The Legend of Drekh - Akira Arenth - E-Book

The Legend of Drekh E-Book

Akira Arenth

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Beschreibung

The Legend of Drekh (Sammelband) Gay Fantasy Romance Print 488 Seiten inkl. Illustrationen Mein Name ist Drekh! Drekh Durz, um genau zu sein, und dies ist meine Geschichte. Nichts für schwache Nerven, aber durchaus amüsant. Schon die Umstände meiner Zeugung waren sehr speziell, denn ich bin das Ergebnis einer Verbindung zweier Spezies, wie sie unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Geboren wurde ich in einem Clan chronisch mies gelaunter, aggressiver Kolosse namens Kodagrokh, die auch mit zwei Gehirnen kein bisschen schlauer wären, sondern nur doppelt so blöd wie vorher. Eines meiner Elternteile gehört jedoch zu den grazilen, hochintelligenten und kunstliebenden Makhorien-Hochelfen und so bin ich, trotz meiner Koda-Gene, ein eher nachdenklicher Kerl und von relativ zarter Gestalt. Könnt ihr euch vorstellen, wie beschissen es ist, in einer Welt zu leben, in der es nur um Größe und Stärke geht? Und obwohl selbst die zierlichsten Grazien unter unseren Weibchen dickere Oberarme haben als ich, musste ich, so wie alle Jungkodas, den traditionellen Übergangsritus mit seinen drei Prüfungen bestehen, um als vollwertiges Clanmitglied anerkannt zu werden. Dies wurde der Beginn meiner Odyssee ...

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Klappentext
Prolog
Kapitel 1 - Der Tag, an dem der Käfer starb
Kapitel 2 - Der Übergangsritus
Kapitel 3 - Ein Niemand
Kapitel 4 - Freiwild
Kapitel 5 - Ein neues Ziel
Kapitel 6 - Freund oder Feind
Kapitel 7 - Seelenwanderer
Kapitel 8 - Alles für den Clan
Kapitel 9 - Schicksalswege
Kapitel 10 - Balzgesänge
Nachwort
Danksagungen
Impressum
Fußnoten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sammelband

The Legend of Drekh

Klappentext

Gay Fantasy / Gay Romance / Humor

 

Mein Name ist Drekh! Drekh Durz, um genau zu sein, und dies ist meine Geschichte. Nichts für schwache Nerven, aber durchaus amüsant. Schon die Umstände meiner Zeugung waren sehr speziell, denn ich bin das Ergebnis einer Verbindung zweier Spezies, wie sie unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Geboren wurde ich in einem Clan chronisch mies gelaunter, aggressiver Kolosse namens Kodagrokh, die auch mit zwei Gehirnen kein bisschen schlauer wären, sondern nur doppelt so blöd wie vorher. Eines meiner Elternteile gehört jedoch zu den grazilen, hochintelligenten und kunstliebenden Makhorien-Hochelfen und so bin ich, trotz meiner Koda-Gene, ein eher nachdenklicher Kerl von relativ zarter Gestalt. Könnt ihr euch vorstellen, wie beschissen es ist, in einer Welt zu leben, in der es nur um Größe und Stärke geht? Und obwohl selbst die zierlichsten Grazien unter unseren Weibchen dickere Oberarme haben als ich, musste ich, so wie alle Jungkodas, den traditionellen Übergangsritus mit seinen drei Prüfungen bestehen, um als vollwertiges Clanmitglied anerkannt zu werden. Dies wurde der Beginn meiner Odyssee ...

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SAMMELBAND

 

Akira Arenth

&

Vaelis Vaughan

 

 

 

Prolog

 

„Es war einmal, in einer Welt voller Magie, fantastischer Wesen und ungebändigter Naturgewalten, das Volk der Kodagrokh. Riesige, skrupellose Gestalten, machthungrig und kampfeslustig, beherrscht von Gier und Bosheit, mit schrecklichen Reißzähnen und fahler, gelblicher Haut wie ausgeblutetes, krankes Fleisch. Doch im Clan der Uloth, einer Randgruppe dieser grobschlächtigen, angsteinflößenden Kreaturen, erblickte eines Tages ein ganz besonderer Sprössling das Licht der Welt. Der Auserwählte! Ein geradezu edles, magisches Geschöpf und das einzige seiner Art, das alle Regeln brach und sich auf die Suche machte, der Finsternis seiner Rasse zu entkommen. Dies ist seine Geschichte: The Legend of the blue Kodagrokh - eine Reise des Mutes und der Freundscha-“

„Dein Ernst? ... So willst du beginnen?“

„Äh ... ja? Warum nicht?“

„Weil ich nicht das verdammte letzte Einhorn bin!?“

„Das ist gehobene Erzähltechnik! Jedes gute Märchen fängt so an!“

„Es ist vor allem eins: voll öde!“, maule ich.

„Öde?“

„Ja, öde!“, wiederhole ich mit Nachdruck, ehe ich im Kreis zu rennen beginne. „Schnarchlangweilig, trostlos, jämmerlich, viel zu monoton und abgesehen davon auch vollkommen falsch!“ Abrupt stoppe ich meinen Lauf. „Die pennen doch alle ein, noch bevor sie den Prolog beendet haben!“

„Niemand pennt dabei ein! Was weißt du denn schon von Literatur?“

„Eine ganze Menge!“ Ich stampfe auf. „Außerdem sind das meine Memoiren und deshalb will ich auch bestimmen, wie die erzählt werden! Basta!“

„Jetzt hör mal zu, du Schlumpf! Was hier falsch oder richtig ist und wie deine Geschichte wiedergegeben wird, entscheide immer noch ich! Denn ich bin der allwissende Erzähler, nicht du! Und jetzt halt die Backen und lass mich weitermachen! Die Leser warten!“

Ich schiebe die Unterlippe vor, verschränke bockig die Arme und pflanze mich beleidigt auf den Boden, während sich der angeblich Allwissende räuspert.

„Gut, wo waren wir? Ah ja, hier! The Legend of the blue Kodagrokh - eine Reise des - “

„Warum blue? Ich bin türkis und nicht blau!“ Ich kann einfach nicht anders, denn bei solch offensichtlich falschen Behauptungen rollen sich mir die Fußnägel auf! Meine Aussage unterstützend, deute ich mit beiden Zeigefingern auf mein Gesicht und wandere mit ihnen nach unten. „Da! Türkis! Türkise Nase, türkiser Bauch, türkiser Schnie-“

„Ist ja gut!!!“

„Wäre ich blau, müsste ich mir sicher den ganzen Tag dämliche Witze darüber anhören, wie blau ich doch bin! Aber lass mich raten: The Legend of the turquoise Kodagrokh war den werten Schreiberlingen wahrscheinlich zu umständlich, also haben sie mich kurzerhand blau gemacht ... oder sie wussten schlichtweg nicht, wie man turquoise schreibt! Hrhrhrhr.“ Der Allwissende schnalzt hörbar genervt mit der Zunge, holt tief Luft, um fortzufahren, aber da plappere ich in glänzender Motzmopsmanier weiter: „Erwähne doch einfach gleich am Anfang, dass ich Drekh heiße!?“

„Drekh ...“

„Ja! Drekh Durz! Schreibt man wie Dreck, nur mit KH, wegen der Verwechslungsgefahr, aber genau genommen ist es gar kein richtiger Name. Als ich nämlich das Licht der Welt erblickte, schrie meine Mutter durchs ganze Dorf: So‘n Dreck!, und dann hieß ich eben so.“

„Ja ... schön. Kann ich jetzt endlich weitermach-“

„Vielleicht sollte man lieber mit meinem Namen einen Titel basteln? Haha, jaaaa! Hiermit benenne ich die Geschichte in The Legend of Drekh um! Einzigartig und unverwechselbar!“ Ich gerate ins Stocken, weil mir etwas auffällt. „Du sag mal, warum ist der Titel überhaupt in Englisch? Das ergibt doch gar keinen Sinn! Keiner in meiner Welt kann Englisch, weder sprechen noch schreiben, und in meinem Clan sind auch nur strunzdoofe Analphabeten! Also warum? Nur damit das Ganze nicht so altbacken rüberkommt oder -“

„Ist dir eigentlich klar, dass du mir hier gerade vor allen Leuten die Eier rasierst?“

„Nö.“

„Du tust es!“

„Hm.“ Ich zwirble meine Nase. „Also eigentlich will ich ja nur dieses doofe Kodagrokh aus dem Titel weghaben. Es weiß doch keine Sau, was ein Kodagrokh ist! Warum sollte man über etwas lesen wollen, das man gar nicht kennt?“

„Und du glaubst, die Leute wollen über Dreck lesen?“

„Hö hö ... ja klar, das ist dann ein Drecksbuch ... hi hi hi.“ Ein lautes, abfälliges Grummeln ertönt, aber ich schnattere einfach weiter. „Ja, ich denke, das wäre auf jeden Fall interessanter! Bei Kodagrokh kriegen die Leute doch nur einen Gehirnknoten! Kodagrokh Hkorgadok ... ergibt von vorne wie von hinten keinen Sinn! Wer hat sich diesen blöden Namen überhaupt ausgedacht?“

„Kann dir doch völlig egal sein!“, tönt der Erzähler zähneknirschend, offenbar kurz davor, seine Geduld zu verlieren. „Die Hauptsache ist, dass deine dämliche Rasse einen Namen hat!“

„Aber den kann sich keine Sau merkeeeen!“, plärre ich ihm wiederholt dazwischen. „Dann gib den Leuten doch wenigstens eine Eselsbrücke!“

„Was denn für eine Eselsbrücke???“, fährt mich die Stimme des offenbar nicht wirklich Allwissenden wütend an. „Das ist eine Fantasy-Saga, da gibt‘s eben auch ein paar Begriffe, die noch niemand kennt und die man sich merken muss! Wenn ich hier was von schwulen Orks und Elben aus Hogwarts erzähle, werde ich verklagt!“

„Wenigstens ein klitzekleines Brückchen? Nur dieses eine Mal?“

„Schön!“ Heftiges Papiergeraschel ist zu hören. „Leute, wenn ihr euch Kodagrokh merken wollt, denkt einfach an Kodak-Kameras ... übergossen mit Grog ... die von Gronkh abgeleckt werden, weil der einen bizarren Fetisch dafür hat!“

Ich behalte lieber für mich, dass ich nicht mal die Hälfte von dem verstanden hab, was er da gerade erzählt hat.

„Du klingst irgendwie gestresst.“

„Ach ne? Wirklich? Woran das wohl liegt!“

Ich schlage die Hacken zusammen und schwenke den Zeigefinger durch die Luft. „Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag! Du entspannst dich jetzt erst mal, hältst ein kleines Nickerchen und ich erzähle den Leuten derweil meine Version der Geschichte! Wenn ich fertig bin, räume ich freiwillig das Feld und werde dich nie wieder unterbrechen! Danach können die Leute ja selber entscheiden, welche Variante sie besser finden! Einverstanden?“[Fußnote 1]

Der wenig wissende Brabbler überlegt einen Moment, gibt sich dann aber schnaufend geschlagen, denn er scheint einzusehen, dass es keinen Sinn macht, ein Epos mit einer ständig dazwischenquatschenden, türkisblauen Sackwalze zu erzählen. „Schön, mach doch, was du willst!“, gibt er schließlich klein bei, auch wenn das Grollen in seiner Stimme nicht zu überhören ist. „Wir werden ja sehen, wie lange es die Leute mit dir aushalten. Ich bin raus!“

...

„Ist er weg?“ Ich lausche noch eine Weile, doch dann bin ich mir sicher. „Hah! Na endlich! Große Güte, was für ein verschnarchter Schickimickiheimscheißer! Ich wette, das war einer von denen, die beim Vorlesen einen bordeauxroten Bademantel tragen, in einem knarzigen Ohrensessel sitzen, Whisky saufen und sich dabei einen Finger in die Nille schieben, sonst hätte er wohl kaum so genüsslich geschwollen geredet ... Wie auch immer, jetzt bin ich an der Reihe!“

Ich springe auf und klettere auf einen von der Sonne beschienenen kleinen Felsen.

„Perfekt! Können mich alle hören?“, rufe ich, während ich meine Bäckchen auf der vorgewärmten, glatten Oberfläche parke. Noch kurz hin und her gewubbelt, bis ich eine bequeme Position gefunden habe, dann geht es los. „Nun denn: Hallo Leute! Wie ihr vielleicht schon mitbekommen habt, bin ich Drekh, der stabile Hauptprotagonist, und nun bekommt ihr von mir die vollständige und ungeschönte Wahrheit vor den Latz geklatscht! Aus erster Hand sozusagen, unzensiert und unverfälscht! Macht es euch also bequem, legt die Käsemauken hoch und schnappt euch ein paar Hühnerfüße zum Knabbern, denn die Reise in meine Vergangenheit wird eine Weile dauern.“

Kurz tippe ich mir gegen die vorgeschobene Unterlippe und schaue in den Himmel.

„Wo fangen wir an ...? Ah, vielleicht damit, dass ich hier erst mal was klarstelle! Wir Kodagrokh sind eine Unterart der Steppentrolle ... glaube ich zumindest.“ Pikiert schnaufe ich. „Ja, so genau weiß ich das leider nicht, aber wir hatten als Jungtiere auch keinen Geschichtsunterricht oder so was. Streng genommen hatten wir gar keinen Unterricht! Überleben war alles, und das war auch meist schon für sich hart genug. Manche behaupten, wir seien vor Äonen mal Abkömmlinge der ersten Menschen gewesen und hätten uns dann mit Säbelzahntigern gepaart ... Ja ne, is‘ klar! Das würde zwar die Hauer erklären, aber glauben tue ich es trotzdem nicht. Wahrscheinlich sind wir mehr mit den gemeinen Wüstenogern verwandt, nur sind wir eben nicht ganz so bucklig geworden. ... Hässlich, ohne Frage, doch zumindest von der Visage her ein bisschen formschöner.“

Ich sehe es direkt vor mir, wie sich jetzt alle die Gehirnwindungen verknoten und an bucklige, übergroße Fleischberge mit charmanten Prinzengesichtern denken, was mich sehr amüsiert.

„Vermutlich könnt ihr euch immer noch nichts Richtiges drunter vorstellen, hm? Ja, das ist durchaus verständlich ... braucht man verdammt viel morbide Fantasie für! Na gut, ich will mal nicht so sein und noch etwas mehr ins Detail gehen. Man stelle sich einen riesigen Haufen ungewaschener, knurrender, dauerflatulierender Riesenkröten in halbwegs einheitlich pissgelben Fleischfarben vor. Mit pickligem Blumenkohl an Schultern, Rücken und Arsch! Grobschlächtige, aggressive Gesellen, deren Schläue mit der eines Hühnerscheißehaufens vergleichbar ist! Ja, das trifft es ziemlich gut, wenn ich ehrlich bin. Die meisten Kodagrokh wären selbst mit zwei Gehirnen nicht schlauer, sondern einfach nur doppelt so blöd, und das sage ich vollkommen unvoreingenommen!“

Nach dieser kurzen Beschreibung meiner Gattung besinne ich mich wieder auf meinen türkisen Faden.

„Na ja, egal. Weiter im Text! Ich selber wurde zwar auch als Kodagrokh geboren, doch das stimmt nur teilweise. Genau genommen bin ich nämlich zur Hälfte ein Elf!“

Ich warte kurz, denn diese Info muss man ja erst mal sacken lassen.

„Na? Lasst mich raten! Gerade habt ihr euch vorgestellt, wie ein sabbernder Ork-Verschnitt seinen stark geäderten Monsterdödel in ein hübsches, zartes Elfenmädel rammt, stimmt‘s?! Wohl zu viele perverse Fantasy-Trickfilmchen gesehen, hm? Tja, schön für euch, aber leider falsch!“

Mit verschwörerischem Blick lehne ich mich ein Stück nach vorn und krümme mehrmals den Finger in meine Richtung. „Jetzt gebe ich euch mal ein paar Infos, die ihr von dem verschnarchten Erklärbär garantiert nicht bekommen hättet! Tatsächlich war mein Erzeuger nämlich ein ziemlich experimentierfreudiger Porno-Hochelf, der die Grenzen der Perversion sprengen wollte. Nach all seinen erotischen Wagnissen mit anderen Elfen erachtete er es für notwendig, seine sexuellen Ausschweifungen auf eines der abstoßendsten Wesen dieser Welt zu erweitern: ... meine Mutter!“

Ich lehne mich wieder zurück und nicke vielsagend.

„Jaaaaa, die befand sich zu dem Zeitpunkt nämlich als einzige weibliche Koda in Kriegsgefangenschaft des Königs, angekettet in einem seiner Kerkerverliese und damit leicht zu besteigende Beute. Auch wenn wohl keiner der anderen Elfen jemals auf einen solch abartigen Gedanken gekommen wäre.“

Von dieser Vorstellung angewidert schüttle ich mich kurz.

„Kurzum: Mein Erzeuger machte die Wachen betrunken, stahl ihnen die Schlüssel und schlenderte zielstrebig ins Verlies, wo er sich inmitten der Kriegsgefangenen auszog. Dann übergoss er sich mit Moschusöl, rubbelte sich vor jedem der verstört glotzenden Gefangenen und entschied sich schließlich für Fogugh, meine Mutter. An ihr verging er sich wie ein räudiger Hund am Bein seines Besitzers, und sie ließ die Mückenstiche über sich ergehen, während sie sich fragte, was mit diesem Typen nicht richtig sei. Da mein aufdringlicher Erzeuger in seinem Penetrationsrausch jegliche Vorsicht vergaß, bemerkte er natürlich nicht, wie Fogugh seinen Kleiderhaufen mit dem Fuß zu einem ihrer Mitgefangenen kickte, denn auf der Kleidung des Elfen lagen auch die Schlüssel. Diesem gelang es, sich zu befreien, während sie meinen Paps mit einem saftigen Schenkelzwirbler zermatschte und dann von denen, die das Ganze ziemlich fassungslos beobachtet hatten, befreit wurde. Die Flüchtlinge entkamen dem Kerker, schlugen sich bis zum darunter liegenden Kanal durch und flohen auf diesem Wege aus der Elfenstadt. Zehn Monate später kam ich!“

Der nun folgende Part der Geschichte ist mir ausgesprochen unangenehm, sodass ich eine kurze Pause einlege, bevor ich weiterspreche.

„Tja, trotz der Vergewaltigung rechnete meine Mutter nicht damit, dass es der kleine, geölte Stecher geschafft haben könnte, vor seinem Ableben noch etwas Samen loszuwerden. Ihr sowieso schon massiger Körper veränderte sich kaum und das zunehmende Ziehen und Drücken in ihrem Bauch schob sie auf Magenverstimmungen, bedingt durch ihr schmalziges Essen. Doch dann kam ich, was ihr mal so gar nicht in den Kram passte. Mitten in der Nacht und zum Glück im Bett und nicht auf dem Abort. Und ja, ich war etwas schwerer als der erwartete Fettfurz, den sie sich da herauszupressen gedachte. Niemand hatte in Betracht gezogen, dass eine Paarung zwischen einem Kodagrokh-Weibchen und einem Hochelfen Früchte tragen könnte. Deshalb dachte sie, trotz meiner Andersartigkeit in Statur und Aussehen, einer ihrer Mitgefangenen hätte sich ebenfalls an ihr vergangen, solange sie noch bewusstlos gewesen war. Unter Kodas ist es nichts Ungewöhnliches, dass Säuglinge eher bläulich zur Welt kommen. Viele von uns leiden während der Geburt nämlich unter massivem Sauerstoffmangel, weil die kräftigen Muskeln im Unterleib der Weibchen bei der Entbindung so ziemlich alles abquetschen, was uns am Leben erhält. Aber wenn die Neugeborenen diese Tortur überleben, wandelt sich ihr mattes Blau innerhalb weniger Stunden und sie entwickeln dieselbe Hautfarbe wie ihre Erzeuger. Und genau so war es auch bei mir! Die adlige Hochelfengattung meines Vaters besitzt blaues Blut und hat deshalb eine dunkelblau schimmernde Hautfarbe. Fogugh hingegen sieht aus wie ein saftiger Popel: Ihre Haut ist stechend grünlich-gelb. Und beides zusammengemischt ergibt was? Genau! Türkis!“

Ich schaue auf meine Beine, verliere mich einen Moment im Anblick der vielen Narben darauf, bis ich mir einen Ruck gebe, den Kopf schüttle und weiterspreche.

„Von der ungewöhnlichen Farbe mal abgesehen, kümmerte ich auch körperlich nur so vor mich hin. Wie eine Primel im Schatten ... auf Lehmboden ... der gesalzen wurde! Könnt ihr euch vorstellen, wie beschissen es ist, in einer Welt zu leben, in der es ausschließlich um Größe und Stärke geht? Na ja und um Blutrünstigkeit.“

Mit der Zunge schnalzend lege ich mir die Hand aufs Herz.

„Mein Problem ist dabei ja sehr offensichtlich: Ich bin nichts davon! Die meisten unserer Weiber kann man kaum von den Kerlen unterscheiden. Selbst unsere zartesten Grazien haben immer noch dickere Oberschenkel als ich! Seit dem Tag meiner Geburt betrachten mich die Artgenossen als eine Schande und nur unserem Kodex habe ich es zu verdanken, dass ich immer noch lebe. Dieser besagt nämlich, dass kein Kodagrokh einen anderen töten darf, zumindest nicht ohne triftigen Grund. Dieses ungeschriebene Gesetz ist enorm wichtig, denn wir sind ja ein selten dämliches und dazu auch noch sehr impulsives Völkchen. Das hatte zur Folge, dass sich unsere Clans früher in Massen gegenseitig dezimierten, nur weil dem einen die Nase des anderen nicht gefiel. Zwar prügeln wir uns immer noch fleißig, aber wer ein Clanmitglied tötet, verliert seine Stellung sowie all seine Rechte und wird zum Sklaven degradiert. Koda-Sklaven zu töten ist hingegen völlig in Ordnung. Ja, ich weiß. Seltsame Logik.“

Theatralisch schnaufend klettere ich von meinem Felsen und lege den Kopf in den Nacken.

„Jaaaa, ich weiß, das ist alles furchtbar deprimierend ... doch meine Kindheit hatte auch ein paar schöne Seiten. Genau! Ich glaube, am besten ist es, wenn ich euch jetzt gar nicht länger mit meinem Erinnerungsgeschwafel langweile, sondern euch stattdessen direkt in meine Geschichte schicke. Nach Uloth, meinem kleinen Heimatdorf, mitten im Hochsommer ...“

 

Kapitel 1 - Der Tag, an dem der Käfer starb

 

So wie jeden Tag flimmert die sengende Hitze in der Luft, weshalb ich mich meistens in unserer Rundhütte oder im Schatten unter einem der wenigen Bäume aufhalte.

Gestern bin ich fünf Jahre alt geworden und Mama lag bereits am Mittag sturzbesoffen mit dem Gesicht auf dem Tisch. Das ist ihre Art, diesen Tag zu feiern. Heute hat sie deshalb Kopfweh und will allein in der dunklen Hütte sein, weshalb ich draußen sitze und den anderen beim Spielen zuschaue.

Sie sind alle so viel größer als ich. Selbst diejenigen unter ihnen, die zwei oder drei Jahre nach mir geboren wurden. Ich bin gerade mal kniehoch, am Bein eines ausgewachsenen Kodagrokh gemessen, und damit gut zwei Köpfe kleiner als der Durchschnitt meiner Altersgenossen. Wenn die Erwachsenen an mir vorbeistapfen, bebt der trockene Boden und ich sehe die winzigen Steinchen darauf umherhüpfen. Außerdem habe ich das Gefühl, sie bewegen sich allesamt viel langsamer als ich. Ein Haufen schwerfälliger Kolosse, die mir Angst einflößen, besonders der eine, der immer in Ketten durchs Dorf schlurft und auf einer unansehnlichen Decke vor dem Haus des Ältesten schläft.

Ich sitze also mal wieder im Schatten eines Baumes und sehe den anderen Jungkodas beim Spielen zu. Sie haben sich Panzerungen aus Holzstücken, Rinde, Knochen und Metallschrott gebastelt, spielen Krieg der Clane und bewerfen sich dabei mit Steinen, was ihnen überhaupt nichts auszumachen scheint, selbst wenn die Dinger mitten in ihren Gesichtern landen.

‚Warum sind die nur alle so viel zäher als ich?‘, frage ich mich immer wieder, denn von meiner geringen Größe mal abgesehen, sehe ich ja auch körperlich aus, als würde ich unter akuter Mangelernährung leiden ... die anderen dagegen, als seien sie daran schuld. Mopsige Humpen sind das, allesamt! Ich aber kann essen, was ich will, und bleibe trotzdem klein und dünn.

Der mit Abstand Größte unter meinen Altersgenossen ist der fette Durbag, der Sohn unseres Anführers Knorgh Xurl, einem Koloss von Kodagrokh, dem man auch als Kodajunges lieber nicht vor die gewaltigen Füße kommen sollte. Doch seinen kräftigen Sprössling beobachte ich besonders gerne, wahrscheinlich, weil er der einzige Junge ist, der mich nicht ärgert. Er ignoriert mich nur. Generell ist er eher ein ruhiger Typ, der sich selten mit Gleichaltrigen abgibt. Das tut er aber nicht etwa, weil er ein nachdenklicher Bursche ist, sondern er hält sich schlichtweg für etwas Besseres.Als einziger männlicher Nachkomme von unserem Anführer ist er das auch, aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen bewundere ich ihn.

Heute lässt er sich ausnahmsweise mal dazu herab, den Heerführer der kleinen Truppe zu spielen, und hat sichtlich Spaß dabei. Immer wenn ein Windstoß von den spielenden Kindern zu mir herüberfegt, rieche ich ihre verschwitzten Körper, den Duft ihrer von der Sonne beschienenen Haare und meistens auch, was sie zum Frühstück hatten.

Es ist schön ... irgendwie. Eben meine bescheidene Art, am Leben in unserem Clan teilzuhaben, dabei zu sein, selbst wenn ich auf Abstand bleibe. Allerdings wage ich es niemals, sie zu fragen, ob ich mitmachen kann, denn zum einen weiß ich ganz genau, was sie antworten würden, und zum anderen habe ich viel zu große Angst, mich bei ihren rauen Spielen zu verletzen. Aber ich bin halt trotzdem irgendwie gerne in ihrer Nähe. Ich sehe ihnen einfach zu, träume vor mich hin und flechte nebenbei ein paar der gelben Grashalme zusammen.

Es ist ein friedlicher Vormittag. Die Männer sind auf der Jagd und die meisten Frauen gehen ihren handwerklichen Tätigkeiten nach. Sie reparieren Kleidungsstücke, salzen Fleisch ein oder kümmern sich um das wenige Nutzvieh, das wir haben.

Ich bin entspannt, ahne nichts Böses, und als ein kleiner Käfer auf meinem Bein landet, versinke ich mal wieder in meiner Fantasiewelt, so wie häufig. Ich frage mich, wie es wohl ist, ein Käfer zu sein und fliegen zu können? Wie diese Wesen die Welt sehen und wie sie fühlen? In diese Vorstellung steigere ich mich vollkommen hinein und aus diesem Grund bekomme ich auch nicht mit, dass Durbag von seinem Vater gerufen wird. Er haut ab, worauf den anderen Kodas ihr Spiel langweilig wird. Diesmal entgeht mir daher auch das Warnsignal ihrer suchenden Blicke nach Abwechslung, bei denen ich normalerweise sofort das Weite suche.

„He, Drekh!“, ruft Burub und ich zucke erschrocken zusammen, als ich sehe, dass er bereits vor mir steht. Nach Durbag ist er der kräftigste Nachkömmling in meinem Alter, der mich jedoch mit großer Vorliebe ärgert, um sich selbst daran zu ergötzen. Reflexartig schnappe ich mir den Käfer und halte ihn schützend zwischen meinen Händen, doch das ist natürlich erst recht ein gefundenes Fressen für den jungen Tyrannen. „Aaaach, sag bloß, du hast endlich einen Freund?“ Er lacht hämisch und ruft die anderen herbei. „He, seht mal! Drekh kuschelt mit Käfern!“

„Ich beschütze ihn nur“, quäke ich ihm mit meiner piepsigen Stimme entgegen, doch der kleine Rüpel lacht nur umso mehr.

„Du Pimpf willst ihn beschützen?“, höhnt er nun noch lauter johlend, und dann huscht dieses perfide, bösartige Grinsen in sein Gesicht, bei dem ich immer Gänsehaut bekomme. Bevor ich irgendetwas antworten kann, schlägt er von beiden Seiten auf meine Hände und presste diese so mit einem Ruck zusammen.

Ich spüre, wie der Panzer des kleinen Tieres knackt und wie es zwischen meinen Handinnenflächen schleimig-nass wird, weshalb ich sofort zu schluchzen beginne. „Du ... du hast ihn getötet!“

„Oh nein, das waren deine Hände! Du hast ihn zerquetscht!“ Burub lacht mich aus, die anderen tun es ihm gleich. „Ein starker Koda hätte ohne Probleme dagegenhalten können, aber du ... du bist schwach!“ Er hebt die Faust, um mich zu schlagen. „Sieh es ein! So ein Kümmerling wie du kann nichts und niemandenbeschützen!“

„Aber ich kann!“ In diesem Moment trifft ihn ein fester Seitenhieb in die Rippen und augenblicklich sackt er keuchend zusammen. Es ist Chikh, ein Mädchen in unserem Alter, das ihm diesen Haken verpasst hat, und ehe er aufstehen kann, platziert sie noch zwei weitere saftige Schläge in seine Magengrube sowie einen letzten gezielt zwischen die Eier. „Na, hast du genug oder willst du mehr?“, fragt sie provozierend, aber Burub keucht nur noch nach Luft ringend auf dem Boden herum und krümmt sich wie ein hustender Sandwurm. „Was ist mit euch?“ Spucketröpfchen fliegen bei dieser Frage in die Runde der zuvor noch sensationslustig Gaffenden, die Chikh nun völlig entgeistert anstarren.

„Warum verteidigst du den Schwächling?“, giftet Gulfim sie an, hilft seinem besten Freund hoch und sieht mich verachtungsvoll an. Chikh zieht nur ihre Nase kraus, die wie der Rest ihrer Haut mit vereinzelten, kleinen Hornhautplatten überwachsen ist, und zeigt auf die verknoteten Grashalme zu meinen Füßen.

„Weil er schön flechten kann und ich ein Band für meine Haare will!“ Dabei pustet sie ihre rote, wilde Mähne aus dem Gesicht, deren Strähnen ihr ständig vor den Augen hängen, und tritt eine Ladung Staub in Richtung ihrer Spielgefährten. „Und jetzt verzieht euch!“

Vollkommen fassungslos glotze ich der fluchenden, kleinen Meute hinterher und bewundere gleichermaßen das stämmige Gör mit den Hammerfäusten, das sie in die Flucht geschlagen hat.

„Da-Danke“, schniefe ich, doch sie wirft mir nur einen strengen Blick zu.

„Stotterst du?“, fragt sie harsch und kneift ihre großen Kulleraugen prüfend zu engen Schlitzen zusammen.

Ich schlucke schwer. „Äh, nein?“

„Dann antworte ordentlich!“, blafft sie, stemmt die Fäuste in ihren kindlichen Hüftspeck und reckt die Nase selbstbewusst in die Höhe. „Sag: Danke, oh große, wundervolle Chikh, dass du mich gerettet hast! Dafür mach ich dir jetzt ein Haarband!“

„Äh ... gut, ähm ... Danke, oh große -“

„Ja, ja, das reicht schon!“, unterbricht sie mich gleich und grinst von einem Ohr zum anderen, ehe sie wie eine panische Ratte zu buddeln beginnt. „Da“, sagt sie schließlich, nachdem sie ein kleines Loch gegraben hat, und zeigt mit ihrem knubbligen Wurstfinger drauf. „Beerdige das Krabbeltier ehrenvoll und dann hör auf, ihm hinterherzutrauern!“ Ehe ich mich versehe, packt sie meine Hände, zieht sie über dem Loch auseinander und schüttelt sie, bis sich das kleine zermatschte Insekt von meiner Haut löst und in ihre Grube fällt. Dann rubbelt sie meine Hände im Staub trocken und schiebt mit ihnen die Erde zurück, um das kleine Grab wieder zuzuschaufeln. „Hatte dein Freund einen Namen?“

„Ich ... ich weiß nicht“, stammle ich, doch sie nickt.

„Gut. Dann äh ... finde Ruhe in Orkhos Unterwelt, Käferlie! Und möge dein Totmacher den Rest seines Lebens die Luft zwischen den Beinen eines verschwitzten Trolls schnüffeln müssen!“ Ich glotze sie fassungslos an, aber plötzlich ... lache ich los. Ich lache so sehr, wie ich noch nie zuvor gelacht habe, und kann auch nicht damit aufhören, als sie mich anstößt und ermahnt: „Ey! So eine Beerdigung ist eine ernste Sache! Reiß dich mal zusammen und werde erwachsen!“

„Entschuldige, entschuldige“, wiederhole ich immer wieder, doch es braucht eine halbe Ewigkeit, bis ich mich vollständig beruhigt und zu glucksen aufgehört habe.

„Schön, die große Chikh verzeiht dir“, verkündet sie mit abermals erhobener Nase und zeigt erneut auf die Gräser. „Und jetzt flechte mir gefälligst ein hübsches Haarband!“

***

Hätte Burub meinen Käfer nicht getötet, wäre Chikh vielleicht nie auf mich aufmerksam geworden. Doch so knüpfe ich ihr seit diesem schicksalsträchtigen Tage an jedem Morgen ein neues Haarband, denn die trockenen Gräser halten natürlich nicht lange. Erst einige Zeit später komme ich auf die zündende Idee, dass ich stattdessen ja auch einfach mal direkt ihre Haare flechten könnte. Dafür besucht sie mich immer nach dem Frühstück in unserer kleinen Hütte, bevor sie mit den anderen Kindern spielen geht, und ab und zu bleibt sie sogar den ganzen Tag bei mir. Zwischen dem stärksten Jungkodamädchen und mir entwickelt sich eine Freundschaft, die niemand versteht. Aber so unterschiedlich wir beide sind, so finden wir doch auch ein paar Gemeinsamkeiten, die uns verbinden. Chikhs Vater zum Beispiel, der Schmied Ushug, hat genauso wenig Zeit für seine Tochter wie meine Mutter für mich. Die ist, als eine der wenigen Kriegerinnen in unserem Clan, viel unterwegs, und das bisschen Zeit, das sie in Uloth verbringt, füllt sie mit Trinken und Trübsal blasen. Ushug arbeitet den ganzen Tag und so bekommt ihn Chikh eigentlich nur zu den Fresszeiten zu sehen. Viel wichtiger ist jedoch, dass ich meinen Vater nie kennengelernt habe und auch Chikhs Mutter vor einem Jahr verstorben ist. Auf eine verschrobene Art, und ohne im selben Haus zu leben, werden wir also auf diesem Weg so etwas wie eine Familie auf Entfernung.

***

Die Jahre vergehen und Chikhs morgendliche Besuche bei mir werden immer unregelmäßiger. Auch spielt sie weniger mit den anderen Kindern und keiner weiß, was sie den ganzen Tag treibt. Sie verschwindet einfach von der Bildfläche und taucht dann oft erst am Abend bei mir auf, ohne Erklärungen und ohne darüber reden zu wollen.

Heute, als sie mal wieder schon nach einem kurzen Hallo und zwei Zöpfen verschwinden will, frage ich sie endlich: „Wohin gehst du?“

Doch da reckt sie nur wieder ihre kleine Stupsnase in die Luft und erklärt mit verschwörerisch grinsender Miene: „Das ist ein Geheimnis!“

‚Ein Geheimnis?‘

„Hrmpf.“ Normalerweise bin ich ja kein sehr trotziger Typ, aber nachdem sie mir selbst von ihrem letzten Nagelpilz erzählt hat, frage ich mich schon, wieso sie aus dieser Sache jetzt ein solches Ratespielchen macht? Entschlossen kratze ich all meinen Mut auf meine Zunge und hake nach, während sie mir bereits den Rücken zukehrt. „Zeigst du es mir?“

Chikh bleibt stehen, schaut mit misstrauisch verengten Augen über ihre schuppige Schulter und mustert mich prüfend. „Kannst du denn dichthalten?“

Leicht verwirrt schaue ich an mir runter. „Äh ja?! Schon seit ich laufen kann.“

„Mein Geheimnis, nicht dein Pipi!!!“, schnorfzt sie lachend und dreht sich schwungvoll zu mir um. „Wenn du auf die Arschpickel des großen Orkhos schwörst, dass du niemals jemandem davon erzählst, dann zeige ich es dir!“

Sofort hüpfe ich hibbelig auf der Stelle. „Ja, ja! Ich schwöre, ich schwöre!!!“

„Na schön!“ Sie hält mir ihren kleinen Finger hin, in den ich mit meinem einhaken muss. „Wenn du lügst und es verrätst, mögen dir den Rest deines Lebens beim Kacken die Fußsohlen jucken!“

„So soll es sein!“ Ich versuche ernst zu bleiben und nicke, denn Chikh hat mir schon mehrfach eingebläut, dass man bei Schwüren nicht lachen darf, egal wie albern sie klingen.

„Gut! Na dann ... folge mir unauffällig!“

‚Wir sind die beiden Sonderlinge des Dorfes! Wir können überhaupt nicht nicht auffallen!‘

Egal. Ich folge ihr einfach und husche, genau wie sie, von einem Versteck zum anderen. Erst spurten wir von einer Hütte zur nächsten, immer darauf bedacht, in deren Schatten zu bleiben, dann bieten uns ein paar Felsen, Büsche und knorrige Sträucher Schutz. Schließlich eiern wir im Gleichschritt den ausladenden, wabbligen Pobacken von Lörksch, unserer Dorfköchin, hinterher, bis zum Fressplatz, wo wir unter den Bänken hindurchschliddern. Von dort sausen wir zum alten Brunnen und schleichen uns zu guter Letzt bis zur Schmiede ihres Vaters, vor der fünf massige Krieger stehen und mit ihm diskutieren.

„Hah! Sie sind schon da!“, flüstert Chikh aufgeregt und wir ducken uns hinter den großen Karren, der mit einem dreckigen Leinentuch abgedeckt ist.

„Ich will sechs Äxte, zwei Macheten und drei Morgensterne“, grollt Lohrk, einer der besten Krieger unseres Clans, und ich höre, wie er die Abdeckung hochzieht. „Sollte genug dafür drin sein.“

„Hrrmm ...“, knurrt der Berg von einem Schmied und scheint sich die Ladung kurz anzusehen, denn es klimpert und scheppert in dem Gefährt. „Viel Schrott dabei“, murrt er. „Gelbes Metall, weich. Unbrauchbar für Waffen. Wir sehen.“ Er ist sprachtechnisch nicht der Hellste und sein Wortschatz ist ziemlich beschränkt, aber sein Handwerk versteht er.

„Gut. Gib dann Bescheid“, antworten die Krieger und man hört, wie Fäuste aneinanderschlagen, ehe sich schwere Schritte entfernen.

„Jetzt“, flüstert mir Chikh plötzlich zu, als sich der Wagen scheppernd in Bewegung setzt, und springt auf die Aufstiegsplanke, noch ehe ich „Was?“ fragen kann. Umgehend packt sie meinen ausgestreckten Arm und zerrt mich wie einen nassen Sack zu sich rauf, wo wir beide unter die Abdeckung schlüpfen.

„Was machen wir hier?“, flüstere ich ihr panisch zu, während wir uns zwischen all dem seltsam riechenden, fremden Zeug verstecken, aber Chikh zischt mich diesmal nur wortlos an und hält sich ihren knubbeligen Zeigefinger vor die Lippen.

„Nicht bewegen! Still sein! Abwarten!“, ordnet sie an, da öffnet sich eine knarrende Tür und gleich darauf ist die holprige Reise auch schon wieder vorbei. Mit einem Ruck und kurzem Scheppern der Ladung kommt das Fuhrwerk zum Stehen und wird abgestellt. Wir hören ihren Vater schwerfällig grunzen. Drückende Hitze dringt durch den Leinenstoff und es klingt, als würde eine Verriegelung geschlossen werden. Dann entfernen sich dumpf klingende Schritte in den vorderen Bereich der Schmiede und eine weitere schwere Tür fällt knallend ins Schloss. Sobald nur noch das leichte Knistern von brennendem Holz zu hören ist, schiebt Chikh die Plane von unseren Köpfen.

„Ha! Hat geklappt!“, jubelt sie freudig, doch ich bleibe vorerst geduckt zwischen dem Kram hocken und sehe mich erst mal nur ängstlich um.

‚Wir sind im Lager ... im hinteren Teil von Ushugs Schmiede! Aber ... Jungkodas dürfen doch gar nicht in -‘

„Glotz nicht nur Löcher in die Luft! Steh auf und schau dich um!“, reißt mich Chikh aus meinen Gedanken und verpasst mir einen Klaps, während sie lacht. „Du solltest dich mal sehen. Siehst aus wie ein verängstigter kleiner Knadlikh[Fußnote 2], mit deinen aufgerissenen Glubschaugen! Leg los, das macht Spaß!“

„Ähm ...“, beginne ich verunsichert und hebe den Finger, während sie schon auf dem Karren zu wühlen beginnt. „Was genau tun wir denn hier Spaßiges? Plunder sortieren?“

„Nein, du Ei! Wir untersuchen das Zeug und schauen, was wir davon gebrauchen können!“ Mit Begeisterung buddelt sie sich bereits durch all die seltsam farbenfrohen, weichen Kleidungsstücke, verzierten Kisten und kunstvoll verschnörkelten Waffen, die ich nach und nach auf der Ladefläche erkenne. Doch das Meiste ist mit Blut besprenkelt, was nicht unbedingt dazu führt, dass ich es anfassen will. „Na los, beeil dich!“, treibt mich Chikh an, als sie sieht, dass ich nur angeekelt mit zwei Fingern ein Stück blutdurchtränkten Stoff hochhebe. „Mein Vater braucht zwar eine Weile, um den Ofen anzuheizen und den Schmelztiegel vorzubereiten, aber viel Zeit haben wir trotzdem nicht, also mach hin!“

Ganz offensichtlich bereitet es ihr eine große Freude, all die fremden Dinge zu durchsuchen. Zuerst zieht sie sich eines der schmal geschnittenen Kleidchen über Kopf und Brust, doch es reißt an ihrem breiten Rücken, sodass sie es angewidert von sich rupft. Darauf schwingt sie ein seltsames, langes Brotmesser durch die Luft und knackt damit eine der Truhen. In dieser liegen viele kleine Scheibchen aus gelbem Metall, aber auch glitzernde Kugeln an Schnüren und wunderschön schimmernde Bänder mit funkelnden, bunten Steinen.

„Was ist das alles?“ Ich bin überwältigt, lasse meine Finger über die Plättchen gleiten und nehme einige der hübschen Kugelleinen heraus.

Chikh bewirft mich mit einer Handvoll durchsichtiger Steinchen und gluckst. „Das ist Beute! Mein Vater schmilzt alles ein, was Metall ist, und versucht daraus Töpfe, Ketten und Waffen zu machen. Aber schau mal hier ...“ Da verbiegt sie plötzlich eines der gelben Plättchen, als wäre es ein frischer Zweig. „Das Meiste ist viel zu weich. Deshalb muss er es mit Eisen mischen.“

Fasziniert nehme ich es ihr aus der Hand und selbst ich, der ja nun wirklich wenig Kraft hat, kann ohne Probleme mit meinen Krallen Linien in das Metall ritzen. Dabei fällt mir auf, dass auf der nach außen gebogenen Seite des Scheibchens eine Blüte abgebildet ist, und bin umso mehr erstaunt. „Ich hätte niemals gedacht, dass ein Kodagrokh so etwas Feines herstellen kann! Kommt das alles von einem verfeindeten Clan?“

„Pfff!“, prustet Chikh sofort und schnappt sich eines der hellblauen Höschen. „Glaubst du wirklich, wir würden so was tragen?“ Doch als ich zu ihr aufschaue, wackelt sie nachdenklich mit dem Kopf, als wäre sie sich gar nicht so sicher. „Na ja, also von den Thürka ist das Zeug garantiert nicht! Den meisten Streit haben wir mit dem Orghash-Clan, sagt Vater, weil die immer wieder die Grenzen überschreiten. Aber guck dir all das Blut an ... Die würden wir niemals so abschlachten. Ich glaube, das hier ist von den Makhorien!“

„Den Makhorien?“, wiederhole ich und bin erstaunt, denn das, was dieser Clan herstellt, ist einfach unglaublich schön.

„Ja! Die Krieger reden ab und zu über sie“, erzählt Chikh weiter und steckt sich einige Dolche mit Schlangenköpfen in ihren Gürtel. „Das sind keine Kodagrokh, aber es muss ein sehr angesehener Clan sein, der weit weg von uns lebt. Das Dorf, in dem sie leben, heißt Vehlen. Es gibt immer wieder Karawanen, die dorthin unterwegs sind oder von da kommen. Voll beladen mit solchen Sachen.“

„Wahnsinn! Dort würde ich zu gerne mal hin“, gerate ich in Begeisterung. „Bei denen ist bestimmt alles viel hübscher als hier bei uns.“

„Mag sein“, grunzt Chikh und hängt sich schon die sechste Kette um. „Aber was bringt einem ein Haus voller schöner Dinge, wenn man es nicht verteidigen kann? Offenbar sind sie ja sehr leicht zu überwältigen, und unsere Krieger sagen auch immer, dass sie ein Volk voller Schwächlinge sind.“

‚Das kann aber nicht stimmen‘, kommt es mir in den Sinn. Wäre ihr Dorf so leicht einzunehmen, hätten es unsere Krieger schon längst getan, da bin ich mir sicher. Lange kann ich jedoch nicht darüber nachdenken, denn Chikh knackt gerade die nächste Truhe auf und schaut neugierig hinein.

Sie durchwühlt den Inhalt und ein seltsamer Geruch steigt daraus empor. Eine Mischung aus verschiedenen Grasnoten, etwas Säuerlichem und einem Hauch süßlichem Gammel erreicht meine Nase. „Ngaach. So viel Zeug und nur Mist!“, schimpft Chikh frustriert und dreht sich enttäuscht weg. „Dabei ist die Truhe so hochwertig.“

Ich bin mir noch immer nicht so richtig sicher, wonach sie eigentlich sucht und was sie mit diesem ganzen Flitterkram will, aber die gelben Scheiben scheinen sie am meisten zu interessieren, denn die hortet sie alle in Leinensäcken zum Mitnehmen. Mein Blick huscht derweil über das, was sie so kaltlässt, und entdeckt eine wunderschöne, fluffige, silberweiße Feder, deren Ende in einer spitzen, verzierten Metallfassung steckt.

„Ooooh ... die ist aber schön“, seufze ich gebannt und streiche mit den Fingern über den weichen Flaum. „Darf ich die behalten?“

Chikh schaut regelrecht angewidert auf die Feder und wirft mir gleich darauf einen so verständnislosen Blick zu, als hätte ich einen Haufen Nacktschnecken in der Hand. „Pfff ... na wenn du unbedingt willst, dann nimm sie halt mit! Aber lass dir nicht einfallen, sie in deine Haare zu stecken und damit herumzulaufen wie ein Gockel. Da kann selbst ich dich nicht mehr vor Dresche beschützen!“

„Nein, natürlich nicht!“

‚Genau das hatte ich vor. Aber na ja, ist wahrscheinlich wirklich keine gute Idee, zumal die nicht lange so schön weiß bleiben würde.‘

In derselben Truhe entdecke ich aber noch weitere wunderliche Sachen, die mich interessieren. Hübsche Bretter, eingefasst in gefärbtes, verziertes Leder, die ganze Stapel dünner, reihenweise bemusterter Stoffe umschließen, welche alle auf dieselbe Größe zugeschnitten sind. Die Stoffe scheinen aber schon ziemlich alt und spröde zu sein, denn sie reißen sofort, wenn man daran zieht. Einige davon liegen auch einzeln in der Truhe, zusammen mit weiteren Federn und kleinen, verkorkten, schwarz schimmernden Gefäßen. Außerdem entdecke ich noch ein seltsames Stück Reptilienhaut, größer als die aller Echsen, die es hier gibt, und ein paar sehr schöne Stiefel, die mir zwar zu groß sind, aber für einen erwachsenen Koda wären sie auch zu klein. Müssen also für einen Halbwüchsigen sein. „Was geschieht denn eigentlich mit all den Sachen, die nicht eingeschmolzen werden?“, will ich wissen, doch Chikh zuckt nur mit den Schultern.

„Keine Ahnung, aber wenn ich zu spät komme, ist alles weg, bis auf den letzten Fitzel. Ich glaube, Vater benutzt die Reste zum Schluss, um das Feuer im Schmelzofen am Laufen zu halten.“

Geschockt starre ich sie an. „Er verbrennt all die schönen Sachen?“

„Na ja, nicht alles“, berichtigt sie sich. „Die Ledersachen und die Kleidungsstücke kriegt Zulah, die Näherin. Die schneidet sie auseinander und färbt sie zur späteren Verwendung einheitlich schwarz oder braun. Wenn noch was Essbares dabei ist, geht es an Lörksch, aber die wirft auch einfach nur alles in ihren Gulaschto-“ Plötzlich stockt sie, denn in diesem Moment zieht sie mit den Dolchen in ihrem Gürtel versehentlich einen dicken Lappen von einem rosafarbenen Kasten. Ihre Augen leuchten auf und sie hält einen Augenblick ehrfürchtig inne. „Oh bitte ... bitte lass da welche drin sein!“, flüstert sie aufgeregt und greift mit zittrigen Händen nach dem Verschluss. Nachdem sie diesen geöffnet und den Deckel angehoben hat, verströmt der Inhalt der Kiste einen so unglaublich süßen Duft, wie ich ihn noch nirgends gerochen habe. Ich erkenne kaum, was sich genau darin befindet, denn Chikh stößt sofort einen spitzen Quietscher aus und stürzt sich wie ein ausgehungerter Slapdud[Fußnote 3] auf einen schlotzigen Kadaver.

Ich kichere leise. „Das war es also, was du so dringend gesucht hast? Was zu fressen?“

Sie erstarrt, wendet ganz langsam den Kopf zu mir und funkelt mich mit prallgefüllten Backen böse an, ehe sie mühevoll weiterkaut.

„Daff ifft niff nur waff fu freffen!!!“ Das Zeug krümelt ihr beim Sprechen aus dem verklebten Mund, doch sie will offenbar noch nicht schlucken.

„Was ist es denn?“, frage ich neugierig und strecke mich, um in die Kiste zu schauen. „Darf ich auch mal probieren?“

Da knallt sie sofort den Deckel zu, blubbert mich an und wubbelt ihren Babyspeckhintern zwischen mich und ihren Schatz. „Meinff!!!“[Fußnote 4]

‚Echt jetzt? So besitzergreifend hab ich sie ja noch nie erlebt. Diese Dinger müssen wirklich gut sein.‘

Sorgfältig verriegelt sie die große Kiste, bindet sich ihren gefüllten Beutesack um die Schultern und stemmt die Truhe mit beiden Armen auf ihren Kopf. Im Anschluss springt sie, vor Anstrengung schnaufend, mit all ihrem Diebesgut von der Ladefläche zu Boden. Offenbar hat sie nun alles, was sie wollte.

„Hey! Warte auf mich!“, rufe ich ihr leise hinterher, aber sie schleppt unbeirrt zielsicher das schwere Ding in Richtung Eingangstor, welches jedoch ganz sicher abgesperrt ist. Das Krachen des Riegels war vorhin ja nicht zu überhören. Gerade als ich sie daran erinnern will, drückt sie jedoch mühelos ein lockeres Brett beiseite, das offenbar nur noch in der Mitte an einem Nagel hängt. Dort hindurch schiebt sie die Kiste, die zwar an beiden Seiten schrammt, aber trotzdem noch gerade so durchpasst. Als Nächstes schlüpft Chikh selbst ins Freie.

‚Jetzt lässt die mich hier einfach so zurück?‘

Fast fange ich lauthals zu heulen an, da klappert das lose Brett und ihr roter Zottelkopf ploppt erneut herein. Sie sieht mich fragend an. „Kommst du?“

„Aber ... ich will auch was mitnehmen!“, motze ich und sie kichert.

„Na dann nimmwas mit und komm endlich! Mein Vater klopft dich zu Mus, wenn er dich auf dem Karren erwischt!“

‚Oh nein! Das will ich ganz sicher nicht!‘

Schnell schaue ich mich nochmal um, aber es gibt so vieles, das ich gern mitnehmen würde, auch wenn ich einiges davon nicht mal hochheben kann. Kurzentschlossen schnappe ich mir einfach einen der Röcke, lasse diesen auf den sandigen Boden segeln und werfe dann ein paar hübsche Sachen über die Kante, die darauf landen. Im hohen Bogen fliegen Ketten, Stoffe, Echsenhaut, Lederbrettbündel, zwei von diesen glitzernden Gefäßen und sämtliche Federn, einschließlich dem zuletzt gefundenen großen, schwarzen Bündel, versteckt in einer bauchigen Tasche, die ich ebenfalls mitnehme. Aus denen kann ich mir einen exzellenten Kragen basteln!

Plötzlich nähern sich stampfende Schritte. Und obwohl ich eigentlich noch so viel mehr mopsen will, springe ich schnell vom Wagen.

„Verdammt, Drekh! Die Abdeckplane! Naaargh du bist so eine Tranfunzel!“ Chikh knotet bereits die Enden zusammen, doch dieser Beutesack ist so schwer, dass wir ihn selbst zu zweit kaum bewegt kriegen. Die Schritte kommen jedoch immer näher, also schleifen wir das Zeug kurzerhand nur neben die Holzscheite, die dicht hinter uns im Dunkeln liegen. „Sag mal, hast du überhaupt irgendwas nicht mitgenommen?“

Bevor ich antworten kann, reißt Ushug bereits das Tor zum vorderen Teil seiner halboffenen Schmiede auf und stapft um den massiven Stützpfeiler herum in Richtung des Raubgutes auf dem Karren.

‚Oh nein! Wenn er uns entdeckt, wird er mir beide Hände abreißen!‘

In meiner Panik schleudere ich ein kleines Holzscheit zur gegenüberliegenden Seite, treffe drei aufeinandergestapelte, halbfertige Äxte und diese krachen mit lautem Getöse zusammen.

„Nrrraaaach!!!“, grollt Ushug und ändert seine Richtung. „Verfluchtes Zeug! Aufhängen besser!“

Während ich noch völlig perplex bin, dass mein spontaner Einfall funktioniert hat, springt Chikh auf den Karren, zieht die Plane zurecht, hüpft wieder runter und zerrt mich mit unter den Wagenboden. Ushug hängt gerade den letzten Rohling an einen Wandhaken, dann trottet er zum Karren, spannt sich selbst davor und zieht mit dem Joch für die Zugtiere all die schönen Dinge in den vorderen Teil seiner Werkstatt, zum Schmelztiegel.

Hätte er sich auch nur noch einmal umgedreht, wären wir dran gewesen.

***

„Hättefft ma dein Gefifft fehen follen! Haft geguckt fie ein Froff!“ Chikh bepisst sich schon den ganzen Marsch hindurch, lacht wie eine gackernde Gans und besprenkelt dabei die halbe Steppe mit speicheldurchtränkten Teigkrümeln. Ihre Lippen sind inzwischen komplett mit diesen kleinen, weißen Kristallen bedeckt und sehen genauso aus wie die Teigbälle, die sie die ganze Zeit aus der Kiste angelt und in sich hineinstopft. Na ja, immerhin wird sie dadurch leichter. Also die Kiste, nicht sie.

Wir sind auf dem Weg zu ihrem Versteck und zum Glück ist das Tal heute friedlich. Normalerweise dürfen wir Jungkodas das Dorf nicht verlassen, aber Chikh hält sich ja sowieso an nichts.

„So gefährlich ist es hier draußen nicht“, sagt sie immer und mittlerweile gebe ich ihr sogar recht. Wir leben in einer kargen Landschaft mit einfachen Pflanzen und noch einfacheren Bewohnern. Hartschalige Insekten, ein paar hässliche Geiervögel, Ratten, vereinzelt auch mal ein Slapdud oder ein paar Steppenknadlikhs. Das sind die einzigen natürlich vorkommenden Lebewesen, mehr gibt es hier nicht. Das Viehzeug, das wir im Dorf haben, ist überwiegend aus anderen Regionen eingeführt worden und würde in der freien Wildbahn auch nicht überleben. In unserer steinigen Landschaft hier wachsen nur stachlige Pflanzen und die Einöde wird auch nur gelegentlich von einigen wenigen Nadelbaumgruppen unterbrochen, welche zur Mittagszeit die einzigen Schattenspender sind. Unser Dorf, mit seinen knapp vierzig kugelartigen Hütten aus Ästen, Lehm und Huftierscheiße, liegt inmitten eines solchen Hains und ist die einzige Heimat, die ich kenne. Die Tage sind heiß und die Nächte eiskalt, deshalb lebt auch niemand freiwillig hier, außer uns, was Vor- und Nachteile hat. Man hat seine Ruhe, es gibt nur wenige Überfälle oder gar jemanden, der uns das Land streitig machen will, aber dafür sind unsere Entfaltungsmöglichkeiten eben stark begrenzt.

„Sind wir bald da?“, schnaufe ich, denn im Gegensatz zu ihr bin ich völlig erschöpft, auch wenn wir unsere abgezwackte Beute mit dem kleinen Handwagen des Dorfältesten transportieren, welchen wir uns ungefragt ausgeliehen haben.

Also den Wagen, nicht den Ältesten.

Chikh schluckt und langt abermals unter den Deckel ihrer Fresskiste. „Ja, ja, da vorne ist es doch schon.“

Wir steuern auf einen Felsen zu, der auf einem kleinen Hügel thront. Zwar ist dieses Fleckchen Erde zwischen einigen Nadelbäumen verborgen, doch selbst als wir ankommen, kann ich nichts erkennen, das einem Versteck auch nur ähnlich ist. Inmitten gelber Farne entdecke ich jedoch schließlich den Eingang zu einem alten Knadlikhbau, aber es genügt ein grober Abgleich des Erdlochs mit Chikhs Schulterbreite, um zu wissen, dass sie da nicht hineinpasst.

„Ähm ... da drin hast du all dein geklautes Zeug?“

„Nääää!“, knätscht sie und zeigt mit ihrem fettigen Krümelfinger in Richtung Himmel. „Da oben.“

Ich lege den Kopf in den Nacken, verfolge den elendig langen Stamm mit den Augen und schlucke überrascht, als ich tatsächlich ganz oben in der Nadelkrone eine Art Zelt auf einem Bretterboden erblicke.

„Äh ... W-Wie kommst du da hoch?“

„Du sollst nicht immer so stottern!“ Chikh grinst, geht zu der kleinen Knadlikhhöhle und holt von dort eine Kiste, in der ein Seil liegt. „Damit!“ Sofort schnappt sie sich ihren Leinenbeutel, hängt ihn sich um die Schultern und schleudert den Strick um den Baumstamm, ehe sie die beiden offenen Enden um ihre Handgelenke wickelt. „So! Jetzt pass gut auf!“, fordert sie, stemmt ihre Füße gegen die Rinde und gleichzeitig ihren Oberkörper in den Zug des Seils. Ehe ich mich versehe, klettert sie nach oben, indem sie es immer wieder mit einem Schwung ein Stück höher setzt und diesem mit zwei kurzen Schritten folgt. Bereits wenige Augenblicke später hat sie es geschafft, zieht sich auf die Plattform und wirft mir ihr Hilfsmittel nach unten. „Na los, jetzt du!“

„W-Was? I-Ich? Ich kann das aber nicht!“ Unverzüglich bekomme ich Herzrasen und einen Schweißausbruch vom Feinsten. „Was, wenn ich abrutsche und runterfalle?“

Chikh stöhnt genervt und selbst von hier unten sehe ich, wie sie die Augen verdreht. Dann zieht sie sich wortlos in ihr Zelt zurück und ich bin schon drauf und dran zu gehen, als mir plötzlich etwas auf den Kopf fällt.

„Aua!“, jammere ich und reibe mir den Schädel, doch ehe ich losmeckern kann, sehe ich, dass es das geknotete Ende eines zweiten Stricks ist, den sie über einen der höher gelegenen Äste geworfen hat. Mit dem kann sie mich ganz einfach nach oben ziehen! „Oh, großartige Idee, Chikh!“, rufe ich begeistert und will mir den Strick um den Bauch schlingen, aber da stoppt sie mich gleich.

„Was machst du denn da? Nein, nein, binde deinen Sack an das Ende!“

Das Blut weicht mir aus den Wangen. „Spinnst du? Du kannst mich doch nicht an meinem Sack hochziehen!“

Eine halbe Ewigkeit höre ich ihrem laut gackernden Lachen zu, bis ich endlich schnalle, dass sie gar nicht meine Klöten meinte. Grummelnd knüpfe ich das Rock-Bündel an ihren kleinen Flaschenzug und sie zieht, immer wieder glucksend, nach und nach unser ganzes Raubgut hoch. Zum Schluss, als alles bis auf das Wägelchen gesichert ist, muss ich den Stamm doch noch auf dieselbe Weise nach oben kraxeln, wie sie es getan hat. Aber wenigstens darf ich mich mit dem Zugseil um den Bauch sichern.

Die ganze Zeit über vermeide ich krampfhaft, nach unten zu schauen, doch auf halber Höhe passiert das natürlich und ich erleide eine mittelschwere Panikattacke. „Komm schon! Einfach weiterhangeln!“, ruft Chikh und zuppelt an dem Sicherungsseil, als wäre es eine Angel.

„I-Ich v-v-versuchs doch ...“, stammle ich, klebe aber wie eine Nacktschnecke am Stamm fest und bewege mich kein Stück. Auf einmal höre ich Chikhs genervtes Brubbeln, und noch ehe ich mir darüber Gedanken machen kann, pflückt sie mich wie ein saftiges Früchtchen mit einem herzhaften Ruck vom Baum.

„Whaaaahaaahaaa!!!“, schreie ich und zapple im Seil hängend, rudere in panischen Schwimmbewegungen zum Baumstamm hin, doch es nützt nichts.

„Drekh Durz, jetzt halt stillverdammt, sonst löst sich der Knoten und du klatschst mir wirklich noch runter!“ Schlotternd krümme ich mich wie ein Wurm an der Angel und spüre, wie mir der Strick in den Bauch schneidet, an dem mich Chikh in sechs schnellen Zügen nach oben zieht. Dort angekommen wuchtet sie mich sofort auf ihre Aussichtsplattform. „Siehste! War doch gar nicht so schwer!“ Sie klopft mir auf die Schulter und scheint nicht mal richtig ins Schwitzen gekommen zu sein. „Aber denk ja nicht, dass ich dich jetzt jeden Tag hier hochzerre! Ab morgen übst du das mit dem Baumklettern!“

„Määhhää! Ich will niiiiicht!“, blöke ich ängstlich. „Kodagrokh sind nicht dafür gemacht, auf Bäume zu klettern! Wir gehören mit beiden Füßen auf die Erde!“ Zitternd presse ich mich auf den Boden des Ausgucks, verschmelze fast damit, um mich an die Höhe zu gewöhnen. Doch das modrige Holz unter mir knarrt, die Tücher flattern im Wind und dieses ganze wacklige Konstrukt schwankt auch noch mit dem Baum hin und her. „Ich ... will hier runteeeer!“

„Du bist so ein Weicheimer!“ Chikh kichert unbeeindruckt und setzt sich. „Du gewöhnst dich dran. Leg dich auf den Rücken und schau nach oben!“ Sie tut es selbst und zieht an einem weiteren Seil, worauf sich das Zelt obenrum öffnet. Daraufhin schnappt sie sich wieder was aus ihrer süßen Fresskiste. „Da! Guck mal, wie schön der Himmel aussieht!“ Mühsam rolle ich mich auf den Rücken, sehr darauf bedacht, nicht noch einmal über die Kante zu schauen, aber als ich schließlich neben Chikh liege, wird es langsam besser. Ich staune, wie sie nach all der Anstrengung immer noch ihre Teigbälle futtern kann. Müsste sie nicht eher Durst haben? „Hier. Hast du dir verdient“, zeigt sie sich sogar spendabel, schnappt sich meine zitternde Hand und drückt mir die letzte Kugel hinein.

„Äh ... danke.“ Als ich in das klebrige, süße Bällchen hineinbeiße, verstehe ich sofort, warum sie die so verteidigt hat. „Oh großer Orkhos! Sind die gut!“ Sie sind unglaublich lecker! Die braungelbe Kruste riecht nach Ofen und ist süßer als Honig, was vor allem an den weißen Kristallen zu liegen scheint, in denen das Ding gewälzt wurde. Der luftige Teig darunter ist weich wie ein Schwämmchen und in der Mitte befindet sich ein Kern aus rotbraunem, säuerlichem Fruchtmus, das einem auf der Zunge zergeht. Das kleine Gebäck ist so köstlich, dass ich den Geschmack nicht annähernd beschreiben kann, doch bereits beim ersten Bissen vergesse ich meine Angst. Nur drei Happs, dann ist die kleine Leckerei verschwunden und ich trauere ihr jetzt schon hinterher. „Weißt du, woraus die bestehen? Vielleicht können wir sie nachbacken?“

„Prrfff“, prustet Chikh und schüttelt den Kopf. „Selbst wenn wir die Zutaten dafür hätten, wüsste doch keiner von uns beiden, wie man sie zubereitet! Das ist sicher nicht einfach.“

Ich überlege kurz. „Dann gehen wir eben zu denen, die sie erfunden haben, und lassen uns zeigen, wie sie gemacht werden.“

„Genau! Wir spazieren einfach nach Vehlen und sagen: Hey, wir schlachten uns zwar seit Jahrhunderten gegenseitig ab, aber wollen wir nicht auch mal zusammen backen?“

Wir lachen beide, denn das ist natürlich absurd. Trotzdem helfen diese Gedankenspiele, mich von meiner Höhenangst abzulenken. Solange ich nur in die Ferne schaue, funktioniert es bereits. Ja, ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass der Ausblick unglaublich schön ist und mich beruhigt.

„Chikh?“, frage ich nach einer Weile und setze mich auf. „Hast du all das hier gebaut?“

„Nein“, antwortet sie plötzlich ungewohnt leise und stützt sich auf die Ellenbogen. „Meine Mutter war‘s.“ Verblüfft sehe ich sie an und zum ersten Mal erkenne ich in ihrem sonst eher trotzigen Blick ein feuchtes Schimmern. „Sie mochte die anderen Kodas nicht. Das Dorf war ihr oft zu laut und zu hektisch. Sie war stark, aber auch sehr krank und brauchte einen Rückzugsort. Deshalb baute sie diesen Unterschlupf hier, ohne dass es irgendwer mitbekam. Kurz bevor sie starb, zeigte sie ihn mir, brachte mir das sichere Klettern bei und ich musste ihr versprechen, unser Versteck vor den anderen Kodas geheim zu halten.“

Ich bin sprachlos, denn erst jetzt verstehe ich, was es für ein großer Vertrauensbeweis war, mich mit hierherzunehmen. Augenblicklich bin ich sehr gerührt. „Danke, dass du es mir trotzdem gezeigt hast“, flüstere ich und lege ihr meine Hand auf die Schulter. „Ich verspreche, dass ich es niemandem zeigen werde!“

Da lehnt sie sich plötzlich zu mir rüber und küsst mich auf die Wange. „Schon gut“, seufzt sie danach leise und wischt sich lächelnd über die Augen. „Du zählst nicht.“

„Ey!!!“, quake ich beleidigt, aber sie boxt mich nur sanft, kichert und streckt mir danach die Zunge raus.

„Nimm‘s als Kompliment! Ich bin mir sicher, mit dir wäre meine Mutter einverstanden gewesen. Sie mochte immer alles, was anders war.“

„Ja. Anders bin ich auf jeden Fall, auch wenn ich nicht weiß, warum.“ Frustriert schnaufe ich, denn diese Frage zermürbt mich schon, seit ich denken kann.

„Ich weiß, warum!“, sagt Chikh eher beiläufig und ich starre sie abermals verstört an, doch sie greift nur in meine Tasche und holt das verbogene, kleine Metallplättchen heraus. „Bieg es zurück!“

Mit etwas größerer Anstrengung als sie bekomme ich es hin und erstarre kurz darauf, denn auf der Rückseite ist kein Blümchen eingestanzt, sondern einen Kopf! Und der bringt mich völlig aus der Fassung. Das dort abgebildete Gesichtsprofil sieht nämlich aus wie meins! Nur ohne Hauer und sogar noch etwas feiner in seinen Zügen.

„Was ... wie ist das möglich?“

„Dein Vater war garantiert ein Makhorien!“, behauptet Chikh. „Fogugh war doch vor deiner Geburt deren Gefangene, oder? Bestimmt hat sich einer von denen an ihr vergangen!“

Ich nicke, denn ihre Theorie klingt durchaus logisch, aber ich brauche eine Weile, um ihre Worte sacken zu lassen.

„Natürlich! Das erklärt alles! Warum ich so dünn bin und so anders aussehe ... Meine Hautfarbe, meine ganzen Schwächen und ... wieso mich meine Mutter nicht leiden kann.“ Ich atme einmal tief durch. „Aber wer sind diese Makhorien? Vielleicht bin ich ihnen ja viel ähnlicher als den Kodas .

---ENDE DER LESEPROBE---