Tempel des Satans - Wolfgang Schreyer - E-Book

Tempel des Satans E-Book

Wolfgang Schreyer

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Beschreibung

Dies ist die Geschichte eines US-Journalisten, der Zeuge einer Raketenkatastrophe wird und nun mit aller Kraft gegen die Fortsetzung selbstmörderischer Versuche ankämpft - bald ahnend, was er dadurch entfesselt. Seine enthüllende Tat, seine Erfolge und Niederlagen reißen uns mit. Wir bangen um ihn selbst da, wo wir die Wahl seiner Waffen verurteilen müssen. Der Verfasser schafft atemberaubende Spannung aus einem bestechend aufgerollten Fall, dem wahre Vorkommnisse zugrunde liegen. Er führt uns mitten hinein in die „Tempel des Satans", die stählernen Türme der Zeitungskonzerne New Yorks mit ihrem Glanz und Arbeitsdrill, den Wundern modernster Nachrichtenübermittlung, den Glasfassaden und Geschäftskniffen, ihren Präsidentenbüros, Privatflugzeugen, Fernsehstudios, Redakteuren, Reportertypen, karrieresüchtigen hypermodernen Frauen, hohen Gehältern und gut funktionierenden Fallen; und hart neben dem "way of life" gähnt der Abgrund totaler Existenzvernichtung. Vor uns ersteht eine bizarre Welt, äußerlich faszinierend, im Kern oft barbarisch. Wir sehen einen Raketenforscher, der sich zugunsten seiner Weltraumpläne der Rüstungsindustrie verschrieben hat, und beobachten eine kleine fortschrittliche Gruppe, die mutig versucht, das sensationelle Unglück zu klären. Von flimmernden Bildschirmen, im Schein rotierender Leuchtreklamen blitzt uns ein Stück amerikanischen Alltags entgegen. Wir erleben das kleine und große Intrigenspiel: Dschungelkämpfe, durch Hass, Liebe, Ehrgeiz oder Macht- und Profitgier gesteuert. Pausenlos werden vor unseren Augen Menschen emporgetragen, von ihrer Umwelt getrieben und zerrieben. Bei alldem vermag Wolfgang Schreyers Darstellung schon durch ihr Niveau den Lesenden in Bann zu halten. Sie verrät eine Nähe zum wahren Sachverhalt, die uns tiefer packt als äußere Dramatik. Nach dem Roman wurde vom Deutschen Fernsehfunk (DDR) ein dreiteiliger Fernsehfilm gedreht.

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Impressum

Wolfgang Schreyer

Tempel des Satans

Roman

ISBN 978-3-86394-092-8 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1964 beim Mitteldeutschen Verlag Halle - Leipzig

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung des Gemäldes "Turmbau zu Babel" von Pieter Bruegel d. Ä.

© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

FREITAG ERSTES KAPITEL

10:50

Monique Dumont hielt den Stenogrammblock auf den Knien. Sie hatte gelernt, im Flugzeug zu schreiben. Die meisten Reporter machten es so, und sie wollte in keinem Punkt hinter den Angestellten ihres Vaters zurückbleiben. Sie hatte von vornherein begriffen: Persönlichkeit und Selbstbewusstsein genügten nicht, den Rang des stellvertretenden Verlagschefs zu behaupten. Auch wenn man so auftrat und so aussah wie sie, kam es auf Leistung an. Journalismus war ein hartes Geschäft. Und das Gefühl, Erfolg zu haben, schenkte einem keiner. Das gab es auch nirgends zu kaufen. Aber was für ein unvergleichlicher Lebensgenuss, tätig zu sein, die eigene Kraft zu spüren! Dies war das Höchste auf der Welt.

Um sieben Uhr waren sie vom Privatfeld der Contipress bei New York aufgestiegen, nun näherte sich die "Cessna", eine schnelle zweimotorige Maschine, dem Ziel. Ihr Schatten glitt mit 120 Metersekunden südwärts über die Ebene. Monique Dumont kümmerte die Küstenlandschaft dort unten nicht. Sie prüfte ihren Text. Der Artikel begann folgendermaßen: "Am Rande unseres Badeortstaates Florida – Staatsmotto 'Auf Gott vertrauen wir' – dehnt sich auf einer sandigen, Palmen bewachsenen Landzunge zwischen Bananenfluss und Atlantik, die früher Ziel heimlicher Wochenendausflüge zu zweit war, heute das 50 Quadratkilometer große Gelände der 'Patrick Air Force Base', mit Raketenrampen, Radartürmen, Betonbunkern..."

Das musste sie kürzen, es klang verworren. "College-Stil", würde Howard Dumont sagen. "Du schreibst nicht mehr für Professoren. Weniger Nebensätze, keine Beiwörter, sonst wird es Literatur. Wenn du meinst, dir ist ein schöner Satz gelungen, schmeiß ihn 'raus!" – Sie war entschlossen, danach zu handeln. Doch wie sie den Entwurf nun in den Händen hielt, wusste sie nicht, wo beginnen. Sie entfernte das Adjektiv "sandig". Sie strich "Auf Gott vertrauen wir" und kam sich dabei lächerlich vor.

Plötzlich wurde ihr klar, dass die Gegenwart des Piloten sie daran hinderte, konzentriert zu arbeiten. Sie saß in der viersitzigen Maschine neben ihm, weil sie nicht hinten bei einem der unwichtigen Leute sitzen wollte, und während der ganzen Zeit hatte sie sich versucht gefühlt, ihn zu provozieren. Er war ihr Widersacher; ein grober, störrischer Mensch. Er war vierzig, fünfzehn Jahre älter als sie, und Chefreporter der Contipress. Von allen Angestellten des Verlagshauses war er der einzige, der sie nicht respektierte. Nichts wünschte sie mehr, als ihm zu zeigen, welchen Fehler er damit beging. Nun kam die Gelegenheit! Auf seinem eigenen Arbeitsgebiet würde sie ihn schlagen.

Monique nahm sich zusammen. Sie fuhr fort, ihren Entwurf zu überprüfen. – "Das Versuchsfeld am Cap Canaveral ist ein schwer zugänglicher Ort. Die Einwohner nennen es 'Raketenland'. Gewöhnlich landen Journalisten auf dem Linienflughafen Orlando, frühstücken im 'Restaurant zum Sternenlicht' und werden dann von scharf bewachten Autokonvois in das mit elektrischem Draht, Radaraugen und Patrouillenbooten abgeschirmte Gebiet gefahren. Wir aber durften..."

Ihr Blick irrte vom Stenoblock weg, hin zu den Händen, die den Steuerknüppel führten. Es waren derbe Hände, knochig, ohne Ring. Sie hasste diesen Mann nicht; man hasst nur Stärkere. Sie war sicher, die Kraftprobe noch heute zu bestehen.

11:00

Die rechte Hand löste sich, griff nach dem Bordmikrofon. Durch die Seitenscheibe sah Monique hinaus in den blaugoldenen Spätsommertag. Dreitausend Fuß unter ihnen tauchte jetzt ein Spinnennetz zementierter Rollbahnen auf. Sie hörte ihren Nachbarn ins Mikrofon rufen: "Versuchszentrum CBA 'Victor', Versuchszentrum CBA 'Victor', dies ist die Contipress-Maschine N 307, Pilot Nordfors. Erbitte Landeerlaubnis und Instruktionen – over."

Nordfors schaltete auf Empfang, er stimmte die Frequenz ab. Im Lautsprecher piepste es, dann antwortete eine gequetschte Stimme: "...'Victor', verstanden. Versuchszentrum CBA 'Victor', verstanden. Benutzen Sie Rollbahn Süd. Wind aus 345 Grad mit fünf Knoten." Es gab eine Pause, dann sagte der Sprecher: "Komm schon 'runter, Pit, aber brich dem Baby nicht das Kreuz!"

Nordfors hängte das Mikrofon ab. "Alter Bekannter."

"Scheint Ihnen nicht viel zuzutrauen", sagte Monique. Sie klappte die Handtasche auf und versuchte, sich die Lippen nachzuziehen. In den ungleichen Luftschichten tanzte das Flugzeug, ihr Stift rutschte ab. Sie fragte: "Geht das wirklich nicht ruhiger?"

"Schon möglich." Nordfors ließ die Steuersäule los. "Versuchen Sie's selbst."

Sofort neigte sich die Maschine vornüber, fiel in steilen Gleitflug. Die Köpfe der beiden Heckpassagiere hoben sich mit einem Ruck, ihre Körper rutschten halb von den Sitzen. Joe Maldy, hager und blass, vierundfünfzig Jahre alt, presste die Hand auf den Magen und zischte: "Er bricht sich bestimmt noch mal den Hals." – Bei jedem Stoß verzog sich sein Gesicht. Lange Zeit hatte Maldy die Redaktion "Heim und Gesundheit" geleitet. Seit man ihm diesen Posten genommen hatte, verheimlichte er niemand mehr seinen Pessimismus.

"Lass nur", sagte Bunny King, ein fülliger, fideler, zwanzig Jahre jüngerer Mann. "Pit und ich, wir mussten im Krieg ganz anders schaukeln!" – Er hatte den Schlips heruntergezogen, sein Gesicht glänzte nass. Es war heiß in der Plexiglaskanzel, ihm machte das Manöver Spaß. Er war Bildreporter und immer dann mit dem Leben zufrieden, wenn er Pit Nordfors begleiten durfte. Heute war wieder ein großer Tag für ihn.

Monique sagte: "Mister Nordfors, lassen Sie das. Die Leute hinten haben Familie."

Er fing das Flugzeug ab und sah sie an. Recht hübsch, wie sie sich verstellte. Aus ihrem schwarzen, im Nacken hochgerafften Haar hatte sich eine Strähne gelöst. Sie war reizend und nicht so arrogant, wie er geglaubt hatte, nur sehr selbstsicher. Aber sie war Miss Dumont. Man sagte sich Bosheiten oder lächelte verbindlich, konnte einander sogar streifen. Und doch sprang kein Funke über. Er wusste, sie hatte die Leitung heute nur deshalb übernommen, damit er sich ihr endlich unterordne. Darauf durfte sie warten – bis zum Jüngsten Tag.

Er hörte sie nach hinten sprechen: "Sie werden sich um die technischen Dinge kümmern, Maldy. Wir wollen eine erstklassige Reportage heimbringen."

"Selbstverständlich, Miss Dumont."

Nordfors drückte den Knüppel sacht nach vorn, das gelbe Betonband kam ihm entgegen. In seinem Rücken schnappte ein Kameraverschluss. Monique sagte: "Damit warten wir besser, bis wir die Erlaubnis haben, King."

"Wie Sie denken, Miss Dumont", kam es ergeben zurück. Nordfors stellte sich Bunnys Gesicht vor; er unterdrückte ein Lachen.

11:06

Es erwartete sie ein Jeep, an Heck und Flanke beschriftet mit CBA ROCKET DIVISION. Das Gelände ringsum war flach wie ein Experimentiertisch. Sonnenglast waberte über versengtem Gras. Die Fertighäuser am Ende der Piste sahen aus, als habe man sie mit Milchkakao gestrichen. Monique notierte diesen Vergleich. Ein Mechaniker in sandfarbenem Overall reichte ihr beim Herunterspringen die Hand, er trug das Raketenabzeichen der CBA. Solche Beobachtungen waren wichtig, sie vermittelten dem Leser ein Bild. Ihr Artikel sollte farbig sein, einprägsam, packend.

Der Mechaniker schlang einen Draht um die Tragflächenspitze, er zurrte das Flugzeug fest. "Es könnte sonst weggeblasen werden", erklärte ihr Nordfors. Sie war nicht sicher, ob er sie zum Besten halten wollte; also schwieg sie.

Der Jeep rollte los, er zog eine Staubwolke hinter sich drein. Bunny sagte: "Pit, du bist wie ein Engel geflogen. Genau wie in alten Zeiten!" Er gehörte zum Heer der Lokalreporter und wäre kaum aus New York herausgekommen, wenn sich nicht Nordfors seiner angenommen hätte.

Der heitere kleine Mann gewahrte an sich oft seltsame Symptome. Er blieb auf der Straße stehen und sah einem Flugzeug nach. Er fuhr gern mit der Seilbahn. Er genoss das Abwärts-Kitzeln im Expressfahrstuhl. Er wanderte länger als notwendig durch den Sturm. Er malte bei Redaktionsbesprechungen statt der üblichen Kritzeleien Flugzeugprofile. Er kletterte im Urlaub auf möglichst steile Berge und sah den Wolken zu. Er suchte in den Kinoprogrammen nach Fliegerfilmen... Dies waren Folgen einer Mangelkrankheit, und nur Pit konnte sie lindern, Pit, sein alter Flugkapitän.

Nordfors hatte die Beine angezogen, sie waren zu lang und ihm in Fahrzeugen meist im Wege. Er legte ein Notizbuch auf die Knie. Den Anfang seines Artikels hatte er schon im Kopf formuliert, nun schrieb er ihn nieder. "Die Streitkräfte sind Amerikas größte und teuerste Firma. Ihr Besitz wird auf 150 Milliarden Dollar veranschlagt. Sie verschlingen jährlich ein Achtel des persönlichen Einkommens aller Amerikaner – 40 Milliarden. Die 2,6 Millionen Soldaten und 1,3 Millionen Zivilisten der Streitkräfte werden durch 27 000 Leute im Pentagon mit 44 000 Telefonen in Trab gehalten. Dieser Mammuttrust soll nach Eisenhowers Willen diktatorisch, das heißt von einem einzigen Chefmanager geleitet werden: dem Verteidigungsminister und Waschmittel-Konzerndirektor Neil McElroy."

Der Wagen sauste über Betonplatten, an den Nahtstellen gab es immer einen Stoß. Nordfors überlegte einen Augenblick. Er hielt es für sinnlos, Eindrücke aneinanderzureihen und von solchem Gewäsch dann zu behaupten, es sei eine Reportage. Er war erst seit anderthalb Jahren dabei und noch nicht in Routine erstickt. Was er schrieb, setzte Kenntnisse voraus. Es war immer aggressiv. Er wünschte Missstände aufzuspüren und die Leser zu erschrecken. Er schlug mit Tatsachen auf sie ein, die ihnen unbequem sein mochten. Nie berichtete er anderes als das, was er für die nackte Wahrheit hielt.

Er schrieb: "Bisher war das anders. Bisher haben die Minister und Stabschefs der drei Wehrmachtteile selbständig bestimmt. Jetzt will man einen Großen Generalstab nach preußischem Muster schaffen. Dieser Machtzusammenballung stehen Traditionsgefühle führender Generale entgegen und – was schwerer wiegt als Gefühle – die Interessen der Rüstungslobbyisten. Die Industrie hat von der Rivalität der Wehrmachtteile profitiert. Es gab bei den Fernlenkgeschossen doppelte und dreifache Parallelentwicklungen. Man baute dieselbe Waffe extra für Luftwaffe, Heer und Marine. Das war ein glänzendes Geschäft, aber die Raketenrüstung hat darunter gelitten."

Der Jeep stoppte, Nordfors steckte das Notizbuch weg.

11:15

Der Befehlsstand lag halb in der Erde, eine Treppe führte hinab. Monique Dumont und Nordfors traten zugleich ein, gefolgt von Bunny King und Maldy. Trockene Hitze schlug ihnen entgegen, es roch nach warmem Kunststoff. Summende Geräte, halblaute Zurufe. Vor den Gästen dehnte sich ein Gang, flankiert von Kontrollschirmen und Apparaturen, an denen das technische Personal saß: Männer in scharf gebügelten Hemden, die Hände rastlos in Bewegung. Farbige Kabel hingen von der Decke. Ein Monteur entdeckte Monique, er zwinkerte seinem Nachbarn zu, der stupste den Nebenmann an, doch dieser reagierte nicht, die Kette riss ab. Hier wurde gearbeitet.

"Schau mal, Pit", rief Bunny von hinten, "mit wie viel Liebe das erbaut ist. Sogar echtes Kiefernholz!" Er klopfte gegen ein Schaltbrett. Und wirklich, alles erschien ihnen kriegsmäßig, improvisiert.

"Wie hygienisch sie die Temperatur auch regeln", sagte Nordfors; er zerrte an seinem Kragen.

Bunny stöhnte: "Ja, großartig."

Monique wandte den Kopf, Seufzer ärgerten sie stets. "Zu warm, King? Wenn Sie morgen nach Brasilien fliegen..." Sie sprach nicht weiter. Jetzt waren sie ans Ende des Raumes gelangt. Dort stand ein Kartentisch, ein etwa fünfzigjähriger Mann beugte sich darüber. Er trug ein Turnhemd, wie es Ringkämpfer benutzen; anders als die Leute um ihn herum, war er lax gekleidet. Man sah seine muskulösen Schultern. Hinter ihm, dicht unter der Decke, spaltete ein Sehschlitz die Wand.

"Ist er das?", fragte Monique.

Der Mann strich eine Strähne aus der Stirn, sah müde auf. Er trug das Haar länger als die übrigen; es war grau. Nun kam Leben in sein Gesicht, er trat auf Nordfors zu. "Hallo, Pit! Sie kommen auch nie 'ne Minute zu früh. Gleich geht's los, Junge." Dabei hieb er ihm auf die Schulter.

"Würden Sie mich bitte vorstellen?" Monique fragte das liebenswürdig, doch enthielten ihre Worte eine deutliche Zurechtweisung.

"Verzeihen Sie", sagte Nordfors. "Das ist Phil Rank, Oberst der Reserve und Direktor des Fernwaffen-Forschungszentrums der Consolidated Bryan Aircraft Corporation, kurz CBA. Baut Raketen, jagt gute Dollars in die Luft. Gehört zu Amerikas größter Firma, die nichts produziert außer Sicherheit und Stärke."

Und, mit einer Kopfneigung zu Monique: "Rank, dies ist Miss Monique Dumont, Tochter unseres Verlagspräsidenten und Journalistin von Format. Erst seit kurzem bei uns, leitet 'New York flüstert', die Frauenseite, lenkt aber schon den ganzen Betrieb."

Moniques Augen wurden schmal. Sie hatte eine Entgegnung auf der Zunge, doch nun redete Rank sie an. Mit dem Staunen eines Mannes, der ein Mädchen herangereift wieder sieht, rief er herzlich: "Nanu! Miss Monique! Als ich Sie das letzte Mal sah, waren Sie so groß" (er deutete es an) "und hatten noch Zöpfe! So eine Überraschung..." Er strich sich unbehaglich über das Turnhemd, aus dem ihm Brusthaare quollen, und sagte, um seine Verlegenheit zu bemänteln: "Na, ich fange an zu begreifen, warum mein bester Pilot zur Presse gegangen ist."

Monique merkte, das Gespräch geriet aufs falsche Gleis. Natürlich hatte Rank nicht gewusst, dass sie mitkam – er schien sie für Nordfors' Sekretärin gehalten zu haben... Da erspähte sie durch den Sehschlitz den roten Rumpf einer Rakete. Sie sah nur ein Stück davon, doch es genügte, ihr das Stichwort einzugeben. "Mister Rank, darf ich Sie um ein paar technische Informationen bitten? Wir möchten eine gute Reportage machen."

Rank griff hinter sich und reichte ihr mit weltmännischer Gebärde einen Prospekt. "Hier haben Sie alles über unsere Lenkgeschosse, was wir veröffentlichen dürfen."

Monique dankte mit einem Lächeln. Sie winkte Maldy heran, der stirnrunzelnd, ohne viel zu begreifen, das dünne Heft durchblätterte. "Prächtiges Material", versicherte er hilflos.

"Ist wohl 'ne nettere Gesellschaft als damals bei uns im Pazifik?", erkundigte sich Rank leise bei Nordfors.

Maldy drängte sich dazwischen. "Mister Rank", fragte er, "könnte man wohl hierzu einige Erläuterungen haben?" Er wies auf den Prospekt, Schweiß lief ihm über die Stirn. Es war der schwärzeste Tag seiner Laufbahn.

"Donnerwetter", sagte Rank, "Sie müssen von der Presse sein!" Er sah sich unter seinen Leuten um und winkte einen baumlangen Ingenieur heran. "Hey, Wilson, erklären Sie diesem Herrn die Personalien von 'Skylight 3'."

"Jawohl, Sir." Wilson rieb sich den rothaarigen Schädel und begann: "'Skylight 3' ist eine Lenkrakete mit fünftausend Meilen Reichweite, und zwar ein Dreistufentyp. Gesamtschub hundertsechzig Tonnen..."

Maldy blinzelte verwirrt.

"Phil", sagte Nordfors, "ich hab' Ihnen noch 'nen alten Hasen mitgebracht." – Jemand reichte Rank ein durchknöpfbares Hemd. Wie alle anderen hatte es ein Namensschild: "Phil Rank/Commander-in-Chief." Er fuhr hinein und fragte: "Wo steckt der?"

Nordfors zog Bunny King wie eine Weihnachtsüberraschung hinter sich hervor, schob ihn vor den Commander hin. "Hallo Bunnyboy", rief Rank. "Freut mich riesig... So mit der Kamera siehst du wie 'n echter Pressemann aus. Kein bisschen Heimweh nach den dicken Bombern?"

"Nein, Sir", erwiderte Bunny strahlend. "Ich bin bei Pit geblieben. Wir gehen als Reporter genau so 'ran wie damals als Flieger. Reporter ist auch kein schlechter Job."

"Vor allem nicht so gefährlich."

"Kommt drauf an", sagte Nordfors. "Bunny geht morgen nach Brasilien, Ameisenschwärme filmen."

"Die fressen da unten die Plantagen kahl, Sir!" Bunny konnte nicht verhehlen, wie glücklich ihn das machte. "Ein Naturereignis! Unten am Rio Parnaiba. Hundert Quadratmeilen Weideland pro Stunde." Es war sein erster Auslandsauftrag, und er verdankte ihn der Fürsprache Pits.

"Kenne die Biester", brummte Rank. "Geh nicht zu dicht 'ran, sonst spaziert morgen dein blankgeputztes Skelett am Rio Parnaiba auf und ab."

Für einen Augenblick dachten die drei an dasselbe: An den Dschungel von Neu-Guinea und Guadalcanar, wo vor vierzehn Jahren Ranks Geschwader gelegen hatte. Dann sagte hinter ihnen eine Frauenstimme: "Ich möchte Ihre Unterhaltung auf keinen Fall stören. Ich wollte nur wissen, ob man näher heran darf, solange es noch geht."

Monique deutete auf den Sehschlitz, hinter dem sich die Rakete reckte.

11:25

Als der Jeep sie umkreiste, begriff jeder von ihnen, was für ein Experiment bevorstand. "Skylight 3" war ein Gigant. Ihr Leib war über hundert Fuß hoch. Sie glich einem senkrecht stehenden, rotlackierten, scharf angespitzten Bleistift. Noch wurde sie vom Gitterwerk der Rampe umklammert. Am Heck waren zwei riesige röhrenförmige Hilfstreibsätze befestigt. Darüber leuchtete der weiße Stern im blauen Kreis: das Hoheitszeichen der amerikanischen Luftwaffe. Eine Schnur schlängelte sich vom Leitwerk weg.

"Das Zündkabel?", fragte Monique. Sie saß vorn zwischen Nordfors und Rank, der den Wagen steuerte. "In vierzehn Minuten", sagte er. Oben auf dem Gerüst turnten Hochfrequenzingenieure herum, und rund um den Sockel wimmelte es von sandfarbenen Overalls. Die Endkontrolle vor dem Start war das schlimmste.

"Es ist so", sagte Rank, "als ob man bei einem Auto fünfzigmal die Kurbelwelle durchdreht, den Vergaser auseinander nimmt, den Tank leert, dann wieder füllt, die Reifen auswechselt und schließlich einsteigt. Mit dem Unterschied: das Auto wird dann nicht explodieren. Bei Raketen... ist es vorgekommen."

Auf den drei Rücksitzen hockten Bunny, Maldy und Wilson, der rothaarige Ingenieur. In leicht dozierendem Ton erklärte er: "Sie wiegt ohne die Starthilfen achtundneunzig Tonnen. Auf dem Scheitelpunkt ihrer Bahn erreicht sie zwanzigfache Schallgeschwindigkeit." Er nahm seine Aufgabe ernst. Keine von Maldys Zwischenfragen brachte ihn aus dem Konzept. Er beantwortete jeden Einwurf korrekt. "Das ist unser elfter Versuch", sagte er.

Vorn fragte Nordfors: "Phil, was kostet das Baby?"

"Neunzehn Millionen. Später in der Serie wird's billiger."

Maldy notierte, er murmelte dabei: "Elf mal neunzehn..."

"Für das Geld", sagte Bunny, "hätte ich mir lieber Kalifornien gekauft."

Wilson erklärte: "... steigt sie bis auf drei Millionen Fuß. Wenn sie je aus dem Fernsteuernetz ausbrechen sollte, können wir sie durch Radiozündung sofort zerstören."

Maldys Bleistift brach ab, er zückte einen neuen. Und es hatte einmal eine Zeit gegeben, da es niemand eingefallen war, ihn so herumzustoßen. Damals hatte er Backrezepte, Arztratschläge und Publikumsumfragen für die Seite "Heim und Gesundheit" zusammengestellt. Heute war er Mädchen für alles, Monique schleppte ihn mit sich herum, schon war er krank, und ach, er ahnte, es würde noch schlimmer mit ihm kommen.

"Sie sieht eher wie ein Torpedo aus", sagte Monique.

"Leise", bat Rank, "lassen Sie's keinen hören. Die Armee behauptet schon, Raketen seien eine neue Art Artillerie, während die Luftwaffe meint, es handele sich um fliegende Bomben. Wenn Sie nun noch der Marine verraten, dass es im Grunde Torpedos sind, bin ich verloren."

"Wie erklären Sie die Pechsträhne beim Start unserer interkontinentalen Raketen?"

"Das waren Flüssigkeitsraketen. Sie arbeiteten mit flüssigem Sauerstoff und Kerosin, wie schon die deutsche V2. Dieses Antriebsprinzip macht ein System von Rohrleitungen, Kälteregulatoren, Ventilen, Pumpen und Einspritzdüsen nötig. Schon wenn ein einziges Ventil versagte, das fünfundzwanzig Cents gekostet hatte, stürzte der ganze Flugkörper ab. Oder kam gar nicht erst vom Starttisch hoch. Oder platzte auseinander. Es gibt einen Sack voll solcher Fehlerquellen, Miss Monique. Die 'Atlas', die 'Viking', die 'Vanguard' – sie alle leiden noch heute daran."

"Und 'Skylight'?"

"'Skylight' ist eine Pulverrakete. Die macht uns keine Geschichten."

"Stimmt es, dass die Russen ihre Sputniks mit derartigen Pulverraketen hochgeschossen haben?"

"Die Russen", antwortete Rank, "treiben ihre Projektile mit siebzigprozentigem Wodka an."

Die Gäste lachten.

Rank lachte kaum mit, ihn quälte dieses Problem. Niemand wusste, welche Art Treibstoff die Russen benutzten. Und es ging nicht nur darum. Auf vielen Gebieten der angewandten Mechanik war Amerika stets hinter Russland – dem zaristischen wie dem sozialistischen – zurückgeblieben. Die sowjetische Raketentechnik fußte auf einer ungebrochenen Tradition in der Aerodynamik und Ballistik. Es war schwer, wenn nicht unmöglich, diesen Vorsprung aufzuholen. Der heutige Versuch würde erweisen, wie viel Boden die USA im letzten halben Jahr gewonnen hatten.

"Warum", fragte Monique, "hat man nicht Ihre 'Skylight' gewählt, als kürzlich eine Rakete zum Mond geschickt werden sollte?"

"Das möchte ich selbst gern wissen", antwortete Rank. "Vielleicht haben sich andere vorgedrängt? Aber tatsächlich sind solche Unternehmungen vorerst fragwürdig. Niemand sieht, ob das Geschoss den Mond erreicht. Auch unsere besten Radargeräte sind außerstande, es festzustellen. Die Rakete müsste in ihrer Spitze schon eine Atomladung tragen, dann könnte man den Einschlagblitz beobachten."

"Er ist ein schlechtes Ziel, infolge unserer und seiner Bewegung", äußerte Wilson. "Da genügte ein kleiner Steuerungsfehler, um eine Katastrophe zu verursachen. Das Geschoss würde nämlich, falls es den Mond verfehlt, um diesen herumsausen und, weil es sich noch in unserem Gravitationsfeld befindet, zurückkehren, das heißt mit seinem H-Kopf einen Krater in die Erdoberfläche schlagen."

"Ja, es wäre ein bisschen riskant", sagte Rank, dem dabei etwas einfiel. "Weniger gewagt ist das, was wir diesmal machen, obwohl es beinahe dasselbe bezweckt."

Er spürte Moniques fragenden Blick und dämpfte die Stimme. Er fühlte, dass ihre Gegenwart ihn zu Mitteilungen verleitete, die er sonst unterlassen hätte. "Streng vertraulich, bloß nicht veröffentlichen", bemerkte er. "An Stelle des atomaren Gefechtskopfes wurde bei 'Skylight 3' eine Brandladung eingesetzt, ähnlich Napalm. Es sind uns im Südatlantik zuviel Raketen verschwunden. Das kann diesmal nicht passieren. Kurz bevor Nummer 3 den Wasserspiegel durchschneidet, spritzt das Zeug heraus. Dann flammt das Meer, und die Beobachter auf St. Helena können die Einschlagstelle präzise bestimmen... Natürlich ist die Schifffahrt gewarnt. Das Zielgebiet liegt sowieso abseits der Dampferrouten."

Hinten hob Bunny die Kamera hoch. "Sir, darf ich?"

"Aber vorteilhaft bitte", sagte Rank und bremste.

Mit Bunny stieg auch Nordfors aus, sie gingen auf den Sonnenschatten zu. Er lag auf verdorrtem Gras, ein Zerrbild des Projektils. Rank sah ihnen nach. "Die beiden stecken immer zusammen, was?"

"Hm", machte Monique. "Kinder haben sie aber noch keine."

Rank sah sie aufmerksam an. Er hatte einen Unterton herausgehört und versuchte ihn zu deuten. Eifersucht? War sie etwa in Nordfors verliebt, ohne es begriffen zu haben? Doch das ging ihn nichts an. Sein Auge haftete an "Skylight 3", der ersten großen Pulverrakete Amerikas. Seit Monaten beherrschte sie sein Denken. – "Gehörten zu meiner besten Mannschaft", sagte er nach einer Pause. "Hielten damals schon zusammen."

Moniques Lippen kräuselten sich. Sie hatte den Eindruck, man wolle ihr einen Löffel patriotischen Lebertrans verabfolgen. "In Hollywood", antwortete sie, "wären die beiden richtig."

"Das war damals kein Film", sagte er. "Man kann Ihren Vater zu solchen Burschen nur beglückwünschen. Ich wollte, sie hörten auf mein Kommando."

Sie dachte: Genau das wünschte ich auch.

11:31

In der Nähe von "Skylight 3" verspürte Nordfors einen Schauer. 90 000 Pfund Treibstoff steckten in ihrem Leib, dazu die Brandmasse. Er hatte noch nie von Raketen gehört, die explodiert waren, bevor man sie gezündet hatte. Sie wurden auch nie zu früh gezündet, im Gegenteil, der Start verzögerte sich meist. Aber die Vorstellung, einem Pulverturm gegenüberzustehen, den nur ein dünner Mantel zusammenhielt, ließ ihn frösteln. Er starrte das rotlackierte Ungeheuer an, und sein Wunsch, umzukehren, wurde mit jeder Sekunde stärker.

Bunny King schnitt Grimassen. Er hatte eine Weitwinkellinse auf die Kamera gesteckt und schwenkte sie in komischer Verzweiflung hin und her. Wie auch immer er den Apparat hielt, niemals bekam er den Starttisch und die Raketenspitze gleichzeitig aufs Bild. Sie waren zu dicht herangegangen. "Weiß nicht, wie ich's machen soll", beteuerte er. "Ich bekomme sie nicht sexy!"

"Rank winkt schon", sagte Nordfors, "schieß los."

Sie traten ein paar Schritte zurück. Jetzt war kein Mensch mehr auf dem Gerüst. Unten räumte das technische Personal die Rampe. Bunny fotografierte sorgsam, er machte fünf Aufnahmen. – "Sie sind nur für dich, Boss", sagte er und spähte zum Jeep hinüber. "Wenn die da die Reportage schreibt, behaupte ich glatt, sie sind mir verdorben."

Er setzte die Leica ab und berührte Pits Ellenbogen; seine Kinderaugen glänzten. "Ich weiß genau, den Brasilienauftrag verdanke ich dir... Natürlich, den Tag vor der Abreise hätte ich bei den Kleinen bleiben müssen. Melitta, ich weiß, sie wird mich nicht verstehen." Er stockte, wurde rot, dann schloss er hastig: "Aber glaub es, Boss, du bist genauso wichtig. Ich schieß' dir prima Bilder."

Dieser Ausbruch überraschte Nordfors. Er war ein großer Einzelgänger und hatte nie einen Freund besessen. Manchmal verbündete er sich mit Berufskameraden, auf denen Stärkere herumtraten. Er schützte sie vor Ungerechtigkeit, und es verschaffte ihm Befriedigung, ihre Peiniger zu bestrafen. Weil er einem solchen Grobian das Nasenbein zertrümmert hatte, musste er damals den Dienst quittieren. Er bedauerte es nicht. Ihm ging es einfach gegen den Strich, wenn brave Kerle geschunden wurden; darauf beruhte sein Verhältnis zu Bunny. Vielleicht hatte er ihn wirklich gern – doch wie die meisten Amerikaner misstraute er derartigen Empfindungen. Der Funke Herzlichkeit, der ihm hier entgegensprang, machte ihn hilflos.

"Halt den Schnabel", rief er. "Wir müssen weg!"

Sie liefen zurück. Drei oder vier CBA-Fahrzeuge rasten an ihnen vorbei, wirbelten Staub über Ranks Wagen. Als sie den Jeep erreichten, plärrte das Autoradio: "Achtung! Achtung! Gelbe Stufe. Räumen Sie alle Anlagen in der gelben Zone. Es fehlen noch drei Minuten bis zur blauen Stufe. Achtung! Achtung!..."

11:34

Vor einem Schutzbunker stoppte der Jeep. Das Radio quarrte: "... blaue Stufe. Räumen Sie alle Anlagen in der blauen Zone. Handeln Sie nach den Ihnen gegebenen Anweisungen. Es fehlen noch drei Minuten bis zur roten Stufe."

Alle stiegen aus, als letzter Rank. "Meinetwegen", sagte er, "wenn du den Start unbedingt haben musst, Bunny – da in den Fototurm kannst du gehen." Er war zerstreut, seine Brauen zuckten, während er nun auf ein nahes Stahlgerüst deutete, das wie ein Jagdhochstand aussah. Immer erging es ihm so, er wurde nervös, bekam Lampenfieber, als wäre es nicht die Rakete, die sich zu bewähren hatte, sondern er. Undeutlich nahm er wahr, dass sich Bunny entfernte. Die übrigen stiegen in den Bunker hinab.

Es war ein kleiner, durch Erdaufschüttung gedeckter Unterstand. Er hatte kahle Wände, jede Einrichtung fehlte. Die Decke war zementiert und mit Holzstempeln abgesteift. Er ähnelte einem provisorischen Luftschutzraum. Wilson verschraubte die Eingangstür.

"Nur der Form halber", sagte Rank.

Er hob einen Pappkarton auf, der belegte Brote, Whisky, den Siphon und Gläser enthielt. Er stellte ihn, da kein Tisch vorhanden war, auf den Fernsehkasten. "Ich muss mich entschuldigen", bemerkte er. "Sie wissen, es wurde erst im letzten Moment entschieden, jemand zu diesem Versuch zuzulassen. Wir hatten noch nie Presse hier... Ist 'n bisschen primitiv."

Maldy sagte: "Ich weiß nicht, Sir, was an Whisky primitiv ist." Sein Blick hatte sich an der Flasche festgesaugt. Er litt unter Magenbeschwerden, der Arzt hatte ihm Alkohol verboten. Doch gerade Whisky half ihm, den Schmerz zu ertragen, der ihn von Zeit zu Zeit heimsuchte.

"Machen Sie's sich bequem", bat Rank. Er drehte sich zu den Technikern um, die im Hintergrund einen dick verglasten Sehschlitz öffneten. Nordfors biss in ein Wurstbrot, er beobachtete die Bildröhre. Auf dem Fernsehschirm zitterten die Skalen mehrerer Messgeräte. Noch standen ihre Zeiger auf Null.

"Bequem?", fragte Monique.

Wilson gesellte sich zu ihr. "Nach dem Start", erläuterte er monoton, "entschwinden die Raketen in Richtung Südosten. Relaisstationen und Radarposten auf den Bahamas, auf Haiti, Puerto Rico und Santa Lucia registrieren ihre Flugrouten. Das ist die alte Meldekette. Bis 1954 begnügten wir uns damit, in den kleinen Antillenbogen hineinzuschießen, also maximal tausendfünfhundert Meilen weit."

Plötzlich verließ sie der Mut. Unruhig sah sie von einem zum anderen; niemand bemerkte es. Wilson sprach, Rank starrte hinaus, Nordfors kaute, Maldy machte sich an der Flasche zu schaffen. Monique begriff: Sie hätte nicht mitkommen sollen. Hier hatte sie nicht das Geringste zu suchen. Dies war kein Aufenthaltsort für Frauen. Ihr Herz pochte hart.

11:39

Die Kanzel des Fototurms bestand aus Panzerglas, es umgab die optischen Apparaturen von allen Seiten. Während Bunny die eiserne Außenleiter emporkletterte, knurrte er vor sich hin: "Der Fahrstuhl ist auch außer Betrieb." Er neigte zu komischen Selbstgesprächen. Sein Humor war das, was die Kollegen an ihm schätzten. An der Bar des Contipress Building duldeten sie ihn wegen seiner witzigen Bemerkungen, und wie bei jedem weichen Menschen bildete sich in ihm die Eigenschaft am stärksten aus, von der er wusste, dass sie anderen gefiel. Im Laufe der Zeit hatte er sich angewöhnt, auch dann zu spaßen, wenn niemand zugegen war.

Nun kroch er hinein. Die Kanzel lag fünfzig Fuß über dem Erdboden, sie war ein idealer Beobachtungspunkt, aber vollgestopft mit Aufnahmegeräten. Von hier aus konnte Bunny nicht, wie er es vorhatte, alle Phasen des Raketenaufstiegs fotografieren. Und Pit brauchte erstklassige Bilder!

Über ihm begann eine Sirene zu heulen. Er sah hinauf und entdeckte im Glasdach eine Klappe. Niemand hatte ihm verboten, sie zu öffnen... Bunny drückte sie hoch, trat auf die Sprossen. Er schob die Kamera und dann seinen Oberkörper durch die Luke. Hier oben wehte ein erfrischender Wind, aber der Lärm machte ihn taub. Auf der Kuppelspitze, dicht neben der Sirene, rotierte ein Blaulicht – wie an einem Polizeiauto. Er starrte darauf. Dieses kreisende Licht weckte in ihm das Gefühl, etwas Unerlaubtes zu tun. Im selben Augenblick färbte es sich rot.

11:40

"Räumen Sie die rote Zone", befahl der Bunkerlautsprecher. "Bleiben Sie auf den zugewiesenen Plätzen. Bei Verlassen der Deckung Lebensgefahr. Es fehlen noch drei Minuten bis zum Start."

Wilson sagte: "Heute dehnt sich das Übungsgebiet für interkontinentale Raketen bis zur Insel St. Helena aus, fünftausendachthundert Meilen von hier, weit im Südatlantik. Auf der Strecke Florida–St. Helena gibt es einundzwanzig Radarstationen, die den Kurs unserer Rakete kontrollieren. 1955 zeigte sich, dass die Mitwirkung Brasiliens unerlässlich war. Deshalb wurden unsere ehemaligen Stützpunkte an der brasilianischen Ostküste wieder besetzt, wie die Insel Fernando Noronha und Belem an der Amazonasmündung."

Ein Warnton, der immer schriller wurde, zerrte an Moniques Nerven. Sie hatte gelernt, Schwächeanwandlungen zu verbergen. Auf Wilson deutend, fragte sie Rank: "Verzeihen Sie, wie stoppt man ihn wieder?"

"Wenn je ein Lenkgeschoss die vorgeschriebene Bahn verlässt", sagte Wilson zu Maldy, "wird es durch einen Alarmmechanismus mittels Fernzündung von uns sofort zerstört."

"Es genügt", rief ihm Rank über die Schulter hinweg zu. "Der Herr hat versprochen, das nie wieder zu vergessen."

Wilsons Mund klaffte auf. Der Warnton stieg jetzt so hoch, dass man ihn kaum noch hören konnte. Die Whiskygläser hatten der Reihe nach mitgeklirrt, außer Maldys, der es in der Hand hielt. Auf dem Bildschirm schlugen die Skalenzeiger aus. Die Radiostimme zählte rückwärts: "Zehn – neun – acht – sieben..."

Rank stand am Sehschlitz, seine Augen hingen voll stolzer Erwartung an "Skylight 3". Monique und Nordfors traten neben ihn, er bemerkte es nicht. Die erste interkontinentale Pulverrakete Amerikas! Unter seiner Leitung war sie geplant, gebaut, getestet worden. Wie viel Mühe hatte es gekostet, mit ihren Fehlern fertig zu werden. Nun war es soweit, sie ging auf die große Reise! Wie hatte er diesen Augenblick herbeigesehnt.

"... vier – drei – zwei", sagte die Lautsprecherstimme, "eins – null."

Draußen blitzte es auf, man spürte im Bunker eine Erschütterung. Dann kam der Donner. Auf dem TV-Schirm drehten die Skalenzeiger über die Warnmarke weg. Vom Bug des Riesenbleistifts spritzten Sonnenreflexe. Der Raketenkörper hob sich vom Starttisch ab, aus seinem Heck schoss Feuer.

Rank hielt den Atem an. Sie kam, sie kam! Die Hilfstriebwerke zu beiden Seiten spuckten weiße Qualmmassen. Soweit gelungen! Noch traf der ungeheure Strahldruck den Boden rings um die Rampe, schleuderte Staub empor. Doch oben aus dem Gerüst stieß "Skylight 3" heraus, gewann Tempo, jagte senkrecht hinauf in den Himmel. Rank schluckte ein paar Mal, sein Gesicht entspannte sich.

Plötzlich wechselte es den Ausdruck. Was war das? Er sah, wie sich eine der zwanzig Fuß langen Starthilfen vom Raketenrumpf löste. Weißen Rauch ausspeiend, wirbelte die tonnenschwere Stahlröhre herum, beschrieb eine jähe Abwärtskurve. Er glaubte ihr Zischen zu hören, wich vom Schlitz zurück und schrie: "Da geht was schief! Deckung! Deckung!"

11:44

Im Bunker erloschen sämtliche Lampen, ein Knall zerriss die Luft. Rank war, als zerfetze es ihm das Trommelfell. Mehrere Sekunden lang stand er benommen. Es biss ihn in der Kehle, seine Lungen stachen, er hustete, aber er hörte es nicht. Blind und taub tastete er sich zum Telefon, drehte die Kurbel und rief hinein: "Der ganze Bergungstrupp zu Bunker fünf! Grabt uns hier aus, so schnell ihr könnt."

Durch einen Riss in der Decke drang Tageslicht, stieß in wallende Staubmassen. Von oben bröckelte Erde nach. Wie durch einen Schleier erkannte er: Die beiden Holzpfosten neben dem Eingang waren geknickt, die Tür verschwunden. Man war verschüttet.

Mit krampfhaft geschlossenen Augen stand Monique am Fernsehkasten. Aus der geplatzten Wandverschalung rieselte Dreck auf ihr Kostüm. Nordfors begann ihr Gesicht zu säubern. Sie hielt es ihm entgegen; er blies und tupfte den Staub weg. "Sand in den Augen", stammelte sie.

Hinter den beiden tauchte Maldy auf, das Haar wirr, die Flasche in der Hand. "Los, Joe", sagte Nordfors, "den Whisky her, sie hat's nötig."

Maldy hob die Flasche – sie hatte keinen Boden mehr.

Rank rief in die Sprechmuschel: "Beeilt euch! Nehmt die Nordecke vor, da kommt ihr am besten durch. Vorn nicht, da stehen wir... Was sagen Sie, ausgebrochen? Ich verstehe kein Wort!"

Moniques Augen waren fest geschlossen. Sie taumelte, kämpfte gegen eine Benommenheit. Nordfors hielt sie bei den Schultern, von oben kam der Lärm eines Presslufthammers. Er sah, sie wartete auf den Whisky. Sie hatte das Kinn gehoben, nun öffnete sich ihr Mund. Sie wollte trinken.

In diesem Augenblick dachte er an gar nichts. Er packte ihren Kopf und küsste sie. Später erschien ihm das als ganz natürliche Reaktion. Schon öfter hatten Mädchen so vor ihm gestanden, und immer hatte das bedeutet, dass sie bereit waren zu küssen. Er spürte ihre Zähne, es war nicht viel anders als sonst. Doch darin irrte er. Dieser Moment wurde zum Wendepunkt seines Lebens. Aus irgendeinem Grunde ließ er nicht los.

Dann war es zu Ende. Jetzt riss Monique die Augen auf, das Leben kehrte in sie zurück. Sie stieß ihn weg und rief: "Ja, sind Sie verrückt?"

"Entschuldigen Sie, aber Whisky war keiner mehr da", antwortete Nordfors so unverfroren, wie er nur konnte. Er trat zu Rank und wies mit dem Daumen nach oben, wo der Presslufthammer ratterte. – "Sie sollten lieber U-Bahnen bauen, Phil, statt Raketen."

Rank beachtete ihn nicht. "Ausgebrochen", wiederholte er und lief, zum ersten Mal ratlos, mit dem Apparat hin und her. "Jesus Christus! Verständigen Sie die Radarkette. Schon geschehen? Was melden die Bahamas? Objekt verloren?"... Er lauschte in die Muschel hinein. Dann stellte er das Telefon auf seinen Platz.

Monique sagte: "Ich möchte sofort aus diesem scheußlichen Loch heraus."

Rank antwortete: "Bitte, gedulden Sie sich. Die CBA bedauert diesen Vorfall außerordentlich." – Er wandte sich zu Nordfors und sagte mit erloschener Stimme: "Nummer 3 ist durch den Verlust der Steuerbord-Starthilfe von ihrem Kurs abgekommen... Aus dem Lenknetz ausgebrochen und in Richtung Süden verschwunden."

"Ausgebrochen?", fragte Maldy; er blätterte in seinen Notizen. "Oh, ich bin im Bilde. In diesem Fall kann man sie durch Fernzündung sofort zerstören."

"Das", sagte Rank, "haben wir auch gedacht."

Oberhalb der Tür durchstieß ein Presslufthammer die Zementdecke. Von neuem füllte sich der Raum mit Staub.

"Was unternehmt ihr?", fragte Nordfors.

Rank hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Undeutlich murmelte er: "Sie ist schon über Kuba weg und eine Million Fuß hoch... Was willst du da noch machen."

Sie fingen alle an zu husten.

11:58

Man hob die Verschütteten ans Tageslicht.

Rank sah sich blinzelnd um. Es wimmelte von Bergungsmannschaften, Unfallwagen, Krankenpersonal und Militärpolizei. In weitem Umkreis war das Buschwerk verkohlt. Er hatte einen üblen Geschmack im Mund. Das Unglück schmetterte ihn nieder; er begann, sich nach den Ursachen zu fragen. Zuletzt lief es immer auf eins hinaus: Man hatte zu hastig gearbeitet. Aber war das seine Schuld? Er hatte getan, was in seinen Kräften stand, und sehnlich gehofft, Nummer 3 würde ihn nicht enttäuschen.

"Sind Verletzte unten, Sir?", fragte ihn einer der Ärzte.

Rank antwortete nicht, er starrte auf das verbrannte Gras. Sein Schädel dröhnte. Ihm war, als höre er den Chefmanager der Holdinggesellschaft, die hinter der CBA stand, wiederum sagen: "Ihre Forschung ist für uns ein Fass ohne Boden. Bis einmal die Epoche der Weltraumflüge kommt, verkaufen wir Raketen ja nicht an die Zivilluftfahrt, sondern an die Regierung. Die Entwicklungskredite sind beschränkt, der Verteidigungsminister rationiert die Gelder. Erst wenn Nummer 3 funktioniert, gibt er große Beträge frei. Jeder Fehlschlag wirft uns zurück. Aber wenn sie die Testreihe aufschieben, nur um ganz sicher zu gehen, kommen uns natürlich andere Firmen zuvor."

So hatte sich Mr. Todd auf der letzten Konferenz des Konsortiums ausgedrückt, das die Versuche finanzierte. Am grünen Tisch mochte es ganz vernünftig klingen, wenn sie ihm rieten, "hier einen Mittelweg zu finden..." Es würgte Rank in der Kehle.

Neben ihm zog man Nordfors heraus. "Tut mir leid für Sie, Phil", sagte er.

"War eben ein bisschen zu früh", antwortete Rank heiser. "Ich hab' die Gesellschaft gewarnt, aber sie haben gedrängt und gedrängt."

"Kann ich irgendetwas für Sie tun?"

"Ich brauchte mehr Zeit und mehr Geld. Aber darüber kann man in der Presse nichts schreiben."

"Ich denke – doch!"

"Eine wahrhaft nationale Tragödie", knirschte Rank, indem er Nordfors' letzte Äußerung bewusst überhörte. "Wir sind zu spät ins Rennen gegangen und jetzt versuchen wir, alles auf einmal nachzuholen. Herrgott, Raketen werden verpulvert, weil wir wie Wahnsinnige drauflos bauen und hinterher erst konstruieren!"

"Und warum?"

Wilson trat an sie heran, er deutete hoch und rief: "Sir, den Fototurm hat's mit erwischt."

Rank sagte: "Das ist jetzt auch egal."

"Aber Sir, da war doch der Pressemann drin!"

Nordfors und Rank sahen sich an, es traf sie wie ein Hammerschlag. Sie blickten hoch, über die Löschzüge weg... Der Fototurm schien unversehrt. Nur die eiserne Außentreppe stand sonderbar von den Stahlpfeilern ab. Und nun, als sich der Brandrauch verzog, erkannten sie: Das Panzerglas war aufgeknackt, die Kanzel schwer beschädigt worden. Ihr Inhalt hing wie bizarr geformte Drahtreste links heraus.

Sie sahen hinüber und sprachen kein Wort.

Hinter ihnen kroch Maldy aus dem Schutthaufen, klopfte sich ab, presste die Hand auf den Magen. Ihm folgte Monique. Nach und nach blickten alle zum Fototurm. Sie standen wie erstarrt. Sanitäter schleppten eine Trage heran, sie blieben vor Rank stehen. Eine blutige Zeltbahn lag darüber. Die Träger hatten ihre Mützen abgenommen. Keiner stellte eine Frage. Hier konnte niemand mehr helfen.

Monique drehte sich um. Sie war totenblass und presste beide Fäuste gegen die Schläfen.

Einer der Sanitäter hielt eine Kamera in der Hand. Sie war zerquetscht, ein Stück verschmorter Filmschlange hing heraus. "Ich glaube", sagte er zu Rank, "die gehörte ihm."

Nordfors griff nach der Kamera, er sah hinab auf die Plane. Er litt Folterqualen bei dem Gedanken an Bunnys letzte Worte. Er sah aus wie jemand, den grelles Licht blendet. Nun wurde die Trage angehoben; er folgte ihr. Bunny! Bunny war tot, und für ihn, Nordfors, war er gestorben.

Hinten fragte Rank: "Hat er Familie?"

"Frau und vier Kinder", antwortete Maldy; seine Stimme klang belegt. Er dachte an seine eigenen Söhne. Er hatte spät geheiratet, nach dem Kriege erst, und die Jungen waren acht und zehn. Bei Gott, nur durch Zufall war er davongekommen. Sie hatten keine sicheren Unterstände hier. Er wusste nicht, wer den Artikel nun schreiben würde; aber der ihn schrieb, sollte von den schlechten Sicherheitsvorkehrungen berichten, wenn er ein Gewissen hatte... Während Maldy hinter der Trage herging, sah er sich selbst darauf liegen, und ihm kamen Tränen.

Rank führte Monique behutsam am Arm. Er war erschüttert, ja außer sich. Bunnys Tod verdrängte in ihm den Gedanken an das, was CBA-Direktion und Geschäftsleitung der General Finance zu dem Fehlstart sagen würden. Er vergaß sogar, dass sich Nummer 3 noch in der Luft befand und hoch überm Karibischen Meer einem unbekannten Ziel entgegenstürmte. Da hatte er monatelang wie wild geschuftet, Nächte hindurch, und das war das Ergebnis! Infolge des Zeitdrucks waren zwei seiner Ingenieure zusammengebrochen, man hatte ihn gehetzt und gejagt und jetzt in die Katastrophe getrieben. Und warum? Warum? So hatte vorhin auch Nordfors gefragt. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Vielleicht brachte es die Finanziers im fernen New York zur Besinnung, wenn sie in der Zeitung lasen, dass ihre Gewinnsucht wieder mal Menschenleben verschlungen hatte.

Am Rande der verbrannten Erde wartete ein Auto. Mit zusammengepressten Lippen sah Rank zu, wie man die Reste seines Kriegskameraden ins Innere hob. Seine Augen schmerzten, hinter den Schläfen hämmerte es. Armer Bunny King. Den Dschungel von Guadalcanar hatte er überstanden, die Einsätze über Okinawa und Tokio – hier musste es ihn treffen, weil er, Rank, sich bereitgefunden hatte, eine noch nicht ausgereifte Waffe zu erproben. Erst testen, dann konstruieren: mit dieser Praxis musste er brechen! Seine Nachgiebigkeit, seine Feigheit gegenüber den Beauftragten der General Finance war an allem schuld.

"Schrecklich", flüsterte er. "Falls Ihre Maschine noch klar ist, Miss Monique – bitte, fliegen Sie nach Hause."

Und er gelobte sich in diesem Augenblick, es von nun an besser zu machen. Schluss mit den schändlichen Zugeständnissen! Vor den Wallstreet-Gewaltigen wird er niemals mehr kapitulieren; eher nimmt er seinen Abschied.

ZWEITES KAPITEL

18:00

Edward Quinlan, Chefredakteur der "Mirror News", schlenderte durch den Arbeitssaal; ein geschmackvoll angezogener Mann von Ende vierzig. Er hatte soeben einen Leitartikel für die Contipress-Morgenausgabe geschrieben, der sich mit den Ereignissen im Libanon und bei Formosa befasste. Am Vortage hatte ein Regierungssprecher erklärt, die Flugzeuge der 7. amerikanischen Flotte würden rotchinesische Maschinen künftig bis übers Festland verfolgen, und Quinlan hatte das rundheraus gutgeheißen. Es entsprach der Linie des Blattes, innere Affären aufzubauschen, die US-Außenpolitik aber zu befürworten. "Mirror News" war ein Massenblatt, die nationalen Belange waren für ihn unantastbar und galten zudem als wenig unterhaltsam.

Ein Redaktionsboy sagte: "Mister Nordfors ist am Apparat, Sir, er möchte Sie sprechen." Quinlans Mund verzog sich wie bei jemandem, der auf ein Pfefferkorn beißt. Er bediente sich aus seinem goldenen Zigarettenetui; das Monogramm "E. Q." war formschön in den Deckel eingraviert. Als er den Hörer nahm, bebte ihm die Hand.

"Hallo, wo bleiben Sie eigentlich?", fragte er sanft. Gegenüber Nordfors wandte er stets eine elastische Taktik an. Schaumgummiball mit Stahlkern, nannte er das im Stillen. Jedes Gespräch mit diesem Mann bedeutete Kampf, es endete mit Sieg oder Niederlage, niemals unentschieden. Und die Niederlagen schmerzten.

"... noch was zu erledigen", hörte er Nordfors sagen. "Meine Reportage steht. Bringe sie 'rum, sobald ich hier fertig bin."

"Wo stecken Sie jetzt?"

"In der unteren Bronx. Bin in einer Stunde bei Ihnen, falls mich der Verkehr nicht aufhält. Der Artikel wird einschlagen!"

"Erwarte Sie Punkt sieben, danach garantiere ich für nichts", antwortete Quinlan streng. Wie viele innerlich unsichere Menschen konnte er sein Selbstvertrauen nur dadurch bewahren, dass er sich immer wieder seine Macht über andere bewies. Nordfors zu gängeln war ihm Bedürfnis und, da es nie restlos glückte, stete Quelle des Kummers.

"Halten Sie die Luft an", rief Nordfors. "Wollen Sie etwa das Thema Gangstern überlassen? Der 'Yellow Star' kommt eben mit folgender Schlagzeile heraus..." Es raschelte in der Membrane, am anderen Ende wurde eine Zeitung entfaltet. "Raketenkatastrophe am Bananenfluss – wie viel Menschen fraß 'Skylight 3'?"

"Dann bitte beeilen Sie sich", sagte Quinlan und legte auf. Er hatte das Gefühl, diesmal gut abgeschnitten zu haben. Er war Beleidigungen ausgewichen und hatte klar zu verstehen gegeben, dass er sich nach neunzehn Uhr für Nordfors' Elaborat nicht mehr interessieren werde. Aber der schönste Triumph stand noch bevor.

Der Chefredakteur lächelte, er legte die Hände auf den Rücken und setzte seinen Rundgang fort. An den Tischen wurde geschrieben und diktiert, man empfing Meldungen, schnitt aus fremden Zeitungen aus. Messinggefasste Glaswände brachen den Schall, sie teilten den Raum in Waben, und die Arbeitsbienen summten. Drei Dutzend gebeugte Köpfe! Die Leute waren der Wärme wegen ohne Jackett, sie hantierten jedoch mit heruntergerollten Hemdärmeln und trugen Krawatten. Es war eine saubere Tretmühle.

Quinlan trat ans Fenster.

Der Redaktionssaal lag im siebenten Stock des Contipress-Hochhauses, man schaute hinaus auf die Fifth Avenue, die Hauptgeschäftsstraße Manhattans. Verkehrslärm brodelte herauf. Von der Fassadenfront gegenüber nahm man gewöhnlich nur das untere Drittel wahr. Quinlan hielt das Kinn an die Scheibe und legte den Kopf in den Nacken, so sah er die Kuppeln der Wolkenkratzer und einen Streifen blauen Septemberhimmels darüber. Wenn sich das Wetter nur hielt! Er dachte an Janie, die vorhin in eine Autopartie eingewilligt hatte. Morgen war Wochenende. Und vorher noch ging Pit Nordfors in die Knie.

Er pfiff ein paar Takte des River Kwai March. Sein Blick schweifte nach rechts, einen Block weiter, wo sie, gleich hinter Mulligans Warenhaus, den "Yellow Star" machten. Ein Gossenblatt natürlich, aber es war heute schon das zweite Mal, dass dieser Name fiel... Im Grunde freilich – die alte Geschichte. Immer wenn über New York die Urlaubszeit hereinbrach und viele Zeitungskunden aus der Stadt schwemmte, zerbrachen sich die Werbeleiter den Kopf. Sie sollten mit Reklametricks zuwege bringen, was auch die heißeste Skandalgeschichte nicht mehr schaffte: die Auflagen vor dem Rutsch nach unten bewahren. Jeden Sommer gab es Preisausschreiben in der Saure-Gurken-Zeit, Wettbewerbe, in denen die Leser Kühlschränke, Autos und Ferienreisen gewinnen konnten.

Aber in diesem Jahr hatte "Mirror News" die anderen geschlagen. Ab Ende Juni hatte man jeden Tag die Seriennummern einiger Dollarnoten veröffentlicht, die das Werbepersonal vorher in Läden und Tankstellen, Taxis und Lokalen unauffällig unter die Leute gebracht hatte. Jeder, der eine solche Dollarnote binnen einer Woche in seiner Brieftasche wiederfand, bekam von "Mirror News" eine Prämie. Die Gewinne schwankten zwischen 25 und 1000 Dollar. Und das einzige, was Quinlan an der Sache missfallen hatte, war, dass diese Idee nicht vom Werbechef Walsh, sondern von Nordfors gekommen war.

Um nicht gegen das Lotteriegesetz zu verstoßen, hatte Howard Dumont regelmäßig mitdrucken lassen: "Sie brauchen 'Mirror News' nicht zu kaufen, wenn Sie mitspielen wollen. Bitte, sehen Sie die Zeitung gratis ein..." Aber selbstverständlich rissen die New Yorker den Zeitungsjungen die frischen Exemplare aus der Hand – galt es doch, die täglichen Seriennummern immer in der Tasche zu haben. Man starrte auf die Scheine und verglich. Eine neue Unsitte war ausgebrochen, das Ausgeben von 1-Dollar-Noten wurde zu einer zeitraubenden Angelegenheit. Doch die Juli-Auflage der "Mirror News" kletterte weit über den üblichen Hochsommerstand.

Im August nun ließ dieser Erfolg die verärgerte Konkurrenz nicht länger ruhen. Ein halbes Dutzend anderer Boulevardzeitungen ahmte die Methode nach. Sogar der "Evening Herald", die seriöse Abendausgabe des Verlagshauses Panpress, probierte den Trick. Er stand nicht unter Patentschutz, dagegen gab es keine Einspruchsmöglichkeit. In ganz New York kursierten nun "Lucky Bucks" – glückbringende Dollarnoten, und die Presse gewann gegenüber dem Fernsehen Boden zurück.

Was sich aber der "Yellow Star" neuerdings leistete, ging zu weit. Das Revolverblatt stieg in den Werbeomnibus ein, ohne auch nur einen Cent zu opfern. Quinlan trommelte gegen die Scheibe. Auf der ersten Seite fragten diese Asphaltpiraten jetzt ihre Leser: "Haben Sie es auch satt, jeden Tag kiloweise Zeitungen nach Hause zu schleppen, bloß um nachzusehen, wie viel Ihre Dollarnoten gerade wert sind? Wir haben keine Lust, Geld zu verschenken. Aber wir möchten gern, dass Sie es kassieren. 'Yellow Star' veröffentlicht ab heute täglich die Seriennummern sämtlicher Dollarscheine, die von den verschiedenen New Yorker Blättern mit insgesamt fünfzigtausend Dollar pro Woche honoriert werden!"

Das überschritt die Grenze kommerzieller Fairness. Quinlan würde vorschlagen, diesen Fall im Verlegerverband zur Debatte zu stellen. Hatte nicht Dumont schon einmal angedeutet, man könne den Papierlieferanten des "Yellow Star" unter Druck setzen? Das Schmutzblatt erschien – dank seiner schlüpfrigen Geschichten – täglich in zweihunderttausend Exemplaren. Es hatte damit nicht ein Zehntel der Auflage von "Mirror News", der größten Tageszeitung Amerikas... Ein Wurm versuchte den Riesen zu reizen.

18:15

Quinlan kehrte in die Chefredaktion zurück. Hier in der Glasbox war es ruhiger. Vorn saß Bess, seine Vertraute, wachsam in ihrem Mattglasabteil. Die Chefsekretärin war nicht mehr jung, doch so vorteilhaft zurechtgemacht, dass man sie allenfalls auf vierzig schätzte. Sie hatte Störungen fernzuhalten und ihm von allem zu berichten, was sich innerhalb des Personals unter der Oberfläche abspielte. Bess war unersetzlich. Er nickte ihr zu und betrat lautlos sein Arbeitskabinett.

Auf der Schreibtischkante kauerte Monique Dumont, mit gefurchter Stirn und hochgezogenen Schultern, einen Schreibblock in der Hand. Sie trug ihr lädiertes Reisekostüm, eine schwarze Strähne fiel ihr auf die Schulter. Sie sagte gerade: "... mit diesen Experimenten, die immer wieder Menschenleben fordern, versucht die US-Wissenschaft, sich täglich ihrem Ziel zu nähern."

An einer seitlich herausgezogenen Platte tippte Janie dies in die Maschine. Sie war braungebrannt, achtzehn Jahre alt und trug eine schmetterlingsförmige Brille. Schon vor dem Kriege, als dieser Typ noch seltener war, hatte Quinlan an sich eine Neigung zu jungen Brillenträgerinnen entdeckt. Ihre oft glanzlosen Augen und die Druckstellen am Nasenrücken verschafften ihm eine Überlegenheit, die er hübschen Mädchen gegenüber sonst nur selten aufbrachte. Insgeheim glaubte er, sie fühlten sich ihm ausgeliefert, wenn er ihnen die Gläser abnahm. Stets war dies für ihn ein reizvoller Moment.

"... Schmerzlich beeindruckt von der Wucht des Experiments, kehrte der Conti-Stab nach New York zurück. Auf dem leeren Platz in unserer Maschine lag eine zertrümmerte Kamera." – Sie unterbrach das Diktat und bemerkte zu Quinlan: "Vergessen Sie nicht Bunnys Frau."

Der Chefredakteur nickte, er beugte sich übers Interfon, ein schön geformtes, cremefarbenes Sprechgerät, wie es in allen Zimmern der leitenden Conti-Angestellten auf dem Schreibtisch stand. "Vermittlung", rief er, "verbinden Sie mich mit der Frau des Fotografen King."

Neben ihm sagte Monique: "... für mich ein beklemmendes Erlebnis, als erste Frau den Start einer interkontinentalen Pulverrakete aus solcher Nähe mit anzusehen." Und Janie tippte es in die Maschine.

"Verbinde sofort", schallte es aus dem Interfon.

Quinlan stützte die gespreizten Finger auf. Während er wartete, glitt sein Blick über beide Mädchen. Monique war sieben Jahre älter als Janie und dreimal so schön. Doch er hätte sich davor gefürchtet, allein mit ihr bei einem Glas Sekt zu sitzen, auch wenn sie nicht Howard Dumonts Tochter gewesen wäre. Sie war zu selbständig und klug, hatte zuviel Persönlichkeit. Im entscheidenden Moment hatte sie vermutlich Männer immer ausgelacht. Wer sie je küsste, dem würde sie einen leichten Klaps auf die Wange geben – und zu ihm "aber! aber!" sagen. Er kannte diesen Typ genau. Er war sicher, sie hatte noch kein Erlebnis gehabt. Sie mochte auf diesen verrückten Studentenparties bis an die Grenze gegangen sein, das aber war alles.

Er fragte: "Was treibt denn Nordfors noch in der Bronx, Miss Dumont?"

"Sein Anzug war verdorben", antwortete sie. "Ich nehme an, er zieht sich um."

"In der Bronx? Seine Wohnung ist um die Ecke!"

Monique zuckte die Achseln, sie diktierte weiter.

18:20

Nordfors durchschritt eine dunkle Toreinfahrt. Sein Fuß stieß gegen einen Kübel, aus dem es nach Abfällen stank. Voll bitterer Resignation sah er sich um. Vor ihm lag der Hinterhof eines erbärmlichen Mietshauses. Schadhafter Putz, Feuerleitern und Kindergeplärr. Er hätte hier nicht leben wollen. Aber Bunny hatte es seit Kriegsende die ganzen Jahre über in dieser lichtlosen Enge ausgehalten.

Seine Hacken schepperten über den Asphalt, von den Mauern des Schachtes hallte ein Echo. Aus einer vergitterten Kellerklappe quoll Dampf, darüber las er: B. KING / PHOTOGRAPHER. Weltstadt New York! Platz für jedermann, und jedermann auf seinem Platz – so hatte Howard Dumont einmal die Selbstverständlichkeit des sozialen Gefälles ausgedrückt.

Im Treppenflur roch es nach Seifenlauge und Essen. Links führten Stufen hinauf, vorbei an einer Wohnungstür im Hochparterre mit dem Namensschild KING. Dahinter begann jetzt ein Telefon zu klingeln. Rechts ging die Treppe in den Keller. Dort stand eine Tür halb offen, das Quietschen einer Wringmaschine drang heraus. Nordfors rief hinab: "Mistress King?"

"Wer ist da?" Unten wurde die Tür aufgestoßen. Melitta King trug Kopftuch und Gummischürze. Sie schien älter zu sein als Bunny; ein verhärmtes, energisches Gesicht. "Ach, Sie sind's, Pit", sagte sie und wischte sich die Hände ab. "Kommen Sie ruhig 'runter."

Nordfors tat es. Nasse Wärme umhauchte ihn. Er hatte Bunnys Frau manchmal in dem italienischen Restaurant nahe der Ninth Avenue gesehen, wenn sie nach Redaktionsschluss noch beisammen saßen; nie bei der Hausarbeit. Sie kehrte zu ihrem Kupferkessel zurück, musste erst darin rühren, ehe sie mit ihm sprechen konnte. Wenn er es nicht gewusst hätte, wäre es ihm nun klargeworden: In Bunnys Familie hatte sie regiert. Das machte es wohl leichter... Aber als er zum Sprechen ansetzte, versagte seine Stimme.

Oben schrillte das Telefon, Melitta King bemerkte es nicht. Sie fragte: "Haben Sie Bunny nicht mitgebracht?"