Ronco - Die Tagebücher 18: Missouri-Guerillas - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 18: Missouri-Guerillas E-Book

Dietmar Kuegler

0,0

Beschreibung

Mit Frack und Zylinder sieht Josh Tampico wie ein Leichenbestatter aus. Aber dieses Geschäft überlässt er anderen. Tampico ist ein Mörder. Nach dem Ende des blutigen Bruderkrieges in Amerika führt er eine Bande von Guerillas an, die die Niederlage der Südstaaten nicht akzeptieren wollen. Ihr Krieg geht weiter. Sie rauben und morden.Ich reite auf ihrer Fährte und habe geschworen, sie zur Strecke zu bringen. Ich, Ronco, der Waisenjunge, der nirgends ein Zuhause hat. Wann kann ich endlich dem Fluch der Gewalt entkommen?Dieser Band enthält die folgenden Romane:Missouri-Guerillas (35)Der Schrecken von Arkansas (36)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 288

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

Dietmar Kuegler

Missouri-Guerillas

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-167-0Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Missouri-Guerillas

von Dietmar Kuegler

2. März 1881.

Die Höhen der Sierra Datile recken sich weit nördlich von mir in den Himmel. Milde Frühjahrswinde streichen von den Bergrücken im Westen heran.

Ich reite nordwärts, auf der Spur eines Mannes. Er hat eine Verbindung zu Andrew Hilton, der sich zwar in Mexiko versteckt hat, aber wieder äußerst rege und aktiv geworden ist und seine Fühler durch Mittelsmänner längst wieder über die Grenze ausgestreckt hat.

Das allein aber ist nicht der Grund, warum ich der Spur dieses Mannes folge. Er wird vom Gesetz gesucht, und das Gesetz vertrete ich.

Es ist fast drei Wochen her, seit ich die Ernennungsurkunde überreicht erhielt, aber es fällt mir noch heute schwer, es selbst zu glauben: In meiner Tasche steckt ein silbernes Abzeichen, das mich als U.S. Deputy Marshal ausweist. Mich, einen Mann, der von dem Gesetz jahrelang erbittert gejagt wurde. Zu Unrecht, wie sich herausstellte.

Ich bin auch weiterhin entschlossen, meine Geschichte aufzuschreiben. Als ich damit anfing, tat ich es, weil ich nicht glaubte, jemals rehabilitiert zu werden, weil ich wollte, dass zumindest ein Dokument von mir übrigbleibt, in dem die Wahrheit steht. Heute tue ich es für meinen Sohn, damit er eines Tages das Leben seines Vaters kennt und lernt, mich zu verstehen.

Im Jahre 1865 war ich siebzehn Jahre alt, und ich war bereits ein Mann. Die Erfahrungen, die ich damals sammelte, erweisen sich noch heute als nützlich. Der Bürgerkrieg war gerade vorüber. Es war Ende April. Die Waffen schwiegen, und ich war sicher, dass alle, die den Krieg in seiner dreckigen Erbärmlichkeit erlebt hatten, sich nach dem Frieden sehnten wie ein Verdurstender nach einem Schluck Wasser. Das war ein Irrtum, denn – und das war eine der Erfahrungen, die ich zu jener Zeit sammelte – der Frieden ist immer eine Sache der Vernunft. Aber die Unvernunft ist ewig. Das Blutvergießen und Sterben gingen weiter, auf den Schlachtfeldern des heimtückischen Buschkrieges, unter dem Zeichen der verlogenen Ideale des Guerillakampfes. Und ich war dabei. Wieso, warum – ich weiß es nicht.

Mich lockte bestimmt nicht der Kampf, nicht das Abenteuer. Diese Phase meiner Entwicklung hatte ich hinter mir. Ich war wohl einfach zu tief in all diese Vorgänge verstrickt. Ich konnte mich davon nicht einfach befreien. Als Scout der Unionsarmee war ich ein Teil dieses Krieges geworden, und damit auch automatisch ein Teil seiner teuflischen Nachgeburt.

Schon in jenen Jahren war ich zu der Überzeugung gelangt, dass der Kampf wohl mein Schicksal war. Je heftiger ich versuchte, ihm zu entrinnen, desto tiefer verstrickte ich mich in ihm. Mein Weg war vorgezeichnet ...

1.

Es regnete seit drei Tagen. Ich stand am Fenster des verwaisten Marshal Office von Sedalia und schaute hinaus in die grauen Schleier. Shita stand neben mir. Er hatte sich aufgerichtet, die Vorderpfoten auf die Fensterbank gelegt und die dicke, schwarze Nase gegen die Scheibe gepresst, an der es außen nass herunterrann.

Das Office war das Quartier des Ortskommandanten der Unionsarmee, die in den letzten Wochen den Staat Missouri, genau wie alle anderen Staaten der zerschlagenen, im Krieg unterlegenen Südstaatenkonföderation, besetzt hatte. Überall hatten Offiziere die Verwaltung übernommen, teilweise sogar die Staatsgouverneure abgesetzt und sie entweder durch Zivilisten ersetzt, die der Regierung in Washington treu ergeben waren, oder andere hohe Offiziere vorübergehend mit diesen Posten betraut.

Sedalia war seitdem ein Heerlager. Hier gab es eine der wenigen erhalten gebliebenen Bahnstationen des Südens. Hier liefen Nachrichtenverbindungen zusammen, trafen Nachschubtransporte der Unionsarmee ein und wurden zu ihren Bestimmungsorten weitergeleitet.

Seit gestern war ein solcher Transport überfällig – ein besonderer Transport mit Waffen, Munition und einer größeren Menge Sprengstoff. Es handelte sich um besondere Waffen, und zwar um nagelneue Springfield-­Gewehre des Modells 1865, Patronenhinterladergewehre mit einem Klappverschluss. Es waren Einzellader, die aber, nach einem Testbericht, unglaublich schnell zu handhaben sein sollten. 500 dieser neuen Gewehre ­wurden in Sedalia erwartet, zusammen mit der dazugehörigen Munition im Kaliber .45-75.

Ich befand mich seit einer Woche in Sedalia. Eigentlich hatte ich nach dem Ende des Krieges die Armee verlassen wollen. Aber dann hatte ich mich breitschlagen lassen, meine Stellung als Zivilscout zu behalten. Nach den Jahren des Krieges war ich sicher, dass dies ein ruhiger Job war.

Das war in North Carolina gewesen, und dort hätte es wahrscheinlich gestimmt. Dann erhielt ich den Marschbefehl nach Missouri, und hier war alles anders.

Hier hatten sich ehemalige Soldaten der Südarmee und versprengte Reste der Guerilla-Bande des William Quantrill zusammengetan und führten den Krieg gegen die einmarschierende Unionsarmee weiter. Sie plünderten, raubten, mordeten und überzogen ganze Landstriche mit ihrem Terror. In North Carolina war mir gesagt worden, dass die Armee in Missouri Zivilangehörige für Sondereinsätze benötigte. Jetzt wusste ich, was darunter zu verstehen war.

Wenn der seit gestern erwartete Transport nicht eintraf, begann mein erster Einsatz.

„Noch nichts?“, fragte hinter mir eine Stimme.

Ich drehte mich um. An einem Schreibtisch im Hintergrund des Raumes saß Lieutenant Ragland, der Adjutant von Colonel Miller, dem Stadtkommandanten.

„Nichts“, sagte ich. „Nur Regen, und davon jede Menge.“

„Ein Scheißjob“, sagte Ragland. Er war gerade Anfang zwanzig, blass und schmal und wirkte immer etwas kränklich. „Ich habe nie in den Süden gewollt. Ich hasse den Süden. Von mir aus hätten die verdammten Rebellen unabhängig bleiben können. In Illinois war es viel schöner. Meine Eltern haben dort eine Farm. Meine Braut wartet seit zwei Jahren auf mich. Wenn ich geahnt hätte, dass ich nach dem Krieg in Missouri sitzen würde, wäre ich nie zur Armee gegangen.“

„Ich auch nicht“, sagte ich. Er schien es gar nicht zu hören. Er starrte düster an mir vorbei zum Fenster.

„Wenn der Transport aufgehalten worden ist, wenn die Gewehre und der ganze Sprengstoff den Rebellen in die Hände gefallen sind, dann gnade uns Gott. 500 Gewehre. 600 Pfund Sprengstoff ... Wäre ich bloß in Illinois geblieben!“

Shita bellte. Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. Ein Windstoß strich durch die Straße. Der Regen klatschte mit Wucht gegen die Scheiben. Shita stand noch immer mit den Vorderpfoten auf dem Fensterbrett und starrte hinaus.

Ein Schatten tauchte aus den Regenschleiern auf, ein Reiter. Er zügelte sein Pferd vor dem Office und glitt schwerfällig aus dem Sattel.

Ich eilte zur Tür und riss sie auf. Shita folgte mir. Lieutenant Ragland war hinter seinem Schreibtisch aufgesprungen.

Ein Schwall feuchter Luft strich herein. Dann tauchte der Reiter in der Tür auf. Ein Unionssoldat. Er war bis auf die Haut durchnässt. Seine grobwollenen ­Uniformhosen waren von Schlammspritzern bedeckt. Er wirkte übernächtigt, war hohlwangig und unrasiert. Sein Käppi hatte er verloren. Das Haar klebte ihm strähnig am Kopf.

Er taumelte mit unsicheren Schritten über die Schwelle. Shita bellte ihn an und wich leise knurrend zurück. Ich schlug die Tür hinter ihm zu. Lieutenant Ragland ­umrundete seinen Schreibtisch.

„Corporal Nuttler“, meldete der Soldat. Er versuchte die Hacken zusammenzuschlagen und fiel dabei beinahe um. Das Sprechen fiel ihm schwer. Seine Stimme klang schwach und rau.

„Was ist los, Mann? Reden Sie!“ Ragland trat auf den Soldaten zu.

„Der Transport, Sir, der Waffentransport ...“

„Was ist damit? Nun sagen Sie doch was.“ Ragland schrie den anderen an.

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich kannte die Antwort, bevor der Soldat weitersprach.

„Er ist überfallen worden, Sir. Fünf Tote, Sir. Alles weg, die Gewehre, die Munition, der Sprengstoff, alles.“

500 nagelneue Gewehre, 600 Pfund Sprengstoff. Ich verfluchte den Tag, an dem ich mich bereit erklärt hatte, weiter als Scout bei der Armee zu bleiben.

*

Die drei Wagen erreichten die Furt des Black Fork, fast dreißig Meilen nördlich von Sedalia, als die Sonne im Zenit stand. Seit zwei Stunden regnete es nicht mehr. Überall standen riesige Pfützen, aber der Himmel war blau und ohne Wolken.

Die Raststation auf der anderen Seite des Flusses stand auf einem Hügel. Sie wurde von üppigem Buschland umgeben.

Träge schleppte sich der Fluss ostwärts. Mit müdem Plätschern schlugen die Wellen an die Ufer, die sich ­während des großen Regens in grundlosen Morast ­verwandelt ­hatten.

Auf dem ersten Wagen saß ein dicklicher Mann in einem abgeschabten Frack mit einem ebenso abgeschabten Zylinder auf dem Kopf.

Er wandte sich um und rief den Kutschern auf den nachfolgenden Wagen zu: „Wir sind da! Dort drüben ist es!“

„Sieht sehr ruhig aus“, sagte der Fahrer des zweiten Wagens.

Der dritte schwieg.

Der Mann im Frack sagte: „Die Station ist die einzige menschliche Ansiedlung im Umkreis von zehn Meilen. Hier sind wir genau richtig.“

„Du bist sicher, dass dort drüben unser Mann sitzt?“

Der Kutscher war hager. Er trug eine graue Uniformhose und ein löchriges Hemd. Er war nicht rasiert. Sein hohlwangiges Gesicht wirkte so grau wie seine Hose.

„Meine Informationen stimmen immer“, sagte der Mann im Frack. Der dritte Kutscher kicherte leise vor sich hin.

„Ich freue mich auf sein dummes Gesicht“, sagte er.

„Wir sind nicht hier, um unseren Spaß zu haben“, sagte der erste. Seine Stimme hatte einen strengen Unterton angenommen. „Buck Purdey ist uns noch etwas schuldig. Er hat sich nach dem Krieg fein mit den Yankees zusammengetan. Er wird jetzt meine offene Rechnung bezahlen, oder er beißt ins Gras.“

„Die Station sieht gut aus“, sagte der zweite Kutscher. „Solide und sauber. Ich frage mich, wie viele anständige Südstaatler jetzt noch in solchen Häusern wohnen können.“

Der Mann im Frack schwang die Peitsche und trieb sein Gespann an. Es rollte in den Fluss. Die Räder sackten tief in den durchweichten Boden des Ufers und das Bett des Stromes ein. Die Pferde stemmten sich ins Geschirr, die Riemen spannten sich knarrend. Der Black Fork war seicht. Das Wasser reichte kaum über die Radachsen. Als der Mann im Frack seinen Wagen die Böschung des anderen Ufers hinauf lenkte, hatte der zweite Wagen bereits die Hälfte des Flusses durchquert, das dritte Gefährt rollte gerade ins Wasser.

Die Raststation lag wie ausgestorben da, als die drei Wagen von der schlammigen Overlandstraße auf den schmalen Seitenweg einschwenkten, der zur Station führte und von hier aus in einem Bogen zur Straße zurückkehrte.

Die Wagen rollten auf den Hof und hielten nebeneinander unweit des Brunnens. Die drei Männer stiegen ab. Sie hielten jetzt Sharps-Gewehre in den Fäusten. Schweigend schritten sie über den Hof zum Stationshaus.

Das Haus hatte einen schmalen Vorbau. Die Dielen knarrten, als die Männer ihn betraten. Im Haus rührte sich noch immer nichts. Vor den Fenstern hingen dichtmaschige Fliegennetze. Von dem vorgebauten Dach baumelten vier Ketten mit winzigen Messingglöckchen herunter, die vom Wind, der über den Fluss strich, leicht hin und her bewegt wurden und ab und zu ein leises Klingen von sich gaben. Bei Nacht und Unwetter sollten die Glöckchen als Orientierungshilfe für Reisende dienen, die sich der Station von der anderen Seite des Flusses näherten.

Der Mann im Frack stieß die Tür auf und betrat noch vor den beiden anderen das Stationsgebäude. Der Stationsraum war geräumig und niedrig. Die Wände waren weiß gekalkt. Die Bodendielen wirkten ausgetreten und staubig. Mehrere längliche Tische mit einfachen Bänken bildeten die Einrichtung, neben einer kurzen Theke unweit der Tür.

Auf der Theke stand eine leere Flasche, in deren Hals eine fast abgebrannte Kerze steckte. Hinter der Theke befand sich eine Tür, die nur durch einen bunten Perlenvorhang verschlossen wurde, der jetzt leise klirrte, als ein junger Mann hindurchtrat.

„Hallo“, sagte der Mann im Frack. Er lächelte freundlich. Er verbeugte sich leicht und tippte an die Krempe seines Zylinders. Seine beiden Begleiter standen reglos hinter ihm.

„Wir suchen Mister Buck Purdey.“

„Mein Vater“, sagte der junge Mann. „Wer sind Sie?“

„Tampico“, sagte der Mann im Frack. „Josh Tampico.“ Er lächelte wieder freundlich. „Ist er hier?“

„Mein Vater? Ja. Tampico war der Name, wie?“

Der junge Mann warf einen neugierigen Blick auf den dicken Mann und dann auf die schweigenden, jetzt ebenfalls grinsenden Begleiter, die noch die Kokarden der Südstaatenarmee an ihren breitkrempigen Hüten trugen. Einen Moment schien es, als wolle er nach den Namen der beiden Männer fragen. Er unterließ es aber und trat durch den Perlenvorhang zurück.

Es vergingen ein paar Minuten. Dann waren schwere Schritte zu hören. Wenig später tauchte ein untersetzter, breitschultriger Mann hinter der Theke auf. Er hatte ein breites Gesicht mit einem Seehundsbart. Sein Kopf war kahl.

Als er die drei Männer sah, die ihm auf eine eigenartige Weise entgegenlächelten, wurde seine Haltung unvermittelt starr. Er öffnete den Mund, sagte aber nichts.

„Hallo, Purdey“, sagte der Mann im Frack. „Dir geht’s gut, wie? Man sieht es.“

„Hey, Purdey“, sagte der zweite Kutscher. „Fein dich zu sehen.“

„Erkennst du uns noch, Purdey?“ Der dritte schob sich den Hut in den Nacken zurück.

„Du hast dich kaum verändert“, sagte Josh Tampico. „Nur ein bisschen magerer warst du vor ein paar Monaten, als wir uns zum letzten Mal gesehen hatten. Ein bisschen magerer und ein bisschen ängstlicher. Genau genommen sogar verdammt ängstlich. Ich glaube sogar, du hast gezittert.“

Der bärtige Mann antwortete nicht. Die beiden ­Begleiter von Tampico grinsten weiter ihr starres, ­kaltes Grinsen, das wie angeklebt in ihren rauen Gesichtern wirkte.

„Ein Mann wie du hängt eben sehr an seinem Leben“, sagte Tampico. „Mehr als an Schwüren und Idealen. Damals, als wir uns kennenlernten, hattest du Ideale, Purdey. Erinnerst du dich? Und du hattest einige Eide geschworen. Soll ich sie dir wiederholen? Als es darauf ankam, hattest du alles zwar sehr schnell vergessen, aber immerhin ...“

„’raus!“, sagte der Mann hinter der Theke. „Verschwindet aus meinem Haus. Für Mörder und Blutsauger ist kein Platz unter meinem Dach. Eure Zeiten sind vorbei. Der Krieg ist vorbei. Ihr steht auf der falschen Seite. Ihr habt immer auf der falschen Seite gestanden. An eurer Stelle würde ich schnell verschwinden. Ihr werdet gesucht. Die Yankeesoldaten sind hinter euch her. Verlasst euch darauf, dass ich euch melden werde. Von mir habt ihr nichts zu erwarten.“

„Harte Worte, Purdey“, sagte der Mann im Frack. Er nahm den Zylinder ab und strich sich mit der Linken durch sein dünnes, strähniges, dunkelblondes Haar. „Es ist nicht sehr freundlich, was du sagst. Es ist auch sehr unvernünftig, beinahe dumm, Purdey. Mir scheint, du hast nicht nur deine Ideale sehr schnell vergessen, sondern auch das, was vor fünf Monaten passiert ist.“

Hinter ihm knackten metallisch zwei Gewehrhähne. Die beiden Männer, die ihn begleiteten, hatten ihre Karabiner angehoben und zielten links und rechts an ihm vorbei auf den bärtigen Mann hinter der Theke. Der wurde so bleich wie die gekalkten Wände des Stationsraumes.

„Geht jetzt“, sagte der Mann hinter der Theke. Seine Stimme klang unsicher. „Ich will gar nicht wissen, was ihr von mir wollt. Wahrscheinlich habt ihr irgendeine Schweinerei vor. Aber die Zeit ist vorbei. Jetzt ist Frieden. Man muss sich arrangieren.“

„Wir sind beide unter Quantrill geritten“, sagte Josh Tampico. „Wir waren beide davon überzeugt, dass der Süden uns brauchte, dass ein Sieg der Yankees ein Unglück für den Süden sei. Wir haben damals sogar einen Eid darauf geschworen, dass wir für die Freiheit des Südens unser Leben hergeben wollten. Das galt auch dann noch, als die Lage immer aussichtsloser wurde. Alles schon vergessen, Purdey?“

Der Mann im Zylinder lächelte nicht mehr. Sein rundes Gesicht war ernst, in seinen Augen glomm ein seltsames Licht.

„Vor fünf Monaten in Kansas City, Purdey, da zählte alles das für dich nicht mehr. Als wir das Munitionslager der Yankees ausnehmen wollten, da hast du uns einfach verraten. Dir war die ganze Sache zu heiß geworden. Die Yankees marschierten überall vor. Unsere Position war schlecht. Du hast es vorgezogen, deine Schwüre zu vergessen und dich auf die Seite der Yankees zu schlagen. Sie haben dir was dafür bezahlt, nicht wahr?“

Tampico blickte sich um.

„Du hast diese Station dafür erhalten, wie? Ein verdammt schlechter Preis, wenn du mich fragst. Weißt du, wie viele von uns damals draufgegangen sind, als wir in die Falle der Yankees ritten? Dreiundzwanzig Mann! Aber du warst ja auf Seiten der Sieger. Dir konnte nichts mehr passieren. Der Süden hat zwar den Krieg verloren, aber du hattest rechtzeitig den Absprung erwischt. Jetzt bist du fein heraus. Hast du nie daran gedacht, dass du irgendwann einmal die Rechnung dafür bezahlen müsstest, Purdey?“

„’raus!“, schrie der Stationer. Er war noch immer bleich. Seine Stimme überschlug sich fast.

„Ist was passiert, Vater?“ Der junge Mann, der die Fremden empfangen hatte, tauchte durch den Perlenvorhang auf. Einer von Tampicos Begleitern schwenkte den Sharps-Karabiner herum und zielte auf ihn.

„Ein Überfall!“, schrie der Junge. „Ihr gottverdammten Halunken!“

Er sprang vor und duckte sich gleichzeitig, während er unter die Theke griff. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er eine abgesägte Schrotflinte in den Händen.

Einer der Männer schoss von der Hüfte aus. Die peitschende Detonation fing sich im Raum. Pulverdampf kräuselte sich stinkend aus der Mündung des Karabiners.

Der Stationer schrie auf. Das schwere Geschoss traf den Kolben der Schrotflinte und schmetterte dem jungen Mann das Gewehr aus den Händen. Er brüllte wie am Spieß. Seine geprellten Arme baumelten wie gelähmt nach unten. Er krümmte sich. Der Aufprall der Kugel schleuderte ihn rücklings gegen den Türpfosten, wo er sich mühsam aufrecht hielt.

Eine Frauenstimme schrie hinter dem Perlenvorhang.

Josh Tampico ging langsam zur Theke. Er hielt jetzt einen Revolver in der Faust und zielte genau auf den Kopf des jungen Mannes.

„Ist noch jemand hinten, Purdey?“

„Meine Frau.“ Buck Purdey hob langsam die Hände.

„Es freut mich, deine Familie kennenzulernen, Purdey“, sagte Tampico. „Während des Krieges gab es keine Gelegenheit, leider. Das holen wir jetzt nach.“ Seine Stimme wurde unvermittelt scharf. Er sagte: „Und jetzt wirst du gefälligst tun, was wir sagen. Wir haben lange genug geredet. Entweder du gehorchst, oder dein Sohn kriegt eine Kugel in den Schädel!“

Der junge Mann blickte verstört in die Mündung des Revolvers, den Tampico auf ihn gerichtet hatte. Zu seinen Füßen lag die Schrotflinte mit dem geborstenen Kolben.

Er sagte: „Dad, sind das die Männer, mit denen du im Krieg geritten bist, sind ...“

„Ja“, sagte Buck Purdey. Er blickte Tampico an. „Lasst meine Familie aus dem Spiel.“

Der Mann im Frack beugte sich vor und schlug blitzschnell mit dem Revolverlauf zu. Der Stahl traf den Stationer knallhart auf die linke Schulter. Er stieß einen röchelnden Laut aus und kippte gegen ein Regal. Sein Gesicht lief blau an. Er rang nach Atem.

Durch den Perlenvorhang stolperte eine rundliche Frau mit straff zurückgekämmtem Haar, pausbackigem Gesicht und einer einfachen Leinenschürze.

Tampico umrundete die Theke, stieß die Frau brutal beiseite und packte Purdey, der fast doppelt so breit war wie er selbst, am Kragen. Er versetzte dem Mann einen weiteren, harten Stoß und trieb ihn vor sich her, hinter der Theke hervor in den Aufenthaltsraum. Hinter ihm begann einer der beiden anderen Männer zu reden.

„Nur mit der Ruhe, Madam, und du auch, Junge. Keinem passiert was, wenn ihr vernünftig seid. Anderenfalls seid ihr dran, und keine noch so heiße Mutterträne erweckt ihren Sohn wieder zum Leben, Madam.“

Der dritte Mann folgte Tampico und stieß Purdey die Mündung seines Karabiners in die Rippen, dass der Stationer aufstöhnte.

„Zum Fenster“, sagte Tampico.

Der andere Mann stieß wieder zu. Buck Purdey stolperte vor dem Gewehrlauf her. Hinter ihm schluchzte seine Frau auf und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Sie lehnte sich gegen die Theke. Sein Sohn stand kreidebleich daneben und hatte die Hände in hilflosem Zorn zu Fäusten geballt.

Am Fenster rechts von der Tür blieb Purdey stehen. Tampico trat neben ihn.

„Siehst du die Wagen draußen, Purdey?“

Er wartete keine Antwort ab, sondern fuhr fort: „Auf den Wagen liegen etwa 500 Gewehre, die dazugehörige Munition und jede Menge Presspulverstangen. Wir brauchen einen sicheren Lagerplatz dafür. Deine Station ist genau richtig. Weit und breit kein Mensch. Außerdem bist du bei den Yankees gut angeschrieben. Kein Mensch wird die Sachen bei dir vermuten. Und es ist eine gute Gelegenheit für dich, deine Fehler auszubügeln. Mehr wollen wir nicht von dir, Purdey. Überleg dir das mal. Wir könnten dich jetzt umbringen. Wir könnten deine Frau und deinen Stammhalter umbringen. Wir könnten hier alles anzünden. Aber wir tun es nicht. Wir verlangen für die dreiundzwanzig Mann, die du auf dem Gewissen hast, nichts weiter als einen Gefallen. Danach hast du deine Ruhe.“

„Woher stammt das Zeug?“ Der Stationer hatte die Hände auf das Fensterbrett gestützt. Er blickte hinaus und schien den Druck der Gewehrmündung in seinem Rücken nicht zu spüren.

„Uninteressant, Purdey. Die Sachen sind hier. Das allein ist wichtig.“

„Ich will damit nichts zu tun haben“, sagte Purdey.

„Nicht doch, Purdey.“ Tampico schob seinen Revolver wieder unter den Frack. „Das hättest du dir alles früher überlegen müssen. Zum Beispiel vor fünf Monaten in Kansas City. Jetzt hast du keine Wahl. Du hast uns reingelegt. Du hast uns verraten. Jetzt musst du dafür bezahlen. Die Sachen werden in deinen Keller gebracht. Du hast doch einen Keller?“

„Ja“, sagte Purdey.

„Dann werden wir gleich anfangen, damit das Zeug schnell vom Hof verschwindet. Du kannst uns dabei helfen, dein Sohn auch. Deine Frau kann derweil ein paar Eier in die Pfanne hauen, mit viel Speck. Ein starker Kaffee wäre auch nicht schlecht.“

„Was wird mit der Ladung?“

„Nicht viel, Purdey. Sie bleibt vorerst hier. Hurley und Drago bleiben auch. Du kennst sie ja noch. Ihr werdet euch viel zu erzählen haben. Ich muss weiter, bin aber bald wieder da. Sonst ändert sich nichts hier. Du gehst deiner Arbeit nach wie bisher. Nur mit dem Unterschied, dass deine Frau und dein Sohn hinten im Haus bei Hurley und Drago sitzen. Daran wirst du immer denken, wenn Reisende hier rasten oder Fremde vorbeireiten. Solange du vernünftig bist, passiert nichts.“

„Wie lange soll das so gehen?“

„Keine Ahnung.“ Tampico zuckte mit den Schultern. „Ganz so schnell wirst du uns nicht wieder los. Ab und zu wird ein Teil der Ladung abgeholt werden, ab und zu werden andere von uns auftauchen und hier unterkriechen. Mit anderen Worten, Purdey, wir brauchen ein kleines, unauffälliges Hauptquartier für unseren Kampf gegen die Yankees. Bei unseren Freunden können wir uns nicht verstecken. Jeder Südstaatler, der sich den Yankees gegenüber feindlich verhalten hat, steht unter Beobachtung. Das wäre also zu riskant für uns. Du aber bist ein zuverlässiger Freund der Yankees. Bei dir sind wir sicher. Dazu ist die Lage deiner Station ideal.“

„Nein“, sagte Purdey.

„Was nein, Purdey?“

„Ich weigere mich“, sagte Purdey.

„So?“, sagte Tampico. Seine Stimme klang völlig gleichgültig. Er wandte den Kopf und nickte dem hageren, hohlwangigen Mann zu, der die Frau und den Jungen in Schach hielt.

Der Mann trat einen Schritt auf die Frau zu und stieß ihr brutal den Gewehrlauf in den Leib. Die Frau knickte zusammen wie ein Taschenmesser und stürzte in die Knie. Ihr Gesicht lief blau an. Sie röchelte.

„Ihr Schweine!“ Der junge Mann sprang den Hageren wie ein Tiger an.

Der federte geschmeidig herum und wirbelte den Karabinerkolben hoch. Der Junge lief mit dem Hals gegen die eiserne Kolbenplatte und kippte rücklings gegen die Theke. Seine Augen quollen fast aus den Höhlen. Er rutschte langsam an der Theke hinunter und presste beide Hände auf den Kehlkopf. Er rang nach Atem, während sein Gesicht sich vor Schmerzen verzerrte.

Buck Purdey wollte durch den Stationsraum laufen, aber Josh Tampico stellte ihm ein Bein. Purdey stolperte und stürzte der Länge nach zu Boden. Ein Holzsplitter der ausgetretenen Dielen riss seinen linken Handballen auf. Als er sich erheben wollte, versetzte Tampico ihm einen Tritt mit der Stiefelspitze in den Nacken. Purdeys Kopf wurde mit Wucht auf den Boden gestoßen. Er prallte mit dem Gesicht auf die rauen Bretter und stöhnte. Aus seiner Nase tropfte Blut. Als er abermals den Kopf heben wollte, spürte er den kalten Druck des Gewehrstahls im Genick. Er konnte sich nur so viel bewegen, dass er sehen konnte, wie der hagere Mann an der Theke mit dem Lauf seines Karabiners spielerisch erst die rechte und dann die linke Brust seiner Frau eindrückte, die noch immer mit tränenüberströmtem, schmerzverzerrtem Gesicht am Boden kniete.

„Sehr weich, Josh“, sagte der Mann. „Sehr schlaff. Sehr abgegriffen vom ständigen Gebrauch.“ Er lachte roh.

„Sei still, Hank Drago“, sagte Tampico. Seine Stimme klang wieder kühl und absolut gefühllos. „Du bist unhöflich. Nun, Purdey, wie sieht es aus? Noch immer uneinsichtig? Wir können die Sache auch beschleunigen. Hurley, knall den Jungen ab!“

Der Mann hinter Purdey hob sein Gewehr und zielte auf den jungen Mann, der sich soeben mühsam wieder aufrichtete und immer noch nach Atem rang.

„Nicht!“ Purdey stemmte den Oberkörper hoch. Tampico winkte ab. Hurley ließ sein Gewehr wieder sinken.

„Ihr könnt hierbleiben“, sagte Purdey. „Aber wenn Lydia und John auch nur ein Haar gekrümmt werden, werdet ihr es bereuen!“

„Keine Drohungen, Purdey“, sagte Tampico. „Denk daran, dass du nur eine Schuld abdienst. Wir sind dabei noch sehr großzügig zu dir.“

Der Stationer antwortete nicht. Er richtete sich auf, ging zu seiner Frau und half ihr auf die Beine. Sie lehnte sich in gekrümmter Haltung an ihn und weinte leise.

„Der Krieg geht weiter, Purdey“, sagte Tampico. „Es gibt genug Leute, die sich nicht damit abfinden, dass jetzt überall Yankees auf unseren Straßen herumstolzieren. Wir denken, dass sich das wieder ändern lässt. Du hast dich zu früh entschieden, überzulaufen. Sei froh, dass wir dir eine Chance geben, dich zu bewähren. Du wirst uns noch einmal auf Knien dafür danken.“

Er lächelte wieder sein hässliches, kaltes Lächeln. Dann ging er zur Tür, öffnete sie und drehte sich noch einmal um.

„Wir müssen die Wagen abladen“, sagte er. „Beeilt euch, damit wir das Zeug endlich vom Hof kriegen.“

Er ging hinaus, die Sonne stand jetzt schräg über dem Land und senkte sich langsam nach Westen. Vom Fluss strich ein kühler Windhauch herauf. Buck Purdey fröstelte, als er zusammen mit seinem Sohn, gefolgt von Hank Drago und Sam Hurley, auf den Hof trat.

2.

Ich sah die Toten im Gras liegen, stieg ab und schaute mich um, während Shita neben meinem Pferd zurückblieb und angewidert die Nase rümpfte.

Die Toten im Gras trugen blaue Uniformen. Zwischen ihnen verstreut lagen zerborstene Holzteile, verbogene Eisenstücke und Glassplitter.

Die Guerillas hatten ganze Arbeit geleistet. Die Sprengladung, die den Transport gestoppt hatte, war direkt unter den Schienen der Bahnlinie angebracht gewesen. Sie musste detoniert sein, als die Lokomotive darübergefahren war. Im Bahndamm klaffte ein hässlicher Krater. Die gebrochenen Schienenenden ragten nach oben. Die mächtige Baldwin-Lok, deren Kessel die Sprengladung zerrissen hatte, war von den Gleisen geschleudert worden und lag seitlich vom Bahndamm. Die matt blinkenden Räder zeigten nach oben. Von den hässlich gezackten Rissen der Kesselwand tropfte noch immer Kondenswasser. Das Führerhaus war zusammengedrückt wie eine Ziehharmonika. Inmitten der Trümmer waren die halbverkohlten Leichen des Lokführers und seines Heizers zu erkennen.

Die Waggons hinter der Lokomotive waren ebenfalls aus den Schienen gesprungen. Zwei waren umgekippt, die anderen vier standen schräg geneigt auf dem Bahndamm. Der letzte Waggon war stehen geblieben.

Alle Waggons waren aufgebrochen worden. Sie waren leer, bis auf den letzten Wagen, in dem die Wachmannschaft untergebracht gewesen war.

In der offenen Tür saßen drei Unionssoldaten, hatten ihre Käppis in der brütenden Hitze weit in den Nacken zurückgeschoben und ließen die Beine baumeln. Ihre Gewehre lagen neben ihnen. Sie hielten bunte Pokerkarten in den Händen, hatten sie jetzt aber sinken lassen und schauten abwartend zu mir herüber. Nachdem ich mich umgeschaut und alle sichtbaren Spuren in mich aufgenommen hatte, bewegte ich mich zwischen den Toten hindurch, am Bahndamm entlang zum letzten Waggon.

„Hallo“, sagte ich.

„Tag, Kleiner“, sagte ein breitschultriger Sergeant. Er hatte einen zottigen, schwarzen Vollbart und kaute auf dem Stiel einer kalten Maiskolbenpfeife.

„Tag, Fettsack“, sagte ich. Sein Grinsen verschwand. „Ich komme aus Sedalia.“

„Du?“

„Ich.“

„In dem Regiment, zu dem wir gehören, werden Pimpfe wie du zum Kanonenputzen eingesetzt“, sagte der Sergeant.

„Wo ich früher geritten bin“, sagte ich, „wurden Fettsäcke wie du vor die Geschützlafetten gespannt, um die Pferde zu schonen.“

Die beiden anderen Soldaten begannen schallend zu lachen. Der Sergeant nahm die Pfeife aus dem Mund. Seine Augen verengten sich. Ein paar hektische dunkle Flecke bedeckten sein Gesicht.

„Wer hat dich geschickt?“, fragte der Soldat rechts von dem Sergeant.

„Colonel Miller“, sagte ich. „In Sedalia wird ein Zug ausgerüstet, der mit ein paar Streckenarbeitern und Material noch heute abdampft, um die Gleise wieder in Ordnung zu bringen und die Trümmer wegzuräumen. Seid ihr die Einzigen hier?“

„Wir waren fünfundzwanzig“, sagte der Sergeant. Er musterte mich immer noch grimmig. „Fünf sind gefallen, drei wurden verletzt. Die anderen haben sie mitgenommen. Sie sind nach Pleasent Grove zurückmarschiert. Etwa acht Meilen östlich. Das ist näher als nach Sedalia, und die Verletzten brauchten einen Arzt. Außerdem gibt es in Pleasent Grove einen Telegraphen, wenn die verdammten Halunken, die uns das eingebrockt haben, die Leitung nicht gekappt haben.“

„Wie viele waren es?“

„Keine Ahnung. Es war dunkel, außerdem regnete es, und dann die Explosion ... Vielleicht so an die zwanzig, vielleicht auch dreißig. Schießen konnten sie wie hundert. Alles war bestens vorbereitet. Wir hatten nicht mehr viel zu bestellen. Wieso bist du geschickt worden, Junge? Weißt du, wie gefährlich diese Burschen sind?“

„In Sedalia werden ein paar davon ausgestellt“, sagte ich. „In Käfigen. Wenn man besonders viel Mut hat, kann man ihnen Zuckerstücke zuwerfen. Willst du es mal versuchen?“

Der Sergeant schnaufte hörbar. „Was dir fehlt, ist eine Tracht Prügel, du frecher Rotzlöffel“, sagte er.

„Davon kriegt ihr eure Gewehre auch nicht wieder“, sagte ich. „Hättet ihr besser aufgepasst, hätte ich jetzt nicht den Ärger. Wohin sind die Kerle verschwunden?“

„Woher sollen wir das wissen? Wir waren froh, noch am Leben zu sein. Außerdem lagen wir mit den Nasen im Dreck.“

„Natürlich“, sagte ich. „Ihr wisst nichts, ihr seht nichts. Es ist ein Wunder, dass ihr überhaupt gemerkt habt, dass ihr ausgeraubt worden seid. Der Regen hat die Spuren verwischt, und die Gewehre und der Sprengstoff haben sich in Luft aufgelöst.“

„Du kriegst gleich einen Tritt in den Arsch!“, schrie der Sergeant. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Irgend so ein lausiger Zivilist, dazu ein dummer Bengel, von dem wir uns bestimmt nicht beleidigen lassen müssen. Das gibt eine saftige Beschwerde beim Colonel, darauf kannst du Gift nehmen.“

„Du kannst mir mal in die Tasche steigen“, sagte ich. „Ich reite nach Pleasent Grove. Vielleicht findet sich dort eine Spur. Ich bin während des Krieges bei General Sherman geritten. Solche trüben Tassen wie euch hat es in seiner Truppe nicht gegeben.“

Ich drehte mich um und ging zu meinem Pferd zurück. Hinter mir hörte ich den Sergeant fluchen, und auch die beiden anderen Soldaten gaben Bemerkungen von sich, die nicht gerade schmeichelhaft für mich waren. Ich kümmerte mich nicht darum. Ich hatte den Auftrag, vorhandene Spuren zu sichern und den Fluchtweg der Guerillas auszuspähen. Die Sache hatte ich mir leichter vorgestellt.

Shita bellte mich an, als ich mich in den Sattel schwang. Er schien froh zu sein, aus der Nähe der Toten und der stinkenden Trümmer fortzukommen. Ich nahm die Zügel hoch und trieb mein Pferd an. Als ich über die zerborstenen Schienen ritt und ostwärts davonsprengte, hörte ich den Sergeant immer noch schimpfen.

3.

Am westlichen Horizont verglühte der Tag. Tiefrote Flammengarben überzogen den Himmel mit einem feurig-­düsteren Glanz.

Pleasent Grove war ein schäbiges Nest, aber es lag nur wenige Meilen von der Bahnlinie entfernt. Es gab vielleicht dreißig Häuser, eine Kirche und ein paar Geschäfte. Bis auf eines waren sie alle geschlossen. Die Schaufenster waren zerschlagen und leergeräumt, teilweise auch mit Brettern vernagelt. Es gab zwei Saloons, vor denen Armeepferde standen. Als ich daran vorbeiritt, konnte ich durch die Fenster sehen. An den Theken scharten sich blau uniformierte Soldaten.

Direkt neben einem geschlossenen General Store entdeckte ich das Telegraphenoffice. Es war ein kleines, aber solides Gebäude aus geschälten Baumstämmen. Über der Tür hing ein Schild, von dem schon lange die Farbe abgeblättert war. Neben dem Eingang war eine Papptafel angebracht gewesen, auf der gestanden hatte: Vorläufiges Hauptquartier der U.S. Army. Das Schild war zerrissen. Es hingen nur noch einige Fetzen davon da, und von der Beschriftung waren lediglich noch Fragmente erkennbar.

Ich zog mein Pferd herum und lenkte es zu dem Office hinüber. Ich ritt einen Schecken mit struppigem Fell und kurzer Mähne. Mein Brauner war mir während der letzten Kriegstage verloren gegangen. Irgendwo in North Carolina. Der Schecke war aber ebenfalls ein gutes, ausdauerndes und zuverlässiges Tier. Ich hatte ihn noch in North Carolina gekauft, und sein Vorbesitzer hatte mir verschwiegen, dass er äußerst bissig sein konnte. Das hatte ich selbst herausfinden müssen, was ziemlich schnell gegangen war. Inzwischen aber hatte er sich an mich gewöhnt und biss nur noch andere, die so unvorsichtig waren, sich in seine Nähe zu begeben. Das hatte durchaus Vorteile.

Aus dem Telegraphenoffice, hinter dessen Fenstern Licht brannte, trat ein untersetzter, dicklicher Mann in einem abgeschabten Frack. Er trug einen ebenso abgewetzten Zylinder und hatte ein feistes Gesicht. Er wirkte ein wenig nervös und sehr in Eile. Er schaute sich um, schien mich aber nicht wahrzunehmen, und bewegte sich dann hastig und mit watschelnden Schritten die Straße hinunter.

Ich achtete nicht weiter auf ihn. Dämmerung senkte sich über die Stadt. Die Schatten wurden länger. Aus den Saloons war Lärm, zu hören. Männer lachten, Gläser klirrten.

Ich zügelte den Schecken vor dem Office und stieg ab. Shita blieb mit hängendem Schwanz stehen und schaute mich müde an. Als ich an ihm vorbeiging, strich ich ihm über den Kopf.

„Pass auf den Schecken auf, Alter“, sagte ich zu ihm. „In spätestens einer Stunde hast du einen saftigen Knochen und einen Platz im Stroh.“

Ich stieß die Tür auf und betrat das Office. Es roch nach kaltem Kaffee und Zigarettenrauch. Hinter länglichen Tischen saßen zwei Männer in blauen Uniformen. Vor sich hatten sie einfache Telegraphen stehen. Ein Empfangs­gerät tickte gerade, und einer der Funker schrieb die Signale mit.

An der Rückwand des Raumes hing eine übermannsgroße Landkarte. Davor standen zwei Offiziere, einer war ein Lieutenant, der andere ein Captain. Sie schauten sich nicht um, als ich eintrat.

Ich ging zu den länglichen Tischen, schob mir den Hut in den Nacken und stützte meine Hände auf den Tisch, hinter dem einer der Telegraphisten saß. Er hob den Kopf. Sein Gesicht war schmal und wirkte müde.