Liebeslügen - Petra Weise - E-Book

Liebeslügen E-Book

Petra Weise

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Beschreibung

LIEBE - wahre Liebe, vorgespielter Liebe, enttäuschte Liebe, betrogene Liebe - das alles verbirgt sich unter dem Sammelbegriff Liebeslügen. Die Glückseligkeit, die in einer Katastrophe endet. 15 Mal wird feinfühlig, grob, tiefgründig, oberflächlich geliebt, getäuscht, gelitten, gelebt. Man kennt solche Geschichten, aber man glaubt sie nicht und weiß doch, dass sie wahr oder zumindest möglich sind. Alle.

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Möglicherweise gibt es Ereignisse, die sich genauso oder so ähnlich zugetragen haben wie von mir erzählt.

Vielleicht glauben auch einige Leute, sich in den Personen meiner Geschichten zu erkennen.

Aber das wäre reiner Zufall, denn ich habe alle fünfzehn Liebeslügen frei erfunden.

Petra Weise

Inhaltsverzeichnis

Das fremde Kind

Internet

Silberhochzeit

Meine Schwiegertochter

Kammermusik

Meine Lehrerin

Der neue Anwalt

Ein ungewöhnlicher Vorschlag

Die richtige Wahl

Gegensätze

Allein

Nicole

Mein netter Nachbar Dennis

Lebensabend

Ein mögliches Ende

Das fremde Kind

„Wer ist denn dieser süße Fratz?“, fragt mich meine Freundin Astrid. Sie zeigt auf den kleinen Tim, der im Gitterbett liegt und mich anlacht.

„Der Jüngste meiner Freundin Ute.“

Tim streckt seine Arme in die Luft. Mehr kann er nicht tun, denn er steckt von der Brust bis zu den Knien festgezurrt in einem Körperkorsett, in dem er sich nicht bewegen kann. Ich schlage die Decke zurück und zeige auf das Bündel aus Plastik, Haken und Gurten. Astrid hält sich vor Schreck die Hand vor den Mund.

„Du liebe Zeit! Was es alles gibt. Muss der arme Kleine den ganzen Tag da drin stecken?“

„Ja. Auch nachts. Noch volle zwei Monate. Aber zum Windeln, Waschen und Umkleiden darf ich das Monstrum hier öffnen.“ Ich zeige mit der Hand auf einen breiten Haken und seufze. „Vielleicht bekommt der Kleine später, wenn er laufen lernt, so eine Stütze für die Beine. Aber das hat noch Zeit.“

„Wie alt ist er denn?“

„Letzten Dienstag ein Jahr geworden.“

„Da müsste er längst krabbeln und die ersten Schritte tun.“ Astrid seufzt. Ich sehe ihr an, wie leid ihr der Kleine tut. „Wie kommt es, dass er bei dir ist?“

„Weißt du.“ Ich überlege, wie ich die Katastrophe formulieren soll. „Ute ist alleinerziehend. Ihr Mann hat sie noch vor den Sommerferien sitzen lassen.“

„Mit einem kranken Kind?“

Ich nicke. „Es kommt noch schlimmer. Ute hat noch zwei Kinder. Seit es Tim gibt, haben Ute und ihr Mann nur noch Streit. Ich vermute sogar, dass der Kleine der Scheidungsgrund ist.“

„Weil er krank ist?“

„Möglich. Jedenfalls hat Utes Mann einfach seine Sachen genommen, ist ausgezogen und hat die Scheidung eingereicht.“

„Und wie geht es Ute?“

„Ich weiß nicht so recht. Nach außen wirkt sie ruhig und gefasst, als wäre es nicht so tragisch für sie, dass ihr Mann sie verlassen hat. Aber auch sie hat offenbar Probleme mit Tim. Vielleicht gibt sie dem kranken Kind die Schuld für das Ende ihrer Ehe. Unbewusst natürlich.“

Ich öffne den Haken, der das Gestell zusammenhält, und binde die vier Gurte auf. Tim strampelt mit den Beinen und quietscht vor Vergnügen. Ich nehme ihm die Windel ab und hebe Tim aus dem Bettchen. Er krallt sich in meinen Pulli und patscht mit der freien Hand in mein Gesicht.

Ich passe oft auf Tim auf. Er ist ein ruhiges und immer zufriedenes Kind. Im Sommer war es nicht so einfach mit ihm, als das Gestell noch neu war und an vielen Körperstellen drückte und die zarte Babyhaut wund rieb. Mein Mann Ingo und ich behielten den Kleinen während der gesamten Schulferien. Das war kein Problem, denn Ingo ist Lehrer, hatte sowieso frei und somit Zeit für den Kleinen. Unser Kindergarten ist während der Schulferien ebenfalls drei Wochen geschlossen, für die anderen drei Wochen nahm ich Urlaub, damit sich Ingo nicht allein um das Kind meiner Freundin kümmern muss. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ute erst einmal Abstand braucht, Abstand von ihren Sorgen um das kleine kranke Kind und um das Ende ihrer Ehe. Mit den zwei älteren Kinder hat sie genug zu tun. Sie fuhr mit ihnen wie geplant an die Ostsee und danach bis zum Ferienende zu ihrer Mutter nach Thüringen.

Eigentlich wollten wir ebenfalls zwei Wochen wegfahren. Ich hatte mich schon auf das bereits gebuchte Ferienhäuschen direkt am Strand auf Usedom gefreut. Aber meine Freundin Ute brauchte mich erst einmal dringender – Urlaub kann ich mein ganzes Leben noch genug machen. Ich war sehr überrascht und vor allem erfreut, als sich Ingo sofort bereit erklärte, auf unseren Urlaub zu verzichten und sich statt dessen mit mir um den kranken Tim zu kümmern. Ich bin mächtig stolz auf meinen Mann.

„Was macht Ute eigentlich?“ will Astrid wissen.

„Sie hat sich frei stellen lassen, weil sie für den Kleinen hier keinen Kitaplatz bekommt, so lange er das Gestell noch tragen muss. Später könnte er zu mir in den Kindergarten, wir haben einige integrierte Plätze, ich habe schon mit der Leiterin gesprochen.“

„Wo ist eigentlich Ingo?“ wundert sich Astrid.

„Bei Ute.“

„Nanu? Was macht er denn bei ihr?“

„Er hilft ihr bei allem, was ein Mann im Haushalt besser kann als eine Frau.“

„So so.“ Astrid lacht.

„Außerdem baut Ingo für Utes Großen eine Landschaft für seine Eisenbahn – es ist doch bald Weihnachten.“

„Und Utes Mann? Macht der gar nichts für seine Kinder?“

„Ich weiß nicht, Ute spricht nicht darüber. Vielleicht will sie es nicht. Ich kann mir vorstellen, wie verletzt sie ist.“

„Die Männer sind echt gemein. Wie kann man eine Frau mit drei kleinen Kindern sitzen lassen – noch dazu, wenn das Jüngste schwer krank ist? Ich verstehe das nicht.“

„Das versteht keiner. Das kann man auch nicht verstehen. Dieter ist eben ein echtes Arschloch. Stell dir vor, dieser Mistkerl hat sogar bei mir angerufen und versucht, Ute mies zu machen.“

„Wie das?“

„Ja, sie wäre falsch und ich würde sie schon noch kennenlernen. Ich fand das unverschämt und habe ihn gar nicht ausreden lassen. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr. Ist auch besser so.“

„Wollte er sich bei dir einschleimen?“

„Keine Ahnung. Schließlich weiß er, dass ich Utes Freundin bin.“

„Weiß er, dass dein Mann Ute hilft?“ Astrid schaut auf ihre Armbanduhr. „So lange? Es ist schon fast neun Uhr.“

„Ja, er kann mit der Bastelei erst anfangen, wenn die Kinder im Bett sind.“

„Wäre es nicht einfacher, er würde die Eisenbahn hier bei euch in der Wohnung bauen?“

„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber weißt du, ich bin froh, dass überhaupt jemand Ute hilft. Eigentlich bin ich richtig stolz auf Ingo, hätte ich ihm gar nicht zugetraut.“ Ich lächle Astrid an.

„Hast du nicht Angst, dass zwischen den Beiden was läuft?“

„Wie meinst du das?“

„Du weißt schon. Wenn die zwei so oft zusammen sind.“ druckst Astrid.

Jetzt bin ich richtig sauer. Astrid ist nicht die Erste, die das Thema anspricht. Etwas schärfer als gewollt gebe ich zurück: „Wie kannst du so primitive Gedanken haben? Es ist besser, du gehst jetzt. Es ist schon spät und ich muss Tim noch baden.“

Als Tim wieder in seinem Bettchen liegt, setze ich mich daneben, streichle den Kleinen und singe: „Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.“ Tim schließt die Augen und schläft sofort.

Ute ist meine allerbeste Freundin. Ich lernte sie über Ingo kennen, denn sie sind beide Lehrer und unterrichten in der gleichen Schule, Ingo Mathematik und Ute Sport und Biologie.

Zuerst war Ute nur eine gute Kollegin von Ingo, aber sie wurde immer mehr meine Freundin. Ich merkte schnell, wie sympathisch sie ist und wie viele Gemeinsamkeiten wir haben. Seit der Trennung von ihrem Mann kommt sie fast täglich zu mir. Wir können über alles reden, stundenlang. Ute kann mich mitten in der Nacht anrufen. Ich werde immer Zeit für sie und ihre Probleme haben.

Ich bin jedenfalls sehr stolz auf meinen Mann, weil er sich so selbstlos um meine alleinerziehende Freundin und ihre Kinder kümmert. Und ich freue mich sehr über seine schier unendliche Geduld mit dem kleinen Tim. So kleine Kinder ist Ingo nicht gewöhnt, er unterrichtet die Großen ab der fünften Klasse.

Ich hätte selbst sehr gern ein Kind, aber Ingo will keine Kinder. Er meint, dass wir beide durch unseren Beruf täglich stundenlang Kinder um uns haben und er nicht auch noch daheim Kinder ertragen könnte. Vielleicht hat er Recht.

Doch seit der kleine Tim so oft bei uns ist, habe ich meine Meinung geändert. Ich kann mir ein Leben als Familie mit Kind wieder sehr gut vorstellen. Wir könnten uns die Elternzeit teilen und ich das Kleine nach einem Jahr mit in den Kindergarten nehmen. Wir haben eine Gruppe mit sechs Babys. Ich wäre immer in der Nähe.

Am nächsten Tag sitzen wir gemeinsam am Abendbrottisch. Ich habe kleine Schnittchen und einen Feldsalat mit Mandarinen gemacht und eine Flasche Rotwein dazugestellt.

Ingo setzt sich zu mir, öffnet die Flasche und gießt uns ein. Er lächelt mich an. „Was feiern wir denn?“

Ich lächle zurück und greife nach Ingos Hand.

„Sollten wir nicht noch einmal über ein eigenes Kind sprechen?“

„Wozu? Es ist alles gesagt.“

„Ich möchte so gern ein Baby.“

„Du weißt, dass ich keine Kinder mag.“

„Das glaube ich dir nicht. Dann wärst du nicht Lehrer geworden. Außerdem brauche ich dich nur anzuschauen, wie wunderbar du mit Tim umgehst. Du bist ein idealer Vater.“

„Ich habe dir gesagt, ich will kein Kind und damit gut. Mir reicht es!“

Die letzten Worte hat Ingo sehr scharf gesagt. Er steht auf und geht aus der Küche. Ich höre, wie er sich seinen Schlüssel nimmt und die Wohnungstür zufällt. Schnell laufe ich in den Hausflur und rufe ihm nach: „Wo gehst du hin?“ „Zu Ute. Hab´s ihr versprochen.“

Jetzt sitze ich wieder allein hier. Ich schalte den Fernseher an und zappe mich durch die Programme. Ingo schaut nicht gern fern, er liest lieber. Ich mag Reportagen über ferne Länder oder französische Filme. Im Grunde bin ich froh, dass Ingo nicht wie andere Männer stundenlang vor dem Fernseher klebt und Sport schaut. Er mag überhaupt keinen Sport. Schon wandern ist ihm zu sportlich. Den Urlaub verbringt er am liebsten am Strand. Ich mag das Meer ebenfalls, aber ich möchte nicht den ganzen Tag wie Ingo untätig herumliegen. Ich sehe mir lieber die Stadt an, die Kirchen und Museen. Ich möchte in ein Hotel und mich verwöhnen lassen und viel sehen. Ingo reicht ein einfaches kleines Zelt, das er irgendwo aufschlägt und wo er bleiben kann, ohne etwas zu tun außer Lesen. Er würde beim Lesen sogar die Mahlzeiten vergessen, wenn ich nicht aufpasse.

Ich mag kein Zelt, keine Luftmatratzen, keine feuchten Kleider aus Koffern und Kisten. Ich mag es bequem. Deshalb fährt Ingo manchmal allein mit seinem Zelt in irgendeinen Wald oder an irgendeinen See. Meist übers verlängerte Wochenende bis zum Montag, denn Montags hat er seinen Studientag und muss nicht in die Schule.

Mir macht das nichts aus, die Wochenenden allein zu verbringen. Ich bin ganz gern mal allein. Wenn Ingo diese Ausflüge braucht, um glücklich zu sein, soll es mir recht sein.

Ingo spricht nicht viel. Das kommt sicher daher, dass er in der Schule so viel reden muss. Anfangs wollte ich immer über alles sprechen, alles gemeinsam klären. Aber ich merkte schnell, dass dies Ingo nicht gefiel. Er denkt lieber für sich nach – ganz allein. Und wenn er zu einem Ergebnis gekommen ist, dann teilt er es mir mit. Das ist nicht einfach für mich, weil ich nie weiß, wie er zu dieser Lösung gekommen ist, was seine Gründe sind. Sollte ich Einwände oder Fragen haben, dann muss ich sie für mich behalten, denn für ihn ist die Sache fertig und bedarf keiner Diskussion.

In einem Punkt ist er besonders eigen: Ingo besteht auf seinem eigenen Konto. Er bezahlt von seinem Lehrergehalt die Miete, ich muss nur die alltäglichen Dinge übernehmen wie Lebensmittel und Toilettenartikel. Den Rest kann ich sparen oder für Kleider ausgeben.

Leider ist er ein sogenannter Sexmuffel. Vielleicht hängt das mit meinem Kinderwunsch zusammen und er fühlt sich gedrängt. Vielleicht ist es, weil wir schon drei Jahre verheiratet sind und der Alltag wohl die Liebe braucht, aber keinen Sex. Anfangs hat es mich gewundert, dass Ingos Lust immer mehr nachließ und er seit einiger Zeit sogar auf der Luftmatratze in seinem Arbeitszimmer schläft. Er sagt, für ihn ist das bequem – fast so schön wie in seinem geliebten Zelt. Mich stört das nicht.

Auf jeden Fall ist Ingo mir treu. Mir ist das sehr wichtig. Ich weiß, dass ich ihm völlig vertrauen kann. Er schaut nicht einmal den Frauen auf der Straße hinterher.

Angenehm ist, dass wir uns nie streiten. Es gibt kein Geschrei wie bei anderen Paaren – wie bei Ute zum Beispiel. Ute hat ein sehr heftiges Temperament und schrie ihren Mann oft an – und der schrie genauso heftig zurück. Mit Ute könnte Ingo nie zusammenleben.

Dienstag. Ich will nach der Arbeit noch Lebensmittel besorgen und fahre zum Supermarkt in der Schönherrstraße, in dem ich gern einkaufe. Ich stehe an der Ampelkreuzung, die Ampel zeigt Rot, ich schaue mich um. Da sehe ich Ingo und Ute direkt auf mich zukommen. Ich hupe und winke, aber die beiden sehen mich nicht.

Jetzt hupt es hinter mir. Die Ampel ist inzwischen grün. Ich fahre nicht wie geplant geradeaus, sondern biege nach rechts ab und halte direkt neben Ingo und Ute. Sie sehen mich immer noch nicht. Sie stehen eng umschlungen keine zwei Meter von mir entfernt. Dann lösen sie sich voneinander, halten sich aber an den Händen fest und schauen sich an. Es ist ein sehr inniger Blick, das kann ich deutlich sehen. Jetzt küssen sie sich. Ute muss ihren Kopf fast in den Nacken legen, um Ingo in die Augen zu schauen, weil er einen ganzen Kopf größer ist als sie.

Ich weiß nicht, was ich machen soll. Aussteigen? Natürlich muss ich jetzt aussteigen. Aber meine Beine sind wie Watte. Mir ist speiübel. Ich öffne die Tür, doch meine Beine gehorchen mir nicht. Ich lasse die Scheibe der Beifahrertür herunter und rufe: „Ingo!“ Meine Stimme klingt piepsig. Ingo hört mich nicht. Jetzt werde ich wütend. Der Zorn gibt mir Kraft und ich springe mit Wucht aus dem Auto. „Ingo!“ Laut und drohend.

Ingo dreht sich um, ganz langsam. Er lässt Utes Hand nicht los. Ute lächelt immer noch und schaut mich ganz ruhig an.

Ich stehe wortlos vor den beiden und hebe hilflos meine Arme.

„Gut.“ Ingo spricht langsam und gefasst. „Gut, dann muss ich nicht mehr viel sagen. Morgen ziehe ich aus, zu Ute.“

„Aber ...“

„Nein, du musst dich um nichts kümmern. Ich mach das schon. Am besten, du gehst morgen nach deiner Arbeit mal zu Astrid oder ins Kino. Da treten wir uns nicht auf die Füße.“

„Aber ...“

„Schon gut. Jetzt müssen wir weiter.“

Ingo winkt mir kurz zu, dreht sich um und geht, Utes Hand in seiner.

Ich setze mich ins Auto. Mein Herz hämmert so stark in meiner Brust, dass ich das Pochen körperlich spüre. Ich habe einen dicken Kloß im Hals und fürchte, keine Luft zu kriegen. Was soll ich jetzt tun? Ich verstehe das nicht ganz. Die beiden sind ein Paar? Seit wann? Ingo ist ein Ehebrecher. Er hat eine Affäre mit Ute. Nein, keine Affäre. Er will zu seiner Geliebten ziehen, er will mit ihr leben. Und wieso Ute? Sie ist meine beste Freundin. Sie WAR meine beste Freundin. Wie soll es jetzt weitergehen? Was passiert, wenn Ingo tatsächlich auszieht?

Mit einem Mal ergeben die vielen Abende, die Ingo bei Ute verbrachte, einen ganz anderen Sinn. Aber wie stellt sich Ingo sein Leben mit Ute vor? Er mag laute Frauen nicht. Und er sagt, dass er daheim keine Kinder erträgt, sondern seine Ruhe braucht. Weiß er nicht, was er tut? Oder hat er mich all die Jahre über angelogen?

Zu Astrid möchte ich jetzt nicht gehen, auch morgen nicht. Sie hat geahnt, dass mit Ingo irgendetwas nicht stimmt. Sie hat mich direkt gefragt, ob er ein Verhältnis mit Ute hat. Mir fällt ein, dass Astrid nicht die Einzige war, die Ingo eine Affäre mit Ute zutraute. Alle unsere Freunde waren misstrauisch. Oder haben sie sogar etwas gewusst? Wieso ist mir gar nichts aufgefallen?

Morgen habe ich Spätdienst und muss bis 18 Uhr im Kindergarten bleiben. Das trifft sich gut. Dann ist Ingo weg, wenn ich nach Hause komme.

20 Uhr. Ich war nach der Arbeit noch einkaufen und wollte anschließend beim Italiener eine Pizza essen. Aber sie schmeckte nicht. Ich bekam kaum einen Bissen runter. Jetzt muss ich nach Hause, gleichgültig, was mich dort erwartet.

In der Wohnung ist es dunkel. Ich schalte das Licht an. Der Flur sieht seltsam aus. Jetzt merke ich, dass er völlig leer ist. Die große Truhe ist weg, auch der antike Garderobenschrank. Ich gehe in die Küche. Dort sieht alles aus wie immer – die zwei Kaffeetassen von heute Morgen stehen im Spülbecken. Ich setze mich auf den Stuhl, stehe wieder auf, nehme ein Glas aus dem Regal und fülle es mit Wasser direkt aus dem Wasserhahn. Eigentlich brauche ich jetzt ein Glas Wein. Oder noch besser: einen Schnaps. Im Kühlschrank steht keiner mehr. Auch im Korb ist keine einzige Flasche. Habe ich so schlecht aufgepasst und vergessen, neuen Likör und Whisky zu besorgen? Oder hat etwa Ingo alle Reserven mitgenommen?

Ich gehe ins Bad. Es sieht leer aus. Ingos Utensilien fehlen, sein Shampoo, sein Deo, sein Duschbad, sein Kamm, der ewig voller Haare war. Und es fehlt das Rollo und sogar der Vorhang. Ich gehe durch die ganze Wohnung und schaue in jedes Zimmer. Nirgendwo hängen Gardinen vor den Fenstern, sogar die Stangen wurden abmontiert. Auf dem großen Bett liegen alle meine Kleider übereinander, die Wäsche, die Blusen, die Hosen – alles. Der große Kleiderschrank ist weg. Das Bücherregal fehlt und sämtliche Bücher ebenfalls. In der Ecke liegt meine Gitarre.

Wie in Trance hebe ich sie auf, setze mich auf die Bettkante und streiche mit der rechten Hand über die Seiten.

Jetzt muss ich doch noch weinen.

Alles ging so schnell, doch das ist gut so. Ich habe keine Zeit zum Nachdenken, konzentriere mich auf meine Arbeit und gestalte an den Abenden meine Wohnung um. Wir hatten bisher keine Stube, weil Ingo ein Arbeitszimmer brauchte. Dieser Raum ist nun leer. Ich habe ihn sonnengelb tapeziert und ein kleines Sofa und einen Couchtisch gekauft. Auch ein neues Bücherregal. Nur die Bücher fehlen noch, stattdessen stehen einige Vasen drin und zwei Bilder mit Sonnenblumen, die ich vorgestern gemalt habe. Und ich habe jetzt wieder einen Fernseher. Ingo mochte keinen Fernseher, aber unseren aus dem Schlafzimmer hat er trotzdem mitgenommen.

Ich hoffe, dass Ingo mit Ute glücklich wird. Man kann die Liebe nicht erzwingen, das ist mir klar geworden. Das einzige, was ich nach wie vor nicht verstehen kann, ist, dass die Beiden mich so belogen haben. Darüber denke ich oft nach, obwohl mir das auch nicht weiterhilft.

Einen Monat später liegt Post in meinem Briefkasten. Eine Ansichtskarte mit einem hübschen Fachwerkhaus drauf und ein Brief von der Wohnungsverwaltung. Darin werde ich aufgefordert, umgehend meine Mietschulden der letzten sechs Monate zu begleichen, da ich bei Nichtzahlung bis zum dritten Arbeitstag im nächsten Monat meine fristlose Kündigung erhalte und mit einer Zwangsräumung rechnen muss. Das muss ein Irrtum sein, denn ich habe für diesen Monat pünktlich bezahlt. Bis zum letzten Monat hat Ingo unsere Miete wie vereinbart überwiesen. Oder nicht? Ich stehe allein im Mietvertrag – das weiß ich genau.

Bevor ich die Wohnungsverwaltung anrufe, setze ich mich an den Küchentisch und lese die Karte.

Auf der Karte steht: „Urlaubsgrüße aus dem Harz. Uns tut alles sehr leid, Du warst uns eine gute Schwiegertochter. Schade, dass Du keine Kinder wolltest. Aber nun haben wir in Tim endlich den ersehnten Enkel und sind überglücklich, zumal er Ingo wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Alles Gute für Dich wünschen Hartmut und Isolde.“

Internet

„Sollen wir nicht zusammenziehen?“, säuselt Christine.

„Lustiger Gedanke“, über den er kichern muss.

„Willst Du?“, fragt sie weiter.

„Geht nicht.“

„Warum?“

„Ich kann hier nicht weg.“

„Aber ich. Ich kann zu Dir kommen.“

Was sollte er auf diesen Unsinn antworten? Christine hat oft seltsame Einfälle, aber einfach so hier aufkreuzen kann sie nicht. Und schon gar nicht hier einziehen. Er kennt sie überhaupt nicht, sie spielen nur zufällig die gleichen Spiele im Internet. Und sie chatten täglich – wie jetzt im Augenblick. Aber das sind nur Albernheiten, nichts Ernstes.

„Basti?“

„Bin noch da.“

„Warum antwortest Du nicht?“

„Ich muss weg. Tschau.“

„Denk drüber nach.“

Darüber wird er nicht nachdenken – auf gar keinen Fall. Außerdem ist seine Wohnung viel zu klein für zwei Personen: in der winzigen Küche und dem sehr schmale Bad kann sich kaum eine Person drehen. Die Stube ist der schönste Raum mit drei Fenstern über Eck Richtung Südwesten mit wunderbarem Blick über die ganze Stadt. Die Schlafstube ist in Ordnung, aber er hat nur ein normal breites Bett – für einen reichlich, für zwei zu schmal.

Bett - will sie etwa mit in sein Bett?

Er merkt, dass er nun doch darüber nachdenkt, ob Christine in seine Wohnung passt. Möglicherweise passt sie in seine Wohnung, aber sie passt sicher nicht zu ihm. Zumindest nicht zu ihm in die Wohnung. Er weiß nicht einmal, wie sie aussieht. Auf dem Foto im Internet sieht sie sympathisch aus. Aber er hat so seine Zweifel, ob tatsächlich Christine darauf abgebildet ist. Dass sie gelb gefärbte, glatte Haare hat, stört ihn nicht weiter. Braune Locken sind ihm zwar lieber, aber die Haarfarbe ist ihm nicht wirklich wichtig. Außerdem spielt sie bei einer Internet-Bekanntschaft sowieso keine Rolle. Die Stimme ist ihm wichtiger, falls er eines Tages mit ihr reden sollte. Das wird aber nie passieren, denn Christine wohnt irgendwo im Schwarzwald, das ist sicher 500 Kilometer oder noch weiter entfernt von Chemnitz.

Was will Christine überhaupt in Chemnitz? Er lebt eben nicht in einer Stadt, die so beliebt ist wie Hamburg, Berlin oder München, wo die Leute wohnen wollen. Hier in Chemnitz will keiner wohnen. Er dagegen lebt gern hier, hier fühlt er sich wohl, hier ist es schön.

Außerdem lebt Christine in einer Beziehung. Da kann sie nicht einfach dort aus dem warmen Bett heraus und in seines steigen. Er merkt, dass er immer noch über Christines Vorschlag nachdenkt und ärgert sich darüber.

Er lernte Christine vor einem knappen Jahr im Internet kennen. Sie spielten das gleiche Strategiespiel. Schon am zweiten Tag schickte sie ihm private Grüße: „Schön, dass Du da bist“ und „Ich muss weg, gute Nacht.“. Es dauerte nicht lange und sie begann, ihm an den Tagen, an denen sie nicht mitspielte, zu fehlen. Und bald wurden aus den kurzen Grüßen längere Nachrichten, fast wichtiger und lustiger als das Spiel selbst. Mit der Zeit erfuhr er immer mehr aus Christines Leben.

Sie lebt mit einem Mann zusammen, der an einen Rollstuhl gefesselt ist. Außerdem wohnt der Vater des behinderten Mannes in der gleichen Wohnung. Christine ist die Haushaltshilfe der Beiden und bekommt dafür außer Kost und Logis noch 400 Euro Bargeld. Zusätzlich trägt sie am Morgen, wenn die beiden Männer noch schlafen, Zeitungen aus.

Das wäre nichts für ihn. Außerdem braucht er keine Putzfrau. Er braucht überhaupt keine Frau. Er ist froh, dass er allein lebt und seine Ruhe hat, keine Verantwortung, keine Einschränkung. Er kann tun, was er will und wann er es will und mit wem er es will. Er kann ohne nachzudenken in den Tag hinein leben. Er kann im Bett bleiben. Er kann hinaus gehen. Er kann jeden Tag etwas anderes versuchen und ist niemandem Rechenschaft schuldig.

Eine Frau schränkt die Freiheiten drastisch ein, das ist allgemein bekannt. Und ein Kind käme sowieso nicht in Frage.

Christine hat zwei Kinder, aber die scheinen schon älter zu sein oder beim Vater zu leben, sie hat nie näheres darüber geschrieben und bisher hat es ihn auch nie interessiert.

Zwei Tage später blinkt sein Briefkasten. Er klickt ihn an.

„Ich muss hier weg. SOFORT!!!“

„Was ist passiert?“

„Der Typ will mich heiraten.“

„Na und?“

„Er geht mir an die Wäsche.“

„Vom Rollstuhl aus?“

„Ich ….“

Danach kommt keine Post mehr, vier Tage lang.

Er überlegt, was passiert sein kann. Hat Christine sich geärgert? Ihm kann es gleichgültig sein, es ist ihr Problem. Schließlich sorgt er sich doch, als sie auch am fünften Tag nicht online ist, und schreibt ihr.

„Chris, ist alles in Ordnung? Melde dich.“

Statt einer Antwort erscheint eine lange Nummer mit der Unterschrift „Chris“. Weiter nichts. Im gleichen Moment schaltet sich Christines Status auf offline. Mechanisch greift er zum Handy und wählt die Nummer.

„Basti, bist Du´s?“ Die flüsternde Stimme klingt ängstlich.

„Chris?“

„Warte! Gleich kann ich reden. In einer Stunde, ja?“ Es klickt. Christine hat aufgelegt.

Was soll das jetzt wieder? Für derartige Spielchen hat er keine Nerven und schon gar keine Lust. Außerdem hasst er es, wenn sie ihn Basti nennt. Das klingt nach einem Vorschulkind.

Eine Stunde später klingelt sein Handy. Er kennt die Nummer nicht und drückt sie weg. Es klingelt wieder. Er drückt die Taste und nimmt das Gespräch an, ohne sich zu melden.

„Basti? Ich bin´s, Christine.“ Ihm ist sofort klar, dass sie seine Nummer nach seinem Anruf speicherte. Nun braucht sie darum nicht mehr zu bitten.

„Du wolltest mich sprechen?“

Spinnt sie jetzt? Wütend faucht er: „DU hast mir die Nummer geschickt, also wolltest DU mich sprechen.“

„Ja. Und ich bin dir so sehr dankbar, dass du angerufen hast. Vorhin konnte ich nicht reden.

Mein Mitbewohner stand neben mir.“

„Na und?“

„Er weiß von dir. Aber er weiß nicht, dass ich ihn verlassen werde.“

Er überlegt, worauf sie hinaus will. Sagte sie nicht, dass der Rollstuhlfahrer ihr Arbeitgeber ist? Das heißt, sie kann jederzeit ganz normal kündigen. Jetzt spricht Christine davon, ihn zu verlassen. Was soll das?

„Ich halte es hier nicht mehr aus. Ich komme zu dir.“

„Du kannst nicht zu mir kommen. Meine Wohnung ist viel zu klein und ich kenne dich gar nicht.“

„Das ist nicht wahr, Basti. Wir kennen uns fast ein Jahr.“

„Kennen ist was anderes.“ Er atmet geräuschvoll aus.

„Ich bleibe nicht lange, nur ein paar Tage, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe.“

Er weiß nicht, wie er aus dieser Situation wieder heraus kommt. Er will keine Frau in seiner Wohnung. Es war noch nie eine Frau in seiner Wohnung. Jedenfalls nie länger als eine Nacht.

„Basti, ich bitte dich. Ich flehe dich an, hilf mir!

Ich weiß nicht, wo ich hin soll. Ich muss heute noch weg.“

„Heute?“, fragt er schockiert.

„Ich habe meine Tasche schon im Auto. Bitte, Basti, gib mir deine Adresse!“

Verärgert läuft er in seiner Wohnung hin und her. Vom Schlafzimmer in die Stube und zurück. Dann wirft er sich seine Jacke über und geht zum Supermarkt zwei Straßen weiter. Dort kauft er Brot, Käse, Pralinen und eine Flasche Sekt. Wieder daheim packt er Sekt und Käse in den Kühlschrank. Dann nimmt er einen großen Müllsack und stopft alle herumliegenden Zeitungen, Zeitschriften, drei Pizzaschachteln und mehrere leere Flaschen hinein, leert die Aschenbecher und holt frische Handtücher aus dem Schrank. Vom Sessel und den zwei Stühlen sammelt er gebrauchte Socken und Hemden und zwei T-Shirts ein und steckt sie gleich in die Waschmaschine. Er schaut sich um und ist zufrieden. Die vielen Zettel auf seinem Schreibtisch schiebt er zusammen und legt sie in eine Briefablage. Dann geht er in die Dönerbude schräg gegenüber und bestellt sich einen doppelten Döner mit Käse, dazu ein Bier. Er trinkt gleich aus der Büchse, obwohl er das normalerweise überhaupt nicht mag. Heute hat er keine Lust auf ein Gespräch mit Kadir, er hebt nur grüßend die Hand und geht raus auf die Straße. Er fragt sich, worauf er sich da eingelassen hat. So viel Nähe erträgt er nicht. Er hält die Leute auf Abstand und sucht sofort das Weite, wenn einer diesen Abstand durchbrechen will.

In spätestens einer Stunde wird diese Christine hier sein. Er selbst hat kein Auto, das braucht er hier in der Stadt auch nicht. Ihm fällt ein, dass er noch seinen Namen am Klingelschild neben der Haustür anbringen muss, das hat er bisher nicht für nötig gehalten. Erfreut darüber, dass er weiß, was er jetzt machen soll, geht er nach Hause und fertigt das Schild an. Es passt nicht. Also schreibt er mit einem dicken Stift einfach „Bastian“ direkt auf die Plastik.

Es klingelt. Er drückt den Summer und läuft die zwei Treppen hinunter. Christine hat für ihren kleinen Suzuki Wagon einen Parkplatz direkt vor der Haustür gefunden. Sie lacht ihn an und umarmt ihn herzlich. Das war einfach. Er hatte sich so viele Gedanken über die Begrüßung gemacht. Schnell greift er den Koffer und die große Tasche, Chris trägt ihre Handtasche, den Kosmetikkoffer und einen großen Lederbeutel. Sie zeigt mit der Hand auf eine Kiste, die noch im Kofferraum steht und sagt: „CDs und DVDs und mein Bettzeug.“

Jetzt erst sieht er, dass im Auto keine Rücksitze sind, sondern eine zusammengerollte Matratze, obenauf ein großer blauer Müllsack, aus dem Christines Bettzeug hervorlugt. Es sieht aus, als hätte sie schon mehrmals in diesem kleinen Van übernachtet, wie ein Zigeuner.

Er nickt, dreht sich um und trägt die Koffer nach oben. Er zeigt Christine, wo sie ihre Taschen abstellen kann und geht noch einmal ans Auto, um nacheinander die Kiste und den Sack mit dem Bettzeug raufzuschleppen.

„Hast du Hunger?“

Christine schüttelt den Kopf. Plötzlich fängt sie an zu weinen. Was soll er jetzt tun? Er geht zu ihr, nimmt sie in den Arm und klopft ihr beruhigend auf den Rücken. Dann zieht er sie zum Sofa. Christine schmiegt sich sofort an seine Schulter und krallt ihre Hände in seinen linken Unterarm.

„He! Ich laufe nicht weg. Ich wohne hier.“

Christine schaut ihn an und lacht. Sie hat ein nettes Lachen. Und sie sieht tatsächlich so aus wie auf ihrem Foto im Internet: ein slawisch breites, ungeschminktes Gesicht mit hohen Wangenknochen und wasserblauen Augen, glatte, halblange blonde Haare und einen etwas zu breiten Mund mit dicken Lippen. Nicht besonders hübsch, aber auch nicht unangenehm. Ihm gefällt, was er sieht. Ihm gefällt auch, dass Christine ganz normal gekleidet ist, Jeans, einen blauen Pulli, darüber eine schlichte dunkle Jacke, flache Schuhe. Nicht so aufgebrezelt wie die meisten Frauen, die er kennt. Christine ist etwas fülliger als er sich vorgestellt hatte, aber das stört ihn nicht. Und sie scheint älter zu sein als er selbst. Ihm fällt ein, dass sie noch nie über ihr Alter gesprochen hatten.

„Magst du Sekt? Ich habe extra zur Begrüßung eine Flasche Metternich besorgt.“

Christine nickt und wischt sich mit dem Ärmel die letzten Tränen weg.

Sie haben die ganze Nacht geredet. Irgendwann ist Christine auf dem Sofa eingeschlafen. Er breitet ihre Decke über sie aus, geht ins Bad und dann ins Bett. Wider Erwarten kann er sofort einschlafen.

Als er am nächsten Morgen wach wird, duftet es nach Kaffee. Der Tisch in der Stube ist hübsch gedeckt. Also hat sich Christine in der Küche bereits umgesehen und zurechtgefunden. In einem Korb liegt Toastbrot, er muss also jetzt keine frischen Brötchen holen.

„Guten Morgen. Schon auf?“

Bastian lässt sich gleich im Schlafanzug auf den Stuhl fallen. Er sieht ihren aufgeklappten Laptop auf dem Sofa und schaut Christine fragend an.

„Ich habe einen Stick und kann mich über mein Handy einwählen.“

Bastian nickt.

„Und ich habe schon nach Arbeit gesucht. Bei Flott und Sauber könnte ich sofort anfangen, heute noch.“

Bastian zuckt mit der Schulter. „Willst du etwa putzen gehen?“

„Warum nicht? Das ist ein leichter Anfang. Ich habe früher schon geputzt, in Reinigungsfirmen werden immer Leute gesucht. Wenn alles klappt, suche ich mir eine eigene Wohnung und du bist mich wieder los.“

Er nickt wieder.

Christine zeigt ihm den Stadtplan auf dem Bildschirm, worauf zwei rote Fähnchen Start und Ziel anzeigen.

„Ich könnte das Auto nehmen oder mit dem Stadtbus fahren. Die Linie 21 hält fast hier vor dem Haus und direkt vor der Firma.“

Ihn beeindruckt es sehr, dass diese Frau weiß, was sie will und selbst handelt. Er muss sich keine Sorgen machen. Insgeheim ist er trotzdem ein wenig enttäuscht, dass sie seine Hilfe nicht braucht.

Christine trägt ihre Jeans und einen dunkelroten Pulli, ihre Haare hat sie mit einem kleinen Kamm zusammengesteckt. Sie sieht gut aus, kompetent und tüchtig und wird den Job bekommen.

„Hast Du einen Schlüssel für mich? Oder bist du am Nachmittag hier, wenn ich zurück bin?“

„Ich werde da sein.“