Ronco - Die Tagebücher 15: Himmelfahrtskommando - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 15: Himmelfahrtskommando E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Sie führen mich zum Galgen. Die Schlinge baumelt von einem primitiv gezimmerten Gerüst. "Steig auf die Kiste, mein Junge", sagt neben mir ein Corporal. "Je schneller es vorbei ist, desto besser für uns und für dich selbst."Ich hätte mich aus diesem verdammten Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd raushalten sollen. Aber als Scout der Unionsarmee habe ich ein gutes Leben gehabt. Jetzt bin ich ein Agent, der das Unmögliche versucht, eine Offensive der Konföderierten-Armee auszuspionieren. Dabei haben sie mich erwischt. Ich werde sterben.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Der Totenacker (29)Himmelfahrtskommando (30)

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

Dietmar Kuegler

Himmelfahrts-kommando

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-164-9Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Der Totenacker

von Steve Cooper

1. Juli 1880.

Vor einer Stunde habe ich mein Haus verlassen. Ich habe mein Gewehr und meinen Revolver genommen und Wildcat, meinen Hengst, gesattelt. Seit einer Stunde bin ich unterwegs. Es wird Abend. Der Himmel ist bewölkt, die Schatten sind lang. Von Westen weht Wind, und die Luft riecht nach Regen.

Das liebliche Tal mit meiner Farm, wo ich glücklich werden wollte, liegt hinter mir. Ich habe es zurückgelassen. Ich weiß nicht, ob ich je Saat in die Furchen meiner Felder legen, ob ich je ernten und jemals Vieh auf meinen Weiden sehen werde. Ich weiß gar nichts mehr. Nur, dass ich Rache will.

Rache – das ist etwas, was ich früher immer verabscheut habe. Ich habe selten Hass empfunden. Jetzt empfinde ich ihn.

Ich bin innerlich aufgewühlt. Es fällt mir schwer, ruhig zu denken. Es wird mir klar, dass alles, was ich mir von einem Leben in Frieden, von einem neuen Anfang nach Jahren der Verfolgung, von einer guten Zukunft vorgestellt habe, nur ein Traum war. Ein Traum, der wie eine bunt schillernde Seifenblase zerplatzt ist. Als ich meine Rehabilitierung in der Tasche hatte und annahm, dass ich nicht mehr gejagt werden würde, war ich zufrieden und glücklich. Endlich hatte ich eine Zukunft vor mir. Ich hatte eine Frau, die mich liebte, und ich hatte einen kleinen Sohn, Jellico.

Das alles gehört der Vergangenheit an. Meine Feinde sind noch nicht besiegt. Die Männer, die mich jahrelang gejagt haben, die selbst das Halcon-Canyon-Massaker verursacht haben und ihre Schuld auf meinem Rücken abgeladen hatten, sind nicht untergegangen, als meine Unschuld bewiesen war und ihre Schuld ersichtlich wurde. Sie waren reich genug, sie besaßen genug Einfluss, um ihre Köpfe zu retten. Zumindest die ganz großen unter ihnen.

Wie Andrew Hilton, der mit seinen Schergen nach Mexiko geflohen ist. Dort ist er sicher. Dort ist er frei und besitzt wieder Macht, und von dort aus verfolgt er mich noch immer. Ich habe es nicht wahrhaben wollen. Es ist so. Seine Männer haben herausgefunden, wo ich versuchen wollte, mich niederzulassen und die bösen Jahre zu vergessen. Sie haben mich entdeckt, und sie haben zugeschlagen.

Immerhin war Linda, die Frau, mit der ich gelebt habe, seine Tochter. Eine gute Frau, die sich von ihrem Vater abgewandt hatte, als sie erfuhr, was für ein Mensch er wirklich war. Eine Frau, die zu mir gehalten hat, immer, in jeder Situation, die für mich durch tausend Feuer gegangen ist. Eine solche Frau ist ein Gottesgeschenk. Sie war in den Jahren des Unrechts der einzige Lichtblick für mich, sie war mein Mut, meine Hoffnung. Mit ihr zusammen wollte ich eine neue Welt aufbauen, nur für uns und für unseren Sohn Jellico, Andrew Hiltons Enkel.

Hilton hat es mir nicht gegönnt. Er wollte mich weiter jagen. Er wollte sich an mir rächen, weil ich ihm etwas von seiner Macht genommen habe. Er wollte es im Namen all jener tun, die nach meiner Rehabilitierung ihre Ämter verlassen mussten. Obwohl es nicht viele waren und es nur die kleinen und unbedeutenden erwischt hat, die wirklichen Gauner aber verschont blieben.

Und Hilton wollte den Triumph, mich doch noch besiegt zu haben. Er will seiner Tochter seinen Willen aufzwingen.

Einen Misserfolg hat er zumindest wieder gehabt. Er hat mich nicht töten können. Und das wird er noch merken. Ich lebe, und diese Tatsache wird er bald verfluchen.

Er hat mir Linda geraubt. Er hat sie entführen lassen. Zusammen mit unserem Sohn Jellico. Ein bezahlter Killer ist mit beiden unterwegs nach Mexiko. Ich weiß nicht, ob ich ihn einholen und die beiden zurückholen kann. Ich weiß nicht, ob ich das alles überlebe. Aber eines weiß ich: Ich werde keine Rücksicht mehr üben. Ich werde nicht noch einmal das Risiko eingehen, mich dem Größenwahn und den Privatfeldzügen eines Mannes wie Hilton auszusetzen.

Ich werde Andrew Hilton töten. Und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde. Ich werde ihn töten, und wenn es Jahre dauert, bis ich ihn finde.

Ich schreibe weiter an meinem Tagebuch, damit die Nachwelt oder diejenigen, die es einmal lesen werden, erfahren, dass ich kein Mörder war, dass ich getrieben worden bin, das zu tun, was ich jetzt tun muss.

Als ich begann, diese Hefte vollzuschreiben, war es das Tagebuch eines gejagten Mannes. Das ist es nicht mehr. Jetzt ist es das Tagebuch eines Jägers.

Ich werde nicht aufgeben. Nie!

1.

Wir waren alle drei müde. Auf jeden Fall sahen wir so aus. Mein Brauner trottete schwerfällig, mit gesenktem Kopf.

Eingetrockneter Schaum klebte auf seiner Brust und den Flanken. Eine Schönheitskonkurrenz hätte er in diesem Zustand sicher nicht gewonnen.

Shita auch nicht.

Der Hund hatte es nicht leicht gehabt, auf diesem unwegsamen Gelände mit dem Braunen schrittzuhalten. Sein Fell war verfilzt, die Läufe mit eingetrocknetem Schlamm verkrustet. Nur seine Augen verrieten, dass er noch lange nicht am Ende seiner Kräfte war. Entgegen allen Behauptungen bin ich sicher, dass Hunde denken können. Shita besonders. Er hatte mehr im Kopf als alle Schoßhunde New Yorks und Washingtons zusammen.

Schon oft hatte er mich in scheinbar aussichtslosen Situationen gerettet, und ich konnte mich wirklich auf ihn verlassen. Seine verblüffende Menschenkenntnis hatte manchen Schwindler nicht nur zum Schwitzen, sondern auch ins Jail gebracht.

Ja, wir waren schon ein feines Trio, ein hässlicher Brauner, der an Ausdauer kaum übertroffen werden konnte, ein pfeilschneller Hund mit struppigem, graubraunem Fell und spitzen Ohren, und ich, ein blonder, etwas wild aussehender Junge mit einem alten Navy-Colt und schlaksigen Bewegungen. Ich wirkte älter, als ich wirklich war, und wenn ich durch eine Stadt ritt, drehten sich schon manchmal Mädchen nach mir um.

Es ging gegen Mittag. Die Sonne hatte sich zwar hinter einigen Wolken versteckt, aber die Hitze reichte ­trotzdem aus, Moskitoschwaden über den Sümpfen tanzen zu lassen. Mein Magen meldete sich wieder und gab mir zu verstehen, dass ich mich gefälligst nach einem guten Stück Fleisch umsehen sollte.

Das war gar nicht so einfach. In dieser Gegend wimmelte es von Unionssoldaten, Rebellentruppen und Guerillas. Ein Schuss, und ich hatte sie am Hals.

Gerade wollte ich dies meinem Magen erklären, als Shita wie angewurzelt stehen blieb. Eine Vorderpfote hing regungslos in der Luft, mitten in der Bewegung erstarrt. Seine Schnauze zuckte seltsam.

Natürlich lag der Navy-Colt schon in meiner Hand. In meiner Situation war diese Bewegung so automatisch wie der Pulsschlag, wollte ich überleben.

Der Braune blieb ebenfalls stehen, seine Nüstern bebten. Aber ich kannte seine Sprache, es hieß nicht Gefahr oder Hinterhalt. Was sonst gab es hier, mitten im Blutbad des Krieges? Ich sah mir Shita genauer an. Er grinste. Das konnte er. Seine Lefzen hoben sich in einem bestimmten Winkel und ein ganz bestimmter Ausdruck trat in seine Augen.

Bevor ich ihn noch fragen konnte, was, zum Teufel, eigentlich los sei, merkte ich es selbst.

Ein himmlischer Geruch stieg in meine Nase. Es war lange her, dass ich ihn gerochen hatte, und ich kratzte mich ungläubig hinter dem rechten Ohr. Fleisch. Gebratenes Fleisch, wunderbares, wohlriechendes, gebratenes Fleisch. Ich konnte es nicht fassen. Hier, mitten in dieser vermeintlichen Einöde. Seit dem frühen Morgen hatte ich keinen Weg mehr gekreuzt und keinen Soldaten mehr gesehen.

Shita war schon im hüfthohen Gras verschwunden. Von seiner Erschöpfung war reichlich wenig übriggeblieben. Nur mein Brauner, der sich für anderes Futter als Fleisch interessierte, rührte sich nicht.

Ich hielt ein kurzes Zwiegespräch mit meinem Magen. Er drängte mich, dem Geruch zu folgen, meine Vorsicht wollte mich davon abhalten. Aber – man konnte ja erkunden, was da vorn los war.

Schließlich, so sagte ich mir, würde es niemand sein, der das Tageslicht scheute. Also erwartete mich kaum Gefahr.

Rauch sah ich nicht. Aber eine knappe Meile entfernt war eine Gruppe hochgewachsener Posteichen. Dort würde ich wahrscheinlich auf das Feuer stoßen. Also trieb ich den Braunen an und lenkte ihn langsam auf die Bäume zu. Vor mir im Gras raschelte es, und Shita tauchte wieder auf. Er musterte mich erwartungsvoll und ungeduldig und drehte wieder um. Ich folgte ihm.

Nach 500 Yards stieß ich auf einen Weg. Spuren zeigten mir, dass er in letzter Zeit von mindestens zehn Reitern benutzt worden war. Auch die Spuren von zwei schweren Schonern und einem leichten Einspänner hatten sich in den Boden gegraben. Soldaten?

Ein Munitionstransport war es nicht, denn die Reiter waren nicht in der für das Militär üblichen Formation geritten. Also entweder Zivilisten oder Rebellen. Da aber Rebellen kaum mitten im Feindesland Feste feierten, blieben nur Zivilisten.

Ich war ein guter Spurenleser, besser als mancher, der sich damit sein Brot bei der Armee verdiente. Die Zeit bei den Apachen hatte mich die Sprache der Natur gelehrt. Eine Kenntnis, die mir mein ganzes Leben lang helfen sollte.

Ich folgte dem Weg. Ein leichter Wind blies mir gegen das Gesicht und brachte Bratengeruch und Sprachfetzen mit sich. Ich konnte nicht mehr weit entfernt sein.

In der Gegend kannte ich mich kaum aus. Ich wusste nur, dass ich nicht weit von Chapel Hill entfernt sein musste. Die Stellungen und Reibereien des Bürgerkrieges hatten mich bisher weitgehend verschont.

Aber das, was ich inzwischen erlebt hatte, genügte, um mich vorsichtig werden zu lassen. Das Land blutete, und niemand konnte von sich behaupten, dass er eine reine Weste hatte, weder Unionssoldaten, noch Rebellen, von den Zivilisten ganz zu schweigen. Jeder versuchte, mit dem Strom zu schwimmen und sich vielleicht eine Scheibe von dem Kuchen abschneiden zu können. Jeder verriet jeden, und war es nur wegen einer harten Kante Brot.

Kurz, ich war gar nicht wild darauf, noch tiefer in den Krieg verstrickt zu werden. Aber es war schwer, noch viel schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte.

Der Weg beschrieb eine leichte Kurve und führte nun genau auf die Baumgruppe zu. Jetzt sah ich auch eine dünne Rauchwolke einige Yards aufsteigen, bevor sie vom Wind verweht wurde. Die Posteichen standen in einer kleinen Senke, die etwa 200 Yards breit und doppelt so lang war. Eine kleine Quelle lag neben dem Weg. Daneben waren lange Balken aufgestellt worden. Man hatte Pferde daran angebunden, ich zählte mindestens hundert, alle mit dem Brandzeichen der Unionsstreitkräfte.

Also doch Militär.

Links des Weges standen drei Reihen Zelte. Sie waren aus groben Segeltuchplanen und an beiden Seiten offen. In der mittleren Reihe waren drei Zelte ausgespart und ließen Platz für das große, elegante Offizierszelt. Nur wenige Soldaten befanden sich dort, wahrscheinlich waren sie als Wachen eingeteilt.

Dafür war die Senke rechts des Weges bevölkert. Blauröcke saßen auf roh gezimmerten Brettern und hielten ihre Blechteller in den Händen. Es waren eine ganze Menge, und sie kümmerten sich nicht um mich, als ich langsam die Senke hinunterritt.

Etwas abseits saßen drei Offiziere an einem Tisch, auf dem neben einer Decke noch einige Flaschen Portwein und mehrere Schüsseln standen. Sie unterhielten sich angeregt und ließen den Offiziersburschen nicht zur Ruhe kommen. Er musste ihnen Feuer für die Zigarren reichen, das Dessert auftragen, nachholen, Teller abräumen und flitzte mit gerötetem Gesicht hin und her.

Zwei große Feuer brannten zwischen dem Tisch der Offiziere und den Soldaten. Vier Feldköche waren damit beschäftigt, zwei riesige Ochsen am Spieß mit Fett zu übergießen, auf rußgeschwärzten Grills standen Pfannen, die das herabtropfende Fett auffingen. Die Köche schöpften es mit langen Löffeln aus den Pfannen und gossen es wieder über die Fleischkolosse. Ein Anblick, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Ein Ochse war schon stark dezimiert und schmeckte auch gut, was ich den Gesichtern der kauenden Soldaten ablesen konnte.

Je Ochse waren zwei Soldaten damit beschäftigt, die enorme Eisenkurbel zu drehen. Im Hintergrund kochten noch drei Töpfe mit Bohnen.

Aber nicht nur Soldaten hatten sich hier versammelt. Ich sah, dass hinter den Pferden auch drei Planwagen abgestellt waren, die dazugehörigen Pferde am Hitchrail angebunden. Zwölf Zivilisten saßen vor dem Feuer mit dem schon fast aufgegessenen Ochsen und kauten mit vollen Backen. Sie unterhielten sich kaum, sondern knabberten verzückt an den großen Fleischstücken. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Wer hatte schon in diesen Zeiten das Glück, einen Ochsen vom Spieß zwischen die Zähne zu kriegen?

Ich stieg ab und führte den Braunen langsam zum Hitch­rail. Wenn ich nun schon hier war, warum sollte ich nicht auch mitessen, sagte ich mir. Ich schlenderte am Offizierstisch vorbei. Die drei hohen Herren waren mir nicht unbedingt sympathisch. Ihre Gesichter waren fettverschmiert, und ich sah, dass sie von ihren Fleisch­stücken nur jeweils das allerbeste nahmen und den Rest hinter sich ins Gras warfen. Das Tischtuch war aus Damast, die Bestecke aus Silber. Die Gläser, aus denen sie den teuren Port in sich hineinschütteten, waren aus schwerem Kristall. Mit dreckigen, fettglänzenden Fingern kratzten sie sich am Kopf oder schlugen sich lachend auf die Schultern.

„Smith! Mein Glas ist leer! Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich Ihre Schlamperei nicht mehr dulde“, sagte gerade einer von ihnen. Und während der arme Smith mit zitternden Fingern Portwein nachfüllte, erzählten sie sich dreckige Witze.

„Komm“, sagte ich leise zu Shita. Der brave Hund hatte schon drohend die Lefzen hochgezogen und knurrte in Richtung auf den Tisch.

Ich band meinen Braunen an und ging zurück zum Feuer. Einer der Zivilisten drehte sich um.

„Kommen Sie, junger Mann“, rief er einladend. „Das Militär lädt Sie ein. Essen Sie sich voll, alles auf Kosten der Union.“

Er grinste und beugte sich vor. Einer der Köche säbelte ein riesiges Stück Fleisch mit knisternder Kruste von der Ochsenschulter ab und reichte es ihm. Der Mann drückte es mir in die Hand. Ich setzte mich.

„Der Hund ist auch hungrig“, sagte der Mann dem Koch und erhielt auch prompt einen Mordsknochen, noch mit fetten Fleischstücken daran. Er ließ sich wieder nieder und gab Shita den Knochen. Der ließ sich nicht zweimal bitten. Er drehte sich mehrmals um seine eigene Achse, den Knochen in den Fängen. Als er endlich seine Position gefunden hatte, war er nicht mehr zu bremsen. Es knirschte und knackte, dass die Splitter nur so flogen.

Der Mann sah mit aufgerissenen Augen zu. „Ein prächtiger Hund“, sagte er kurz darauf.

Ich musste grinsen. „Er hat immer noch bessere Tischsitten, als die drei Offiziere da hinten zusammen.“ Ich deutete zu dem Tisch, kaum fünfzehn Yards entfernt.

„Seien Sie bloß ruhig“, meinte der Mann leise. „Essen Sie Ihr Fleisch und verschwinden Sie wieder. Das tue ich nämlich auch. Diese Militärs sind überall die gleichen. Erst laden sie einen großartig ein – aus geraubten Beständen, versteht sich –, dann wollen sie einen verpflichten.“

Ich horchte auf. Zum ersten Mal sah ich den Mann näher an. Er war mittelgroß, mit einem langen schwarzen Bart. Kein Angebertyp. Jemand, der wusste, von was er sprach.

„Sie müssen ihnen Zucker in den Hintern blasen“, sagte er leise. „Möglichst sogar Puderzucker. Und dann nehmen Sie die Beine in die Hand und hauen ab. Denn die Kerle pfeifen auf einen guten Ruf. Deshalb laden die niemanden ein. Das Ganze dient nur dazu, neue Männer zu verpflichten.“ Er warf mir einen vielsagenden Blick zu. „Nach dem Essen wird ein Werbe-Sergeant herumgehen und Ihnen den Himmel auf Erden versprechen. Das ist der Zeitpunkt, in dem Sie so schnell wie möglich abhauen sollten.“

Wir schwiegen eine Weile. Ich kaute nachdenklich auf dem Fleisch herum. Es schmeckte mir plötzlich nicht mehr so gut.

„Da, sehen Sie!“ Der Mann deutete zu den Pferden. Ein Ordonnanzoffizier gab einigen Soldaten Befehle. Daraufhin wurden die Zivilistenpferde mit Futter versorgt.

„Jetzt wird uns gezeigt, wie gut wir es haben könnten. Keine Sorge um das tägliche Brot und noch eine Menge von diesem Quatsch. Wir sollen nur unterschreiben. Von da an brauchen wir uns um nichts mehr zu kümmern. Ich könnte Ihnen die ganze Rede auswendig sagen.“

Ich musterte den Mann. „Sie kennen sich ganz gut aus.“

Er strich sich grinsend über den Bauch. „Ich lebe gut damit. Schon seit über zwei Monaten ernähre ich mich von der Mutter Armee. Ich ziehe von Camp zu Camp, lasse mir Fleisch und Bohnen geben und sage dann, ich könne mich leider nicht verpflichten, weil ich einen kaputten Rücken habe.“

Ich hatte verstanden. Man musste sich in diesen Tagen etwas einfallen lassen, um nicht unter die Räder zu geraten. Dieser Mann hatte sich sogar etwas sehr Gutes einfallen lassen. Er aß sich voll, ohne eine Hand dafür zu rühren. Man konnte es ihm nicht einmal vorwerfen.

Ich erhob mich und trat zu einem der Köche. Er gab mir eine Blechschüssel Bohnen mit Speckwürfeln und ein weiteres Stück Fleisch.

Als ich zurückging, sah ich, wie einer der Offiziere am Tisch aufstand und sich mit der feinen Serviette das Fett abwischte. Sofort waren zwei Ordonnanzen da und bliesen Staubkörnchen von seinen uniformierten Schultern.

Ich kümmerte mich nicht weiter um diese Hampelmänner. Das Essen in meinen Händen, das war es, was mir wichtig war. Ich ging zurück und setzte mich neben den Mann.

„Hungrig, wie?“, stellte er fest. Er hatte ein angenehmes Lächeln.

Er erwartete keine Antwort, also gab ich Shita den Knochen von meinem Fleischstück und aß dann weiter. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Offizier die Straße überquerte und in seinem Zelt verschwand.

Inzwischen gingen die Zivilisten einzeln zum Feuer und ließen sich Fleisch und Bohnen nachgeben. Einige der Männer sahen aus, als hätten sie schon viel durchgemacht, mit abgehärmten, ausdruckslosen Mienen und harten Augen. Sie alle genossen sichtlich die großzügige Bewirtung. Von den Hintergedanken der Soldaten schienen sie nichts zu wissen.

Ich fragte mich insgeheim, wie viele von ihnen auf den Trick hereinfallen würden. Mich nicht dazugerechnet, waren es zwölf Zivilisten, darunter keine einzige Frau. Vielleicht hatten viele von ihnen ihre Familie verloren und waren ganz froh, diese Chance zu erhalten.

Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen. Vor dem Offizierszelt ertönte plötzlich lauter Trommelwirbel. Die Soldaten hörten auf zu essen, während sich die Zivilisten neugierig umdrehten.

Die drei Offiziere marschierten zwischen den Zelten heran. Hinter ihnen schritt eine Gruppe von sechs Soldaten, dahinter zwei Blauröcke, die zwei gefesselte Kameraden führten. Die Gesichter der beiden waren grau.

„Was soll das?“, fragte ich leise.

Mein Nachbar aß ruhig weiter. „Abwarten“, sagte er mit vollen Backen. Dann widmete er sich wieder seinem Braten.

Ich sah der seltsamen Prozession zu. Die Offiziere wirkten entspannt, plauderten angeregt miteinander und pafften dicke Rauchwolken aus ihren Zigarren. Sie kümmerten sich nicht um die Soldaten, die mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten in Zweierreihen folgten. Deren Mienen waren unbewegt.

Der Trommelwirbel hielt an. Ich sah den Soldaten mit der Trommel hinter der Gruppe hergehen. Er schritt langsam, feierlich, fast wie bei einem Begräbnis.

Die Offiziere hielten bei einer kleinen Strauchinsel an. Sie drehten sich um und sahen den Soldaten entgegen, die auf einen Befehl hin stehen blieben. Ein weiterer, kurzer Befehl, und die Gewehre wanderten in einer eingeübten Bewegung in die andere Hand. Der Trommler stellte sich etwas seitlich auf, die Offiziere nicht aus dem Auge lassend.

Ein Sergeant trat einen Schritt vor. Der Trommelwirbel brach sofort ab. Der Sergeant zog ein Papier aus seiner Brusttasche und faltete es auseinander. Er räusperte sich.

Ich sah mich um. Mein Nachbar war der einzige, der noch mit vollen Backen kaute. Alle anderen starrten gespannt auf die Szene.

„Jim Buckmaster!“, schnarrte der Sergeant. Er musterte die beiden gefesselten Männer.

Einer von ihnen trat einen Schritt vor. Sein Kopf war stolz erhoben. Er sah dem Sergeant direkt in die Augen.

„Hier“, sagte er. Seine Stimme bebte leicht.

„Gemäß Urteil des Kriegsgerichts der Unionsstreitkräfte, gefällt am 4. März 1864, sind Sie der Desertion beschuldigt. Dieses Verbrechen wird mit dem Tode bestraft. Sie sind einstimmig für schuldig erklärt worden. Das Urteil wird an Ort und Stelle vollstreckt. Haben Sie noch einen Wunsch? Eine Zigarette?“

Der Sergeant hatte dies alles sehr schnell und ohne Betonung heruntergelesen. Genauso gut hätte er sich auch über das Wetter unterhalten können. Er zeigte weder Mitgefühl noch Verständnis. Ich spürte, wie Wut in mir hochstieg. Auch wenn der arme Kerl vor dem Feind abgehauen war, er hatte es nicht verdient, wie ein räudiger Hund zu sterben.

„Ich habe keinen Wunsch“, sagte der Verurteilte. Er schaffte es sogar, dem Sergeant ins Gesicht zu lächeln.

Dessen Miene verfinsterte sich. Auf eine Handbewegung hin wurde der Mann zu einem Baumstamm geführt und dort festgebunden. Als man ihm eine Augenbinde anlegen wollte, lehnte er sie ab.

„Ich will meinen Mördern ins Auge sehen!“, sagte er mit fester Stimme.

Bevor er noch mehr sagen konnte, ließ der Sergeant wieder die Trommel schlagen.

Die sechs Soldaten stellten sich in Position. Die Sonne, die gerade zwischen zwei Wolken hindurchbrach, spiegelte sich auf den blankgeputzten Gewehrschlössern. Sie legten an.

„Feuer!“, schrie der Sergeant, nachdem er den Trommler mit einer Handbewegung zur Ruhe gebracht hatte.

Mit ohrenbetäubendem Krachen entluden sich die Gewehre. Pulverdampf breitete sich beißend über der Senke aus. In die plötzliche Stille hinein knurrte Shita. Ich brachte ihn mühsam zum Schweigen. Ihm passte das alles genauso wenig wie mir.

Der Verurteilte hing zusammengesunken in den Fesseln. Er wurde abgebunden und von zwei Männern außer Sichtweite gebracht. Man würde ihn irgendwo verscharren. Wenn er Glück hatte, erhielt er noch ein dürftiges Holzkreuz mit seinem Namen.

Der andere Deserteur hatte bei weitem nicht die Beherrschung seines Vorgängers. Er sträubte sich, trat mit den Füßen um sich und schrie dazu wie am Spieß. Es war kein schöner Anblick, wie die Soldaten den weinenden Mann an den Baum banden. Der Sergeant unterhielt sich gelassen mit den Offizieren. Mit angewidertem Blick sah er zu, wie der Mann mit gierigen Zügen seine letzte Zigarette rauchte. Dabei liefen dem Verurteilten die Tränen über das Gesicht. Er zitterte am ganzen Körper. Speichel rann aus seinen Mundwinkeln und tropfte auf seine Uniform.

„Genug. Er hat seine Zigarette gehabt!“, rief der Sergeant unwillig. Er sah zu, wie man dem Verurteilten die Kippe aus dem Mund nahm und austrat. Trommelwirbel. Der Sergeant rasselte seine Befehle. Wieder krachten die Schüsse.

Das Krachen war noch nicht verhallt, da beugten sich die Soldaten beim Feuer schon wieder über ihre Essgeschirre. Sie waren das Schauspiel gewöhnt. Sie lebten nun seit Wochen mit dem Tod im Auge, was bedeutete ihnen da schon die Exekution eines Deserteurs? Man konnte ihnen ihre Gleichgültigkeit nicht einmal vorwerfen. Es war ein harter Menschenschlag. Wer mit schwachen Nerven in die Armee eintrat, verlor sie sehr schnell, oder er starb. Außerdem hatten sich die meisten Soldaten ihren Beruf selbst ausgesucht.

„Ein schlechter Einstand“, murmelte mein Nachbar grinsend. „Damit haben Sie sich einige Aspiranten auf die Uniform vergrault.“

Ich sah mich um. Die Zivilisten sahen zum größten Teil ziemlich blass aus. Einige von ihnen hatten offensichtlich den Hunger verloren.

Shita knackte wieder an seinem Knochen. Was soll’s, schien er mir zuzuzwinkern, die Männer werden nicht mehr lebendig, ob ich nun esse oder nicht.

Dieser Meinung war ich auch. Ich hatte den Tod öfters vor Augen gehabt und kannte schlimmere Tode als den durch das Exekutionskommando. Das Militär hatte sich seine eigene, streng eingeteilte Welt mit eigenen Gesetzen geschaffen. Wer sich in eine Uniformjacke zwängte, musste sich den Gesetzen beugen, oder er war selbst schuld.

Das dachte ich. Ich sollte sehr schnell eines Besseren belehrt werden.

2.

„Es geht los“, sagte mein Nachbar kurz darauf. Er erhob sich ziemlich brüsk.

Ich sah fragend zu ihm hoch. Er grinste mich an. „Ich verschwinde, junger Mann. Das empfehle ich dir wärmstens auch.“

Ich erwiderte sein Grinsen. „Was soll denn schon passieren?“, fragte ich.

Er antwortete nicht mehr, sondern ging mit schnellen Schritten an einem Sergeant vorbei auf die Stange zu, an der die Pferde angebunden waren. Der Sergeant, einer der drei Ordonnanzen, sah ihm neugierig nach, sagte aber nichts.

Keine halbe Minute später sah ich meinen Nachbarn auf sein Pferd steigen. Er drehte sich im Sattel um und hob grüßend die Hand. Ich erwiderte seinen Gruß, aber er hatte seinem Pferd schon die Sporen gegeben. Er preschte die Senke hinauf und verschwand hinter der Kuppe. Die Hufschläge gingen im allgemeinen Stimmengewirr unter.

Ich steckte das letzte Stück Fleisch in den Mund. Kauend sah ich dem Sergeant zu, der sich neben einen Zivilisten kauerte und gestenreich auf ihn einredete. Ich saß nahe genug, um einiges zu verstehen.

Der Werbe-Sergeant war während der Exekution nicht in Aktion getreten, ich hatte ihn noch nicht gesehen. Er war mittelgroß, hatte karottenrotes Haar und ein schmales, spitzes Gesicht. Seine Stimme klang weich, und in ihr schwang ein brüderlicher Ton, verständnisvoll, gleichzeitig einschmeichelnd und begeisternd. Er sprach nur andeutungsweise von den hohen Idealen der Soldaten.

„Du kriegst Handgeld, wenn du dich verpflichtest“, sagte er gerade und legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter. „Je nach deiner körperlichen Konstitution.“

„Je nach was?“, fragte der Junge.

Der Sergeant lächelte warm. Er war wirklich überzeugend, das musste ich zugeben.

„Steh auf“, sagte er sanft.

„Warum?“

„Ich muss sehen, wie groß du bist und ob du Kraft hast.“

Der Junge erhob sich. Er war weder groß noch besonders kräftig, aber der Sergeant lächelte weiter.

„Hm. Nicht schlecht. Du erhältst achtzehn Dollar, wenn du unterschreibst.“

„Achtzehn Dollar!“ Für den Jungen war diese Summe sicherlich mehr, als er jemals in den Händen gehabt hatte.

„Überlege es dir gut, mein Junge. So eine Chance kriegst du nie wieder!“ Der Werbe-Sergeant hatte schon ein Blatt Papier und einen Bleistift gezückt und hielt beides dem Jungen hin: „Hier. Du brauchst nur zu unterschreiben. Mehr nicht. Alles andere erledigen wir.“

Es war das erste wahre Wort, das ich von ihm hörte. Alles andere würde die Armee erledigen. Man drückte den unerfahrenen Kerlen Gewehre in die Hand und ließ sie immer vorwärts rennen, bis sie von einer Kugel gestoppt wurden. Das Begräbnis wurde auch von der Armee gestellt. Kostenlos. Am liebsten hätte ich dem Sergeant sein gespieltes Lächeln in das Maul gestopft. Aber ich wollte nicht in Ärger verwickelt werden. Also sah ich zu, wie der Junge unterschrieb und vom Sergeant zu einem Zelt geschickt wurde.

Das nächste Opfer war ein Mann, sicher schon Mitte dreißig, lichtes Haar, mit dunklen Augen. Er ließ den Sergeant glatt abblitzen, sagte die ganze Zeit über kein einziges Wort und hob am Schluss nur seinen linken Arm. Er hatte eine Holzhand.

Der Sergeant verlor einen Augenblick die Fassung. Das liebenswürdige Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, und er starrte den Mann wütend an. Aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt.

Er verstand sein Geschäft. Wahrscheinlich hatte er Menschenkenntnis, denn beim nächsten Aspiranten redete er kaum vom Geld, das bei der Verpflichtung heraussprang, sondern von den großen Idealen der Union. Als er bei der Freiheit und dem Vaterland angelangt war, glänzten die Augen des Umschwärmten, und als der ­Sergeant von den gottverdammten Rebellen sprach, die all diese mühsam errungenen Privilegien zerstören wollten, da unterschrieb der Mann sofort. Er fragte nicht einmal, wie viel er dafür bekommen sollte.

Mit zwanzig Dollar wurde er zum Zelt geschickt.

Der Sergeant ging nun zu einer Gruppe von drei Männern, die mir gegenüber am Feuer saßen. Ich konnte nicht mehr verstehen, was er ihnen erzählte, aber an den Mienen der Männer erkannte ich, dass zwei von ihnen bald entschlossen waren, sich im Kampf um Vaterland und Ehre zu bewähren. Aber dann unterschrieb nur einer von ihnen. Der andere hatte anscheinend mehr Geld verlangt. Aus Wortfetzen entnahm ich, dass der frischgebackene Soldat fünfundzwanzig Dollar erhalten hatte.

Beim nächsten Versuch gab es Ärger. Es handelte sich um einen älteren Mann mit seinem Sohn. Beide saßen nicht weit von mir, der Sohn blass, schmächtig, mit dunklen Ringen unter den Augen, der Vater bullig, mit breiten Schultern und gerötetem Gesicht. Er war ein Farmer, das sah man an seiner Kleidung und seinen Händen. Aus der Tasche seines Mantels ragte ein Flaschenhals. Schon vorher hatte ich beobachtet, dass er sich redlich bemühte, noch während des Essens den Flaschenboden zu erreichen. Als ich angekommen war, hatte er mit dem Daumen gerade den Korken in den Hals gedrückt. Jetzt war die Flasche so gut wie leer und der Mann etwas roter im Gesicht.

Es war ein unangenehmer Mann, der Typ eines nie erwachsen gewordenen Raufboldes ohne Manieren. Ein Menschenschlag, mit dem ich gar nichts anfangen konnte oder wollte. Sein Sohn hatte die ganze Zeit über kaum ein Wort gesagt, sondern nur neben seinem Vater ­gesessen und vor sich auf den Boden gestarrt. Als der Sergeant zu ihnen trat, sah er auf, musterte den Sergeant scheu und blickte wieder zu Boden.

„Na, junger Mann, wie ist’s mit Ihnen?“, fragte der Sergeant mit verständnisvoller Stimme. Dabei nickte er grüßend zum Vater hin. Der grunzte etwas Unverständliches und grub seine Zähne in ein Stück Fleisch.

Der Junge war höchstens sechzehn Jahre alt, mehr auf keinen Fall. Und meiner Meinung nach ist das ein bisschen zu jung für den Eintritt in die Armee. Außerdem sah er nicht so aus, als würde er einen Windstoß mittlerer Stärke heil überstehen.

„Bitte?“ Der Junge sah unsicher zu dem Sergeant auf, der keinen Schritt vor ihm in die Höhe wuchs.

Daraufhin kniete sich dieser neben ihn. Wie schon gesagt, er verstand sein Handwerk und wollte den scheuen Jungen nicht noch mehr verängstigen.

Der Sergeant erzählte von den Vorzügen der Armee, den Idealen und Freiheiten der Union, als ihn der Vater unterbrach.

„Was soll der Mist? Freiheit, Ideale, Patroi... Patru...“

„Patriotismus“, berichtigte ihn der Sergeant mild.

„Genau, Patriodingsda!“ Der Vater schlug seinem Sohn die mächtige Pranke auf die Schulter. Der Kleine flog beinahe ins Feuer.

„Stärke, Kraft, Mannestum!“, grölte der Vater. „Das ist es, was er braucht.“

Der Sergeant erkannte seine Chance. „Das ist auch einer der wichtigsten Aspekte bei ...“

„Asp... was?“, fragte der Vater. Mit Kartoffeln kannte er sich wahrscheinlich besser aus als mit Fremdwörtern. Falls nicht, war ihm wirklich nicht zu helfen.

Der Sergeant lächelte verständnisvoll. „Ich sagte, dass die Armee in erster Linie dazu dient, aus jungen Burschen stahlharte Männer zu machen, die selbst vor dem Teufel nicht zurückschrecken.“

„Genau das Richtige!“, rief der Vater und knallte seinem Sohn einen weiteren Prankenhieb auf die Schulter. „Das lobe ich mir!“

„Außerdem gibt es Handgeld“, fuhr der Sergeant fort.

„Handgeld?“ In den Augen des Vaters blitzte es plötzlich auf. „Wie viel?“

„Das kommt darauf an. Es ...“

„Wie viel?“, fragte der Vater wieder. Geld schien für ihn mehr Bedeutung als alles andere auf der Welt zu haben. Auch als sein Sohn.

„Je nach Körperbau zwischen zehn und fünfzig Dollar.“

„Für ihn?“ Der Vater stieß einen dicken Daumen in Richtung auf den total verschüchterten George.

„Zehn Dollar“, sagte der Sergeant.

„Zehn Dollar. Hm.“ Der Vater leckte sich nachdenklich über die Lippen. Wahrscheinlich rechnete er sich gerade aus, wie viele Schnapsflaschen er für die zehn Dollar erhielt. Er brauchte ziemlich lange dazu. Die ganze Zeit über sagte der Sergeant kein Wort.

„Willst du dich nicht verpflichten?“, fragte der Vater schließlich.

Sein Sohn reagierte nicht. Er sah verbissen vor sich auf den Boden.

„He, ich habe dich was gefragt! Willst du nicht in die Armee eintreten? Dann wirst du endlich ein Mann!“

George sah auf. Seine Augen schimmerten feucht. Er schüttelte den Kopf, erst langsam und zögernd, dann immer schneller und trotzig wie ein kleines Kind.

Dem Vater platzte der Kragen. „Ich will, dass du dich verpflichtest, zum Donner!“

„Du brauchst nur zu unterschreiben.“ Der Sergeant hielt ihm schon das Papier und den Bleistift entgegen.

„Ich will nicht!“, stieß George hervor. Er rückte von dem Sergeant weg, der ihm mit dem Papier vor der Nase herumfuchtelte, immer noch ein Lächeln im Gesicht.

„Ich bin dein Vater!“, schrie der Mann und packte seinen Sohn am Hemd. „Du tust, was ich dir befehle, hast du verstanden?“

Mir juckte es gehörig in den Fingern. Liebend gern hätte ich dem alten Säufer gesagt, was ich von ihm als Vater hielt. Aber es hatte keinen Zweck. Früher hätte ich mich vielleicht eingemischt, aber inzwischen hatte ich mir so oft die Finger verbrannt, dass ich es lieber sein ließ.

„Ich will nicht, Vater, bitte!“ Der Junge weinte jetzt. Tränen rannen über sein Gesicht. Er versuchte erst gar nicht, sie wegzuwischen. Die Angst saß ihm in den Gliedern.

„Hier!“ Der Sergeant ließ nicht locker.