Ronco - Die Tagebücher 09 - Verdammt zum Sterben - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 09 - Verdammt zum Sterben E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Die Postkutsche stand quer auf dem staubigen Weg. Die Gespannpferde lagen tot am Boden. Über dem Peitschenhalter hing der Oberkörper des Kutschers. Die maskierten Männer umringten den Fahrgast. Einer trug eine helle Kette – eine Kette aus Menschenzähnen.Ein Schuss krachte. Der Fahrgast kippte zur Seite.Ich sah das alles aus meiner Deckung wie in einem bösen Traum und wusste, dass mein Schicksal ebenfalls besiegelt war. Noch vor einer Stunde war ich sicher gewesen, wieder einen festen Platz im Leben gefunden zu haben. Ein neues Zuhause. Auf einer Postkutschenstation am Arkansas River.Aus. Vorbei. Die Wirklichkeit hatte mich eingeholt. Ich war wieder der Waisenjunge ohne Zukunft – und ich würde es bleiben.Dieser Band enthält folgende RomaneVerdammt zum Sterben (17)Wilde Blume (18)Die Texte wurden vom Autor überarbeitetDie Printausgabe umfasst 254 Buchseiten

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

Dietmar Kuegler

Zum Sterben verdammt

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-158-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Verdammt zum Sterben

27. April 1879.

Über Colorados Bergen wird es Nacht. Lobo und ich rasten im Schutz einiger Pecan-Bäume. Wir sind nicht allein. Unterwegs haben wir einen Jungen aufgesammelt, dessen Alter man nicht bestimmen kann. Ein bedauernswertes Wesen. Er ist verkrüppelt, kann kaum richtig laufen und nicht mehr als zehn Wörter sprechen. Er wird gesucht, genau wie ich. In der letzten Stadt, in der wir waren, haben wir erfahren, dass er einen Doppelmord begangen haben soll. Dann tauchte er plötzlich vor uns aus der Wildnis auf. Verdreckt, hungrig, abgehetzt und durstig. Ich glaube nicht, dass er ein Mörder ist. Darum haben wir ihn mitgenommen, auch wenn wir einen Haufen Ärger kriegen können, wenn wir mit ihm erwischt werden. Aber hätten wir ihn einfach in der Wildnis lassen sollen?

Er ist völlig hilflos und verängstigt, ausgestoßen und allein. Ich muss an meine eigene Kindheit und Jugend denken, wenn ich zu ihm hinüberschaue. Ich hatte das Glück, gesund und stark zu sein. Mich hatte das Leben hart werden lassen. Aber auch ich war allein, fühlte mich ausgestoßen und häufig genug auch hilflos. Es gab niemanden, der mir beistand. Ich musste mich allein durchbeißen. Dazu ist dieser Junge nicht in der Lage. Trotz aller Schicksalsschläge, die ich bisher hinnehmen musste, sehe ich nun, wie dankbar ich sein kann, dass ich immer stark genug war, mich zu behaupten. Vielleicht ist das der Grund, dass ich dem verkrüppelten Jungen helfen will.

Zwanzig Jahre ist es her, dass ich ziel- und haltlos durch das Land irrte. In Kansas war ich in die Auseinandersetzungen zwischen Sklaverei-Gegnern und Sklaverei-­Befürwortern geraten und war am Ende froh, mit heiler Haut davonzukommen.

Damals, im Sommer 1859, stand ich wieder am Anfang, an einem Anfang, der mir fast wie ein Ende erschien. Trotzdem gab ich nicht auf. Ich hatte nichts zu erwarten und wusste selbst nicht, wie es weitergehen sollte. Aber ich war schon damals überzeugt, dass der Sinn des Daseins nicht darin besteht, auf den Tod zu warten. Man muss versuchen, sein Leben zu bestehen, auch wenn es noch so schwer ist. Das glaubte ich damals schon, und das trieb mich weiter, allen Widrigkeiten zum Trotz, die mir begegneten.

1.

Das heisere Schreien großer Krähen tönte mir entgegen. Ich blieb stehen und hob die flache rechte Hand über die Augen, zum Schutz gegen die stechenden Sonnenstrahlen.

Die Krähen kreisten über einem Punkt im Hügelland. Ab und zu stießen einige Vögel hinunter, dann tauchten andere vom Boden auf und schlossen sich dem kreisenden Schwarm an.

Shita neben mir knurrte leise. Ich warf einen raschen Seitenblick auf den großen, mageren Bastardhund, der mich seit meinem Abenteuer mit den Freistaatlern begleitete. Seine Ohren waren kurz, seine Schnauze spitz, sein braun-schwarz geflecktes Fell dicht. Das Schönste an ihm waren seine Augen, die groß, rund und ungemein ausdrucksstark waren. Ich hatte ihn Shita genannt, nach meinem ersten Pferd, das ich bei den Apachen besessen hatte. Ich war froh, dass er da war, dass ich nicht allein sein musste. Seine Anwesenheit war für mich mittlerweile selbstverständlich geworden. Einen besseren, treueren Freund als ihn konnte ich mir nicht wünschen.

Ich zögerte einen Moment, dann lenkte ich meine Schritte auf die Stelle zu, über der die Krähen schwebten.

Ein milder Wind strich von Südwesten heran, und die Sonne hatte fast den Zenit erreicht, als ich auf eine ausgefahrene Wagenstraße stieß. Schwaden heißer Luft standen zwischen den Hügeln, die auch der Wind nicht aufzulösen vermochte. Feiner Staub erhob sich unter meinen Füßen, und die Schreie der Krähen wurden immer lauter, je mehr ich mich ihnen näherte.

Shita sprang an mir vorbei und blieb auf einem Hügelkamm stehen. Er knurrte wieder, und seine Nackenhaare hatten sich gesträubt. Wenig später sah auch ich die Kutsche.

Es war eine wuchtige, gut gefederte Concord-Kutsche mit einem Vierergespann. Die Gespannpferde waren tot.

Die Kutsche stand seitlich vom Weg am Fuße eines Hügels. Im kniehohen Gras des Hügelhangs lagen die vier Pferde. Auf Augen und Nüstern saßen Hunderte von Fliegen. Auf den Leibern der toten Tiere hockten die Krähen. Ihr Krächzen war jetzt fast ohrenbetäubend. Ein süßlicher Gestank von Blut und Tod schlug mir entgegen.

Die Deichsel war gebrochen, sie stand aufrecht wie ein mahnender Zeigefinger. Zögernd setzte ich mich in Bewegung und ging auf den Wagen zu. Shita folgte mir.

Neben der Kutsche lagen Gepäckstücke, aufgerissene Koffer und Kisten, ein zerbeulter Hutkarton. Dazwischen lagen die toten Passagiere.

Als Erstes entdeckte ich eine Frau in mittleren Jahren. Sie war dunkel gekleidet und hielt noch im Tode einen Sonnenschirm mit der rechten Hand fest umklammert. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen. Eine Kugel hatte die Stirn durchschlagen, und überall an ihrem Kopf klebte verkrustetes Blut.

Unmittelbar neben ihr lag ein junger Mann im Gras. Er war städtisch gekleidet. Seine Augen waren weit aufgerissen, in den gläsern schimmernden Pupillen spiegelte sich der Himmel. Sein Hemd war einmal schneeweiß gewesen, jetzt war es blutgetränkt und wies zwei Kugellöcher auf.

Ich umrundete den Wagen. Shita bellte, und die Krähen auf den toten Pferden flatterten mit wütendem Gekrächze auf. Sie stürzten sich auf Shita, der wild nach ihnen schnappte, hackten nach ihm und zogen sich schließlich in höhere Regionen zurück, als ich einen Stein aufhob und nach ihnen warf. Eine Krähe traf ich. Sie taumelte in der Luft, fing sich aber und flog davon.

Hinter der Kutsche fand ich einen vierschrötigen, mittelgroßen Mann mit struppigem Vollbart, den ich für den Kutscher hielt. Sein speckiger, breitrandiger Hut lag neben ihm im Gras. Eine Kugel hatte ihn in den Hals getroffen und ihm vorher den halben Unterkiefer weggerissen. Schließlich stieß ich auf dem Hügel, an dessen Fuß der Wagen stand, auf eine vierte Leiche. Es handelte sich um einen gut gekleideten Mann von vielleicht vierzig Jahren, der offenbar eine Geldkatze getragen hatte. Ihm war das seidene Hemd zerfetzt worden. Die Hose hatte man ihm halb heruntergerissen. Ein paar Schritte neben ihm entdeckte ich tatsächlich den geleerten Geldgürtel.

Die Menschen waren seit mindestens fünf Stunden tot. Der Überfall musste am frühen Morgen stattgefunden haben. Ich versuchte, Spuren zu finden, aber die Banditen mussten auf der Overlandstraße davongeritten sein. Hier war der Boden zu hart, um Spuren aufzunehmen.

Die Sonne stand jetzt senkrecht über den Hügeln. Der Wind schwächte ab. Die Hitze wurde unerträglich, und der Gestank von Blut, Tod und Verwesung verstärkte sich noch. Ich warf einen Blick ins Innere der Kutsche. Auf dem Boden war ein eingetrockneter Blutfleck. Eine Revolverkugel hatte das Polster der hinteren Sitzbank aufgerissen.

Ich wandte mich ab. Mein Magen hob sich. Ich konnte den Gestank der Leichen nicht mehr ertragen. Ihr Anblick selbst schreckte mich nicht. Ich hatte schon viele Leichen gesehen. Der Tod gehörte zum Leben, das hatte ich bei den Apachen gelernt. Schlimmer noch: In jener Zeit begann ich daran zu zweifeln, dass ein Mensch an etwas anderem als an Gewalt sterben konnte. Ich hatte schon damals zu viel Mord und Totschlag gesehen.

Ich beeilte mich, den Ort des Überfalls zu verlassen. Shita folgte mir eilig. Er schien ebenfalls keine Lust zu haben, dort auch nur eine Sekunde länger zu verweilen als unbedingt nötig. Hinter uns stürzten sich mit lautem Gekrächze die Krähen wieder über das Aas. Ich floh beinahe vor ihren Schreien über die Hügel und war froh, als ich nach einiger Zeit einen Fluss vor mir auftauchen sah.

Es war der Arkansas River, dessen schlammige Fluten sich ostwärts wälzten. Er erinnerte mich an den Rio Grande, der aber noch breiter war. Ich hockte mich am Ufer nieder, schöpfte Wasser mit den hohlen Händen und trank. Dann wusch ich mir den Staub vom Gesicht. Shita stand neben mir und stillte ebenfalls seinen Durst. Als ich mich dann aufrichtete und zurückschaute, konnte ich über den Hügeln noch immer die Krähen kreisen sehen, und ich fror trotz der Mittagshitze.

*

Die Poststation lag auf einem Hügel oberhalb des Flusses. Es war eine kleine Station, die nur aus drei flachen Gebäuden bestand. Vom Hof aus führte ein breiter Weg zur Overlandstraße, die am Flussufer endete. An einem stabilen Anlegesteg lag eine flache, geräumige Fähre, die durch einen Eisenbügel mit einem Drahtseil verbunden war, das sich über den Fluss spannte.

Ich fuhr mit der Rechten in die Hosentasche. Darin klimperten noch zwei Silberdollar. Das war nicht viel, aber es reichte aus, um eine Mahlzeit zu finanzieren. Außerdem wollte ich den Überfall melden.

Ich lief auf die Station zu. Shita sprang neben mir her. Als wir den Hof erreichten, knurrte mein Magen bereits, und ich war froh, nicht lange nach etwas Essbarem suchen zu müssen.

Ich stieß die Tür auf und trat über die Schwelle. Da sah ich den Mann an der zehn Fuß langen Theke lehnen. Er war hager, mittelgroß, und in der Rechten hielt er einen langläufigen Revolver. Der linke Arm baumelte kraftlos herab, an den Fingern der linken Hand entlang tropfte Blut auf den Boden.

Hinter der Theke stand ein vierschrötiger, untersetzter Mann mit starkem Bauchansatz. Er hatte die Ärmel seines schmutzigen Hemdes bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, sodass seine wurstartigen, dicht behaarten Unterarme frei lagen. Er war bis zu einem Flaschen­regal zurückgewichen und starrte mit geweiteten Augen auf die Mündung des Revolvers, den der andere auf ihn gerichtet hielt.

Ich blieb stehen, und im nächsten Moment wirbelte der Mann an der Theke herum. Ich sah noch, dass er nicht nur am linken Oberarm verletzt war, sondern auch eine Kugel in die linke Seite erhalten hatte. Dann feuerte er bereits.

Ich ließ mich fallen, rollte geschmeidig über die ausgetretenen Fußbodendielen und ging hinter einem einfachen Tisch in Deckung, während Shita bellend hinter mir her schoss und mit dumpfem Knurren auf den Mann losjagte.

„Shita!“, schrie ich, während ich unter mein Hemd griff, um meinen Navy-Colt aus dem Hosenbund zu zerren.

Da war der Mann hinter der Theke bereits vorgesprungen, hatte eine Schrotflinte unter dem Tresen hervorgeholt und das Gewehr herumgeschwungen. Der Verletzte schoss, ohne Shita zu treffen, und als der Hund ihn ansprang, schwankte er und erhielt im nächsten Moment von dem Mann hinter der Theke einen gewaltigen Schlag mit dem Gewehrkolben auf den Schädel.

Der Revolver polterte aus seiner Hand zu Boden. Dann stürzte er selbst. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Gesicht hatte eine kalkige Farbe.

Ich richtete mich mit dem Navy in der Faust auf. Da lag der Mann bereits still. Aus seinem rechten Mundwinkel sickerte ein dünner Blutfaden. Shita stand knurrend und mit gefletschten Zähnen neben ihm. Als ich ihn rief, wich er steifbeinig zurück, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.

Er war tot.

„Verdammte Banditen.“ Der Mann hinter der Theke beugte sich über den Tresen, warf dann einen Blick auf mich und trat schließlich, die Schrotflinte locker in der Rechten, hinter der Theke hervor.

„Man ist hier nirgends mehr sicher.“ Er musterte mich wieder. „Wenn du nicht aufgekreuzt wärst, hätte er mich bestimmt abgeknallt. Ich sollte ihn verbinden. Und ein sauberes Bett wollte er haben, dieser Kerl.“ Er versetzte dem Toten einen Tritt, sodass die Leiche auf den Bauch rollte. „Wahrscheinlich ist das einer von den Strauch­dieben, die seit Wochen die Straßen verunsichern.“

„Ein Stück östlich von hier ist eine Kutsche überfallen worden“, sagte ich. „Alle sind tot.“

„Da haben wir’s.“ Der Mann walzte mit schweren Schritten auf mich zu und reichte mir seine fleischige Hand. „Wahrscheinlich war das dieser Kerl, und er hat dabei etwas abgekriegt. Mein Name ist Bogart, Jeff Bogart. Mir gehört die Station hier. Ich bin an die Kutschenlinie von Russel, Majors und Waddell angeschlossen, falls dir das was sagt.“

Es sagte mir nichts, aber ich sollte noch erfahren, dass das die größte Postkutschenlinie zu dieser Zeit im Westen war.

„Ich heiße Ronco“, sagte ich. „Ich bin nur hier, weil ich was essen wollte.“

„Kriegst du, kriegst du alles.“ Der Stationer stellte die Schrotflinte an die Theke. Er bückte sich und wuchtete die Leiche hoch, als sei sie federleicht. „Du bist mein Gast. Schließlich hast du mir geholfen.“

Er trug den Toten hinaus und kehrte wenig später mit einer Satteltasche zurück.

„Da siehst du es“, sagte er. „Er hat die Kutsche überfallen.“ Er öffnete die Tasche und holte eine Handvoll Schmuck und Dollarmünzen heraus. „Das ist der zehnte Überfall in drei Monaten auf dieser Strecke.“ Er verschloss die Satteltasche wieder und schaute mich einen Moment lauernd an. Sekundenlang hatte sein kantiges, großporiges Gesicht einen verschlagenen Ausdruck, der mich erschreckte und irritierte. Dann überzog ein strahlendes Lächeln seine Züge. „Du hast Hunger, wie? Und dein Hund auch. Setz dich. Ihr kriegt gleich was.“

Er eilte davon und verschwand durch eine Tür hinter der Theke. Ich rückte an dem Tisch, hinter dem ich in Deckung gegangen war, einen Stuhl zurück und setzte mich. Shita trottete von der Theke heran und ließ sich neben mir nieder. Die seltsame, nur Sekunden währende Veränderung des Stationers gab mir noch immer zu denken. Als er dann aber mit einem Tablett erschien, auf dem ein Teller mit einem dampfenden Steak stand, mit Kartoffeln und Bohnengemüse, schluckte ich mein Unbehagen hinunter. Ich war dem Mann schließlich fremd und sah gewiss nicht sehr vertrauenerweckend aus. Meine Kleidung war ziemlich mitgenommen, mein Schuhwerk löste sich langsam in seine Bestandteile auf. Ein erster Bartflaum bedeckte meine Wangen, und meine Kleidung war voller Staub. Außerdem war ich ziemlich hohlwangig, denn ich hatte in den letzten Wochen selten regelmäßig gegessen. Wahrscheinlich wirkte ich in meiner sehnigen Magerkeit wie ein junger Wolf.

„Die Postkutsche hat der Kerl also überfallen“, sagte der Stationer. Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch, nachdem er Shita eine Schale mit Wasser hingestellt und einen großen Knochen auf den Boden gelegt hatte. „Das muss heute Morgen gewesen sein. Die Kutsche hat nach Sonnenaufgang die Station verlassen.“

„Die Leichen waren kalt“, sagte ich. „Und die Krähen hatten die Pferde schon ganz schön übel zugerichtet.“

„Diese Kerle kennen keine Rücksicht.“ Der Stationer lehnte sich zurück. „So war es bei jedem Überfall. Von den Fahrgästen ist nie einer mit dem Leben davongekommen.“

Ich aß mit großem Appetit. Das Steak war gut, zartes Fleisch, nicht ganz durchgebraten, nur das Bohnen­gemüse schmeckte etwas holzig.

„Ich werde den Überfall wohl an die Zentrale der Postlinie nach Missouri melden müssen“, fuhr Bogart fort. „Die werden schön toben. Wahrscheinlich schicken sie mir einen Agenten her, der überall herumschnüffelt.“

Als ich kauend den Kopf hob und ihn anschaute, bemerkte ich wieder den mir unverständlichen lauernden, verschlagenen Ausdruck in seinem Gesicht.

„Wo kommst du her?“

„Von Westen“, sagte ich.

„Ah.“ Er musterte mich noch immer lauernd. „Von zu Hause weggelaufen?“

„Ich habe keine Eltern“, sagte ich.

„Das ist hart.“

„Man kann es ertragen.“

„Wovon lebst du?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ab und zu habe ich gearbeitet“, sagte ich.

„Hast du was gegen Arbeit?“

„Nein“, sagte ich. „Aber ich hatte immer eine Menge Pech. Das letzte Mal wurde der Mann umgebracht, für den ich gearbeitet habe.“

„Ich bin ganz allein hier“, sagte Bogart. „Ich könnte eine Hilfskraft gut gebrauchen. Überleg dir mein Angebot. Ich weiß nichts von dir, ich frag auch nicht viel. Du hast mir geholfen, als ich in der Klemme steckte. Das genügt mir. Jeden Tag satt zu essen und im Monat zwölf Dollar Lohn. Ich denke, das ist anständig.“

Ich erwiderte seinen abwartenden Blick, während ich das letzte Stück Fleisch in den Mund schob und kaute. Das Angebot war wirklich nicht schlecht. Ich war das ständige, unstete Herumziehen leid. Ich brauchte einen Platz, wo ich Fuß fassen konnte. Der Stationer mochte ein bisschen merkwürdig sein, aber mir waren, seit ich gewaltsam aus der Welt der Apachen fortgeschleppt worden war und mir meinen Weg in der Welt der Weißen neu suchen musste, schlimmere Männer begegnet. Jeff Bogart sah aus, als ob man es mit ihm aushalten könne.

„Ich bleibe“, sagte ich. Der lauernde Ausdruck in seinem Gesicht verschwand, und Bogart zeigte wieder ein strahlendes Lächeln. Wahrscheinlich war er im Laufe der Jahre, die er hier in der Einsamkeit verbracht hatte, misstrauisch geworden. Anders konnte ich mir sein seltsames Verhalten nicht erklären. Ich beschloss, nicht länger darüber nachzudenken.

„Freut mich“, sagte er, und er schien es tatsächlich so zu meinen. „Ich habe hinten im Haus eine kleine ­Kammer, in der du mit deinem Hund wohnen kannst. Ich denke, wir werden miteinander auskommen.“

„Das denke ich auch.“ Ich stand auf und ergriff die rechte Hand, die Bogart mir entgegenstreckte. Sein Hände­druck war kräftig und vertrauenerweckend.

„Wir fahren gleich los, um die Toten und die Kutsche zu bergen“, sagte er. „Vorher zeige ich dir deine Kammer.“

Ich folgte ihm, als er den Aufenthaltsraum durch eine Hintertür verließ. Shita hielt sich dicht neben mir. Er trug seinen Knochen quer im Maul.

2.

Die Krähen schrien, die Krähen kreischten, die Krähen krächzten. Es waren Hunderte, als Bogart, ich und Shita den Platz des Überfalls erreichten. Der Himmel war schwarz von Krähen. Sie hockten im Geäst einiger weniger Bäume, sie hüpften zwischen den Toten umher, sie schwebten satt und faul und träge oder auch hungrig, gierig, wild vom süßlichen Blutgeruch am Himmel, nur darauf wartend, dass ihnen die am Boden hockenden Tiere wieder einen Platz überlassen würden.

Bogart feuerte mit seiner Schrotflinte einen Schuss in die Luft. Da stoben die hässlichen Vögel auf, umkreisten wütend unseren Wagen und zogen sich zurück, nachdem Bogart einen zweiten Schuss abgab, mit dem er zwei Krähen erwischte.

Wir stiegen ab und rollten die Leichen in einfache Pferdedecken, bevor wir sie aufluden. Wir schafften die Toten zur Station, wo wir sie sofort unweit vom Flussufer begruben. Danach holten wir die Kutsche. Die toten Gespannpferde ließen wir den Krähen zum Fraß liegen.

Die Arbeit nahm den ganzen Nachmittag in Anspruch. Bogart stellte, während wir die Gräber zuschaufelten, ab und zu ein paar belanglos wirkende Fragen. Wie lange ich schon in der Gegend sei, wollte er wissen, und ob ich womöglich etwas von dem Überfall gesehen hätte. Danach wich das Lauernde in seiner Haltung mehr und mehr. Ich begann mich zu fragen, ob er etwas zu verbergen hätte, vergaß die Sache dann aber wieder.

Nach dem Abendessen fiel ich todmüde ins Bett. Ich war sogar zu müde, richtig darüber nachzudenken, dass ich wieder ein neues Zuhause hatte, dass es wieder einen festen Pol in meinem Leben gab. Nicht mal meine Kammer hatte ich mir richtig anschauen können. Ich wusste nur, dass sie einfach und sauber eingerichtet war und man gut darin wohnen konnte. Dann schlief ich ein.

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, war ich bereits auf den Beinen. Eine Postkutsche war von Süden eingetroffen. Der Kutscher hatte am anderen Ufer des Arkansas angehalten und einen Schuss abgefeuert. Ungewaschen und mit bleiernen Gliedern war ich in meine Hose geschlüpft und mit Jeff Bogart zur Fähre hinuntergegangen.

Feine Nebelschwaden schwebten über dem Wasser, als wir die flache Fähre betraten. Die Bohlen knarrten unter unseren Schritten. Ich löste die Vertäuung, und Bogart stellte sich ans Ruder. Fast lautlos glitt der flache Kahn durch die Wellen. In der Mitte des Stromes zerrte die Strömung hart an uns, sodass sich das Drahtseil, an dem der Eisenbügel der Fähre entlanglief, mit singendem Ton straffte. Wenig später stießen wir gegen den Anlegesteg am anderen Ufer. Die Kutsche rollte auf den Kahn, der ein wenig schwankte und tiefer ins Wasser eintauchte. Während ich Bremsklötze unter die Räder legte, stieß Bogart schon wieder ab. Zehn Minuten darauf fuhr die Kutsche an Land und hielt auf dem Hof der Station an.

Der Kutscher erzählte, dass er auf der Fahrt durch das Indianerterritorium dreimal überfallen worden sei. Im Holz des Wagens steckten noch die abgebrochenen Schäfte einiger Pfeile. Ein Fahrgast war verletzt und stieg mit bleichem Gesicht aus der Kutsche.

Wir wechselten die Pferde. Nach einer halben Stunde fuhr die Kutsche bereits wieder weiter. Bogart hatte dem Fahrer einen Bericht über den Überfall vom Vortag mitgegeben.

Ich versorgte die abgetriebenen Pferde, und als ich damit fertig war, rollte die nächste Kutsche auf die Station. Sie kam von Osten und fuhr westwärts weiter bis nach Colorado, auf derselben Route, auf der gestern der Überfall stattgefunden hatte.

Danach wurde es ruhig. Bogart sagte, dass erst in zwei Tagen wieder eine Kutsche einträfe und die Fähre nur selten von einzelnen Reisenden benutzt würde. Es sei manchmal verdammt eintönig und langweilig auf der Station, deswegen sei er froh, jetzt Gesellschaft zu haben.

„Früher war ich Farmer“, sagte er, als wir, nachdem wir die zweite Kutsche abgefertigt hatten, zusammen­saßen und aßen. Er hatte sich nicht rasiert, und ein dichter Stoppelbart bedeckte sein Kinn und seine Wangen. „Das war ein Hundeleben. Vor fünf Jahren habe ich die Hütten hier gebaut, und die Postlinie hat vor drei Jahren alles gemietet. Außerdem zahlen die mir einen guten Lohn und haben mir die Fähre finanziert. Reich kann man hier nicht werden, aber es geht mir besser als früher.“

„Und wie versorgen Sie sich?“, fragte ich.

„Du kannst Jeff sagen“, sagte er. Er kratzte sich am linken Unterarm und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Ein paar Mal im Jahr fahre ich nach Fort Dodge, das sind dreißig Meilen. Dort kann man einkaufen. Und was ich dort nicht kriege, bestelle ich durch die Kutscher. Die Gesellschaft schickt mir dann das, was ich brauche.“

„Hast du nie geheiratet?“

„Nein“, sagte er. „Es gibt nicht viele Frauen, die hier draußen in der Einsamkeit hausen wollen.“ Er schaute mich neugierig an. „Bist du wirklich ein Waisenkind?“

„Sicher. Ich bin bei Mönchen aufgewachsen, und später habe ich unter Apachen gelebt.“

„So was habe ich mir fast gedacht.“ Er erhob sich. „Du siehst ganz schön hart aus. Aber du passt hierher, das habe ich sofort gesehen. Und arbeiten kannst du auch. Ich bin froh, dass du geblieben bist.“

„Ich auch“, sagte ich.

„Eine halbe Meile nördlich von hier ist ein Wald. Ich habe dort ein paar Fallen ausgelegt. Leicht zu finden. Willst du nachsehen, mit deinem Hund?“

Ich nickte, schob meinen leeren Teller weg und trank den Rest Kaffee aus der dickwandigen Tasse, die vor mir stand. Dann richtete ich mich auf und rief nach Shita. Wenig später hatte ich die Station hinter mir gelassen und lief durch das Hügelland nordwärts.

Shita tollte ausgelassen neben mir her. Manchmal, wenn ich einen Ast im Gras liegen sah, bückte ich mich und schleuderte ihn durch die Luft. Dann jagte Shita hinterher, brachte ihn zurück, verteidigte ihn knurrend, wenn ich versuchte, ihn wieder wegzunehmen, und versteckte ihn unter Büschen.

Es war leicht, den Wald zu finden, und auch die Fallen waren nicht besonders schwer zu entdecken. Jeff Bogart hatte sie alle dicht am Waldrand ausgelegt. Es waren insgesamt fünf. Drei waren leer, in den beiden anderen hatten sich junge Präriehasen gefangen. Ich band sie mit einem Lederriemen zusammen und hängte mir die Beute über die linke Schulter. Nachdem ich die Fallen wieder hergerichtet hatte, trat ich den Rückweg an.

Die Sonne stand bereits weit im Westen. Kein Windhauch regte sich, und noch lag die Schwüle des Tages über dem Land. Die Luft war drückend und stickig.

Während ich mit Shita zum Fluss zurück schritt, dachte ich, dass ich es hätte schlechter treffen können. Jeff Bogart behandelte mich gut, teilte die Arbeit gerecht auf und fragte nicht viel. Ich hatte eine eigene Kammer und erhielt satt zu essen. Mehr konnte ich nicht verlangen.

Die Station tauchte vor mir auf. Unterhalb der Hütten schimmerten die Wellen des Arkansas golden in der Sonne des Spätnachmittags. Auf dem Stationshof stand ein Pferd mit hängenden Zügeln. Unwillkürlich lief ich etwas schneller.

Außer Atem erreichte ich die Station und überquerte den Hof. An einem Fenster des Hauptgebäudes blieb ich stehen und warf einen Blick ins Innere. Wie angewurzelt verharrte ich. Ich sah Jeff Bogart an der Theke stehen. Er lehnte mit dem Rücken dagegen und stützte sich mit beiden Ellenbogen an der Oberkante des Tresens ab. Er war blass und redete auf einen Mann ein, der ihm gegenüberstand und den ich nur von der Seite sehen konnte. Ich hörte Bogarts Stimme, ohne verstehen zu können, was gesprochen wurde. Die Stimme klang hell vor Nervosität.

Der Fremde sagte nichts. Er lauschte Bogarts Worten in drohender Haltung, und unvermittelt ging er auf ihn los.

*

Der Mann war ein halben Kopf größer als Bogart und genauso breit. Er wirkte erheblich geschmeidiger und bewegte sich leichtfüßig wie eine Wildkatze. Seine Haut war von der sengenden Sonne gebräunt. Ein ungepflegter Bart bedeckte sein Kinn und seine Oberlippe.

Er trug ein rotes Hemd, und auf seiner Brust baumelte eine helle Kette, eine Kette aus Zähnen, die ganz so aussahen, als stammten sie von Menschen.

Bogart duckte sich. Er wollte zur Seite wegspringen. Der Fremde versperrte ihm den Weg und schlug zu. Seine rechte Faust traf Bogart krachend an den linken Kinnwinkel. Der Stationer taumelte und stürzte hart gegen die Theke zurück. Im nächsten Moment grub sich die linke Faust des Fremden in seinen Leib. Bogart krümmte sich unwillkürlich zusammen, riss die Arme vor den Unterleib und wurde von einem Hieb gegen die Stirn zu Boden geschleudert.

Mit an den Leib gezogenen Knien, das Gesicht hinter den fleischigen Armen verborgen, lag der schwere Mann auf den staubigen Dielen. Der Fremde stand breitbeinig über ihm und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt.

Ich wandte mich vom Fenster ab und ging zur Tür. Meine Füße waren schwer wie Blei. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ich unter mein Hemd nach dem Griff meines Navy-Colts tastete. Aber ich fand ihn nicht, und mir fiel ein, dass ich die Waffe in meiner Kammer gelassen hatte. Leise fluchend blieb ich zögernd vor der Tür stehen.

Warum hatte Bogart nicht einmal den Versuch unternommen, sich zu wehren? Er musste den Mann kennen, der ihn zusammengeschlagen hatte. Ich streckte meine Rechte nach der Türklinke aus und öffnete die Tür lautlos.

„... bringe ich dich um“, hörte ich den Fremden sagen. Seine Stimme hatte einen unangenehmen Klang.

„Das tust du nicht noch einmal“, sagte Bogart. Er hatte den Oberkörper halb aufgerichtet und stützte sich mit beiden Händen auf die rauen Bodendielen. Er hatte den Kopf gehoben und starrte den Fremden, den ich jetzt nur von hinten sehen konnte, hasserfüllt an. Er bemerkte nicht, dass die Tür sich geöffnet hatte, dass ich auf der Schwelle stand. Shita stand neben mir, hatte die Zähne gefletscht, gab aber seltsamerweise keinen Laut von sich.

„Ich lasse mir nichts mehr gefallen. Mein Risiko ist auch so schon groß genug.“ Bogart kam bis auf die Knie hoch. „Ich bin der Erste, der den Kopf hinhalten muss.“

Der Mann vor ihm riss unvermittelt sein rechtes Bein hoch und trat mit dem schweren Reitstiefel nach Bogarts Kopf. Diesmal reagierte der Stationer. Er warf sich zur Seite und fing den Tritt mit beiden Händen ab. Trotzdem wurde er nach hinten geschleudert, aber er hielt den Stiefel des Fremden fest umklammert und riss ihn mit.

Der Mann verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer zu Boden. Keuchend richtete Bogart sich auf. In diesem Moment bemerkte er mich.

Sein von den Schlägen des Fremden gezeichnetes Gesicht verzerrte sich für einen Moment. Er strich sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn und versetzte dem am Boden liegenden Mann einen Tritt.

„Steh auf“, sagte er, „und mach, dass du rauskommst.“

Der Mann erhob sich. Er sah mich, und sein Verhalten wirkte auf einmal völlig verändert. Er warf schweigend einen Blick auf den Stationer und hob dann seinen hellen Hut auf, den er beim Sturz verloren hatte. Er musterte mich mit eisgrauen Augen, stülpte sich den Hut auf den Kopf und ging zur Tür.

Shita knurrte ihn an. Der Mann ging ihm aus dem Weg und verließ das Haus. Ich verstand gar nichts mehr. Als ich wieder zu Bogart hinüberschaute, lehnte der an der Theke und hatte den Kopf in die linke Hand gestützt. Er atmete schwer. Von draußen klang Hufschlag herein. Der Fremde sprengte davon.

„Was war los?“ Ich ging zur Theke und warf die beiden toten Hasen auf den Tresen.

„Schon wieder so ein Halunke“, sagte Bogart. Er umrundete die Theke, stellte ein Glas darauf, griff nach einer Flasche und schenkte sich rötlich schimmernden Whisky ein.

„Was hast du gehört?“

„Nicht viel. Wer war das?“

Bogart trank und musterte mich stumm über den Rand des Glases hinweg. Hinter seiner Stirn arbeitete es.

„Ein Strauchdieb“, sagte er, als er das Glas abgesetzt hatte. „Er treibt sich oft in der Gegend herum. Hast du die Kette gesehen, die er trägt?“

„Ja.“

„Menschenzähne“, sagte Bogart. „Richtige Menschenzähne. Immer wenn er hier auftaucht, hängen mehr daran. Er behauptet, dass er steckbrieflich gesuchte Männer jagen würde.“

„Warum hat er dich geschlagen?“

„Er – nun, er wollte Kredit bei mir. Er ist abgebrannt. Er hat gedacht, ich gebe ihm umsonst Proviant und Munition.“

Ich schwieg, und Bogart schien die Zweifel in meinen Augen zu bemerken.

„Ich kenne ihn ganz gut“, beeilte er sich zu versichern. „Er rastet immer bei mir, bevor er weiter nach Fort Dodge reitet. Deswegen hat er wohl gedacht, mich ausnehmen zu können. Aber ich denke gar nicht daran, so einem Kerl etwas zu geben. Vielleicht wird er morgen schon erschossen, und ich habe das Nachsehen.“

Ich sagte noch immer nichts, was ihn zu beunruhigen schien. Er stellte ein zweites Glas auf die Theke. „Willst du auch einen?“

„Ein bisschen“, sagte ich. Ich hatte noch nie Whisky getrunken.

Er schenkte mir einen Fingerbreit ein und füllte sein Glas ein zweites Mal. Ich nahm das Glas und nippte an der rauchig-herb schmeckenden Flüssigkeit. Wie flüssiges Feuer rann der Whisky durch meine Kehle. Unsicher tappte ich zu einem Stuhl und ließ mich darauf nieder.

„Fällt der Kerl doch einfach über mich her, als ich ihm sage, dass bei mir nichts zu holen sei.“ Bogart trank wieder. „Ich dachte, der bringt mich um.“ Sein Lächeln wirkte gezwungen. „Zwei Hasen hast du mitgebracht? Feine Sache. Am besten, wir braten sie gleich heute Abend.“

„Was ist, wenn der Mann zurückkehrt?“, fragte ich. Ich nippte wieder an meinem Whisky. Von meinem Magen aus durchzog eine angenehme Wärme meinen Körper.

„Dagegen kann ich nichts tun. Aber ich denke, er wird sich beherrschen. Er hat sich noch nie so benommen wie heute.“ Bogart füllte sein Glas abermals. Seine Nervosität wich.

„Daran musst du dich gewöhnen. Hier draußen gibt es verdammt merkwürdige Kerle“, sagte er, nachdem er wieder getrunken hatte. „So was kann schon mal passieren. Mit so was muss man rechnen.“

„Kennst du seinen Namen?“

„Sicher. Dundee heißt er, sagt er. Er taucht seit zwei Jahren hier auf. Keine Ahnung, wo er haust. Wahrscheinlich hat er irgendwo in den Bergen eine Hütte.“

Ich musterte Bogart und trank mein Glas leer. Ich war keinen Alkohol gewöhnt, so zeigten bereits die wenigen Schlucke Wirkung. Meine Bewegungen waren schwerfällig, als ich mich erhob, und das Blut in meinen Adern pulste schneller.

Bogart belog mich, ich war ganz sicher. Er kannte den Fremden besser, als er zugeben wollte, und der Fremde hatte Bogart nicht zusammengeschlagen, weil der ihm keinen Kredit hatte geben wollen. Es musste andere Verbindungen zwischen Bogart und diesem Dundee geben, Verbindungen, über die ich nichts erfahren sollte. Im Grunde, so sagte ich mir, ging mich das ja auch nichts an. Bogart konnte tun und lassen, was er wollte.

Dennoch fühlte ich mich plötzlich unbehaglich auf der Station. Ich befürchtete, wieder in Unannehmlichkeiten hineingezogen zu werden, und einen Moment lang dachte ich daran, weiterzuziehen. Aber wohin? Vielleicht hatte Bogarts Verhalten ganz harmlose Hintergründe. Und wenn nicht ... Ich kümmerte mich zu viel um die Angelegenheiten anderer.

Was hatte ich schon mit diesem Dundee zu tun? Er hatte Streit mit Bogart gehabt, aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht kannte, und Bogart bezahlte mich für meine Arbeit, er bezahlte mich nicht dafür, dass ich mir über seine Probleme den Kopf zerbrach. Mochte er doch tun, was ihm passte, solange er mich anständig behandelte.

Trotzdem, mein Unwohlsein blieb, so sehr ich auch versuchte, alles, was mich nicht betraf, aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich versuchte mir einzureden, dass es vom Whisky kam. Aber ich wusste genau, es war nicht so. Ich hatte einen feinen Instinkt, der durch die vielen schlimmen Erlebnisse, die hinter mir lagen, geschärft worden war. Es war etwas faul hier, und früher oder später würde ich erfahren, was. Dann aber würde es für mich zu spät sein, zu verschwinden.

Ich wünschte mir einen Platz, wo ich hingehörte, wahrscheinlich klammerte ich mich deshalb an die Illusion, dass das, was Jeff Bogart vor mir geheim hielt, mich nicht betreffen und mir keinen Ärger bereiten würde.

„He, was ist los?“, hörte ich ihn wie aus weiter Ferne sagen. „Ich habe dich gefragt, ob du nicht gehört hast, wie Dundee Geld von mir verlangt hat?“

Ich schüttelte den Kopf und schaute Bogart nicht dabei an. „Ich habe es nicht gehört“, sagte ich. „Ich habe so gut wie nichts gehört.“

Er schien erleichtert zu sein. Er trank sein Glas leer. „Alles halb so schlimm“, sagte er. „Am besten, wir denken nicht mehr an diesen Dundee.“

Ich antwortete nicht.

„Komisch, dass du nichts gehört hast“, sagte er. „Der Kerl hat so laut gesprochen.“

„Ja, komisch“, sagte ich.

„Braten wir uns die beiden Hasen“, sagte er. Dann ging er in die Küche. Ich schaute Shita an, der hechelnd neben der Theke saß, nickte ihm zu und folgte Bogart, während der Hund zurückblieb und die Tür der Station bewachte.

3.

Ich erwachte in der Nacht. Es war sehr schwül. Am Abend waren im Osten schwarze Wolken aufgetaucht. Es hatte nach einem Gewitter ausgesehen.

Schweiß rann mir über die Stirn und den Oberkörper, obwohl ich mich nicht zugedeckt hatte. Bleierne Schwere lag in meinen Gliedern, als ich mich herumwälzte und in die Stille der Dunkelheit horchte.

Shita lag unweit der Tür und hatte den Kopf gehoben. Er gab keinen Laut von sich, aber sein ganzes Verhalten deutete darauf hin, dass auch er etwas gehört hatte.

Ich schwang die Beine aus dem Bett, blieb einen Moment auf der Bettkante sitzen, um die Müdigkeit in mir zu vertreiben, und griff nach meinem Navy-Colt, der auf dem Stuhl lag, den ich neben meinem Bett stehen hatte. Es war eine solide, gebrauchte Waffe mit fleckiger Brünierung. Der Lack auf dem Griff war längst weit­gehend abgeblättert.

Deutlich war dafür im Holz der Stempel El Moro ­Prison Guard zu sehen, der den Revolver als Dienstwaffe eines Wärters in einem Straflager Colorados auswies.

Schwer lag der große Revolver in meiner Faust. Ich erhob mich und tappte mit bloßen Füßen über die rauen Dielen zur Tür.

Sekundenlang blieb ich stehen, das rechte Ohr gegen die Tür gepresst, und lauschte. Ich hörte jemanden sprechen. Es war nur ein dumpfes Gemurmel, ich ahnte es mehr, als dass ich es richtig wahrnahm.

Seit dem merkwürdigen Vorfall mit dem Fremden, der angeblich Dundee hieß, war mehr als eine Woche vergangen, eine Woche, in der ich zusammen mit Bogart schwer geschuftet hatte. Ein erstaunlicher Verkehr war in den vergangenen Tagen über die Overlandstraße geflossen.

In einem Nest namens Cimarron waren zwei Mörder öffentlich hingerichtet worden. Das war offenbar für einen Haufen Leute eine günstige Gelegenheit gewesen, ein regelrechtes Volksfest zu veranstalten. Hunderte von Menschen mussten nach Cimarron gepilgert sein, um zwei Männer am Galgen sterben zu sehen, vorwiegend aber, um bei dieser Gelegenheit alte Bekannte wiederzutreffen, Nachrichten auszutauschen und aus der Trostlosigkeit des Alltags auf einer Farm in der Kansas-Prärie auszubrechen.

Während ich Pferde abgerieben und gefüttert hatte, Dutzende von Pferden, hatte Jeff Bogart den vorbeiziehenden Familien Essen verkauft. Er hatte zahllose Steaks gebraten und zahllose Töpfe mit Kaffee gebrüht. Zwischendurch war er mehrmals am Tag schwitzend und schnaufend zum Fluss hinuntergelaufen, um mit der Fähre immer neue Menschen über den Arkansas zu schaffen. Manchmal hatte ich das auch für ihn erledigt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten war ich überraschend schnell mit den Tücken der Fähre fertig geworden.

Wegen der vielen Arbeit hatten wir kaum Zeit gehabt, miteinander zu sprechen. So war der seltsame Fremde mehr und mehr in den Hintergrund gerückt, und ­schließlich hatte ich ihn vergessen. Auch jetzt, als ich an der Tür stand und lauschte, dachte ich nicht an ihn.

Ich drückte geräuschlos die Klinke meiner Kammertür nieder und zog sie langsam auf. Ein kühler Lufthauch strich herein.

Shita stand hinter mir, hatte den Hals gestreckt und schnüffelte.

„Du bleibst hier“, flüsterte ich. Dann schlüpfte ich hinaus. Mein Oberkörper war nackt, genau wie meine Füße. Aber ich fror nicht. Es war zu schwül.

Als ich das Ende des Ganges erreicht hatte, der von meiner Kammer zum Aufenthaltsraum der Station führte, rollte irgendwo in der Ferne der Donner. Ich blieb stehen, lauschte wieder angespannt und hörte die Männerstimmen nun lauter.