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Camelot of Bodmin kämpft als Kreuzritter an der Seite von König Richard Löwenherz gegen die Sarazenen. In dieser Zeit hat Richards Bruder, Prinz Johann, in England die Macht an sich gerissen. Die Anhänger des Königs werden zu Verfolgten.Mit der Serie CAMELOT schuf Dietmar Kuegler eine unvergängliche Saga über die abenteuerliche Welt des Mittelalters.Die Printausgabe umfasst 154 Buchseiten.
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Seitenzahl: 254
RONCO
In dieser Reihe bisher erschienen
2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt
2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache
2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber
2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg
2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben
2706 Dietmar Kuegler Todesserenade
2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes
2708 Dietmar Kuegler Blutrache
2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt
2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd
2711 Dietmar Kuegler Pony Express
2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht
2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal
2714 Dietmar Kuegler Goldrausch
2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando
2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer
2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah
2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas
2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker
2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff
2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel
2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter
2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten
2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen
2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes
2726 Dietmar Kuegler Das Massaker
Dietmar Kuegler
Die Ehre der Geächteten
Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-170-0Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
von Ken Conagher
15. September 1881.
Es ist ein Unterschied, ob man als freier Mann oder als Geächteter und Gejagter ein Tagebuch führt. Ich habe es mir heute wieder vorgenommen, um weiter aus meinem Leben zu berichten.
Simon Siringo und ich haben als Texas Ranger einen Krieg zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten verhindern können. Das ist viel, wenn man an die Toten und zum Krüppel geschossenen Männer denkt, die jeder Krieg fordert. Wir konnten stolz sein, diesen Wahnwitz verhindert zu haben.
Aber wir waren dennoch nicht stolz. Denn die Ratte, die diesen Krieg geplant hatte, lebte. Die Ratte hieß Samuel Hollister, und sie war noch bissiger, gemeiner, aber auch intelligenter als mein ehemaliger Todfeind Andrew Hilton. Der Kampf gegen die Ratte Hollister geht weiter.
Aber zurück zu meinem Lebensbericht. Damals, im Herbst 1865, spürte ich eine andere Ratte auf, mitten in Fort Calhoun, wo ich meinen Dienst als Armeescout angetreten hatte. Und im Dunstkreis dieser Ratte lebten andere Ratten, übrigens alle mit weißer Hautfarbe. Und fast wäre es ihnen gelungen, meinen zweiten Scout, den versoffenen Indianer Jicarilla, aufs Kreuz zu legen ‒ fast. Aber ich hatte etwas dagegen.
Darüber will ich berichten ...
Es war der letzte Sonnabend im September 1865. Zahltag in Fort Calhoun, jener Tag auch, an dem am Abend in Guzmans Saloon die Puppen am Tanzen sein würden wie an jedem Monatsletzten, wenn der Sold in Schnaps und Bier umgesetzt wurde und bei Guzmans vier Flitter-Schnepfen so eine Art Belagerungszustand herrschte.
Wenn Zahltag war, klingelten bei Matthew Guzman die Kassen, dann war er die Made im Speck von Fort Calhoun. Er besaß den Store, den Saloon, betrieb ein einträgliches Frachtwagengeschäft, und von seinen vier Flitter-Schnepfen kassierte er auch dreißig Prozent vom Umsatz.
Es ging ihm nicht schlecht, dem dicken Guzman, denn bei ihm kauften auch die Farmer aus dem Rio-Doro-Gebiet, aber der Monatsletzte war immer der Tag des Herrn, die Krönung des Monats, Halleluja!
Schließlich waren in Fort Calhoun drei Infanterie-Kompanien, eine Kavallerie-Kompanie und eine Kompanie Artillerie stationiert, und wenn die Privates, Troopers und Gunners ihren Sold empfingen, flossen die Dollars noch am selben Tag und Abend und in der Nacht Richtung Store und Saloon.
So war das bisher immer gewesen, und nichts deutete an, es könne an diesem letzten Sonnabend im September anders als sonst sein.
Wecken, Quartierreinigen, Flaggenparade, Essensausgabe wie gehabt. Ab neun Uhr, laut Dienstplan, und das war nun nicht die tägliche Routine, sondern eben nur einmal im Monat, Empfang des Solds für die Fortbesatzung.
Die ersten bauten sich fünf Minuten vor neun vor der Schreibstube von Corporal Jones auf, alphabetisch geordnet, versteht sich, denn Corporal Jones hatte keine Lust, in den Soldlisten ständig wie ein gottverdammter Bücherfloh von A nach X und K und Z hin und her zu springen. Nein, an diesem Tag war der Corporal Jones der liebe Herrgott für über einhundertfünfzig Privates, Troopers und Gunners, ganz abgesehen von den Zivilangestellten, zu denen als Scouts auch Jicarilla, das versoffene Apachenhalbblut, und ich gehörten. Wir standen auf einer Sonderliste und kassierten unseren Sold erst, wenn die Truppe abgefertigt war. Ordnung muss sein, sagte Corporal Jones, womit er ausdrücken wollte, an welcher Stelle der militärischen Ordnung wir seiner Meinung nach einzustufen seien: Nämlich ganz hinten oder ganz unten, etwa auf der Rangstufe der Küchenschaben.
Mich konnte der Corporal Jones mal, und das wusste er. Und wenn dieser dürre Schreibstubenhengst Magengeschwüre kriegte, dann war ich daran nicht ganz unbeteiligt.
Bei Jicarilla lag der Fall insofern etwas anders, weil er zum Monatsletzten hin total abgebrannt war und demzufolge seinen Fusel entbehren musste. In dieser Zeit lebte Jicarilla in der Hölle, die er sich selbst geschaffen hatte. Das wusste Corporal Jones, das wussten alle im Fort. Aber Corporal Jones, der liebe Herrgott, war sadistisch genug, dem Halbblut den Sold zuallerletzt auszuzahlen. Und das fummelte er meistens so geschickt hin, dass er dem als einzigen noch wartenden Jicarilla die Schreibstubentür vor der Nase zuknallte mit der höhnischen Bemerkung, jetzt sei Mittag und die Schreibstube geschlossen.
Dann erhielt Jicarilla seinen Sold erst zwei Stunden später. Und drei Minuten nach diesen zwei Stunden steuerte Jicarilla prompt Guzmans Store an, um sich dessen billigsten Brandy für die ersten Cents seines Solds in die Metallflasche abfüllen zu lassen.
Meiner Meinung nach war der Tag abzusehen, ab dem Jicarilla den Corporal Jones für eine weiße Maus halten und ihm den Hals umdrehen würde.
Nun wickelte sich der Tag des Soldempfangs nach einem bestimmten Ritus ab, wie ja alles bei der Armee in manchmal grotesker Weise reglementiert ist.
Wir würden sehen.
Um drei Minuten vor neun, als sich bereits eine Schlange vor der Schreibstube gebildet hatte, stelzte Corporal Jones, lang, dürr, mit hochnäsigem Dienstgesicht, zum Stabsgebäude, um im Dienstzimmer des Zahlmeisters die Fortkassette abzuholen. Dazu begleiteten ihn zwei altgediente Troopers unter Waffen, als könne die verdammte Kassette auf dem Weg vom Stabsgebäude zurück zur Schreibstube, Marschentfernung etwa dreißig Schritte, von Quantrills wilden Reitern oder sonst wem im Handstreich geklaut werden.
Diese drei also, Corporal Jones etwas voraus, als trage er eine Kompanie-Standarte, die beiden Troopers links und rechts hinter sich, bewegten sich wie Marionetten, hölzern und eckig, hinüber zum Stabsgebäude.
Ich muss vorausschicken, dass diese Zeremonie eigentlich bereits am Vorabend beginnt. Da nämlich marschiert der Corporal Jones, diesmal allein, zum Stabsgebäude, meldet sich beim Zahlmeister, legt ihm die Soldlisten vor mit der unter dem Strich zusammengerechneten Gesamtsumme an zu zahlendem Sold, und diesen Betrag händigt der Zahlmeister dann dem Corporal Jones aus, der ihn auch als ,empfangen‘ quittiert. Die Empfangsbestätigung wird in einer Akte abgeheftet. Darauf wird der gesamte Betrag nach Scheinen und Münzen geordnet in den verschiedenen Fächern der Fortkassette verstaut, die Kassette verschlossen und im Geldschrank des Zahlmeisters in ein abschließbares Sonderfach geschoben. Dort ruht sie bis zum nächsten Morgen, an dem sie dann der Corporal wieder in Empfang nimmt und unter Bewachung zur Schreibstube hinüberbringt.
Eine idiotische Prozedur! Dabei möchte ich noch einmal betonen, dass die Soldsumme während der Nacht dreimal gesichert ist, erstens durch die verschlossene Kassette, zweitens durch das verschlossene Sonderfach und drittens durch den verschlossenen Geldschrank ‒ mit drei verschiedenen Schlüsseln, von denen der Geldschrankschlüssel und der Sonderfachschlüssel hervorragende Muster solider Geldschrankfabrikation sind.
Diese drei Schlüssel hütete während der Nacht der Zahlmeister, ein Mann namens Mahon Tabor, dem Dienstgrad nach im Range eines Stabsoffiziers, im Falle des Forts Calhoun im Rang des Majors.
Anderthalb Minuten vor neun klopfte Corporal Jones an die Officetür des Zahlmeisters, öffnete sie auf das barsche „Herein“ des Zahlmeisters, klirrte mit seinen beiden Posten in den Raum, baute sich vor dem Schreibtisch auf und drechselte seinen Spruch, die Kassette zwecks Soldauszahlung abholen zu dürfen.
Mahon Tabor war an diesem Morgen etwas derangiert. Auch Zahlmeister ‒ oder gerade die? ‒ trinken gern mal Whisky pur und benutzen die Stunden der Nacht nicht ausschließlich zum eigenen Schlaf.
Mahon Tabor hatte das, was man einen Kater nennt. Infolgedessen war er gereizt. Dabei war dieser schlanke, sehnige, sechs Fuß große Typ weiß Gott kein Kind von Traurigkeit und eigentlich zäh genug, durchzechte Stunden aus dem Handgelenk abzuschütteln.
Aber er knurrte: „Mann, müssen Sie mich so anbrüllen?“
„Nein, Sir, bitte um Entschuldigung, Sir!“, schmetterte der Corporal.
Und Mahon Tabor zuckte noch einmal zusammen. Er tastete sein schwarzes, krauses Haar ab, als seien dort empfindliche Nervenenden abzuschirmen und zu beruhigen. Dann seufzte er, um kundzutun, welche Bürden von Verantwortung auf den Schultern von Zahlmeistern lasten, stand auf, zog einen kleinen Metallring mit drei Schlüsseln aus der rechten Schreibtischschublade und ging zum Geldschrank.
Nacheinander schloss er auf, erst die Geldschranktür, dann das Sonderfach. Wie immer holte jetzt der Corporal die Kassette aus dem Fach und empfing daraufhin den dritten Schlüssel zur Kassette selbst.
Mit der Kassette unter dem Arm ‒ wozu militärischer Drill nicht alles gut ist ‒ zirkelte der Corporal durch ruckhaftes Aufrichten des Oberkörpers eine Ehrenbezeigung, vollführte eine knallende Kehrtwendung und stelzte zur Tür.
Die beiden Troopers handelten synchron.
„Die Tür bitte ich leise zu schließen“, sagte der Zahlmeister.
Die Tür knallte zu.
„Idioten“, murmelte der Zahlmeister.
Das Trio, vornweg der Corporal, marschierte im Gleichschritt über den Hof zur Schreibstube. Jetzt trug der Corporal Jones die Kassette vor sich auf beiden Unterarmen wie das Samtkissen mit den Orden eines toten Generals, aber eben forsch und nicht im Trauerschritt. Denn jetzt war er der liebe Herrgott.
Und mit eisiger Miene überhörte er die flapsigen Bemerkungen der Schlange stehenden Privates, Troopers und Gunners.
„Ei, ei! Da kommen ja die kleinen Mäuschen!“
„Kille-kille am Kassettchen ‒ heute Abend quietscht das Bettchen!“
Die Kerle kicherten und lachten wie eine Horde ausgelassener Lümmel aus der Sonntagsschule, die was gesehen haben, was sie nicht sehen dürfen, etwa durchs Schlüsselloch ihre Lehrerin im Badezuber.
Matthew Guzman saß im Schaukelstuhl unter dem Vordach seines Stores, die Patschhändchen über dem Wabbelbauch gefaltet, das pausbackige Gesicht zu einem Vollmondgrinsen verzogen, wie immer in freudiger Erwartung. Denn in spätestens fünf Minuten würden die Kassen zu scheppern beginnen.
Seine vier Schnepfen hatten bereits Kriegsbemalung angelegt und rochen nach Paris und anderer Sünde.
Die beiden Adams von Fort Calhoun, im Alphabet der Soldliste mit Adams eins und Adams zwei die Spitze haltend, würden nicht die Wahl der Qual haben, denn wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Im Übrigen hatten Adams eins und Adams zwei sich bereits abgestimmt, wer mit der schwarzhaarigen Lissy und wer mit der rothaarigen Bonny paradiesische Freuden teilen würde.
Als nächste rangierten in der Soldliste Agnew und Aiken, und die waren sich wegen der beiden anderen Schnepfen nicht einig, weil sie beide die brünette Rose beglücken wollten. Aber da war ja nun wieder der Trooper Agnew eindeutig im alphabetischen Vorteil, das heißt, dem Gunner Aiken in der Soldauszahlung um mindestens drei Minuten voraus und um eben diese drei Minuten eher im Bett der brünetten Rose.
Man sieht, welche Auswirkungen die alphabetische Soldliste des Corporals Jones haben konnte.
Die Konsequenz für den Gunner Aiken bestand darin, entweder als zweiter nach dem Trooper Agnew mit der brünetten Rose Liebe zu machen oder der erste bei der vierten Schnepfe zu sein. Diese Lady hieß Sara, aber der Name war auch alles, was sie mit der biblischen Sara gemeinsam hatte, die laut der Überlieferung nicht nur schön, sondern auch ein Vorbild des Glaubens und der Ehrfurcht vor ihrem Gemahl Abraham gewesen sein sollte.
Die Lady Sara war weder schön, noch glaubte sie an etwas, und mit der Ehrfurcht vor einem Gemahl war‘s auch nichts, was bei ihrem Gewerbe ja auch ein Widerspruch gewesen wäre.
Nein, die Schnepfe Sara war eine hässliche, ordinäre und versoffene Schlampe und, zum Teufel, schon gar keine Alternative zu der brünetten Rose.
Der Gunner Aiken hätte dem Trooper Agnew den Hals umdrehen können. Er fühlte sich vom Schicksal geprellt, das ihm in der alphabetischen Reihenfolge einen Platz hinter dem Trooper Agnew zugewiesen hatte.
Ungerechtigkeit beherrschte diese Welt, und ihr derzeitiger Vertreter als der Verfasser der Soldliste war der Corporal Jones, der die drei Stufen zur Schreibstube hochmarschierte und sich kurz und militärisch räusperte.
Dieses Räuspern bedeutete den wortlosen Befehl, die Tür zur Schreibstube möge geöffnet werden.
Das oblag dem Private Adams eins, und der riss denn auch wie bei jedem Zahltag die Tür auf, zwar grinsend, aber in exakter militärischer Haltung. Auch Private Adams zwei grinste und ebenso Trooper Agnew. Gunner Aiken hingegen zeigte seinen Groll mit dem schicksalhaften Alphabet, indem er ein griesgrämiges Gesicht schnitt. Seine Haltung entsprach auch nicht der militärischen Norm und musste schlicht mit schlapp bezeichnet werden.
Wie stets im Ritus des Zahltages folgte nun noch auf der Türschwelle der geschnarrte Befehl von Corporal Jones: „Die ersten vier! Eintreten zum Soldempfang!“
Die beiden Troopers unter Waffen blieben links und rechts der Tür stehen. Erstens, um die Soldkasse und natürlich auch das kostbare Leben des Corporals Jones zu bewachen und zweitens, um den weiteren Verkehr zu regeln, was bedeutete, immer nur den jeweils vier nächsten Soldempfängern den Zugang zum Allerheiligsten zu gewähren. Schließlich ließ die Armee ja nicht zu, dass gedrängelt wurde.
Corporal Jones schritt um den Schreibtisch, übrigens an der hinteren Kante mit exakter Rechtswendung, setzte rechts von sich die Kassette ab, ordnete vor sich die Soldliste, zog den Stuhl heran und nahm hölzern Platz.
Einen Schritt vor dem Schreibtisch stoppte inzwischen der Private Adams eins und hinter ihm folgend der Private Adams zwei, der Trooper Agnew und der Gunner Aiken.
Nach dieser bemerkenswerten Abwicklung der Geschehnisse pflegte sich Corporal Jones bedeutungsvoll über die Soldliste zu beugen, noch einmal zu räuspern und den ersten Namen laut zu lesen, den er sowieso wusste.
„Private Adams eins!“
„Hier!“
„Vortreten!“
Und damit trat der Private Adams eins den einen Schritt zum Schreibtisch vor. Jetzt grinste er nicht mehr, denn, das wusste er, der Schreibstubenhengst konnte sehr biestig werden, wenn die heilige Handlung durch Grinsen gestört wurde.
„Ahm!“, sagte Corporal Jones und fixierte den Private Adams eins, um zu überprüfen, ob er auch wirklich den Private Adams eins vor sich hatte.
Er war es.
Erst jetzt stieß Corporal Jones den Schlüssel in das Schlüsselloch der Kassette, drehte ihn zweimal herum, was sich durch deutliches Klicken kundtat, und lüftete den Kassettendeckel, der an zwei eisernen Bügeln rechts und links hochglitt, hörbar einrastete und nunmehr mit der Kassettenoberfläche einen rechten Winkel bildete.
Von diesem Augenblick an lief nichts mehr, jedenfalls nicht mehr nach dem gewohnten Schema.
Corporal Jones kriegte zuerst Stielaugen, dann verlängerte sich sein Hals beängstigend bis zu jenem Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht, und so wuchs Corporal Jones dürre Figur aus dem Schreibtischstuhl, dem Kopf am langen Hals folgend, und seine Augen stierten in die Kassette.
Die war leer.
Und auch der Private Adams eins stierte.
Und hinter ihm kriegten der Private Adams zwei, der Trooper Agnew und der Gunner Aiken lange Hälse.
Die Stille in der Schreibstube entsprach jener Stille in einem Gotteshaus, die nach dem gemeinsamen Gebet und dem Amen folgt, bevor Sekunden später das Brausen und Jubilieren der Orgel die Kirche erzittern lässt.
In der Schreibstube des Corporals Jones brauste keine Orgel.
Der Corporal Jones sank auf seinen Stuhl zurück und murmelte: „Das … das kann doch nicht wahr sein.“
Aber die oberen Fächer des Kassetteneinsatzes waren leer, blieben leer, gewissermaßen nackt und kahl, und nichts deutete an, sie könnten von innen heraus erblühen und sich mit Münzen und Noten füllen.
In diesem Moment war der liebe Herrgott namens Corporal Jones wieder ein Mensch, und dieser Mensch hatte einen offenen Mund, der tonlos flüsterte.
Er flüsterte: „Leer ...“
Der Mensch Jones rieb sich über die Augen. Vielleicht trogen diese Augen und leisteten sich einen bösen Scherz, wie die Fata Morgana dem Verdurstenden eine Oase und Wasser vorgaukelt, wo gar nichts ist.
Die Kassette war leer.
In überraschenden Situationen reagieren Menschen verschiedenartig. Jedenfalls war der Schreibstubenhengst total gelähmt.
Der Private Adams eins, dem Schauplatz am nächsten, sagte militärisch-knapp: „Scheiße, die Kasse ist leer!“
Das war das Signal für die drei anderen Soldempfänger hinter ihm, in breiter Front herumzuschwenken, um die Kassette besser besichtigen zu können.
Das stand in keinem Reglement und entsprach in keiner Weise irgendwelcher Exerzierordnung. Es war ein grober Verstoß gegen jede militärische Disziplin, es rüttelte an den Grundfesten des bedingungslosen Gehorsams, ohne den angeblich keine Armee der Welt bestehen kann.
Noch dazu stützte der Gunner Aiken ganz am rechten Flügel beide Hände und damit sich selbst auf die Schmalseite des Schreibtischs und glotzte mit vorgerecktem Kopf an dem Corporal vorbei auf die geöffnete, aber leere Kassette.
Wut im Bauch, wegen seiner vierten Rangordnung im Alphabet, sagte er tückisch, aber klar und akzentuiert: „Corporal Jones, du Arschloch! Tu bloß nicht so! Du hast die Bucks geklaut! Gottverdammt, du hast dir die Mäuse unter den Nagel gerissen.“
Der Corporal Jones fuhr von seinem Stuhl hoch wie von einer Nadel gepiekt.
„Gunner Aiken!“, brüllte er. „Sind Sie wahnsinnig?“
„Nee!“, brüllte der zurück und hämmerte die Knöchel seiner rechten Faust auf die Schreibtischplatte, dass die Kassette tanzte. „Aber ich will meine Dollars, verdammt noch mal! Die stehen mir zu, verdammt noch mal, und wenn ich die nicht kriege, dann fahre ich schwere Artillerie auf und schieß diese Scheißbude zusammen, dass das ganze verdammte Fort auseinanderfliegt! Hast du mich verstanden, du Hurensohn?“
„Jawohl!“, brüllte nun auch der Private Adams eins.
„Schweinerei!“, schrie Adams zwei.
Und der Trooper Agnew, ein Bulle von Kerl, langte schlicht über den Schreibtisch, griff sich den dürren Corporal, zerrte ihn hoch und halb über die Schreibtischplatte zu sich heran und zischte ihm ins Gesicht: „Komm ‚raus mit den Mäusen, du Drecksack, oder ich putz mit dir die Kassette aus!“
Der Corporal zappelte in dem eisernen Griff, und dann begann er zu röcheln, weil der Trooper Agnew seine Faust drehte und ihm damit die Luftzufuhr abschnitt.
Der Corporal Jones war nicht mehr der liebe Herrgott. Götter haben ja auch keine hervorquellenden Augen und Atembeschwerden.
Nun zeigte sich doch, dass die beiden Posten links und rechts der Tür vor der Schreibstube eine Existenzberechtigung hatten. Denn die retteten den Corporal Jones davor, stranguliert zu werden.
Die sprangen nämlich in die Schreibstube, ließen ihre Karabiner knacken, und der eine brüllte: „Loslassen, oder ich jag‘ dir ein Stück Blei zwischen die Rippen!“
Der Trooper Agnew stieß den Corporal in den Stuhl zurück, drehte sich langsam um und knurrte: „Das schmeckt mir, du Bastard. Mir ein Stück Blei zwischen die Rippen jagen!“ Er rückte zur Seite. „Schau mal in diese Scheißkassette! Was siehst du da, he? Siehst du Mäuse? Nein! Nichts. Geklaut, verstehst du? Da ist nichts drin, nichts? Und wer hat die Dollars geklaut? Wir vielleicht?“ Sein Daumen mit dem Umfang einer Wurst deutete über die rechte Schulter. „Frag mal den Schreibstubenhengst, wo die Mäuse sind! Dem steht doch die Schuld ins Gesicht ...“
„Wache!“, brüllte der Corporal Jones hysterisch. „Nehmt diese Meuterer fest, sofort, auf der Stelle! Wo ist der Kommandant? Holt den Zahlmeister!“
Das, war der Moment, in dem der Trooper Agnew ungeachtet der Karabiner der beiden Posten herumfuhr, sich duckte und über den Schreibtisch weg mit ausgestrecktem Arm den Corporal Jones vom Stuhl fegte.
Der flog wie ein Bündel Lumpen rechts gegen die hölzerne Wand der Schreibstube.
Gleichzeitig zog der Trooper, der mit dem Blei gedroht hatte, durch. Er schoss aus der Hüfte. Die Kugel fetzte durch den Kalender an der hinteren Wand der Schreibstube und durchlöcherte das B im September. Dieses B wurde ein O.
Und weil der eine Trooper-Posten geschossen hatte, krümmte auch der andere den Finger. Nur hatte er tiefer gehalten. Und seine Kugel schlug gegen die Innenwand des aufgeklappten Kassettendeckels, prallte ab und sengte dem Gunner Aiken über die rechte Wange, die wie eine gepflügte Ackerfurche aufbrach, aber keine Getreidehalme, sondern Blut sprießen ließ.
Das Chaos in der Schreibstube war vollkommen.
Das genau war der Zeitpunkt, an dem ich durch die Schlange der wartenden Privates, Trooper und Gunner gegangen war, um in der Kantine des Forts zu frühstücken.
Als die beiden Schüsse in der Schreibstube krachten, befand ich mich querab der Schreibstubentür, warf mich herum und hatte schon den Colt in der Faust.
Mit zwei Sätzen jagte ich die drei Stufen hoch und prallte in die Schreibstube. Corporal Jones lag rechts von mir an der Holzwand, vor ihm taumelte der Gunner Aiken herum und verschmierte brüllend das Blut über Gesicht, Hals und Hände, und vor mir befanden sich die beiden Privates Adams eins und Adams zwei sowie der Trooper Agnew mit den beiden Posten im infanteristischen Nahkampf, das heißt, sie rangelten sich um die beiden Karabiner der Posten und hieben sich gleichzeitig die Fäuste sonst wo hin.
Es klang wie in einem Raubtierkäfig: Brüllen, Knurren, Ächzen, Stöhnen, Scharren und dazwischen die dumpfen, trockenen Laute, wenn Fäuste in Leiber prallen oder auf Kinnladen treffen.
Ich feuerte einen Schuss an die Decke und schrie: „Aufhören, ihr Idioten!“
Die dachten gar nicht daran.
Der Trooper Agnew knurrte: „Halt‘s Maul, du Armleuchter!“
Na denn, dachte ich, tauchte unter einem Schwinger weg, landete hart an dem Trooper Agnew und zog ihm den Coltlauf über den Quadratschädel.
Er sackte gurgelnd in sich zusammen.
Rechts hinter mir hatte ebenfalls gerade einer zuschlagen wollen, einer der beiden Posten. Er konnte seinen Schlag nicht mehr bremsen, hieb also ein Loch in die Luft, weil der Trooper Agnew schon weggesackt war, wurde selbst von seinem Schwung mitgerissen, flog über den Trooper Agnew weg halb auf den Schreibtisch, wollte sich an der verdammten Kassette festhalten, die rutschte aber vom Schreibtisch und krachte auf die Dielen.
Der Kassettendeckel schnappte rasselnd zu wie eine Wolfsfalle.
Der Trooper-Posten hatte seine dämlichen Pfoten dazwischen.
Und er brüllte, dass die Scheiben klirrten.
Auf den Füßen waren nur noch die Privates Adams eins und Adams zwei, der eine Trooper-Posten und ich. Der Gunner Aiken zwar auch, aber der zählte nicht mehr, weil er noch damit beschäftigt war, sein Blut zu verschmieren. Er sah aus, als hätte er sich in eine Badewanne voller Tomatensoße gestürzt.
Mein besonderer Freund, der Corporal Jones, saß nur an der Bretterwand und glotzte blöde. Bei dem war eine Welt zusammengebrochen.
„Schluss jetzt!“, fauchte ich die beiden Privates und den Trooper an. „Seid ihr Soldaten, oder was seid ihr?“
Sie wichen vor meinem Colt zurück. In der Tür drängelten sich die anderen Soldempfänger und starrten in die Schreibstube.
Ich fuhr zu Corporal Jones herum.
„Wollen Sie dort übernachten, Corporal?“, blaffte ich ihn an. „Der Sold ist weg. Wenn er geklaut wurde, wird‘s Zeit, dass Sie was unternehmen. Lassen Sie Colonel Lester benachrichtigen. Und den Zahlmeister Tabor. Oder wollen Sie hier Däumchen drehen?“
Corporal Jones stemmte sich ächzend hoch.
„Ich verbitte mir Ihre Unverschämtheiten!“, stieß er hervor. „Hier befehle ich, Sie … Sie Zivilist!“
„Wie schön!“, höhnte ich. „Dann tun Sie‘s doch, keiner hindert Sie daran. Oder sind Sie nicht mehr in der Lage, Entschlüsse zu fassen? Der Gunner Aiken muss verarztet werden, und der Trooper dort hat sich die Hände abgeklemmt. Na los, befehlen Sie was, Sie Corporal, Sie!“
Ich stieß meinen Colt in die Halfter zurück, verschränkte die Arme über der Brust und grinste ihn an.
„Wache!“, brüllte Corporal Jones zur Tür hin.
Der eine der beiden Trooper-Posten, nicht der, der sich die Hände geklemmt hatte, drehte sich zu ihm um.
„Was soll denn die Wache hier, Mann?“, fragte er wütend.
Hochrot vor Zorn schrie der Corporal Jones: „Ich bin tätlich angegriffen worden! Das ist Meuterei!
Agnew, Aiken, Adams eins und Adams zwei müssen sofort festgenommen und unter Arrest gestellt werden! Dieser Dingsda, dieser Scout ebenfalls, er hat in die Decke geschossen, er hat militärisches Eigentum beschädigt.“
„Bei dir ist das Gehirn beschädigt, Corporal“, sagte der Trooper verächtlich, „wenn der Scout hier eben nicht dazwischen gegangen wäre, hätten die Idioten sich wahrscheinlich gegenseitig die Schädel eingeschlagen. Und er hat völlig recht. Dem Colonel muss gemeldet werden, dass die Bucks aus der Kassette verschwunden sind.“
Wieder wollte Corporal Jones losbrüllen, aber da rappelte sich der Trooper Agnew auf, genau vor dem Corporal, und stierte ihn mit wilden Augen an. Der Corporal klappte den Mund wieder zu und wich zurück.
„Du Hundesohn“, knurrte der Trooper Agnew, „rück die Bucks ‚raus, oder ich falte dich so zusammen, dass du in deine verdammte Kassette passt!“
Er hatte erstaunlich schnell zum Thema zurückgefunden, der Trooper Agnew.
„Nehmt ihn fest!“, schrie Corporal Jones mit schriller Stimme.
Fast fing wieder alles von vorn an.
Aber da ertönte plötzlich eine schneidende Stimme draußen vor der Schreibstube.
„Zurück! Platz, da! Was ist hier los?“
Es war die Stimme des Majors Fly, scharf, arrogant, Respekt heischend. Die Soldaten, die sich an der Tür gedrängelt hatten, verschwanden wie Mäuse vor der Katze.
Schritte polterten die Stufe zur Schreibstube hoch, in der Tür erschien Major William B. Fly, der Adjutant des Fortkommandanten. Er blieb dort stehen. Sein Blick flog durch den Raum, erfasste die leere Kassette, den blutenden Gunner Aiken, das schmerzverzerrte Gesicht des Troopers, der sich die Finger abgeklemmt hatte, streifte mich und heftete sich auf Corporal Jones. Sein scharfgeschnittenes Gesicht blieb völlig unbewegt.
„Was geht hier vor, Corporal?“, fragte er kalt. „Wird hier eine Versammlung abgehalten?“
„Nein, Sir“, stotterte Corporal Jones, „ich … ich … also ...“
„Er hat den Sold geklaut“, sagte der Trooper Agnew grob.
Der Major fixierte ihn. „Hatte ich Sie gefragt, Mann?“
„Nein, Sir.“
„Dann verschwinden Sie, die anderen auch. Corporal Jones, der Scout und die beiden Trooper-Posten bleiben hier. Hm, was ist mit Ihren Fingern, Trooper?“
„Geklemmt, Sir, schmerzt höllisch, Sir.“
„Dann hauen Sie auch ab. Melden Sie sich in der Lazarettbaracke, der Gunner ebenfalls. Ab!“
Die Männer verschwanden. Der Major legte die Hände auf den Rücken, wippte auf den Fußballen und blickte desinteressiert zur Decke hoch.
„Ich höre nichts, Corporal“, sagte er. „Ist es jetzt in der Armee üblich geworden, keine Meldung mehr zu erstatten. Da oben ist übrigens ein Schussloch in der Decke.“
„Jawohl, Sir, sehr richtig, Sir.“ Corporal Jones reckte die magere Brust heraus. „Ich melde, dass der Scout Ronco in die Decke geschossen hat.“
„In der Schreibstube wurde dreimal geschossen, Corporal“, sagte der Major. „Haben Sie die Übersicht verloren?“
„Äh, natürlich nicht, Sir, obwohl ich tätlich angegriffen wurde, Sir ...“ Der Corporal brach ab und räusperte sich.
Major Fly wippte nicht mehr auf den Fußballen und starrte auch nicht mehr zur Decke hoch. Sehr langsam wandte er den Kopf und musterte den Corporal wie einen seltenen Schmetterling.
„Sind Sie betrunken, Corporal?“
Corporal Jones hätte gern die Hände gerungen, traute sich aber nicht. Mühsam bewahrte er die sogenannte militärische Haltung. Nur seine Hände zuckten.
„Ich … ich bin ganz nüchtern, Sir“, presste er hervor. Dann riss er sich zusammen. „Ich … ich melde, dass … dass der Monatssold aus der Kassette verschwunden ist, Sir.“
„Das sehe ich“, sagte Major Fly trocken. „Haben Sie dafür eine Erklärung?“
„Nein, Sir. Ich … ich bin darüber zutiefst betroffen.“
Ein ironisches Lächeln umspielte kurz die schmalen Lippen des Majors. „Betroffen über was, Corporal? Über das Verschwinden des Monatssoldes oder darüber, dass Sie dafür keine Erklärung haben?“
Der Corporal schrumpfte immer mehr zusammen. Jetzt sah er aus, als hätte er am liebsten geheult. Ich wechselte einen Blick mit dem Trooper, und wir grinsten uns beide an.
„Ist Ihnen ein Witz eingefallen, Mister Ronco?“, fragte Major Fly scharf.
„Man könnte es so nennen, Major“, sagte ich und grinste weiter. Schließlich war ich Zivilscout und durfte mir ein Grinsen erlauben, während die Miene des Troopers mir gegenüber wieder so starr wurde wie die eines Nussknackers.
Mit eisiger Stimme sagte der Major: „Vielleicht erklären Sie mir den Witz, Mister Ronco, damit ich auch darüber lachen kann.“
„Den würden Sie nie verstehen, Major“, sagte ich, „und zwar deswegen nicht, weil Sie die Komik dieser Situation nicht begreifen.“
„Genauer, bitte!“, schnarrte der Major.
„Nun“, erwiderte ich, „die Komik der Situation besteht für mich darin, dass man hier seit etwa einer halben Stunde weiter nichts tut, als wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen, statt sofort die nüchternen Tatsachen anzupacken. Es geht nicht darum, wer hier Löcher in die Wände geschossen hat, sondern darum, dass der Monatssold verschwunden ist. Um weitere Fragen vorwegzunehmen: Hier wurde lediglich etwas gerauft, weil die ersten vier Soldempfänger mitgekriegt hatten, dass die Kassette leer war. Sie dachten, Corporal Jones hätte die Bucks geklaut, und darum waren sie sauer.“
„Und Sie sind es nicht?“, fragte der Major lauernd.
Ich schmetterte diese tückische Frage ab. „Wenn Sie denken, ich hätte die Bucks geklaut, Major, dann nehmen Sie besser erst einmal an einem Lehrgang bei Pinkerton teil. Abgesehen davon dürfen Sie meine Bude durchsuchen, ich habe nichts zu verbergen, Major Fly, Sir.“
Der Blick des Majors wurde starr, der des Corporals auch. Aber sie starrten nicht mich an, sie starrten aus dem Fenster.
Und damit nahm diese mysteriöse Geschichte über den verschwundenen Monatssold einen unerwarteten Verlauf.
Ich schaute auch durch das Fenster, das einen Blick auf den Exerzierplatz von Fort Calhoun freigab.
Von den Stallungen her torkelte Jicarilla über den Exerzierplatz, voll bis obenhin wie hundert Kavalleristen. Er schwenkte eine Flasche Schnaps, als habe er einen Säbel in der Faust, stoppte beim Flaggenmast, knallte die Hacken zusammen, wackelte mit dem Kopf und senkte die Flasche wie bei der Parade zum Säbelgruß vor der Flagge.
Für einen ganz kurzen Moment drückte die Haltung Jicarillas etwas sehr Merkwürdiges aus, das kaum zu erfassen war. Denn seine Haltung war tadellos, und den Säbelgruß hätte auch Major Fly nicht exakter ausführen können. Und der Säbel war eine Schnapsflasche.
Der Schnaps grüßte die Flagge der Vereinigten Staaten!
Würde, Stolz und Verachtung präsentierte Jicarillas Haltung vor der Flagge.
Noch heute sehe ich dieses Bild des versoffenen Indianerscouts vor mir. Ein Symbol dessen, was dazu beitrug, dieses stolze Volk in den Untergang zu treiben.
Drüben, beim Store, hielt sich Mister Guzman den wackelnden Bauch vor Lachen.
Das Bild, das wohl nur ich gesehen hatte, verwischte und wurde zur Groteske.
Die Realität setzte wieder ein und war nicht weniger grotesk.
Denn Corporal Jones fuhr zu Major Fly herum, als sei er von einer Klapperschlange gebissen worden.
„Der Bastard!“, zischte er. „Das ist es, Sir! Er hat den Sold geklaut! Denn woher hat er den Schnaps? Von dem Sold aus der Kassette! Jawohl, das muss es sein!“
Ich hatte plötzlich das Gefühl, Eis in den Adern zu haben.
„Festnehmen, den Kerl!“, schnarrte der Major. „Er hat die Flagge entehrt!“
Der Corporal sprang zur Tür und brüllte: „Wache! Befehl von Major Fly! Sofort den Scout festnehmen, wenn nötig mit Waffengewalt!“
Das hatte der Major nicht befohlen, aber es entsprach dieser total verrückten und absurden Situation und wurde auch von Major Fly nicht korrigiert oder widerrufen.
Drei Soldaten der Wache fielen wie die Wölfe über Jicarilla her, der seinen Flaggengruß längst beendet hatte und torkelnd aus der Flasche soff. Sie rissen ihn zu Boden.