Schattenleben - Joke Frerichs - E-Book

Schattenleben E-Book

Joke Frerichs

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Beschreibung

Die geschilderten Fälle sind authentisch. Es handelt sich um Berichte aus einer unterschlagenen Wirklichkeit, die gern verdrängt wird. Die im Dunkeln sieht man nicht, hatte Brecht einst gedichtet. Armut ist unsichtbar; der Arme ist es nicht. Damit etwas von ihm bleibt, muss man ihm seine Individualität zurückgeben, ihn als Subjekt wahrnehmen. Der Einzelne ist nicht nur Opfer übermächtiger Strukturen und Verhältnisse; er ist bis zu einem gewissen Grade auch verantwortlich für sein Handeln. Diese Dialektik ist es, die bei Vielen Schamgefühle auslöst. Scham markiert Grenzen; man sieht sich mit den Augen der Anderen. Auf Dauer wirkt sie wie ein Gift, weil sie das Selbstwertgefühl der Menschen auflöst. Sie erzeugt Versagensängste und ein existentielles Gefühl der Verlassenheit. Da-her ist sie zutiefst antisozial. Die Fälle weisen darauf hin, wie wichtig es ist, jeden Fall für sich zu betrachten. Obwohl sie strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, hat doch jeder seine eigene Geschichte. Dabei zeigt sich: Die großen Dramen finden meist im Kleinen statt.

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Seitenzahl: 45

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Motto 1:

Wer verdammt Menschen zu einem Schattendasein, wer lässt sie nicht zur Sonne kommen?

Motto 2:

Biologen verwenden für Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben, übereinstimmend die Bezeichnung ‚Parasiten’.

(Aus einem Papier des Bundesarbeitsministeriums)

Motto 3:

Nicht die Tatsache der Armut verstört die Leute, sondern ihre Sichtbarmachung.

Inhalt

Prolog

Ein letzter Brief

MutterSeelenAllein

Die Treppe

Der Lebenskünstler

Das Haus der Unsichtbaren

Hieronymus im Gehäuse

Die Zeitungsfrau

Epilog

Angaben zum Autor

Prolog

Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Er erzählt sie so, dass er vor dem Bild, das er von sich hat, bestehen kann. Die Geschichten der sozial Deklassierten mögen in Details voneinander abweichen; in den entscheidenden Punkten stimmen sie überein: Irgendwann in ihrem Leben gab es einen Knacks. Besser gesagt: einen Verlust: des Arbeitsplatzes; des Partners; der Wohnung; der Gesundheit. Die Folge ist nicht selten der Verlust des eigenen Selbst: der eigenen Persönlichkeit; der eigenen Würde. Viele von ihnen landen im Nirgendwo.

Armut ist nicht Armut. Wer kulturelles Kapital besitzt, vor allem in Form von Bildung, kann die leere Zeit trotz aller materiellen Einbußen eher mit etwas Sinnvollem ausfüllen als diejenigen, die über nichts dergleichen verfügen. Deren Spuren verlieren sich irgendwann; sie sterben eine Art sozialen Tod.

Ein letzter Brief

Liebe Tochter, wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich nicht mehr am Leben sein. Du sollst aber wissen, dass ich bis zuletzt an Dich und Deine Mutter gedacht habe. Ihr wart doch meine Familie; jedenfalls lange Zeit.

Du weißt: über mich reden, konnte ich nie besonders gut. Hatte es nie gelernt. Es war ein Fehler, wie ich heute weiß. Ich habe in jüngster Zeit viel nachgedacht und einiges davon aufgeschrieben, was mich beschäftigt hat. In meinem Kopf geht alles durcheinander. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Es geht mir nicht darum, mich zu rechtfertigen. Auch möchte ich niemandem Schuldgefühle machen. Zu vieles habe ich falsch gemacht.

Wenn man einmal seine Arbeit verloren hat in meinem Alter, kommt es einem vor, als würde man in ein tiefes, schwarzes Loch fallen. Man fühlt sich entwurzelt. Alles bricht zusammen. Man verliert die Orientierung. Nicht sofort, aber ganz allmählich löst sich alles auf. Anfangs hofft man noch, eine neue Arbeit zu finden. Schreibt Bewerbungen. Klammert sich an jeden Strohhalm. Aber mit jeder Absage, die man erhält, wird man buchstäblich kleiner. Man schrumpft förmlich zusammen. Von Mal zu Mal. Von Niederlage zu Niederlage. Man fühlt sich von allen gedemütigt, missverstanden, ja verraten. Man wird misstrauisch – gegen jeden. Auch ich ließ niemanden mehr an mich heran. Hab mich eingekapselt. War nur noch mit mir beschäftigt. Fühlte mich schuldig. Beschämt.

Ich hätte von meinen Problemen erzählen sollen. Von meinen Sorgen. Dass es immer schwieriger wurde in der Firma. Die ständigen Kontrollen. Der Leistungsdruck. Aber ich ging über all das hinweg. Überließ mich dem Alltagstrott. Machte mir was vor. Sobald ich einen gelungenen Abschluss hatte, fühlte ich mich wieder obenauf. Hielt mich für unersetzbar. Im tiefsten Innern spürte ich zwar, dass dem nicht so war. Aber ich überspielte meine Ängste. Konnte es mir gar nicht erlauben, mich länger damit zu beschäftigen. Es hätte mich alles nur noch mehr verunsichert. Und darüber reden – Schwäche zeigen? Das wollte ich partout nicht. Lieber spielte ich meine Rolle wie gewohnt weiter. Markierte den starken Mann. So hatte ich es immer gehalten. Und bis zu diesem Zeitpunkt hatte es ja auch immer funktioniert.

Lange Zeit habe ich geglaubt, allein mit meiner Situation fertig werden zu können. Zu lange.

Ich wollte nicht als Verlierer dastehen. Als Versager. Ich hatte es doch immer aus eigener Kraft geschafft. Damals, als mein Vater früh starb und ich die Schule abbrechen musste. Ich habe mir eine Lehrstelle besorgt. Habe Mutter unterstützt. Bin an Vaters Stelle getreten. Habe Verantwortung übernommen. War stolz darauf, gebraucht zu werden. Bin mit der Aufgabe gewachsen. Bis zum Ende der Lehre. Als ich dann nicht übernommen wurde, habe ich dies nach einer kurzen Zeit der Enttäuschung und Wut relativ leicht überwunden. Ich war jung. Die Welt stand mir offen. So glaubte ich jedenfalls. Doch es war auch schon damals schwierig, wieder Fuß zu fassen. In meinem erlernten Beruf konnte ich nicht bleiben. So habe ich umgeschult und bin dann schließlich im Außendienst gelandet. Lange Zeit ging es ganz gut, obwohl ich eigentlich nie ein Verkäufertyp war. Nach einigen Jahren wurde ich Distriktleiter. Auch privat lief alles glatt. Ich gründete eine Familie. Du kamst auf die Welt. Alles schien in bester Ordnung. Es war die glücklichste Zeit in meinem Leben.

Als die Firma von einem neuen Eigentümer übernommen wurde, verlor ich meinen Posten als Distriktleiter. Musste wieder in den Außendienst. ‚An die Front’, wie wir zu sagen pfleg