Western Legenden 21: San Pedro River - Dietmar Kuegler - E-Book

Western Legenden 21: San Pedro River E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Die Apachen starben am 30. April 1871.Als die Tucson-Miliz in das schlafende Dorf am San Pedro River eindringt, tut sich die Hölle auf. Frauen und alte Männer verbluten unter Keulen- und Axthieben. Schüsse übertönen die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Pulverdampfwolken mischen sich mit dem beißenden Rauch der die Grashütten vernichtenden Flammen. Das Massaker jenes grauen Morgens wird zur tiefen Wunde in der Geschichte Arizonas.Die überlebenden Kinder werden verschleppt. Ihnen droht die Sklaverei. Nur Mato, ein Halbblut, kann ihnen dieses Schicksal ersparen. Er schließt einen mörderischen Vertrag mit der Indianerbehörde, um die Apachenkinder zu retten.

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WESTERN LEGENDEN

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

Dietmar Kuegler

San Pedro River

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-531-9Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1. Kapitel

Er ritt über die spärlich mit Gras bewachsenen Hügel und sah die sandigen Ufer des Aravaipa-Flusses vor sich. Er war ein großer, breitschultriger Mann in groben Baumwollhosen und einem weich gegerbten Lederhemd mit Fransen an den Nähten. Seine Füße steckten in Mokassins, um den Hals hatte er sich ein verwaschenes rotes Tuch gewunden.

Unter dem breitrandigen, zerbeulten Sombrero, den er auf dem Kopf trug, quoll langes blondes Haar hervor. Das und seine Augen, die von lichtem Blau waren, kontrastierten scharf mit seinem dunklen, bronzehäutigen Indianergesicht.

Er saß geschmeidig im Sattel eines riesigen Appaloosa-Hengstes, locker und kraftvoll zugleich. Wer ihn ansah, spürte die Wildheit, die von ihm ausging.

Die Sonne hatte den Zenit erreicht, ein paar Wolken kreuzten den brennenden Horizont. Von Südwesten strich ein schwüler Windhauch über den Fluss.

Er sah auf dem anderen Ufer die lang gestreckte, von Hügeln gesäumte Ebene, an deren Westende Wagen und Pferde zu sehen waren. Menschen bewegten sich hin und her.

Der Reiter trieb den Appaloosa an und ritt auf eine Furt des San Pedro River zu. Der Fluss war flach, das Wasser reichte nicht einmal bis zu den Steigbügeln. Der Hengst durchquerte ohne größere Anstrengung den Fluss und trabte am anderen Ufer die Böschung hoch.

Plötzlich stand wie aus dem Boden gewachsen ein Soldat vor ihm. Er hielt ein langläufiges Springfield-Gewehr in den Fäusten, blickte zu dem Reiter hoch und registrierte seine dunkle Haut und den indianischen Schnitt seines Gesichts.

„Sie dürfen hier nicht durch.“

Der Reiter beugte sich vor. „Warum?“

„Das Gelände ist heute gesperrt.“

Der Reiter blickte über den Soldaten in der staubigen, durchgeschwitzten Uniformbluse der US-Infanterie hinweg. Er sah hier und da Zeltstangen und zerfetzte Decken im Gras liegen, auch Reste von Wickiup-Gerüsten. Alles trug Spuren der Witterung. Weite Teile des Graslandes waren verbrannt, die dunklen Flecke waren unübersehbar. Unweit des Flussufers bemerkte der Reiter neben einem Sagebusch Skelettknochen, die von der Sonne gebleicht waren.

„Ist der General da?“, fragte der Reiter.

Der Soldat runzelte die Stirn.

„General Howard?“

„Ja“, sagte der Soldat. „Aber ...“

„Ich bin Mato“, sagte der Reiter. „Der General erwartet mich.“

„Ach Sie sind der ...“ Der Soldat stockte und lief rot an.

„Was bin ich, Trooper?“

„Der ‒ der Mann, von dem der General gesprochen hat.“ Der Soldat trat hastig zur Seite. „Reiten Sie dorthin, wo die Wagen stehen.“

Mato ritt an dem Posten vorbei. Er war es gewöhnt, dass seine Erscheinung Überraschung auslöste und seine Hautfarbe meistens Unwillen erregte. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass er es kaum noch beachtete.

Der Wind frischte etwas auf, als er über das von Brandflecken und Zerstörung gezeichnete Land ritt. Noch vor einem Jahr hatten hier Menschen gelebt. Pinal- und Aravaipa-­Apachen, die gewillt gewesen waren, in Frieden zu leben, die sich freiwillig hier angesiedelt hatten und versucht hatten, sich mit den weißen Siedlern der Gegend und der Armee zu arrangieren. Bis zu jenem Tag im Frühjahr, als das alles vorbei gewesen war.

Mato bemerkte Grabhügel dicht am Fluss. Überall sah er jetzt bleichende Knochen im Gras, zerbrochene Werkzeuge, verrostete Messer, zerborstene Töpfe und Kochgeräte, Kleidungsfetzen und zerrissenes Sattelzeug.

Die Umrisse des einstigen Aravaipa-Lagers waren noch gut zu erkennen. Auf den Hügeln ringsum waren Armeeposten aufgestellt. Mato ritt an den alten Feuerstellen vorüber. Die Feldsteine, aus denen sie errichtet worden waren, waren noch rußgeschwärzt.

Unweit der Wagen zügelte Mato seinen Hengst und glitt aus dem Sattel. Er rückte das Holster rechts mit dem langläufigen Peacemaker-Colt ein wenig vor und bewegte sich auf die Fuhrwerke zu. Sie trugen den Armeestempel an den Seitenbracken. In einiger Entfernung lagerten Soldaten.

Ein paar Apachen standen in der Nähe herum, kleinwüchsige, breitschultrige aber ausgemergelt wirkende Männer, trotz der Hitze in grobe Kaliko-Decken gehüllt. Sie wirkten apathisch und starrten über den Fluss, als sähen sie etwas, was gar nicht mehr da war.

Mato sah zwischen den drei großen Wagen einen hochgewachsenen, weißbärtigen Mann mit zerfurchtem Gesicht stehen. Sein rechter Ärmel war an der Uniform festgesteckt, er war leer. Die breite Krempe des Armeehutes beschattete seine hohe Stirn.

Neben ihm stand ein schlanker Offizier in Lieutenant-Uniform und redete, während er gleichzeitig mit beiden Armen gestikulierte.

Mato blieb hinter ihnen stehen. Er schob sich den Sombrero ein Stück in den Nacken.

„General Howard?“

Der Einarmige wandte sich um. Er blickte Mato prüfend an. Dann streckte er die linke Hand aus. „Sie müssen Lorne Mato sein.“

Mato ergriff die Hand und war überrascht, wie fest sein Händedruck erwidert wurde.

„Ich bin froh, dass Sie da sind“, sagte Howard.

„Ihr Telegramm hat mich in Prescott erreicht“, erwiderte Mato. „Ich wollte einen Tag später nach Norden aufbrechen.“

„Ich habe in drei verschiedene Städte telegrafiert“, sagte Howard. „Ich hätte wahrscheinlich überall hin telegrafiert, um Sie zu erreichen.“ Er zeigte auf den Lieutenant neben sich.

„Das ist Lieutenant Royal Whitman.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Mato“, sagte Whitman.

Mato blickte Whitman in die Augen. Er hatte schon viel von ihm gehört. Whitman hatte sich sehr für die ­Apachen eingesetzt und damit seine Karriere ruiniert. Er war seit Jahren nicht mehr befördert worden und hatte schon einige Male vor Militärgerichten gestanden.

„Sie wissen, was hier, an dieser Stelle, geschehen ist“, sagte Howard.

„Ungefähr“, erwiderte Mato. „Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre: Voriges Jahr im Frühling gab es in der Nähe von Tucson einige Apachenüberfälle. Die Bürger von Tucson behaupteten, es handle sich bei den Kriegern um die Leute Eskiminzins, die hier angesiedelt waren. Etwa um dieselbe Zeit wie jetzt, also Ende April, ritt die Miliz von Tucson hierher und griff das Camp an.“

„Es waren präzise sechs Amerikaner“, sagte Lieutenant Whitman, „zweiundvierzig Mexikaner und über neunzig von den christianisierten Papagos aus der Nähe von San Xavier. Sie wurden dafür bezahlt.“

„Von den Hügeln über dem Fluss eröffneten sie das Feuer“, sagte Mato. „Das Lager schlief noch. Es dauerte nicht sehr lange, dann waren alle Aravaipas, die nicht davonlaufen konnten, tot. Meistens Frauen und Kinder, über hundertvierzig Menschen.“

„So ist es“, sagte Whitman. „Sie haben gewütet wie die Wilden. Die Verwunderten wurden mit Keulen erschlagen, halb tote Frauen vergewaltigt und dann ermordet. Die Toten wurden skalpiert oder sonst wie verstümmelt, ihnen wurden die Kleider vom Leib gerissen. Ich habe frisch geborene Säuglinge gesehen, die getötet worden waren.“

„Sie brauchen keine Einzelheiten zu erzählen, Lieutenant“, sagte Mato. „Ich kenne mich aus.“

„Eskiminzin ist mit dem Rest seiner Krieger in die Berge geflüchtet und hat sich seitdem nicht mehr sehen lassen“, sagte Whitman. „Viele meinen, dass er auf den Kriegspfad gehen wird, aber ich glaube, er ist ein besonnener Mann, mit dem trotz allem noch zu reden ist. Er weiß auch, dass die Armee nicht schuld an dem Unglück ist.“

„Die Mörder wurden freigesprochen, nicht wahr?“

„Es gab einen Prozess gegen die Führer der Miliz von Tucson, der mit über einhundert Freisprüchen endete“, sagte Whitman. In seiner Stimme schwang ein bitterer Ton mit.

„Präsident Grant ist anderer Meinung“, sagte Howard. „Er hat die Unterlagen der Ereignisse gesehen und mir gegenüber erklärt, dass für ihn diese Aktion blanker Mord war. Er wollte das Kriegsrecht über Arizona verhängen, wenn die Verantwortlichen nicht wegen Mordes vor Gericht gestellt werden. Aber der Prozess war eine Farce; eine reine Formsache. Nicht einmal der Präsident kann Gerichte beeinflussen.“

Howard blickte an Mato vorbei über das Schlachtfeld. Seine Augen waren schmal und grau wie die eines alten Falken. Seine scharf geschnittenen Züge wirkten noch düsterer als vorher.

Die Apachen, die Mato gesehen hatte, setzten sich nun in Bewegung und gingen langsam zum Fluss hinunter. Sie wanderten am Ufer des San Pedro River entlang und verschwanden aus dem Blickfeld der Männer.

„Hat die Sache voriges Jahr etwas damit zu tun, dass Sie mich gesucht haben?“, fragte Mato.

„Ja“, sagte Howard. „Ich habe viel von Ihnen gehört. Sie haben für Crook gearbeitet.“

„Ein paar Mal“, sagte Mato. „Ich würde am liebsten nichts mehr mit ihm und der Armee zu tun haben. Ich habe lange gezögert, nachdem Ihr Telegramm mich erreicht hatte, ob ich überhaupt hierher reiten sollte.“

„Ich hörte schon, dass es Differenzen zwischen Ihnen und Crook gegeben hat“, sagte Howard.

„Keine Differenzen“, antwortete Mato. „Wir haben zu verschiedene Ziele. Ich habe für Crook gearbeitet und mir eingebildet, dabei etwas für die Indianer tun zu können. Aber manchmal hatte ich danach den Eindruck, dass Crook jedes Mal von mir noch etwas dazugelernt hatte, um die Indianer noch ein bisschen besser zu begreifen und ihnen noch mehr schaden zu können.“

„Sie werden vielleicht mit Crook in Berührung geraten“, sagte Howard. „Er ist seit Kurzem hier der Departmentskommandant. Ich bin nur im Sonderauftrag des Präsidenten aus Washington hier. Aber Crook ist gegen mich, unter Umständen wird er auch gegen Sie sein, nämlich dann, wenn Sie mir helfen.“

„Um was geht es?“

„Ein paar Aravaipas sind übrig geblieben“, sagte Howard. „Sie wurden gleich nach dem Kampf gefangen.“

Mato runzelte die Stirn. „Ich habe von Kindern gehört.“

„Kinder, richtig“, schaltete Whitman sich ein. „Es haben siebenundzwanzig Kinder überlebt. In der ­weiteren ­Umgebung sind dann noch einmal sieben Kinder eingefangen worden. Insgesamt vierunddreißig Kinder. Sie sind seit einem Jahr Kriegsgefangene der Miliz von Tucson.“

„Kinder als Kriegsgefangene? Machen Sie keine Witze, Lieutenant.“

„Leider ist das kein Witz“, sagte Howard. „Die Miliz sieht die Apachen-Kinder als ihre Beute an. Solange der Prozess gegen die Führer der Miliz lief, saßen die Kinder nur in Gefangenschaft. Jetzt wollen die Leute aus Tucson sie als Sklaven nach Mexiko verkaufen. Mit dem Erlös wollen sie sich für die angeblich erlittenen Schäden durch Apachen-Überfälle entschädigen.“

„Crook ist dafür“, sagte Whitman. „Er hatte mich meines Postens enthoben, weil ich dagegen war.“

„Eskiminzin hat sich inzwischen bemerkbar gemacht“, sagte Howard. „Er verlangt die Herausgabe der Kinder, weil sie zu seinem Stamm gehören. Ich halte die Forderung für richtig, aber ich will erst mit den Beteiligten sprechen.“

„Sie können uns helfen“, sagte Whitman.

„Kann ich das?“

„Vielleicht“, sagte Howard. „Es hängt davon ab, wie die Gespräche mit der Miliz von Tucson, mit Crook und mit Eskiminzin verlaufen. Crook steht unter Dampf, weil ich hier bin, weil ich Sondervollmachten habe und ihm übergeordnet bin. Die Fronten sind sehr verhärtet. Ich glaube nicht, dass es zu einer gütlichen Einigung kommen wird. Ich will Sie für alle Fälle in meiner Nähe haben, um die Möglichkeit offenzuhalten, die Kinder inoffiziell freizukriegen. Es gibt dafür keinen besseren Mann als Sie.“

„Was haben Sie vor?“

„Das kann ich Ihnen erst genau sagen, wenn ich weiß, ob Ihr Einsatz nötig ist.“

„Wo sind die Kinder jetzt?“

„In Camp Grant, meinem früheren Posten“, sagte Whitman.

„In Camp Grant sollen die Verhandlungen stattfinden“, sagte Howard. „Ich wollte vorher die Örtlichkeiten kennenlernen. Deshalb bin ich hier. Noch heute breche ich nach Camp Date Creek im Nordwesten auf. Aber in einem Monat bin ich in Camp Grant. Wenn Sie nichts Unaufschiebbares vorhaben, sollten Sie auch da sein. Ich weiß, für was Sie kämpfen und auf welche Weise. Die Sache ist für Sie wichtig. Glauben Sie mir.“

Mato schwieg.

„Ich will den Kindern unter allen Umständen ersparen, verkauft zu werden“, sagte Howard. „Sie haben ihre Eltern verloren und dabei zusehen müssen, wie sie umgebracht wurden. Das ist schlimm genug.“

„Sie wollen sagen, dass Sie zunächst versuchen wollen, ohne mich eine Lösung zu finden. Sie brauchen mich nur, wenn es gar nicht anders geht.“

„Ja.“

„Sie sind wenigstens ehrlich“, sagte Mato. „Unter Umständen heißt das, dass ich vier Wochen lang umsonst herumsitze.“

„Ich kann Ihnen jetzt keinen festen Auftrag geben“, sagte Howard. „Aber ich bin ziemlich sicher, dass Ihre Hilfe nötig ist.“

„Wir hätten uns nicht um Sie bemüht, wenn wir nicht damit rechnen würden, Ihre Hilfe zu brauchen“, sagte Whitman.

Mato schwieg. Er schaute über das Schlachtfeld. Der schwüle Wind von Südwesten umfächelte sein hart geschnittenes Gesicht.

Unwillkürlich meinte Mato, den Geruch des Todes noch wahrnehmen zu können, der sich im vorigen Jahr über diese Ebene gelegt hatte.

Was Howard gesagt hatte, klang nicht unbedingt zuverlässig. Aber General Oliver Otis Howard war als ehrlicher Mann bekannt.

Er hatte im Bürgerkrieg in der Schlacht von Fair Oaks seinen rechten Arm verloren, als er sein Regiment in die vorderste Frontlinie geführt hatte. Schon lange davor war er wegen seiner tiefen Religiosität als der Bibel-Howard bekannt geworden.

Mato dachte, dass er im Grunde keine Zeit zu verlieren hatte. Die Sache der Indianer stand überall schlecht, nicht nur hier unten im Südwesten, obwohl die Kämpfe hier schon zu furchtbaren Gemetzeln ausgeartet waren.

Mato brauchte immer mehr Geld für seine Freunde in Washington, um zu verhindern, dass die Ausschüsse von Kongress und Senat die Schrauben in der Indianerpolitik noch schärfer anzogen. Er musste Geld verdienen, durfte nicht auf einen Auftrag warten, den er nicht einmal genau kannte und den er womöglich nie erhalten würde. Es wäre nicht nur für ihn verlorene Zeit, sondern auch für die indianische Sache.

Aber dann dachte er an die vierunddreißig Apachenkinder, denen ein Leben in Sklaverei drohte.

Es gab Dinge, die getan werden mussten.

Mato blickte Howard an. Er sagte: „Ich bin in spätestens vier Wochen in Camp Grant.“

Howards Augen strahlten, ein Leuchten glitt über sein zerfurchtes Gesicht. Mato bemerkte die ehrliche Freude bei Lieutenant Whitman.

„Ich habe mich nicht getäuscht“, sagte Howard. „Als ich Washington verlassen habe, habe ich mir immerzu den Kopf zerbrochen, was ich tun kann. Mir ist ständig Ihr Name eingefallen, wenn ich an die Kinder gedacht habe. Lieutenant Whitman war auch der Meinung, dass wir auf Sie zählen können.“

„Wir sehen uns in Camp Grant, General“, sagte Mato. Er drückte erst Howard die Hand, danach Whitman. Langsam drehte er sich um und ging zu dem Appaloosa zurück.

Als er sich in den Sattel schwang, meinte er, den Lärm des Massakers zu hören, das hier stattgefunden hatte. Er schloss die Augen und sah für Sekunden Frauen und Kinder verzweifelt umherhetzen und getroffen stürzen. Er hörte sie schreien, sah Krieger flüchten und Männer mit Gewehren über die Hügel laufen, die auf alles schossen, was sich bewegte.

Es dauerte nicht lange. Mato packte die Zügel fester. Er hatte viel gesehen und erlebt. Dinge, wie sie hier ­geschehen waren, kannte er nur zu gut. Es hatte keinen Sinn, sich lange damit aufzuhalten. Das, was geschehen war, ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Es konnte nur noch darum gehen, die weiteren Folgen solcher Verbrechen zu lindern. Rache war meistens sinnlos. Die Vergangenheit war nicht zu ändern. Es musste etwas für die zukünftige Entwicklung getan werden. Das war das Ziel, das er sich gesteckt hatte.

Mato trieb Eagle an und ritt über das Schlachtfeld, auf dem über 140 nahezu waffenlose Aravaipa-Frauen und -Kinder gestorben waren, auf die Furt des Creek zu.

Als er sich einmal umwandte, sah er General O. O. Howard einen Wagen besteigen, während Lieutenant Whitman die Eskorte zusammenrief.

2. Kapitel

Die Hütte war aus luftgetrockneten Lehmziegeln erbaut. Sie hatte ein flaches Strohdach und zwei winzige quadratische Fenster. Es war heiß und stickig im einzigen Raum der Hütte, die Luft war wie ein Brei und stank nach Schweiß und Urin. Durch die engen Fenster drang wenig Licht, und die Luft konnte nicht zirkulieren, denn es ging nur ein schwacher Wind. Dagegen brannte die Sonne gnadenlos auf die Hütte herunter. Auf dem Fußboden aus gestampftem Lehm lagen Strohsäcke und fleckige Decken. Darauf saßen, hockten oder lagen die Kinder.

Mato sah die schmalen, eingefallenen braunen Gesichter mit den tief liegenden Augen. Sie starrten ihm ohne Interesse entgegen. Sie wirkten lethargisch und abgestumpft. Mato war betroffen.

In einer Ecke saß ein Mädchen von höchstens zwölf Jahren und hielt einen vielleicht zweijährigen Jungen in den Armen. Der Junge wimmerte leise. Das Mädchen wiegte ihn schweigend hin und her. Aber das Wimmern erfüllte die Hütte mit nervtötender Monotonie, ohne dass eines der anderen Kinder es überhaupt zu bemerken schien.

„Sie sind seit gut einem halben Jahr hier“, sagte Whitman. Er stand neben Mato auf der Türschwelle der Hütte. „Die Miliz wollte sie sofort verkaufen und hatte sich schon mit einigen mexikanischen Familien geeinigt. Dann haben wir die Kinder ’rausgeholt, damit eine höhere Instanz diesen Fall behandeln kann.“

„Das ist ein Rattenloch“, sagte Mato. „Ich würde mein Pferd nicht einmal in einen Stall stellen, der so aussieht. Wenn die Kinder noch lange hierbleiben, werden sie eingehen wie krankes Vieh.“

„Ja“, sagte Whitman. „Deshalb ist die Sache eilig.“

Er drehte sich um. Vor der Tür stand ein Mann mit einer Winchester in der Armbeuge. In seinem linken Mundwinkel hing eine Zigarette. Er blickte an Whitman vorbei und taxierte Mato.

„Bringen Sie das Halbblut weg, Lieutenant“, sagte er. „Er hat genug gesehen.“

„Das geht Sie gar nichts an“, erwiderte Whitman.

„Ganz ruhig, Lieutenant. Die kleinen Rothäute gehören uns, der Miliz von Tucson.“

„Sie sind hier in Camp Grant“, sagte Whitman. „Hier befehle ich.“

„Nicht uns“, sagte der Mann. „Wir wissen, wie es um Sie steht. Sie werden hier nicht alt. Also spielen Sie sich nicht so auf. Sowie der Zauber hier vorbei ist, werden Sie sowieso wieder ihre Koffer packen müssen. General Crook hat es in Tucson selbst erzählt.“

Der Mann grinste. Whitman lief rot an, blieb aber ruhig. Ein zweiter Mann stellte sich neben den ersten. Er trug ein fleckiges grünes Hemd, das ihm offen über den Gürtel hing. Er hatte die Daumen hinter den breiten Patronengurt gehakt und blickte Whitman und Mato herausfordernd an.

Mato musterte die beiden kühl. Er sagte: „Wahrscheinlich hausen sie selbst in solchen Löchern. Deswegen wissen sie nicht, wie Menschen wohnen.“

„Was willst du damit sagen, Bastard?“ Der Erste hob die Winchester ein wenig an. Er tat einen Schritt auf Mato zu.

„Nimm das Gewehr weg“, sagte Mato. Er blickte den Mann starr an. Der andere konnte dem Blick nicht standhalten. Er senkte den Kopf und nahm das Gewehr herunter.

Whitman setzte sich in Bewegung und ging an den Milizposten vorbei. Mato folgte ihm.

Der zweite Mann schob sich plötzlich vor. Mato bemerkte es aus den Augenwinkeln. Als der Mann ihm ein Bein ­stellen wollte und gleichzeitig mit der rechten Faust ausholte, wich Mato aus, duckte sich und schnellte herum.

Er unterlief den Hieb des anderen und rammte ihm beide Fäuste mit der Wucht eines Huftritts gegen die Brust.

Der Posten stieß einen gurgelnden Laut aus und kippte rücklings zu Boden.

Der erste Mann sprang auf Mato zu und hob das Gewehr wieder an. Mato ließ sein rechtes Bein hochfliegen. Er erwischte den Mann an der linken Hüfte. Der Bursche verschluckte die Zigarette fast. Er torkelte zur Seite. Mato setzte nach, packte das Gewehr am Lauf und riss es ihm aus den Fäusten. Er hob es hoch und schmetterte es gegen die Wand der Hütte, in der die Apachen-Kinder gefangen waren. Das Kolbenholz splitterte, das Röhrenmagazin verbog sich leicht.

Mato ließ die Waffe fallen und wirbelte herum. Whitman hinter ihm hatte etwas gerufen. Mato sah, dass der Mann im fleckigen Hemd wieder auf den Beinen stand und nach seinem Revolver griff.

Als er die Waffe halb aus dem Holster hatte, zog Mato bereits den Hammer seines Peacemakers zurück.

Das metallische Klicken ließ den anderen erstarren. Aus geweiteten Augen blickte er Mato an.

Mato stand breitbeinig da. Der langläufige Revolver lag ruhig in seiner Faust. Die blauschwarze Brünierung schimmerte matt im grellen Sonnenlicht.

„Das wirst du noch bezahlen“, sagte der Mann leise. Er ließ den Griff seines Revolvers los. Der andere stand zusammengekrümmt da, die Hände auf seine linke Hüfte gepresst.

„Ich rate euch, nicht noch einmal in meine Nähe zu kommen“, sagte Mato. Er ließ den Revolver mit rascher Bewegung ins Holster zurückgleiten und ging an den beiden Männern vorbei, ohne sie noch einmal anzuschauen. Lieutenant Whitman war bleich geworden. Wortlos ging er neben Mato her über den sandigen Exerzierplatz.

Camp Grant war nur ein kleiner Armeeposten. Er sah von Weitem aus wie eine kleine Siedlung. Keine Palisade schützte die Lehmziegelhütten, in denen die Mannschaften untergebracht waren.

Unterhalb des Forts flossen der San-Pedro-Fluss und der Aravaipa Creek zusammen. Das Wasser wirkte schlammig, die Ufer waren versandet. Auf der Ebene, die sich rechts und links der Flüsse erstreckte, blühte Salbei und trockenes Kreosotgestrüpp. Drückend lag die Hitze über dem Land.

„Die beiden Kerle“, sagte Whitman. Er räusperte sich. „Sie sind gefährlich.“

„Das bin ich auch“, sagte Mato. Er blieb stehen und wandte sich Whitman zu.

„Sie waren bei dem Massaker dabei“, sagte Whitman. „Sie arbeiten für Oury.“

„Wer ist Oury?“

„Sie werden ihn bei der Verhandlung sehen“, sagte Whitman. „Er nennt sich Captain Oury. Er ist Führer der Tucson-Miliz und im Augenblick Bürgermeister der Stadt. Wenn Sie mich fragen: ein Dreckstück. Er besitzt eine Ranch bei Tucson, und er bezahlt die halbe Tucson-Miliz aus eigener Tasche. Auf seiner Ranch laufen noch mehr Männer herum wie die beiden.“

Mato blickte zurück. Die beiden Männer standen nebeneinander vor der Hütte, in der sich die Apachenkinder befanden. Sie spähten herüber. Der eine hielt sein zerbrochenes Gewehr in den Händen.

„Sie hatten recht“, sagte Mato. „Die Kinder müssen ’raus. Sie müssen dorthin, wohin sie gehören: zu ihrem Volk.“

„Eskiminzin ist seit gestern hier“, sagte Whitman. Er deutete zum Fluss hinunter, wo ein paar Zelte standen, daneben weideten gescheckte Ponys. Vor einem der Zelte saß eine Frau mit einem Tongefäß. „Er verlangt die sofortige Herausgabe der Kinder. Für heute werden weitere Krieger erwartet. Ich glaube, diesmal werden sie auf den Kriegspfad gehen, wenn die Entscheidung gegen sie fällt. Eskiminzin ist ein gutmütiger Bursche, aber wenn er gereizt wird, möchte ich nicht in seiner Nähe sein.“

„Ich kenne ihn“, sagte Mato. „Er hat bis jetzt eine Engelsgeduld gehabt. Ich werde mit ihm reden.“

„Tun Sie das.“ Whitman zog sich den Hut tiefer in die Stirn. Er trug Zivil, denn er war gleichzeitig Indianeragent dieser Gegend. Es war ein undankbares Geschäft, und Whitman hatte seine Aufgabe ernst genommen und sich damit viele Feinde geschaffen.

„General Howard spricht gerade mit Crook“, sagte Whitman. „Die beiden sind sich nicht sonderlich grün. Howard hat Vollmachten, aber kann sich nicht einfach über Crooks Entscheidungen hinwegsetzen. Im Streitfall entscheidet der Präsident. Ich glaube, Crook will diesmal ausprobieren, wie weit seine Macht reicht.“

„Three Stars ist ein zäher Bursche“, sagte Mato. „Und er ist klug. Er ist der Einzige, der sich wirklich bemüht hat, die Indianer zu verstehen. Aber in erster Linie, um sie zu besiegen und seine Karriere voranzutreiben. Ich habe mit ihm zusammengearbeitet. Vielleicht werde ich es wieder tun, aber ich habe gelernt, im Zusammenhang mit ihm mehr auf meinen eigenen Vorteil zu achten.“

„Die Verhandlung beginnt am Nachmittag“, sagte Whitman. „Die Tucson-Miliz wird da sein, eine Menge Bürger aus Tucson werden hier sein, um Oury zu unterstützen. Staatsanwalt McCaffrey will der Verhandlung beiwohnen, und es könnte sogar sein, dass der Gouverneur kommt. Howard und ich stehen ziemlich allein.“

„Wir sehen uns“, sagte Mato. Er nickte Whitman zu und ging zum Fluss hinunter. Ihm war klar, dass einige Leute ein Exempel statuieren wollten. Sie hatten sich dazu eine Handvoll elternloser Kinder ausgesucht und jene Apachen, die sich in den letzten Jahren relativ friedlich verhalten hatten. Das Ziel war klar: Die Stämme sollten provoziert werden. Entweder sie unterwarfen sich stillschweigend, oder sie gingen auch auf den Kriegspfad und konnten gewaltsam niedergeworfen werden. Mato war froh, dass er mit General Howard auf dem Schlachtfeld am San Pedro zusammengetroffen war und sich entschieden hatte, nach Camp Grant zu reiten.

*

Mato sah General Howard, General Crook und Lieutenant Whitman aus dem flachen Kommandanturgebäude von Camp Grant treten. Er hatte Crook nicht gesehen, seit er im Fort war. Er war sicher, dass Crook von seiner Anwesenheit wusste, aber auch er hatte sich nicht bei ihm gemeldet.

Three Stars sah aus, als würde er jeden Moment platzen. Sein faltiges Vogelgesicht mit dem dichten, struppigen Bart wirkte verkniffen. Er war bemüht, den Eindruck zu verbreiten, dass alles, was hier geschah, ihn nicht im Mindesten interessierte.

Mato hockte im Schatten eines Magazingebäudes. Er hatte sich absichtlich abgesondert, um die Verhandlung gut überblicken zu können und nicht allzu offensichtlich aufzutreten. Er wusste, dass viele ihn in dieser Gegend kannten oder zumindest von ihm gehört hatten. Sein Anblick hätte zu viele Spekulationen ausgelöst. Es würde sich früher oder später nicht vermeiden lassen, dass seine Anwesenheit allgemein bekannt wurde, aber es war unnötig, von Anfang an für Unruhe zu sorgen und die Aufgabe, die ihm möglicherweise zufallen würde, noch mehr zu erschweren.

Auf der rechten Seite des Exerzierplatzes hatten Bürger aus Tucson Aufstellung genommen, Mexikaner und Amerikaner. Mato war einmal in Tucson gewesen und wusste, wie er die meisten einzuschätzen hatte. Tucson wimmelte von Berufsspielern, von Kneipenbesitzern und Bordellwirten. Es gab einen Haufen Abenteurer, die in der Gegend nach Gold gruben, und viele Kriegsgewinnler, die es nach dem Bürgerkrieg mit ihrem ergaunerten Geld in diese Gegend verschlagen hatte, wo die Gesetze nicht besonders streng gehandhabt wurden. Zudem gab es ehemalige Südstaatler, die ihre Heimatstaaten nach Verhängung des Militärrechts verlassen hatten. Sie hassten noch immer jede blaue Uniform und gaben nicht viel auf Entscheidungen der Washingtoner Regierung.

An ihrer Spitze bemerkte Mato einen großen, schweren Mann, der aussah, als sei er aus einem Granitklotz herausmodelliert worden. Sein kantiger Schädel wurde von einer braunen Löwenmähne umrahmt. Kinn und Wangen wurden von einem wild wuchernden Bart bedeckt. Er trug riesige mexikanische Sporen an seinen Stiefeln, einen handgepunzten Revolvergurt und einen Hut aus feinem Biberpelz mit einem Hutband, das mit Silberconchos besetzt war.

Das war William Oury, der Anführer der Tucson-Miliz. Mato beobachtete ihn genau und gelangte zu dem Schluss, dass man sich vor Oury in Acht nehmen musste. Er war gewiss ein Mann, der das, was er für richtig hielt, rücksichtslos durchzusetzen versuchte und jeden niederwalzte, der ihm in den Weg geriet.

Mato zog sich den breitrandigen Sombrero tief ins Gesicht. Er spähte zu den Indianern hinüber, die sich auf der anderen Seite des Exerzierplatzes versammelt hatten.