Mein Hund Benno - Petra Weise - E-Book

Mein Hund Benno E-Book

Petra Weise

4,7

Beschreibung

Ein neuer Hund kommt ins Haus. Petra Weise berichtet amüsant über ihre Erlebnisse mit Benno und ihre oft vergeblichen Erziehungsversuche. "Kaum ist Benno von der Leine findet er Taschentücher, Plastikbecher, große Einkaufstüten und was weiß ich nicht alles. Er schnappt sich seine Beute und rennt davon. Dabei schaut er sich um, und es sieht aus, als ob er lacht. Er weiß, dass ich ihn nicht fangen kann. Zurück kommt er erst, wenn er die Lust an diesem Spiel verloren oder das Teil komplett aufgefressen hat."

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Gib den Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund.

Hildegard von Bingen

„Komm, lass uns gehen! Patrik bellt wie verrückt, er will in den Wald.“

Wir öffnen die Heckklappe, der Hund springt hinein. Die Rücksitze sind umgeklappt und bieten zusammen mit dem Kofferraum eine perfekte Liegefläche für das Tier und viel Platz für Gepäck.

Ich setze mich auf den Beifahrersitz. Patrik legt sofort seine Schnauze auf meine Schulter. So kann er nicht nur alles bestens überblicken, sondern hat auch noch Körperkontakt. Dann zieht er sich zurück und legt sich hin.

Es ist Samstag und somit Wandertag. Er muss nicht brav unter dem Schreibtisch liegen wie an den Vormittagen in der Woche, sondern kann stundenlang mit uns durch den Wald streifen. Heute bleiben wir in der Nähe der Stadt. Am Waldparkplatz öffne ich die Tür, aber Patrik springt nicht wie üblich bellend aus dem Auto.

„Patti, komm!“

Der Hund liegt regungslos und schaut mich an.

„Patti, was ist denn?“, versuche ich, ihn aufzumuntern.

Aber er regt sich nicht. Erschrocken beuge ich mich über den Hund und streichle über seinen Kopf. Patrik bewegt sich nicht.

Werner kommt näher.

„He! Erst geht es euch nicht schnell genug und

jetzt trödelt ihr.“

„Schau doch! Patrik bewegt sich nicht.“

Ich zeige auf unseren Hund, der nach wie vor regungslos auf seiner Decke liegt.

„Schnell!“ Ich schiebe Werner zur Seite. „Wir müssen zum Tierarzt.“

Während der Fahrt lasse ich meine Hand auf dem Hundebauch. Patrik wirkt ruhig, aber er bewegt sich nicht. Ich bekomme Panik. Keine zehn Minuten später halten wir beim Tierarzt.

Ich klingle und schreie: „Schnell!“ Herr Gießer kommt fast im gleichen Moment aus der Tür, schaut nur kurz auf unseren Hund und sagt: „Ihr müsst in die Tierklinik. Der hat einen Treffer abbekommen.“

Treffer? Was bedeutet das? Unschlüssig bleibe ich stehen.

„Hirnschlag. Herzinfarkt. So was in der Art.“ Herr Gießer berührt meinen Arm. „Ich weiß es nicht. Aber ich kann ihm nicht helfen. Bringt ihn schnell in die Tierklinik!“

Die Fahrt dauert eine Ewigkeit von zehn Minuten. Dann parken wir vor der Klinik. Ich laufe hinein.

„Sind Sie Kunde bei uns?“, will die Frau an der Anmeldung wissen.

Ich höre die Frage, verstehe den Sinn aber nicht und rufe: „Mein Hund liegt im Auto.“

„Sind Sie angemeldet?“

„Nein. Er bewegt sich nicht.“

„Name?“

Wen interessiert jetzt der Name? Ich brauche einen Arzt. Und zwar sofort! „Mein Hund liegt im Auto. Jetzt kommen Sie endlich! Schnell!“, schreie ich.

Eine Tür öffnet sich und eine Frau im weißen Kittel schaut fragend heraus. Die Ärztin? Offenbar hat sie meine Rufe gehört. Kurz entschlossen packe ich sie am Ärmel und bitte: „Kommen Sie!“ Werner hatte alle Autotüren geöffnet. Die Ärztin tritt näher und schaut in Patriks Augen. Patrik lässt sich anfassen. Himmel! Ihm geht es also sehr schlecht, denn er duldet keine Berührungen von Fremden – knurrt und schnappt sogar.

„Bringen Sie ihn ins Sprechzimmer!“ Aber wie? Patrik wiegt dreißig Kilogramm und ich habe Angst, ihm weh zu tun. Ein Mädchen bringt eine Trage und Werner hebt Patrik vorsichtig drauf. Dann tragen wir ihn ins Haus.

Während Werner unsere Daten bei der Anmeldung angibt, sitze ich auf dem Steinboden neben meinem Hund, halte seinen Kopf in meinem Arm und streichle ihn. Er liegt ganz ruhig mit offenen Augen. Auf einmal lockert er sich und ich weiß, jetzt ist Patrik gestorben. Werner schaut mich an. Die Tierärztin hockt sich zu mir auf den Boden und schaut noch einmal in Patriks Augen. Sie nickt und streichelt über seine Schnauze.

„Zwölf Jahre sind noch kein Alter zum Sterben.

Du hättest noch ein Weilchen herumlaufen und das Leben genießen können.“ Sie horcht ihn ab und nickt noch einmal. „Ja, er ist tot.“

„Aber er zuckt doch!“

„Das sind nur die Muskeln. Ihr Hund ist gestorben. Sicher. Sie können noch ein Weilchen hier bleiben, wenn Sie möchten.“

Ich schaue Werner an und sehe, dass er weint.

Wir fahren nach Hause. Patrik liegt hinter uns in einer Pappkiste. Als das Auto auf den Hof fährt bleibt alles ruhig. Normalerweise bellt Patrik, um jedem seine Ankunft anzuzeigen.

Heute bleibt es still auf dem Rücksitz. Wir brauchen mehrere Minuten, um endlich die Tür zu öffnen und auszusteigen.

„Nanu? Wo habt ihr Patrik gelassen?“

Nachbar Volkmar lacht. Werner zeigt traurig auf den Karton und geht wortlos ins Haus.

Ich erkläre: „Patrik ist soeben gestorben. Möchtest du ihn sehen?“

Alle, die an diesem Samstag Vormittag im Haus sind, kommen zum Auto. Jeder hat Patrik gemocht. Wir leben seit fünf Jahren hier und verstehen uns mit allen Mietern sehr gut.

„Was machen wir jetzt?“ will Lutz wissen.

Ich zucke mit der Schulter. Werner kommt zurück. Er hat einen Spaten in der Hand.

„Wir bringen ihn in den Wald. An seine Lieblingsstelle am Zeisighügel.“

„Ich glaube, das ist nicht erlaubt.“

„Ist mir egal.“

„Und wenn euch einer erwischt?“

„Na und?“ Werner schaut Petra an. „Meinst du, ich lasse ihn zu Knochenmehl verarbeiten?“ Wütend ergänzt er: „Ganz sicher nicht.“

„Warte!“ Jost packt Werners Unterarm. „Ich helfe dir.“

Werner schaut ihn dankbar an.

„Moment! Ich frage meine Mutter. Die hat einen großen Garten am Haus. Sie mag Hunde.“ Lutz zieht sein Handy aus der Tasche und drückt eine Taste. „Hallo, Mutter, ich bin´s. Du, der Patrik ist gestorben. Du weißt schon, der Hund hier aus dem Haus. Können wir ihn in deinem Garten begraben.“ Lutz lächelt. „Gut, in zehn Minuten sind wir da.“ Lutz schaut in die Runde.

„Ich wusste es! Meine Mutter hat nichts dagegen.“ Dann betrachtet er unseren kleinen Fiat und bestimmt: „Wir nehmen gleich mein Auto, da ist mehr Platz.“

Jost kommt aus seiner Garage und hat einen Spaten und einen Rechen in der Hand.

„Ich komme mit – ist doch klar.“

Auch Roland und Volkmar wollen mit. Im Auto ist Platz für alle. Jost öffnet den Kofferraum und die Männer heben vorsichtig die Kiste hinein.

Ich habe inzwischen Patriks zerkauten Teddy aus dem Haus geholt und zwei Decken und lege alles wortlos auf die Kiste. Dann gehe ich ins Haus. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll. Was soll ich nur tun?

Am Abend sitzen Werner und ich wie gewohnt nebeneinander auf dem Sofa. Dabei ist gar nichts wie gewohnt. Denn normalerweise lag Patrik auf meinen Füßen. Jetzt waren meine Füße kalt, obwohl Sommer ist.

„Ich möchte keinen Hund mehr. Du?“

„Nein, ich auch nicht.“

„Jetzt müssen wir keine Rücksicht mehr nehmen, können machen, was wir wollen.“

„Genau.“ Werner lächelt. Es sieht irgendwie schief aus. „Städtereisen, Weinfest, Weihnachtsmarkt. Ach, mir fällt noch viel mehr ein.“

„Ja, du hast Recht“, stimme ich zu und strecke die Beine aus. Dabei merke ich, wie vorsichtig ich mich bewege, um Patrik nicht zu stoßen.

Aber da liegt kein Hund mehr. Ich muss nicht mehr vorsichtig sein.

Wir bleiben auch am nächsten Samstag daheim. Wir haben keine Lust, unsere neue Freiheit zu genießen. Vielleicht morgen. Wir haben auch keine Freude an der wunderbaren Ruhe in der Wohnung. Patrik war ein sehr lauter Hund, er bellte bei jeder Gelegenheit.

Alles machte ihn wütend: fremde Leute im Haus, ein hupendes Auto, Tauben auf dem Hof oder Kindergeschrei. Kinder mochte er überhaupt nicht. Sie waren ihm zu laut und zu zappelig. Er mochte auch keine Männer mit ihren lauten tiefen Stimmen. Die Nachbarn aus dem Haus, unsere Freunde und Verwandten zählte er offenbar zum erweiterten Rudel. Allein von denen ließ er sich anfassen.

Auch draußen im Wald war er sehr eigenwillig und ging am liebsten seine eigenen Wege. Er beschnüffelte interessiert die Markierungen anderer Hunde, aber Begegnungen mit ihnen suchte er nicht. Und er spielte nicht - weder mit anderen Hunden noch mit uns. Mir schien es, als wären ihm Ballspiele zu albern. Oder er dachte sich, dass Dinge, die seine Halter fortwarfen, sollte er liegenlassen.

Patrik konnte wunderbar Streit schlichten. Er bellte, wenn wir lauter als gewohnt sprachen.

Meist brachte uns das zum Lachen und alles war wieder in Ordnung. Schlug ich im Zorn die Tür hinter mir zu, kratzte er an der Tür und winselte. Das versöhnte uns sofort. In der Wohnung lag er auf meinen Füßen und in der Nacht schlief er neben meinem Bett.

Patrik fehlt mir sehr.

Die Arbeit geht mir nicht mehr von der Hand.

Ich kann mich nicht konzentrieren. Meine Gedanken kreisen um Patrik. Er war rund um die Uhr bei mir. Jetzt wirkt unser Büro leer, kahl, leblos.

Werner und ich arbeiten von zu Hause aus. Werner schreibt Computerprogramme für Arztpraxen und kümmert sich um den Support.

Selten muss er Kunden besuchen, die meisten Probleme lassen sich online und per Telefon klären.

Ich koordiniere seine Termine, übertrage Kundendaten und Verträge in den Computer und schreibe Rechnungen.

Werner und ich genießen es sehr, den ganzen Tag zusammen zu verbringen. Die meisten unserer Freunde verstehen das nicht. Sie sind froh, tagsüber weit entfernt vom Partner in getrennten Firmen zu arbeiten und sich erst am Abend zu sehen. Oft haben sie verschiedene Hobbys und verbringen dadurch einen Großteil ihrer Freizeit ebenfalls nicht miteinander. Das wäre für uns undenkbar.

Unsere beiden Schreibtische stehen sich gegenüber und sind durch einen halbrunden Besprechungsansatz miteinander verbunden.

Hier begann für uns der Arbeitstag mit einem Frühstück, das ich zubereitete, während Werner mit Patrik die kurze Morgenrunde ging.

Neben dem Büro befindet sich unsere Wohnstube mit Küchenzeile, Essplatz, Bücherregal, dem Fernseher und zwei Sesseln. Für uns ist diese Situation ideal. Für einen Hund ebenfalls, denn ein Hund ist nicht gern allein, er fühlt sich nur inmitten seines Rudels wohl.

Aber nun haben wir keinen Hund mehr.

Eigentlich wollten wir nie einen Hund. Auch kein anderes Haustier. Nicht einmal Fische.

Nur unsere Tochter Katrin bettelte fast vom ersten Tag, an dem sie sprechen konnte:

„Mami, ich will ein Haustier.“ Doch wir wohnten immer in einer Stadt und ich antwortete stets:

„Nein, Tiere gehören aufs Land.“

Katrin gelang es immer, irgendein Tier in die Wohnung zu schleppen. Spinnen, Eidechsen und einmal sogar ein Huhn. Damals war sie gerade mal sechs Jahre alt und ich weiß nicht, wie sie es in die Wohnung gebracht hatte. Als ich sie am Morgen wecken wollte, konnte ich mir die seltsamen Geräusche in ihrem Zimmer nicht erklären, die wie Gackern und Scharren klangen. Katrin sprang aus dem Bett und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihren Schrank. Da war mir sofort klar, wo ich suchen musste: in ihrem Kleiderschrank. Sie hatte den Boden mit Stroh ausgelegt, das Huhn sollte es bequem haben.

„Sofort schaffst du dieses Vieh aus dem Haus! Sofort!“ Katrin öffnete wortlos ihr Fenster und warf das Huhn einfach raus. Sie schaute ihm nicht nach und sie weinte nicht. Sie beantwortete auch nicht meine Fragen, wo sie mitten in der Stadt das Huhn gefunden hatte.

Am meisten liebte Katrin Hunde und ich musste immer aufpassen, dass sie nicht zu jedem Hund lief und ihn stürmisch umarmte.

Mir dagegen machte jeder Hund große Angst. Ich fürchtete mich sogar vor kleinen Dackeln und geriet sofort in Panik, wenn uns bei Waldspaziergängen ein nicht angeleinter Hund entgegen kam.

Als wir vor zwölf Jahren in ein Dorf im Erzgebirge zogen, sagte Katrin am allerersten Morgen noch vor dem Frühstück: „So, Mami, du hast gesagt, Haustiere gehören aufs Land.

Und jetzt wohnen wir auf dem Land.“

Sie hatte genau meine Worte benutzt und ich konnte nichts entgegensetzen.

Einen Tag später stand ein Hamster samt Käfig in Katrins Zimmer. Nach einer Woche hielt sie zwei kleine Kätzchen im Arm, die ihr ein Nachbar geschenkt hatte. Sie nannte sie Miezi und Franzi. Miezi war eine wunderschöne Tigerkatze mit weißem Latz und weißen Pfötchen. Franzi hatte weißes Fell mit schwarzen Flecken wie eine Kuh und eine schwarze Schnauze. Die Katzen hielten sich fast ausschließlich draußen auf.

Wenn es sich Werner vor dem Fernseher gemütlich machte, sprangen beide Kätzchen auf seinen Bauch. Das gefiel Werner nicht, aber er scheuchte sie auch nicht weg.

Am späten Abend wollten sie raus auf die Felder und in die Scheunen. Nur bei schlechtem Wetter gingen die Katzen nicht vor die Tür, sondern machten es sich auf dem Sofa gemütlich, wenn wir ins Bett gingen. Manchmal weckten sie uns mitten in der Nacht, um nachschauen, ob es immer noch regnet. Dabei sprangen sie an den Schlüsselbund, der innen an der Wohnungstür hing und klapperten uns auf diese Weise wach. Ich musste also aufstehen, die Tür öffnen und die Katzen hinaus in die Nacht lassen.

Katrin war noch immer nicht zufrieden. Sie wollte unbedingt einen Hund. Doch ich mochte keine Hunde. Katzen waren mir lieber. Mir gefiel ihre Eigenwilligkeit und dass man sie nicht wie Hunde dressieren konnte. Hunde schauten ihre Halter immer so unterwürfig an, wollten ihnen gefällig sein – hündisch eben. Das war überhaupt nichts für mich.

Katrin marschierte trotzdem wenige Tage später zum Tierarzt des Dorfes und erkundigte sich nach Hundewelpen. Sie erfuhr, dass es im Nachbardorf einen Wurf Mischlinge gab. Katrin ließ nicht locker. Sie versprach, sich um den Hund zu kümmern und verkündete, dass so ein großes Grundstück auf dem Land unbedingt einen Hund brauchte. So kam es, dass wir noch am gleichen Tag zu dieser Familie fuhren und Katrin sich Patrik aussuchte. Eine Woche später waren wir Besitzer einer sehr niedlichen schwarz-braunen Fellnase.

Katrin kümmerte sich tatsächlich um den Welpen. Er durfte nicht in die Küche und auch nicht in unsere Schlafstube. Das durften nur die Katzen, die sich auch auf dem Sofa und den Sesseln rekelten. Patrik dagegen musste unten auf dem Teppich bleiben. Sein Schlafkissen lag neben Katrins Bett. Sie entfernte seine Pfützen und Häufchen und ging mit ihm Gassi. Manchmal begleitete ich sie.

Mit der Zeit mochte ich den kleinen Hund immer mehr. Wenn Katrin am Wochenende gern bis zum Mittag im Bett blieb, machten Werner und ich lange Ausflüge im Gebirge mit Patrik.

„Wir waren uns einig! Wir wollen keinen Hund.“

„Ich weiß.“

„Warum liest du trotzdem die Anzeigen in der Zeitung?“

„Nur so.“

Werner hat Recht. Wir sind uns einig. Wir wollen keinen neuen Hund. Wir wollen endlich unabhängig sein, kein straff geregeltes Leben mehr wie bisher.

Patrik bellte, wenn es Änderungen im Tagesablauf gab. Er wollte jeden Morgen pünktlich 7:00 Uhr in den Wald, auch am Wochenende.

Wenn der Wecker nicht klingelte, weckte uns Patrik. Er schlug mit der Schnauze direkt neben meinem Kopf auf die Matratze und blies mir seinen Atem ins Gesicht. Wenn ich mich zur Seite drehte, knurrte er und bellte. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als aufzustehen.

Nach dem Frühstück lag er ruhig im Büro unter meinem Schreibtisch und kam erst zum Mittag wieder hervor. Sobald die Zeit zum Kochen näher rückte, setzte er sich an die Tür und schniefte mahnend. Dann gingen wir zusammen in die Küche. Patrik lag neben dem Tisch und schaute mir beim Fleischanbraten, Kartoffelschälen und Gemüseputzen zu. Am Nachmittag liefen wir fast zwei Stunden durch den nahen Wald und nach dem Abendessen noch einmal eine kleine Runde. Lästig war um 22:30 Uhr die Nachtpinkelrunde um den Block.

All das ist jetzt zum Glück vorbei. Wir können bereits am frühen Abend baden oder ins Bett gehen und auch am Morgen länger liegen bleiben, wenn wir wollen.

Wir wollen aber nicht. Nichts macht uns mehr Freude. Auch nach drei Monaten nicht. Mir fehlt meine tägliche Runde im Wald. Ich könnte zwar allein ohne Hund spazieren gehen, doch dazu fehlt mir die Lust.

„Guten Tag. Ich rufe aus Chemnitz an und habe Ihre Anzeige im Wochenspiegel gelesen.

Sie verkaufen kleine Hundewelpen?“

„Ja.“

„Sie schreiben: Mischlinge. Aus welcher Rasse sind sie denn gemischt?“

„Die Mutter ist Husky, den Vater kenne ich nicht.“

„Nicht? Dann wissen Sie nicht, wie groß die Hunde werden?“

„Vermutlich maximal vierzig Zentimeter. Was suchen Sie denn?“

„Die Größe wäre perfekt. Ich möchte einen Rüden.“

„Davon habe ich drei. Zwei schwarze und einen mit weißem Latz und braunen Pfoten.“

„Schwarz mit weiß und braun finde ich wunderbar! Wann kann ich ihn sehen?“

Werner kommt ins Zimmer.

„Wie bitte? Jederzeit? Gut, ich rufe zurück.“

Hastig lege ich auf.

„Was ist denn los?“ Werner lächelt mich an.

„Geheimnisse?“

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Was sage ich jetzt? Ich hasse Lügen. Und ich hasse es, wenn man sich nicht aufeinander verlassen kann. Wir waren uns einig, dass wir keinen Hund mehr wollen.

„Ein kleiner Hund … Ich habe bei einem Züchter in Grumbach angerufen.“

„Ich wusste es! Du machst, was du willst!“

„Aber ... Ich habe noch gar nichts gemacht.“

„Ach nein?“ Werner geht zur Tür. Ich sehe an seinen hochgezogenen Schultern, wie verärgert er ist. Dann dreht es sich um.

„Jederzeit? Ich rufe zurück“, äfft er mich nach und schlägt die Tür hinter sich zu. Soll ich ihm nachgehen? Ich warte besser ab, bis Werner sich beruhigt. Lange muss ich nicht warten, dann kommt er zurück in die Stube.

„Wo war dieser Züchter.“

Überrascht schaue ich Werner an. „Grumbach glaube ich.“

„Wo liegt das denn?“

„Keine Ahnung.“

„Es gibt zwei – eins bei Zwickau und eins bei Dresden.“ Werner breitet eine Karte vor mir aus. „Schau mal! Beide Grumbachs sind jeweils 45 Kilometer von hier entfernt – nur in verschiedene Richtungen.“

Ich sage erst einmal gar nichts und beuge mich über die Karte. Vor Aufregung erkenne ich gar nichts, obwohl Werner mit dem linken Zeigefinger auf das Zwickauer Grumbach zeigt und mit dem rechten auf das Dresdner.

Wortlos halte ich ihm die Zeitungsanzeige hin.

„Aha. Bei Zwickau also.“ Das hat Werner an der Telefonnummer erkannt. „Wenn du hin willst …. ich würde dich fahren.“

„In zwei Minuten bin ich fertig.“

Hastig renne ich in den Keller und greife die erstbeste Plastikwanne, die groß genug ist für einen möglichen Welpentransport. Dazu zwei alte Decken von Patrik. Es kann los gehen. Nur schnell – ehe es sich Werner anders überlegt.

Der Ort liegt am Ende der Welt. Wir fahren erst 30 Kilometer Autobahn und dann kleine Straßen durch winzige Dörfer und Täler, kreuzen drei Flüsse und stehen nach einer Zuckeltour über Schotter und Betonplanken an der angegebenen Adresse. Sie liegt mitten in einem Wald hinter einer hohen Bretterwand.

Von einem Haus ist nichts zu sehen. Doch wir hören lautes Bellen. Es müssen mehr als zwanzig Tiere sein.

Wir klingeln. Ein junger Mann in schmutzigem Arbeitsanzug öffnet das Tor und steht breitbeinig vor uns.

„Seid ihr die Leute aus Chemnitz?“

„Ja. Richter. Guten Tag.“

Der Mann tritt zur Seite und macht eine einladende Handbewegung.

„Kommt rein!“

Wir sehen eine Art Gartenlaube, dahinter Wald, der sich einen steilen Hügel hinauf zieht.

Zwischen den Bäumen stehen in großen Zwingern unzählige Huskys: Schwarz-Graue, Silbergraue, Braun-Beige.

„Ich züchte Huskys. Meiner Lieblingshündin ist sozusagen ein Unfall passiert.“ Er lacht. „Wir waren mit ihr und Freunden und ihren Hunden unterwegs. Ich habe keine Ahnung, wer meine Laika beglückt hat.“ Wieder lacht er. „Ihr Freund ist ein schwarzer Labrador.“

„Aber Sie sagten doch, dass die Welpen nicht größer als 40 Zentimeter werden.“

Der Mann zuckt mit der Schulter, schiebt uns in eine kleine Stube und schließt hinter uns die Tür. Wir schauen uns um: ein Tisch, drei Stühle, ein abgewetztes Sofa und ein alter Kohleofen. Der Mann kommt zurück und trägt ein kleines Bündel in der Hand, das er uns entgegen hält. „Hier ist der Kleine.“

Der Welpe sieht genauso aus. wie ich ihn mir immer vorgestellt und gewünscht habe: glattes schwarzes Fell auf dem Rücken, brauner Bauch und braune Beine und auf der Brust einen hübschen weißen Latz. Der Züchter setzt ihn auf den Boden und sofort rennt das kleine Knäuel los.

„Ich habe noch zwei Rüden, aber die sind schwarz.“

„Nein, einen schwarzen Hund wollen wir nicht.“

Schwarz macht vielen Leuten Angst. Trotzdem geht der Züchter hinaus und kommt mit zwei schwarzen Hundebabys zurück. Außerdem huscht noch eine Katze zur Tür herein. Die drei kleinen Hunde und die Katze rennen kreuz und quer durch das Zimmer. Die Katze und „mein“

schöner Dreifarbiger springen über das Sofa, die Stühle, von da sogar über den Tisch.

Vergnügt beobachte ich die Tiere. Auch Werner lacht.

„Ich lass euch mal allein“.

Der Züchter verlässt den Raum. Ich setze mich auf den Boden. Der Bunte kommt sofort gerannt und springt mir über die Beine. Er drängt sich immer vor und lässt keinen anderen Welpen in meine Nähe. Offenbar ist er der Alphahund im Wurf. Das gefällt mir nicht.

„Der ist viel zu wild.“

Werner nickt. Er will sowieso keinen Hund. Wir wollen beide keinen neuen Hund. Und so einen wilden schon gar nicht.

Ich schaue mir die beiden schwarzen an. Der eine ist sehr klein. Ich versuche, nach dem größeren zu greifen, doch der hübsche Wildfang springt dazwischen. Werner bückt sich, greift den Schwarzen und nimmt ihn auf den Arm.

„Wie willst du ihn nennen?“

„Benno.“

Werner nickt. „Benno – ein lustiger Name. Den kann man sich leicht merken.“

Der kleine schwarze Hund kuschelt sich in Werners grüne Strickjacke, als wäre das schon immer sein Lieblingsplatz gewesen. Benno ist nicht größer als Werners Hand.

Der Züchter kommt herein. „Na?“

„Den nehmen wir!“ Werner zeigt auf Benno.

„Wieviel soll er kosten?“

„Gib mir fünfzig Euro, er ist noch nicht geimpft.“

Wir zahlen und verlassen das Häuschen.

„Wenn es Probleme gibt, dann bringt den Kleinen einfach wieder!“, ruft uns der Züchter nach.

Im Auto lege ich Benno in die Plastikschüssel, die ich mit den beiden Decken von Patrik ausgepolstert hatte. Zufrieden kringelt sich der Kleine hinein und fühlt sich offenbar wohl. Die Schüssel halte ich auf meinem Schoß. Werner fährt sehr vorsichtig um die vielen Kurven bis zur Autobahn. Er will Benno nicht ängstigen.

Während der ganzen Rückfahrt lasse ich meine Hand auf dem Welpen.

„Der Hund stinkt!“, beklage ich mich. „Wer weiß, wo seine Wurfkiste steht, vermutlich in einem Schuppen oder Zwinger.“

Mir fällt ein, dass ich mir weder die Mutter angesehen noch irgend eine Frage gestellt hatte. Es ging alles so schnell.

Auch bei Patrik ging damals alles sehr schnell, weil uns Katrin regelrecht überrumpelt hatte. Er war erst vier Wochen alt, als wir ihn zu uns holten. Seine Mutter kam mit acht Monaten in ihre erste Hitze und wurde gleich trächtig. Sie konnte ihre sechs Welpen offenbar nicht ernähren und versuchte, sie wegzubeißen.

Da Patrik unser erster Hund war, kaufte ich viele Hundefachbücher, um mich über Haltung, Erziehung und Pflege zu informieren.

Ich weiß jedenfalls genau, worauf ich beim Kauf eines neuen Hundes hätte achten müssen. Er sollte im Haus aufgezogen, an Menschen und Kinder gewöhnt sein. Ich wollte in jedem Fall die Mutter kennenlernen und viel über den Vater erfahren. Und jetzt weiß ich kaum mehr als Bennos Geburtsdatum und dass er zwei Brüder hat. Aber das ist mir plötzlich gleichgültig und ohnehin nicht mehr zu ändern.

Direkt an der Auffahrt zur Autobahn ist eine riesige Zoohandlung. Wir halten und kaufen ein passend kleines Halsband, zwei kleine Näpfe, zum Spielen einen blauen Gummiknochen und eine gelbe Quietschente und natürlich Nahrung für Welpen. Decken und Kissen haben wir noch von Patrik.

Wir haben wieder einen Hund!

„Zuerst solltest du deinen Hund baden!“, bestimmt Werner, geht ins Büro und schließt die Tür hinter sind.

Ich ärgere mich, weil Werner Benno als meinen Hund bezeichnet. Schließlich hat ER gesagt: „Den nehmen wir.“ Wir! Wir haben einen Hund, er gehört zu uns beiden. Aber ich will keinen Streit und sage nur: „Unbedingt.“

Der Kleine hält ganz still, während ich ihn mit der linken Hand in der Wanne halte und mit der rechten abbrause. Er ist diese Prozedur offenbar gewöhnt oder ihm macht es nichts aus.

Das wäre mit Patrik nicht möglich gewesen. Er hasste Baden und ließ sich keinesfalls in die Wanne heben. Den Gartenschlauch mochte er noch weniger, dabei hatte ich extra eine spezielle Hundedusche gekauft. Patrik war überhaupt wasserscheu und machte sich bei sehr heißem Wetter maximal die Pfoten nass in einem ganz flachen Bach. Wenn Patrik schmutzig war, wischte ich ihn mit einem Lederlappen ab, während er fürchterlich knurrte und gefährlich seine Zähne fletschte. Das war keine angenehme Aufgabe für mich.

Mit Benno dagegen geht das ganz leicht. Er lässt sich mit Shampoo einseifen und hinterher abbrausen. Das Wasser kommt rabenschwarz aus seinem Fell geflossen. Ich muss ihn noch ein zweites Mal einseifen und abspülen. Ein drittes Mal wiederhole ich diese Prozedur – dann endlich bleibt das Wasser klar. Ich wickle Benno in ein Handtuch und trage ihn in die Stube. Dort setze ich mich auf den Teppich und trockne den Kleinen ab. Auch dabei hält er ruhig.

Doch dann ist es mit der Ruhe vorbei. Benno rennt los – unter dem Stuhl hindurch, hinter dem Sofa entlang, mit einem Sprung über den Couchtisch, ins Nachbarzimmer, wieder zurück, hinter dem Sofa entlang. Plötzlich bleibt es ruhig. Benno rennt nicht mehr an mir vorbei.

Ich stehe auf und suche ihn im Flur. Dort ist er nicht. Die Tür zum Bad und zur Schlafstube sind offen. Jetzt entdecke ich Benno. Er liegt auf meinem Bett und leckt sich das noch feuchte Fell trocken. Vorsichtig schiebe ich ein altes Handtuch unter den Hund, der sofort einschläft.

Nun kann ich das Hundebaby in Ruhe betrachten. Es ist nicht ganz schwarz, Beine, Bauch und Schnauze heben sich nun ohne den Schmutz hellbraun vom übrigen Fell ab. Und über den Augen leuchten helle Flecken. Das gefällt mir. Ich habe einen besonders hübschen Hund.

Am Abend zeige ich Benno seinen Schlafplatz. Neben dem Kleiderschrank, dicht bei meinem Bett liegt seine Matte. Benno begreift und rollt sich sofort zusammen. Ich hocke mich daneben und betrachte diesen süßen kleinen Hund. Dann lege ich mich ins Bett und stelle den Wecker auf Mitternacht. Aller zwei Stunden will ich mit dem Hund in den Hof, damit er draußen sein Pfützchen macht und nicht in der Wohnung. Kaum lösche ich das Licht, springt Benno zu mir ins Bett.

„Runter!“, rufe ich streng.

Benno hopst hin und her, aber nicht aus meinem Bett. Sobald ich die Nachtlampe anschalte, springt der Hund auf seine Matte.

Doch sobald ich das Licht lösche, beginnt das gleiche Theater von vorn. Irgendwann höre und spüre ich nichts mehr und schlafe ein. Wohl im gleichen Moment summt der Wecker und Werner brummt verärgert. Ich werfe mir die Jacke über, schnappe den schläfrigen kleinen Hund und trage ihn gleich in Nachthemd und Pantoffeln raus in den Hof. Benno bleibt steif stehen und rührt sich nicht.

„Mach dein Pfützchen, los!“

Benno schaut mich an und dreht dabei den Kopf schief. Ich muss lachen. Aber mir ist kalt.

Ich trete von einem Bein aufs andere und habe schließlich genug.

„Nichts“, sage ich zu Werner.

„Hm?“

„Er hat nichts gemacht.“

„Er soll schlafen. Und du auch.“

Benno hockt sich auf den Teppich und pullert.

So ein Mist! Ich nehme ihn schnell hoch und trage ihn raus auf den Hof. Benno steht steif und schaut mich an. Er versteht nicht.

Nun muss ich den Eimer und einen Lappen holen, den nassen Fleck entfernen und den Teppich reinigen.

„Der Hund ist gesund und völlig in Ordnung.“

Der Tierarzt streichelt Benno über den Kopf.

Ich setze Benno runter auf den Boden. Er läuft sofort im Sprechzimmer herum und säuft aus dem Wassernapf. Herr Gießer lacht.

„Ihr Hund hat schon erstaunlich viel Vertrauen zu Ihnen – er hielt bei der Spritze ganz still, hat nicht einmal gezuckt. Sie werden viel Freude an Benno haben, vor allem an seiner Sprungkraft. Das sollten Sie trainieren.“

Fragend schaue ich den Tierarzt an.

„Ja, das sieht man schon jetzt. Schauen Sie seine Hinterbeine an!“

Ich schaue, doch ich sehe nur kurze Welpenbeinchen. Immerhin ist mein neuer Hund gesund. Und jetzt will ich sofort mit ihm in den Wald.