten platzte. Man war nicht stolz, wollte die jungen Eltern aber nicht sitzen lassen.
Im Gegensatz zu Vada hatte ich bloß die Einliegerwohnung über dem Haus meines Vaters und seine Tierarztpraxis, aber keine Familie.
Keine Frau, keinen Nachwuchs, nichts.
Eigentlich wollte ich niemals nach Dahlonega zurückkehren, aber Dad ging in den Ruhestand und ich hatte genug von den Autorennen, weshalb ich meine Prioritäten über Bord geworfen hatte und zurückgekommen war.
»Komm schon, Vada«, vernahm ich Mase.
Ich wollte auch, dass sie sich zu uns setzte, denn ich fragte mich, wie sie heute aussah. Das letzte Mal hatte ich sie kurz vor ihrer Hochzeit gesehen. Sie war glücklich, hatte James, der ein guter Kumpel von mir war, bis er mit ihr zusammenkam, und die Kleine. Es war zu spät, als mir klar wurde, dass ich sie für mich haben wollte. Sie war bereits Mutter und verlobt, man hätte mich vermutlich aus der Stadt gejagt, wenn ich ihr damals in klareren Worten gestanden hätte, was ich für sie empfand.
»Mase, bitte, ich möchte wirklich nicht. Lass mich einfach hier sitzen, bestell für euch Pizza und ich nehme einen Salat. Wenn er kommt, esse ich in der Küche und …«
»Das ist nicht der Sinn von Gesellschaft, Kleine.«
»Ich möchte doch gar keine«, redete sie sich heraus.
Ich konnte mir gut vorstellen, dass Mase die Ich-bin-dein-großer-Bruder-und-du-tust-was-ich-dir-sage-Karte ausspielen würde, wenn sie nicht bald zustimmte. Ich hatte es selbst oft genug erlebt, weil er nicht wollte, dass ihr etwas widerfuhr. Er liebte Vada bedingungslos und hing an ihr, genauso wie sie an ihm hing. Die beiden hatten nur einander, nachdem sie aus dem lieblosen Haus ihrer Pflegeeltern rausgeflogen waren. Mase und ich waren gemeinsam auf dem College, Vada blieb in der Stadt. Ich weiß nicht, wann sich etwas aus ihr und James entwickelt hatte, aber als ich sah, wie er sie küsste, hatte ich ihm noch am selben Abend eine reingehauen. Ich drohte ihm sogar, dass ich ihm Arme und Beine ausreißen würde, sollte er ihr wehtun.
Ob Vada jemals davon erfahren hatte, wusste ich nicht.
»Komm schon, bitte.« Mase klang nicht mehr allzu selbstsicher.
Ich räusperte mich. »Lass sie, wenn sie nicht will.«
»Hörst du? Er ist auch der Meinung, dass du mich nicht zwingen sollst«, wandte sie heiser ein und schniefte im nächsten Moment.
»Nein, sorry, ich hatte gerade einen tauben Moment«, entgegnete mein bester Freund aus Kindertagen trocken.
Ich war kurz davor, mich zu erheben, wollte Vada helfen, doch es hatte nie gut geendet, wenn ich mich in ihre Diskussionen eingemischt hatte. Am Ende war ich der Arsch, zumindest für Vada. Dennoch konnte ich nichts gegen das Grinsen auf meinen Lippen tun. Der Kerl war Sarkasmus auf zwei Beinen.
»Ich komme gleich runter, okay? Bestell mir einen Salat mit Putenbrust und ich komme, sobald das Essen da ist«, gab sich Vada schließlich geschlagen. »Ich komme ja sowieso nicht gegen dich an.«
»Egal, wo ich bestelle?«
»Du bestellst immer bei Stefano, weil er deiner Meinung nach die beste Pizza der Stadt macht, also ändere heute nicht plötzlich deine Meinung«, hielt sie leise dagegen.
Was war denn nur geschehen?
Ich sah zur Treppe und erkannte ihre Hand, die so angespannt aussah, dass meine aus Sympathie schmerzte.
»Touché«, stieß Mase aus.
»Ich verspreche dir, ich lasse dich in Frieden, Vada«, schaltete ich mich ein.
Sie seufzte schwer. »Ihr gebt ja sowieso keine Ruhe.«
Ich sah, dass sie aufstand. Sie trug eine lila Jogginghose und eine lange Strickjacke, früher hätte sie sich freiwillig niemandem in diesem Aufzug gezeigt. Ich erhob mich, als die beiden die Treppe runterkamen.
Vada hielt den Blick gesenkt. Ihre langen blonden Haare fielen immer noch in weichen Wellen über ihre Schultern, aber sie wirkte ausgelaugt.
Was war denn bloß passiert?
Ich erwischte mich immer noch bei der Frage, wo James war, denn es wunderte mich, dass sie hier und nicht bei ihm und ihrer gemeinsamen Tochter war.
»Hi, Vada.«
»Hallo, Jackson«, erwiderte sie leise, es war kaum mehr als ein Flüstern.
»Es ist unhöflich, den Gast nicht anzusehen, Kleine«, schaltete sich Mase ein.
»Das ist mir egal, als ich Jackson das letzte Mal gesehen habe, war er auch nicht unbedingt höflich«, entgegnete sie.
Mase warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich konnte bloß mit den Schultern zucken, weil ich mich nicht an unsere letzte Begegnung erinnern wollte. Es war eine alkoholreiche Nacht und ich hatte einen Fehler gemacht.
Einen verdammt großen Fehler, den ich heute noch bereute.
»Nicht schlimm, ich komme damit zurecht, dass sie mich nicht ansieht.«
Vada schlang ihre Arme um ihren Körper. Sie zitterte, weshalb ich eine Augenbraue hob.
»Geht's dir nicht gut?«, wandte ich mich an sie.
Sie antwortete nicht.
»Sollen wir James anrufen?«
Sie hob den Blick und der Schmerz in ihren Augen traf mich mit einer Wucht, die mein Herz brach. »James ist … Er ist …« Statt ihren Satz zu beenden, drehte sie sich weg und rannte die Treppe hoch.
Mase stieß einen verzweifelten Laut aus. »Ich glaube, ich muss dir etwas erklären.«
Irritiert heftete ich meine Aufmerksamkeit auf ihn, dann nickte ich.
Eine Tür knallte und Vadas Schritte waren verstummt.
»Setzen wir uns.«
Ich folgte ihm zur Sitzgruppe, setzte mich auf die Couch, er sich in den Sessel. »Was ist los? Hat James sie verlassen?«
»Mehr oder weniger«, meinte Mase und räusperte sich. Er atmete tief durch und ich erkannte, dass ihn das Thema nicht kalt ließ. »James und Lynn sind tot.«
Meine Miene gefror. »Was?« Ich war schockiert. »Hätte ich gewusst, dass sie tot sind, hätte ich Vada nicht auf ihn angesprochen.«
»Die beiden haben jedes Jahr am Anfang der Sommerferien einen Campingausflug gemacht. Diesmal kam Vada nicht mit, weil sie wieder schwanger war und der Arzt hatte ihr strenge Bettruhe verordnet, weil sie kurz zuvor Blutungen hatte. James wollte nicht, dass sie den langen Weg nach Montana auf sich nimmt, um dort in einem Motel auf sie zu warten.« Er fuhr sich durch die kurzen braunen Haare. »Er hatte auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle über den Wagen verloren, warum weiß niemand.« Zwischen Daumen und Zeigefinger massierte er seine Nasenwurzel. »Ein mit Holzstämmen beladener Lkw kam ihnen entgegen … Ein recht mickriger Baumstamm krachte durch die Windschutzscheibe und durchbohrte James' Herz und … Lynns Auge«, erzählte er ruhig, dennoch knetete er seine Hände. Seine Trauer war greifbar, sie lud die Atmosphäre auf und umgab mich wie eine schwere Wolke.
Schweigend betrachtete ich ihn. Jedes Wort, das ich nun hätte sagen können, hätte einen hohlen Klang gehabt.
»Vada erfuhr am nächsten Tag davon. Die beiden waren auf der Stelle tot und sie hatte einen Zusammenbruch. Sie verlor das Baby … Es wäre ein Junge geworden, der Junge, den sich die beiden so lange gewünscht haben.« Tränen trübten seine Sicht. »Vada war nicht mehr sie selbst, deshalb nahm ich sie mit hierher, das Haus der beiden finanziere ich aus unserem Erbe, aber das neigt sich so langsam dem Ende zu.« Er nahm sein Bier vom Couchtisch und trank einen großen Schluck. »Ich versuche, meiner Schwester zurück ins Leben zu helfen, aber sie ist nicht mehr die Alte.«
Ich fuhr mir durchs Haar. Es war zu lang, aber ich fühlte mich wohl. Vor Jahren war ich ein Trendsetter, heute zog ich an, was mir wirklich gefiel. Nun war ich ein anderer und wurde immer noch seltsam beäugt, weil ich als Mann lange Haare trug und kein Problem damit hatte, sie zu einem Dutt zu frisieren. »Ich wusste es nicht.«
»Ich hatte eine Woche lang nichts von ihr gehört, bis ich zu ihr fuhr und sie bewusstlos in ihrem Bett fand. Sie lag dort in ihrem eigenen Blut … Sie wäre auch beinahe gestorben, weil sich die Plazenta abgelöst hatte. Eine Stunde später und … Ich hätte sie nicht auch noch verlieren dürfen …« Seine Stimme erstickte.
»Gott«, stieß ich aus. »Ich … Mir fehlen die Worte.«
Mase nickte. »Jetzt kümmert sie sich aufopferungsvoll um Lynns Meerschweinchen. Es ist … Mr. Jingles scheint die Einzige zu sein, die ihr zuhört.«
»Moment, das Tier heißt Mr. Jingles und du nennst es eine Sie? Habe ich was verpasst und Meerschweinchen sind neuerdings Zwitter?«, hakte ich überfordert nach.
Er schüttelte den Kopf. »Lynn taufte es so und James und Vada fanden zu spät heraus, dass es ein Weibchen ist.«
Meine Mundwinkel zuckten amüsiert, doch lächeln konnte ich wegen Vadas trauriger Geschichte nicht. »Macht sie eine Therapie?«
»Das will sie nicht.« Er trank einen Schluck Bier. »Sie ist der Meinung, dass man sie für verrückt erklären und einweisen würde.« Mase rieb sein Gesicht. »Sorry, dass ich direkt mit der krassesten Sache losgelegt habe.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht schlimm.« Ein Räuspern folgte. »Und jetzt lebt sie bei dir?«
»Ja, ich will sie nicht in diesem Haus wissen.«
»Vielleicht geht es ihr so schlecht, weil sie hier ist.«
Er winkte ab. »Sie wohnt nur zwei Straßen weiter und trotzdem will ich nicht, dass sie dort ist. In diesem Haus wird sie pausenlos an die beiden erinnert, hier genauso, aber hier kann ich auf sie aufpassen.« Mase atmete tief durch. »Hast du auch Bock auf Pizza? Ich kam auf der Arbeit nicht zum Essen.« Sein Themenwechsel verursachte mir beinahe ein Schleudertrauma, doch ich war dankbar, dass er mir auf diese Weise die Chance gab, die grauenvolle Neuigkeit sacken zu lassen.
Mein Herz brach für Vada.
»Klar.«
Mase bestellte zwei Peperonipizzas, wie wir sie schon als Teenager und auf der Uni immer gegessen hatten. Wir sprachen über die Zeit an der Uni, die wir gemeinsam besucht hatten, und auch über meine Rückkehr nach Dahlonega.
Ich kam aus heiterem Himmel zurück und alle waren überrascht, doch heute waren Mase und ich uns zum ersten Mal wieder begegnet. Der Kontakt hatte sich nach der Uni verloren und ich dachte, dass er Dahlonega längst hinter sich gelassen hätte, aber beim Tanken liefen wir uns zufällig über den Weg.
Wir hatten eine Weile miteinander gesprochen, bis ich mich getraut hatte, nach Vada zu fragen, da mich die Gedanken an sie selten losließen. Nun hatte ich sie gesehen und erfahren, dass ihr so etwas Schreckliches widerfahren war. Ich wollte sie umarmen, ihr Halt geben und wusste doch, dass sie es niemals zulassen würde.
Dafür hatte ich ihr damals zu wehgetan.
* * *
Er war zurück. Einfach so war mein Schwarm aus Kindertagen zurückgekehrt, ohne daran zu denken, mich vorzuwarnen. Es tat weh, ihn anzusehen, weil er damals so grausam zu mir gewesen war.
Nun lag ich unter der dünnen Bettdecke, in meiner kleinen heilen Welt. Das Licht erreichte mich auch hier, weil es bloß ein Laken war, mit dem ich schlief. Dafür trug ich Flanellschlafanzüge, die neben der Hitze, die die Heizung im Raum verteilte, viel zu warm waren, aber mir war immer so kalt.
Vor meinem geistigen Auge tauchte James auf. Auch zu Hause hatte ich mich zum Nachdenken immer unter die Decke verzogen.
Es war eine Angewohnheit, die ich seit Kindertagen nicht abgelegt hatte. Er kam dann immer zu mir in meine kleine Burg und betrachtete mich. »Hey«, raunte Er in meinen Gedanken, dabei sah ich ihn deutlich vor mir.
»Hi«, wisperte ich und Tränen traten in meine Augen. Es fühlte sich so an, als läge er bei mir.
»Was ist los, Honey?«
»Ihr fehlt mir so sehr.« Die Tränen wurden übermächtig und rollten über mein Nasenbein und meine Wange, bevor sie auf dem Kopfkissen versiegten.
»Ich bin doch bei dir, Süße.«
»Liebst du mich?«, fragte ich in die Stille meines Schlafzimmers.
Er schüttelte den Kopf. »Du weißt doch:Heute nicht mehr. Ich liebe dich morgen wieder.« James streichelte meine Wange und ich hatte das Gefühl, dass es wirklich geschah.
Als ich die Augen schloss und abermals diese Eiseskälte in meine Glieder kroch, wusste ich wieder, dass er mich endgültig verlassen hatte.
Ich weinte, wie ich es oft tat.
Jeden Tag, um ehrlich zu sein, dabei hoffte ich, dass der Strom irgendwann versiegte, die Quelle austrocknete.
Es geschah nicht.
Ich hatte alles verloren, was mir wichtig war.
Meine Familie war tot, nur mein Bruder war noch bei mir.
Meine Schwiegereltern hatte ich seit der Beerdigung nicht mehr gesehen, das Grab besuchte ich, wann immer Mase mich aus dem Haus schleppte. Einmal die Woche ließ er sich nicht erweichen und nahm mich gegen meinen Willen mit. Es war schwer, die Menschen auf den Straßen zu sehen, wenn wir zum Friedhof fuhren, wo er mich an den Gräbern meines Mannes und meiner Tochter allein ließ.
Stundenlang, jedes Mal saß ich stundenlang an den Grabstätten meines Mannes und meiner Tochter, die so viel hätte erreichen können. Lynn war ein unheimlich kluges Mädchen und Mr. Jingles, der eigentlich ein Weibchen war, hatte einige Kunststückchen von ihr gelernt. Ich konnte das Tier nicht hergeben, nachdem ich die beiden verloren hatte. Es war hier bei mir, saß in seinem Käfig auf dem Schreibtisch des Gästezimmers, das eigentlich Mase' Büro war, und quiekte leise vor sich hin, wenn es Heu fraß.
Ich verlor mich in meiner Trauer, doch empfand ich sie als Zeichen dafür, dass ich noch etwas empfinden konnte. Aber nicht nur das hatte es mir heute bewiesen, sondern auch die Begegnung mit Jackson.
Jax Barnes, der Mann, den ich als Teenager unfassbar geliebt hatte.
Und dann sagte er, was er niemals zurücknehmen konnte.
Mit vierzehn Jahren lernte ich James kennen, der neu in die Stadt gekommen war. Damals verstand ich nicht, warum jemand von der Großstadt in ein Kaff wie Dahlonega zog, aber ich war froh, jemanden zu treffen, der mich zum Lachen brachte. Ich hatte mich nicht sofort in ihn verliebt, sondern hatte Zeit gebraucht. Beinahe ein halbes Jahr, bis ich meine Gefühle für ihn zugelassen hatte, denn ich konnte Jacksons Worte, dass er niemals das für mich empfinden würde, was ich für ihn empfand, einfach nie vergessen. Noch heute hallten sie manchmal durch meinen Kopf und spieen mir entgegen, dass ich nicht liebenswert war.
Es klopfte an der Tür, weshalb ich die Decke zurückschlug. Sie öffnete sich, mein Bruder steckte seinen Kopf ins Zimmer. »Das Essen ist da. Kommst du nach unten?«
»Ich esse in der Küche«, antwortete ich heiser, wischte meine Wangen trocken und richtete mich schwerfällig auf.
»Ist in Ordnung«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich habe Jax die Geschichte erzählt, nachdem er …«
Ich winkte ab. Ich wollte nicht wissen, wie Jackson auf meinen Schicksalsschlag reagiert hatte. Es interessierte mich nicht, denn Jax war schon lange kein Teil mehr von meinem Leben. »Wo esst ihr?«
»Schätzungsweise im Wohnzimmer, wir haben die Playstation angeworfen.«
»Pizza bei Ballerspielen«, wisperte ich und erinnerte mich an früher. Die beiden hatten sich kein bisschen verändert.
»Richtig.« Er grinste mich an, als ich ihn ansah, doch dieses Grinsen erstarb augenblicklich auf seinen Lippen. »Kommst du dann?«
Nickend rutsche ich aus dem Bett und folgte meinem Bruder nach unten.
Jax saß auf der Couch, als ich die Treppe runterkam. Er nickte mir zu und ich sah das Mitleid in seinen Augen.
Ich wich seinem Blick aus, lief Mase hinterher und nahm mir den Salat, den er auf die Anrichte gestellt hatte.
»Ich habe Joghurtdressing genommen, weil du mal sagtest, dass es das einzig Wahre ist«, ließ er mich wissen, als er mir Besteck an den Esstisch brachte.
»Danke, Mase.« Ich versuchte mich an einem Lächeln, doch meine Mundwinkel verweigerten den Befehl.
»Soll ich dich alleine lassen?«
Daraufhin nickte ich, damit er Jackson nicht zu lange auf sich warten ließ.
»Wir können auch mit deiner Schwester essen«, bot Jackson daraufhin an – er war wohl in die Küche gekommen.
Mase' Blick wurde fragend. »Ist es …«
»Meinetwegen«, fuhr ich ihm über den Mund und starrte in die Schale voller Salat, die einen unbesiegbaren Eindruck auf mich machte. Es war zu viel und ich würde es nicht schaffen, das wusste ich, doch wollte ich meinem Bruder den Gefallen tun und etwas essen.
»Na gut.« Er stellte die Pizzakartons auf den Tisch, aus denen es nach Fett und Salami roch, und rief Jackson dazu.
Nur einen Augenblick später ertönten seine Schritte und er setzte sich neben mich.
Seine Gegenwart war unangenehm, aber ich wollte nicht unhöflich sein. Es war das Haus meines Bruders und Jackson war sein bester Freund, als wir noch Kinder waren – ich wollte ihn nicht vergraulen. Der Geruch des Biers, das sie tranken, hing wie eine schwere Wolke in der Küche, doch ich beschwerte mich nicht.
Mase holte Teller, während ich an einem Salatblatt nagte, als wäre ich Mr. Jingles, das glubschäugige Meerschweinchen meiner Tochter.
Lynn.
Ich spürte den Stich, den das Schicksal in mein Herz rammte, weshalb ich keuchte.
»Alles okay?«, fragte mein Bruder.
Nickend hielt ich den Blick gesenkt, versuchte, das Zittern meiner Hände unter Kontrolle zu bringen, aber es wollte mir nicht gelingen.
Jackson umfasste mein Handgelenk. Seine Hand war ungewöhnlich warm, meine wollte ich wegziehen, aber er ließ es nicht zu.
Ich wagte es nicht, den Blick zu heben, und war froh, dass er mich losließ, als ich nicht mehr zitterte.
Wir aßen schweigsam, auch wenn ich nach der Hälfte des Salats kapitulieren musste. Ich blieb bei ihnen sitzen, um meinem Bruder einen Gefallen zu tun.
Er mochte es nicht, wenn ich mich im Gästezimmer verschanzte, um dort meinen Erinnerungen nachzuhängen und zu weinen.
»Wie geht's Low?«, erkundigte sich Mase bei Jackson.
»Gut, sie ist noch meine Sprechstundenhilfe und zeigt mir, wie Dad alles gemacht hat«, antwortete er.
Ich sah ihn fragend an, er bemerkte es.
»Ich habe die Praxis meines Vaters übernommen.«
Ich nickte, schaute weg und erhob mich schließlich. »Ich gehe dann schlafen, Mase.« Meine Stimme war leise, immer noch, erheben konnte und wollte ich sie nicht mehr, weil ich mich so schwach fühlte.
»Bleib doch noch ein wenig bei uns sitzen«, mischte sich Jackson ein.
Kopfschüttelnd brachte ich die Plastikschale in den Kühlschrank. Vielleicht würde ich morgen den Rest essen oder Mase würde ihn entsorgen.
»Warum nicht?«, wollte Mase wissen. »Du hast mir früher immer Glück gebracht, wenn ich gegen ihn gespielt habe, vielleicht klappt das heute wieder.«
»Ich bin müde.«
»Du bist immer müde, Vada«, hielt mein Bruder dagegen.
Nervös hob ich meine Hand in meinen Nacken. »Ich sollte wirklich schlafen.«
»Warum?« Es war Jacksons Stimme, die an mein Ohr drang.
Meine Schultern sackten hinab – ich seufzte resigniert.
Ich wusste, dass sie mich nicht gehen lassen würden, damit ich mich nicht in meine eigene kleine Welt zurückzog. Eigentlich wollte ich wieder normal sein, doch es gelang mir einfach nicht. Ich hatte das Gefühl, dass die Last einer ganzen Galaxie auf mir lastete und mich in die Knie zwang.
»Komm schon, gib dir einen Ruck, Vada«, sagte mein Bruder.
»Na gut«, gab ich mich geschlagen, holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ging ins Wohnzimmer. Ich setze mich in den Sessel, obwohl ich wusste, dass es Mase' Stammplatz war, doch ich wollte nicht neben Jax auf der Couch Platz nehmen.
Schon das Abendessen war unangenehm, weil er neben mir saß, dabei kribbelte mein Arm immer noch von seiner Berührung.
Warum nur?
Dieser Mann hatte mir damals das Herz gebrochen und Jahre später das Schlimmste an den Hals gewünscht, das ich bis dahin gehört hatte.
Mit einem Knall hatte er sich aus meinem Leben verabschiedet, dennoch wusste ich, dass er in der Kirche war, als James und ich einander das Ja-Wort gegeben hatten.
Auf der Feier war er nicht.
Er war nicht einmal eingeladen, doch hinderte ich James daran, ihn aus der Kirche zu werfen.
Ich wollte an diesem Tag kein Drama erleben, sondern das Glück genießen, das ich empfand.
Es dauerte nicht besonders lange, bis die beiden zu mir ins Wohnzimmer kamen.
Ich spürte Jacksons Blick auf mir, doch erwiderte ich ihn nicht. Stur starrte ich den Fernseher an, auf dem das Spiel der beiden pausiert war. Ich wusste, dass mein Bruder für sein Leben gern an der Konsole zockte, aber ich war keine würdige Gegnerin für ihn. Ich verlor zu schnell die Leben, dadurch die Lust und nach kürzester Zeit legte ich den Controller weg, um dem Frust der unweigerlichen Niederlage zu entgehen.
Ich zog die Beine an, umklammerte sie und legte mein Kinn in die Kuhle zwischen meinen Knien.
»Ich glaube kaum, dass du mich noch einholen kannst«, gluckste Mase.
»Im Gegensatz zu dir bin ich aus der Übung«, hielt Jax amüsiert dagegen.
Es war offensichtlich, dass die Freundschaft der beiden kein bisschen unter dem jahrelang fehlenden Kontakt gelitten hatte.
Sie nahmen ihr Spiel wieder auf. Die Geräusche von Schüssen erfüllten das Wohnzimmer, ebenso ihre Jubelrufe, die so plötzlich kamen, dass ich zusammenzuckte.
* * *
Ich konnte den Blick kaum von Vada nehmen.