Ronco - Die Tagebücher 13: Revolvermarshal - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 13: Revolvermarshal E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Jack Corbett. Ein Mann hart wie der Stahl seines Revolvers. Man nennt ihn Deadhand. Er war Marshal in vielen wilden Städten und sorgte dort für Recht und Gesetz. Wenn er sich auf die Fährte eines Gesetzlosen heftete, hatte dieser schon verloren. Doch nun folgt er den Brüdern Ralston. Ich mag Corbett nicht, aber die Ralstons sind zweibeinige Bestien. Sie morden, plündern und quälen. Sie sind das Böse schlechthin. Ich muss helfen.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Der Revolvermarshal (25)Der Henker wartet auf McCall (26)

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

Dietmar Kuegler

Revolvermarshal

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-162-5Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Der Revolvermarshal

von Ken Conagher

24. April 1880.

Eine harte Zeit liegt hinter mir. Ich befinde mich im Südwesten New Mexicos. Ich bin nicht mehr weit von meinem Ziel entfernt. In meinen Satteltaschen habe ich die Beweise für meine Unschuld. Sie sind hieb- und stichfest. Niemand wird sie widerlegen können. Wie gut diese Beweise sind – wie gefährlich für Andrew Hilton –, habe ich bereits erfahren müssen. Hiltons Jäger sind hinter mir und den Papieren her wie die Teufel nach der armen Seele – bisher ergebnislos.

Hier im Südwesten New Mexicos leben nicht nur meine größten Feinde, sondern auch meine besten Freunde. Einer von ihnen ist Jerome Braddock, ein Großrancher. Er gehört nicht zu den geld- und machtgierigen, skrupellosen Rinderbaronen. Er ist einer der anständigen und sauberen Männer. Einmal konnte ich ihm helfen, ihm und Senator Vaud F. Wilson, der ebenso ein Mann ohne Fehl und Tadel ist.

Auf Vaud F. Wilson ist Verlass. Er ist einflussreicher als irgendein Richter in einer Stadt oder einem County. Ihm werde ich meine Beweise übergeben, und er wird sie den richtigen Stellen zukommen lassen – jenen Stellen, die Hiltons Einfluss nicht mehr erreicht.

Nur noch vierzig Meilen, dann bin ich in Sicherheit. Seit Tagen reitet kein Jäger mehr auf meiner Spur. Ich habe sie alle abgeschüttelt. Niemand weiß, wo ich mich aufhalte, und ich denke, dass ich meinen Gegnern eine böse Überraschung bereiten werde.

Während ich dies schreibe, sitze ich an einem Feuer in einer Bodensenke nördlich von Cow Spring, der Stadt Senator Wilsons. Es wird Abend, und ich will die Zeit, bevor es dunkel wird, nutzen und meine Geschichte weiter aufschreiben. Es war heute ein heißer Tag. Unsere Pferde sind ziemlich erschöpft. Obwohl der Sommer noch nicht begonnen hat, herrscht hier unten im Süden tagsüber bereits die Hölle.

Auch damals, vor fast zwanzig Jahren, erlebte ich einen heißen Sommer. Das war 1861. Seit fast einem halben Jahr tobte der Bürgerkrieg. Die Schlacht am Bull Run war geschlagen. Im fernen Westen spürte man nichts davon. Ab und zu berichtete eine Zeitung vom Kriegsgeschehen – sofern eine solche Zeitung überhaupt in den Westen gelangte. Hier und da gab es Familien, deren Söhne freiwillig in den Krieg gezogen waren und Post nach Hause schickten.

Es war fast so, als sei der Bürgerkrieg etwas, das in eine andere Welt gehöre. Über die Sklavenfrage zerbrach sich niemand den Kopf. Hier draußen gab es andere Probleme. Hier ging es um das Überleben in der Wildnis.

Ich befand mich in Idaho, einem Territorium, das zu jener Zeit kaum besiedelt war. Die Ranch des Nachbarn war so weit entfernt wie der Mond. Nur wenige Overlandstraßen zogen sich durch das Land und von einer Stadt zur anderen. Stadt? Das war eine großzügige Bezeichnung für miese kleine Nester, die man nur in tagelangen Ritten erreichte.

Ich war ohne Ziel unterwegs und suchte irgendwo eine Arbeit oder einen Platz, an dem ich bleiben konnte. Irgendwo wollte ich Fuß fassen und vielleicht eine neue Heimat finden. Idaho war ein jungfräuliches Land – vielleicht bot es mir die Chance für einen neuen Anfang ...

1.

Die Überlandstation lag an den nördlichen Ausläufern der Cedar Mountains. Ich hatte sie gegen Mittag erreicht, müde, ausgepumpt und bereit, einen Ochsen aufzufressen.

Jetzt löffelte ich nur eine Suppe und hörte mir mit halbem Ohr das Theater in der Schankstube an. Ich hatte gelernt, zu bestimmten Gelegenheiten meine Ohren auf Durchzug zu stellen. Außerdem enthielt die Suppe Fleischbrocken und obenauf schwammen Fettaugen, die ich nicht zu zählen brauchte. Es waren mehr als zwei. Die Suppe war gut.

Für Shita war auch gesorgt. Er lag unter meinem Stuhl und knackte einen Knochen, den ihm der Wirt spendiert hatte. Mein Brauner befand sich nebenan im Stall und war ebenfalls versorgt. Wir alle drei hätten eigentlich restlos glücklich sein sollen.

Wir waren es nicht – der Braune vielleicht schon, nur Shita und ich nicht. Bei Shita hörte ich bereits jenes tiefinnere Knurren, das auf Sturm deutete.

Die Geige klang wie das Jammern eines liebestollen Katers, dem die Geliebte mit der Konkurrenz über die Dächer auf und davon gegangen ist. Es zerbrach mir das Herz.

Der Geiger war ein dürrer Bursche mit wirrem Haar und irren Augen, der drauflos fiedelte, als gelte es, einen Rekord im Schnellgeigen zu unterbieten. Er schrammte den Fiedelbogen kreuz und quer über die Saiten, dass er nur so rauchte. Sein spitzes Kinn ruhte auf der Schale am Klangkörper, als sei dort der Angelpunkt der Welt. Seine linke Hand zitterte auf den Saiten auf und nieder, während seine Rechte den Bogen nach unten stieß – Basstöne – und wieder nach oben zog – Sirenentöne.

Ich löffelte meine Suppe und hatte ein schmerzhaftes Vibrieren im Zahnfleisch.

Außer dem Wirt, der schon seit Langem Zahnschmerzen hatte, war noch jemand in der Schankstube. Neben dem Fiedler hockte ein bulliger, raubeiniger Typ und lauschte verzückt dem Geigengejammere. Er hatte genauso irre Augen wie der Fiedler und schlug mit seiner rechten Pranke so etwas wie einen Takt auf die Tischplatte. Bei jedem Schlag hüpften zwei Biergläser hoch. Die Hälfte ihres Inhalts war bereits vertan und tropfte von der Tischkante.

Der Ärger begann damit, dass der Wirt auf die Theke klopfte und schrill verkündete, er halte es nicht mehr aus.

Und blitzschnell hatte der Bullige einen Colt in der Faust und richtete ihn auf den Wirt.

Der Fiedler geigte noch einen Moll-Ton und ließ die Geige sinken.

Der Bullige sagte: „Mein Bruder ist ein großer Künstler.“

Der Dürre sagte: „Jawohl!“

Schrumm! Der Fiedelbogen kratzte schrill über die Saiten.

Der Wirt hielt sich die Ohren zu.

Der Bullige sagte: „Gefällt Ihnen die Musik nicht?“

Der Wirt starrte in die Coltmündung, hatte zittrige Lippen und stotterte: „D-doch – sehr.“

Der Colt schwenkte herum, und jetzt war ich dran. Ich löffelte hastig weiter, aber nicht mal das war mehr drin.

„Und du?“, pfiff mich der Bullige an. „Wie findest du die Musik meines Bruders?“

Unter mir wurde Shitas Knurren leiser. Und das war gefährlich. Jetzt hockte er auf dem Sprung, bereit, dem Bulligen – oder dem Fiedler – an die Gurgel zu fahren.

Ich sagte: „Also wissen Sie, Mister, ich habe den Eindruck, dass Ihr Bruder jede Nachtigall schlägt. Echt! Ich habe als Kind mal auf die Trommel gehauen, aber die ging kaputt. Als Trommler wäre ich nie so gut geworden wie Ihr Bruder als Geiger. Er ist wirklich ein Geiger von Weltklasse. Sie sollten ihn nicht nur hier, sondern in New York geigen lassen, bestimmt. In der ganzen Welt müsste er geigen – als die Nachtigall von Idaho!“

Der Bullige starrte mich an, als hätte ich einen Klaps. Vielleicht hatte ich auch die verkehrte Stimmlage gewählt. Er kniff die Augen zusammen.

„Willst du mich verschaukeln, du Rotznase?“ Er sah so tückisch wie eine Klapperschlange aus.

Shitas Knurren verstummte endgültig – der Ärger konnte losgehen. Ich tunkte hastig den Löffel in die Suppe, als sei das ein probates Mittel, das Leben zu verlängern. Meinen Colt hatte ich im Hosenbund. An den kam ich nicht mehr heran. Ich schielte zu dem Wirt hinüber. Der hielt sich am Schanktisch fest und schien Mühe zu haben, sein Frühstück im Magen zu behalten. Er sah grün aus.

Ich seufzte und dachte, dass diese lausige Überlandstation wirklich zum Kotzen sei. Hier wegen eines irren Geigers eine Kugel einzufangen, war direkt absurd.

Ich schob den Suppenteller von mir fort und sagte zu dem Bulligen: „Ihr Fiedelbruder geigt wie eine gesengte Sau. Ich habe Zahnschmerzen und möchte meine Suppe essen. Also lassen Sie mich zufrieden. Und wenn nicht, dann sage ich meinem Hund hier unter meinem Stuhl, er soll Ihrem Bruder ein Ohr abbeißen. Und bevor Sie geschossen haben, fehlt Ihrem Bruder ein Ohr. Wetten?“

Der Geiger kicherte irre, und der Bullige kriegte einen Kopf wie ein Ballon kurz vor dem Platzen.

Bevor er wirklich platzte, flog krachend die Tür auf.

Ein hagerer, grauäugiger, unrasierter Mann stand auf der Türschwelle, geduckt, schmallippig und so hart wirkend wie Granit. Die Hutkrempe beschattete ein eisiges Gesicht.

Der Bullige und der Fiedler fuhren hoch, als säßen sie auf Dynamitfässern, zu denen die Lunte bereits brennt. Der Bullige griff zum Colt. Noch bevor seine Hand ihn packen konnte, erschien eine Flamme an der Hüfte des grauäugigen Mannes, brüllend entlud sich der Schuss, und ich zog hastig den Kopf ein.

Links von mir segelte etwas durch die Gegend – das Holster des Bulligen. Der Grauäugige hatte es ihm vom Waffengurt geschossen. Ich blinzelte. Das war glattweg Teufelswerk. Der Grauäugige wirbelte seinen Colt um den Zeigefinger – und weg war der Colt. Ich stieß den Kopf vor. Der Colt steckte wieder im Leder. Einfach so. Ich schloss die Augen und riss sie wieder auf.

Der Grauäugige stand leicht geduckt und wie aus Stein gehauen immer noch in der Tür.

Der Bullige stierte hinunter auf seinen rechten Schenkel, aber da hing nichts mehr. Das Holster lag mitsamt Colt am Fuß des Tresens.

Mein Blick erhaschte den Wirt, der den Mund weit aufgerissen hatte. Er sah echt blöd aus. Aber wahrscheinlich nicht blöder als ich.

Lästig war nur das Kichern des Fiedlers. Der musste wirklich irre sein. Der freute sich darüber, dass ein Mann in der Tür stand, mit dem Colt zauberte und Holster abschoss. Ich zwinkerte, schluckte und zwinkerte wieder. Wenn ich den Wirt und mich ausklammerte, waren zurzeit hier im Schankraum einer Überlandstation nur Verrückte versammelt.

Ich stand abrupt auf, nahm meinen Teller Suppe samt Löffel und verzog mich aus möglichen Schusslinien. Ich tat gut daran.

Denn der Bullige ging zum Nahkampf über. Er fegte einen Tisch, der ihm im Weg stand, beiseite und stampfte auf den Grauäugigen zu.

Der Fiedler schrie: „Mach ihn tot, Will, schlag ihm die Nase ein! Stopf sie ihm in den Kopf, dem Kleinen! Hau drauf, schlitz ihm den Bauch auf!“

Er kicherte schrill und wieder total irre und griff auf seiner Geige Akkorde, die einen Hund jammern lassen konnten.

Shita an meiner Seite – ich stand jetzt weit hinten im Schankraum – jaulte auf und heulte zum Gotterbarmen. Ich schaute mich nach dem nächsten Fenster um. Ich war so weit, die Flucht zu ergreifen.

Aber das Tollhaus war bereits im Gange. Jetzt war ich doch fasziniert. Brutalität hatte ich einige Male erlebt, aber das hier war ein Schlachtfest von erbarmungsloser Härte.

Der Grauäugige nahm einen Magenhieb des Bulligen, ohne sich überhaupt um ein Haar zusammenzukrümmen. Die Faust des Bulligen prallte weg, als habe er sie auf eine straff gespannte Trommel geschlagen.

Aber dann!

Die Rechte des Grauäugigen zuckte hoch – mitten auf den Adamsapfel des Bulligen. Der fraß sich fast selbst auf, weil er Luft brauchte, aber wahrscheinlich war seine Luftröhre jetzt schief. Er taumelte zurück und hatte Augen, die zu Pflaumengröße aufquollen.

Der Grauäugige setzte nach und drosch dem Bulligen die Fäuste abwechselnd links-rechts in die Nieren. Das waren Schläge, die ich selbst spürte. Ich hörte, wie sie auf Fleisch trafen – mit jenem fürchterlichen Laut, der verkündet, dass da etwas zerstört wird.

Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten.

Der Grauäugige trieb den Bulligen quer durch den Schankraum. Links und rechts kippten Stühle und Tische um. Der Bullige prallte gegen die Wand des Schankraums, über ihm löste sich das glasumrandete Bild einer molligen Lady, deren Korsett von Miller & Co. aus New York als das Korsett aller Korsetts angepriesen wurde. Das Glas zerplatzte auf dem Schädel des Bulligen. Der Rahmen rutschte über seine Ohren, das Korsett der molligen Lady – wie ich das sah – umkränzte seine Nase.

Im Übrigen war der Bullige blind.

Ich wusste nicht, was er jetzt sah. Vielleicht feurige Sterne und explosionsartige Zündungen. Ich sah nur, wie der Grauäugige an ihn heranging und seine Fäuste in den Bulligen hineinhämmerte.

Die Suppe schmeckte mir bestimmt nicht mehr.

Der Bullige rutschte mit weichen Knien an der Wand nach unten. Das Reklamebild von Miller & Co. aus New York versprach nichts mehr, kein Korsett und nichts mehr darunter, nur Fetzen. Die Lady wurde blutig gefärbt. Aber die störte das ja nicht weiter.

Der Grauäugige holte sich den Bulligen wieder maßgerecht hoch und zerdrosch ihm die Nase – oder das, was von der Nase noch übrig war. Dann waren die Zähne des Bulligen dran.

Allmählich spürte ich, wie sich mein Magen umdrehte.

Der Bullige hatte keine Augen mehr. Die hatte der Grauäugige dichtgeschlagen. Er arbeitete wie eine seelenlose Maschine. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie einen Menschen gesehen, der so lange und so erbarmungslos auf einen anderen einschlagen konnte.

Das hörte auch nicht auf, als der dürre Fiedler von hinten an den Grauäugigen heranschlich und ihm die Geige auf den Hut drosch. Die Geige zerbrach in zwei Teile. Der liebestolle Kater würde nie wieder jammern. Die Saiten waren zerfetzt. Das war für mich der größte Erfolg der Schlägerei. Jetzt war es vorbei mit dem Katzenjammer.

Der Dürre starrte auf seine zerbrochene Geige, die noch an zwei Saiten zusammenhing, und sah aus, als würde er gleich losheulen.

Der Grauäugige hatte sich zu ihm umgedreht. Er rückte seinen Hut gerade, der ihm auf die Nase gerutscht war, holte mit der Rechten aus und feuerte dem Fiedler eine Gerade unter das Kinn, dass es ihn aus den Stiefeln hob und gegen den Tresen katapultierte.

Der Wirt tauchte blitzartig weg.

Der Fiedler klatschte gegen die Vorderwand, prallte auf das untere Stützgeländer und rutschte drüber weg auf den Holzboden. Dort blieb er liegen. Die zweigeteilte Geige hielt er immer noch fest. Aus seinem Mundwinkel sickerte Blut, und ich hatte den Eindruck, dass er sich ein Stück von der Zunge abgebissen hatte, als ihn der Schlag des Grauäugigen getroffen hatte.

Ich hustete, weil mir gar nicht wohl war. Shita knurrte anhaltend. Ihm war sicherlich auch nicht wohl.

Der Grauäugige wirbelte herum und starrte mich wild an.

Ich versuchte ein freundliches Lächeln, das bestimmt misslang, und hob leicht beide Hände – rechts mit dem Suppenlöffel.

„Kann ich meine Suppe weiteressen?“, fragte ich.

„Gehörst du zu den Ralston-Brüdern?“, fauchte mich der Grauäugige an.

„Bitte? Zu wem?“

Wie durch Zauberei war plötzlich der Colt wieder in der Faust des Grauäugigen. Ich starrte in die Laufmündung, die mich seelenlos anglotzte.

„Wie heißt du?“ Die Stimme des Grauäugigen war so kalt wie Gletschereis.

„Ronco.“

„Ronco was?“

„Ronco nichts.“ Ich kriegte die Wut. „Ronco gar nichts, Sie wild gewordener Totschläger! Hat Ihnen dieser dürre Geiger etwas getan? Oder der andere? Der eine hat gegeigt, und der andere fand das schön. Und Sie? Sie fallen über die beiden her und schlagen sie zusammen.“

„Junge“, sagte der Grauäugige, „Junge, halt an dich, oder du bist auch reif. Weißt du denn, wer die beiden Kerle sind?“

„Ich weiß ja noch nicht mal, wer Sie sind!“, antwortete ich. „Ich weiß nur, dass Sie hier verrücktspielen!“

„Jetzt halt mal deine gottverdammte Schnauze, du Lümmel“, sagte der Grauäugige grimmig, „diese beiden Vögel da sind steckbrieflich gesuchte Verbrecher von der übelsten Sorte. Ich bin Jack Corbett, der Marshal von Desert Falls. Und wenn du noch weiter das Maul aufreißt, muss ich annehmen, dass du zu den Kerlen gehörst, und dann werde ich dich auch gleich kassieren.“

Meine Suppe war kalt, ich hatte schlechte Laune, und dieser Marshal stank mir ganz gewaltig. Für mich war er ein brutaler Schläger. Auch als Marshal hatte er nicht das Recht, derart roh zwei Kerle zusammenzudreschen. Auch wenn sie Verbrecher sein sollten.

„Mich kassieren?“, sagte ich pampig. „Nur weil Sie was annehmen? Von mir gibt’s keinen Steckbrief. Und was Ihren Job als Marshal betrifft – Desert Falls liegt etwa hundert Meilen von hier entfernt. Das heißt, dass Sie gar nicht das Recht haben, sich hier als Marshal aufzuspielen.“

„Halt’s Maul, du Grünschnabel“, sagte der Marshal. „Rede nicht über Sachen, von denen du nichts verstehst.“

„Ha-ha“, sagte ich höhnisch.

Das ärgerte den Marshal, und er war drauf und dran, mich jetzt zu Kleinholz zu verarbeiten, aber da war einmal Shita, dessen Knurren ihn irritierte, und zum anderen begann sich der dürre Fiedler zu rühren. Der ­Marshal fuhr herum, gab der Geige einen Fußtritt, sodass sie sich aus der Hand des Dürren löste und quer durch den Schankraum segelte, griff rasch in die Tasche und legte dem Dürren Handschellen an.

Hinter dem Tresen tauchte der Wirt wieder auf und sah fasziniert zu.

„Sind Sie wirklich Jack Corbett, Marshal?“, fragte er. „Jener Mann, der als Deadhand Corbett bekannt ist?“

„Ja“, brummte der Marshal und ließ die Handschellen klicken.

Der Wirt erstarb in Ehrfurcht und verbeugte sich hinter dem Tresen. Fast hätte er seine Glatze in das Spül­becken getunkt, aber das merkte er noch rechtzeitig. Dann blickte er zu mir herüber.

„Das ist Deadhand Corbett“, sagte er wichtig.

„Ich habe es gehört“, sagte ich. „Es interessiert mich nicht. Meine Suppe ist kalt. Und warum ist sie kalt? Wegen dieses Theaters hier, verdammt.“

Der Wirt rang die Hände und warf mir beschwörende Blicke zu. „Junge, du redest dich um Kopf und Kragen. Das ist Deadhand ...“

„Ja, ja“, unterbrach ich ihn, „der Schläger von Desert Falls, wo er jeden Tag zwei Kinder zum Frühstück verspeist und den ganzen Tag Blut rührt.“

Der Marshal hatte inzwischen auch dem Bulligen Handschellen angelegt und steckte sich jetzt den Marshalstern ans Hemd. Besser sah er deswegen auch nicht aus.

„Ich soll dir wohl was aufs Maul geben, he?“, sagte er zu mir.

„Nur zu“, sagte ich, „aller guten Dinge sind drei, nicht wahr? Zwei halbe Leichen pro Tag reichen Ihnen wohl nicht. Aber ich warne Sie. Mein Hund ist so abgerichtet, Kerlen wie Ihnen an die Gurgel zu springen – dann können Sie Ihr eigenes Blut saufen, Sie Schlagetot!“

Er hatte mir, als er mit dem Bulligen beschäftigt war, zu lange den Rücken zugedreht. Ich hatte mich an der Wand an einen Tisch gesetzt und meinen Navy-Colt aus dem Hosenbund geangelt. Er konnte ihn nicht sehen, weil meine Rechte unter der Tischplatte war. So konnte ich ihn aufs Kreuz legen.

Es kam, wie ich’s mir gedacht hatte.

Wieder hatte er mit dieser verdammt schnellen Bewegung den Colt in der Faust und richtete ihn auf Shita.

„Ich soll deinem Köter wohl ein Loch in den Kopf pusten, wie?“

Ich grinste ihn an und spannte den Hammer unter dem Tisch. Es knackte so richtig laut. Er zuckte zusammen.

„Und wohin soll ich das Loch für Sie pusten?“, fragte ich. „Mögen Sie’s lieber im Bauch oder in der Kniescheibe haben?“

Shita stand einen Schritt links von mir, geduckt, den Kopf etwas gesenkt, knurrend, das Nackenhaar gesträubt, den Fang etwas gefletscht. Er sah prächtig aus.

Sicher, der Marshal konnte jetzt schießen. Auf Shita. Aber gleichzeitig mit seinem Schuss würde er meine Kugel in den Wanst kriegen.

Das Spiel stand unentschieden, aber dennoch war ich in Vorderhand.

„Du willst auf einen Gesetzesbeamten schießen?“, fuhr mich der Marshal an.

„Wie bitte?“, sagte ich kalt. „Gesetzesbeamter? Hier ist nicht Desert Falls, Corbett. Hier ist eine lausige Überlandstation mit kalten Suppen und zwei lazarettreifen Krüppeln. Und wenn Sie meinen Hund erschießen, sind Sie dran. Verschwinden Sie mit Ihren beiden Kerlen, und lassen Sie harmlose Reisende zufrieden. In Ihrer verdammten Stadt können Sie sich aufblasen, hier nicht, verstanden?“

Der Marshal war weiß vor Wut. Er knirschte mit den Zähnen. Es klang, als habe er Glassplitter im Mund. Wahrscheinlich erwog er, ob er eine Chance habe, außer Shita auch mich abzuschießen.

Indessen sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich der Bullige rechts von mir an der Wand hochquälte.

„Ihr einer Vogel wird munter“, sagte ich zu dem ­Marshal. „Tun Sie Ihre Pflicht, Sternträger. Schlagen Sie ihn noch einmal zusammen. Besser wäre es, wenn Sie sich verzupfen würden – natürlich mit Ihren beiden Krüppeln. Vergessen Sie auch nicht, Ihre Prämie zu kassieren. Wie viel Kopfgeld ist denn ausgesetzt, Mister Marshal?“

Ich spielte hoch. Aber ich konnte nicht anders. Ich war scharf darauf, diesen Marshal bis zur Weißglut zu reizen. Ich mochte diese Art von Männern nicht. Mit ihrem Stern an der Brust hielten sie sich für Halbgötter. Und dieser Halbgott war noch versessen darauf, seine Opfer brutal zusammenzuschlagen, bevor er sie dem Gericht auslieferte. In meinen Augen war er nicht besser als diese beiden Kerle, die er als Verbrecher bezeichnet hatte.

Der Dürre, sowieso nur eine halbe Portion, lehnte inzwischen am Tresen, hatte ein verquollenes Kinn, aber dennoch die Kraft, nach seiner Geige zu jammern. Aber die war zum Teufel. Die würde kein Geigenbauer je wieder hinkriegen. Ob sie kostbar gewesen war, konnte ich nicht beurteilen. Jetzt reichte ihr Holz höchstens noch dafür aus, es anzuzünden und ein Spiegelei darüber zu braten.

Ich musste bei dem Gedanken grinsen. Der harte Marshal sah dieses Grinsen. Vielleicht dachte er, ein Lümmel, der so grinst, sei verrückt. Und bei Verrückten müsse man vorsichtig sein. Jedenfalls halfterte er seinen Colt – wieder so unheimlich schnell – und brüllte den Dürren an: „’raus mit dir!!“

Der Dürre latschte zur Tür.

Fast automatisch löste sich der Bullige von der Wand und torkelte hinter ihm her. Er war von Blut und blauen Flecken gezeichnet, und ich fragte mich, woher er überhaupt die Kraft nahm, noch aufrecht gehen zu können.

Der Marshal starrte mich an.

„Hör zu, du Laus!“, sagte er. Seine Stimme klang wie ein Reibeisen, das zu lange im Regen gelegen hatte und rostig geworden war. „Für dich ist es besser, zum Nordpol zu reiten. Falls wir uns noch einmal begegnen sollten, notiere dir vorher, wo deine Knochen gesessen haben. Danach musst du sie nämlich einsammeln, stückweise, aber bestimmt nicht mehr in einem Stück.“

Ich schoss.

Die Kugel riss ihm den linken Absatz weg. Es war ein reiner Zufallstreffer – ich hatte vor seinen linken Stiefel gezielt, falls man das Zielen, blind durch eine Tischplatte, überhaupt so nennen kann.

Er musste über eiserne Nerven verfügen. Er knickte links nur etwas ein und sagte: „Kunstschütze, wie?“

„Ich ging bei Mister Samuel Colt persönlich in die Lehre“, sagte ich pampig.

„Wie? In Hartford?“ Jetzt war der Marshal echt geschafft.

„Wo denn sonst? Samuel ist mein Patenonkel. Schon als ich am Schnuller lutschte, zeigte er mir, wo man der Katze Pulver auf den Schwanz streut. Als ich drei Jahre alt war, erschoss ich meine Oma, weil sie meinen Haferbrei zu heiß gekocht hatte. Und mit fünf legte ich meinen Neffen um, weil er zu mir Lümmel gesagt hatte und ...“

Der Marshal haute ab. Dabei hätte ich ihm zu gerne noch erzählt, welche Leichen es in meiner Kindheit noch gegeben hatte.

Oder hätte ich ihm erzählen sollen, dass ich weder Vater noch Mutter kannte, von Mönchen erzogen und von Apachen geraubt worden war? Und Leichen? Ich war fünfzehn Jahre alt und hatte mehr gesehen, als Jungen in meinem Alter sehen durften – Tote mit und ohne Kopfhaut, verbrannt, zerschossen, zerfetzt, verstümmelt.

Ich spuckte hinter ihm her und grinste, weil er mit seinem fehlenden Absatz wie ein Kriegsinvalide aus der Überlandstation humpelte.

Durch die Fenster sah ich, wie sie davonritten. Der Bullige lag fast auf dem Sattel. Der Dürre hing schief auf dem Pferd, und es sah so aus, als würde er bald wegrutschen und unsere gute Mutter Erde küssen. Der Marshal saß im Sattel, als sei er drauf und dran, in den Himmel zu reiten. Der fraß Eisen und verdaute Schwarzpulver, um noch schärfer zu werden. Der war einer von jener Sorte, die man hundertmal totschlagen musste.

Der Wirt seufzte abgrundtief. „Deadhand Corbett“, sagte er hingerissen, „der Mann, der die wildesten Städte gezähmt hat.“ Sein Glatzkopf wandte sich mir zu. „Weißt du überhaupt, was Deadhand Corbett für ein Mann ist?“

„Ich weiß nur, dass meine Suppe kalt ist“, sagte ich. „Und jetzt möchte ich eine heiße Suppe, oder Brat­kartoffeln mit Spiegelei, oder ein Steak mit Bohnen.“ Ich versuchte, so irre zu kichern wie der dürre Fiedler, und es gelang mir.

Wenn hier alle Welt irre spielte, konnte ich das auch. Außerdem zog ich jetzt den Colt unter der Tischplatte hervor und stützte die Rechte auf den Tisch. Ich zielte nicht auf den Wirt, jedenfalls nicht direkt, nur so in die Gegend rechts von ihm.

Der Wirt kriegte dicke Augen und wurde kurzatmig.

„Am liebsten wäre mir ein Steak“, sagte ich, „nicht ganz durchgebraten. Mit Ihrer kalten Suppe können Sie sich Ihre Glatze massieren.“

„Sehr wohl, Sir“, sagte der Wirt und hatte Schweiß­perlen auf der Glatze.

„Beeilung!“, sagte ich.

Der Wirt sauste in die Küche. Zehn Minuten später vertilgte ich ein erstklassiges Steak mit Bohnen und Bratkartoffeln. Und Shita kriegte noch einen Knochen.

Immerhin war Samuel Colt ja mein Patenonkel, und ich hatte Deadhand Corbett mal so eben einen Absatz weggeschossen. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass der Wirt nur noch zitterte.

Ich brauchte nichts zu bezahlen. Todsicher weiß ich, dass der glatzköpfige Wirt drei Kreuze schlug, als ich nach draußen trat, meinen Braunen sattelte und nach Westen ritt.

Etwas anderes wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht. Dass nämlich die beiden Ralston-Brüder, der Bullige und der dürre Fiedler, zu einer von ihrem dritten Bruder geführten Bande gehörten, die vor Corbetts Ernennung zum Marshal von Desert Falls die Stadt terrorisiert hatte. Besonders der verrückte Phil Ralston, der dürre Fiedler, hatte sich dabei als Sadist und skrupelloser Killer hervorgetan. Corbett hatte die beiden gejagt, weil sie in Desert Falls eine Witwe und ihr Kind umgebracht hatten. Ein Bürgergericht hatte daraufhin Phil und Will Ralston in Abwesenheit zum Tode verurteilt – Legitimation genug für Jack Corbett, die beiden gnadenlos zu jagen, und als er sie dann in der Überlandstation zu fassen kriegte, zunächst einmal brutal zusammenzuschlagen.

Als ich die Station verließ, war ich zwar rundum satt, aber richtig wohl war mir nun auch wieder nicht. Denn mein Ziel in diesem gottverlassenen Land war Desert Falls, wo ich hoffte, Arbeit zu finden.

Eigentlich hatte ich keine Lust, dem Marshal wieder zu begegnen. Ich hätte nach Osten reiten sollen. Aber ich ritt stur westwärts. Ich wollte nach Desert Falls und ignorierte mein anderes Ich, das mich warnte.

2.

Jack Corbett hielt sich links hinter den beiden Ralston-Brüdern. Bis auf ein paar Stunden Schlaf hatte er seit drei Tagen und Nächten im Sattel gesessen. Er war überdreht und gleichzeitig zum Umfallen müde.

Er wusste, dass dieser Zustand gefährlich war. Seine Reflexe würden sich jetzt schneckenhaft verlangsamen.

Er rieb sich Tabak in die Augen, die sofort zu tränen begannen. Aber der Schmerz hielt ihn wach.

Will Ralston, der Bullige, hockte zusammengesunken im Sattel und brütete dumpf vor sich hin. Einmal nur war so etwas wie Wut in ihm aufgeflammt, und er hatte Jack Corbett wild verflucht.

„Lange hast du nicht mehr zu leben, du Hurensohn“, hatte er den Marshal durch die Zahnlücke, die Corbett ihm geschlagen hatte, angelispelt. „Larry wird dich fertigmachen, verlass dich drauf. Der gräbt dich bis zum Hals in den Sand ein und stülpt dir einen Käfig über den Kopf – mit ’ner hungrigen Ratte drin. Was meinst du wohl, woran die Ratte zuerst knabbert? Ha! Und Larry wird zusehen! Larry wird die Ratte ein bisschen piken, damit sie zuerst deine Augen zerbeißt ...“

„Halt’s Maul, Ralston“, sagte der Marshal und gähnte. „Dein Bruder Larry soll sich was Besseres ausdenken. Ihr seid doch selbst Ratten. Ratten schlage ich bereits seit über zehn Jahren tot – ihr beiden seid die nächsten.“

Daraufhin hatte Will Ralston den Kopf eingezogen und weitergebrütet.

Dann hatte Phil Ralston lamentiert. Er trauerte seiner zerbrochenen Geige nach, die unter Experten höchstens dreißig Cents wert gewesen war. Dass er selbst die Geige auf dem Kopf des Marshals zertrümmert hatte, war seinem kranken Hirn wohl entfallen.

Er greinte und sagte: „Meine Geige, du Arschloch. Du hast sie kaputt gemacht. Du bist ein Kaputtmacher. Dir schlitz ich den Bauch auf und dreh mir aus deinen Gedärmen neue Saiten. Auf denen spiel ich dann Lobet den Herrn. Und die Gemeinde wird dazu ihr Halleluja singen, weil’s die Gedärme von Jack Corbett sind, dem Arschloch. Ah, ich spür’s schon, wie meine Finger über die Saiten streichen und sie zum Jauchzen bringen.“

Er turnte auf seinem Pferd herum, hob die gefesselten Hände und begann zu geigen. Da er sie wegen der Handschellen nicht auseinanderkriegte, was das ein misslungener Versuch.

Seine Hände sanken auf das Sattelhorn, das keine Geige war, und umklammerten es. Über die Schulter warf er dem Marshal einen giftigen Blick zu.

Der lächelte kalt und antwortete: „Deinen Hals, Phil Ralston, werden die Bürger von Desert Falls so lang ziehen, dass daraus eine erstklassige Basssaite wird. Es bleibt abzuwarten, für wen die Gemeinde dann ihr ­Hallelujasingt. Ich schätze, es wird eher ein Dankgesang, dass zwei Ratten zur Hölle gefahren sind.“

Der irre Phil Ralston kicherte zusammenhanglos, sagte dann: „Gottverdammt!“, schwieg eine halbe Stunde lang und schrie plötzlich: „Wo ist meine Geige?“

„In der Überlandstation“, sagte der Marshal lakonisch, „und zwar in zwei Teilen, weil mein Kopf härter als deine Jaulfiedel war.“

„Jaulfiedel?“ Phil Ralston wurde tückisch. „Hast du Jaulfiedel gesagt, du Arschloch?“

„Habe ich“, erwiderte der Marshal, „und falls du mich noch einmal Arschloch nennst, spuckst du deine Zähne aus. Das ist ein Versprechen. Dann kannst du dich bis zu deiner Hinrichtung von Suppe und Weißbrot ernähren.“

„Arschloch“, sagte der dürre Fiedler.

Der Marshal reagierte jäh und zupackend. Er gab seinem Pferd die Hacken, preschte vor und schlug Will ­Ralston den Griff seines Colts ins Genick. Noch während der Bullige aus dem Sattel rutschte und zu Boden krachte, zog er sein Pferd herum, ritt zurück, sprang aus dem Sattel und riss den kichernden Irren vom Pferd. Der rutschte zwischen die gespreizten Beine des Marshals. Jack Corbett zog ihn wieder hoch, stellte ihn maßgerecht vor sich hin und hieb ihm die rechte Faust zwischen die Zähne. Es war ihm gleichgültig, dass dabei seine Handknöchel zerplatzten. Er schlug erbarmungslos zu, ein kaltes Lächeln auf seinem harten Gesicht.

Phil Ralston spuckte Blut und zersplitterte Zähne. Als Jack Corbett ihn losließ, stand er wackelnd drei, vier Sekunden mit weichen Knien da und kippte dann vornüber in den Sand.

Zu dieser Zeit taumelte der Bullige bereits wieder auf einknickenden Beinen herum, ruderte mit den gefesselten Armen und schien die Orientierung verloren zu haben, denn er torkelte mit glasigen Augen an dem Marshal vorbei den Weg zurück.

Der Marshal hakte seinen Stiefel hinter Will Ralstons linken Fuß, der Bullige geriet ins Stolpern und schlug lang hin. Eine Weile blieb er liegen.

Jack Corbett holte seine Wasserflasche, die am Sattel hing, und trank ein paar Schlucke. Etwas Wasser goss er sich ins Genick.

Aus schmalen Augen beobachtete er die beiden Banditen. Der dürre Phil Ralston war nicht so hart im Nehmen wie sein bulliger Bruder, aber dennoch gefährlich, weil er unberechenbar war. Auf den zähen Will Ralston musste er genauso scharf aufpassen. Der erholte sich schneller, als ihm lieb war. Wahrscheinlich würde er die beiden abwechselnd niederschlagen müssen – so alle vier bis fünf Stunden – um zu verhindern, dass sie sich erholten.

Jack Corbett gab sich keinen Illusionen hin. Seine schwächste Stelle war seine Müdigkeit. Irgendwann würde er ein paar Stunden schlafen müssen. In dieser Zeit musste er die beiden getrennt voneinander hinlegen und wie Pakete verschnüren. Sicherheitshalber würde er ihnen auch noch einen Schlag mit dem Revolver verpassen.

Er nahm den beiden ihre Gürtel und Hosenträger ab und verstaute sie in seinen Satteltaschen. Ihre Gewehre, Revolver und Messer hatte er bereits vereinnahmt – ein Waffenarsenal. Dann entschloss er sich, ihnen auch noch die Stiefel auszuziehen. Er band sie zusammen und hängte sie über seinen Sattelkopf.

Angewidert betrachtete Jack Corbett die Strümpfe der Ralston-Brüder. Ein Netzwerk von Löchern, nach Schweiß stinkende Fetzen. Die Zehen, die aus den Löchern ragten, sahen entsprechend aus. Die schwarzen Fußnägel waren lang oder verwachsen. Zur sauberen Art gehörten die beiden Kerle nicht. Das wäre wohl auch zu viel verlangt gewesen.

Wie erwartet richtete sich der bullige Ralston zuerst wieder auf. Er setzte sich hin und starrte auf seine Lochstrümpfe. Von dort wanderte sein Blick zu dem Pferd des Marshals, wo die Stiefel hingen. Dann dämmerte es bei ihm, und er sprang auf.

Jetzt rutschte seine Hose und legte löchrige, rostrote Unterhosen frei. Hastig holte er den Bund hoch und hielt ihn fest.

Jack Corbett grinste kalt.

„Du verdammter Hund“, stieß Will Ralston hervor. Sein verschwollenes Gesicht mit den Platzwunden verfärbte sich dunkelrot vor Wut.

„Halt sie schön fest, Ralston“, sagte der Marshal, „dann bist du beschäftigt, wenn du jetzt mal eine Weile ­marschierst.“

Will Ralston duckte sich zusammen. „Wie? Ich soll marschieren? Ohne Stiefel? Keinen Schritt tu ich, keinen Schritt, du krummer Hund!“ Er setzte sich wieder hin.

Jack Corbett ging an ihm vorbei, griff Phil Ralston ins Genick, schleppte ihn zu seinem Pferd, hievte ihn in den Sattel und band ihn fest, sodass er nicht vom Rücken des Tiers kippen konnte.

Dann nahm er sein Lasso, ließ es wirbelnd fliegen, und Sekunden später zog sich die Schlinge um Will Ralstons Hals zusammen. Dessen Pferd führte er am Zügel mit, als er aufsaß und anritt.

Wollte Will Ralston nicht erdrosselt werden, musste er wohl oder übel aufstehen und sich in Bewegung setzen. Sich die Schlinge vom Kopf zu streifen, ging nicht, weil er seine Hose festhalten musste.

Der bullige Ralston trottete also hinterher, auf Strümpfen, die nach den ersten zwei Meilen nun endgültig zum Teufel gingen. Da seine Füße keine Hornhautsohlen hatten, wurde der weitere Marsch von Meile zu Meile schmerzhafter und qualvoller.

Nach zwei Stunden ließ ihn Jack Corbett wieder reiten. Dafür musste dann der dürre Phil Ralston am Lasso hinterhermarschieren. Der fluchte sich eine halbe Stunde lang heiser – trotz fehlender oder zersplitterter Zähne –, dann sang er eine Weile zotige Lieder und bewies letztlich, dass er zu Fuß besser als sein bulliger Bruder war.

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