Dangerous Games - Evelyne Amara - E-Book

Dangerous Games E-Book

Evelyne Amara

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Beschreibung

Sie ist die Frau, die mein Herz berührt wie keine sonst. Mit ihr kann ich mir vorstellen, mein Leben zu verbringen. Neben ihr möchte ich am Abend einschlafen und jeden Morgen mit ihr in meinen Armen erwachen. Das ist für mich die Vorstellung vom Paradies. Es gibt nur ein Problem: Unsere Liebesgeschichte entwickelt sich fast genauso wie in meinem neuesten, unveröffentlichten Roman. Es gibt zu viele Zufälle und Übereinstimmungen. Am Ende meines Romans stirbt die Frau, die meine Hauptperson liebt ...

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Epilog

Evelyne Amara

 

Dangerous Games

 

Billionaires and the City 4

 

 

 

 

 

Impressum

Copyright und Urheberrecht Dezember 2020 Evelyne Amara

Copyright Coverabbildungen:

Mann: alesgon / Fotolia / Adobe Stock,

City: kovgabor79 / Fotolia / Adobe Stock

Korrektorat: Jörg Querner / Lektorat Anti-Fehlerteufel

Übersetzung des Gedichts von Rabindranath Tagore: Evelyne Amara

Coverdesign: Evelyne Amara

[email protected]

www.Evelyne-Amara.com

Evelyne Amara

c/o Autorenservice Gorischek

Am Rinnersgrund 14/5

8101 Gratkorn

Österreich

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Tyler

 

Ich grüble gerade über die detaillierte Personenliste für meinen nächsten Roman nach und google nach den Namen, damit es dabei zu keinen Peinlichkeiten kommt, da klingelt es an der Tür. Das wird die Pizza sein, die ich bestellt habe. Die sind aber schnell. Diesen Pizzaservice muss ich mir merken.

Ich schnappe meine Geldbörse und eile zur Tür. Kaum habe ich diese geöffnet, wird mir von drei maskierten Männern ein Knebel in den Mund gestopft und ein Sack über den Kopf gezogen, den sie von außen zusammenbinden. Ich wehre mich verzweifelt, doch gegen die drei großen, muskulösen Männer habe ich keine Chance.

Ich höre, wie einer von ihnen meine Wohnung betritt. Mein Herz klopft schneller. Bestimmt wollen sie mich ausrauben. Es ist immerhin schon nach zehn Uhr abends und das an einem Donnerstag.

Sie wechseln nur mit gesenkten Stimmen ein paar Worte, die ich nicht verstehen kann. Vermutlich dient das dazu, dass meine Nachbarn sie nicht hören.

Kurze Zeit später verlässt der Mann meine Wohnung wieder, und sie schleppen mich zum Aufzug. Das erkenne ich daran, dass ich das vertraute leise Klingeln vernehme, das stets ertönt, wenn einer der Aufzugknöpfe gedrückt wird. Wieder versuche ich, mich zu wehren oder zumindest zu fliehen, doch mehrere der Männer haben mich in einem festen Griff.

Draußen ist es mit Sicherheit stockdunkel. Ich hätte längst in eine bessere Gegend umziehen können in ein Gebäude, dessen Haustür sich nicht in eine finstere Gasse öffnet. Dort verfrachten sie mich in ein Fahrzeug und brausen sofort los.

Mein Vater hatte Recht. New York City ist ein kriminelles Pflaster. Ich dachte, er hätte mal wieder übertrieben. Dabei liebe ich diese Stadt, die mich fasziniert wie keine andere. Sie ist groß, schmutzig, manchmal etwas verstörend, aber immer inspirierend und vielfältig. Keine übt denselben Reiz aus wie diese schillernde Weltmetropole.

Doch in dieser Wohnung hat sich jüngst mein Schicksal gewendet. Meinen ersten Bestseller habe ich hier geschrieben.

Vielleicht hat diese Entführung damit zu tun. Ich habe schon vieles gehört, aber von entführten Autoren liest man selten etwas in der Zeitung. Vermutlich werden sie nicht häufiger entführt als andere Leute.

Ich frage mich, was meine Entführer im Schilde führen.

Nach wenigen Minuten hält das Fahrzeug an und meine Entführer zerren mich raus. Sie befreien mich von dem Strick, dem Sack und schließlich dem Knebel und lachen sich halb kaputt über meinen Gesichtsausdruck, der vermutlich zwischen Verwirrung, Erstaunen und Wut schwankt.

Das Auto, mit dem wir gekommen sind, fährt weiter. Offenbar haben meine Freunde jemanden als Fahrer beauftragt. Die Parksituation hier ist ziemlich schlecht.

Ich sehe mich um. Wir befinden uns in der 113th Street im East Village in der Lower East Side Manhattans. Diese recht belebte Straße mit ihren vielen Kneipen, Cafés und Bars kenne ich.

»Ihr Arschlöcher! Ihr könnt mich nicht einfach so entführen! Ich habe zufällig etwas zu tun.« Ganz zu schweigen von dem Schrecken, den sie mir eingejagt haben.

»Du siehst doch, dass wir es können«, sagt der Größte von ihnen, mein Freund Kilian, der mit seinen 1,92 m minimal größer ist als ich. »Und selber Arschloch. Wir sehen dich kaum noch und haben schon Bilder von Nosferatu an unseren Kühlschränken hängen, damit wir dich noch erkennen, falls du irgendwann mal wieder aus deiner Gruft kriechst. Deine Nachbarn halten dich schon für einen Vampir, weil du so bleich bist und kaum deine Wohnung verlässt und wenn, dann nur, um die Flaschen mit der äußerst verdächtigen, roten Flüssigkeit in deinem Kühlschrank aufzufüllen.«

»Das ist Tomatensaft, ihr Barbaren. Nicht jeder hat den Kühlschrank ausschließlich mit Bier gefüllt.« Und so viel Tomatensaft trinke ich nun auch wieder nicht. Meine Freunde neigen dazu, zu übertreiben.

Kilian grinst. »Erzähl das deiner Oma. Ach nein, das geht natürlich nicht, weil die vermutlich schon seit mindestens vier Jahrhunderten tot ist.«

Ich verdrehe die Augen. »Meine Oma lebt noch.«

»Dann ist sie also auch ein Vampir?«

»Falls meine Datei zerstört werden sollte, nur weil ihr mich mal eben so entführt habt, dann wird es euch eure Leben kosten.« Grimmig schaue ich meine drei Freunde an, die überhaupt nicht schuldbewusst wirken.

Benny fährt sich durch die hüftlangen, dunkelblonden Dreadlocks. Er ist hochgewachsen und schlank. »Was denn? Wenn man jemand so Besessenen wie dich mal in eine Kneipe bringen möchte, muss man dich entführen. Sonst versauerst du noch hinter deinem PC.«

Ich lache. »Das sagt genau der Richtige. Ihr Programmierer seid noch schlimmer als wir Autoren.« Ich habe ihn vor ein paar Jahren über meinen Bruder Weston in Ashley’s Cream Dreams kennengelernt. Westons Freund Donovan ist mit Ashley zusammen. Benny ist ein langjähriger platonischer Freund von Ashleys Cousine Alexandra.

Er zieht suggestiv seine dunkelblonden Augenbrauen über wachen, graublauen Augen in die Höhe. »Ich weiß noch, zu leben. Und du?«

»Das weiß ich auch noch.«

»Seit Blythe dich verlassen hat, vergräbst du dich nur noch in deine Arbeit.«

»Und das ist auch besser so. Es war ein Fehler.«

»Was? Das mit der Stripperin?«

»Nein, das mit Blythe. Wir haben nie zusammengepasst. Aber das ist mir erst im Nachhinein klargeworden an der Art, wie gewisse Dinge abgelaufen sind.« Beschwichtigend hebe ich die Hände. »Ich hatte nichts mit dieser Stripperin. Das schwöre ich.«

»Komm schon«, sagt Curtis und fährt sich durch das kurze, dunkle Haar. »Du kannst es ruhig zugeben. Jeder kann mal einen Ausrutscher haben.« Curtis und Kilian kenne ich aus der Uni, wo ich Literatur und Geschichte studiert habe.

Kilian ist etwas jünger als ich, aber Curtis ist schon neununddreißig. Er war ein Spätstudierender und hatte sich ebenfalls für Literatur eingeschrieben.

»Es war kein Ausrutscher. Ich kannte diese Frau nicht. Vor jenem Abend habe ich sie nie gesehen. Ich muss jetzt nach Hause. Wenn mein Computer abstürzt, ist es möglich, dass die Datei dabei zerstört wird. Das ist mir schon mal passiert.«

Kilian legt mir eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, Tyler. So weit habe ich gedacht. Ich habe deine Datei geschlossen, bevor wir abgehauen sind.«

Grimmig schaue ich ihn an. »Das will ich hoffen. Die Personenliste war schon ziemlich detailliert ausgearbeitet. Mehr als vierzehn Seiten lang.« Nicht dass so extrem viele Personen in meinem Roman vorkämen, aber dort steht alles Mögliche über meine Charaktere drin. Je mehr ich über sie weiß, desto besser wird der Roman.

»Feiere doch erst mal deine Erfolge, bevor du dich gleich ins nächste Projekt stürzt«, sagt Kilian lächelnd.

»Das ist leichter gesagt als getan. Wenn man in dem Job nicht ständig dranbleibt, bleibt man auf der Strecke.«

Curtis kratzt sich am Kinn. »Als du noch mit Blythe zusammen warst, hattest du auch nicht so viel Zeit vor deinem Computer verbracht.« Da hat er nicht ganz Unrecht.

Ich seufze. »Ich kann nicht eine Beziehung führen und nie für meine Freundin da sein.«

»Aber uns kannst du vernachlässigen.« In Curtis’ dunklen Augen zeigt sich Schmerz.

»Ihr habt Recht. Ich sollte wieder mehr mit euch rausgehen.« Ich hatte schon immer viel gearbeitet, doch seit der Trennung von Blythe ist die Arbeit meine Zuflucht. Dabei konnte ich vergessen und verarbeiten, was mir angetan wurde. Ich weiß noch immer nicht, wer Blythe anonym die angeblichen Beweisfotos zugeschickt hat.

Den Vorfall mit der anderen Frau hat es zwar gegeben, aber er war gestellt. Sie ist eine Fremde für mich, mit der ich nie etwas hatte, auch wenn mir das leider niemand glaubt. Sogar einige meiner Freunde zweifeln daran. Ich muss zugeben, dass in dieser Hinsicht alles gegen mich spricht.

Zwei Jahre waren wir zusammen, das letzte Vierteljahr davon verlobt. Und jetzt ist alles dahin. Blythe hat sofort ihre Koffer gepackt und mich verlassen. Ich hatte keine Möglichkeit, sie aufzuhalten oder meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dieses Gefühl der absoluten Machtlosigkeit werde ich nie vergessen. Sie hat mir kein Wort meiner Beteuerungen geglaubt.

Ich habe einen ungeheuerlichen Verdacht, doch den wage ich nicht auszusprechen, solange ich keine Beweise dafür habe. Außerdem würde das ohnehin zu nichts führen.

Curtis grinst. »Komm, lass uns ins Please Don’t Tell gehen. Wir haben dort schon vor zwei Monaten einen Tisch für uns reservieren lassen.«

Ich schüttle den Kopf und fahre mir durchs Haar. »Erzähl mir keinen Scheiß. Die nehmen nur Reservierungen für denselben Tag an und das immer um drei Uhr nachmittags.«

»Okay. Du hast mich erwischt. Kilian hat uns heute eine Reservierung beschafft. Wir müssen uns beeilen, denn sonst belegen sie unseren Tisch anderweitig.« Ohne Reservierung kann man dort schon mal besonders am Wochenende mehrere Stunden warten, bis ein Tisch frei wird.

Wir betreten die Hotdog-Bude namens Crif Dogs und gehen zur alten Telefonzelle, die sich links in der Wurstbude befindet. Curtis wählt die Nummer eins auf der alten Wählscheibe.

Daraufhin öffnet einer der Mitarbeiter der Bar die Geheimtür an der Telefonzelle, um unsere Daten aufzunehmen. Dies erinnert mich immer ein wenig an diese Telefonzelle in dem Film Bill und Teds verrückte Reise durch die Zeit mit dem jugendlichen Keanu Reeves oder die Serie über Dr. Who. New York City ist so schräg. Ich liebe es.

Wenige Minuten später bekommt Kilian eine SMS auf sein Handy mit der Info, dass jetzt genügend Plätze für uns frei sind. Wir eilen zum Telefonzellen-Eingang, wo uns eine Hostess empfängt.

Das Please Don’t Tell ist ein sogenanntes Speakeasy. So nannte man ursprünglich die geheimen Bars, die während der Prohibition in den Jahren 1920 bis 1933 illegal Alkohol ausschenkten. Zu jener Zeit galt landesweit ein Verbot, Alkohol herzustellen, zu transportieren und zu verkaufen. Alleine in New York gab es während dieser Jahre tausende dieser geheimen Bars.

Wir treten durch die Tür in die Cocktail Lounge. Sofort umgibt uns ein gemütliches Ambiente mit gedämpftem Licht und stilvoller Einrichtung in dunklen Holztönen sowie einer gut beleuchteten Bar mit einem freundlichen, sehr beschäftigt wirkenden Barkeeper.

Lieber hätte ich mich an die Bar gesetzt, aber da für uns heute nur Plätze an einem der Tische frei sind, nehmen wir mit diesen vorlieb. Er befindet sich unweit des ausgestopften, halben Bären an der Wand.

»Ich hoffe, der Junge ist nicht echt«, sage ich, denn das ist das Einzige, was mir nicht an dieser Bar gefällt.

Kilian zuckt mit den Achseln. »Vielleicht handelt es sich um einen toten Polyester.«

Eine freundlich lächelnde Kellnerin stellt sich zu uns an den Tisch. »Was darf ich euch bringen?«

Ich bestelle mir ebenso wie Kilian einen Old Fashioned, während Benny einen Paddington und Curtis einen Twenty-One Butt Salute wählt.

Da mein Magen knurrt, bestelle ich mir zwei 2Pok Dogs, wie sie in der Hotdog-Bude oben angeboten werden, die demselben Betreiber wie die Bar gehört. Dadurch, dass die Bar keinen gesonderten Eingang hat, benötigt er keine zweite Alkoholausschanklizenz.

Der Generalmanager der Bar, Jim Meehan, war früher Barkeeper in der legendären Gramercy Tavern, die nicht nur eines der beliebtesten Restaurants der Stadt, sondern auch ganz Amerikas ist. Doch heutzutage steht er nur noch selten selbst hinter der Theke der Cocktailbar, die bekannt ist für ihre seltenen Spirituosen und die High-End-Cocktails, die mit frischen Zutaten per Hand gemixt werden. Dazu passen natürlich die stilecht auf Papptellern servierten Hotdogs …

Kilian zieht fragend die Augenbrauen nach oben. »Gleich zwei 2Pok Dogs?«

»Natürlich zwei. Wenn ihr mich nicht entführt hättet, könnte ich jetzt meine bestellte Pizza genießen. Vermutlich lande ich bei dem Pizzalieferdienst auf der schwarzen Liste und werde fortan als Outlaw bei allen Pizzalieferdiensten gehandelt.«

»Behaupte einfach, du hättest nicht dort angerufen, sondern jemand hätte sich einen Scherz erlaubt.«

Ich nicke. »Ja, natürlich. Ich könnte ihnen auch einfach die Wahrheit erzählen und sagen, dass meine Freunde mich entführt und in einem alten Kartoffelsack zu einer Cocktail-Bar verschleppt haben.«

»Das glaubt dir kein Mensch.«

»Ja, manchmal ist man verarscht, wenn man die Wahrheit sagt.«

Wenig später kommt die Kellnerin mit den bestellten Cocktails, die sie mit einem freundlichen Lächeln vor uns hinstellt. Wir bedanken uns bei ihr.

Kilian hebt sein Glas an. »Lasst uns auf Tylers neues Buch anstoßen.«

»Welches?«

»Na, das bald beim Verlag erscheint.«

»Ich stehe kurz vor der Vollendung des nächsten Bandes. Ich musste nur die Arbeit daran unterbrechen, weil der Verlag ein paar Änderungen wollte.«

»Und wann kommt er heraus? Du sagtest, der Verlag hätte eine Vorlaufzeit von achtzehn Monaten.«

»Sie wollen mein Werk vorziehen, weil offenbar mehrere andere Autoren ihre Werke nicht rechtzeitig abgeliefert haben. Daher kommt es ein halbes Jahr früher heraus als ursprünglich geplant.«

Wir stoßen miteinander auf das neueste Werk an, trinken und stellen anschließend unsere Gläser zurück.

Curtis seufzt. »Ich frage mich, woher du immer die Zeit findest, so viel zu schreiben.«

Ich zucke mit den Achseln. »Ich besitze keinen Fernseher und hänge nicht ständig in Kneipen ab. Daran wird es liegen.«

Kilian lacht. »Ich glaube, du bist die einzige Person, die ich kenne, die keinen Fernseher besitzt.«

Curtis stellt sein Glas ab und grinst. »Bist du sicher, dass du kein Aluhut-Träger bist?«

»Warum wird man immer gleich als Aluhut-Träger diffamiert, nur weil man etwas anders sieht oder eine andere Art zu leben hat als die Allgemeinheit? Ich habe nie einen Fernseher besessen, nie einen gebraucht und nie einen vermisst.

Passive Berieselung ist nicht so meins. So ein Teil würde bei mir nur herumstehen und einstauben. Für mich lohnt sich nicht mal ein Netflix-Abo. Prime Video reicht mir meistens. Ab und zu kaufe ich mal einen Film und das war es. Wenn mich das zu einem Sonderling macht, bitteschön. Ich empfinde es als keinen Verlust.«

Benny grinst. »Und ich dachte, auf Netflix gäbe es mehr Weiberfilme als auf Amazon Prime Video. Das sind doch die einzigen, die du dir reinzerrst. Da wundert man sich, dass du Single bist, denn bei euch gäbe es keinen Kampf um die Fernbedienung.«

Ungläubig sieht Curtis mich an. »Mal im Ernst. Schaust du dir das wirklich an oder ist das nur ein Image, das du aufgebaut hast, um mehr Bücher zu verkaufen?« Er ist tatsächlich nicht der Erste, der mich das fragt. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass einer meiner Kumpels das zur Sprache gebracht hat.

»Es gibt durchaus Liebesfilme, die auch für Männer interessant sind.«

Benny lehnt sich leicht zu mir vor. Seine graublauen Augen schimmern interessiert. »Ach tatsächlich? Gibt es die? Nenn mir mal drei Beispiele.«

»Drei Meter über den Himmel. Der Typ ist ein totaler Draufgänger, und es finden illegale Motorradrennen im Film statt. Dann wäre da noch Knight and Day mit Cameron Diaz und Tom Cruise. Darin gibt es Action nonstop, Verfolgungsjagden, Schießereien, alles, was das Herz begehrt. Hatte ich erwähnt, dass Cameron Diaz darin so etwas von heiß und süß und zum Niederknien sexy ist?«

Kilian nippt an seinem Glas. »Die würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen. Da wäre mehr drin als nur eine Nacht.«

»Die ist doch verheiratet«, sagt Benny.

»Wenn sie es rein hypothetisch nicht wäre. Die wäre mein Typ.«

Curtis haut mir grinsend auf die Schulter. »Und ich dachte, du siehst den Film wegen Tom Cruise.«

Von seinen gelegentlichen, gutmütigen Sticheleien lasse ich mich nicht aus dem Konzept bringen. »Natürlich. Er ist ein hervorragender Schauspieler.«

»Ich dachte, du stehst auf ihn.«

Ich grinse ihn an. »Bist du etwa eifersüchtig?«

»Nein, natürlich nicht.«

Bennys Augenbrauen zucken nach oben. »Das sind aber nur zwei Filme.«

»Ich weiß, denn ich kann zufällig bis drei zählen, ob ihr mir das zutraut oder nicht. Zu guter Letzt habe ich eine Empfehlung für unsere Science-Fiction-Freunde …«

»Hört, hört. Immer her damit.« Damit habe ich Benny, der sich dieses Zeug massenhaft anschaut, natürlich geködert.

»Passengers. Ein Passagier auf einem Luxus-Besiedlungsraumschiff wird während der einhundertzwanzig Jahre dauernden Reise aufgrund einer Fehlfunktion neunzig Jahre zu früh geweckt. Die Schlafkapsel lässt sich nicht reparieren, und er muss sein Leben an Bord fristen. Ähnlich ergeht es einer blonden Schönheit … Doch dann drohen eine persönliche Katastrophe und noch ganz andere lebensgefährliche Komplikationen. Das ist einer der besten Filme sowohl im Science-Fiction- als auch im Liebesfilmbereich, den ich seit vielen Jahren gesehen habe.«

Curtis stellt sein Glas ab. »Ach was, Frauen wollen noch richtige Kerle und keine Typen, die sich nur Schnulzen reinziehen.«

Ich verdrehe die Augen. »Erstens ist das keine Schnulze und zweitens ziehe ich mir nicht ausschließlich Liebesfilme rein. Drittens frage ich mich, warum ausgerechnet Frauenfilme und Frauenliteratur immer wieder derart abgewertet werden. Und viertens sind siebzehn Prozent aller Liebesromanleser Männer. Es ist zu erwarten, dass mindestens ebenso viele von ihnen Liebesfilme anschauen – ganz ohne dazu gezwungen zu werden.«

Curtis zieht eine Augenbraue nach oben. »Wer sagt das?«

»Die Organisation der Romance Writers of America.«

»Die natürlich aus Frauen besteht, nicht wahr?«

Ich zucke mit den Achseln. »Hauptsächlich, ja. Außerdem schreibe ich keine Liebesromane, sondern genau wie Nicholas Sparks ein anderes, verwandtes Genre, das keine eigene Bezeichnung hat. Ich würde es als Liebe und Schicksal bezeichnen, weil es keine Happy-End-Garantie gibt.«

Benny tippt gegen sein halbvolles Glas. »Ich habe noch nie verstanden, warum die Frauen das lesen, wenn die Romane doch ohnehin alle gleich ausgehen.«

Ich schwenke meinen Tumbler, in dem mein bernsteinfarbener Old Fashioned glitzert. »Der Weg ist das Ziel, Benny, also wie die beiden zu ihrem Happy End gelangen. Bei Krimis wird der Bösewicht auch am Ende überführt und es beschwert sich keiner darüber, dass das Gute siegt und nicht die andere Seite.«

»Du schreibst das wegen der Groupies oder? Ich meine, die meisten deiner Leser sind Frauen.«

Lachend werfe ich den Kopf in den Nacken. »Da ist nichts mit Groupies, ob ihr das glaubt oder nicht. Auf Lesungen werden mir keine Unterhosen oder Zettel mit Telefonnummern zugeworfen.«

Benny verzieht die Lippen nach unten. »Wie schade.«

»Ich glaube, meine Leserinnen sind intellektueller als so etwas. Sie sind keine Teenies auf dem Konzert einer Boyband. Viele von ihnen sind sehr belesen. Sie lesen mehr in einer Woche als viele von euch im gesamten Jahr. Es ist eine Herausforderung, diese Leserinnen zu überraschen und gut zu unterhalten.« Ich weiß, dass ich ebenso gut mit einer Wand reden könnte.

Meine Freunde werden mich wohl immer damit aufziehen, dass ich Romane über die Liebe für ein hauptsächlich weibliches Publikum schreibe. Ich glaube, sie sind nicht glücklich, wenn sie das nicht können.

Endlich werden meine zwei 2Pok Dogs geliefert, eine der Spezialitäten von Grif Dog, die ich jederzeit einem Drei-Sterne-Menü vorziehen würde. Ich stopfe die frittierte, total gesunde und absolut ausgewogene Mahlzeit unter meiner Nase rein.

Nachdem es mit meiner Pizza nichts wurde, habe ich inzwischen mächtigen Hunger.

»Wie läuft es eigentlich mit deiner neuen Flamme?«, frage ich Benny, nachdem ich gegessen habe.

»Nicht gut. Sie will, dass ich mir meine Haare abschneiden lasse.« Benny datet seit ein paar Wochen eine Frau, aber offenbar passt die Chemie zwischen ihnen nicht ganz.

»Das ist der Neid der Besitzlosen. Ich würde mich nie für eine Frau verbiegen. Wenn sie mich nicht so will, wie ich bin, dann will sie nicht mich, sondern einen anderen«, sage ich mit einem Blick auf seine dicke, hüftlange Dreadlockmähne.

Benny nickt. »Das sehe ich genauso. Ich frage mich, warum so viele Frauen einem was reindrücken wollen. Ein Kumpel von mir hat für eine Frau zehn Kilo in zwei Wochen abgenommen. Aber anstatt dass die Alte endlich zufrieden war, hat sie gleich etwas anderes zum Herummäkeln an ihm gefunden.

Das Schlimme ist, dass ich ihm genau das vorhergesagt habe. Ich meine, ich komme doch auch nicht mit einer Frau zusammen, nur um ihr sofort reinzudrücken, dass sie zehn Kilo abnehmen muss, obwohl ich sie so kennengelernt habe. Bei so etwas mache ich gleich die Biege. Da sieht sie von mir nur noch die Staubwolke am Horizont.«

Kilian nickt ebenfalls. »Das ist auch meine Ansicht. Bei so etwas bin ich ganz schnell verschwunden. Da kann die sich einen anderen suchen, der dumm genug ist für solche Spielchen. Auch meine Freiheit lasse ich nicht einschränken. Ich lasse mir doch die gelegentlichen Abende mit meinen Kumpels und meine Interessen nicht nehmen. Wo sind wir denn hier? Im Knast?«

Curtis stimmt ein. »Allein ist man besser dran als mit so etwas. Sex bekommt man auch ohne Beziehung.«

Kilian blickt Benny neugierig an. »Und wie hat dein Kumpel so schnell so viel abnehmen können? Nicht, dass ich es nötig hätte, aber interessehalber … War das mit der Ananas-Diät?«

Benny lacht schnaubend. »Die Ananas-Diät? Hast du zu viele Weiberklatschmagazine gelesen oder was? Mit der Bier-Diät natürlich. Er hat zwei Wochen lang nichts außer Bier zu sich genommen.«

Nachdenklich kratze ich mich am Kopf. »Und das hat seine Freundin nicht gestört? Der muss ja ständig zumindest leicht angetrunken gewesen sein.«

»Offenbar nicht. Die Hauptsache war, er hat gemacht, was sie wollte, und abgenommen.«

»Und wie läuft es bei dir so, Tyler?«, fragt Curtis. »Bist du endlich mal über Blythe hinweggekommen und hast dich mit einer anderen eingelassen?«

»Wer sagt, dass ich das will? Ich brauche keine Frau, um glücklich zu sein. Lieber allein als mit der Falschen. Wenn eine Partnerschaft für mich in Frage kommt, dann sollte es die große Liebe sein, sonst nichts.«

»Es muss ja nicht gleich eine Beziehung sein. Warum sollte man die Kuh kaufen, wenn man die Milch auch so bekommt?«

»Es hat sich noch nichts ergeben.«

»Weil du nicht viel aus dem Haus gehst. New York pulsiert vor Leben. Hier laufen an jeder Straßenecke die heißesten Frauen herum. Du verpasst echt etwas.«

Ich zucke mit den Achseln. »Die Chemie und auch die anderen Ebenen müssen stimmen. Sonst hat es keinen Zweck.« Leider hat er Recht. Nach der Erfahrung mit Blythe fällt es mir schwer, einer Frau wieder zu vertrauen. Außerdem hat mich bisher keine derart gereizt, dass ich mir eine Beziehung mit ihr vorstellen konnte.

»Suchst du eigentlich immer noch nach dieser Stripperin?«, fragt mich Kilian und spricht damit meinen Gedanken laut aus.

»Ich halte die Augen offen.«

Benny wackelt mit den Augenbrauen. »Wenn du die Augen nach einer Stripperin offenhältst, dann wird das nichts mit einer anderen Frau. Die mögen das nämlich meistens nicht so.«

»Ich will nur die Wahrheit erfahren.«

»Du könntest auch einfach einen Privatdetektiv beauftragen.«

»Das habe ich bereits.«

 

Kapitel 2

 

 

Daria

 

Mein Freund Daniel ist Geschichte. Noch am Tag, an dem ich erfuhr, dass er neben mir noch viele Groupies laufen hat und mich für eine von ihnen verlassen wollte – was er trotz der Beweislage bis zum Schluss abstritt –, bin ich ausgezogen.

Seitdem wohne ich mit meiner jüngeren Schwester Emily zusammen, die ohnehin eine neue Nachmieterin suchte. Das ist jetzt über ein halbes Jahr her. Unsere Wohnung ist zwar klein, aber sie genügt uns.

Vor ein paar Monaten hat ihr Ex-Verlobter sich von ihr getrennt und sie von einem Tag auf den anderen verlassen. Im Frühling wollten sie heiraten. Ihre Zwillinge sind Wunschkinder von ihnen beiden.

Das habe ich selbst mitbekommen, auch wenn Greg im Nachhinein behauptete, mit der Verlobung und der Zeugung hätte er nur Emilys Willen getan, weil sie ihn damit bedrängt hätte. Aber sie hat ihn nie unter Druck gesetzt. Vielleicht war es ihm sogar zu bequem in dieser Beziehung.

Nun würde sie die Kinder allein bekommen und großziehen. Bisher sieht es nicht so aus, als hätte er Interesse an den Kindern, obwohl er anfangs noch sagte, er wolle sich kümmern. Vor ungefähr einem Monat ist er aus New York City verschwunden und seitdem nicht mehr gesehen worden. Seine Vermieterin sagt, er habe die Wohnung gekündigt und sei unbekannt verzogen. Von einem einunddreißigjährigen Mann hätte ich mehr Verantwortungsgefühl und Reife erwartet.

Für Emily, die seit ihrem sechzehnten Lebensjahr, also sechs Jahre mit ihm zusammen war, ist eine Welt zusammengebrochen. Die vergangenen Monate waren für uns beide eine sehr schwere Zeit. Sie kam gar nicht mehr an ihn ran. Er brach schon vor einem halben Jahr den Kontakt völlig ab und wollte nicht mehr mit ihr reden.

Seine einzige Begründung war, dass er sie nicht mehr lieben würde. Einfach so von einem Tag auf den anderen geschah das. Er brach einen Streit vom Zaun und meinte, Emily hätte ihn zu allem gedrängt.

Emily dachte zuerst, er hätte nur kalte Füße bekommen und würde sich wieder einkriegen. Doch ich hatte die Befürchtung, dass er eine andere Frau getroffen hat, aber das hat er damals vehement abgestritten. Nur zwei Wochen später traf ich im Supermarkt seine Nachbarin, die berichtete, dass sofort nach Emilys Auszug eine andere Frau bei ihm ein und aus ging. Vielleicht diente ihm die andere Frau nur als Notausstieg, da er nicht Mann genug war, zu seinen Kindern zu stehen.

Da ihre Morgenübelkeit sich nicht auf den Morgen beschränkte, verlor Emily leider ihre Jobs bis auf den Aushilfsjob in einem Café, sodass ich jetzt hauptsächlich unsere Brötchen verdiene. Ich nehme jeden Job, den ich kriegen kann und der einigermaßen etwas einbringt. Fast jeden …

Mein letzter am Empfang eines Hotels ist, wie ich zugeben muss, etwas fragwürdig. Das Etablissement befindet sich in einer zwielichtigen Gegend. Gefunden habe ich den Job über eine Online-Job-Börse.

Eigentlich hätte ich schon hellhörig werden sollen, als ich erfuhr, dass sich das angeblich so niveauvolle Etablissement in Hunts Point, einer der übelsten Gegenden der Bronx befindet, wo die Kriminalitätsrate über doppelt so hoch ist wie im Landesdurchschnitt. Aber die Verzweiflung treibt oft seltsame Blüten …

Ich stehe also dort in meinem günstigen, hellgrauen Polyester-Hosenanzug, den ich in den Restposten von Macy’s gefunden habe, und empfange die Gäste, führe den Check-in und Check-out durch und händige die Zimmerschlüssel aus.

Das Hotel macht bereits von außen einen renovierungsbedürftigen Eindruck. Im Erdgeschoss befindet sich eine Bar, sodass der Empfang des Hotels sich im ersten Obergeschoss befindet. In dieser Konstellation habe ich das zwar noch nie zuvor gesehen, aber ich habe kaum Vergleichsmöglichkeiten, da ich bisher nur wenige Hotels von innen gesehen habe.

Die schwarze Farbe an dem Geländer, das die fünf Stufen hinauf zum Eingang führt, ist abgeblättert. Der Aufzug sieht so marode aus, dass ich meistens die Treppe ins erste Obergeschoss nehme.

Der beige Teppichboden in den Fluren ist schon ziemlich durchgetreten und fleckig. An manchen Stellen ist die champagner-goldene Tapete abgeblättert, und auch der Empfangstresen ist abgewetzt und weist zahlreiche Schrammen an der dunklen Oberfläche auf.

Meine Chefin ist eine vollschlanke Frau namens Eliza. Sie ist etwa Mitte fünfzig mit dunkelbraun gefärbtem, schulterlangem Haar. Eliza spricht nur wenig, doch dafür raucht sie ständig. Ihre Lippen sind dunkelrot geschminkt, sie hat dichte, falsche Wimpern und ihre langen Gelnägel sind in einem dunklen Rot lackiert. Sie trägt stets schwarze Spitzenkleider und Schuhe mit sehr hohen Absätzen.

Jede Nacht geben sich hier die zwielichtigsten Typen regelrecht die Klinke. Gelegentlich fragt mich einer nach Kondomen.

Vorgestern musste ich jemandem einen Kotzeimer bringen, und heute lief ein Nackter durch den Flur und schrie dabei, dass er das letzte Einhorn sei und die Einhörner nur ausgestorben seien, weil ihnen das Koks ausgegangen sei. Spätestens da war für mich klar, dass dieses »Einhorn« eindeutig ein Drogenproblem hat.

Zum Glück ist der heutige Abend bisher ziemlich ereignislos. Doch offenbar habe ich mich zu früh gefreut, denn Eliza kommt so schnell durch den Gang gerannt, wie ich sie noch nie gesehen habe. Sonst bewegt sie sich nämlich immer gemächlich und ist kaum aus der Ruhe zu bringen.

»Wir müssen raus«, ruft sie mit ihrem leichten polnischen Akzent. Ihre dunklen, mit schwarzem Kajal umrandeten Augen sind weit aufgerissen.

»Warum?«

»Frag nicht, renn.« Sie hechtet hinter den Empfangstresen, als ich die ersten Schüsse vernehme. Das Herz bleibt mir vor Schrecken beinahe stehen.

Eliza hingegen fällt die Kippe aus dem Mund. Sie tritt sie aus, ohne sich um den Zustand des Fußbodens Gedanken zu machen.

Vorsichtig wirft sie einen Blick über den Tresenrand, unter dem wir kauern, und macht sich dann daran, ihre hochhackigen Schuhe auszuziehen, diese in ihre riesige Handtasche zu stopfen und aus dem Fenster hinter mir zu klettern.

Ich folge ihr gleich im Anschluss und klettere die Feuerleiter hinunter. Zum Glück sind wir nur im ersten Obergeschoss. Was heißt nur? Ich wage es kaum, einen Blick nach unten zu werfen, denn die Wände des Altbaus sind ziemlich hoch. Es erweist sich als Vorteil, dass ich flache Schuhe trage.

Erleichtert atme ich auf, als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüre. Wo ist meine Chefin? Sie ist so plötzlich verschwunden, dass ich gar nicht sagen kann, wohin. Erneut vernehme ich Schüsse, dann Schreie und schließlich Sirenen. Oben am Fenster sehe ich, wie ein Mann herausklettert.

Ich umfasse meine Handtasche fester und eile zur nächsten Subway-Station. Dabei blicke ich ständig über meine Schulter. Erst als ich sicher in der Subway sitze, atme ich erleichtert auf. Das Abteil ist halbwegs voll, was ein gutes Zeichen ist. Wenn ein Abteil ganz leer ist, dann ist immer etwas faul. Entweder hat jemand seinen Mageninhalt irgendwo darin verteilt oder es liegt eine Leiche in der Ecke.

Als ich unsere Wohnung betrete, kommt mir meine Schwester entgegen. Sie trägt Häschenpantoffeln aus rosa Plüsch und ein Minnie-Mouse-Nachthemd, das sich über ihren dicken, runden Bauch spannt. Ihr rotblondes Haar ist wirr, und sie wirkt verschlafen.

»Du bist schon zuhause?« Ihre Stimme klingt verwundert.

»Meine Chefin hat mir heute frei gegeben.« Damit dehne ich die Wahrheit zwar etwas, aber ich möchte nicht, dass Emily sich Sorgen macht.

»Du hast eine sehr großzügige Chefin«.

Ich nicke. »Ja, sie ist in Ordnung. Ich hatte schon weitaus schlechtere Chefs. Sogar der Kaffee dort ist gratis.« Zwar schmeckt der wie Spülwasser, aber der gute Wille zählt.

»Und was ist der Anlass für ihre Großzügigkeit?«

»Sie meinte, wir sollten etwas frische Luft schnappen gehen. Etwas Bewegung wäre gesund für uns.« Weil die Luft im Gebäude eindeutig zu bleihaltig war, aber das sage ich meiner Schwester lieber nicht, denn in ihrem Zustand soll sie sich nicht aufregen.

In der letzten Zeit hatte sie ohnehin zu hohen Blutdruck, vermutlich, weil sie sich solche Sorgen um die Zukunft macht. Leider sind diese nicht unberechtigt, aber irgendwie werden wir schon durchkommen. Wir haben einander und halten zusammen. Das ist das Wichtigste. Es geht immer irgendwie weiter.

»Der Verlag hat angerufen. Du sollst dort zurückrufen.« Mit gerunzelter Stirn sieht sie mich an. »Bist du dir sicher, dass du für diese Arbeit qualifiziert bist?«

In meiner Verzweiflung habe ich mich bei einem mittelgroßen New Yorker Verlag als Korrektorin beworben.

»Ich weiß es nicht. In Englisch war ich in der Schule ziemlich fit, und ich lese viel. Warum sollte es nicht klappen?« Ehrlich gesagt hatte ich mit einer Absage gerechnet, zumal mein Vorstellungsgespräch jetzt schon drei Wochen her ist. Dass sie Interesse an mir haben, erstaunt mich selbst.

Besorgt sieht sie mich an. »Weil es etwas ganz anderes ist, wenn einem Fehler in einem Text auffallen, als sie gezielt zu suchen und zu finden. Du glaubst gar nicht, was man alles übersehen kann. Und die tausend Rechtschreib- und Grammatikregeln, die wir vielleicht nicht kennen.« Damit dürfte sie Recht haben.

Unter normalen Umständen würde ich mir das nicht so ohne weiteres zutrauen. Stundenlang in Texten nach Fehlern zu suchen setzt nicht nur ein gutes Sprachgefühl und die sichere Beherrschung von Rechtschreibung und Grammatik voraus, sondern auch eine weit überdurchschnittliche Konzentrationsfähigkeit, über die ich nicht unbedingt verfüge. Aber man kann sicherlich alles lernen, üben und besser werden.

Ich zucke mit den Achseln. Mein Auftraggeber würde zumindest nicht auf mich schießen, falls ich mal einen Fehler übersehe. Zumindest hoffe ich das …

»Ich werde mich fit machen, mir Bücher kaufen und mir im Internet Tutorials ansehen. Vielleicht kann ich von zu Hause aus arbeiten, damit ich bei dir sein kann, falls etwas ist. Wenn die Geburt ansteht und natürlich auch danach.«

Emily umarmt mich. »Danke, dass du an mich denkst.«

Das ist richtig. Ich denke ständig an sie und mache mir Sorgen um sie und die Kinder. Ebenso wie sie schwanke ich zwischen riesengroßer Freude und absoluter, nervenaufreibender Panik darüber, wie wir gemeinsam im Großstadtdschungel einer der teuersten Städte der Welt überleben können.

Vielleicht sollten wir aufs Land ziehen. Aber das ist auch nicht besser. Dort braucht man ein Auto, was auch eine Menge kostet, und hat wahrscheinlich schlechtere Möglichkeiten und eine schlechtere Auswahl, was Jobs betrifft. New York City kennen wir wenigstens und wissen, wie man hier überlebt.

 

Daria

 

Aufgeregt rufe ich am nächsten Tag in meiner Pause im Hell’s Kitchen Diner den Verlag an.

Bereits nach dem zweiten Klingeln nimmt eine Frau meinen Anruf entgegen. »Ulanos New York Publishing Corporation. Anabell Miller-Kutschowski. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Hallo, ich bin Daria Jones. Ich habe mich bei Ihnen als Korrektorin beworben und soll Mrs. Moore zurückrufen.«

»Einen Moment bitte, Ms. Jones. Ich stelle Sie durch.«

Warteschleifenmusik erklingt. Kurz darauf ertönt erneut die Stimme von Anabell Miller-Kutschowski. »Es tut mir leid, aber Mrs. Moore ist gerade in einer Besprechung. Sie sagt aber, dass ich einen Termin mit Ihnen ausmachen soll.«

Einen Termin? Es kann sich nur um die zweite Runde der Vorstellungsgespräche handeln. Offenbar habe ich es in die nähere Auswahl geschafft. Mein Probekorrektorat, das ich am Tag meines ersten Vorstellungsgesprächs abgeben musste, war also nicht so übel.

 

Kapitel 3

 

 

Daria

 

Bereits am übernächsten Tag suche ich das Verlagsgebäude auf, um den Termin wahrzunehmen. Es handelt sich um einen mittelgroßen, aufstrebenden Verlag. Das Gebäude liegt in Brooklyn, wo die Mieten günstiger sind als in Manhattan. Ich hätte es also auch nicht so weit zur Arbeit. Es handelt sich um ein schmuckloses, unauffälliges Hochhaus, in dessen viertem Stock sich die Ulanos New York Publishing Corporation befindet.

Gutgelaunt, aber auch nervös verlasse ich den Aufzug und laufe über den abgewetzt wirkenden, beigen Marmorfußboden in Richtung des Eingangs. Ich betätige die Klingel, woraufhin man mir die Tür per Schalter öffnet. Freundlich lächle ich die Empfangsdame Ms. Anabell Miller-Kutschowski an, die ich an ihrem Namensschild erkenne. Offenbar ist sie hier das Mädchen für alles. Sie sitzt hinter einem beigen Empfangstresen, neben dem eine Fächerpalme steht.

Ich schenke ihr ein Lächeln. »Guten Morgen, Ms. Miller-Kutschowski.«

»Guten Morgen, Ms. Jones. Mrs. Moore erwartet Sie schon.« Mrs. Moore ist die stellvertretende Verlagschefin und die Cheflektorin.

Nervös blicke ich auf meine Armbanduhr in der Befürchtung, zu spät gekommen zu sein. Erleichtert atme ich auf, denn ich bin pünktlich.

Ms. Miller-Kutschowski führt mich in Mrs. Millers Büro. Möglichst diskret wische ich mir meine Handfläche an meiner Hose ab, bevor ich sie Mrs. Moore gebe, die einen erstaunlich festen Händedruck hat für eine Dame.

Ihr Lächeln wirkt angestrengt und gekünstelt. Sie dürfte ungefähr Mitte vierzig sein. Ihr Haar ist blond gefärbt mit herauswachsenden dunkleren Wurzeln. Ihre schwarze Brille sitzt ihr recht tief auf der Nase, als sie mich gestresst wirkend aus ihren grauen Augen anblickt.

»Schön, dass Sie so schnell kommen konnten, Ms. Jones. Setzen Sie sich bitte.« Sie deutet auf die drei mit cremefarbenem Kunstleder bezogenen Stühle für Gäste vor ihrem Schreibtisch.

Ich lasse mich auf den ersten davon nieder. »Danke für die Einladung, Mrs. Moore.« Natürlich freue ich mich sehr über diese unerwartete Chance, die ich nutzen werde.

»Sie fragen sich sicher, warum ich Sie hierher gebeten habe.«

Ich nicke. »Natürlich. Wegen meiner Bewerbung als Korrektorin.«

Sie räuspert sich. »Nun, diese Stelle werden wir anderweitig besetzen.«

Entgeistert sehe ich sie an. Sie bestellt mich ein, um mir eine Absage zu erteilen? »Aber warum …«

»Wir haben etwas anderes für Sie, was Ihren Qualifikationen besser entspricht.«

Verwundert starre ich sie an. Im ersten Moment bin ich sprachlos. »Was denn?«, bringe ich schließlich hervor.

Sie lächelt unverbindlich. »Zuerst möchte ich Sie bitten, eine Schweigepflichterklärung zu unterschreiben. Nichts von dem, was wir in diesem Raum miteinander besprechen, hat nach draußen zu dringen. Zu niemandem. Nicht zu Ihren Eltern, Ihrem Partner, Ihren Geschwistern oder Ihrer besten Freundin. Haben Sie das verstanden?«

Ich nicke. »Ja.« Seltsam ist das schon. Handelt es sich etwa um ein Top-Secret-Projekt, die Autobiograph eines Promis mit wichtigen Enthüllungen oder ein Sachbuch über die Heilung von Krebs?

Sie schiebt mir die Schweigepflichterklärung über den Tisch zu und legt mir einen dunkelblauen Metall-Kugelschreiber daneben. Ich lese das Dokument sorgfältig durch und unterschreibe es. Solange es kein Bausparvertrag ist, kann ich das Risiko eingehen … Sie wird mich schon nicht für eine Terrororganisation abwerben wollen.

Sie räuspert sich und schiebt ihre Brille zurück, die ihr von der Nase zu rutschen droht. »Nun, der Veröffentlichungstermin eines für uns sehr wichtigen Projektes rückt näher. Ich weiß nicht, ob Sie sich mit Buchmarketing auskennen, aber die Möglichkeiten sind begrenzt. Social-Media-Werbung bringt kaum etwas, solange es sich nicht um buchspezifische Gruppen dort handelt. Ach, lassen wir das und fassen wir uns kurz.

Man muss einfallsreich sein und etwas Neues bieten, das die Welt noch nie gesehen hat, sonst geht man in der Flut der Neuveröffentlichungen unter. Wir sind ein eher kleiner Verlag, dem sich eine große Chance geboten hat.

Vor kurzem haben wir einen aufstrebenden, jungen Autor unter Vertrag genommen. Als Self-Publisher hat er sich bereits eine treue Leserschar erschrieben. Doch in dieser Branche gibt es keine Garantie. Ein oder zwei Hits garantieren rein gar nichts.

Ein Filmstudio hat Interesse an diesem Werk angezeigt unter der Auflage, dass im ersten Monat nach dem Erscheinungsdatum mindestens 250.000 Bücher verkauft werden. Dann bekommen wir einen Film-Deal, der weitere Verkäufe in der Zukunft generieren könnte.

Daher haben wir uns notgedrungen etwas ganz Besonderes ausgedacht, um diese einmalige Chance nutzen zu können. Besondere Umstände verlangen nach besonderen Maßnahmen. In dem Buch verliebt sich ein Autor in eine rothaarige Frau, die genauso aussieht wie Sie und sogar denselben Vornamen hat wie Sie.

---ENDE DER LESEPROBE---