American Feeling 2 - Nick Living - E-Book

American Feeling 2 E-Book

Nick Living

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Beschreibung

Worte sprechen eine Sprache: Die Sprache des „Amerikanischen Lebensgefühls“! Vieles erscheint unglaublich, vielleicht geheimnisvoll, und es ist ja auch wirklich unfassbar. Die Reise geht weiter und führt an so manch merkwürdigen Orten vorüber. Doch es ist eine Reise durch eine stets bekannte Welt, eine Reise durch das alltägliche Leben. Nur eines schwingt dabei wie die wundersame Melodie eines schönen, manchmal verklärten Traums: das ein ganz klein wenig anders erlebte Lebensgefühl.

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Seitenzahl: 214

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Inhaltsverzeichnis

Das Ende der Welt

Blitzschlag

Blizzard

Die Hebamme

Die verhexte Kühltruhe

Johnny Tinders Buch

Lisas Geburtstag

Schatten

Irgendwo in Amerika

Feuerwehreinsatz

Stau

Gesangsstunde

Der Sturm im Wald

Tinis Play-Back

Nur ein kleines Lied

Fahrrad ohne Fahrer

Modenschau

Die Army-Jacke

Totenmaske

Die Hügel der Heimat

Das Glück 1

Das Glück 2

Der Dreizehnte

Felsendusche

Singularität

Hollywoodparty

Im Netz

Die Olympischen Spiele …

Heimkehr

Los Angeles: Stadt der Engel

Das Ende der Welt

Ich lag auf meinem Sofa und hatte den Laptop vor mir. Stundenlang blätterte ich in einer Online-Bibliothek. Ein dramatischer Tunneleinsturz, ein seltsamer Erdrutsch, eine entsetzliche Zug-Katastrophe … ich konnte mir das alles nicht erklären. Sollten wirklich all diese Unglücke durch menschliches Versagen oder andere erklärbare Naturerscheinungen erklärbar sein? Dann diese unerklärlichen Beben, die es immer wieder in bestimmten Gegenden gab. Sollten sie wirklich auf Wetterschläge oder dortige Bergbautätigkeiten zurückzuführen sein? Schließlich schaute ich mir eine wissenschaftliche Reportage im Fernsehen an. Paläontologie, Geologie, Weltraumforschung … was hatte das alles zu bedeuten? Wussten manche Wissenschaftler bereits Dinge, die uns allen noch verborgen blieben? Für mich stand fest, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen und irgendetwas anderem gab. Und wenn es nicht so wäre, warum wurden dann in der letzten Zeit so viele Reportagen über all diese Themen gebracht? Ich beschloss, mich mit einem Wissenschaftler zu treffen. Hundemüde schloss ich meine Augen und schlief ein. Professor Schrader war einer der besten Geologen, über den ich schon einige interessante Abhandlungen im Internet gelesen hatte. Ich wollte mit ihm über all diese Dinge sprechen. Allerdings würde es wohl sehr schwer werden, einen Termin bei diesem vielbeschäftigten Mann zu bekommen. Also musste ich mir etwas einfallen lassen und hatte eine Idee. Ich gab vor, einen Artikel für eine namhafte Zeitung über Natur und Tiere zu schreiben. Es funktionierte und Professor Schrader erklärte sich bereit, mit mir zu sprechen. Er wunderte sich, dass ich ausgerechnet mit einem Vertreter seines Fachgebietes reden wollte. Doch er war ein älterer geduldiger Mann, dem es sichtlich Spaß bereitete, einen Jüngeren aufzuklären. Wir trafen uns in einem Straßencafé. Zunächst begann ich meine Fragestunde mit einfachen Fragen, die selbst ein Kind hätte beantworten können. Doch dann tastete ich mich weiter voran. Ich erwähnte diverse Naturkatastrophen und fragte ihn, was all das zu bedeuten hatte. Der Professor schaute mich sehr nachdenklich an. Schien er etwas bemerkt zu haben? Ich konnte mir sein plötzliches Schweigen nicht erklären. Er schaute sich nach allen Seiten um und meinte dann, dass er mit mir woanders hingehen wollte. Ich war einverstanden, verstand aber seine Reaktion nicht. Was war so schlimm an meiner einfachen Frage? Sie hatte doch noch gar nichts mit irgendwelchen Problemen zu tun. Oder doch? Wir gingen in einen kleinen Privatclub. Der Professor hatte eine Clubkarte und konnte mich als seinen Gast mitnehmen. Wir setzten uns in eine dunkle verschwiegene Ecke und plauderten weiter. Schrader fragte mich, ob ich von jemandem beauftragt wurde, solche Fragen zu stellen. Ich versicherte ihm, dass mich keiner beauftragt hatte und ich ihn aus freien Stücken und aus purem Interesse an den Dingen fragte. Plötzlich spürte ich, dass er sich auch in diesem Club nicht mehr allzu wohl fühlte. Er schlug mir einen Treffpunkt bei einer Müllhalde vor. Er meinte, dort könnte er freier sprechen als in diesem Club. Schon am nächsten Tag sollte es sein. Schnell verabschiedete er sich und verschwand. Am nächsten Tag stand ich zum vereinbarten Termin an besagter Müllhalde. Ich kannte solche Treffpunkte aus meiner Zeit als Journalist. Es dauerte lange, bis der Professor endlich erschien. Seinen Wagen parkte er hinter dichten Büschen eines angrenzenden Waldstückes. Schließlich liefen wir beide über die Wiese rund um die Halde und ich stellte dem Professor eine Frage nach anderen. Ich hatte den Eindruck, als sei er gelöster und aufgeschlossener als noch am Vortage. Er sprach von einem mysteriösen Gutachten, welches kürzlich bei ihm in Auftrag gegeben wurde. Wer es in Auftrag gab, wollte er mir nicht sagen. Demnach wären die von mir genannten Katastrophen keinesfalls reine Zufälle oder gar auf menschliches Versagen zurück zu führen. Die Untersuchungen ergaben, so der Professor, dass sich diese Vorfälle sogar noch verschlimmern würden. Er sprach vom Anheben des Meeresspiegels, von Überflutungen, von Katastrophen ungeahnten Ausmaßes. Außerdem sprach er von einem Ur-Krater und von diversen Supervulkanen. Ob diese Supervulkane in den nächsten Jahren ausbrechen würden, wusste er nicht. In jedem Falle hörte ich am Schluss seiner grausigen Ausführungen nur noch den Satz: „Es ist das Ende der Welt, so wie wir sie kennen.“

Schockiert schaute ich in das Gesicht des Professors. Ich konnte nicht glauben, was er mir da gerade erzählte. Ich wollte wissen, ob die Erde diese Katastrophe überstehen könnte. Der Professor holte tief Luft.

„Ich weiß es nicht“, sagte er dann mit düsterem Gesichtsausdruck, „Es gibt nämlich viele solcher Supervulkane. Ob sie zugleich ausbrechen oder erst in Millionen von Jahren, weiß ich nicht. Brechen sie aus, wäre das vermutlich …“ Der Professor schaute mich vielsagend an und ich ahnte, was er damit meinte. Fassungslos starrte ich den Professor an, schaute auf die Landschaft um mich herum und schüttelte ungläubig meinen Kopf. In diesem Moment verfluchte ich meinen Wunsch, mit dem Professor je gesprochen zu haben. Andererseits wollte ich es so. Plötzlich druckste der Professor unsicher herum - war da etwa noch etwas? Ich erkundigte mich danach. „Ja, es gibt da noch etwas“, meinte er schluchzend, „Die Katastrophen brechen nicht zufällig über uns herein.“ Ich setzte mich auf einen Baumstumpf und fragte interessiert, was er damit meinte. Schrader antwortete, dass weit draußen im Universum ein unvorstellbar riesiges Raumschiff entdeckt worden sei. Es bestehe aus einer unbekannten gasförmigen Materie und hatte vor einigen Jahren Funkkontakt mit uns aufgenommen. Diese Wesen waren auf der Suche nach einer neuen Welt. Ihre eigene sei durch eine Supernova ihrer Sonne vollkommen zerstört worden. Sie fanden die Erde und diese war ihrem eigenen Heimatplaneten sehr ähnlich. Nur ihre Atmosphäre war stark schwefelhaltig. Da sie auf der Erde in Zukunft leben wollten, begannen sie nun, die alten Supervulkane von ihrem Raumschiff aus zu aktivieren. Innerhalb der folgenden dreißig Jahre würden sie die Erde umwandeln. Kein Mensch könnte dann mehr dort leben. Ich wusste nicht mehr, ob ich dem Professor weiter zu hören wollte. Zu entsetzlich und zu fürchterlich erschienen mir seinen Ausführungen. Sollte ich ihm all das wirklich glauben? Was sollte aus uns Menschen dann werden? Der Professor aber sagte, dass es ein geheimes Abkommen zwischen den Außerirdischen und einigen Wissenschaftlern gäbe. Die Erdbevölkerung sollte zunächst auf dem kleineren Mars angesiedelt werden. Denn die Außerirdischen seien zahlenmäßig der Erdbevölkerung weit überlegen. Der Mars würde nach einem sogenannten „Terraforming“, einem Verfahren, welches einen Planeten wieder bewohnbar machte, mehrere Städte bekommen, und die Erdbevölkerung könnte dann dorthin umgesiedelt werden. Der Professor wollte weiter erzählen, doch ich konnte mir das alles nicht mehr länger anhören. Solch einen Unsinn hatte mir wirklich noch keiner weismachen wollen. Aber war das wirklich nur Unsinn? Ich jedenfalls glaubte dem Professor kein einziges Wort. Irritiert und mit einem seltsamen Gefühl im Magen beendete ich mein Interview. Der Professor verlangte strengste Verschwiegenheit von mir als wir uns verabschiedeten. Auf dem Heimweg gingen mir die wildesten Gedanken durch den Kopf. Sollten tatsächlich die meisten der Katastrophen auf der Erde auf die beginnende Umwandlung der Erde zurück zu führen sein? Wäre das unser ganz persönliches Ende der Welt? Nie wieder im Ozean baden und nie mehr durch die Wälder streifen? Nein, ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. So etwas durfte niemals geschehen. Schweißgebadet öffnete ich meine Augen - wo war ich? Wo blieb der Professor? Ich lag auf der Liege vorm Fenster meiner Wohnung. Erleichtert stellte ich fest, dass ich alles nur geträumt hatte. Lächelnd stand ich auf und öffnete das Fenster. Da zog mir ein seltsamer, kaum wahrnehmbarer Geruch in die Nase. Und im Radio sprach irgendjemand von einer Aschewolke irgendeines fernen Vulkans, die angeblich den Flugverkehr behinderte …

Blitzschlag

Arni war Landwirt und musste täglich hinaus, um sich um seine Felder zu kümmern. Es war Erntezeit und das Korn musste eingefahren werden. So war Arni schon sehr früh am Morgen auf den Beinen, um sich um alles zu kümmern. Die Landmaschinen mussten gewartet- und das Vieh gefüttert werden.

Erst kürzlich hatte sich Arni einen neuen Traktor geleistet. Es war eine sehr teure Anschaffung, doch sie musste sein. Denn sein alter Traktor hatte den Geist nach jahrzehntelanger Treue nun endgültig aufgegeben. Das neue Arbeitsgerät musste allerdings erst eingefahren werden. Und so fuhr Arni jeden Morgen früh zeitig los, um sich an die neue Maschine zu gewöhnen. Auch an jenem regnerischen Morgen war das wieder so. Schon gegen Sechs war er auf den Beinen. Er hatte den neuen Traktor bereits aus seinem Unterstand gefahren und wollte sogleich damit lostuckern. Er konnte schon recht gut mit dem Traktor umgehen. Dennoch musste er noch üben. Er schwang sich ins Fahrerhaus und stellte den Motor ein. Doch irgendetwas erschien ihm anders als sonst. Das Geräusch des Motors hörte sich etwas seltsam an. Da Arni jedoch das Motorengeräusch noch nicht so genau taxieren konnte, nicht wusste, wann es normal war und wann bedenklich, achtete er nicht länger auf diese Geräusche.

Er tuckerte los und befand sich schon bald auf dem ausgefahrenen Feldweg seiner Ländereien. Unterwegs musste er über eine Brücke, die ein kleines Flüsschen überspannte. Während er sich schon überlegte, wie er den Traktor bei seiner Feldarbeit einsetzen könnte, zogen dunkle Wolken auf. Sorgenvoll beobachtete Arni das Geschehen. Denn es würde sicherlich nicht mehr lange dauern, bis ein Unwetter aufzog. Sollte er umkehren? Oder sollte er seine Testfahrt fortführen? Er war sich nicht so recht schlüssig und fuhr einfach weiter. Was sollte ihm schon geschehen, dachte er sich, er saß ja im Trockenen. Doch er konnte nicht ahnen, dass es sich bei diesem Unwetter um ein kräftiges Gewitter handelte. Schnell zog es auf und alsbald fand sich Arni in einem heftigen Hagelschauer wieder. Die Scheiben des Traktors bekamen bedenkliche Sprünge, doch noch immer hielt Arni das Gefährt nicht an. Im Gegenteil, er beschleunigte seine Fahrt auch noch. Er fand es plötzlich aufregend, sich in seinem großen Traktor durch das Unwetter zu bewegen. Er fühlte sich wie ein Fels in der Brandung. Doch war in diesem Falle die Brandung stärker als der Fels? Noch nie hatte er ein Gefährt aufgeben müssen, nur, weil es von einem schweren Unwetter zerstört wurde. Auch diesmal konnte er sich das nicht vorstellen. Er beschleunigte den neuen Traktor bis aufs Äußerste. Der Motor heulte auf und die monströse Landmaschine jagte wie ein Rennpferd zwischen den Feldern hindurch. Die Brücke war nicht mehr sehr weit und Arnis Geschwindigkeitsrausch kannte kein Ende mehr. Da der Motor mittlerweile wunderbar lief und seine Felder in nie gekannter Geschwindigkeit an ihm vorbei flogen, vergaß er, dass er nur langsam über die schmale Brücke fahren durfte. Das Unwetter schien sich zu beruhigen, immerhin hörte der lästige Hagel auf. Nur einige wenige Sprünge klafften an der Frontscheibe des Traktors und Arni empfand seine Schussfahrt als gelungen und erholsam. In Arnis Augen hatte dieser neue Traktor seinen Härtetest schon bestanden. Immer näher kam er an die Brücke und es schien, als ob das Unwetter schon so langsam abzog. Da zuckte plötzlich ein heftiger Blitz vom Himmel, geradewegs auf den Traktor nieder. Mit einem lauten Knall schlug er in den Motorblock ein.

Das Gefährt ruckte und zuckte und blieb kurz vor der Brücke stehen. Arni starrte auf die Straße vor ihm und konnte es nicht glauben. Was war da eben geschehen? Sein teurer neuer Traktor, zerstört.

Nein, so etwas war ihm bisher noch niemals widerfahren. Er dachte an die Kosten, die ihm entstehen würden, wenn er den Traktor reparieren ließ. Doch es nutzte nichts, er musste aussteigen, um nachzuschauen, wo der Schaden lag. Plötzlich knirschte es auf dem Weg vor ihm. Es krachte und laut polternd stürzte die Brücke in sich zusammen. Platschend fielen die Trümmer ins Wasser des kleinen Flüsschens. Arni, der nicht glauben konnte, was da geschah, traute seinen Augen nicht mehr. Wie konnte das nur sein: erst der Traktor, dann diese Brücke!

Was ging hier vor? Wäre er weiter gefahren, so wäre er mitsamt der Brücke in den Fluss gestürzt. Und obwohl die Brücke nicht sehr hoch war, reichte es doch, dass er diesen Unfall möglicherweise nicht überlebt hätte. Auch sein Traktor wäre dann verloren gewesen. Irgendwie schien es ihm, dass dieser Blitzschlag in den Motor seines Traktors wohl doch noch das sprichwörtliche Glück im Unglück gewesen war. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und rief Hilfe. Später stellte sich heraus, dass die Brücke durch einen früheren Erdrutsch bereits schwer beschädigt worden war. Das nächstbeste Fahrzeug, welches sie überquert hätte, wäre mitsamt der Brücke in den Fluss gestürzt. Und der nächste war in diesem Falle Arni selbst.

Er hatte großes Glück, und als man den Traktor in einer Werkstatt untersuchte, um ihn wieder zu reparieren, brauchte man das nicht mehr zu tun. Denn er funktionierte einwandfrei…

Blizzard

Plötzlich war die Fahrt zu Ende! Irgendwo draußen, auf einem kleinen vergammelten Bahnhof in der Nähe von „Farmers - Home“. Ich stand auf dem Bahnsteig und wartete nun schon stundenlang auf meinen Zug. Aber er kam nicht. Dafür zog ein heftiger Schneesturm auf. Ich rettete mich ins Innere des Bahnhofsgebäudes. Und es half nichts, ich musste es mir in dem zugigen Bahnhofsgebäude so bequem wie möglich machen. Obwohl ich wirklich sauer war, nun nicht mehr weiter zu kommen, arrangierte ich mich schnell mit dem Gedanken, in diesem alten Bahnhof am Rand der Zeit übernachten zu müssen. Denn vor dem nächsten Morgen würde kein Zug mehr fahren. Mein mittlerweile einziger Gedanke kreiste nur noch um dieses wackelige Gebäude. Hoffentlich hielt es dem immer heftiger tobenden Sturm stand. In wenigen Tagen war Heiliger Abend, und das Schneegestöber dort draußen gewann derart an Heftigkeit, dass es diverse Gegenstände, wie Schaufeln und Schilder durch die Luft trieb. Es pfiff durch alle Ritzen und ich staunte, wie viele es doch waren. Und trotzdem ich eine warme Jacke angezogen hatte, fror es mich ganz erbärmlich. Ich machte es mir auf einer hölzernen Bank, die wohl schon hundert Jahre zählen mochte, bequem. Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und ich bekam einen fürchterlichen Schreck. Ich dachte, dass der Sturm die Tür aufgebrochen hatte. Doch glücklicherweise war es nicht so und ein fremder Mann betrat fröstelnd die kleine Halle. Er klapperte derart laut mit seinen Zähnen, dass ich mir schon Sorgen um seinen Gesundheitszustand machte. Doch er winkte lachend ab und meinte, dass er keinen anderen Ort mehr gefunden hatte, um sich vor dem aufziehenden Sturm zu schützen. Da wir an diesem Abend wohl keinerlei Gäste mehr zu erwarten hatten, stellten wir uns gegenseitig vor. Er hieß Danny und kam aus einer Ortschaft, die wohl nicht sehr weit entfernt sein musste. Er kam mit dem Auto und konnte nicht mehr weiterfahren. Das alte Bahnhofsgebäude schien auch ihm irgendwie der rechte Schutz vor dem Sturm zu sein.

Wir kamen schnell ins Gespräch und ich erzählte ihm von meinem Ausflug in diese Gegend. Ich war auf Recherche und wollte ausgerechnet eine Reportage über vergessene Ortschaften schreiben. Nun kam ich selbst in die Lage, in solch einer vergessenen Situation festzusitzen. Doch Danny schien ein lebenslustiger Mensch zu sein. Er meinte, dass zu Hause seine Frau Emily und sein kleiner Sohn Glenn auf ihn warteten. Vor einer halben Stunde aber brach der Kontakt ab und sein Handy bekam keinen Empfang mehr. Ich versuchte, mein Handy flott zu bekommen, doch auch das funktionierte nicht. Es schien, als wären wir beide regelrecht von der Außenwelt abgeschnitten. Draußen musste die Hölle los sein. Es pfiff und rauschte derart laut, dass wir Mühe hatten, unsere Worte zu verstehen. Außerdem brach der Sturm andauernd irgendein Fenster auf und wehte Unmengen an Schnee in die Schalterhalle. Auf dem Bahnsteig waren schon lange keine Gleise mehr zu erkennen. Stattdessen türmten sich so langsam meterhohe Schneewehen dort auf. Mir wurde schon bange, wohl auch am folgenden Tage nicht mehr hier wegzukommen. Danny schien meine Besorgnis zu bemerken. Er bot mir an, mich bis in die nächste Stadt mitzunehmen. Er musste wie ich nach Norden fahren und konnte mir vielleicht ein Stück Weg abnehmen. Doch diesen Vorschlag musste er wohl oder übel doch noch einmal überdenken, denn auch die Straße sah nicht besser aus als das Gleis am Bahnsteig. Auch dort türmten sich meterhohe Schneewehen und es würde wohl Tage dauern, bis sich jemand bis hierher durchgekämpft hätte. Gemeinsam schoben wir die Sitzbank vor die Eingangstür, um dem Sturm die Möglichkeit zu verwehren, weitere Schneemassen hinein zu pusten. Die Heizkörper funktionierten nicht und uns blieben wirklich nur unsere Kleidung und unsere hitzigen Gedanken, dass es uns etwas angenehmer wurde. Danny erzählte, dass er noch immer keinerlei Weihnachtsgeschenke für die Familie dabei hatte. Und es war ganz seltsam, wir unterhielten uns plötzlich über unsere Erlebnisse, die wir früher an Weihnachten hatten, als wir selbst noch Kinder waren. Es stellte sich heraus, dass Danny in meinem Alter war, und nun verband uns so manche Erinnerung. Plötzlich wurde es stockdunkel.

Erschrocken hielten wir den Atem an und harrten sekundenlang der Dinge, die da kommen mochten. Doch es kam nichts! Was war geschehen? Danny fasste sich als erster und schaute durch die kleine Glasscheibe in der Eingangstür. Umständlich, weil er nichts sehen konnte, schob er die Sitzbank beiseite und wollte zu seinem Fahrzeug. Vor dem Eingang jedoch hatte sich eine mannshohe Schneedüne aufgehäuft, die das Licht nicht in den kleinen Wartesaal ließ. Allerdings war es ohnehin bereits Abend geworden, sodass es auch draußen bereits dämmerte. Der Sturm war derart stark, dass Danny kaum vorankam. Er brauchte einige Zeit, bis er seinen Wagen, der eigentlich gleich vor dem Eingang parkte, fand. Er wollte eine Taschenlampe holen. Ich versuchte unterdessen, einen Lichtschalter zu finden. Als ich endlich einen entdeckte und ihn betätigte, reagierte nichts. Also war auch der Strom ausgefallen. Mir schwante bereits, dass das kein gutes Zeichen sein konnte. Als Danny zurückkehrte, schoben wir schnellstens die Bank vor die Tür und Danny klopfte sich erst einmal den Schnee von seiner Kleidung. Als wir wieder auf der Bank saßen und im schwachen Licht der Taschenlampe von heißem Kaffee und einem belegten Brötchen träumten, knisterte es plötzlich zwischen den krachenden Sturmböen, die fortwährend gegen das kleine Bahnhofsgebäude prallten. Wir konnten uns die Herkunft dieses seltsamen Geräusches, welches so gar nicht zu dem Gepolter des Blizzards passte, erklären. Doch plötzlich schaltete sich das Licht wieder ein und ein alter Mann stand mitten in der Schalterhalle. Zwar erschraken wir, doch der Gedanke, nicht so ganz allein in dieser kalten Halle ausharren zu müssen, ließ uns alles andere schnell vergessen.

Der Alte klopfte sich prustend den Schnee von seiner Jacke und ich fragte ihn, wie er durch die versperrte Eingangstür gekommen sei. Er antwortete jedoch nicht auf diese Frage, hustete mehrmals und sagte dann: „Ein Mistwetter! Ausgerechnet jetzt, kurz vor Weihnachten. Hoffentlich hört das bald wieder auf.“ Danny warf mir einen vielsagenden Blick zu. Er war sich wohl genau wie ich nicht so ganz sicher, woher der Alte wirklich gekommen war. Denn die Fenster waren vom Schnee versperrt, und draußen vor dem Gebäude gab es ebenfalls keinerlei Wege mehr, die man hätte passieren können. Stöhnend nahm der Alte neben uns platz. Nun waren wir schon drei und ich freute mich, dass er aus seinem kleinen Rucksack, den er bei sich führte, eine Thermoskanne herauszog. Ohne viele Worte zu verschwenden, goss er ein und reichte den Becher an uns weiter. Es war eine Wohltat, den heißen Kaffee herunter zu schlürfen. Wir fühlten uns gleich wesentlich lebendiger, auch wenn uns klar wurde, dass dieser Zustand nicht anhalten würde. Denn vor uns lagen noch eine stürmische eiskalte Nacht und ein ebenso ungastlicher Morgen. Nur wie sollten wir uns daraus befreien? Der alte Mann wusste auch keinen Rat und sprach andauernd über Weihnachten und von den verschneiten wunderschönen Winterwäldern. Ich konnte seine Gelassenheit überhaupt nicht verstehen und machte ihm das auch deutlich. Und ehe ich mich versah, befanden wir uns auch schon in einem angeregten Gespräch über unser Leben und unsere Sorgen. Auch in mir kam so viel hoch, was ich glaubte, längst vergessen zu haben. Dieser lange Weg zur Selbsterkenntnis und die vielen Umwege, die ich so gegangen war, um endlich zu mir selbst zu finden, nur, um am Ende festzustellen, dass ich doch noch lange nicht am Ziel meines Weges angekommen war. Der Alte wunderte sich über die vielen unterschiedlichen Wege, die wir so hinter uns hatten. Er meinte, dass es gar nicht so schlimm sei, so viele verschiedene und vollkommen unterschiedliche Wege hinter sich gebracht zu haben. Nur so könnte man die Welt in ihren unterschiedlichen Facetten und Formen kennenlernen. Nur so würde man lernen, richtig zu leben. Dabei käme es nicht darauf an, wie alt man dabei würde. Und gerade ich hatte große Probleme bei dem Gedanken, immer älter zu werden, und dabei vielleicht nie den Stein der Weisen gefunden zu haben. Der alte Mann jedoch sagte nur: „Es ist nicht wichtig, wie alt man wird, um eine Erkenntnis zu bekommen. Es ist wichtig, dass man überhaupt eine Erkenntnis hat. Das allein rechtfertigt schon, richtig leben zu können. Und da ist das Alter nicht wesentlich. Manchmal ist es sogar besser, älter und erfahrener zu sein, damit man diese Erkenntnisse auch ebenso richtig anwenden kann.“ Danny nickte zustimmend und erzählte ihm von seiner Frau und seinem kleinen Sohn. Und irgendwie schien der Alte gar nicht verwundert zu sein. Er hatte es wohl erwartet, dass Danny Familie hatte. Doch sollte er es ihm wirklich angesehen haben? Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen und fragte ihn auch nicht danach. Mir war furchtbar kalt und ich wollte weiterfahren. Ich wollte nach Hause, doch mir war bewusst, dass das nicht ging. Plötzlich sagte der Alte, dass der Blizzard bald aufhören würde. Außerdem müsste er unbedingt weiter. Es wäre dringend, meinte er. Mit den Worten: „Der Sturm wird bald vorbei sein, Ihr dürft nur die Hoffnung nicht aufgeben. Euch und Euren Familien - Frohe Weihnachten.“, stand er auf. Und noch bevor wir ihm die gefährliche Situation da draußen klarlegen konnten, verschwand er. Gleichzeitig fiel erneut der Strom aus. Nun saßen wir wieder im Dunkeln. Wir hatten nicht bemerkt, an welcher Stelle er hinausgegangen war. Doch eines hatte er wohl vergessen: seinen Kaffee! Die Thermoskanne stand auf der Bank und es befand sich tatsächlich noch ein Rest Kaffee darin. Wir machten uns große Sorgen. Was wäre, wenn er den Weg nicht finden konnte? Danny lief zur Tür. Doch er konnte nichts sehen. Draußen tobte noch immer dieser heftige Schneesturm und die Schneedünen vor Türen und Fenstern waren unüberwindlich hoch. Es war alles sehr seltsam, doch wir wurden plötzlich derart müde, dass wir schließlich auf der Bank einschliefen. Stunden mochten vergangen sein, als ich endlich wach wurde. Ich schaute auf meine Uhr - sie zeigte: 9 Uhr. Doch in der kleinen Schalterhalle war es noch immer stockdunkel. Danny war bereits wach und versuchte, den Schnee von den Fenstern zu entfernen. Doch dazu musste er erst einmal ein Loch in die Schneehaufen bohren. Ich stand auf und schob die Bank weg von der Tür. Als ich die Tür öffnete, stand ich vor einer riesigen Schneewand. Ich rief Danny und bat ihn mir zu helfen, ein Loch in die Schneebarrikade zu schürfen. Glücklicherweise hatten wir dicke Handschuhe dabei, so schmerzte es nicht so sehr in den Fingern. Irgendwann hatten wir einen schmalen Durchgang geschaffen und erblickten voller Freude das Tageslicht. Es blendete sehr stark und es dauerte eine Weile, bis sich die Augen an das grelle Sonnenlicht gewöhnt hatten. Als wir endlich draußen standen, erkannten wir unsere ausweglose Situation. Doch plötzlich ertönte ein lautes Brummen über uns. Wir schauten nach oben und sahen, wie ein Hubschrauber über dem Bahnhofsgebäude kreiste. Offenbar hatte uns bereits irgendjemand vermisst. Die Tür des Hubschraubers wurde geöffnet und jemand rief herunter: „Hallo! Wir lassen jetzt eine Strickleiter zu Ihnen hinunter! Klettern Sie daran hoch! Wir kommen noch ein Stück runter! Trauen Sie sich das zu?“ „Ja, das geht!“, entgegnete ich und Danny holte schnell seine Sachen aus dem Gebäude. Mühsam hangelten wir uns an der wackeligen und ständig nach allen Seiten schwingenden Strickleiter nach oben. Dort wurden wir von zwei kräftigen Männern in Empfang genommen. Atemlos lagen wir auf dem Boden des Hubschraubers und wussten gar nicht, wie uns geschah.

Später erfuhren wir, dass der Hubschrauber von einem fremden Mann gerufen wurde. Wir wussten sofort, wer das war: dieser sonderbare alte Mann! Als Danny Tage später sein Fahrzeug holen konnte, staunte er nicht schlecht. Das ganze Auto war über und über mit Weihnachtsgeschenken vollgestopft. Er konnte es nicht fassen und konnte sich erst recht nicht erklären, wie der Alte das alles zustande bekommen hatte. Aber auch ich bekam noch meine Überraschung. Am Vormittag des Heiligen Abend erhielt ich eine Postsendung. Darin war ein Bildband über die Gegend, über welche ich eine Reportage schreiben wollte. Sogar das alte Bahnhofsgebäude, in welchem wir festsaßen, war dabei. Meine Freude war riesengroß. Nur vermisste ich einen Absender auf dem Paket. Dem wunderschönen Bildband lag eine kleine Weihnachtskarte bei und über einer Widmung hatte man einen lustigen Weihnachtsmann abgebildet. Ich erkannte ihn sofort: es war der rätselhafte alte Mann…

Die Hebamme

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