Ronco - Die Tagebücher 20: Das Totenschiff - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 20: Das Totenschiff E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

New Orleans ist eine prächtige Stadt. Seeleute aus aller Welt, schöne Frauen und gutes Essen.Dazwischen lauert der Tod. Schmuggler, Piraten, Straßenräuber. Ich hätte hier nie auf einem Schiff anheuern sollen. Aber ich brauche das Geld.Wir stoßen auf ein Totenschiff. Hat es die Pest an Bord, wie in New Orleans behauptet wird? Oder wartet im Laderaum ein Schatz aus dem mexikanischen Kaiserpalast? In jedem Fall liegen tote Männer an Deck. Auf den Schiffsplanken klebt Blut.Dieser Band enthält die folgenden Romane:Das Totenschiff (39)Red River (40)

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

Dietmar Kuegler

Das Totenschiff

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-169-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Das Totenschiff

von Ken Conagher

3l. Mai 1881

Es ist eigenartig, welche Karten das Schicksal ausspielt. Als ich von Don Correone den Auftrag übernahm, seinen Sohn zu suchen, konnte ich nicht ahnen, was sich daraus entwickeln würde. Ich fand Don Correones Sohn und brachte ihn zu seinem Vater zurück. Aber ich fand mehr, viel mehr.

Ich fand die Spur zu dem großen Unbekannten, zu dem Mann, der aus dem Dunkel heraus dabei war, ein grauenhaftes Geschäft zur Blüte zu bringen: den Anbau von Mohn und den Verkauf jenes Saftes, dessen Genuss den Menschen in ein Paradies entführt, das in der Hölle endet – Opium.

Dieser Mann war Andrew Hilton.

Jetzt, da ich diese Zeilen niederschreibe, befindet sich dieser Mann nicht mehr im Dunkel der Anonymität. Die Karte, die mir das Schicksal zuspielte, verbarg sich in der Nachricht einer simplen Brieftaube.

Sie war von den Mohnfeldern der Sierra Hidalgo aufgestiegen, um dem Mann im Dunkel eine wichtige Nachricht zu überbringen. Er wird den Inhalt dieser Nachricht nie erfahren, weil ein Raubvogel über die Taube herfiel. Ich fand sie und mit ihr die Nachricht, die sie Andrew Hilton überbringen sollte.

Wonach ich in den letzten Monaten gesucht hatte, das verriet mir die Nachricht: den Wohnort meines größten Feindes, jenes Mannes, der meinen Sohn Jellico hatte entführen lassen.

Andrew Hilton lebt in Santo Domingo, in der mexikanischen Provinz Chihuahua. Dorthin hatte er sich nach seiner Flucht aus den Staaten zurückgezogen, und von dort aus hatte er wiederum begonnen, sein verbrecherisches Lebenswerk fortzusetzen: Geld zu scheffeln, durch Intrige, Bestechung, Gewalt, Terror Enteignung, Landraub und, so nebenbei, Opiumhandel.

Noch etwas hat die Nachricht der Brieftaube offenbar werden lassen. In dem engen Kreis um Hilton scheinen Machtkämpfe ausgebrochen zu sein. Um was es sich im Einzelnen handelt, weiß ich nicht, aber ich habe den Eindruck, dass Hiltons bisherige uneingeschränkte Führungsposition zumindest leicht erschüttert ist.

Ich reite ostwärts. Mein Ziel: Santo Domingo in ­Chihuahua. Seit ich weiß, wo sich Hilton aufhält, kann ich wieder hoffen. Denn es geht ja um meinen Sohn ­Jellico. Endlich habe ich die Spur, nach der ich solange gesucht habe.

Heute Abend raste ich in einem Arroyo, und ich habe mir wieder mein Tagebuch vorgenommen. Ich will von der Geschichte des Totenschiffs berichten, einer recht merkwürdigen Geschichte, die mich für einen kurzen Zeitabschnitt meines Lebens in die mir fremde Welt der Fischer, Seeleute und Hafenhaie versetzt hatte...

1.

Sommer 1865, New Orleans. Seit vierzehn Tagen fuhren mein Hund Shita und ich zur See, und ich schätze, wir waren für diesen Job so geeignet wie ein Krokodil, dem man das Lassowerfen beizubringen versucht.

Wir hatten auf einem Fischkutter angeheuert.

Wie ich das heute sehe, war es bei mir wohl eher Neugier, meine Nase mal in Salzluft zu stecken und mich auf der offenen See umzusehen, in diesem Fall im Golf von Mexiko. Viel gab es nicht zu sehen: Wasser und Himmel, Himmel und Wasser. Wasser in jeder Menge, in allen Schattierungen und in vielerlei Bewegung, mal sanft und friedlich, mal ruppig und stürmisch.

Je nach Fang blieben wir kürzere oder längere Zeit draußen. Wenn wir nach New Orleans zurücksegelten und unsere Füße wieder an Land setzten, hatten Shita und ich eine Weile Gleichgewichtsstörungen. Wir standen auf festem Boden, hatten aber immer noch das Gefühl, schwankende Schiffsplanken unter uns zu haben. Bei Shita sah das nicht sehr elegant aus. Er lief nicht, sondern er schaukelte.

Uns waren also Seebeine gewachsen. Aber das verlor sich nach ein paar Stunden wieder.

Die Besatzung des Fischkutters bestand aus einem Haufen von Schweinigeln, die allem Anschein nach nur eins im Kopf hatten: Weiber! Nicht Frauen, ich betone das, sondern Weiber, nämlich die Hafenhuren von New Orleans. Dieses Thema war unerschöpflich, und was ich da zu hören kriegte, ließ die Bräune meiner Gesichtshaut oft genug noch dunkler werden. Schlicht gesagt, ich wurde rot.

Der größte Sauigel war der Koch, ein Kerl namens Mortimer, ein ausgemergelter Typ mit eng zusammen­stehenden Augen, einer Geiernase, schlechten Zähnen und einem Spitzkinn. Nach seinen Reden zu urteilen, musste er über die Potenz eines nimmermüden Zuchtbullen verfügen und in allen Hafenstädten der Welt dementsprechend eine zahlreiche Nachkommenschaft haben, um die er sich natürlich nicht kümmerte.

Seine Kochkünste standen in einem diametralen Verhältnis zu seinen Liebeskünsten, seine Kombüse war ein Schweinestall und daher ein Paradies für Kakerlaken, Maden, Mehlwürmer, Schaben und Ratten. Gegen die Ratten führte Shita einen erbitterten Kampf, der aber nie enden würde, weil im Hafen stets Ersatz an Bord huschte.

Mit Mortimer hatte ich gleich am ersten Tag Krach, als ich für die Kerle das Essen ins Vorderschiff bringen sollte. Die nannten mich Moses, weil ich von der Seemannschaft noch keine Ahnung hatte und allenfalls als Backschafter zu gebrauchen war. Ein Backschafter ist so eine Art Prügelknabe, dessen Aufgabe darin besteht, Geschirr zu reinigen und das Essen von der Kombüse zu holen, Kartoffeln zu schälen und dem Koch zur Hand zu gehen, kurzum ein Job, der so stumpfsinnig ist, dass ihn auch ein Vollidiot ausüben könnte.

Ich war achtzehn Jahre alt, gesund, kräftig und keineswegs auf den Kopf gefallen. Der Backschafter-Job stank mir gewaltig, aber wie überall, wo man noch ein Neuling ist, fängt man ganz unten bei der Dreckarbeit an.

Es war Mittag, wir befanden uns bereits draußen auf See, und ich schleppte aus der Kombüse einen Kessel mit einer stinkenden, aber brühendheißen Suppe zum Vorschiff. Das heißt, ich wollte es, aber Mortimer stellte mir, als ich aus dem Kombüsenschott trat, ein Bein. Ich knallte an Deck, ließ natürlich den Kessel los, um mich nicht zu verbrühen, und damit war die stinkige Suppe beim Teufel. Sie breitete sich über den Decksplanken aus, und das war mit den Fischresten, Bohnen, Kakerlaken, Maden und allen möglichen anderen Zutaten ein ziemlicher Schmierkram.

Ich stand fluchend auf und stellte fest, dass ich mir die Knie aufgeschlagen hatte.

Mortimer meckerte wie ein Ziegenbock und schrie höhnisch: „Ich sag‘s ja! Zu dämlich, so einen Scheiß­kessel ins Vorschiff zu bringen. Aber den Weibern unter die Röcke fassen, das können diese jungen Hüpfer!“

Shita hatte nichts gegen die stinkige Suppe, er verputzte sie im Handumdrehen und leckte die Planken sauber.

„He!“, schrie Mortimer. „Dein Scheißköter frisst die Suppe auf!“

Bei diesem Mortimer gab es allerlei Wortzusammensetzungen, die mit jenen sechs Buchstaben begannen.

„Und wo krieg ich jetzt eine neue Scheißsuppe her?“, schrie er mich an. „Soll ich mir die vielleicht aus der Harnröhre massieren?“

War das ein widerlicher Kerl. Ekel stieg in mir hoch. Aber noch mehr Wut. Ich warf einen Blick nach achtern. Kapitän Harvest, der beste Mann auf diesem verlausten Eimer, war unter Deck gegangen. Nur der Rudergänger stand am Steuer. Er grinste schmierig. Shita begann zu knurren.

Ich marschierte auf Mortimer los. Ich war bereit, eine Menge einzustecken und neue Erfahrungen zu sammeln. Aber ich war nicht bereit, mich schikanieren zu lassen, nicht von solchen Dreckskerlen wie Mortimer.

„Hör gut zu, du Ratte!“, knurrte ich ihn an. „Noch ein Wort, und du fliegst außenbords. Du hast mir ein Bein gestellt, darum ist das passiert. Und wenn du meinst, auf mir herumtrampeln zu können, dann bete vorher noch ein Vaterunser, denn es wird dein letztes sein. Verstanden, du Miststück?“

Er starrte mich mit offenem Mund an, und ich konnte seine miesen Zahnstummel betrachten. Die sahen aus wie angeknabberte, schwarze Fingernägel. Da konnte sich einem glatt der Magen umdrehen.

„Mach‘s Maul zu!“, fuhr ich ihn an.

Er klappte seine Luke dicht, griff nach rechts, er stand im Kombüsenschott, und hatte plötzlich ein Fleischermesser in der Hand.

Der sollte sich wundern!

Mein rechter Fuß zuckte hoch, krachte unter sein Handgelenk und beförderte das Fleischermesser in einem wirbelnden Bogen zur Decksmitte. Dort blieb es federnd stecken. Shita beschnüffelte es, nieste, drehte dem Griff sein Hinterteil zu, hob ein Bein und sorgte dafür, dass der Griff abgeduscht wurde.

Mortimer vergaß sein schmerzendes Handgelenk. Er stierte auf die Pfütze, aus der der Messergriff aufragte, und kriegte Glotzaugen, als Shita, wie vom Land her gewohnt, mit den Hinterbeinen scharrte, um mit der vermeintlichen Erde das Mäntelchen der Reinlichkeit über die Pfütze zu decken.

Aber wir waren nicht an Land, sondern auf See, und Shitas Scharren auf den Planken des Fischkutters war so nutzlos wie ein Segel ohne Wind.

Das Unsinnig-Witzige dieses Scharrens kapierte Mortimer, wie ich genau sehen konnte. Er stützte sich am Kombüsenschott ab, warf den Kopf zurück und schickte sich an, seine menschliche Überlegenheit über die natürlichen Reaktionen eines Vierbeiners durch ein wieherndes Lachen kundzutun.

Ich stopfte ihm dieses Lachen in den Mund zurück. Meine Faust krachte unter sein spitzes Kinn, und damit entschwand er in der Kombüse.

Dort blieb er auch. Er war keiner von der harten Sorte. Und wenn er mal mit einem Messer zustach, dann bestimmt nur von hinten.

Aus dem Schott zum Vordeck schoss Jack Jigger, der Decksälteste dieser Crew von salzdurchtränkten Haifisch­fressern. Er war so breit wie groß, sah aus wie ein Seehund und hatte auch einen dementsprechenden Schnauzbart, der jetzt vor Erregung zitterte.

„Wo bleibt das Fressen?“, brüllte er.

„Fällt heute aus“, sagte ich.

Er prallte zurück und kriegte tückische Augen.

„Halt‘s Maul“, sagte er.

Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte mich etwas gefragt, und ich hatte ihm geantwortet. Dafür sollte ich das Maul halten. Diese Haifischfresser hatten eine Logik, die ich erst noch ergründen musste. Auf See war eben alles anders.

Er entdeckte den entleerten Kessel, der zu einem der Speigatten gerollt war. Diese Speigatten sind Löcher im Knick zwischen Schanzkleid und Deck, durch die überkommendes Seewasser wieder außenbords fließen soll.

„Leer, wie?“, sagte er. „Wo ist die Suppe?“

Ich schwieg, da ich ja das Maul halten sollte.

„Wo ist die Suppe?“, brüllte er.

Ich schwieg weiter.

Sein Blick fiel auf das Fleischermesser, das immer noch im Deck steckte. Das waren eben gute, massive Planken, die nichts durchließen. Die Pfütze hatte sich nur nach Steuerbord verlagert, weil der Wind von Backbord einfiel und der Kutter Lage schob, das heißt, nach Steuerbord, also nach rechts, überlag.

Er tigerte zu dem Messer und riss es aus den Planken. Er roch an dem Griff und runzelte die Stirn. Die war nicht sehr hoch, eben wie bei einem Seehund.

Nach einer bedeutsamen Weile sagte er: „Stinkt nach Pisse!“

Da hatte er recht. An Land hätte er es nicht gerochen. Shita hätte wahrscheinlich auch den Griff verbuddelt.

Jack Jigger wog das Messer in der Hand und warf es außenbords. Vielleicht verschluckte es ein Haifisch.

Shita knurrte ihn an.

„Halt‘s Maul!“, sagte Jack Jigger zu meinem Hund.

Shita knurrte weiter, nur einen Ton heller, aber umso gefährlicher. Im Schott zum Vordeck tauchten die anderen Kerle auf. Sie sahen alle nicht sehr fröhlich aus. Denn sie warteten auf ihren Mittagsfraß.

„Maul halten!“, brüllte Jack Jigger wütend.

Ich sagte: „Sei friedlich, Jigger. Mit Anbrüllen erreichst du bei diesem Hund gar nichts. Der geht dir an die Kehle und säuft dein Blut. Und damit wir alle hier an Bord wissen, woran wir sind, möchte ich eins klarstellen. Von dem Job an Bord eines Fischkutters verstehe ich nichts. Aber ich werde es lernen. Wer aber mir oder meinem Hund auf die Zehen tritt, muss damit rechnen, dass er was vor die Schnauze kriegt. Wie Mortimer, der mir ein Bein gestellt hat, als ich die Suppe ins Vordeck bringen wollte. Kapitän Harvest hat mich angeheuert, und ich werde meine Arbeit tun. Nur warne ich jeden von euch, der meint, mich herumschubsen zu können. Versuch‘s mal, ­Jigger. Wir können das hier und sofort austragen. Aber ich warne dich und jeden von euch. Noch einmal! Ich habe ein paar Jahre bei den Apachen verbracht und ein paar schmutzige Tricks gelernt, um überleben zu können. Ich habe gut gelernt.“

Jack Jigger, einen Kopf kleiner als ich, aber um eine Schulter breiter, hatte mit zusammengekniffenen Augen zugehört. Er dachte nicht lange nach, sondern handelte sofort. Er wollte es eben gern wissen. Außerdem hat niemand an Bord eines Schiffes einem Decksältesten eine Predigt zu halten, mit Ausnahme des Kapitäns. Aber der war ich nicht.

Ich brauchte gar nichts zu tun, weil Shita Jack Jigger abfing. Er sprang dem kleinen bulligen Mann an die Kehle und riss ihn um.

„Halt, Shita!“, schrie ich.

Shita verharrte zitternd, den Fang um die Kehle Jack Jiggers geschlagen.

Die anderen Kerle waren ins Vordeck zurückgewichen. Ich sah nur ihre Köpfe.

„Zurück, Shita“, befahl ich.

Shita zog sich zurück, geduckt, mit hochgezogenen Lefzen, verhalten knurrend. Sein gefletschter Fang sah prächtig aus.

Jack Jigger war grau wie das Großsegel über uns.

Ich grinste ihn kalt an. „Na? Ist die Sache jetzt klar, Jigger?“

„Denke schon“, murmelte er und richtete sich ächzend auf.

Von dieser Stunde an war ich nicht mehr Backschafter, sondern lernte, wie ein Kutter gesegelt wird und welche Knochenarbeit geleistet werden muss, die See abzuernten. Wir fischten mit Schleppnetzen, und zwar bei jedem Wetter. Der Fang wurde gekühlt und sofort in Fässern gepökelt, Stunde um Stunde, Tag um Tag.

Kapitän Harvest hielt uns auf Trab. Er war ein harter, zäher Brocken mit schlohweißem Bart, einer ebensolchen Mähne, eisblauen Augen und einem verwitterten Granitgesicht. Er segelte den Kutter mit den Fingerspitzen und war ein Seemann, der für seinen Beruf Instinkt, Begabung und ein Leben voller Erfahrungen mitbrachte. Vor hundert und mehr Jahren wäre er wahrscheinlich einer der verwegensten Freibeuter in der Karibik gewesen.

Er war ein Mann, den ich von Anfang an akzeptiert hatte. Wir waren uns im Fischereihafen von New Orleans begegnet. Ich war mit Shita auf den Kais herumgeschlendert und hatte zugeschaut, wie zwei Fischkutter, einer war die ‚Marygold‘ von Kapitän Harvest, einliefen, vertäuten und ihren Fang an Land brachten. Kapitän Harvest hatte mich angesprochen und gefragt, ob ich einen Job suchte. Dabei hatte er Shita die Ohren gekrault.

Warum nicht? hatte ich mir gesagt.

Und so war ich ‚Moses‘ auf der ‚Marygold‘ geworden. Für fünfundzwanzig Dollar im Monat bei freier Unterkunft und Verpflegung und ein Prozent Beteiligung am Fangergebnis.

Später kriegte ich mit, dass ich beim besten Kapitän und Fischer der Fischereiflotte von New Orleans angeheuert hatte.

Übrigens lief ich nicht mehr mit meinem Waffengurt herum. Navy-Colt und Spencer-Karabiner lagen in einer Backskiste unter meiner Vordeckskoje. Nur mein Messer trug ich weiter im Stiefelschaft.

Ich lernte schnell. Der Kutter war einmastig und führte hinter dem Mast ein Gaffel-Großsegel und darüber ein Gaffel-Toppsegel sowie vor dem Mast von außen nach innen den hohen Jager, den Klüver und die Fock. Bei mittlerem Wind führten wir alle fünf Segel. Wenn es ­ruppiger wurde, segelten wir mit gerefftem Großsegel und der Fock.

Mit mir waren wir neun sogenannte ‚Hands‘ für alle Segelmanöver und die Arbeit mit den Netzen.

Die See war frei und grenzenlos wie die Prärien, an die ich oft genug dachte, wenn der Wind über das Wasser fächerte.

Die Enge an Bord wiederum war etwas, das ich kaum zu ertragen vermochte, genauso wenig wie die von ihren Liebeserlebnissen schwafelnden Kerle, deren Primitivität kaum zu überbieten war.

Und der Gestank. Wir rochen nach Fisch aus allen Knopflöchern. Alles stank nach Fisch, die Kojen, die Seegrasmatratzen, die Decken, die Schapps, das Vordeck, die Kammern, einfach alles.

Ich war entschlossen, diesen Job durchzustehen, ob es nun stank oder ob mir das Schwadronieren der Hands zum Halse heraushing. Denn es war schon faszinierend, was ein Schiff unter Segeln tut, wenn es sich nur durch die Windkraft fortbewegt.

Das war Abenteuer, ein Sich-Messen mit den Elementen Wasser und Wind, ein ständiger Kampf, ein immerwährendes Wachsein und Beobachten, um nicht von den Elementen überrascht zu werden.

Aber dann begegneten wir dem Totenschiff.

2.

Wir waren den dritten Tag in See und standen etwa zwanzig Meilen südöstlich der Mississippi-Mündung. Bisher hatten wir hervorragende Fangergebnisse gehabt, und alles wies darauf hin, dass es auch am vierten Tag so bleiben würde. Dann wollte Kapitän Harvest nach New Orleans zurücksegeln.

Den Hands juckte auch schon wieder das Fell, seit drei Tagen nicht mehr bei den Hafenhuren gewesen zu sein. Sie taten geradeso, als seien sie mit diesen Schlampen verheiratet und wurden von wilder Eifersucht geplagt, die Sündenpfuhle ihrer jeweiligen Gespielinnen von anderen Liebhabern besetzt vorzufinden. Was bestimmt der Fall sein würde, denn schließlich lebten diese Ladys ja von ihrem Gunstgewerbe.

Am Morgen des vierten Tages war die Stimmung gereizt, wozu auch Mortimers Kaffee beitrug, den Jack Jigger, der Deckälteste, mit Recht als Mauleselpisse bezeichnete.

Mortimer wiederum zählte daraufhin auf, was Jack ­Jigger alles sei und kriegte schließlich von Jigger einen Seestiefel ins Kreuz, als er ihn als Krone seiner Beleidigungen einen verhurten, gottverdammten Rammler nannte, der sich nicht scheuen würde, mit seiner Gorillagroßmutter ins Bett zu steigen.

Den Fäusten Jack Jiggers entging er durch die Flucht in die Kombüse, in die er sich einschloss. Dafür ließ Jack Jigger seine Wut an Abraham Smith aus, der zwei Jahre jünger als ich war und von Jigger beschuldigt wurde, mit Mortimer während der Zeit auf See dann und wann die Koje zu teilen oder in der abgeschlossenen Kombüse Mann und Frau zu spielen.

Wie gesagt, ich war in einen feinen Haufen geraten.

Das Bürschchen Abraham Smith war ein bleichgesichtiges mageres Etwas mit dem Gesicht einer vergreisten Ratte. Mortimer war mir schon widerlich genug, aber gegen Abraham Smith war er ein harmloser Kirchen­gänger.

Ich sah zu, wie Jack Jigger mit Abraham Smith die Vordecksplanken aufwischte, stand auf von der Gemeinschaftsbank und ging nach draußen aufs Mitteldeck. Ich schlug das Schott hinter mir zu, um das Greinen der Ratte mit dem alten Gesicht nicht mehr hören zu müssen.

Achtern stand Kapitän Harvest und starrte durch einen Kieker nach Backbord voraus. Er stand wie ein Monument, an dem man sich festhalten konnte. Wir segelten Südkurs bei Wind von Osten. In einer halben Stunde würden wir die Fangnetze auswerfen. Die Sonne war wie ein glutroter Ball über die östliche Kimm gerutscht und gab der See jene Färbung, die an schmelzendes Gold erinnert.

Kapitän Harvest ließ den Kieker sinken, rieb sich die Augen, sah mich und winkte mich heran.

Ich enterte den Niedergang zum Achterdeck hoch und sagte: „Guten Morgen, Sir!“

Er lächelte, und sein Gesicht zersprang in hundert und mehr Falten. „Guten Morgen, mein Junge. Du hast doch gute Augen, oder?“

„Glaub schon, Sir.“

Er reichte mir den Kieker und sagte: „Backbord voraus, was siehst du da?“

Ich hob das Spektiv und suchte die Kimm ab. Drei, vier Daumenbreiten links vom Bugspriet zeichneten sich an der Grenze zwischen Himmel und See zwei hauchdünne Nadelspitzen ab.

„Zwei Masten, Sir“, sagte ich. „Aber nicht unter Segeln.“

Er nickte zufrieden und sagte zu dem Rudergänger: „Mac, welcher Kurs liegt an?“

„Genau Süd, einhundertachtzig Grad, Sir.“

„Neuer Kurs einhundertfünfundsiebzig, Mac.“

„Aye, aye, Sir, neuer Kurs einhundertfünfundsiebzig.“

Der Kutter luvte etwas an, und ich sprang mit zwei anderen Männern der Besatzung an die Schoten, um sie etwas dichter zu holen.

Wir segelten genau auf die beiden Mastspitzen zu. Kapitän Harvest purrte die Restmannschaft aus dem Vordeck, ließ aber nicht das Fanggeschirr klarieren.

Es ist etwas Seltsames, wenn sich Schiffe auf offener See begegnen. Auch das erinnerte mich irgendwie an Begegnungen auf endloser, weiter Prärie.

Seit drei Tagen hatten wir ringsum uns kein Schiff gesehen, da waren nur Einsamkeit und Weite gewesen. Man hatte das Gefühl, völlig allein zu sein. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, welche Stimmungen bei Mannschaften entstanden, die wochenlang auf See waren oder gar in windstille Zonen gerieten. Die mussten weiß Gott anfangen zu spinnen und sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Wehe dem Kapitän, der dann seine Mannschaft nicht eisern in der Hand hatte.

Jetzt standen die Männer an der Backbordreling und starrten schweigend voraus auf die beiden Masten, die immer weiter aus der Kimm hochwuchsen.

Zuerst begriff ich nicht, warum sie nichts sagten, sondern nur stumm starrten.

Dann murmelte Jack Jigger neben mir: „Da springt doch glatt der Hering aus der Pfanne. Der hat nicht einen Fetzen Tuch gesetzt!“

Das hatte ich zwar auch schon gesehen, aber mir nichts weiter dabei gedacht.

Ja, das war es. Ein Schiff hier draußen im Golf von Mexiko sollte eigentlich unter Segeln sein. Der Zweimaster dort vorn trieb. Er ankerte nicht, das war hier wegen der Meerestiefe gar nicht möglich.

Jack Jigger schniefte und zog sich die Hosen hoch. Er blickte über die Schulter nach achtern und sagte: „Und der Alte segelt da auch noch hin.“

„Na und?“, fragte ich.

Er blickte aus seinen kleinen, tückischen Augen zu mir hoch und runzelte die Stirn. „Die Sache stinkt!“

„Wieso denn?“

„Weil sie eben stinkt, verdammt noch mal“, erwiderte er. „Wer das nicht kapiert, ist ein Blödmann, klar?“

„Dann ist Kapitän Harvest also ein Blödmann, oder?“

„Halt‘s Maul, du Tintenfisch!“, knurrte mich Jack ­Jigger an. „Rede nicht über Sachen, die du nicht verstehst.“

„Verstehst du sie denn?“

Er schielte mich wütend an.

„Ein Schiff ohne Segel“, fauchte er, „so was gibt‘s nicht, klar? Das ist wie 'n Fisch ohne Flossen oder 'ne Hure ohne ...“

„Bett“, schlug ich schnell vor, um ihm weitere Details anatomischer Art zu ersparen.

„Ha-ha-ha!“, meckerte, Mortimer, der Koch, der aus dem Schutz seiner Kombüse wieder aufgetaucht war.

„Halt‘s Maul!“, fuhr ihn Jack Jigger an.

O Gott, war das ein geistvoller Dialog! Bei Jack Jigger gab‘s nur Maulhalten oder stumpfsinnige Feststellungen, dass es etwas, was es nicht gab, eben nicht geben durfte. Und doch gab es das Schiff mit den zwei Masten, aber keiner Besegelung. Es war eine Brigg, ein Schiff mit einem schlanken Rumpf. Es hätte Rahsegel führen müssen, aber die Segel waren an den Rahen aufgetucht.

Die Brigg trieb quer zum Wind, das war jetzt deutlich zu sehen.

Ihr Rumpf war schwarz.

Diese Farbe veranlasste Jack Jigger zu der dumpfen Bemerkung: „Schwarz wie der Satan!“

Ich hatte nichts gegen den schwarzen Rumpf, im Gegenteil. Die dunkle Farbe betonte die scharfen, rassigen Konturen des Schiffskörpers und musste im Kontrast zu den jetzt leider nicht gesetzten hellen Rahsegeln eine fantastische Gesamtwirkung erzielen.

Ich verbiss mir eine Bemerkung. Jack Jigger hätte wieder mit „Halt‘s Maul“ reagiert und mir erklärt, dass ich davon nichts verstünde.

Allesamt sahen die Kerle jetzt aus, als müssten sie mit unserer „Marygold“ nunmehr geradewegs in die Hölle segeln. Statt sich zu freuen, in dem Einerlei der See einem Schiff zu begegnen, hatten sie Leichenbittermienen aufgesetzt und schienen den Weltuntergang zu erwarten.

Immer mehr Einzelheiten der Brigg wurden deutlich. Etwas ließ mich nun auch stutzen. Ich konnte niemanden an Bord entdecken. Bei uns drängelten sich die Männer an der Backbordreling, aber bei der Brigg rührte sich nichts, weder vorn noch mittschiffs noch achtern. Dieser Zweimaster erweckte den Eindruck, als sei er unbemannt.

Wer es sagte, kriegte ich nicht mit, weil ich die Brigg beobachtete.

Einer der Männer sagte: „Ein Totenschiff!“

Er sagte es mit jener Grabesstimme, bei der einem kalte Spinnenbeine über den Rücken laufen.

Das Jüngelchen Abraham Smith, das grün und blau geschlagen neben Mortimer stand, begann zu schluchzen.

Jack Jigger reagierte wie immer. „Schnauze, du abgewischter Puppenheini!“, zischte er.

Abraham Smith zuckte zusammen und hielt sich an Mortimer fest. Und der umschlang ihn, brüderlich oder nicht, als sei er bereit, mit seinem Spielknaben die letzte Ölung zu empfangen.

In diese verwirrende Situation peitschte die harte Stimme von Kapitän Harvest.

„Jigger! Jolle klar zum Aussetzen! Dalli, dalli!“

Jack Jigger stöhnte auf. Mortimer ließ seinen Liebling los und hastete zurück in die Kombüse. Abraham Smith wankte greinend zum Vordeckschott, um sich zu erholen.

Die Stimme des Kapitäns holte ihn zurück.

„Das ist ein Alle-Mann-Manöver, Smith! Hier wird jede Hand gebraucht!“

Die ‚Marygold‘ passierte das Heck der Brigg. ‚Empe­rador‘ stand dort in Goldbuchstaben. Vergoldet war auch die Zierleiste, die sich oben am Rumpf um das ganze Schiff herumzog.

Wir liefen ein Stück ab und luvten an, bis die ‚Marygold‘ im Wind Steuerbord querab der Brigg lag.

Der Zweimaster dümpelte in den Wellen. Das Steuerruder bewegte sich leer im Seegang, kein Mensch war zu sehen.

Kapitän Harvest nahm ein Blechdings, das wie eine Tüte geformt war, setzte es an den Mund und brüllte die Brigg mit seiner Donnerstimme an.

Von der obersten Rah des Fockmastes vorn flatterten zwei Möwen erschreckt hoch und flogen nordwärts davon.

Das war alles.

Jack Jigger flüsterte: „Das waren die Seelen der Toten.“

Offensichtlich meinte er damit die beiden Möwen. Ich grinste ihn an.

„Nur zwei?“, sagte ich. „Und wo sind die anderen? Oder meinst du, zwei Möwen reichen für die ganze Crew der Brigg aus?“

Dieses Mal erwiderte er gar nichts. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Gesichtsfarbe war fahl.

„Jigger!“ Das war wieder die scharfe Stimme des Kapitäns. „Verdammt! Ist die Jolle endlich klar?“

Ich konnte es Jack Jigger deutlich ansehen, dass er sich am liebsten tief unten im Schiff in der Bilge verkrochen hätte. Das Schlimme war, dass Miene und Verhalten des Decksältesten auf die anderen Kerle abfärbten. Sie vermieden es, zu Kapitän Harvest hinzuschauen und rührten sich nicht. Eine Meuterei war das nicht, dazu hatten sie viel zu viel Angst vor dem Kapitän. Aber genauso viel Angst schienen sie vor der Brigg zu haben, die einer als ‚Totenschiff‘ bezeichnet hatte.

Sie warteten ganz einfach ab, wie Jigger, der als Deckältester gleichzeitig auch so eine Art Bootsmann war, weiter reagieren würde.

Inzwischen lief Kapitän Harvest die Galle über. Mit ein paar Sätzen war er auf dem Mitteldeck, schnappte sich Jack Jigger vorn am Hemdausschnitt und lüftete den gewiss nicht leichten Mann mit eiserner Hand von den Deckplanken hoch. Jigger zappelte.

„Hör zu, Mister Jigger“, grollte der Kapitän, „ich pflege meine Befehle nur einmal zu geben! In drei Minuten ist die Jolle ausgesetzt, oder du gehst baden und kannst zu Fuß nach New Orleans zurückmarschieren!“

Das wirkte.

Die Jolle lag sogar in weniger als drei Minuten längsseits der ‚Marygold‘. Jetzt hatten alle mit angepackt.

Kapitän Harvest hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und musterte mit seinen eisblauen Augen die Crew seines Kutters.

„Wer pullt freiwillig mit zu der Brigg hinüber?“

Ich trat vor und blieb der einzige Freiwillige.

„Scheißkerle“, murmelte Kapitän Harvest verächtlich. Sein rechter Zeigefinger stach vor. „Smith“, der Zeige­finger wanderte weiter, „O‘Brien, Ricalle, Dryer und Milton, ihr besetzt mit Ronco die Jolle! Bringt die Jakobsleiter aus und ab mit euch!“

„Mir ist so schlecht“, stammelte Abraham Smith, der Junge mit dem vergreisten Rattengesicht.

Kapitän Harvest sagte kalt: „Du kannst dich als abgemustert betrachten, Smith. Verschwinde vom Deck, sonst wird mir auch noch schlecht.“

Abraham Smith schlich mit hängenden Schultern zum Niedergang ins Vordeck und verkroch sich.

Kapitän Harvest grinste plötzlich.

„Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz auf See“, sagte er beinahe zuckersüß. „Danach geht ein Schiff, das von seinen Offizieren und der Mannschaft verlassen worden ist, in den Besitz dessen über, der es findet und in den Hafen einbringt. Die Reederei, zu der das Schiff gehört, darf natürlich Ansprüche anmelden, muss dann aber das Schiff von dem Finder zurückkaufen. Den Wert einer Brigg, ganz abgesehen von ihrer Ladung, brauche ich wohl keinem von euch näher zu erläutern. Möchte jemand für Smith einspringen?“

„Ja, ich, Sir“, sagte Jack Jigger heiser.

„Sehr schön“, lobte Kapitän Harvest. „Dann wollen wir uns die Brigg mal näher ansehen.“

Zurück an Bord blieben nur der gefeuerte Abraham Smith, Mortimer und ein Mann namens Croof. Zumindest Mortimer und Croof hatten ziemlich lange ­Gesichter. Wenn Kapitän Harvest später in New ­Orleans den Kuchen aufteilte, würden sie allenfalls ein paar Krümel einstecken dürfen. Da war ich als wirklich echter und erster Freiwilliger schon besser dran, und schon jetzt konnte ich den Mienen der anderen entnehmen, wie der Neid und die Missgunst an ihnen nagten. Auf einmal waren sie auch furchtbar eifrig, Jack Jigger allen voran.

Zurück blieb natürlich auch Shita. Er reagierte heute gelassen, als ich in die Jolle abenterte. Vielleicht hatte er sich daran gewöhnt. Sonst war er immer ziemlich wild geworden, wenn ich dann und wann zur Jollenbesatzung gehört hatte und für kürzere oder längere Zeit nicht an Bord war, weil die Netze klariert werden mussten.

Jigger und ich pullten als Schlagleute. Kapitän Harvest saß an der Pinne und steuerte die Jolle einmal dicht um die Brigg herum. Der Zweimaster war tadellos in Schuss, von außen jedenfalls.

Noch einmal rief Kapitän Harvest die Brigg an. Aber wieder erfolgte keine Reaktion.

Ich saß auf der Backbordducht am Schlag und warf Jack Jigger einen kurzen Blick zu. Seine Miene war eine eigenartige Mischung von Gier und Angst.

„Wir gehen an der Steuerbordseite längsseits“, sagte Kapitän Harvest. „Ruder an!“

Wir pullten wieder, und Kapitän Harvest brachte die Jolle längsseits der Brigg. Um aufentern zu können, hatten wir nicht allzu dicke Taue mitgenommen, an deren Ende Haken geknotet wurden.

Ich nahm eins zur Hand, schoss es wie eine Wurfleine oder Lasso in mehreren Buchten auf, hielt das eine Ende mit der Linken fest und schleuderte mit der Rechten die aufgeschossenen Buchten samt Haken nach oben. Wie bei der Wurfleine zog der schwere Haken die Buchten auseinander, das Tau lief sauber aus. Der Haken fasste oben um die Umborderung des Schanzkleides und saß fest, als ich an dem Tau zerrte.

Kapitän Harvest nickte mir zu und lächelte.

„Wie ich dich kenne, willst du wahrscheinlich als erster entern, nicht wahr?“, fragte er.

„Aye, aye, Sir.“

„Einverstanden. Und wer entert nach Ronco?“

„Ich“, sagte Jack Jigger.