Western Legenden 12: Kriegstrommeln am Mohawk - Dietmar Kuegler - E-Book

Western Legenden 12: Kriegstrommeln am Mohawk E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Sam Brannigan sah die englischen Soldaten in ihren roten Uniformen und den hohen Mützen heranmarschieren. Im Dunkel der Wälder dröhnten die Trommeln. Er sprang in sein Kanu. Kugeln peitschten das Wasser hoch. Dann waren die Irokesen da. Von ihren kahlen Schädeln ragten die borstigen Haarbüschel auf. Ein Pfeilregen folgte Brannigan.Sie sind Rebellen gegen die englische Herrschaft in den amerikanischen Kolonien. Eine Handvoll Familien, die hoffen, in der tiefen Wildnis ihre Freiheit zu finden. Der Waldläufer Sam Brannigan führt sie in die düsteren Wälder am Mohawk. Dort soll die Kolonie New Hope entstehen. Der Zorn der Briten folgt ihnen.Geheimnisvolles, unbesiedeltes, wildes Land. Die Heimat der Irokesen, Huronen und Mingos. Noch gehört Amerika den Briten. Aber der Kampf der Siedler in der Neuen Welt um ihre Unabhängigkeit hat begonnen.Mit einem Nachwort des Autors über die Geschichte der WaldindianerDie Printausgabe umfasst 178 Buchseiten.

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Seitenzahl: 182

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WESTERN LEGENDEN

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

Dietmar Kuegler

Kriegstrommelnam Mohawk

Historischer Western

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-412-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Er sah nur die schemenhaften Umrisse des Postens über dem Tor. Der Morgennebel hing wie nasse Watte über der Flussniederung. Der Wind vom Oneida-See im Norden strich frostig heran, aber er trug den würzigen Geruch des Frühlings mit sich.

Ein scharfes, metallisches Knacken, ein Gewehrhahn rastete ein.

„Parole!“

Der Mann, der vom Fluss hochgestiegen war, blieb stehen. Seine Stimme klang müde: „Brannigan!“

„Falsch! Ich schieße!“

„Den Teufel wirst du tun!“

Der Schemen auf der Palisade hob sein Gewehr.

„Ich bin kein Soldat!“

Der Posten zögerte. Ein Befehl ertönte. Knarrend öffnete sich das Tor einen Spalt. Der Mann draußen trat näher. Ein englischer Corporal hob eine Laterne. Das Licht fiel in ein hartes, bärtiges, narbiges Gesicht.

„Bist du ein Bastard-Blut? Halbindianer?“

„Nimm deine Zähne in Acht, Soldat. Ich bin Felljäger.“

„Du siehst aus wie ein Wilder. Einlass ins Fort für Indianer erst nach Sonnenaufgang.“

„Ich bin ein weißer Mann, Rotrock! Lass mich rein!“

„Nach Sonnenaufgang.“ Bevor der andere den Corporal packen konnte, rastete der Riegel ein. Der Posten hob das Gewehr erneut. Ein weiterer Gewehrhahn knackte. Der Trapper drehte sich um und ging in den Nebel. Er wusste, sie würden schießen.

1.

Er wusste, dass er rau aussah. So wie ein Mann eben aussah, der die meiste Zeit des Jahres in der Wildnis zubrachte. Manchmal unter Indianern, meistens allein. Der in einem leichten Zelt, einer Flechthütte, in seinem Kanu oder einfach auf dem blanken Boden schlief. Der mit seinem Schatten redete, weil er keinen anderen Begleiter hatte. Dem es egal war, wenn er sich äußerlich in einen Höhlenmenschen verwandelte, weil in der Einsamkeit jedes Gefühl für Eitelkeit verloren geht.

Sam Brannigan war ein Mann wie ein Bär. Groß, breit und schwer. Ohne dick zu sein. Er steckte in fransenbesetzten Wildlederhosen, kniehohen Mokassins und einem weiten, grobleinenen Hemd, das mit Leder­flicken besetzt war. Auf dem Kopf trug er eine Pelzkappe, unter der langes, strähniges schwarzes Haar hervorquoll. Die Haut in seinem Gesicht, die nicht von Bart bedeckt war, war sonnenverbrannt und dunkel wie die eines Indianers.

Er saß unten am Fluss, wo er sein Kanu am Ufer hochgezogen hatte. Mit dem ersten Sonnenstrahl, der den Frühnebel durchbrach, ertönte aus Fort Stanwix ein Trompetensignal.

Sam Brannigan stand auf. Er schulterte die lange ­Kentucky Rifle und hängte sich die mit Stachelschweinborsten bestickte Jagdtasche um. Ohne Hast bewegte er sich zum Fort zurück.

Fort Stanwix war eine der westlichsten Garnisonen der Engländer in den Kolonien in Amerika. Es war nicht sonderlich groß, aber wehrhaft und trutzig angelegt wie alle Forts im Indianerland. Der Wald war in einigem Umkreis um die Palisaden abgeholzt worden, um freies Schussfeld zu schaffen.

Das breite Tor in der Palisade stand offen. Ein von Maultieren gezogener Fourage-Wagen1, begleitet von vier berittenen Soldaten, verließ das Fort und rollte auf das Waldland im Süden zu.

Ein Posten lehnte seitlich am Tor. Er blickte dem ­Trapper entgegen. Als Brannigan an ihm vorbei wollte, trat ihm der Soldat in den Weg und blickte ihn mit einstudiertem, arrogantem Gesicht an.

„Name?“

„Brannigan.“

„Halbblut?“

Brannigan atmete tief durch. Er war ein halben Kopf größer als der Soldat, obwohl dieser einen hohen schwarzen Dreispitz trug.

„Nein.“

„Dann sollten Sie sich vielleicht ab und zu waschen“, sagte der Posten. „Damit Ihre Haut nicht so dunkel aussieht.“

Im Hintergrund war ein zufriedenes Räuspern zu hören. Brannigan entdeckte den Corporal, der ihm im Morgengrauen das Tor vor der Nase zugeschlagen hatte.

„Ich werde daran denken, Soldat“, sagte Brannigan mit einem Gleichmut, der grenzenlose Verachtung ausdrückte.

„Sie stinken“, sagte der Soldat. „So wie die Wilden stinken.“

„Wenn Sie mich vorbeilassen, werde ich Ihre Nase nicht mehr belästigen.“

„Was wollen Sie in Fort Stanwix?“

„Ein paar Vorräte einkaufen.“

„Hat er gesagt, dass er Brannigan heißt?“, fragte der Corporal aus dem Hintergrund.

„Jawohl, Sir!“

„Lass ihn passieren. Es gibt einen Trapper und Pelzhändler mit diesem Namen.“ Der Corporal verließ das Postenhäuschen hinter dem Tor. Er lächelte höhnisch.

„Kann es sein, dass Sie vorhin schon einmal am Tor waren, Brannigan?“

„Das kann sein, Corporal.“

„Tut mir leid, dass ich Sie abgewiesen habe, ­Brannigan. Der Nebel war so dick, und ich konnte nicht glauben, dass Sie es wirklich sind. Sie verwandeln sich immer mehr in eine Rothaut.“

„Wir verändern uns alle mit der Zeit“, entgegnete Brannigan. „Bei einigen wird die Haut dunkler, andere werden blind und taub.“

„Wie meinen Sie das, Brannigan?“

„Wie ich es gesagt habe.“

Brannigan ging an dem Posten vorbei. Er passierte die flachen Quartiergebäude, die aus geschälten ­Baumstämmen errichtet worden waren, überquerte den sandigen Exerzierplatz und steuerte den Handelsposten an.

„Dieser Mann ist gefährlich“, sagte der Corporal hinter ihm zu dem Posten. „Merk dir seinen Namen. Er zieht regelmäßig hier vorbei.“

„Warum lassen wir ihn dann rein?“, fragte der Posten.

„Es gibt keine Beweise dafür, dass er gegen uns arbeitet“, sagte der Corporal. „Er soll mit den Huronen und Mingos unter einer Decke stecken, und im Osten verkehrt er mit unseren Feinden, mit Männern, die läster­liche Reden über Seine Majestät den König führen. Er soll einen königlichen Agenten in den Wäldern erschlagen haben, aber das ist nur ein Gerücht. In New York hat er wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht gestanden. Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten ihn oben in Quebec bei den Franzosen gesehen. Wenn er hier nach Norden vorbeizieht, um wieder auf die Jagd zu gehen, hoffen wir immer, dass er nicht mehr zurückkehrt. Aber er ist ein halber Wilder, er überlebt immer.“

„Sie haben ihn beleidigt, Sir, und er hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt.“

„Er ist viel zu klug, um uns einen Anlass zu bieten, ihn zu verhaften.“

Der Corporal rückte seinen Dreispitz gerade und strich sich den roten Uniformrock glatt. „Ich werde den Kommandanten unterrichten, dass Brannigan im Fort ist. Du achtest darauf, wann er wieder geht – und was er mitnimmt!“

„Jawohl, Sir!“

Der Posten salutierte.

*

„Du solltest dich nicht so oft hier sehen lassen“, sagte Suttler. Er war klein, dick wie eine Melone und hatte Hängebacken wie ein Bernhardiner. Er trug ein ausgeblichenes Wams, das an Bauch und Schultern spannte, und knapp sitzende Kniebundhosen. Das dünne, lange aschblonde Haar hatte er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden.

„Du weißt doch, dass die Rotröcke dich nicht mögen.“

„Sie können mir nichts vorwerfen“, erwiderte ­Brannigan.

„Du bist lange in den Wäldern gewesen“, sagte Suttler. Er hatte sich gerade Kaffee aufgebrüht und schenkte auch Brannigan einen dickwandigen Steingutbecher voll. „Es hat sich in den letzten zwölf Monaten eine Menge verändert. Die Luft ist schärfer geworden.“

„Du sagst immer das Gleiche, Suttler.“

„Weil es die Wahrheit ist.“ Suttlers Hängebacken bebten. „Seit Jahren wird alles schlechter: Die Engländer werden immer gereizter, der Ton wird rauer. Sie nehmen die Kontrollen genauer, ihr Misstrauen wird größer. Wenn sie dich verhaften wollen, finden sie einen Grund. Ich habe von Männern gehört, die in den Städten im Osten nach ein paar Gläsern Rum über König George gespottet haben und am nächsten Morgen im Gefängnis aufgewacht sind, wo sie heute noch sitzen.“

„Ohne Gerichtsverfahren?“

„Die Briten nehmen es bei angeblichen oder wirklichen Rebellen gegen die Krone nicht mehr so genau mit dem Gesetz. Es wird gemunkelt, dass demnächst neue Gesetze erlassen werden, die der Armee mehr Rechte einräumen. In London ist nicht vergessen worden, dass in den letzten Jahren einige der neuen Steuergesetze zurückgenommen werden mussten. Jetzt fangen sie es geschickter an: Erst legen sie uns Ketten an und binden uns den Mund zu, und dann greifen sie uns in die Tasche.“

Suttler rührte sich eine Menge Zucker in den Kaffee. Er hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt.

„Es ist, wie ich sage, Brannigan: Die Zeiten werden härter und schlechter. Nimm dich in Acht. Männer wie du sind den Rotröcken ein Dorn im Auge. Die Leute in den Städten und auf den Farmen können sie unter Kon­trolle halten. Aber du treibst dich in den Wäldern herum. Du brauchst die Beamten des Gouverneurs nicht, und du kümmerst dich einen Dreck um die Vorschriften, die alle naselang erlassen werden. Dich können sie so leicht nicht packen. Männer, die unabhängig sind, sind immer verdächtig. Sie denken, dass du mit den Indianern und mit den Franzosen in Quebec unter einer Decke steckst.“

„Wenn du eine Französin meinst, könntest du damit recht haben.“

Brannigan lachte in sich hinein. Er schlürfte genüsslich den Kaffee, der schwarz, bitter und stark war.

„Nimm das nicht auf die leichte Schulter. Wenn du erst einmal im Loch steckst, lassen sie dich verfaulen.“

„Du warst schon immer ein Schwarzmaler, Suttler.“

„Denk an meine Worte.“ Suttler sah unglücklich aus. „Es wird immer häufiger von Männern gesprochen, die sich zu Banden zusammenrotten und den Aufstand gegen die britische Krone planen. Bevor du dich versiehst, wirst du in so eine Sache hineingezogen.“

„Ich bin Pelzhändler, bringe eine Ladung Pelze nach Albany und verschwinde wieder in den Wäldern. Von mir aus können die Rotröcke nach Rebellen suchen, wo sie wollen. Ich kümmere mich nur um meinen eigenen Kram.“

„Ich meine es gut mit dir, Brannigan. Wir haben früher bessere Geschäfte gemacht. Ich kann keine Pelze mehr kaufen, aber ich habe noch immer eine Menge für dich übrig. Hör auf meinen Rat: Halte dich von den Garnisonen der Engländer fern, zumindest in nächster Zeit. Und gib dir Mühe, nicht aufzufallen.“

„Ich werde daran denken, wenn ich in Albany bin.“ Brannigan lächelte gutmütig durch sein wirres Bart­gestrüpp. „Jetzt verkaufst du mir ein Pfund ungerösteten Kaffee, Mehl, Zucker, Speck und etwas Tabak. Mir ist das Kanu an der Oneida-Mündung umgeschlagen. Ein Bündel mit Lebensmitteln ist dabei ins Wasser gefallen. Meine Vorräte sind ein bisschen knapp, um bis nach New York hinunter zu kommen.“

„Du glaubst mir nicht“, lamentierte Suttler. Er watschelte durch sein Lagerhaus. Draußen waren Marschtritte zu vernehmen. „Aber du wirst bald merken, dass ich recht habe.“

Suttler packte zusammen, was Brannigan brauchte. Brannigan steckte das Bündel in seine Jagdtasche.

„Danke für den Kaffee, Suttler. Was wirst du tun, wenn die Briten wirklich Ärger mit Rebellen kriegen?“

„Glaubst du, dass ich mir darüber nicht dauernd den Kopf zerbreche?“ Suttlers Stimme klang weinerlich. „Ich weiß es nicht. Dieser Laden ist alles, was ich besitze. Ich werde mit den Wölfen heulen und König George jeden Tag dreimal hochleben lassen.“

„Und wenn die Rebellen auftauchen?“

„Die haben keine Chance“, sagte Suttler. Er biss sich auf die Unterlippe. „Und wenn doch ... Jeder muss einsehen, dass ich in einer üblen Zwangslage stecke.“

„Glaubst du wirklich? Ich wäre da nicht so sicher. In Zeiten des Krieges gibt es immer nur Freunde und Feinde. Wer sich neutral benimmt, hat beide Seiten zum Feind.“

Brannigan warf ein paar Münzen auf die Theke.

„Himmel, französisches Geld!“

Suttler grapschte danach, als handle es sich um giftige Insekten, die einem Netz entwichen waren. „Du warst also wirklich in Quebec!“

„Verbrenn dir nicht die Finger daran.“ Brannigan lachte, schulterte sein Gewehr und ging hinaus. Während er über den Exerzierplatz schritt, pfiff er ein munteres französisches Lied vor sich hin.

Die Frühjahrssonne hatte bereits Kraft. Die Soldaten, die Brannigan sah, schwitzten in ihren dicken Uniformen. Sie hatten es nicht so gut wie Brannigan, der sein grobleinenes Hemd weit geöffnet hatte, sodass seine dicht behaarte Brust frei lag und er mehr als sonst einem Bären glich.

Er näherte sich dem Tor. Der Posten äugte ihm entgegen.

„Öffnen Sie die Tasche“, sagte der Soldat.

„Wie?“

„Die Tasche“, sagte der Soldat. „Ich will wissen, was darin ist.“

Brannigans Augen zogen sich für einen Moment zusammen. Es glühte dunkel darin auf. Ihm entging nicht, dass der Soldat trotz des arroganten Zugs in seinem schmalen Gesicht offenbar Angst hatte.

„Weißt du, was du tust, Soldat?“

„Öffnen Sie die Tasche!“ Jetzt klang die Stimme schrill.

Brannigan öffnete die Tasche. Der Soldat warf einen Blick auf die Lebensmittel und trat zur Seite. „Sie können passieren!“

„Vielen Dank, Sir“, sagte Brannigan und verbeugte sich tief. „Sie sind zu gnädig, Sir! Gott segne den König und Sie, Sir!“

Der junge Soldat wusste offensichtlich nicht, wie er sich verhalten sollte, ob Brannigan ihn verhöhnte oder es ernst meinte.

Brannigan schritt durch das Tor. Draußen begann er zu lachen. Er schlug den Weg zum Fluss ein. Er lachte noch, als er das Ufer des Mohawk erreichte.

Dort hörte er auf zu lachen. Der Corporal stand dort. Gerade zogen drei Soldaten mit geschulterten Gewehren ab. Brannigan sah, dass seine Pelzbündel auf der ­Uferböschung lagen. Seine restliche Ausrüstung war verstreut worden.

„Wir haben dein Kanu durchsucht, Brannigan“, sagte der Corporal.

„Das sehe ich.“ Brannigan sammelte seine Sachen ein und packte sie wieder ins Kanu. Er überprüfte die Verschnürung der Fellbündel, bevor er sie zum Fluss hinunterschleppte und in das leichte Boot wuchtete. Die ganze Zeit über sprach er kein Wort. „Diesmal hast du noch Glück gehabt“, sagte der Corporal.

Brannigan antwortete noch immer nicht. Er sah, dass zwei tönerne Schalen zerbrochen waren. Er verstaute sein Gepäck so im Kanu, dass das Gewicht gleichmäßig verteilt war.

„Mit Kerlen wie dir werden wir fertig“, sagte der Corporal.

„Ich bin ein freier Jäger“, sagte Brannigan.

„Du bist entweder ein Untertan von König George, oder du bist überhaupt nichts, Brannigan. Wir werden uns dich immer wieder vornehmen.“

„Was habt ihr gesucht?“

„Sei froh, dass wir nichts gefunden haben.“

„Was habt ihr gesucht und nicht gefunden?“

„Die Franzosen unterstützen ein paar Wirrköpfe bei uns, die Unruhe stiften und gegen die Krone rebellieren. Wir wissen, dass du diese Leute kennst.“

„Ich kenne niemanden.“

Brannigan war jetzt allein mit dem Corporal. Der Corporal wippte auf den Absätzen. Er hatte die Hände auf dem Rücken übereinandergelegt. Sein roter Uniformrock mit den langen Schößen saß faltenlos. Auf seinem Gesicht lag ein höhnischer, überlegener Ausdruck.

„Ich kann die Männer zurückrufen und das Kanu noch einmal untersuchen lassen“, sagte der Corporal. „Ich kann den Rumpf zerschneiden lassen, wenn ich will. Wohin schaffst du die Felle, Brannigan? Nach New York? Nach Albany? Da müsstest du zu Fuß gehen.“

„Du bist ein mächtiger Mann.“ Brannigan lächelte. In seinen Augen schimmerte es eisig. Als er seine Kentucky Rifle herumschwang, geschah das ansatzlos und ohne Vorwarnung.

Der Lauf traf den Corporal mit aller Wucht in den Leib. Der Corporal taumelte zurück. Sein Gesicht verzerrte sich, sein Mund öffnete sich unnatürlich weit. Er krümmte sich zusammen. Bevor er schreien konnte, traf Brannigan ihn erneut, diesmal am linken Halsansatz.

Der Corporal stürzte nieder und schnappte röchelnd nach Luft. Als er dennoch zum Gürtel tastete, um seine Pistole zu ziehen, versetzte Brannigan ihm einen Tritt. Der Corporal kippte vollends um und verlor seinen Dreispitz. Bei dem Versuch, sich wieder aufzurichten, rutschte er auf der Uferböschung aus und rollte zum Wasser hinunter.

Brannigan folgte ihm mit furchterregender Ruhe. Der Corporal hob keuchend den Kopf.

„Dafür – dafür wirst du hängen, Brannigan!“

„Glaubst du?“ Brannigan blickte mitleidlos auf den Corporal hinunter. „So eine Uniform muss etwas ­Ähnliches sein wie eine zweite Haut. Wenn man die anhat, wird man ein anderer Mensch. Dann denkt man, dass man so ein bisschen das Gleiche sei wie der liebe Gott. Habe ich recht? Merk dir eins, Corporal: Mich tritt niemand ungestraft in den Hintern, schon gar nicht mehrmals. Aber wer dann auch noch mein Kanu durchwühlt, der spielt mit seinem Leben. Weißt du, dass ich jeden, den ich jenseits des Oneida-Sees an meinem Kanu erwischt hätte, sofort von oben bis unten aufgeschlitzt hätte? Mit diesem Messer, Corporal!“

Brannigan zog blitzschnell sein langes, spitzes Messer aus dem Gürtel. „Ich – ich – schreie ...“

„Das glaube ich nicht“, sagte Brannigan. „So schnell kannst du gar nicht schreien. Willst du es ausprobieren?“

Er bückte sich. Der Corporal röchelte und sperrte den Mund weit auf, kriegte aber keinen Laut heraus. Die Messerspitze war ihm quer über das Gesicht gefahren. Von der Stirn über seine Nase bis zur linken Wange zeigte sich ein dünner roter Strich. Blutstropfen perlten nach und nach hervor und rannen über die Haut.

Das Messer blinkte in Brannigans Faust. Er lachte. Der Corporal sprang verzweifelt auf und warf sich gegen Brannigan. Der Trapper drehte das Messer und stieß dem Corporal den Griff vor die Brust. Der Corporal breitete die Arme aus und kippte rücklings ins Wasser. Es klatschte. Das Wasser spritzte hoch auf und schlug über ihm zusammen.

Brannigan wartete nicht, bis er wieder auftauchte. Er packte sein Kanu und zog es die Böschung hinunter ins Wasser. Er watete ein Stück vom Ufer weg und schwang sich ins Kanu. Das Stechpaddel geschickt nutzend, steuerte er das leichte Boot in die Strommitte hinaus.

Hinter ihm kroch der Corporal an Land. Sein Uniformrock troff, er schnappte nach Luft und schaffte es erst nicht, sich aufzurichten. Ihm fehlte die Kraft, um Hilfe zu rufen.

Schließlich raffte er sich auf und taumelte den Weg zum Fort hoch. Als die Posten ihn endlich sehen konnten, war Brannigan mit seinem Kanu bereits hinter einer Flussbiegung verschwunden.

*

Die Wälder waren voller Gefahren. Brannigan kannte sie alle und wusste, wie er ihnen entgehen konnte. Er wusste die Zeichen der Natur zu deuten und für sich zu nutzen.

Seit er Fort Stanwix verlassen hatte, dachte er an das, was Suttler gesagt hatte, und er hatte sich schon ein paar Mal gefragt, ob er dem Streit mit dem Corporal nicht besser aus dem Weg gegangen wäre.

Seine Erfahrung sagte ihm aber, dass es Streitigkeiten gab, die einem Mann nachliefen. Früher oder später holten sie ihn ein. Es war besser, in so einem Fall den Stier bei den Hörnern zu packen und den Konflikt auszutragen, solange man ihn selbst unter Kontrolle halten konnte, als abzuwarten, bis man davon überrumpelt wurde und der Gegner die besseren Karten hatte.

Es gab in den englischen Garnisonen tief im Westen offenbar ein fest verwurzeltes Misstrauen gegen ­Männer wie ihn. Früher oder später wäre er ihnen ins Netz gegangen, dann hätte er Fort Stanwix zu einem Einkauf betreten und nicht mehr verlassen dürfen. Jetzt wusste er wenigstens, woran er war, und der hochnäsige Corporal würde für eine Weile Bauchschmerzen haben.

Aber Fort Stanwix bereitete ihm in diesem Moment kaum noch Sorgen. Die Wälder im Norden und Westen waren viel größer, als die meisten Menschen in den Kolonien an der Atlantikküste es sich vorstellen konnten. Er war dort gewesen. Er hatte sich sein halbes Leben lang dort herumgetrieben. Trotzdem hatte er nur einen Bruchteil des Landes gesehen. Wenn die Briten glaubten, ihn verfolgen zu können, gab es genug Platz, um zu verschwinden. Er nahm die Briten ernst, aber er wusste, dass er ihnen in seiner Welt überlegen war. Die Indianer waren gefährlicher.

Die Indianer waren überall. Es waren Irokesen. Das wusste er genau. Sie waren hinter ihm her.

Ihnen konnte man nicht so leicht entgehen. Nicht, indem man einfach mit dem Kanu davonfuhr. Sie folgten der Spur, die sie einmal aufgenommen hatten. Vor allem dann, wenn sie lohnende Beute vermuteten.

Er hatte drei große Packen mit wertvollen Fellen dabei. Das war genug. Er brauchte nicht darauf zu hoffen, die Irokesen einfach abschütteln zu können.

Sie waren am Abend des Tages aufgetaucht, als er Fort Stanwix verlassen hatte. Einmal hatte er sie bereits gesehen. Dann hatte er sich auf seinen Instinkt und seine Erfahrungen verlassen müssen. Er hatte die Zeichen am Himmel beobachtet, die Vögel, die über dem Waldland gekreist waren. Er wusste, dass sie ihm hartnäckig folgten.

Brannigan lenkte das Kanu zum Ufer, zog es ein Stück die Böschung hoch und ging ein Stück in den Wald. Der Wind stand gegen ihn, er konnte den Rauch wahrnehmen, der in der Luft war. Die Irokesen waren nicht weit entfernt.

Brannigan überlegte. Er sammelte trockenes Reisig und legte unweit vom Ufer eine Feuerstelle an. Der Platz war schlecht einsehbar. Das Feuer würde die Indianer anlocken, aber sie würden lange auf der Lauer liegen, bis sie sich nahe genug herantrauten und entdeckten, dass zwar ein Feuer da war, aber nicht der dazugehörende Mann.

Vielleicht gewann er auf diese Weise einen kleinen Vorsprung, der es ihm gestattete, ein Stück weiter flussabwärts ein paar Stunden zu schlafen.

Er legte das Feuer so an, dass es möglichst lange brannte, stieg ins Kanu und fuhr weiter. Hinter den großen Wäldern versank die Sonne. Brannigan zog fröstelnd die Schultern hoch. Die Abende waren noch kühl um diese Jahreszeit. Er sah vor sich ein Weidengehölz auftauchen, das bis ins Uferschilf reichte. Brannigan lenkte das Kanu auf das Dickicht zu. Er manövrierte das schlanke Boot so in das Gezweig, dass es sicher gehalten und nicht von der Strömung weggerissen werden konnte. Außerdem schützte ihn das Schilf ringsum. Brannigan verzehrte ein Stück von dem Speck, den er bei Suttler gekauft hatte, streckte sich auf dem Boden des Kanus aus und schlief sofort ein.

Als er aufwachte, umgab ihn tintige Finsternis, die wie ein Fangnetz über dem Mohawk River hing.

Das Wasser gluckste im Schilf. Der Wind raschelte in den jungen Blättern der Weiden. Irgendwo erklang das dumpfe Quaken einer Wildente, dann war der Flügelschlag eines Nachtvogels zu hören, der über den Strom zog.

Brannigan wusste, dass er nicht mehr allein war. Ein Mann, der wie er Teil der Wildnis war, entwickelte feine Instinkte. Sein Verstand arbeitete messerscharf. Er tastete nach seinem Gewehr, zog es näher, griff dann aber nach seinem Messer und zog es aus der Scheide.