Anna und der Kurfürst - Uwe Goeritz - E-Book

Anna und der Kurfürst E-Book

Uwe Goeritz

0,0

Beschreibung

Es ist das Jahr 1710. Nach einer abenteuerlichen und gefährlichen Reise erreicht die siebzehnjährige Gräfin Anna Maria von Hohenfeld die sächsische Hauptstadt Dresden, wo sie die Hochzeit der Schwester vorbereiten soll, doch sie verliebt sich ausgerechnet in den Bräutigam. Kann diese Liebe wahr werden? Und was hat der Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen damit zu tun? Ein Abenteuer folgt dem Nächsten in der großen Stadt für die junge Gräfin vom Lande. Die Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29.11.2016) "Frauenwege und Hexenpfade" ISBN: 978-3-7448-3364-6 (27.06.2017) "Die Tochter aus dem Wald" ISBN: 978-3-7448-9330-5 (28.09.2017) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 388

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Anna und der Kurfürst

Eine Falle?

Auf der Suche

Zwischen Leben und Tod

Die Sorge eines Vaters

Alleine im Wald?

Beute der Ängste

Noch eine Suche

Auge in Auge

Verschlungene Wege

Eine besondere Nacht

Auf einer Lichtung des Todes

Goldene Beute

Habe ich eine Wahl?

Märchenschloss und Engelschor

Vorbereitung einer Hochzeit

Ein altes Herz

Markttage sind Beutetage

Feier ohne Fest

Ein unbedeutender Brief

Endlich!

Peinliche Traditionen

Betrug in der Hochzeitsnacht

Alles aus?

Ehrliche Geschäfte?

Ein gräfliches Eheleben

Maskenball der Möglichkeiten

Ein langer Weg

In Leinen gehüllt

Schimpf und Schande?

Am Rande des Wahnsinns

In anderen Umständen

Dämonen der Seele

Im Kerker

Gesucht und Gefunden

Falsche Pläne

Erpresst und Ausgenutzt

Der Preis der Wahrheit

Seelengefährten

Gehen oder Bleiben

Falsche oder richtige Liebe

Belohnung der Dienste

Am Ziel aller Wünsche?

Verrat!

Zweifel und Ängste

Ein frommes Lamm?!

Gedankenspiele

Ein Wunder?

Eine griechische Göttin

Die richtige Entscheidung?

Das Ende aller Pläne

Am seidenen Faden

Bilder im Kopf

Gewölbe der Angst

Im Dunkel gefangen

Todesangst

Sternenlicht

Entwischt?!

In den Fängen der Angst

Ein Neuanfang?

Blutstropfen auf Pastell

Tage der Tränen

Wo ist der Beweis?

Dunkle Erinnerungen

Das Licht am Ende

Befreit?

Umzug ins Glück

Was Gott zusammengefügt hat …

Zerrissene Gefühle

Entscheidungen

Hochzeit zu viert

Erinnerungen

Im Licht der Sonne

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Anna und der Kurfürst

Es ist das Jahr 1710. Nach einer abenteuerlichen und gefährlichen Reise erreicht die siebzehnjährige Gräfin Anna Maria von Hohenfeld die sächsische Hauptstadt Dresden, wo sie die Hochzeit der Schwester vorbereiten soll, doch sie verliebt sich ausgerechnet in den Bräutigam. Kann diese Liebe wahr werden? Und was hat der Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen damit zu tun?

Ein Abenteuer folgt dem Nächsten in der großen Stadt, für die junge Gräfin vom Lande.

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Eine Falle?

Sie schlug die Augen auf und die ersten Strahlen der Sonne fielen auf ihr Gesicht. Sie wurden durch ein Blätterdach abgeschirmt, so dass die Strahlen mit dem Wind zu tanzen schienen, aber es waren nur die Blätter, die den Weg der Sonne zum Gesicht der Frau freigaben. Sie setzte sich auf und versuchte sich zu erinnern, wo sie hier war. Es war ein Waldstück, soviel war schon mal klar, aber wo? Beim Grübeln fiel ihr mit Erschrecken ein, dass sie auch nicht wusste, wer sie selbst war. Alles war aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Alles vor diesem Moment des Erwachens, gerade eben in einer ihr fremden Welt. Der Kopf tat ihr weh und sie faste sich an die Stirn. Eine gewaltige Beule hatte sie da über ihrem Auge und vielleicht war das ja die Ursache ihres Gedächtnisverlustes.

Mühsam stand sie auf und begann schwankend durch den Wald zu gehen. Da sie sowieso nicht wusste wohin, wählte sie den Weg zur Sonne hin. So hatte sie wenigstens einen Anhaltspunkt. Der Wald war nicht besonders dicht und das Unterholz nur an einigen Stellen so miteinander verfilzt, dass sie einen großen Bogen darum machte. Immer weiter blieb sie in Richtung Sonne, bis ihr einfiel, dass die Sonne ja wanderte. So würde sie dann wahrscheinlich im Kreis gehen und am Abend vielleicht unweit ihrer Ausgangsposition ankommen. Also versuchte sie nun die warmen Strahlen auf ihrem rechten Arm zu behalten.

Immer noch schwankend lief sie weiter. Sie musste schon ewig gelaufen sein, aber sie war immer noch im Wald. Dieser schien einfach kein Ende nehmen zu wollen. Bei jedem Schritt versuchte sie sich zu erinnern, was am Tag zuvor passiert war und wer sie war. Aber es blieb nur ein schwarzes Loch übrig, das da in ihrem Kopf war. Langsam musste es Mittag sein, die Sonne schien nun fast von oben auf sie herunter, als ein Rabe aus einem Gebüsch direkt vor ihr aufflog. Die Frau erschreckte sich so sehr vor dem schwarzen Vogel, dass sie begann durch den Wald zu rennen, so schnell es ihre Füße und der taumelnde Gang zuließen. Immer wieder schlugen ihr Äste in das Gesicht und plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen.

Mit einem Schrei sauste sie in die Tiefe. Es war eine verdeckte Grube gewesen, dass sah sie, als sie am Boden der Grube saß und nach oben schaute. Sicher als Falle für irgendwelche Tiere von Wilderern gegraben. Verzweifelt versuchte sie am Rande der Grube nach oben zu kommen, aber die Ränder waren so glatt und rutschig, dass sie immer wieder zurück fiel. Vermutlich waren sie absichtlich mit Wasser so schlammig gemacht worden, so dass eine Beute nicht entkommen konnte. Nun versuchte sie nach oben zu springen und einen Ast zu erreichen, der von der Fallenabdeckung hereinreichte, aber sie sprang immer nur um Handbreite daneben vorbei. Ihre Finger konnten das rettende Stück Holz nicht fassen. So musste sie nun also in der Grube ausharren, bis sie gerettet werden würde.

Sollte sie um Hilfe rufen? Sie dachte wieder daran, dass es ja eine Falle von Wilderern war und dass sie denen lieber nicht in die Hände fallen wollte, andererseits, wer würde hier im Wald schon umherlaufen und diese Falle finden, der sie nicht erwarten würde? Schließlich entschied sie sich zu rufen und es dauerte eine ganze Weile, bevor sie im Wald ein Knacken hörte, das sich der Grube langsam näherte. War es ein wildes Tier? Oder doch die Fallensteller? Sie verstummte und wartete.

Kurze Zeit später tauchte ein Kopf in der Lücke der Abdeckung auf und sah zu ihr herunter. Sie stand auf und versuchte nach oben zu lächeln, aber das gelang ihr nicht so recht. Der Mann war riesig und ihr machte das irgendwie Angst. Für einen Augenblick verfluchte sie den Gedanken, nach Hilfe zu rufen, dann langte ein Arm nach unten, erfasste sie an der Schulter und hob sie einfach so nach oben. Wie eine kleine Stoffpuppe hing die Frau in der Hand des Mannes über dem Abgrund. Der Mann sah sie an und warf sie sich dann einfach über die Schulter. Alles Betteln, Strampeln und mit den Armen auf den Rücken des Riesen Schlagen brachte nichts. Der Mann hielt sie unerbittlich fest, so wie man einen Mehlsack auf der Schulter trug. Nun trug er sie durch den Wald, so wie sie vorher dort gelaufen war. Von Zeit zu Zeit schlug ein Ast auf ihren Hintern und sie schrie jedes Mal wieder auf. Insgeheim dachte sie, dass er das wohl absichtlich machen würde, denn die Äste trafen nur sie und nicht ihn.

Schließlich betraten sie eine Lichtung, auf der eine Hütte stand, wie sie an ihm vorbei sehen konnte. Mit seiner Last auf dem Rücken betrat der Mann die Hütte und stieg eine Treppe hinab in den Keller. Dort stand schon ein anderer Mann, der sehr viel schmächtiger war, als der Riese, der sie getragen hatte. Direkt von seiner Schulter aus warf der Mann sie in einen halbdunklen Raum, der über einem Fußboden aus gestampftem Lehm verfügte, welcher nur dünn mit Stroh belegt war. Sie landete schmerzhaft auf dem Rücken und sah die beiden Männer an. „Schau dir mal unsere Beute an.“ sagte der Riese zu dem anderen und dieser lachte hämisch. In die Augen der Frau mischte sich die Angst davor, was nun noch kommen könnte und schon kurze Zeit später sollte sich ihre dunkle Vorahnung bestätigen.

Als erstes zog er ihr die Schuhe von den Füßen und gab sie dem Hageren, der damit lachend aus dem Raum, die Treppe nach oben, verschwand. Nun waren sie nur noch zu zweit hier unten. Als nächstes gingen Kleid und Unterrock unter den Händen des Riesen nacheinander in Fetzen. Jetzt, wo er sie sicher in seinem Versteck hatte, war ihm sicher alles egal. Hier konnte sie schreien, so laut und so lange sie wollte. Niemand würde sie hören. Sie bettelte, doch er machte einfach weiter. Mit einer seiner riesigen Hände hatte er sie am Fußknöchel gepackt und hielt sie so einfach fest. Nachdem auch ihr Mieder zerrissen und sie nun nackt war, ließ er sie los, um seine Hose zu öffnen. Sie nutzte diesen Moment und drehte sie sich auf den Bauch, dann versuchte sie von dem Mann davon zu kriechen.

Der Riese setzte ihr nach, packte sie an den Hüften und zog sie zu sich heran, wobei ihre Finger Spuren im Stroh hinterließen. Er drückte ihren Kopf in das Stroh hinab, dann schob er sich in sie hinein. Sie schrie ihren Schmerz heraus, während es sich schnaufend an ihr verging. Er kniete hinter ihr und hielt sie mit seinen Händen um den Unterleib gepackt, wobei sich seine Finger fast vor ihrem Bauch trafen. Alles an ihm war groß und sie hatte das Gefühl innerlich zerrissen zu werden. Mit einem Brüller ließ er von ihr ab und warf sie zu Boden. Er drehte sich zur Treppe um, stieg nach oben, schloss eine Deckenluke und sie lag weinend alleine in dem Dämmerlicht des Kellers.

Die Frau kroch zur rückwärtigen Wand und presste sich in eine der Ecken des Raumes. Nur notdürftig bedeckt sie sich mit den Resten ihrer zerrissenen Sachen. Von oben fiel nur wenig Licht in den Raum, durch direkt unter der Decke angebrachte kleine Öffnungen. Da würde gerade mal ihre Hand hindurch passen. Rettung konnte sie damit keine erhoffen und Flucht war auch ausgeschlossen. Irgendetwas lief ihr Bein herab, ob es Blut oder eine andere Flüssigkeit war konnte sie nicht erkennen. Immer noch waren die Schmerzen da.

Sie verfluchte den Moment, als sie in die Falle gestürzt war und immer noch hatte sie keine Ahnung, wer sie wirklich war. Die ersten Tränen rollten über ihre Wange. Tränen der Verzweiflung und des Schmerzes.

2. Kapitel

Auf der Suche

Harald saß am Tisch in einem der Zimmer im Schloss seines Vaters. Vor langer Zeit, er konnte sich kaum noch daran erinnern, waren sie hier nach Dresden gezogen, um am Hof des Kurfürsten dienen zu können. Eigentlich hatte es aber mit Dienen im eigentlichen Sinne nichts zu tun, was sie Beide hier machten. Sein Vater war in der Verwaltung tätig und Harald würde diese Tätigkeit sicher in ein paar Jahren übernehmen, aber im Moment hatte er hier nicht so viel zu tun. Sein Blick fiel durch das Fenster auf den Park des Schlosses und er stand auf. Vor ein paar Wochen war er 21 Jahre alt geworden und sein Vater hatte beschlossen, dass es nun Zeit für ihn sei, zu heiraten.

Alle Auswege, Ausflüchte und Ausreden hatten nur dazu geführt, dass der alte Mann ihm die Enterbung angedroht hatte und so hatte er sich in sein Schicksal gefügt. Gräfin Sofie sollte eigentlich schon am Vortag bei ihm angekommen sein, aber anscheinend verspätete sie sich aus irgendeinem Grunde. Ihm war das ganz recht, denn so hatte er noch etwas Zeit mit seinen Freunden verbracht. Aber nun ging es schon auf den Mittag des zweiten Tages zu und da machte er sich schon ein paar Gedanken. Er stützte sich auf das Fensterbrett und schaute auf das Tor des Parks, durch das der Wagen mit seiner zukünftigen Frau eigentlich hätte kommen müssen.

Von dem Schloss nördlich von Leipzig bis hier her war es doch aber gar nicht so weit und ein Melder mit einer Botschaft der Gräfin war auch nicht eingetroffen. Er drehte sich um und rief „Georg!“ die Tür öffnete sich und sein Leibdiener betrat den Raum „Zu Diensten, Herr Graf.“ sagte der Mann und machte eine Verbeugung. „Sattele unsere Pferde und lade die Waffen. Wir reiten der Gräfin entgegen!“ gab Harald ihm auf und mit einer Verbeugung verschwand der Diener wieder. Wenig später betrat Georg wieder den Raum und brachte den Mantel und das Schwert des Grafen mit. Er selbst hatte seinen Mantel schon an und auch ein kurzes Schwert hing schon an seinem Gürtel. Zwei paar Sattelholster mit vier Radschlosspistolen hingen über seiner Schulter.

Schwer bepackt half der Diener seinem Herrn in den Mantel und überreichte ihm das Schwert. Im Hinausgehen sagte Harald „Warum nehmen wir nicht die Hunde mit? Die langweilen sich sowieso nur hier im Schloss.“ Der Diener nickte und sie gingen die große Treppe hinunter. Direkt vor der Tür stand ein weiterer Diener mit den beiden Pferden am Zügel. Georg verschwand kurz und kam dann mit den beiden Hunden um die Ecke. Er half seinem Herren auf das Pferd und saß dann selber auf. Danach befestigte der Diener die Pistolen vor sich und seinem Herren auf dem Pferd. Die Hunde liefen schon um die Beine der Pferde herum und wenig später ritten die beiden Männer aus dem Schloss hinaus. Nun jagten ihnen die Hunde hinterher.

Im leichten Trab ritten sie die Straße entlang und folgten dann, nachdem sie Dresden verlassen hatten, dem Wegweiser an der Landstraße. Wie weit konnte die Kutsche gekommen sein? In der Mitte des Weges war ein Gasthof, in dem die Gräfin sicher übernachten würde und dort würden sie zuerst nach ihr suchen. Vielleicht kam ihnen die Kutsche aber auch schon unterwegs entgegen. Es gab ja nur diesen einen Weg, den sie genommen haben konnten. Doch bis zum Abend war keine Kutsche in Sicht und sie erreichten den Gasthof. Auch dort war keine Kutsche, aber der Gastwirt erklärte, dass die Gräfin zwei Tage zuvor in der Frühe bei ihm abgefahren war. Wo konnte die Kutsche nur abgeblieben sein? Harald hatte jetzt aber doch schon ein eher mulmiges Gefühl. Irgendetwas war mit seiner zukünftigen Frau passiert. Am nächsten Tag würden sie daher auf der Straße nach Dresden zurück reiten und nach der Kutsche oder irgendeiner Spur von ihr suchen.

Pünktlich nach Sonnenaufgang stand Georg mit Pferden und Hunden vor dem Gasthof und hielt das Pferd so, dass sein Herr aufsitzen konnte. Nun ritten die Beiden wieder zurück und sahen nun viel deutlicher auf den Boden vor ihnen. Mitten in einem Waldstück sahen sie einen Waldweg abzweigen, auf den sie am Vortag nicht geachtet hatten. Sie folgten dem Weg und bemerkten schon bald, dass dort eine Kutsche sehr schnell gefahren sein musste. Schließlich fanden sie die Kutsche, auf der Seite liegend. Die beiden Kutscher lagen erschlagen daneben und die Pferde fehlten.

Harald sprang vom Pferd und sah in die Kutsche, die aber leer war. Von seiner zukünftigen Gräfin fehlte jede Spur. Vermutlich war sie vor den Räubern in den Wald geflohen. Zum Glück hatten sie die Hunde mit. Nach ein paar Augenblicken hatten sie, ein Stück zurück des Weges, einen Fetzen von einem Kleid gefunden. Nun liefen sie mit den Hunden, der Spur folgend, durch den Wald. Die Pferde hatten sie bei der Kutsche gelassen, aber die Pistolen hatten sie zur Sicherheit mitgenommen. Die Räuber konnten ja noch in der Nähe sein. Sie liefen so schnell sie konnten und die Hunde schienen eine gute Spur zu haben. Nach ein paar Stunden waren sie an einer Grube angekommen, die eine Falle zu sein schien. Dort verloren die Hunde die Spur, aber Harald sah, dass auf der anderen Seite tiefe Fußabdrücke im Boden waren. Ein Mann hatte etwas von dort weggetragen. Nun folgten die Hunde der Spur des Mannes.

Wenig später sahen sie eine Hütte auf einer Lichtung stehen. Die beiden Hunde stürzten los. Ein kleiner Mann mit einem Beil stand vor der Hütte und versuchte die Tiere abzuwehren, doch wenig später brach er tödlich verletzt zusammen. Das Gebell der Hunde hatte einen anderen Mann aus der Hütte gelockt. Mit einem Knüppel versuchte ein Riese die Hunde abzuwehren. Eines der beiden Tiere flog jaulend zur Seite. Harald und Georg zogen die Pistolen und feuerten alle vier auf den Mann ab. Alle Kugeln trafen, doch der Mann wankte nicht einmal. Nun stürzte er sich, den Hund am Bein, an das dieser sich festgebissen hatte, hinter sich herziehend, auf die beiden Männer.

Knüppel gegen Schwerter war eigentlich ein ungleicher Kampf, aber in der Hand des Riesen war der Knüppel eine tödliche Waffe. Immer wieder mussten sie seinen Hieben ausweichen, bis Georg den Mann tödlich am Hals traf. Wie ein Baum fiel dieser nach vorn um und hätte um ein Haar Harald unter sich begraben. Im letzten Moment konnte der Graf zur Seite springen. Der getroffene Hund kam hinkend zu ihnen zurück gelaufen und Georg ging in die Hütte hinein. Kurz darauf kam er mit einem zerrissenen Unterrock zurück und zeigte diesen seinem Herrn. „Sie war hier!“ sagte Harald und sah sich um. Neben dem Feuer lag ein Schädel, den er aufhob. „Kommen wir zu spät?“ fragte er seinen Diener.

Georg schüttelte den Kopf. „Der liegt schon länger hier. Vielleicht konnte die Gräfin fliehen.“ sagte er und hielt den Unterrock den Hunden hin. Die nahmen die Spur wieder auf und liefen zum Waldrand. Gefolgt von den beiden Männern.

3. Kapitel

Zwischen Leben und Tod

Immer noch saß sie in der Ecke. Für ein paar Augenblicke hatte sie wohl auch in der Nacht geschlafen, aber die beiden Männer hatten sie in Ruhe gelassen. An den Schritten über sich hörte sie, dass die Beiden aber wohl da waren. Lange hatte sie geweint, aus Wut, Schmerz und Scham, aber irgendwann hatte sie keine Tränen mehr gehabt. Was würde nun mit ihr geschehen? Und vor allem wusste sie immer noch nicht, wer sie war. Auch das Grübeln in der Dunkelheit der Nacht hatte kein Licht in ihren Kopf gebracht. Sie lehnte sich zurück und fuhr mit den Fingern durch ihr langes schwarzes Haar, aber alles brachte nichts. Kein Name, kein Ort fiel ihr ein. Vor Wut hätte sie schreien können, aber das hätte vielleicht die beiden Männer oben auf sie aufmerksam gemacht und mit denen wollte sie sich lieber nicht anlegen.

Auch zu Essen hatten sie ihr nichts gebracht. Seit die Männer verschwunden waren saß sie nun so und sie hatte sich keine Handbreit von ihrer Ecke wegbewegt. Die Sachen waren vollkommen zerfetzt, die würde sie nie wieder anziehen können. Die Gewalt des Riesen hatte deutliche Spuren im Material hinterlassen. Sie hatte sich den Rock um die Schultern gelegt. Es war zwar nicht kalt gewesen in der Nacht, aber irgendwie fühlte es sich so besser an, wenn sie etwas an hatte. Von draußen hörte sie ein paar Vögel singen. Vermutlich musste einer der Sänger direkt vor dem Keller auf einem Strauch sitzen. So nah war der Gesang des kleinen gefiederten Gesellen zu hören. Sie lauschte auf das Lied und sah, wie der Lichtstrahl, der durch eines der Löcher fiel, langsam an der gegenüberliegenden Kellerwand entlang wanderte.

Als der Strahl die Treppe erreichte, wurde die Luke in der Decke von oben aufgerissen und der große Mann betrat den Raum. Er sah sich kurz in der Dunkelheit um und hatte sie auch schon gesehen. Vermutlich hatten seine Augen einen Moment gebraucht, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Vielleicht war das ihre Chance zur Flucht gewesen, doch nun war diese vertan. Außerdem verdeckte der Mann fast den gesamten Treppenaufgang, wie hätte sie sich da unbemerkt an ihm vorbei ins Freie drängeln können? Der Mann kam auf sie zu und griff nach ihrem Fuß. „Nicht schon wieder!“ dachte sie und schrie auf. Sie versuchte zu strampeln und ihm so zu entgehen, doch seine Finger umklammerten ihren Knöchel. Mühelos zog er die Frau zu sich und wechselte zu ihren Armen. Ihre beiden Hände in einer seiner Hände gefangen, zog er sie schließlich auf die Füße und schob sie nackt aus dem Keller, über die Treppe, nach draußen.

Geblendet stand sie vor der Hütte und sah den anderen Mann, der sich über ein Feuer gebeugt hatte. Ein großer Kessel mit kochendem Wasser hing darüber und Dampfschwaden zogen am Kopf des hageren Mannes vorbei in den Himmel. Der Riese stand nun hinter ihr und hatte ihre Arme auf ihrem Rücken so fest zusammen gepresst, so dass es in ihren Schultern zog. Sie schrie vor Schmerz auf und das wiederum ließ den anderen Mann aufblicken. Lächelnd kam er auf sie zu und betrachtete sie, dann nickte der Mann und der Riese ließ sie los. Sie drehte sich um und schaute den Mann an. Er überragte sie um mehr als zwei Haupteslängen. Nun stand sie zwischen den beiden Männern, aber bevor sie auch nur eine Bewegung machen konnte hatte der hagere Mann sie von hinten an den Armen gepackt und hielt sie nun fest.

Der Riese stand mit einem Strick vor ihr und band ihr die Hände zusammen. In seinen großen Händen wirkte der Strick wie ein kleiner Faden. Er zog den Knoten so fest, dass ihre Hände weiß wurden. Der andere Mann, der in etwa die Statur und Größe der Frau hatte, hielt sie nun an den Schultern fest. Jetzt erst ließ sie ihren Blick rund herum schweifen. Sie suchte eine Möglichkeit der Flucht. Der Mann hinter ihr würde sie nicht halten können, wenn sie sich losreisen würde, dass hatte sie sofort bemerkt. Aber solange der Riese noch vor ihr stand, war jede Flucht vergebens. Wo gab es eine Möglichkeit zu entkommen?

Die Hütte stand auf einer kleinen Lichtung mitten im Wald. Es waren vielleicht vierzig Schritte bis zum rettenden Waldrand. Wenn es da keine Fallen gab, so konnte sie vielleicht rennend entkommen. Dann sah sie nach unten, um den Weg zu erkunden und bemerkte neben dem Feuer einen angekohlten Schädel und Knochen liegen. Plötzlich erkannte sie die Gefahr, in der sie schwebte. Sie riss die Augen auf und zuckte zusammen. Sie war in der Gewalt von Menschenfressern! Als sie wieder aufblickte sah sie das Funkeln der Sonne auf der Klinge von einem großen Messer, das der Riese plötzlich in der Hand hatte. Das kochende Wasser im Kessel hinter ihr war für sie bestimmt! Der große Mann näherte sich langsam und das Messer zeigte bedrohlich auf ihren Hals. Verzweifelt überlegte sie und als der Mann nahe genug war trat sie ihm mit dem Bein mit voller Kraft in den Unterleib.

Der Riese krümmte sich zusammen und ließ das Messer fallen. Sie trat nach hinten und der hagere Mann taumelte rückwärts. Dabei stieß er den Kessel um und das Wasser ergoss sich auf den Boden. Zischend verlosch das Feuer und der Dampf breitete sich rund um sie aus. So schnell sie konnte rannte sie dem rettenden Waldrand entgegen. Hinter sich hörte sie das Brüllen des Riesen und seine stampfenden Schritte. Das trieb sie nur noch mehr an. Viel zu langsam kamen die Bäume näher.

Endlich hatte sie den Waldrand erreicht und lief einfach weiter. Sie sprang mitten durch einen Brombeerstrauch und es war ihr egal, dass die Dornen ihr die Haut aufrissen. Hier ging es um ihr Leben. Und genauso rannte sie auch. Da die Hände vorn gefesselt waren, konnte sie mit ihnen notdürftig die Zweige vor ihrem Gesicht zur Seite schieben.

Sie rannte und rannte, ohne sich umzusehen. Vermutlich war sie so schnell, dass die beiden Männer sie nicht verfolgen konnten. Weit hinter sich hörte sie ein wütendes Geschrei, dass sie nur noch mehr antrieb. Immer weiter lief sie in den Wald hinein, bis sie irgendwann vor Erschöpfung umfiel.

4. Kapitel

Die Sorge eines Vaters

Der alte Graf stieg aus der Kutsche und betrat die Treppe seines Hauses. Einer seiner Diener erwartete ihn wie jeden Abend an der Tür. Nach einer Verbeugung nahm er seinem Herrn den Mantel und den Hut ab. „Ist sie angekommen?“ fragte der Graf und der Diener schüttelte den Kopf. „Und mein Sohn?“ fragte er weiter „Der junge Herr ist ihr entgegen geritten.“ entgegnete der Diener und schloss die Tür hinter seinem Herrn. Langsam stieg der alte Herr die Treppe zu seinen Räumen hinauf. In Gedanken war er immer noch bei der Beratung mit dem Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen. Doch gleichzeitig machte er sich auch Sorgen um seinen Sohn und die immer noch fehlende Schwiegertochter. Was konnte er tun? Er näherte sich dem oberen Treppenabsatz und als er schließlich oben war, drehte er sich um und ging die Treppe wieder hinab. Sein Deiner eilte ihm voraus, holte den Mantel, den Hut und hielt die Tür wieder offen.

Schnell war die Kutsche angespannt und vorgefahren, ohne dass der Graf auch nur irgendein Wort dazu sagen musste. Seine Diener kannten ihn zum Teil schon mehr als vierzig Jahre. Er selbst hatte das sechzigste Lebensjahr gerade erst erreicht und war, trotz seiner grauen Haare, immer noch in einer guten körperlichen Verfassung. Als die Kutsche vorfuhr sagte er nur „Zur Kaserne der Garde.“ und stieg ein. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Schließlich fuhr die Kutsche vor der Kaserne vor und der Graf stieg aus. Einer der Posten salutierte und hielt ihm die Tür auf. Mit einem Kopfnicken betrat der Graf die Unterkunft der Soldaten und ging zum Zimmer des kommandierenden Offiziers.

Dieser erhob sich, als der alte Graf das Zimmer betrat und bot diesem mit einer Handbewegung einen Platz an. Als sie beide an dem kleinen Tisch saßen fragte der Offizier „Was ist euer Begehr?“ und der Graf begann zu erzählen. Von der fehlenden Gräfin und seinem Sohn. Von der Suche, die dieser begonnen hatte und von seiner Angst um den Sohn. Der Offizier winkte ab und gab zurück. „Wenn er bis morgen früh nicht wieder da ist, so werde ich mit einer Kompanie ausrücken und ihn, sowie die Gräfin, suchen. Geben sie mir nur morgen Bescheid.“ Der alte Graf bedankte sich und erhob sich wieder. Mit einem Händedruck verabschiedeten sich die beiden Männer und der Graf fuhr in sein Schloss zurück.

In der Nacht konnte der alte Mann schlecht schlafen. Die Sorge ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Schon in der Morgendämmerung stand er auf und sah aus dem Fenster. Aber hatte er wirklich erwartet, dass sein Sohn so früh zurück sein würde? Er hatte ja einen weiten Weg und war sicher erst in ein paar Stunden zurück. Trotzdem schickte er einen Diener mit einer Botschaft an den Offizier der Garde. Eine Stunde später hörte er die Hufe vieler Pferde auf dem Weg vor seinem Schloss. Er ging zum Tor und sah hinaus.

Etwa zwanzig Reiter unter der Führung des Offiziers waren vor dem Schloss eingetroffen. Die Sonne spiegelte sich auf ihren Helmen. Der Graf ging nach draußen und der Offizier saß ab. Die beiden Männer begrüßten sich. „Sie sind noch nicht da.“ begann der Graf und der Offizier nickte. „Wir werden sie finden!“ sagte der Mann und drehte sich zu seinem Pferd um. „Wartet noch. Ich werde euch einen Diener mit einem Hund mitgeben. Mein Sohn hat auch zwei Hunde dabei. Der dritte wird sein Rudel sicher finden!“ sagte der Graf und rief seinen Diener.

Wenig später brach die Gruppe auf. Er stand immer noch oben an der Treppe, wo er den Offizier verabschiedet hatte. Es war zwar das Jahr 1710 und der letzte große Krieg auf sächsischen Boden war länger her, als er auf der Welt war, aber immer noch waren Räuber und marodierende Soldaten in Sachsen unterwegs. Er ging zurück zum Schloss. Zwar hatte er auch noch drei Töchter, die nun mittlerweile alle schon verheiratet waren, aber Harald war sein einziger Sohn. Seit die Frau des alten Grafen vor ein paar Jahren verstorben war lebte er nun zusammen mit seinem Sohn in dem riesigen Schloss. Er hatte gehofft, dass durch die junge Gräfin wieder Leben in das Haus kam. Und nun? Sah er alles zu pessimistisch? Vielleicht waren die Beiden ja auch schon auf dem Rückweg und er machte sich ganz umsonst Sorgen.

So richtig konnte er die Sache aber nicht loslassen. Zum ersten Mal dachte er daran, vielleicht wieder neu zu heiraten. Er war ja noch nicht so alt und auch sehr wohlhabend. Da würde er schon noch eine junge Frau finden können, mit der er noch ein paar Kinder haben konnte. Er setzte sich an den Tisch im Speisezimmer und ließ sich von seinem Diener das Essen bringen. Zum Glück brauchte er heute nicht das Schloss verlassen, aber war das wirklich so ein Glück? Hier drin kamen ihm im Moment die Wände entgegen und so beschloss er, nach dem Essen in den Park zu gehen. Das Grundstück wollte er nicht verlassen, falls eine Nachricht von seinem Sohn oder dem Offizier kommen würde. So setzte er sich an den kleinen Teich hinter dem Haus und schaute den Schwänen zu, wie sie geruhsam über die Wasserfläche zogen.

Das Warten wurde ihm sehr lang und schließlich stand er von der Bank auf und begann den kleinen Teich zu umrunden. Wieder und wieder. Die Gedanken gingen in die Ferne und suchten seinen Sohn. Ging es ihm gut? Bei jedem Geräusch sah er auf, aber es waren nur Kutschen, die hinter dem Schloss, auf der anderen Seite, in die Dresdener Innenstadt fuhren. Keine davon bog zum Schloss ab. Er musste hier schon seit Stunden immer im Kreis gegangen sein und irgendwann fiel die Dunkelheit langsam über das Schloss. Er schaute zu der untergehenden Sonne und horchte in die Dunkelheit. Waren da nicht Pferde zu hören und das Klappern von Schwertern gegen Pferdeleiber, wie sie die Garde trug? Täuschten ihn da seine Ohren? Er ging nach vorn auf die andere Seite des Schlosses und stellte sich auf die Treppe. Aber nichts war zu sehen.

5. Kapitel

Alleine im Wald?

Sie wachte auf und lag auf dem Bauch im hohen Gras einer kleinen Lichtung. Die Frau horchte, aber alles rings um sie herum war ruhig. Offensichtlich waren die beiden Männer ihr nicht gefolgt, oder hatten ihre Spur im Wald verloren, sonst hätten sie sie schon längst gefunden. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon hier lag, eine Stunde aber sicher schon. Als sie den Blick hob, sah sie einen kleinen Hasen, der, keine fünf Schritte von ihr entfernt, am Waldrand saß und sich das Gras schmecken ließ. Nun war sie sicher, dass hier außer ihr niemand war, denn der Hase wäre sicher weggelaufen. Sie setzte sich auf und das kleine Tier hoppelte schnell in den schützenden Wald hinein.

Erst jetzt wurde ihr so richtig klar, aus welcher Gefahr sie da gerade eben entflohen war. Die Tränen begannen ihr über das Gesicht zu laufen. Um ein Haar wäre sie im Suppenkessel der beiden Männer gelandet. Sie hörte das Rauschen eines kleinen Baches und sah sich um. Am Rande der Lichtung war ein kleiner Abhang und sie ging dort hin. Von oben sah sie auf ein kleines Gewässer, das sicher nicht breiter als ein Schritt war. Sie hätte leicht auf die andere Seite springen können. Die Frau stieg hinab und kniete sich an das andere Ufer. Mit beiden Händen, die ja immer noch gefesselt waren, schöpfte sie Wasser heraus und trank es gierig. Es war kalt und glasklar. Sie wusch sich das Blut der letzten Nacht von den Beinen und wusch sich den Rest des Körpers. Erfrischt setzte sich die Frau an einen der Bäume und versuchte die Hände zu befreien, aber das war gar nicht so einfach.

Der Riese hatte einen komplizierten Knoten in die Schnur gemacht und solange beide Hände gefesselt waren, kam sie nicht an den Knoten heran. Sie versuchte die Schnur mit den Zähnen zu lockern, aber das gelang auch nur mühselig. Mit angezogenen Knien, an den Baum gelehnt und die Schnur zwischen den Zähnen saß sie nackt im Wald. Wie sollte es weiter gehen? Und vor allem Wohin? Auch die Todesangst hatte die Erinnerung nicht zurück gebracht. Alles vor dem Aufwachen im Wald am Vortag lag immer noch im Dunkeln. Wenn sie nicht schon der Schmerz zum Weinen gebracht hätte, sie hätte jetzt bestimmt aus Zorn über das fehlende Gedächtnis geweint.

Ein Geräusch schreckte sie auf. War da nicht ein Knacken im Wald gewesen? Sie horchte angestrengt, aber das Rauschen des Baches überdeckte fast alle Geräusche rings um sie herum. Vielleicht war es ja auch nur ein Tier gewesen. Immer weiter versuchte sie den Knoten aufzuziehen und endlich gab der Strick etwas nach. Sie spürte wie das Blut wieder kribbelnd in ihre Hände strömte und als sie aufsah schaute sie in die Augen eines Hundes, der keine fünf Schritte entfernt über dem Bach auf dem Hang stand. Für einen Moment dachte sie, dass es eine Täuschung sei, so still und starr wie das Tier dort stand, doch dann kam es auf die Frau zu und die schrie erschrocken auf. Sie versuchte das Tier mit den Händen abzuwehren, doch der Hund setzte sich nur still vor sie hin.

Ein zweiter Hund erschien, der etwas hinkte, und auch dieser setzte sich direkt vor sie hin. Vorsichtig versuchte sie den Tieren über den Kopf zu streichen und Beide ließen das zu. Ein weiteres Knacken im Wald ließ sie nach oben sehen und dann traten zwei Männer an den Bach. In der Erinnerung an die anderen Beiden im Wald schrie sie auf und die beiden Hunde drehten ihre Köpfe zu den Männern. Einer der Männer zog ein langes Jagdmesser und sprang zu ihr herunter. Sie versuchte die Hände schützend nach oben zu nehmen und schloss schon mit ihrem Leben ab, doch dann durchtrennte die Klinge das Seil und der Mann hängte ihr seinen Mantel um die nackten Schultern.

Der Zweite kam zu ihr und fragte „Wer bist du?“ doch diese Frage konnte sie nicht beantworten. Ehrlich sagte sie „Ich weiß es nicht.“ Der Mann zog ein Metallion aus seiner Tasche und klappte es auf. Das Bild einer Frau war darin zu sehen. Sie hatte blonde Haare, aber sonst war sie ihr irgendwie ähnlich. Der andere Mann hatte ein weißes Stück Stoff in seiner Manteltasche gehabt und die Frau zog es heraus. Es war ihr zerrissener Unterrock. „Das ist meiner.“ sagte sie und steckte den Stoff wieder weg. Sie verschloss den Mantel vorn, so dass er nun völlig ihre Blöße bedeckte. Der Mann mit dem Medaillon sagte „Also meine Gräfin bist du nicht.“ und steckte den Anhänger wieder weg. „Aber du musst in ihrer Kutsche gewesen sein. Die Hunde haben uns von dort direkt zu dir geführt!“ sagte er weiter und sah den anderen Mann an.

„Wohin?“ fragte er und der Andere, nun ohne Mantel, zeigte in eine Richtung in den Wald. Zu dritt, begleitet von den beiden Hunden, brachen sie auf. Da die Frau etwas kleiner war, als die beiden Männer, ging ihr der Mantel bis über die Knie. Nebeneinander gingen sie durch das Waldstück und umgingen die größeren Gebüsche. Die beiden Männer versuchten alles Mögliche aus ihr heraus zu bekommen, aber immer noch war die Erinnerung nicht zurück, und so konnte sie nur von der vergangenen Nacht erzählen. Die Vergewaltigung ließ sie dabei aus. Nach einer ganzen Weile hörten sie vor sich ein Pferd schnauben und als sich der Wald lichtete, standen sie direkt vor der umgestürzten Kutsche.

Die Frau ging zu der Kutsche hinüber und strich mit den Fingern über die Tür. „Sofie.“ sagte sie plötzlich. Der eine Mann horchte auf und sagte „Ja. So heißt meine zukünftige Frau.“ Sie fuhr mit den Fingern das Wappen auf der Kutschentür nach. Die beiden Männer holten inzwischen die Pferde, die sie an einem Baum angebunden hatten, als sie auf dem Weg das Geräusch von vielen Hufen hörten. Wenig später waren sie umringt von Gardesoldaten.

Plötzlich fiel der Frau wieder ein, wer sie war. „Ich bin Anna und Sofie ist meine Schwester.“ sagte sie erfreut. Endlich hatte sie einen Teil ihrer Erinnerung wieder. Nur wo war ihre Schwester? Jetzt, da die Erinnerung wieder da war, fing sie an, sich so richtige Gedanken zu machen. Was war wohl mit Sofie passiert? Zu mindestens war sie vermutlich noch am Leben. Aber sicher von den Räubern entführt.

6. Kapitel

Beute der Ängste

Sofie saß irgendwo und es schien Gras unter ihr zu sein. Als die Männer sie aus der Kutsche gezogen hatten, hatten sie ihr einen Sack über den Kopf gestülpt, sie über ein Pferd geworfen und waren mit ihr lachend weg geritten. Und nun saß sie hier, die Hände auf dem Rücken gefesselt und hatte seit dem immer noch den Sack über dem Kopf. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren und hörte die Männer in der Nähe singen und lachen. Mit ihren Fingern konnte sie die Rinde eines Baumes ertasten, an den sie gelehnt war. Entweder war sie noch im Wald oder in einem Garten. Aber vermutlich war es ein Wald. Die Männer waren nahe genug, dass sie die Stimmen hören konnte, aber zu weit weg, als dass sie verstehen konnte, was sie redeten. Was hatten sie wohl mit ihr vor? Vielleicht ein Lösegeld erpressen? Zumindest hoffte sie, dass den Männern nicht noch etwas Schlimmeres einfiel.

Die Frau dachte an ihre Schwester Anna, die kurz bevor die Kutsche umkippte aus dieser heraus gesprungen war. Vielleicht hatte sie es geschafft Hilfe zu holen, oder jemanden zu informieren, der sie retten konnte. Jedenfalls hatten die Räuber sie nicht aufgegriffen, sonst hätte sie schon was von Anna gehört. Die war zwar ein Jahr jünger als sie, aber an sich die stärkere und tapfere der beiden Schwestern. Sie war mitgekommen, um die Vorbereitungen für die Hochzeit zu übernehmen und natürlich auch ein bisschen, um in der Landeshauptstadt die verschiedenen Bälle zu besuchen. Sofie begann im Gedanken zu beten und schickte dabei ihrer Schwester einen Gruß mit.

Sie versuchte sich zu entspannen und an nichts Schlimmes zu denken. Sonst würde die Angst sie wohl übermannen, und dann würde vielleicht wer weiß was geschehen. So im Dunklen konnte sie sowieso nichts ausrichten. Also blieb sie ruhig. Es hätte auch alles andere sowieso nicht viel genützt. Jemand zog ihr den Sack vom Kopf, den sie gar nicht hatte kommen hören. Es war dunkel und in einiger Entfernung sah sie ein Feuer. Ein Mann gab ihr etwas zu trinken und fütterte sie, da sie ja die Hände hinten hatte. Es war ein leichter Wein und etwas Brot, das gar nicht so schlecht schmeckte. Aber vermutlich hätte sie im Moment alles gegessen, so großen Hunger hatte sie. Sicher war es schon der nächste Tag. Aber genau konnte sie das nicht sagen. Vielleicht auch schon der Übernächste? Kurze Zeit später hatte sie wieder den Sack auf dem Kopf und es war Ruhe.

Die Frau lehnte sich zurück und stützte den Kopf gegen den Baum. Sie versuchte zu schlafen, aber das gelang ihr nicht so gut. Zu viele Gedanken jagten durch ihren Kopf und durch das Nichtsehen waren ihre anderen Sinne nur noch mehr geschärft. Sie hörte ein Käuzchen irgendwo über sich rufen und irgendwo schnarchte ein Mann. Leise Stimmen erzählten, aber es war mehr ein Wispern als deutliche Stimmen. Im Moment konnte sie eigentlich nur trösten, dass sie ihr etwas zu Essen gegeben hatten. Das hätten sie ja nicht machen brauchen, und es wäre Verschwendung gewesen, wenn sie sie hätten umbringen wollen. Mit diesem Gedanken beruhigte sie sich weiter und schließlich schlief sie ein. Sie erwachte, als etwas gegen ihr Bein stieß. Kurz darauf wurde der Sack wieder von ihrem Kopf gezogen und die zerzausten Haare fielen ihr in das Gesicht. Ohne die Hände konnte sie die auch nicht wieder zurück streichen und so schüttelte sie den Kopf um wieder einen klaren Durchblick zu erhalten.

Sie sah einen lachenden Mann vor sich, der ihr eine Schüssel vor die Nase hielt und sich köstlich darüber amüsierte, wie sie versuchte die Brotstücken ohne Zuhilfenahme der Hände mit dem Mund aus den Gefäß zu angeln. Aber der Hunger war einfach viel größer als ihr Stolz und so versuchte sie es immer wieder. Langsam wurde sie dabei immer wütender. Aber noch bevor sie etwas sagen konnte, hatte sie schon wieder den Sack über ihrem Kopf. Wieder war es dunkel. Ein paar Augenblicke später wurde sie an der Hüfte gepackt und sie spürte, wie sie jemand über einen Pferderücken warf. Jemand drückte ihr in den Rücken und hielt sie so auf dem Tier, das sich langsam unter ihr bewegte. Wie ein Sack hing sie über dem Rücken des Tieres, die Arme hinter dem Körper nach oben hin. Sie versuchte nicht zu rutschen und anscheinend hatte der Mann auch Mühe, sie festzuhalten, denn er griff öfters mal nach und krallte sich in den Saum ihres Rockes. Eine ganze Weile ging das so, bis irgendwann das Pferd stoppte und sie zu Boden fiel. Unsanft landete sie auf der Erde. Niemand hatte daran gedacht, sie aufzufangen.

Jetzt tat ihr der Hintern weh, auf den sie aus der Höhe geprallt war. Einer der Männer zerrte sie zur Seite, ohne sie anzuheben. Die Beine schleiften über dem Boden und schon nach ein paar Schritten lehnte sie weder an einem anderen Baum. Sofie biss die Zähne zusammen und hätte fast geheult, aber es hätte ja sowieso nichts genutzt. Sie versuchte sich so hinzusetzen, dass ihr der Hintern nicht allzu sehr wehtat. Innerlich fluchte sie über die raue Behandlung, aber sie konnte ja nichts dagegen tun. Sie konnte die Männer nicht mal sehen. Nur hören konnte sie das geschäftige Treiben rund um sie herum. Diesmal hörte sie die Stimmen deutlicher. Die Männer waren sicher nur drei oder vier Schritte von ihr entfernt und sie konnte auch das Prasseln des Feuers hören. Angestrengt lauschte sie den Gesprächen, die am Anfang noch durcheinander gingen.

Schließlich redete nur noch einer und erzählte, wie sie das Lösegeld für Sofie erhalten wollten und wer wohl den Brief an ihre Eltern überbringen sollte. Anscheinend hatte sie mit der Vermutung über die Räuber recht gehabt. Nur was würde passieren, wenn das Lösegeld nicht rechtzeitig gezahlt wurde? Oder etwas bei der Übergabe schief ging. Dann würden die Männer sicher nicht mehr so zimperlich mit ihr umgehen. Das wollte sie sich dann doch nicht vorstellen, aber die Angst davor begann ihren Körper zu lähmen. Keinen Finger konnte sie mehr rühren. Sie saß gefesselt da.

7. Kapitel

Noch eine Suche

Die Frau machte einen Knicks und sagte „Gestatten: Anna Maria, Gräfin von Hohenfeld.“ diese Geste sah in Georgs Mantel etwas komisch aus, aber Harald verbeugte sich ebenfalls. Alle Erinnerungen schien die Frau noch nicht zurückbekommen zu haben, aber ihren Namen kannte sie nun schon wieder. Die Soldaten hatten sie umringt und der Offizier, den er von seinem Besuchen mit dem Vater bei der Garde gut kannte, war abgesessen und gab ihm die Hand. Auf ein Zeichen des Offiziers saßen die Soldaten ab und richteten die Kutsche wieder auf. Der Offizier sagte „Gräfin.“ und hielt die Kutschentür zum Einsteigen auf, doch die Frau schüttelte den Kopf.

Zwei Soldaten spannten ihre Pferde an und setzten sich auf den Kutschbock. Harald sah die Frau an „Ich muss meine Schwester finden.“ sagte sie „So?“ fragte er und zeigte auf den Mantel, unter dem sie ja nackt war. Sie schüttelte den Kopf und öffnete die Truhe, die hinten an der Kutsche angebracht war. Sie kramte ein paar Sachen heraus und sagte dann „Könnt ihr euch mal alle umdrehen?“ was auch alle Soldaten machten. Sie bildeten einen Kreis um die Frau, wobei sie mit dem Rücken zu ihr standen und so das Umziehen der Gräfin verdeckten. Harald konnte aus dem Augenwinkel ein paar Blicke erhaschen, aber er hatte sie ja schon im Wald im Evaskostüm gesehen.

Wenig später war sie umgezogen und fragte „Wer gibt mir sein Pferd?“ auf ein Zeichen des Offiziers brachte einer der Männer, ein Diener aus seinem Schloss, sein Pferd. „Haben sie Hunger, Gräfin?“ fragte der Offizier und gab der nickenden Frau etwas Brot und Wein. Die zwei Soldaten sowie der andere Diener würden die Kutsche und den verletzten Hund nach Dresden bringen. Harald besah sich diese kleine Truppe. Es blieben noch siebzehn Soldaten, die zusammen mit ihm, seinem Diener Georg und der Gräfin die Verfolgung der Räuber übernehmen würden. Nachdem sie fertig gegessen hatte, zog die Frau die Pistolen aus dem Sattelholster und es sah so aus, als wüsste sie, was sie da tat. Vermutlich war es nicht das erste Mal für sie, dass sie Waffen in der Hand hatte. Auch wenn sie sich vielleicht noch nicht so richtig daran erinnern konnte. Kurze Zeit später steckten die geladenen Pistolen wieder vor dem Sattel in den beiden Taschen. „Können wir?“ fragte die Frau und die Soldaten saßen auf. Die beiden toten Kutscher waren von den Soldaten schnell beerdigt worden.

Georg half zuerst der Gräfin und dann ihm auf das Pferd, dann saß der Diener auch auf und spornte die zwei Hunde zur Suche an. Aber rund um die Kutsche war alles zertrampelt. Keiner der Hunde konnte hier eine Spur finden. Georg ritt mit den Tieren in beide Richtungen und hatte etwas später eine Spur gefunden. Sie führte den Waldweg wieder zurück und nun brachen alle auf. Georg und die Hunde führten die Truppe an. Den Schluss bildete die Kutsche, die auf der Straße dann nach Dresden abbiegen würde. Die Gräfin und er blieben in der Mitte der Soldaten. Er sah ihr an, dass sie immer noch versuchte, sich an alles zu erinnern, daher zeigte er Anna noch einmal das Medaillon mit dem Bild der Schwester. In dem blanken Feld daneben konnte sich die Gräfin im Spiegel sehen und vielleicht würde ihr das mehr helfen.

Die langen schwarzen Haare waren durch die Nächte im Wald etwas verfilzt und unordentlich, aber in dem Kleid sah sie nun wirklich wie eine Gräfin aus. Zwar war es kein Reisekleid, wie sie es sicher zuvor in der Kutsche getragen hatte, sondern eher ein Ballkleid, aber es stand ihr vortrefflich. Da der Sattel einem Mann gehörte, hatte sie es schwerer mit dem Rock darauf auf einer Seite zu sitzen und nicht herab zu fallen, doch es schien ihr gut zu gelingen. Sie ritt gut und zumindest daran, wie man ein Tier führte, schien sie sich schon erinnert zu haben. Oder war es die Routine einer geübten Reiterin, die daran gar keinen Gedanken verschwendete, wie man auf einem Pferd saß?

An der Straße angekommen bogen die Hunde nach Norden und die Kutsche nach Süden ab. Nun konnten sie viel schneller reiten und das Haar der Frau flatterte im Wind. Etwa eine Stunde später bogen die Hunde wieder in den Wald ab und folgten einer Schneise durch die Bäume. Der Weg wurde so schmal, das immer nur ein Reiter hinter dem anderen dort entlang reiten konnte. Eine weitere Stunde später stießen sie auf einen verlassenen Rastplatz, an dem auch ein Feuer gebrannt hatte. Einer der Soldaten sprang ab und suchte den Platz ab, dann sagte er „Zehn Männer mit Pferden.“ der Offizier nickte und sagte „Heute Nacht rasten wir hier. Die Dämmerung wird bald kommen und hier kennen wir uns nicht aus. Holt Holz und macht ein Feuer.“ Einige der Soldaten führten die Pferde zu einer Lichtung, während die anderen trockene Äste holten, wie es ihnen befohlen worden war.