Ein halbes Leben - Petra Weise - E-Book

Ein halbes Leben E-Book

Petra Weise

4,7

Beschreibung

Die kleine Susi glaubte, ein ganz normales Mädchen zu sein. Den meisten Leuten war sie allerdings viel zu vorlaut und unbeherrscht. Sie schaffte es weder im Elternhaus noch in der Schule, sich unterzuordnen. Ihr Leben als junge Frau und Mutter wird von der tragischen Krankheit ihrer Tochter bestimmt und zwingt Susi, eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, die ihr eigenes Leben und das ihrer gesamten Familie dramatisch verändert und eine ungewisse Zukunft heraufbeschwört. Die Autorin erzählt Susis Geschichte ohne jeden Pathos und bleibt wie in ihren bisherigen Büchern ihrem klaren und präzisen Schreibstil treu.

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Inhalt

Susi und ihre Oma

Susi und das Kinderheim

Susi und ihre Familie

Susi und die Schule

Susi und die Musik

Susi und die Liebe

Susi und ihre Schwangerschaft

Susi und ihr erstes Kind

Susi und ihre erste Wohnung

Susi und ihre neue Arbeit

Susi und ihr zweites Kind

Susi und die Neubauwohnung

Susi und eine Urlaubsreise

Susi und Berlin

Susi und die Flucht aus der DDR

Susi in Untersuchungshaft

Susi im Gefängnis

Susi auf Transport

Susi und ihre Oma

Die Oma wurde 1901 an der Ostseeküste in Pommern, die heute zu Polen gehört, geboren. Dort hatte sie mit ihrem Mann einen Bauernhof. Die Oma liebte weder die Feldarbeit noch ihren Mann, mit dem sie, wie es auf dem Land üblich war, gegen ihren Willen verheiratet worden war. Ihr Mann mochte ebenfalls keine Feldarbeit, er mochte viel mehr die Musik und spielte in den umliegenden Dörfern zum Tanz auf. Wenn er dann in der Nacht nach Hause kam, schlief seine Frau längst. Also nahm er sie im Schlaf.

Einundzwanzig Mal wurde sie auf diese Weise schwanger, vierzehn Mal überlebte das Kind. Bald lachten die Leute im Dorf: „Eure Sau ferkelt wieder.“

Jedes neue Kind schwächte die Oma und hielt sie jedes Mal länger im Bett. Und bei jedem neuen Kind mussten die älteren Kinder mehr Aufgaben im Haus, im Stall und auf dem Feld übernehmen.

Kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges kamen die Polen in das kleine Dorf. Sie scheuchten die Oma und ihre große Familie von ihrem schönen Hof, machten sich im Haus breit, schlachteten eine Kuh nach der anderen und kümmerten sich nicht um das Getreide auf dem Feld. Und das alles vor den Augen der Familie, die keinen Steinwurf entfernt im Gesinde-haus bleiben musste. Manchmal, wenn der Hunger gar zu groß wurde, schlich sich einer der Jungs heimlich in den Stall und suchte nach einem versteckten Ei. Erwischen lassen durfte er sich dabei nicht, denn jeder Dieb wurde sofort erschossen. Dabei waren sie gar keine Diebe, denn die Hühner gehörten eigentlich ihnen. Genauso wie das Getreide auf dem Speicher, aus dem sie jede Woche Brot gebacken hatten. Jetzt gab es kein Brot mehr, es gab auch kein Fleisch. Zum Glück stand im Gesindehaus das große, randvoll mit Ostseeheringen gefüllte Fischfass, von dem die Polen offenbar nichts wussten. Die Fische hatten sie bereits im Frühjahr gefangen, ausgenommen und in Salzlake in das Fischfass geschichtet. Ab August war es ein traditionelles und sehr beliebtes Gericht zu Brot oder Kartoffeln. Dieses mit Fischen gefüllte Fass half der Familie zu überleben.

Dann kamen die Russen, lärmende und nach Wodka und Tabak stinkende Soldaten. Vor diesen Soldaten mussten sich die Frauen verstecken, aber die Kinder nicht, denn diese Soldaten mochten Kinder. Sie steckten den Kindern ab und zu einen Kanten Brot zu. Omas Sohn Horst durfte sich um die Pferde des Kommandanten kümmern. Diese Arbeit gefiel dem Jungen. Manchmal war der Kommandant gut gelaunt und schenkte ihm ein ganzes Brot oder einen Sack Kartoffeln. Das trug Horst stolz zu seiner Familie. Aber oft war der Kommandant verärgert und verprügelte den Jungen.

Zu allem Unglück starb Omas Mann – nicht im Krieg, sondern an einer ganz normalen Grippe, auch eines der Kinder starb und der älteste Sohn blieb im Krieg. Nun war Horst der älteste Sohn und trug die Verantwortung für seine Mutter und seine vielen Geschwister: fünf Brüder und sechs Schwestern.

Einige Monate nach Kriegsende erhielt die Familie den Befehl, sich acht Uhr am Schlosshof der Kreisstadt einzufinden. Die Oma nahm für jedes Kind ein Hemd und Unterwäsche, legte alles in ein großes Laken und machte einen dicken Knoten. Dieses Bündel schnürte sie ihrem Ältesten auf den Rücken, gab das Baby ihrer ältesten Tochter und nahm selbst das Zweijährige auf den Arm. Zusammen mit ihrer alten und kranken Mutter, ohne Mann, aber mit ihren zwölf Kindern und der Nachbarsfamilie machten sie sich zu Fuß auf den acht Kilometer langen Weg in die Kreisstadt.

Dort hieß man sie, auf einen Leiterwagen zu klettern. Horst weinte. Er hatte die beiden Pferde, die den Karren zogen, sofort wiedererkannt. Es waren seine über alles geliebten Pferde, die früher der Familie gehörten. Der Kutscher hieb immer wieder auf sie ein, aber nicht auf die Kruppe oder die Hinterbacke, sondern ausgerechnet auf die empfindliche Flanke, wo der Braune schon dicke rote Striemen hatte. Der Fuchs lahmte auf dem linken Vorderlauf, der Sporn war dick geschwollen. Am liebsten hätte Horst dem groben Kutscher die Peitsche aus der Hand gerissen, aber seine Mutter hielt ihn mit einem strengen Blick zurück. Sie erlaubte ihm auch nicht, sich von seinen Pferden zu verabschieden, als sie zwei Stunden später am Bahnhof aussteigen mussten.

Ein Güterzug brachte sie zur Landesgrenze. Von da ab schleppte sich der inzwischen endlos lange Treck von abertausenden Menschen zu Fuß weiter, ohne festes Ziel, einfach Richtung Südwesten. So irrten sie wochen- und monatelang durchs Land und versuchten, einen Unterschlupf zu finden. Das schien völlig aussichtslos, denn die Menschen auf ihrem Weg hatten durch den Krieg viel Kummer erlebt, kaum etwas zu essen, schon gar nicht für die Vertriebenen und vor allem keinen Platz für eine so große Familie.

In einem kleinen sächsischen Dorf erlaubte der Gemeindevorsteher der völlig erschöpften Familie, im Gemeindesaal zu übernachten. Der Saal war groß und hatte einen trockenen Dielenboden, auf dem man wunderbar liegen konnte. Die Oma war froh, dass sie mit all ihren Kindern und ihrer alten Mutter ein Dach über dem Kopf hatte. Der Rest würde sich finden.

Einen ganzen Monat durften sie bleiben. Dann kam der Gemeindevorsteher, stellte sich breitbeinig in die Saaltür, zeigte mit seinem Arm auf die Oma und rief: „Mitkommen! Alle.“

Der Oma war klar, dass sie nun weiterziehen mussten. Sie verschnürte die wenigen Habseligkeiten der Familie im mittlerweile verschlissenen Laken, hakte ihre Mutter unter, nickte ihren Kindern zu und folgte mit ihnen dem Mann durch das obere Dorf. Der blieb plötzlich stehen und wies mit dem Arm auf ein schönes, völlig unbeschädigtes Haus mit zwei Stockwerken, einer Vortreppe und einem kleinen Gärtchen.

„Hier könnt ihr bleiben.“

Die Oma schaute auf das Haus, dann zu dem Mann und schüttelte verwundert ihren Kopf. Der Vorsteher lachte, reichte der Oma den Hausschlüssel, drehte sich um und ging. Die Oma überlegte nicht lange und betrat den Kindern voran das Haus.

Das Erdgeschoss bestand aus einer großen Stube mit einem riesigen Kachelofen, einer Wohnküche mit einem funktionierenden Herd und einer kleinen Toilette. Im Obergeschoss gab es drei kleine Schlafräume und ein richtiges Bad. Drei der Zimmer waren von Vertriebenen aus Schlesien belegt, einer älteren Dame und einer Kriegswitwe mit ihrem Baby. Das dritte Zimmer war frei und diente ab sofort als Schlafraum für die sechs Mädchen der Oma. Die fünf Jungs kamen in der Dachkammer unter, das Baby blieb unten bei der Oma und deren Mutter. Die alte Mutter der Oma saß den ganzen Tag in einem zerschlissenen Sessel oder draußen vor der Haustür auf einer niedrigen Mauer in der Sonne. Später verließ sie ihr Bett nicht mehr und die Oma brachte davor einen Vorhang an, damit sie sich dahinter ein wenig geschützt fühlte.

Horst hatte sich schon am ersten Tag ihrer Ankunft umgesehen und im Nachbardorf eine Anstellung bei einem Bauern gefunden. Dort bekam er zwar nur wenige Groschen Lohn, aber jeden Monat einen ganzen Sack Kartoffeln, den er stolz nach Hause trug. Für Kartoffeln musste viel Geld bezahlt werden, sofern es überhaupt welche zu kaufen gab. Wenn eine Sau geschlachtet wurde, durfte er sogar ein Stück Speck und einen Krug Wurstbrühe mitnehmen.

Auch die älteste Tochter fand Arbeit und sorgte mit ihrem Verdienst für ihre Geschwister. Die zwei halbwüchsigen Mädchen kamen als Hausmädchen in fremden Familien unter, das schaffte Platz am Tisch und in den Schlafstuben. Die größeren Jungs gingen bald in die Lehre als Bäcker, Schuster, Maurer und Schneider. So langsam ging es der Familie besser und die Oma erlaubte ihrem ältesten Sohn Horst, auf Brautschau zu gehen.

Horst war inzwischen 26 Jahre alt, stand am Rand des Tanzbodens und schaute dem munteren Treiben zu. Sein Freund hatte mit jedem hübschen Mädchen getanzt, er war nicht so schüchtern wie Horst.

„Gefällt dir gar keine?“, wollte der Freund wissen.

„Doch, die Brünette dort. Die würde ich vom Fleck weg heiraten.“

Der Freund lachte. „Tanzen willst du nicht, aber gleich heiraten. Warte, ich bringe sie dir.“

Ehe Horst seinen Freund zurückhalten konnte, war dieser quer über den Tanzboden marschiert, winkte schon von weitem diesem hübschen Mädchen zu und kam keine zwei Minuten später mit ihr am Arm zurück.

„Das ist Jutta.“

Jutta lachte ein sehr hübsches Lachen. Horst gefiel ihr sehr gut, er war groß, blond, schlank und hatte sehr helle blaue Augen.

Jutta war 19 Jahre jung und musste nicht lange umworben werden. So kurz nach dem Krieg gab es nur wenige junge Männer und schon gar nicht solche wie Horst, so unversehrt und obendrein gutaussehend. Jutta verliebte sich sofort in Horst und bezog bald mit ihm zusammen die Bodenkammer, die Geschwister rückten in den anderen Zimmern enger zusammen.

An Juttas 20. Geburtstag wurde die kleine Susi geboren. Eigentlich hieß sie Susanne, aber alle riefen sie Susi.

Susi blieb den ganzen Tag bei der Oma, während die Eltern arbeiteten. Der Vater arbeitete nicht mehr bei dem Bauern, sondern in einer Metallgießerei, die Mutter in einem Kindergarten.

„Das ist doch keine Arbeit.“ nörgelte die Oma. „Den ganzen Tag über mit fremden Kindern spielen statt etwas nützliches zu tun.“

„Was denn nützliches?“ wollte Horst wissen.

„Hausarbeit zum Beispiel. Putzen, Kochen – nichts davon versteht sie. Außerdem ist sie viel zu verwöhnt und egoistisch.“

Das stimmte. Wenn die Mutter einen neuen Mantel wollte, sagte der Vater: „Das geht nicht, erst muss mein kleiner Bruder eine warme Jacke haben, das ist wichtiger.“

„Ich wünsche mir eine neue Handtasche“, bat die Mutter.

„Jetzt braucht meine kleine Schwester einen neuen Schulranzen“, antwortete der Vater.

Die Mutter durfte sich keine neuen Schuhe kaufen, weil Schuhe für eine andere Schwester von Horst erst einmal nötiger waren.

„Und ich?,“ beklagte sich die Mutter. „Sind immer deine Geschwister wichtiger als ich?“ Darauf antwortete der Vater nicht.

Die ersten drei Lebensjahre verbrachte Susanne glücklich bei der Oma und ihren sieben Kindern, die noch daheim lebten. Das jüngste von Omas Kindern war inzwischen acht Jahre alt. Die drei Mädchen spielten gern mit der kleinen Susi, die vier Jungs dachten sich allerhand Schabernack aus. Einmal packte einer der Jungs die kleine Susi und setzte sie oben auf den großen Kachelofen. Dann ging er aus der Stube und ließ Susi ganz allein hoch oben auf dem Ofen sitzen. Susi hielt ganz still, damit sie nicht aus Versehen herunter fiel. Dann fing sie an zu weinen. Als das nicht half, rief sie laut um Hilfe.

„Oma! Oma!“

Die Oma kam, aber sie konnte nicht einmal mit ausgestreckten Armen Susi vom Ofen herunter heben.

„Halte still!“, befahl sie dem Kind. Dann ging die Oma aus der Stube und rief nach einem ihrer Söhne, der groß genug war, das kleine Mädchen vom Ofen zu heben. Der Junge lachte: „Was machst du denn da oben, Susi?“

„Dich werd ich kriegen!“, murmelte die Oma, rannte nochmals aus der Stube und holte ein Handtuch. Als Susi endlich auf dem Boden stand, nahm die Oma das Handtuch und zog es ihrem frechen Jungen über Schulter und Beine. Das tat die Oma immer, wenn eines ihrer Kinder nicht gehorchte. Aber sie musste nicht oft zum Handtuch greifen, weil sich die Kinder schon unter dem Blick ihrer Mutter duckten und sie heimlich General nannten. Die Oma war sehr streng, das musste sie wohl, um ihre vielen Kinder im Zaum zu halten.

Die Oma herzte nie eines ihrer Kinder, auch Susi nicht. Aber Susi krabbelte ihr einfach auf den Schoß und hielt sich an ihrer Schürze fest. Dort fühlte sie sich sehr geborgen.

Auf dem Küchenherd stand immer eine große Kanne Malzkaffee und ein Teller voller Plinsen, die einfach aus Mehl und Wasser gebacken wurden, denn die halbwüchsigen Kinder hatten ständig Hunger. Zum Abend gab es Kartoffeln und eine Soße aus Mehl und Wasser, die sie Einbrenne nannten, und zum Frühstück Mehlsuppe.

Die Oma hatte eine ganz eigene Sprache, die die Mutter nicht verstand. Doch der Vater verstand sie und Susi ebenfalls. Diese Sprache hieß Platt und stammte aus der pommerschen Heimat der Oma. Susi mochte diese seltsame Sprache sehr.

Die Oma erzählte jeden Tag von ihrem Hof in Pommern, der harten Arbeit auf dem Feld, der Last mit ihren vielen Kindern und dass die Kinder von klein auf im Stall und auf dem Feld mithelfen mussten.

Susis Vater arbeitete damals als Kind sehr gern auf dem Feld, aber er hasste es, wenn er zum Holzfällen in den Wald geschickt wurde. Es war für den Jungen körperlich viel zu schwer, die dicken Stämme mit der Axt anzuschlagen und dann so zu sägen, dass sie in die vorher festgelegte Richtung fielen. Die jüngeren Geschwister sägten die Äste ab, bündelten sie und trugen sie auf dem Rücken den langen Weg nach Hause. Die großen Stämme wurden von den Pferden zum Hof gezogen. Die Zügel hielt immer Host, er lenkte die Pferde sehr geschickt, so dass sich die schweren Stämme nicht verhakten oder irgendwo hängen blieben. Er liebte die Pferde und die Arbeit mit ihnen sehr.

Noch schlimmer als das Holzfällen empfand Horst das Torfstechen, eine extrem harte Knochenarbeit. Zuerst stach er die oberen Schichten Gras und Moos mit einem Spaten ab, dann den helleren Torf mit einem speziellen Stecheisen. Seine Geschwister beluden eine Art Ladeplatte mit den Torfstücken und zogen diese zum Trockenplatz. Dort bauten sie aus den Torfstücken einen Turm, der kein Regenwasser hineinlassen durfte. Inzwischen hatte sich Horst Schicht um Schicht weiter ins Erdreich gearbeitet, wo der Torf immer dunkler und vor allem schwerer wurde. Zum Schluss stand er mit seinem älteren Bruder und einem Nachbarn fünf oder sechs Meter tief in einem Loch voller Schlamm und musste diesen nassen schweren Schlamm hoch über seinen Kopf aus dem Loch schaufeln. Die kleineren Geschwister des Vaters trampelten dann das Wasser aus dem schwarzen Torf, der zum Trocknen einfach auf dem Feld liegen blieb. Torf war sehr wertvoll für das Feld, den Garten und zum Heizen – mit dem schwarzen Torf wurde der große Backofen im Dorf angeheizt, in dem jede Woche Brot gebacken wurde. In Pommern wurde viel Brot gegessen, später in Sachsen eher Kartoffeln.

Als Susi ein Jahr alt war, wurde ihre Schwester geboren und die junge Familie bekam bald eine kleine Wohnung ganz in der Nähe. Susi durfte tagsüber weiter bei der Oma bleiben, obwohl die Mutter nun nicht mehr arbeitete, sondern sich daheim um den Säugling kümmerte. Ein weiteres Jahr später kam der kleine Bruder zur Welt.

Drei Jahre lang blieb Susi bei der Oma und fühlte sich bei ihr so glücklich wie eine Maus in einem Stück Käse. Am liebsten schaute Susi der Oma beim Spinnen von Schafwolle zu. Sie nahm sich eine Hitsche, wie die Oma das kleine Fußbänkchen nannte, und setzte sich ganz dicht an das Spinnrad. Sie mochte es, wenn sich das Spinnrad schnell drehte und das Fußpedal gleichmäßig klackte. Die Oma zupfte mit der linken Hand Wolle von ihrem Schoß und hielt diese mit der rechten Hand in Richtung Öse. Das Drehen des Spinnrades machte sofort Fäden daraus, die sich um eine Spule wickelten. Die Oma bestimmte, ob es dicke oder dünne Fäden wurden, indem sie die Wolle mehr oder weniger straff hielt. Dann wurde das Garn auf einen Strang gewickelt, gewaschen und auf dem Wäscheboden getrocknet, gefärbt und später zu Knäuel aufgewickelt. Davon strickte und häkelte die Oma Socken für ihre Kinder und viele andere nützliche Sachen, auch für Susis Puppe.

Susi hatte bei nichts anderem so viel Geduld wie beim Zuschauen, wenn die Oma Wolle spann. Sie durfte sehr bald helfen, die Wolle aufzuwickeln und lernte rasch zu stricken und zu häkeln. Das Spinnen war schwieriger, man musste nicht nur die Füße auf dem Pedal und die Hände an der Wolle geschickt koordinieren, sondern vor allem auf die Menge der Wolle achten, die man dem Spinnrad mit der rechten Hand zuführte. Es durften weder Knoten noch dünne Stellen im Faden entstehen.

„Pass doch auf, Mädchen!“, mahnte die Oma. Sie duldete es nicht, wenn das Garn nicht gleichmäßig gesponnen war oder sogar riss. Dann musste sie mühevoll Susis Fehler ausbügeln.

Die Oma hatte noch eine Besonderheit: sie zitterte. Sie zitterte so stark, dass ihre Hände hin und herflogen und auch der Kopf beständig wackelte. Ihr Rücken war von der harten Feldarbeit krumm, aber sie trug ihren Kopf sehr hoch erhoben und sah immer recht stolz aus wie eine feine Dame aus der Stadt. Keiner hätte in dieser vornehmen Frau eine Bäuerin vom Land vermutet oder ihr die vielen Kinder angesehen.

Während ihrer gesamten Kindheit und Jugend verbrachte Susi so viel Zeit wie irgend möglich bei ihrer Oma. Sie spielten stundenlang Halma, backten Kräbbelchen zum Vesper oder vertieften sich in alten Landkarten. Die Oma zeigte Susi die Orte in Pommern, in denen sie gelebt hatte und die Orte, in denen inzwischen ihre Kinder und Enkel lebten.

Später hatte sie insgesamt 27 Enkel, von denen sie gern erzählte. Leider konnte Susi nicht alle ihre 26 Cousinen und Cousins persönlich kennenlernen, denn viele lebten weit entfernt, zwei davon sogar in Kanada.

Susi und das Kinderheim

Frühling 1957. Ab dem dritten Geburtstag musste Susi in den Kindergarten. Dort gefiel es ihr gar nicht. Die Erzieherin klatschte in die Hände und rief: „Alle Kinder...“ In diesem Moment hielt sich Susi schon die Ohren zu. Sie wollte nicht hören, was alle Kinder machen sollten. Hinausgehen mit allen Kindern mochte sie, aber sie wollte auf keinen Fall mit allen Kindern basteln. Zum Spielen wurden alle Kinder in kleine Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe spielte in der Autoecke, eine andere in der Bausteinecke, die Mädchen freuten sich, wenn sie in die Puppenecke durften. Susi mochte am liebsten für sich allein mit bunten Murmeln spielen.

Am schlimmsten war für Susi, mit allen Kindern zu essen. Und am schlimmsten beim Essen war das Fleisch. Susi mochte keine Fleisch, auch dann nicht, wenn es weich und leicht zu kauen war. Die Erzieherin schaute ihr in den Mund, ob sie das Fleisch brav hinunter geschluckt hatte. Aber das konnte Susi nicht. Wenn sie auf dem Fleisch kaute, überfiel sie schlimmer Brechreiz. Das durfte die Erzieherin nicht sehen, dann wurde sie gleich böse. Das Fleisch einfach im ganzen hinunterzuschlucken war noch schwieriger, es blieb einfach im Hals stecken, würgte sie und machte ihren Kopf heiß und rot. Dann kam die Erzieherin, holte das Fleisch aus dem Hals, steckte es sofort wieder in Susis Mund und blieb so lange neben ihr stehen, bis das Fleisch irgendwie den Weg in den Magen fand. Susi hatte schon versucht, das Fleisch heimlich auszuspucken und in der Schürzentasche zu verstecken, aber es gelang ihr nie.

Nach dem Essen mussten sich alle Kinder auf kleine Liegen legen, und zwar auf die rechte Seite, damit sie sich nicht anschauen und lustig zublinzeln konnten. Die Erzieherin lief zwischen den Liegen hindurch und kontrollierte, ob alle Kinder ihre Augen geschlossen hielten.

Manchmal gelang es Susi, noch vor dem Mittagessen davonzulaufen und sich in Omas Haus oder im dunklen Schuppen zu verstecken. Aber so gut sie sich auch versteckte, sie wurde entdeckt und musste zurück in den Kindergarten. Am Abend gab es zur Strafe Schläge von der Mutter. Die Mutter weinte. Sie weinte oft. Sie stritt laut mit dem Vater und sagte, dass ihr alles zu viel wird.

Die Mutter schimpfte: „Du machst mir nur Kummer. Was soll ich nur mit dir anfangen? So ein böses Mädchen wie dich kann ich nicht lieb haben.“

Susi versuchte, lieb zu sein. Aber das war nicht leicht. Immer machte sie irgend etwas verkehrt. „Wenn du noch einmal wegläufst, dann stecke ich dich ins Kinderheim!“, drohte die Mutter.

Susi wusste nicht, was ein Kinderheim ist. Aber so, wie die Mutter Kinderheim sagte, musste es etwas ganz fürchterliches sein.

„Was ist denn ein Kinderheim, Mutti?“

„Das ist wie ein Kindergarten, nur, dass die Kinder auch über Nacht dort bleiben müssen. Und wenn sie so böse sind wie du, dann dürfen sie überhaupt nicht mehr nach Hause.“

Susi bekam einen Riesenschreck. Sie mochte den Kindergarten nicht, aber sie wollte sich Mühe geben und nie wieder weglaufen. Denn über Nacht in einem Kinderheim sein, das stellte sie sich ganz besonders schrecklich vor.

Susi war vier Jahre alt. Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr schleppte die Mutter das kleine Mädchen in Richtung Bahnhof und drohte, es ins Kinderheim zu bringen. Drei Mal ist die Mutter kurz vor dem Bahnhof wieder umgekehrt und Susi hatte der Mutter hoch und heilig versprechen müssen, nie nie wieder unartig zu sein. Aber heute hatte die Mutter einen Koffer dabei, worin sich die Sachen des Mädchens befanden, ein Pullover, das Nachthemd, die Hausschuhe. Aber kein Spielzeug, das sollten jetzt die Geschwister bekommen, die nicht so ungezogen waren wie die kleine Susi.

Susi war verzweifelt, weil die Mutter so traurig war und sie ins Kinderheim bringen wollte. Vor Kummer und dem vielen Weinen war ihr ganz schwindlig. Sie taumelte neben der Mutter her und bettelte schluchzend: „Bitte, bitte, liebste Mutti, bring mich nicht weg! Lass mich bei dir bleiben. Ich will nicht ins Kinderheim. Ich bin jetzt immer ganz ganz lieb.“

Die Mutter hörte nicht auf ihr Kind. Grob zog sie Susi weiter in Richtung Bahnhof. Nun bekam Susi richtig Angst. Sie versuchte, ihre Hand aus Mutters Umklammerung zu befreien und wegzulaufen. Sie würde sich verstecken, am liebsten bei der Oma. Aber es gelang ihr nicht. Die Mutter schob Susi unsanft in den Warteraum des kleinen Bahnhofs und ging zum Schalter. Der Schalter war geschlossen, die Mutter konnte keine Fahrkarte kaufen.

„Der nächste Zug fährt erst in zwei Stunden. So lange kann ich nicht warten. Du musst allein ins Kinderheim fahren.“

Susi war noch nie allein Zug gefahren. Und sie wusste auch nicht, wo das Kinderheim ist. Sie hatte schreckliche Angst, aber sie wagte nicht mehr zu sprechen. Nur leise Schluchzer schüttelten den kleinen Körper. Ihr tat der Kopf und der ganze Oberkörper weh, aber sie jammerte nicht.

„Du bist schmutzig!“, fuhr die Mutter das Kind an. „So verdreckt kannst du nicht ins Heim. Du blamierst mich nur.“

Susi schaute auf den Boden. Gern hätte sie gebettelt, dass es die Mutter noch einmal mit ihr versuchen sollte. Sie würde sich sofort waschen und aufpassen, dass sie sich nie nie wieder schmutzig macht. Aber sie fühlte sich zu schwach dazu. Die große Angst vor der Trennung hatte sie völlig gelähmt. Und so konnte sie sich gar nicht richtig freuen, als die Mutter sie wieder mit nach Hause nahm.

So wie Susi aus dem Kindergarten davonlief, so lief ihr kleiner Bruder daheim weg und schnurstracks in den Kindergarten. Aber er war erst zwei Jahre alt und musste noch ein ganzes Jahr daheim bei der Mutter bleiben. Er wollte dort spielen, wo seine beiden großen Schwestern spielten und er wollte genauso aussehen wie seine beiden Schwestern. Deshalb mochte er seine Lederhosen nicht und zog sich am liebsten Röckchen an. Dem Vater war das peinlich, aber die Mutter lachte darüber.

Ein Jahr später gingen sie jeden Morgen gemeinsam in den Kindergarten: die Mutter, Susi, die Schwester und der kleine Bruder, und am Nachmittag gemeinsam nach Hause. Der Bruder kam in der jüngsten Gruppe, in der die Mutter Erzieherin war. Susi war stolz, in die große Gruppe zu gehen und bald in die Schule zu kommen. Aber die Ärztin sagte, dass Susi viel zu klein für die Schule wäre und noch ein ganzes Jahr im Kindergarten bleiben müsse.

„Ich will aber in die Schule! Ich will! Ich kann schon zählen und rechnen. Ich will nicht im Kindergarten bleiben“, empörte sich Susi.

Sie verstand nicht, was so schlimm daran war, kleiner als die anderen Kinder zu sein.

Eines Tages nahm die Mutter Susi an die eine Hand und in die andere einen Koffer. Das kannte Susi schon. Aber so viel sie auch nachdachte, sie wusste nicht, was sie dieses Mal falsch gemacht hatte. Außerdem lief alles anders ab als sonst, die Mutter schimpfte nicht. Sie sagte mit ruhiger Stimme: „Susi, du musst zur Kur, weil du zu klein bist.“

„Aber dafür kann ich doch nichts!“ empörte sich Susi. „Warum muss ich dann weg?“

„Weil das die Ärztin im Kindergarten so bestimmt hat. Und kleine Kinder müssen immer machen, was Erwachsene sagen.“

Das war Susi vollkommen klar, aber es gefiel ihr nicht. Trotzdem weinte sie nicht, es hatte sowieso keinen Zweck, weil doch immer gemacht wurde, was die Erwachsenen wollten.

Die Mutter fuhr mit Susi in die Stadt. Am Busbahnhof standen viele Kinder mit ihren Eltern und ihren Koffern. Susi wunderte sich, dass es so viele Kinder gibt, die nun alle mit ihr ins Kinderheim mussten. Einigen Kindern schien das nichts auszumachen, denn sie schauten nicht so ängstlich wie Susi, sie lachten sogar.

Die Mutter sagte zu einer Frau: „Susanne Schmidt mit dt.“ Dann gab sie Susi den Koffer, schob sie in Richtung Bustür und rief: „Viel Spaß, meine Große.“

Susi setzte sich ans Fenster. Auf der Seite, auf der draußen am Bus die Eltern standen, war kein Platz mehr. Das war Susi nur recht. Sie hätte es nicht ertragen, ihre Mutter so fröhlich winken zu sehen wie all die anderen Mütter.

Meine Große hatte sie die Mutter genannt. Dabei hatte sie vorhin noch gesagt, dass Susi viel zu klein sei und deshalb zur Kur muss. Susi wusste nicht, was zur Kur bedeutet.

„Warst du schon mal zur Kur?“, wollte das Mädchen wissen, das neben ihr saß.

Susi schüttelte den Kopf.

„Wo ist das denn?“

„Am Meer. Das Meer heißt Ostsee. Und dort gibt es nur Wasser.“

„Oh! Das kenne ich. Ich war schon einmal an der Ostsee im Urlaub. Aber das ist nicht

schlimm.“

„Natürlich nicht.“

„Und was ist zur Kur?“

„Kur ist wie Urlaub, aber nur für Kinder.“

„Im Kinderheim, oder?“

Das Mädchen zuckte mit der Schulter. Es

wusste nicht, was Susi damit meinte.

Susi dachte während der endlos langen Fahrt an die See an ihren ersten Urlaub mit den Eltern.

Die Mutter erklärte wenige Tage vor der Abfahrt: „Die Ostsee ist so ein riesengroßer See, dass man nichts anderes mehr sieht außer Wasser. Das ist ganz ganz wunderschön.“

Dabei lachte die Mutter, aber Susi glaubte ihr nicht. Sie konnte sich keinen Ort vorstellen, der nur aus Wasser besteht. Aber weil die Mutter sich so über das viele Wasser freute, hatte Susi eine wundervolle Idee. Sie drehte den Wasserhahn in der Küche auf, steckte den Stöpsel ins Becken und beobachtete, wie das Becken voll lief. Nach einer Weile schwappten die ersten Tropfen über den Beckenrand auf den Fußboden. So langsam entstand eine kleine Pfütze, die immer größer wurde. Die beiden Geschwister kamen aus dem Kinderzimmer und Susi erklärte ihnen, dass sie jetzt eine Ostsee bastelt, damit sich die Mutti freut. Die Schwester drehte bereitwillig den Wasserhahn in der Toilette auf. Das kleine Waschbecken dort lief schneller voll als die große Gosse in der Küche und bald trafen sich die Pfützen der Küche und die Pfützen der Toilette im Flur. Der kleine Bruder setzte sich erfreut auf den Fußboden und platschte mit seinen Händen vergnügt im Wasser.

Da ging die Tür auf und die Mutter kam vom Einkauf zurück. Sie ließ ihre Beutel fallen und schrie: „Was ist denn hier los?“

„Wir spielen Ostsee!“, jubelte Susi.

Im gleichen Moment schlug ihr die Mutter fest ins Gesicht.

„Ins Bett mit dir! Sofort!“

Susi verstand die Welt nicht mehr, aber sie zog sich schnell aus und kroch unter ihre Bettdecke.

Der Urlaub an der Ostsee war für Susi eher eine Enttäuschung. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber ihr schien es daheim viel schöner. Vor allem, weil sie daheim draußen spielen durfte, zu den Nachbarskindern laufen, lärmen, springen. Das alles war im Urlaub nicht erlaubt.

Sie wohnten alle fünf zusammen in einem schönen großen Zimmer mit einem Waschbecken darin. Die Toilette war auf dem Gang. Gegessen wurde in einem anderen Haus in einem großen Saal. Susi durfte nicht rennen und bei Tisch nicht sprechen. Der Weg zum Strand war recht weit. Der Vater trug den kleinen Bruder und die Badesachen, die Mädchen liefen links und rechts an der Hand ihrer Mutter.

Als Susi das Meer zum ersten Mal sah, war sie regelrecht geschockt. So viel Wasser hatte sie sich auch bei größter Fantasie nicht vorstellen können.

„Da ganz weit hinten stößt das Wasser an den Himmel an“, rief Susi erschrocken.

„So weit ist das gar nicht“, erklärte der Vater. „Weil hier alles so flach ist, siehst du nur drei Kilometer. Das ist ungefähr so weit wie vom Anfang bis zum Ende unseres Dorfes.“ Der Vater hob Susi auf den Arm. „Ein Schiff!“, jubelte Susi. „Jetzt kommt ein Schiff.“

„Das Schiff war vorhin schon da. Aber weil du so klein bist, hast du es nicht gesehen. Jetzt auf meinem Arm kannst du so weit schauen wie von unserem Haus bis fast zur Stadt.“

Verwundert schüttelte Susi ihren Kopf. Dann fiel ihr etwas ein. „Ah! Wenn ich im Gras sitze, sehe ich nur die Laube. Aber wenn ich auf den Kirschbaum klettere, kann ich alle Nachbargärten sehen.“

„So ist es“, stimmte der Vater zu. „Und wenn wir auf einen hohen Berg steigen würden, könnten wir hundert Kilometer weit sehen oder sogar noch weiter.“

Das gefiel Susi. Sie mochte es, wenn sie weit gucken und vieles sehen konnte. Am Strand gab es weiter nichts als Wasser, Sand und Menschen zu sehen. Die Mutter legte sich in einen Strandkorb und die beiden kleinen Geschwister buddelten im Sand. Das mochte Susi nicht. Der Vater nahm sie ab und zu mit zum Wasser. Es war erschreckend viel Wasser, kaltes Wasser. Susi durfte nur ganz am Rand bleiben, weil das Wasser schnell sehr tief wurde, zu tief für ein kleines Mädchen, das nicht schwimmen konnte. Susi langweilte sich, ihr fehlten der Wald und die schönen Wanderungen an den Wochenenden daheim im Gebirge.

Die Kur an der Ostsee war für Susi nicht so schlimm wie befürchtet. Ihr gefiel, dass sie mit den anderen Kindern jeden Tag bei jedem Wetter lange Spaziergänge machte. Am schönsten fand sie es, wenn sie nicht am langweiligen Strand entlangliefen, sondern in das kleine Wäldchen gingen. Ansonsten war sie eher traurig, weil sie auch hier im Kurheim Fleisch essen und obendrein ekligen Lebertran und Malzextrakt schlucken musste. Die meisten Kinder waren nicht älter als Susi und ebenfalls zu dünn. Sie sollten in diesem Kurheim aufgepäppelt werden.

Nach dem Mittagessen und nach dem Abendessen schickte man alle Kinder sofort ins Bett. Die Betten standen in einem riesengroßen Schlafsaal. Eine Erzieherin lief genau wie im Kindergarten von einem Bett zum anderen und kontrollierte, ob alle Kinder die Augen geschlossen hatten.

Einmal in der Woche mussten die Kinder duschen. So etwas kannte Susi nicht. Daheim gab es keine Dusche, sondern unten im Waschhaus eine große Wanne für die Wäsche. Jeden Freitag badete die Mutter ihre Kinder in dieser Wanne. Dazu musste der Vater vorher den Kessel mit Wasser füllen und einheizen, damit das Wasser warm wurde.

Den Duschraum im Kurheim musste man nicht heizen, jedenfalls entdeckte Susi keinen Ofen darin. Der Raum war bis zur Decke weiß gekachelt und hatte kein Fenster. Die Erzieherin schob eine ganze Gruppe Kinder hinein und stellte von außen das Wasser an, das alles sofort in weißen Dampf hüllte und Susi überhaupt nichts mehr sehen konnte. Sie umklammerte mit ihrer Hand fest die Seife, damit sie nicht wegflutschte, und seifte ihre Arme und Beine und auch die langen Haare ein. Dabei lief Seifenlauge in ihre Augen, was schrecklich brannte.