Western Legenden 42: Der Scout und der General - Dietmar Kuegler - E-Book

Western Legenden 42: Der Scout und der General E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Sie tauchen hinter den grünen Hügeln über dem Little Bighorn auf. Eine Woge dunkler Leiber, die Gesichter bemalt. Die Klingen der Tomahawks blinken. Grelles Kriegsgeschrei überall. Sie kommen von allen Seiten. Es gibt kein Entrinnen.Dietmar Kuegler lässt in seinem Roman die Vergangenheit lebendig werden.Mit großem dokumentarischen Anhang über die Schlacht am Little Bighorn.

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Western Legenden

In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035 Alex Mann Mexico Marshal

9036 Alex Mann Der Rodeochampion

9037 R. S. Stone Vierzig Tage

9038 Alex Mann Die gejagten Zwei

9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040 Peter Dubina Brennende Lager

9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General

Dietmar Kuegler

Der Scout und der General

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-663-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

„Glaubst du, dass sie uns aufhängen werden?“, fragte Pitter.

„Sie peitschen uns die Haut von den Knochen“, sagte Hammon.

„O nein.“ Pitter strich sich über die stoppelbärtigen Wangen. Seine Hände zitterten.

„Nicht auspeitschen, ich habe noch nie Schmerzen aushalten können.“

„Vielleicht hängen sie uns auch auf“, sagte Hammon.

„Ich habe gehört, dass Custer früher schon Deserteure erschossen hat.“

„Erschießen ist besser als hängen“, sagte Pitter.

„Mich kriegen sie nicht“, sagte Hammon und reckte den Kopf. Unvermittelt sprang er auf.

„Warte auf mich!“ Pitter folgte ihm.

Sie liefen geduckt, im Schutz von dichtem Weiden­gehölz, zum Fluss hinunter. Das Abendrot spiegelte sich im Missouri. Eine Reihe von Frachtsteamern dampfte den Strom hinunter. Rechts und links vom Bug glühten die Feuerkörbe. Die heiseren Rufe der Lotsen hallten durch den Abend.

Donnernder Hufschlag. Pitter schrie: „Sie sind schon da, Sie kriegen uns!“

Hammon drehte sich abrupt um und stürmte auf ein dichtes Gehölz zu. Pitter stolperte und stürzte der Länge nach hin. Seine Hose zerriss über den Knien. Er stemmte sich hoch und tastete nach seinem Revolver im Gürtel. Da sah er die Reiter, die am Fluss entlang jagten.

Sie trugen blaue Uniformen. Voraus ritt ein lederhäutiger, sehniger Sergeant. Als Pitter sich umdrehte, bemerkte er einen zweiten Trupp, der den Fluss noch nicht erreicht hatte.

Pitter rannte. Er war jung, noch keine zwanzig Jahre alt. In diesem Moment fragte er sich, wieso er in die Armee geraten war, noch dazu in das 7. Regiment.

Die blaue Uniformbluse war plötzlich schwer wie ein Kettenhemd. Die Angst schnürte Pitter die Kehle zu. Er hielt seinen Revolver in der Faust, aber wagte nicht, stehenzubleiben und ihn zu benutzen. Was immer passierte, wie immer seine Strafe aussehen würde, wenn sie ihn kriegten: Wenn er schoss, würden sie ihn hängen.

Hammon hatte das Waldstück erreicht. Pitters Füße wurden immer schwerer. Er konnte kaum noch atmen. Hammon kauerte am Waldrand und winkte ihm zu.

Pitter taumelte zwischen den Bäumen hindurch, ging in die Knie und keuchte: „Ich kann nicht mehr!“

„Du kannst“, sagte Hammon. „Du brauchst bloß an den Galgen zu denken.“

„Wir hätten nie weglaufen dürfen“, sagte Pitter.

„Du Scheißer!“ Hammon packte Pitter am Kragen der Uniformbluse, riss ihn auf die Beine und schüttelte ihn hin und her. „Wer hat mir Tag und Nacht die Ohren voll gejammert, dass er es nicht mehr aushält? Den Drill, den schlechten Fraß, die verlausten Quartiere, dieses ganze verfluchte Leben in der Armee? Ich wäre auch allein abgehauen. Du wolltest, dass ich dich mitnehme. Jetzt habe ich dich als Klotz am Bein.“

„Dann lass mich doch liegen!“ Pitters Stimme schnappte fast über. Hammon klatschte ihm die rechte Handfläche auf den Mund und presste seine Kiefer mit der Wucht eines Schraubstocks zusammen, dass Pitter fast die Augen aus dem Kopf quollen.

„Damit die Patrouillen dich finden und du sie auf meine Spur bringst?“

„Das würde ich niemals tun, niemals, ich würde ...“

„Die brauchen dir nur ein Bajonett auf den Bauchnabel zu setzen, dann singst du wie eine Zikade. Du reißt dich jetzt zusammen und rennst, bis du die Lunge ausspuckst!“

„Die kriegen uns sowieso“, sagte Pitter. „Vermutlich sind noch mehr Patrouillen unterwegs.“

„Du wirst tun, was ich dir sage!“ Hammon ließ Pitter los. „Es werden immer nur kleine Trupps ausgeschickt. Das Regiment hat gar nicht genug Leute für mehr.“

Er spähte in den Abend. Die Patrouillen hatten sich am Fluss getroffen. Der sehnige Sergeant und ein drahtiger Corporal sprachen miteinander. Sie beratschlagten. Der Sergeant hob den rechten Arm und deutete auf das Waldstück.

„Los jetzt!“ Hammon packte Pitter am Arm und zerrte ihn mit. Sie rannten durch das Unterholz. Die Düsternis umgab sie wie ein Netz. Sie stolperten und strauchelten. Tiefhängende Zweige streiften sie oder klatschten ihnen ins Gesicht.

Pitter wimmerte leise, während er vorwärtstaumelte. Hammon beachtete ihn nicht.

Der Wald lichtete sich vor ihnen. Sie hielten an und hockten sich hinter dorniges Strauchwerk.

„Jede Woche laufen Soldaten weg“, sagte Hammon. Er beobachtete das hügelige Grasland seitlich des Flusses. „Custer hat anderes zu tun, als ganze Kompanien abzukommandieren, die Deserteure jagen. Die Patrouillen kehren nach kurzer Zeit um, das garantiere ich dir.“

„Vielleicht aber auch nicht.“

„Custer hat etwas Großes vor“, sagte Hammon. „Hast du nicht die vielen Kuriere gesehen, die in den letzten Tagen hin und her geritten sind? Er hat Scouts nach Westen geschickt. Ich sage dir, es steht ein Feldzug bevor. Er kann es sich gar nicht leisten, hinter ein paar Deserteuren herzujagen. Das Regiment ist nicht mal vollzählig.“

„Es kann aber auch bedeuten, dass er jeden Mann braucht.“

„Uns nicht.“ Hammon starrte Pitter an. „Mein Gott, wie bist du bloß in die siebte Kavallerie geraten?“

„Wir hatten eine Farm in Illinois. Wenn meinem Vater etwas nicht passte, hat er uns grün und blau geprügelt. Er hatte jeden Tag Grund dazu. Meinen jüngeren Bruder hat er fast zum Krüppel geschlagen. Ich hatte irgendwann die Nase voll und bin abgehauen. In einem Saloon in St. Louis hat mich ein Mann beschwatzt und zu einem Armeebüro geschleppt.“

„Hast du dein Handgeld gekriegt?“

„Keinen Cent.“

„Dann hat der Kerl dein Handgeld eingesteckt. Wer weiß, wie oft er das noch gemacht hat. Ein gutes Geschäft.“ Hammon schüttelte den Kopf. „Du bist dein Leben lang bloß weggelaufen, Pitter. Erst vor deinem Alten, jetzt vor Custer. Und so einen Grünschnabel muss ich mir an den Rockzipfel hängen.“

„So kannst du nicht mit mir reden“, sagte Pitter weinerlich. „Du bist auch desertiert.“

„Ich hatte nie vor, bei der Armee alt zu werden“, sagte Hammon. „Ich brauchte einen Platz, um unterzutauchen. Die Armee ist das beste Versteck, das es für einen Mann gibt, der gesucht wird. Alle tragen die gleiche Uniform, alle sehen gleich aus. Niemand fragt nach dem richtigen Namen. Man hat seine Unterkunft, sein Essen, und man wird viel herumgeschickt, sodass die Spur sich verliert.“

„Du bist gesucht worden?“

„In Texas“, sagte Hammon ungerührt. Er blickte Pitter dabei fest in die Augen. „Wegen Mordes.“ Um seine Mundwinkel zuckte es. „Das war vor einem Jahr. Ich wäre vielleicht noch ein bisschen länger bei der Armee geblieben, wenn ich nicht so ein dumpfes Gefühl hätte, dass es gesünder sein könnte, sich jetzt einen anderen Platz zu suchen. Ich sagte doch: Custer hat etwas vor. Ich habe aber nicht die Absicht, ein Held zu werden. Ich habe Custer in den letzten Monaten beobachtet. Der Mann ist gefährlich. Nicht nur für die Rothäute, auch für sich selbst und für das Regiment. Als es vor ein paar Wochen so aussah, als würde Washington ihn aus dem Verkehr ziehen, dachte ich, es sei doch ganz vernünftig, noch eine Weile bei Onkel Sam zu bleiben. Aber seit er wieder da ist, wird mir der Boden unter den Füßen zu heiß.“

„Du bist wirklich ein Mörder?“

„Hast du noch nie jemanden umgelegt?“

„Nein.“

„Es ist gar nicht so schwer“, sagte Hammon. „Es war nicht der erste Mann, aber der falsche. Wir hatten zusammen gepokert, und er hatte mich betrogen. Er hat sogar zuerst zum Revolver gegriffen. Mein Pech war, dass er Steuereinnehmer der Militärregierung war. Der Bürgerkrieg ist zehn Jahre vorbei, und die Sitten haben sich etwas gelockert. Aber die kleinen Militärkommandanten in den Counties spielen noch immer eine große Rolle, und ein Steuereinnehmer ist ein wichtiger Mann.“

Pitter zog ein Gesicht, als müsse er sich gleich übergeben.

Hammon grinste ihn an: „Du weißt wohl nicht mehr, für was du dich entscheiden sollst: Entweder Custers Patrouillen schnappen dich, oder ich bringe dich um.“

Pitter schwieg. Hammon wandte sich nach vorn. Unvermittelt waren die Reiter da. Sie lenkten ihre Pferde vom Fluss hoch. Das breite Band des Missouri glitzerte im Abglanz des vergehenden Tages wie Kupfer.

„Sie haben uns gefunden!“ Pitter warf sich herum.

Hammon stieß einen Fluch aus und schlug zu. Seine Faust streifte Pitter am Kopf. Pitter stürzte. Hammon richtete sich auf und hastete durch das Waldstück auf den Fluss zu. Hinter ihm drangen die Soldaten ins Unterholz ein. Hammon riss sich die Uniformbluse vom Leib und stürmte in das Uferwasser. Unter seinen Stiefeln spritzte es hoch auf. Er rutschte auf dem schlammigen Grund aus, warf die Arme hoch und stürzte der Länge nach hin. Er versank in den schmutzigen Fluten des Missouri und richtete sich prustend wieder auf. Er zog seinen Revolver.

Hinter ihm sprengten die Jäger heran. Die Hufe ihrer Pferde schleuderten das Wasser gischtend in die Höhe. Der Sergeant beugte sich weit aus dem Sattel und schwenkte seinen Sharps-Karabiner wie eine Keule.

„Du Schwein!“, schrie Hammon.

Er drückte ab. Der Hahn seines Revolvers klickte auf eine Kammer. Hammon fluchte laut. Er drückte wieder ab und noch einmal. Die Ladungen waren feucht geworden. Es löste sich kein Schuss.

Der Schlag mit dem Gewehrkolben traf ihn voll gegen die Brust und warf ihn rücklings ins Wasser. Der Schmerz, der ihn durchflutete, war so stark, dass sein Bewusstsein schwand. Als das kühle Wasser über ihm zusammenschlug, war er wieder klar, aber die Schmerzen lähmten ihn, sodass es ihm kaum gelang, sich wieder aufzurichten.

Wasser drang durch Mund und Nase ein. Er schluckte eine Menge davon, verlor seinen Revolver und schlug mit beiden Armen wild um sich, um an die Oberfläche zu gelangen. Er sank nach vorn auf die Knie. Das Wasser reichte ihm jetzt bis zur Brust. Hammon krümmte sich zusammen und übergab sich. Er rang nach Luft. Halbblind, da ihm das nasse Haar strähnig ins Gesicht fiel, bemerkte er zwei Reiter, die ihre Pferde durch das ­Uferwasser auf ihn zutrieben.

Unfähig sich zu rühren, kauerte er im seichten Wasser und wurde brutal gepackt. Er hörte das Brüllen der Soldaten, die ihn hochrissen und wieder ins Wasser schleuderten. Er ging unter. Nackte Verzweiflung erfasste ihn. Von panischer Angst erfüllt, kämpfte er sich wieder hoch. Ein Stiefel setzte sich auf seine linke Schulter und drückte ihn wieder nach unten. Er umklammerte das Bein, das ihn niederhielt, zog fast den Reiter aus dem Sattel und gelangte wieder nach oben. Ein anderer packte ihn an den Haaren und schleifte ihn hinter sich her. So zerrten sie ihn an Land, wo er wieder strauchelte und zu Boden stürzte. Halb bewusstlos blieb er liegen.

„Der andere muss oben am Waldrand sein!“, rief eine Stimme.

Hufschlag donnerte erneut auf. Die zweite Patrouille näherte sich. Schreie ertönten.

Hammon hob den Kopf. Jetzt jagten sie Pitter, diesen Idioten. Pitter war überhaupt an allem schuld. Hätte er sich ruhig verhalten, wären sie von den Häschern nicht entdeckt worden. Hätte er nicht so viel Angst gehabt, wären sie schneller vorwärts gelangt.

Ein Schuss krachte. Pitter rannte am Fluss entlang. Er schoss mit seinem Revolver, ohne einen der Reiter zu treffen. Sie holten ihn ein. Der Corporal beugte sich aus dem Sattel, packte Pitter am Kragen und hob ihn einfach ein Stück hoch. Pitter verlor den Boden unter den Füßen und stürzte im nächsten Moment knallhart nieder. Er überschlug sich.

Bevor er sich benommen wieder aufrichten konnte, waren zwei Soldaten über ihm, rissen ihm die Arme auf den Rücken und banden seine Handgelenke zusammen, dass Pitter vor Schmerzen aufkreischte.

Er wurde zurückgeschleppt, bis er neben Hammon stand, den sie auf die Beine gezerrt hatten.

„Du Scheißkerl“, sagte Hammon.

„Halt die Klappe!“, schrie der Sergeant, holte aus und schlug Hammon mit dem rechten Handrücken ins Gesicht. Hammons Oberlippe platzte auf. Sein Kopf flog zur Seite. Er taumelte.

„Ihr habt uns eine schlaflose Nacht gekostet, ihr Dreckskerle“, sagte der Sergeant. „Glaubt ihr, dass es ein Spaß ist, sich den Hintern wund zu reiten, um euch wieder einzufangen.“

„Warum hast du es dann nicht gelassen?“ Hammon lispelte wegen seiner aufgeschlagenen Oberlippe.

Der Sergeant schlug wieder zu. In Hammons Augen glühte Hass auf.

„Dir wird das große Maul noch gestopft werden“, sagte der Sergeant. „In Fort Lincoln wird abgerechnet.“

„Ich wollte nicht desertieren!“ Pitters Stimme kippte fast um. Er flog am ganzen Leib. „Ich war von Anfang an dagegen. Er hat mich dazu überredet, weil er nicht allein loswollte. Ich wäre nie weggelaufen, wenn er nicht ...“

„Dir breche ich das Genick, du feiges Schwein!“, brüllte Hammon. Er stürzte sich auf Pitter und umschloss mit beiden Fäusten dessen Hals. Sie fielen beide zu Boden. Mehrere Soldaten warfen sich auf sie und trennten sie. Sie zerrten den tobenden Hammon zurück und banden ihm die Arme auf dem Rücken zusammen.

„Nur keine Sorge“, sagte der Sergeant. „Ihr kriegt beide, was ihr verdient.“

„Kassierst du Prämien dafür, dass du für Custer den Kopfjäger spielst?“, fragte Hammon. „Dieser Kerl verheizt uns alle. Der denkt nur an sich und daran, möglichst schnell weiter befördert zu werden. Wer sein Hirn noch im Schädel hat, der verschwindet, solange noch Zeit dazu ist.“

„Du bist zur Armee gegangen, mein Freund“, sagte der Sergeant ungewöhnlich mild. „Aus freiem Willen und bei vollem Verstand. Die Armee ist kein Geschäft, in das man einsteigt, wenn es einem passt, und aus dem man wieder aussteigt, wenn man schlecht geschlafen hat. Ihr tragt die Uniform und reißt eure Zeit ab wie wir alle.“

Er wandte sich um und stieg in den Sattel. „Nehmt sie mit!“, befahl er.

Die Soldaten legten Hammon und Pitter Stricke um die Hüften. Als sie anritten, zogen sie die Männer hinter sich her. Sie mussten laufen, wenn sie nicht umgerissen und mitgeschleift werden wollten.

„Ich hoffe, dass sie dich am Flaggenmast in Fort Lincoln hochziehen“, presste Hammon zwischen seinen zerschlagenen Lippen hervor. „Wenn nicht, dann sollen sie dir die Haut herunter peitschen, bis du den Tag deiner Geburt verfluchst.“

„Ich habe es nicht so gemeint“, keuchte Pitter. Das Entsetzen hatte seine Züge verzerrt. „Glaub mir doch, ich … ich weiß nicht, warum ich ...“

Ein Schlag traf ihn von hinten über der rechten Schulter. Er taumelte nach vorn und konnte sich mit Mühe auf den Beinen halten.

Die Dunkelheit hüllte den Missouri ein. Das Tröten einer Dampfpfeife klang hinter den Soldaten her, die die staubige Überlandstraße ansteuerten, die nach Fort Abraham Lincoln führte.

Kapitel 2

Arthur Ridgely ritt aus den Badlands heran, ein hagerer, sich stets etwas nach vorn gekrümmt bewegender Mann, staubbedeckt wie sein Pferd. Er trug ein indianisch gegerbtes Wildlederhemd mit Fransen an den Nähten. Sein dunkelbraunes Haar fiel in weichen Locken bis auf seine knochigen, gleichwohl breiten Schultern und umrahmten ein schmales, hohlwangiges Gesicht mit tiefliegenden, dunklen, immer etwas melancholisch blickenden Augen. Im Gürtel trug er rechts einen großkalibrigen Smith & Wesson-Revolver und links ein Bowie-Messer mit langer Klinge. Am Sattel hatte er einen Pfeifen­tomahawk hängen sowie einen Scabbard mit einem Spencer-Karabiner.

Art Ridgely war anzusehen, dass er einen sehr langen Ritt hinter sich hatte, aber er wirkte nicht erschöpft, und wer ihn sah, gewann den Eindruck, dass dieser Mann seine Kräfte sehr gut einzuschätzen und einzuteilen wusste.

Er folgte seit einiger Zeit dem Bett des Sweetbriar Creek, das fast ausgetrocknet war. Vor ihm war Rauch in der Luft. Als er endlich das Feuer in der Ebene entdeckte, lenkte er sein Pferd darauf zu. Er veränderte seine Haltung nicht, aber er registrierte mit unauffälliger Wachsamkeit alles, was von Wichtigkeit war.

Neben dem Feuer vor ihm standen drei Wagen. Bei dem einen handelte es sich um einen Frachtwagen, dessen Ladung von einer grauen Plane verdeckt wurde. Die anderen waren flache, leichte Fahrzeuge, wie sie auf Farmen gebraucht wurden. Sie waren offenbar nur mit wenigen Werkzeugen und Vorräten beladen. Ridgely entdeckte Goldwaschpfannen, Siebe, Spitzhacken, Schaufeln, Töpfe, Kannen, Konserven und anderes.

Die Männer am Feuer waren schwer einzuschätzen. Vier sahen aus, als hätten sie geradewegs das letzte Dampfboot von St. Joseph in Bismarck verlassen. Ihre Kleidung wirkte noch etwas städtisch. Zwei andere trugen derbe Baumwollhemden, Levis-Hosen und Revolvergürtel. Der siebte Mann war untersetzt und kräftig, hatte einen struppigen Kinnbart und war braungebrannt. Trotz seines grauen Stadtanzugs sah er nicht wie ein Mann aus dem Osten aus. Sie unterbrachen ihr Gespräch, als Ridgely sich näherte. Der Reiter zügelte sein Pferd unweit des Feuers.

„Einen Schluck Wasser?“, fragte er.

Einer der Männer am Feuer richtete sich auf, schöpfte mit einem Blechbecher eine dunkle Flüssigkeit aus einem Kessel und brachte ihm den Becher. Er sagte: „Ist Kaffee recht?“

„Kaffee ist immer recht“, erwiderte Ridgely und trank mit kleinen Schlucken. Er hatte lange keinen Kaffee gehabt.

„Trapper?“, fragte der bärtige, braungebrannte Mann.

„Scout“, antwortete Ridgely. „Fort Abraham Lincoln. Siebte US-Kavallerie. Mein Name ist Ridgely.“

„Es wird Zeit, dass die Armee endlich etwas unternimmt“, sagte der Mann, der ihm den Kaffeebecher gebracht hatte.

„Was soll die Armee unternehmen?“, fragte Ridgely.

„Sie soll die Rothäute endlich zum Teufel jagen.“

„Seid ihr auf dem Weg in die Black Hills?“, fragte Ridgely. „Goldsucher?“

„Ja.“

„Dann müssten wir eigentlich euch zum Teufel jagen.“

Ridgely trank den Becher leer und warf ihn neben das Feuer.

„Wie meinen Sie das?“, fragte der bärtige Mann.

Ridgely beachtete die Blicke der anderen nicht, die feindselig geworden waren.

„Vielleicht erinnert Ihr Euch daran, dass es einen Vertrag zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und den vereinigten Stämmen der Sioux, Cheyenne, Arapaho und anderer Indianernationen gibt. Er wurde vor einigen Jahren in Fort Laramie geschlossen. Die Zeitungen waren damals voll davon.“

„Ich erinnere mich“, sagte der bärtige Mann. „Ich bin Reporter, Mister Ridgely, und ich schreibe für die ­Bismarck-Tribune.“

„In diesem Vertrag sind den Stämmen bestimmte Gebiete zugesichert worden. Unter anderem die Black Hills, in denen die Kulturstätten der Stämme liegen. Dort ist die Große Medizin, das größte Heiligtum.“

„Humbug!“ Der Mann, der Ridgely den Kaffee gebracht hatte, ging zum Feuer. „Ein Haufen Wilder, die mit dem Land, das ihnen gegeben worden ist, nichts anzufangen wissen.

„Würden Sie das auch sagen, wenn in den Black Hills kein Gold gefunden worden wäre?“, fragte Ridgely.

„Ich denke, Sie arbeiten für die Armee?“

„Muss ich deshalb blind und taub sein?“ Ridgelys Haltung blieb entspannt, aber er registrierte, dass einer der Männer sein Gewehr heranzog. „Was hier stattfindet, ist einer der größten Vertragsbrüche, die ich miterlebt habe. Und dass nur wegen Leuten wie Ihnen. Die Regierung war durchaus willig, den Vertrag zu halten, bis die Zeitungen die Nachricht von den Goldfunden hinausposaunt haben und Tausende von Diggern angerückt sind. Die ersten schickten wir zurück, aber als es immer mehr wurden, mussten wir die Grenzen der Reservation öffnen. Jetzt haben wir den Ärger mit den Indianern.“

„Sie bestreiten also das Recht amerikanischer Bürger, sich in ihrem eigenen Land zu bewegen, wie es ihnen gefällt?“

„Die Black Hills sind Indianerland“, antwortete Ridgely. „Würde es Ihnen gefallen, wenn sich jeder hergelaufene Tramp in ihrem Vorgarten einquartiert und ihre Blumenbeete auseinandernimmt, weil er glaubt, dass er darunter ein paar Nuggets findet?“

„Diese Rothäute wissen nicht, was eigenes Land und was ein Vertrag ist.“

„Glauben Sie? Ich glaube fast, dass viele Leute im Osten davon keine Ahnung haben, sonst würden sie nicht immer wieder Verträge schließen und dann brechen.“

„Hauen Sie ab, Mann!“ Der Bursche, der sein Gewehr herangezogen hatte, richtete es jetzt auf Ridgely. „Ich sollte Sie wie einen räudigen Hund aus dem Sattel schießen.“

„Nimm das Gewehr weg, Freundchen“, sagte Ridgely. „Der letzte, der ein Gewehr auf mich gerichtet hat, liegt am Powder River begraben.“

In seiner Stimme war Eis.

„Wir sind sieben“, sagte der Mann, aber er schluckte. Unter dem harten Blick des Scouts war ihm nicht wohl zumute.

„Sechs“, sagte der Bärtige. „Mit mir sollten Sie nicht rechnen.“

Er richtete sich auf und entfernte sich vom Feuer.

„Lasst ihn in Ruhe reiten“, sagte ein anderer nervös. „Was geht es uns an, was der Mann denkt und redet.“

„Er ist Scout der Armee. Die Armee soll uns beschützen. Ich lasse mir von so einem Bastard nicht sagen, dass ich ein Landräuber sei.“

„Du bist noch was viel Schlimmeres, mein Junge“, sagte Ridgely. „Du bist der größte Idiot, den ich je gesehen habe. Du wirst keine drei Monate dort, wo du hinwillst, überleben. Wer ein Gewehr auf einen anderen Mann richtet, sollte nicht lange fackeln, sondern gleich abdrücken. Weil nämlich jeder, der eine Waffe auf sich gerichtet sieht, selbst sofort schießt.“

Ridgely lehnte sich nur ein wenig zurück. Seine Rechte bewegte sich kaum. Er drückte auf den Griff des langläufigen Smith & Wesson-Revolvers, sodass das Holster hochschwang.

Er schoss durch den offenen Holsterboden.

Die beiden ersten Kugeln schlugen direkt vor dem Mann mit dem Gewehr in den Boden. Dreckfontänen flogen in die Höhe. Grasfetzen trafen den Mann ins Gesicht. Sein Gewehr schwenkte herum. Er zog den Kopf ein und ließ das Gewehr fallen, um die Hände vor das Gesicht zu schlagen. Gleichzeitig stieß er einen hellen Schrei aus.

Die dritte Kugel traf mitten in die Feuerstelle. Brennende Scheite und glühende Asche wurden hoch­geschleudert. Ein flammendes Holz traf einen der Männer ins Gesicht. Ein anderer, der dichter am Feuer gesessen hatte, wurde von glühenden Ascheteilchen überschüttet. Er warf sich schreiend ins Gras und schlug sich mit den flachen Händen immer wieder auf den Kopf, während ein Teil seines Haars weggesengt wurde.

Die Detonationen verhallten im Hügelland.

Ridgelys Gesicht blieb unbewegt. Er sagte: „Kehrt um und fahrt wieder nach Hause. Wenn ich gewollt hätte, hätte jeder von euch jetzt eine Portion Blei im Leib. Der nächste, mit dem ihr es zu tun kriegt, wird nicht so rücksichtsvoll sein. In den Goldgräbernestern in den Black Hills herrschen andere Gesetze. Wenn ihr es überhaupt bis dahin schafft. Die Indianer sind nämlich auch unterwegs und schnappen sich jeden, den sie kriegen können.“ Der Scout ließ den Revolvergriff los und fügte hinzu: „Falls es einem von euch einfallen sollte, mir in den Rücken schießen zu wollen, soll er sich das lieber dreimal überlegen. Beim nächsten Mal schieße ich nicht ins Feuer.“

„Einen Moment, Mister Ridgely, Sir!“ Der Bärtige, der abseitsgestanden hatte, näherte sich. „Sie reiten doch nach Fort Abraham Lincoln. Zu General Custer.“

„Richtig.“

„Ich möchte mich Ihnen anschließen.“

„Sie wollten doch ursprünglich in die Goldfelder.“

„Da kann ich immer noch hin. Ich habe das Gefühl, dass es in der Umgebung von General Custer interessanter ist. Ich meine, Sie sind gewiss nicht zu Ihrem Vergnügen im Westen gewesen und reiten jetzt nach Fort Lincoln, um Custer zu sagen, dass das Wetter in den Badlands gut ist.“

„Ich kann Sie nicht hindern, nach Fort Lincoln zu gehen, Mister.“

„Kellogg“, sagte der andere. „Mark Kellogg. Bismarck Tribune.“

„Custer mag Reporter“, sagte Ridgely. Er schaute zu, wie Kellogg zu den Pferden hinüber hastete, seine Habseligkeiten zusammenraffte und in den Sattel stieg, ohne sich weiter um seine bisherigen Reisegefährten zu kümmern.

„Sie nicht?“, fragte ihn Kellogg.

„Nein“, sagte Ridgely.

„Vielleicht ändert sich das, wenn Sie mich näher kennen.“