Ronco - Die Tagebücher 17: Die Ratten von Savannah - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 17: Die Ratten von Savannah E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Der blutige Bürgerkrieg neigt sich dem Ende zu. Die blauen Kolonnen General Shermans sind wie eine Strafe des Himmels über die Konföderierten gekommen. Sie haben eine Schneise aus Blut, Feuer, Tod und Verderben durch Georgia geschlagen. Sie haben Atlanta, die Perle des Südens, vernichtet und stehen jetzt vor Savannah. Panik und Verzweiflung haben sich ausgebreitet.Aber einige Männer von Rang und Einfluss versuchen, sich selbst zu retten. Männer, die nicht mit dem Ende des Krieges untergehen wollen. Männer ohne Skrupel.Ich bin ihnen auf der Spur. Als Zivilscout der Unionsarmee.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Die Ratten von Savannah (33)Die Todesinsel (34)

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

Dietmar Kuegler

Die Ratten von Savannah

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-166-3Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Die Ratten von Savannah

von Dietmar Kuegler

15. Dezember 1880

Dieser Winter ist so hart, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Mannshohe Schneewehen versperren mir den Weg. Ich reite von Osten nach Westen durch New Mexico. Wenn ich schreibe, dass dieser Staat die Hölle ist, dann liegt das vermutlich nicht nur daran, dass hier die Sommer mörderisch und die Winter furchtbar sind, sondern auch daran, dass ich nicht gerade gute Erinnerungen an dieses Land habe und es am liebsten nie mehr betreten hätte.

Ich befinde mich auf dem Weg nach Cow Spring, im äußersten Südwesten New Mexicos. Dort lebt der Senator des Staates, Vaud F. Wilson, einer meiner wenigen echten Freunde, der Mann, dem ich verdanke, dass ich nicht mehr gejagt und unschuldig angeklagt werde. Er hat mich, der Himmel mag wissen wie, in Texas aufgespürt und mich telegraphisch aufgefordert, zu ihm zu kommen. Ich weiß nicht, was er will, ich weiß nur, dass ich jederzeit seinem Ruf Folge leisten würde, egal wohin, wenn es sein müsste, bis ans Ende der Welt. Ich weiß, was ich ihm verdanke, und ich werde das nie vergessen. Das war der Grund, weshalb ich meinen Schwur, New Mexico nicht mehr zu betreten, gebrochen habe.

Ich werde bald bei ihm sein, und ich spüre schon jetzt, dass das, was er von mir will, positiv für mich sein wird. Wilson hat mir immer geholfen, selbst dann, wenn ich es nicht erwartet habe. Er hat mich nicht vergessen. Er ist ein guter Mann, dem das Wort Freundschaft nicht so leicht über die Lippen geht.

Freunde habe ich weiß Gott wenig in meinem Leben gehabt.

Fast meine ganze Jugend habe ich ohne einen richtigen Freund verbringen müssen. Das war manchmal hart. Besonders, wenn ich jemanden brauchte, mit dem ich hätte reden können. Ich hatte nur Shita, meinen Hund. Mit ihm konnte ich über alles reden. Aber er konnte mir nicht antworten, und so war ich eben doch sehr allein.

Auch während der Zeit des Bürgerkrieges, als ich als Kurier zu den Truppen General Shermans gehörte, als ich den ganzen legendären Marsch durch Georgia erlebte und dabei unendlich viel Leid sah, so dass ich den Krieg in jeder Form hassen lernte. Er neigte sich, für jeden sichtbar, dem Ende zu, als wir in Fort McAllister am Atlantischen Ozean einmarschierten. Wir hatten nur noch ein Problem vor uns: die Hafenstadt Savannah. Ich ahnte nicht, dass ich dabei eine besondere Rolle spielen sollte.

1.

Es war der 11. Dezember 1864, ein eiskalter Tag, an dem es nicht einmal am Mittag richtig hell geworden war. Schneewolken trieben in rascher Folge von der See landwärts. Aus der Ferne hallte manchmal Geschützdonner über das Land. Das Brausen der Meeresbrandung war weithin zu hören, obwohl der Ostwind nachgelassen hatte.

Wir waren fünf und kauerten in einer Bodenrinne, von der aus wir die Gegend vor uns beobachten konnten. Lichtflecken in der Ferne zeigten uns, dass dort Savannah lag, die Stadt, die noch in diesem Jahr genommen werden sollte.

Deshalb waren wir unterwegs. Ich hatte einen Plan von General Sherman unter der Jacke, der zur Fireball gebracht werden sollte. Der Plan enthielt alle Einzelheiten des Eingreifens der Seestreitkräfte in den Sturm auf die Hafenstadt. Wir sollten diesen Plan in einem irgendwo am Strand bereitliegenden Ruderboot hinaus auf das Meer bringen.

Shita, meinen treuen Hund, hatte ich im Lager des Generals zurückgelassen. Seewasser und ein schwankender Kahn – das war nichts für ihn. Er konnte uns eher hinderlich sein.

„Sieht einer was?“, fragte der Bootsmann, der uns führte. „Irgendwo müssen doch Wachen der Konföderierten herumlungern, zum Teufel!“

Ich strengte meine Augen zwar an, konnte in der Nacht außer den fernen Lichtern aber nichts erkennen.

„Nein, ich sehe nichts“, erwiderte einer der Männer.

„He, du junger Schnösel, was ist mit dir?“, schnauzte der Bootsmann mich an. „Du hast noch die besten Augen. Siehst du nichts da vor uns? Streng dich gefälligst mal an!“

„Nein, ich sehe auch nichts“, erwiderte ich. „Nur die Lichter.“

„Die Lichter von den Kneipen, was?“ Der bärenhafte Bootsmann grinste mich jovial an. „Die sehe ich auch. Und ich sehe sogar den Rum in den Regalen. Siehst du auch den Rum, mein Junge?“

Die Männer lachten leise. Einer sagte: „Eine Schande ist es, einen so jungen Burschen schon zu verheizen.“

„Ich habe mich freiwillig als Zivilscout gemeldet“, erwiderte ich.

„Du solltest den verdammten Krieg hassen“, sagte der Bootsmann. „Früher, zur Hölle, sind wir um das Kap geschippert; nach Ceylon und nach Burma. Heute dümpeln wir eine Spuckweite vor der Mole herum und spielen für die Blockadebrecher den Klabautermann. Der Teufel soll mich holen, wenn das schön ist. He, seht ihr jetzt etwas?“

„Verflucht, wir sehen nichts“, maulte einer der Männer.

„Dann weiter, Leute. Und immer schön im Gänsemarsch hinter mir her, sonst setzt es was!“

„Ich hasse den Krieg auch“, sagte ich.

Der Bootsmann hatte sich schon abgewandt, blickte aber über die Schulter zurück. „Was redest du, du hasst den Krieg?“

„Jeder hasst ihn.“

„Und noch bist du hier?“

„Wer weiß schon, was einen erwartet“, erwiderte ich. „Das Leben ist nirgends einfach. Krieg ist die Hölle, aber es gibt viele Höllen.“

„Du hörst dich an, als wenn du doppelt so alt wärst.“

„Vielleicht bin ich das ja auch“, sagte ich. „Vielleicht habe ich schon ein paarmal gelebt.“

„Wer diesen verdammten Krieg hinter sich bringt, hat mehr als ein Leben gelebt“, sagte der Bootsmann. „Du bist ein kluges Köpfchen, Junge. Du weißt, wie der Hase läuft. Du wirst es schaffen.“

„Ich habe gewusst, auf was ich mich einlasse“, antwortete ich. „Ich gehöre nicht zu den armen Schweinen, die sich von irgendeinem Werbeoffizier haben erzählen lassen, dass Krieg ein großes Spiel ist.“

„Genau, die malen alles in rosa, wenn sie einen aufstöbern, den sie haben wollen. Kielholen sollte man diese Halunken. Jeden Tag einmal kielholen, bis sie ein Hai vom Tau frisst. Aber die sind ja so zäh, dass die Haie halbverhungert sein müssen, wenn sie da ’rangehen. Denen geht es nur um ihre Prämien. Was aus den armen Teufeln wird, die sie in die Uniform zwingen, interessiert die nicht. Nun gehen wir aber, mein Junge.“

Die Marinesoldaten schienen Angst zu haben, denn sie hielten sich weiterhin an die flache Rinne, die kaum noch Deckung zu bieten hatte.

Wir schlichen an ein paar blattlosen Hecken vorbei. Mancher Busch sah eher wie ein Gerippe aus. Hinter uns war in der Ferne noch das anhaltende Geschützfeuer zu hören, während vor uns das Brausen des Meeres deutlicher wurde.

Plötzlich blieb der erste Soldat stehen und schlug sein Gewehr an. Die anderen prallten gegeneinander und fluchten leise.

„Was ist los, Cranach?“, fragte der Bootsmann.

Ich zog mir die Jacke dichter um den Körper. Der Wind war stärker zu spüren als noch vor wenigen Minuten und pfiff mir durch Mark und Knochen.

„Verdammt, was ist los?“, fragte unser Anführer unterdrückt. „Bleiben wir nur zum Spaß stehen?“

Cranach gab nur ein leises Zischen von sich.

Wir krümmten uns automatisch zusammen und versuchten, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Aber da waren nur die nackten Büsche und die fernen Lichter der Stadt.

Doch auf einmal sah ich etwas. Schemenhaft huschten Gestalten von einer Hecke zu einer anderen.

„Da“, flüsterte ich.

„Na also“, sagte der Seemann. „Ich wusste doch, dass mein Verstandskasten noch in Ordnung ist. Ein Spähtrupp, Bootsmann! Die haben uns schon bemerkt und wollen uns den Weg abschneiden.“

Die schemenhaften Gestalten waren im Schutz einer Hecke verschwunden.

„Wie viele waren es, Ronco?“ Jolan Brash, der borstenhaarige Bootsmann, ließ sein Gewehr sinken.

„Vier meine ich gesehen zu haben“, erwiderte ich.

„Und du, Cranach?“

„Denkst du, ich hätte die auch noch gezählt?“, sagte der Seemann an der Spitze unseres kleinen Zuges. „Ich war heilfroh, überhaupt etwas zu erkennen.“

„Er sagt, es seien vier, Cranach.“

„Kann schon sein. Vielleicht hat er Augen wie ein Nachtfalke. Er ist auch nur halb so alt wie ich.“

„Die kaufen wir uns“, erklärte der Bootsmann. „Behaltet den Busch im Auge. Wenn sie auftauchen, dann nichts als draufhalten. Ist das klar, mein Junge?“

„Klar, Bootsmann“, entgegnete ich.

Der bullige Mann schaute mich an und grinste. „So ein Krieg ist ’ne scheußliche Sache, muss man wirklich sagen. Aber wer zuerst schießt, lebt am längsten. Deshalb niemals lange Fragen stellen. Draufhalten und abdrücken.“

„Jetzt!“, stieß Cranach hervor.

Wir schossen alle gleichzeitig, repetierten die Gewehre und schossen die nächste Salve ab. Die Rebellen schafften es nicht mehr, den Busch zu verlassen oder erneut hinter ihm Deckung zu suchen. Nachdem jeder dreimal aus nagelneuen Henry-Gewehren gefeuert hatten, herrschte Ruhe. Manchmal war ein dünnes Wimmern zu vernehmen, das vom Wind und dem Rauschen des Meeres verweht wurde.

Brash spuckte auf den Boden. „Jetzt aber nichts wie weg, Leute!“

Wir liefen weiter, verließen die Bodenfalte endgültig, überquerten einen Deich und sahen das schimmernde Wasser vor uns. Feuchtigkeit erfüllte die Luft, als wären wir in eine Nebelwand geraten. Salziger Geschmack war plötzlich auf meinen Lippen.

Ein Damm führte steil zum Ufer hinunter – einem langen, hellen Strand. Dicht neben dem Damm befand sich Buschwerk, ein Geflecht aus Weiden schützte es, aber das Wasser war so weit zurückgegangen, dass keine Welle mehr bis so weit hochreichte.

„Es ist schon Ebbe“, sagte Cranach. „Scheiße, jetzt müssen wir den Kahn schieben.“

Wir liefen auf das dichte Buschwerk zu, und ich sah das Heck eines Ruderbootes aus dem Dickicht ragen.

Aber wir hatten die Büsche und das Weidengeflecht noch nicht erreicht, als es dort raschelte und das Geäst sich bewegte.

„Bootsmann! Rebellen!“, brüllte einer. „Die müssen uns gesehen haben, als wir gelandet sind!“

Schüsse fielen.

Der erste Seemann schrie auf, ließ sein Gewehr fallen und kippte in den Sand.

„Verteilen!“, befahl Bootsmann Brash.

Ich hetzte zur linken Seite, um an den Flügel zu gelangen. Mein Gewehr entlud sich während des Laufes, und ein Konföderierter, der mit gezogenem Säbel auf mich zustürzte, fiel ins Gestrüpp.

Die Konföderierten feuerten aus den Büschen.

„Durchlöchert mir das Boot nicht!“, rief Brash.

Ich lief schießend weiter, brachte den vor dem Gestrüpp liegenden Säbel an mich und schlug damit nach dem nächsten Kerl, der mich anfiel. Die blanke Klinge riss die rechte Schulter des Mannes vor mir auf. Sein Geheul ging mir durch Mark und Bein. Doch ich hatte keine Wahl: er oder ich. Da es mir nicht gelang, den Säbel zurückzuziehen, weil der Mann stürzte und die Klinge unter sich begrub, ließ ich den Säbel los und das Gewehr fallen und zog eines der Ruder aus dem Gestrüpp. Es hatte einen langen Holzschaft mit einem breiten Blatt. Ich schwang es in die Höhe und schmetterte es dem nächsten Angreifer auf den Kopf.

Der Soldat prallte auf die Bordwand des Bootes und fiel stöhnend auf den Rücken. Ich teilte mit dem Riemen noch einen Rundschlag aus, der Köpfe und Buschwerk traf, dann ließ ich ihn fallen und zog den Revolver.

Wir waren alle darauf eingespielt, gnadenlos zu kämpfen. Niemand würde auf uns Rücksicht nehmen, also hatten auch wir keine Wahl. Mein Revolver entlud sich. Schattenhaft sah ich Männer umherlaufen und stürzen. Ich hörte Schmerzschreie und scharfes Röcheln. Es war ein erbitterter Kampf.

Auch die anderen um mich hatten bereits die Revolver gezogen und die leergeschossenen Gewehre hinter sich liegen lassen.

Vor mir war keiner mehr, so dass ich schon glaubte, es wäre mal wieder ausgestanden. Aber da teilten sich neben mir die Büsche und eine Gestalt stürzte sich auf mich.

Instinktiv sprang ich zurück. Vor mir zuckte ein Messer vorbei. Der Rebell wurde mitgerissen, und ich konnte ihn mit dem Revolver niederschlagen.

Der Konföderierte krachte auf den Rand des Bootes, taumelte fluchend hoch, drehte sich und griff erneut an. Er hatte das Messer noch in der Hand und stieß es mir entgegen. Ich rettete mich durch einen Sprung seitwärts, packte das vorschnellende Handgelenk und drehte es herum. Der Mann brüllte. Seine Finger öffneten sich. Zwischen uns fiel das Messer ins zusammengetretene Gestrüpp. Ich wandte mich um, krümmte mich zusammen und riss den Arm des anderen auf meine Schulter. Mit einer kraftvollen Bewegung schleuderte ich ihn über mich weg. Er brüllte furchtbar, als er durch die Luft flog und auf den Rücken knallte. Brash feuerte. Die Kugel traf den Mann in den Leib.

„Du Schwein“, sagte ich.

„Nur keine Gefühlsduseleien“, erwiderte der Bootsmann. „Das können wir uns nicht leisten, mein Junge.“

Unsere Gegner waren ausgeschaltet. Wir sahen schemenhafte Gestalten flüchten. Andere lagen reglos am Boden. Lemmon hatte es auch erwischt. Er war Segelmacher auf der Fireball gewesen und würde vielleicht schmerzlicher und länger vermisst werden als mancher andere.

Wir sammelten unsere Waffen ein und stemmten uns gegen den Holzkahn, um ihn über den Strand zu schieben. Der Kiel des Bootes hinterließ eine Rinne im nassen Sand. Der Ebbstrom hatte das Wasser um bereits mehr als zwei Yards fallen lassen, und so mussten wir weit über den Sand hinaus, den schimmernden Wellen entgegen. In Ufernähe überschlugen sich die Dünungswellen. Jedes Mal, wenn eine Woge brach, bildete sich ein weißer Wellenkamm, der einem Phosphorstreifen glich. Das Wasser lief uns entgegen, färbte den Uferstreifen dunkel und verschwand wieder in der See, die im Flachwasser zu kochen schien.

Endlich hatten wir das Beiboot der Fireball im Wasser.

„Schieben, mein Junge, schieben“, befahl der Bootsmann.

Die ersten beiden Seeleute waren bereits an Bord gesprungen. Brash und ich schoben das Rettungsboot in die Wogen, die es aushoben und zurückwerfen wollten. Die beiden Seeleute hatten zwei Riemen in die breiten Duchten geschoben und tauchten die Blätter ein. Brash und ich stemmten uns gegen das Bootsheck. Die Welle lief unter dem Kiel durch und durchnässte mich bis über die Knie. Das Wasser war wie Eis, aber mir fehlte die Zeit, mich darum zu kümmern. Das Boot neigte sich mit dem Bug ins Wellental und rauschte mit dem ablaufenden Wasser davon.

„Springen!“, rief Brash.

Ich hielt mich am Bord des Achterstevens fest und warf mich über die Bordwand. Kopfüber landete ich in dem Boot, das eben wieder ausgehoben wurde. Um uns rauschte und tobte das Meer. Brash stand breitbeinig vor den pullenden Seeleuten und herrschte sie an, weil sie nicht schnell genug ruderten.

Ich hangelte mich herum, setzte mich auf die Ruderbank und griff nach der Pinne.

Die beiden Seeleute pullten nach den Kommandos, die der Bootsmann gab. Tatsächlich entfernten wir uns allmählich vom flachen Strand. Je tiefer die See unter uns wurde, desto mehr beruhigten sich die Wellen.

Nachdem wir uns fünfzig Yards entfernt hatten, lagen die Schaumkämme der brechenden Wogen hinter uns. Das Meer ging in langer Dünung auf und nieder und hatte krumme Buckel auf den Höhen.

Ich hielt die Pinne und steuerte so, dass wir die Wellen schräg angingen und ohne Wasser überzunehmen weiter hinausschwammen. Als ich hinter unser Boot schaute, war der Uferstreifen mit dem Deich dahinter schon nicht mehr zu erkennen.

Da ich alles andere als ein Seemann war, hatte ich ein eigenartiges Gefühl. Ein wenig kam ich mir wie schwebend vor. Und natürlich fürchtete ich diese unendlichen Wassermassen, dieses große Unheimliche, das mit zerstörerischer Wucht auf die Küsten prallt und in einer Nacht vernichten konnte, was Menschenhand in Jahrzehnten schaffte.

Brash duckte sich, während ich nach dem Schiff Ausschau hielt, zu dem wir zu gelangen hofften.

„Halt!“, befahl der Bootsmann leise.

Da sah ich es ebenfalls.

*

Wie aus dem Nichts schob sich ein schemenhaftes Gebilde von Norden auftauchend vor uns heran. Es war ein Wachboot der Konföderierten, das in Ufernähe ­patrouillierte.

„Verdammter Mist“, murmelte Cranach, der eine Seemann.

Sie pullten nicht mehr. Wir hatten alle vier die Köpfe eingezogen und hofften, von dem Wachboot aus nicht bemerkt zu werden. Es war unsere einzige Chance, da wir gegen dieses Dampfboot im Kampf nichts ausrichten konnten.

„Wenn die uns entdecken, landen wir todsicher bei den Fischen“, raunte der Bootsmann mir zu. „Da gibt es keinen Pardon, mein Junge. Bete für uns!“

Das Dampfboot war ein Eisenschiff neuester Konstruktion und mit Geschützen armiert. Der eigentliche Rumpf ragte nur zwei Fuß hoch aus dem Wasser, wurde von einem yardbreiten Waschbord mit kleiner Reling abgelöst und ging dann in einen schräg zur Mitte verlaufenden Aufbau über, der zwei Yards oberhalb des Waschbords eine Spitze über dem Wachboot bildete. Auf diesen mit Panzerplatten gesicherten Aufbau aufschlagende Granaten wurden mit Sicherheit wie Querschläger abgelenkt. Das Boot hatte in der Mitte einen kurzen Schornstein, geschlossene Luken und Niedergänge. Niemand war an Deck zu sehen. Unter einer schwarzen Rauchwolke dampfte der Bewacher langsam näher zur Küste, bis er schließlich genau vor uns, scheinbar zum Greifen nahe, vorbeischwamm.

Ich erkannte ein paar Sehschlitze in der schrägen Bordwand und am achterlichen Mast die Flagge der Konföderierten. Es war ein überaus hässliches, aber sehr solide und kampfgeeignet konstruiertes Schiff.

Unser Boot wurde von der Dünung wieder seewärts getrieben, so dass wir uns von dem Wachboot allmählich entfernten. Der Rauch des Schornsteins trieb uns entgegen, wurde aber vom Ostwind zerrissen. Unsere Blicke folgten dem Schiff, das nun schon hin und wieder bis auf den Schornstein in einem Wellental untertauchte.

Endlich richtete sich der Bootsmann wieder zu seiner imposanten Größe auf und stemmte die Fäuste in die Hüften.

„War verdammt knapp, was?“, fragte Cranach, dessen Stimme noch kratzig war.

„Knapp?“, fragte Brash verächtlich. „Die müssen Tomaten auf den Augen haben, dass sie uns nicht gesehen haben!“

Die Nacht verschluckte das Dampfschiff südlich von uns. Die Männer tauchten die Riemen ein und pullten weiter.

Bald lag die im Wasser unsichtbare Route hinter uns, auf der die Küstenwachboote patrouillierten. Die Dünung ging höher, war aber weiter auseinandergezogen. Es war eine sich ständig wiederholende Berg- und Talfahrt. Auch der Wind war weiter weg vom Ufer stärker und kälter. Von den Kämmen aus sah ich die Meereshügellandschaft um uns. Irgendwo voraus mussten wir bald auf die ­Fireball stoßen.

Die Blockadeschiffe hatten die Aufgabe, kein fremdes Schiff nach Savannah einlaufen und von dort keins auslaufen zu lassen. Nur so konnte verhindert werden, dass neuer Nachschub an Proviant und Waffen in die eingeschlossene Stadt gelangte und den Kampf um diesen Küstenstreifen Georgias verlängerte.

Hilfsgüter für die Konföderierten konnten von überall herangetragen werden, denn die Rebellen hatten noch Goldschätze. Und für Gold gab es Waren in den Fabriken Europas – mitunter in denselben Fabriken, die auch der Union manches lieferten, was diese nicht mehr in genügender Menge selbst herzustellen vermochte. Weil Gold und Geld nicht stinken, deshalb war das so. Und weil man das im Generalstab der Union genauso gut wie anderswo wusste, deshalb lauerten unsere Schiffe da draußen in der Nacht auf die Segler, die mit der ­Ostbrise vielleicht ­versuchen würden, noch vor dem Tages­anbruch den Hafen zu erreichen.

Das Leuchtfeuer von Savannah war inzwischen in unser Blickfeld geraten. Zuckende Lichtblitze wurden weit über das Meer geschleudert, um den sicheren Weg zu weisen,

„Hier müsste die Fireball stehen“, murmelte der Bootsmann und schaute sich um.

Die Seeleute hörten mit dem Pullen auf.

Ich richtete mich auf und schaute nach Süden, weil ich dort etwas zu erkennen meinte. Von einer Wellenhöhe aus sah ich dann auch ein weißes Schimmern und deutete darauf.

„Dort!“

Ein paar Sekunden strengten die anderen sich an.

„Hol’s der Teufel“, sagte Brash dann und blickte mich anerkennend an. „Du hast wirklich Augen wie ein Luchs, mein Junge. Ja, das ist sie!“

Auf dieses Kompliment konnte ich mir bei diesem altgedienten Seebären etwas einbilden. Trotzdem fühlte ich mich nicht wohl. Im Sattel auf einem Pferderücken schwankte die Welt manchmal auch, aber hier auf dem Wasser fühlte ich mich verdammt unsicher.

Die beiden Männer pullten wieder. Ich legte Ruder, und wir steuerten quer zu den auflandigen Wellen dem hellen Schimmern entgegen.

Es dauerte nur drei Minuten, dann konnten wir die Dreimastbark deutlich erkennen. Sie lag beigedreht und hatte außer den beiden Vorsegeln nur das Besansegel gesetzt.

„Boot an Backbord!“, meldete sich die Stimme des Ausgucks.

Gesichter tauchten am Schanzkleid der Backbordseite auf.

„Boot, Parole!“, rief eine Donnerstimme durch ein Megaphon.

Brash, der Bootsmann, formte die Hände am Mund zu einem Trichter und brüllte: „Shermanscout!“

„Aye, aye, Bootsmann, könnt anlegen!“, schallte es zurück.

Von Bord der Fireball wurde eine Jakobsleiter hinuntergelassen, auf die wir zuhielten. Ich war völlig unkundig im Anlegen, aber Brash dachte offenbar nicht im Traum daran, mir zu helfen. So steuerte ich nach reinem Gefühl im spitzen Winkel mit dem Bug auf die Bordwand der Fireball zu, die Riemen wurden eingenommen, und erst dann legte ich Hartruder. Zu meiner eigenen Überraschung schwoiten wir an die Backbordseite der Dreimastbark heran. Brash hatte schon nach der Jakobsleiter gegriffen und kletterte hoch.

„Mir nach, mein Junge!“, rief er zu mir herunter, ohne innezuhalten. „Übrigens, als Rudergänger bist du gar nicht so schlecht!“

Ich war mit Treppen und Stiegen vertraut, auch wenn sie noch so wurmstichig sein sollten. Aber die schwankende Jakobsleiter, also eine Strickleiter, stellte mich vor eine völlig neue Aufgabe. Da jedoch mehr als ein Dutzend Augen hinunterglotzten, griff ich beherzt zu und kletterte hinter dem Bootsmann her. Das Beiboot unter uns wurde klargemacht, um es an Deck zu hieven. Rechts über mir sah ich, wie die Bootsdavits ausgeschwenkt wurden – Kräne, mit denen auf solchen Schiffen Beiboote ausgesetzt und wieder an Deck geholt werden können.

„Wo ist Kapitän Peterson?“, fragte der Bootsmann, dem ich auf den Fersen blieb.

Ein Seemann winkte Brash und lief vor uns her.

Für mich gab es eine ganze Menge Neues zu sehen, so dass ich bis zum Achterschiff hinter dem Bootsmann zurückblieb. Manche der Ausdrücke, die die Männer untereinander austauschten, waren neu für mich, ich hatte sie nie gehört und verstand sie nicht. Aber ich hielt die Augen offen und begriff meist sehr schnell, was gemeint war.

Am Schanzkleid lotete ein Mann mit mehrfarbig markierter Leine ständig die Tiefe und meldete sie nach achtern. Zwei Offiziere spähten durch Teleskopfernrohre auf die See hinaus. Am festgezurrten Ruder stand ein Rudergänger. Auch in den Rahen konnte ich schemenhaft Gestalten bei den aufgegeiten Segeln sehen. Das Schiff schien in Alarmbereitschaft zu liegen, wartend wie ein Luchs in der Nacht an der Fährte des Wildes, das er zu erledigen trachtete.

„Deck!“, rief der Ausguck oben im Großmars.

Brash war herumgefahren. Alles starrte zu dem Ausguck hoch.

„Segel an Backbord, zwei Strich achterlicher als dwars!“, meldete der Ausguck.

Die Männer mit den Teleskopfernrohren suchten das Meer in der angegebenen Richtung ab.

Auf dem Achterdeck erschien eine hünenhafte, hellblonde Gestalt mit einem gewaltigen, ebenfalls blonden Bart. Es musste der Kapitän sein, wie ich an der gold­betressten Uniform erkannte. Der Mann trug einen Degen und einen Revolver hinter dem Gürtel. Darüber hatte er einen offen stehenden, doppelreihigen Mantel mit goldenen Streifen und Sternen an den Ärmeln.

„Jetzt sehe ich es auch“, sagte der eine Offizier mit dem Rohr.

„Sir, der Scout von General Sherman!“, meldete der Bootsmann, der sich erneut umgewandt hatte und Haltung annahm.

„Später!“

„Aye, aye, Sir!“

Ich war ans Schanzkleid des Schiffes getreten und spähte über die See. Doch es gelang mir nicht, etwas zu erkennen.

Noch lag die Fireball beigedreht im Wind, ein scheinbar ruhiges, sich träge in der Dünung bewegendes Segelschiff.

„Viermast-Vollschiff, Sir!“, meldete der Ausguck. „Kurs Südsüdwest!“

„Nationalität?“, fragte der Kapitän, der nach Namen und Aussehen ein gebürtiger Schwede zu sein schien und dem man das Kommando über das gesamte Geschwader der Blockadeschiffe anvertraut hatte. Allerdings befand sich zurzeit kein einziges Schwesternschiff der Fireball in der Nähe.

„Franzose, Sir!“, meldete der Ausguck.

„Klar zum Setzen aller Segel!“, schallte die Stimme des Kapitäns über das Schiff. „Alle Mann an Deck! Schiff gefechtsklar machen!“

Plötzlich entstand emsiges Leben um mich herum. An den drei Masten der Bark wurden die Segel gesetzt. Von den Rahen enterten die Seeleute wieselflink herunter. Geschütze schoben ihre Rohre über die Bordwände.

„Holt dicht die Segel auf halben Wind!“, befahl die tiefe Stimme des Kapitäns. „Ruder drei Strich Steuerbord!“

Der Rudergänger wirbelte das große Doppelrad herum, und die Schoten der gesetzten Segel wurden dichtgeholt.

Quer zum Wind rollte die Fireball über die Dünung, am Achtersteg des Besanmastes wurde die Flagge der Union aufgezogen.

Der Bootsmann tauchte neben mir auf und rief: „Los, mein Junge, gleich gibt es Zunder! Unsere Gewehre müssen noch im Beiboot liegen!“

Ich lief dem bulligen Bootsmann nach und holte mein Gewehr aus dem Beiboot, das jetzt festgezurrt in den Bootsklampen ruhte.

„Ein Strich Steuerbord!“, rief der Kapitän über das Schiff.

Granaten wurden aus einem Niedergang geholt und zu den Geschützen auf der Decksebene gebracht. Ich lief zum Schanzkleid zurück und sah das Vollschiff jetzt in seiner ganzen Pracht vor dem Horizont, der etwas heller war. Irgendwie erinnerte mich das Meer an die Wüsten im Westen, von denen die Traumbilder meiner Kindheit geprägt waren. Es wurde auch hier in der Weite nie richtig dunkel. Immer schien ein helles Schimmern zu bleiben, selbst an einem so trostlosen, verhangenen Dezembertag wie diesem.

Der Franzose hatte an allen Masten Vollzeug gesetzt und lief mit äußerster Fahrt dem drei Seemeilen entfernten Leuchtfeuer von Savannah entgegen. An einem Punkt eine Meile nördlich unserer Position mussten wir theo­retisch mit ihm zusammenstoßen.

Es war klar, dass er uns indessen auch gesehen haben musste. Aber vielleicht glaubten die Männer da drüben, uns entweder in Grund und Boden rammen oder durch eine Kurskorrektur davonsegeln zu können.

„Hier ist ein Enterhaken“, sagte Cranach, der auf einmal neben mir stand.

Ich schaute auf das langstielige Gebilde von einem Haken, der eine um 180 Grad gekrümmte Spitze hatte, über der sich eine zweite Spitze wie ein Dolch befand.

„Was soll ich denn damit?“

„Den Franzmann heranzerren, wenn er neben uns liegt, mein Junge“, erklärte Cranach. „Und einem Gegner den Schädel einschlagen oder aufspießen, wenn er dir zu nahe tritt. Je nachdem.“

Cranach grinste freundlich.

„Wird das Schiff geentert?“, fragte ich.

„Was dachtest du denn?“

„Ich kenne mich hier nicht aus“, sagte ich unbehaglich.

„Du bist in einen ziemlichen Hexenkessel geraten.“ Cranach spuckte über das Schanzkleid. „Aber das geht vorüber. Du weißt ja: Draufhalten ist das halbe Leben!“

Das Loten war auf der Fireball eingestellt worden. Stattdessen wurde mit einem außenbords geworfenen Log unsere Geschwindigkeit gemessen und in Knoten dem Kapitän zugerufen. An dem anderen Schiff wurde der Name durch das Fernrohr von der Bordwand abgelesen und dem Kapitän gemeldet.

Lausanne hieß das Vollschiff aus Frankreich.

Es lief immer noch mit voller Fahrt dem Punkt entgegen, an dem der Zusammenstoß stattfinden musste. Eine Meile trennte uns.

Da, ein fernes Krachen und eine Pulverrauchwolke, die zu den Rahsegeln des Franzosen aufstieg. Die Granate schlug zwei Kabellängen vor der Fireball ins Wasser.

Wir liefen über einen Wellenberg. Die Fireball holte stark über, als wir vom Kamm abwärts rauschten und der Klipperbug sich tief in die See bohrte. Grünes Wasser schwappte über den Steven und lief auf den Decksplanken entlang. Doch die Fireball hob sich wieder empor, glitt quer aus dem Wellental und hatte den Franzosen an Backbord voraus im Visier der Geschütze.

Kapitän Peterson gab den Befehl, eine Salve abzufeuern, was mit erheblichem Krach und einem Zittern vor sich ging, bei dem ich meinte, unser Schiff würde sich in seine Bestandteile auflösen.

Eine Granate schlug vor dem Vollschiff ein und warf eine Wasserfontäne in die Luft. Eine andere traf den Großmast über dem Großsegel und knickte ihn ab. Die Wanten fielen zusammen und folgten dem Mast, der mit fünf Rahsegeln ins Meer stürzte, von den Wanten und Schoten festgehalten wurde und die Fahrt der Lausanne erheblich abbremste.

Es sah auch aus, als liefe sie aus dem Ruder, denn sie schwoite auf einem Wellenkamm mit dem Bug nach Norden und zeigte uns die volle Breitseite.

„Feuer!“, rief der Kapitän.

Wieder donnerten die Geschütze, und die langen Rohre zuckten über die geschmierten Lafetten. In Feuer und Rauch gehüllt erzitterte unsere Bark und tauchte in die anrollende See.

Rund um den Franzosen schlugen die Granaten ein. Feuer stach auf seinem Vorschiff in die Höhe und erhellte gespenstisch die nächtliche Szene des Seegefechts. Der im Wasser hängende Großmast behinderte die Lausanne so sehr, dass sie praktisch steuerlos war und mit dem Bug immer mehr in unsere Richtung drehte. Seeleute waren damit beschäftigt, die Wanten des Großmastes zu kappen, um den hinderlichen Ballast loszuwerden.

Die Kanonen der Franzosen spien Tod und Verderben aus. Ich hörte das Pfeifen und Orgeln und ging mit Cranach und den anderen Männern hinter dem Schanzkleid in Deckung.

„Das wird eine heiße Nacht bei der Kälte!“, rief Cranach mir zu.

„Abfallen!“, kommandierte unser Kapitän. „Ein Strich abfallen!“

Der Rudergänger griff in die Speichen des Doppel­rades. Die Fireball ging etwas weiter auf Westkurs und lief unter rauem Wind. Dabei näherten wir uns dem Franzosen immer noch, nun aber wieder in einem spitzeren Winkel, der so schnell nicht kleiner wurde.

Mehr als eine halbe Meile trennte uns noch von dem Vollschiff, als für uns das Kommando zum Feuern kam. Ich wollte schießen, merkte aber, dass ich mein Gewehr noch nicht geladen hatte.

Cranach fluchte neben mir, weil ihm das gleiche Malheur unterlaufen war. Hastig luden wir die Waffen.

Rechts und links von uns schossen die Seeleute auf das feindliche Schiff.

Unsere Fireball war noch weiter abgefallen, und die beiden Schiffe segelten auf gleichen Kurs, wir allerdings zwei Kabellängen vor dem Franzosen.

„Anluven!“, befahl Peterson, unser Kapitän, nach einigen Minuten heftigen Schießens. „Drei Strich Steuerbord! Schneidet ihm den Weg ab!“

Heiseres Gebrüll erfüllte das Schiff. Wir schossen, was das Zeug hielt.

Cranach hatte schon den Revolver gezogen und ballerte wild damit herum. Seine Kugeln konnten die Lausanne nicht erreichen. So nahe waren wir noch nicht heran.

Auf meiner anderen Seite fluchte ein Seemann und prallte gegen das Schanzkleid. Er ließ sein über die Bordwand hängendes Gewehr ins Wasser fallen und brach zusammen. Ein anderer Mann wurde aus den Wanten geschossen und stürzte schreiend ins Meer. Eine Welle prallte gegen unsere Bordwand. Gischt spritzte zischend in die Höhe. Eine Granate heulte orgelnd über uns weg, zerfetzte das Besansegel und flog mit dem Tuch ins Wasser.

Ich lud das Henry-Gewehr nach und schoss wieder zu dem Franzosen hinüber.

„Fertigmachen zum Entern!“, tönte Petersons Kommando.

Cranach stellte das Gewehr ab und spuckte in die Hände, bevor er zum Enterhaken griff.

„Fass mal mit an, der liegt uns im Weg, Kamerad!“, rief mir auf der anderen Seite jemand zu.

Ich wandte mich um und sah einen Seemann, der sich über den Toten beugte und ihn herumzog, so dass die Beine auf mich zeigten.

Ich stellte die Waffe ab, packte die steifen Beine und hob sie an.

„Hau ruck!“, befahl der Seemann.

Wir warfen den Toten über Bord. Es war die formloseste Beerdigung, die ich bis dahin erlebt hatte. Aber in dem Getümmel, dem Geschrei und jenem anhaltenden Pfeifen und Orgeln der Kugeln und Granaten dachte ich mir dabei absolut nichts.

Ein Geschoss aus einem Gewehr streifte mich am Arm und ließ mich zusammenzucken.

Der andere Seemann stand schon mit dem Enterhaken bereit.

Die Fireball hatte Kurs auf den Franzosen genommen. Die Geschütze entluden sich. Aus nächster Nähe trafen nun die Geschosse den schlecht bestückten Feind, dem vermutlich nur hilfsweise die beiden Kanonen mitgegeben worden waren, mit denen er sich mehr schlecht als recht verteidigte. Es war ein Kaufahrteischiff, das uns in keiner Weise gewachsen schien.

Da man die Wanten und Stagen des Großmastes noch nicht hatte kappen können, war es dem Vollschiff nach wie vor nicht gelungen, seinen Kurs zu ändern und uns davonlaufen zu können.

Wir waren schon so dicht an den Gegner heran, dass ich die Gesichter der Männer zu erkennen meinte. Aber da die Lausanne die Trikolore noch nicht gestrichen hatte und die beiden Kanonen auch noch einmal donnern ließ, konnte sie auch die erhitzten Gemüter auf unserer Seite kaum beruhigen. Die Granaten pfiffen hoch über Deck durch die Takelage und nahmen eine Rah mit.

„Ruder hart Backbord!“, befahl Kapitän Peterson. „Herunter mit den Segeln!“

Die Fireball schwoite herum und wurde vom Rest der im Schiff befindlichen Fahrt an den Franzosen getragen. Unsere Steuerbordseite schrammte an seiner Backbordseite entlang. Wir krallten die Enterhaken um seine Relingstützen. Leinen flogen über Poller und Klampen. Das Holz bog sich und krachte. Segeltuch rauschte herunter.