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Ausgerechnet von meinem Boss, dem berühmt-berüchtigten Londoner Scheidungsanwalt Nathaniel Sherwood, der absolut nicht an die Liebe, Ehe oder Familie glaubt, werde ich nach einer gemeinsam verbrachten Nacht schwanger. Er reagiert völlig anders als erwartet, und ein Happy End scheint nicht in Sichtweite zu sein, oder etwa doch?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Evelyne Amara
Der Anwalt, der mich liebte
Kapitel 1
Elena
Wir befinden uns im Vorhof der Hölle … im Vorzimmer von Nathaniel Sherwood, dem gefürchtetsten Scheidungsanwalt von ganz London und jüngsten Sohn des Tycoons James Alan Sherwood. Das todschicke Büro mit den spiegelnden, stets auf Hochglanz polierten Marmorfußböden liegt im achtzehnten Stock eines der Wolkenkratzer von Canary Wharf, dem Business-Distrikt Londons, der Besucher der Stadt stets ein wenig an New York City erinnert.
Mein Boss sieht umwerfend gut aus, ist extrem erfolgreich und besitzt ein Charisma, das sofort den ganzen Raum einnimmt, sobald er ihn betritt, doch leider ist er als Chef furchtbar.
Habe ich erwähnt, dass ihm die Frauen hinterherlaufen? Damit meine ich nicht uns arme Rechtsanwaltsfachangestellten, die ihm seinen Kaffee, sein Aspirin und seine Unterlagen hinterhertragen, sondern den Rest der weiblichen Bevölkerung zwischen sechzehn und einhundert. Von denen scheint so gut wie keine gegen seinen Charme und sein gutes Aussehen immun zu sein.
Wenn die wüssten … Die sollten sich mal auf ein Praktikum in der Kanzlei bewerben. Nicht dass nicht schon ein paar von ihnen auf diese abstruse Idee gekommen wären … und es vermutlich bis heute bereuen, denn kaum eine hält es hier länger aus als ein Vierteljahr. Die meisten scheitern schon im ersten Monat.
Ein Schnippen reißt mich aus meinen Gedanken. Ich erblicke eine Hand vor mir, eine äußerst männliche, gepflegte, sorgfältig manikürte Hand, die an einem muskulösen Arm hängt, der zu dem attraktivsten Mann gehört, den ich jemals gesehen habe. Blaue Augen, dunkelbraune Haare, ein Lächeln zum Dahinschmelzen und ein Körper, der in sämtlichen meiner feuchten Träume auftaucht und leider auch in meinen Albträumen. Nicht dass er ein schlechter Mensch wäre, das ist er mit Sicherheit nicht, aber er ist mit Vorsicht zu genießen.
Nathaniel Sherwood, seines Zeichens der gnadenloseste, gefragteste, erfolgreichste Scheidungsanwalt Londons. Ein Mann, der weder an die Liebe noch an die Ehe und schon gar nicht an die Familie glaubt. Wer seine Herkunftsfamilie kennt, der weiß warum.
»Träumen Sie?« Habe ich erwähnt, dass seine Stimme ebenso sexy ist wie der Rest von ihm? Tief, leicht rau und mit einem Timbre, das an erotische Träume denken lässt.
Setzt er sie auch vor Gericht so gekonnt ein? Macht er das bewusst?
Mich selbst verwünschend, dass ich diese Gedanken überhaupt hege, straffe ich mich und bemühe mich um ein geschäftsmäßiges Lächeln. Normalerweise bin ich professioneller, aber selbst mich erwischt es ab und an.
»Ich war nur in Gedanken bei meinem nächsten Zwangsvollstreckungsauftrag, den ich für Mr. Connelly erstellen muss.« Mr. Connelly ist einer der anderen Anwälte in dieser Sozietät.
»Sie arbeiten also noch nicht an meinem Schriftsatz? Der ist sehr dringend und geht vor. Sie sollten nicht zu lange nachdenken, sondern arbeiten. Durch Denken allein erledigt sich nichts, wenn kein Handeln folgt.« Er deutet auf die digitalen Diktiergeräte, die sich auf dem Tisch stapeln und auf denen sich zweifelsohne ellenlange Schriftsätze befinden.
Ich frage mich, wie viele er von diesen Diktiergeräten besitzt. Nicht dass es mir viel ausmachen würde, seiner sexy Stimme zu lauschen, aber letztendlich artet es immer in einer Menge Arbeit aus.
Das muss aufhören! Jetzt sofort! Diese Träumerei führt zu nichts. Das ist Selbstquälerei. Der Typ besitzt kein Herz. Vermutlich können tausende von Frauen das bestätigen, seinem Verschleiß nach zu urteilen.
Ich muss es wissen, denn ich darf diese Damen immer am Telefon abwimmeln, denn einige schrecken nicht davor zurück, in der Kanzlei anzurufen.
Ich blicke ihm nach, wie er das Vorzimmer wieder verlässt. Sein Gang ist aufrecht, leicht federnd und wirkt wie alles an ihm extrem selbstbewusst. Selbst seine Kehrseite ist ein Anblick für sich: die breiten Schultern, die muskulösen Arme, das sorgfältig frisierte, dunkle Haar, die langen Beine und sein Po. Hatte ich erwähnt, dass er einen total knackigen Hintern besitzt? Wie der wohl in einer Jeans aussehen würde?
Ich schüttle über mich selbst den Kopf. Wie konnte ich mich nur in meinen Chef vergucken? Es ist nur Schwärmerei. Sonst nichts. Total harmlos.
Nathaniel
Ich verlasse das Vorzimmer wieder und suche Mr. Juarez auf, mit dem ich etwas zu besprechen habe. Dabei geht mir Elena nicht aus dem Kopf.
Wäre sie keine so gute Rechtsanwaltsfachangestellte, hätte ich es längst bereut, sie vor fünf Jahren eingestellt zu haben. Vom ersten Moment an habe ich mich zu ihr hingezogen gefühlt, aber bin diesem Impuls natürlich nicht gefolgt. So etwas führt selten zu etwas Gutem.
Ich suche nur etwas Kurzfristiges, während Elena eine Frau ist, die sich langfristig bindet und sicherlich auch die Ehe erwartet. Sonst wäre sie nicht zehn Jahre mit diesem Kerl zusammen gewesen, der sie schließlich auf die übelste Weise abserviert hat.
Ich kann ihr nicht das geben, was sie braucht und sich ersehnt. Dass sie meine Angestellte ist, stellt eine weitere Komplikation dar, weswegen ich mich nie mit Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, einlasse.
Daher muss ich sie mir wieder einmal, wie so oft, aus dem Kopf schlagen. Das fällt mir mit jedem Tag, den ich sie kenne, schwerer.
Vielleicht sollte ich sie entlassen. Das würde dieses Problem erledigen, und ich würde sie nie mehr wiedersehen. Natürlich bekäme sie von mir ein sehr gutes Zeugnis. Mit ihren Qualifikationen sollte es für sie keine Schwierigkeit darstellen, eine neue Stelle zu finden.
Trotzdem gefällt mir dieser Gedanke nicht. Das liegt nicht allein daran, dass sie als meine geschätzte Mitarbeiterin schwer zu ersetzen wäre.
Elena
Seufzend erledige ich meine Arbeit, bis ich am Abend endlich meine Sachen zusammenpacken kann. Den Schriftsatz für Mr. Sherwood konnte ich noch erledigen. Er dürfte also zufrieden sein. Hoffe ich zumindest. Bei seinen hohen Ansprüchen weiß man nie.
Warum finde ich ihn nur so attraktiv? Das muss an meinem fehlgeleiteten Männer-Radar liegen. Ganz eindeutig ist mit letzterem etwas nicht in Ordnung, sonst hätte ich nicht zehn Jahre mit Bill verschwendet. Mit dem war ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr zusammen. Vor ungefähr zwei Jahren verließ er mich, was eine ganz unschöne, für mich aus verschiedenen Gründen traumatische Erfahrung war.
Vor einigen Monaten hatte ich eine Beziehung, die nach einem Vierteljahr im Sande verlief. Daran möchte ich gar nicht mehr denken. Das ist sehr schmerzhaft gewesen.
Gehöre ich gar zu den Frauen, die auf Bad Boys stehen, obwohl sie es eigentlich besser wissen sollten? Warum suche ich mir nicht mal nettere Typen aus? Vielleicht weil Männer wie Nathaniel Sherwood wie ein Leuchtfeuer aus allen anderen herausstehen. Gegen ihn verblassen sie alle.
Ich mache mich auf den Weg nach Hause, dusche rasch, ziehe etwas Legeres und zugleich Schönes an und laufe die paar Blocks bis zu der Wohnung meiner sieben Jahre älteren Schwester Farah.
Kapitel 2
Elena
Wenig später sitze ich in Farahs Wohnzimmer. Die Dating-App auf meinem Smartphone zeigt an, dass ich eine neue Nachricht bekommen habe. Ja, ich weiß. Eigentlich sollte ich es gelernt haben, dass ich kein Glück in Sachen Männer habe, aber ich konnte meine Schwester Farah nicht enttäuschen, wenn sie schon ihre neue App für mich entwickelt hat und natürlich für all die anderen Frauen, denen es ähnlich wie mir ergeht.
Sie ist Softwareentwicklerin und Problemlöserin, eine sehr begabte Frau mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Was würde ich nur ohne sie machen?
Vielleicht ist ihre App für mich mit meinen dreißig Jahren die einzige Chance, doch noch zu einem Mann und Kindern zu kommen? Nicht dass das mein einziges Sehnen und Trachten wäre, auch wenn ich es bedauern würde, keine eigenen Kinder zu bekommen.
Wenn es nicht klappt, werde ich das überleben und als glückliche Single-Frau meine Nichte und mögliche weitere Kinder meiner Schwester gnadenlos verwöhnen. Meine Nichte Julia ist jetzt sechs Jahre alt und bekommt in ein paar Monaten ein Geschwisterchen.
Farah hat ihre Ehefrau Amira über ihre erste selbst entwickelte Dating-App FYSO kennengelernt. FYSO ist die Abkürzung für ›find your significant other‹. Diese ist speziell für die LGBTQIA+-Community entwickelt worden und führt auch platonische Elternpaare zusammen, sprich schwule Pärchen mit lesbischen, damit diese gemeinsam eine Familie gründen können. Gerade den Männern ist diese Möglichkeit oft verwehrt, obwohl viele von ihnen gute Eltern wären.
Diese Idee finde ich fortschrittlich, doch leider klappt die Umsetzung aus organisatorischen und rechtlichen Gründen oft nicht. Doch für jedes Quartett, bei denen das funktioniert, was durchaus schon ein paar Mal vorgekommen ist, freue ich mich ganz besonders.
Farah selbst hat sich schließlich für eine künstliche Befruchtung entschieden, weil sie niemanden gefunden hat, bei dem es Klick gemacht hätte. Wenn keine richtige Freundschaft dabei herauskommt, kann man sich mit dem Co-Parenting schließlich eine Menge Ärger aufhalsen wegen der unterschiedlichen Vorstellungen. Wenn dann noch eines der Pärchen woanders hinziehen möchte, ist der Ärger nicht weit.
Schade finde ich es schon, weil ich meiner Nichte und dem anderen Kind ein paar Väter gegönnt hätte, die mit ihnen Fußball spielen oder sie auf die Rodelbahn mitnehmen.
Aber Amira und Farah schaffen das auch so. Es gibt viele Kinder mit geschiedenen Eltern, bei denen die Väter im Leben abwesend ist. Die entwickeln sich auch meist sehr gut. Außerdem haben meine Nichte und ihr Geschwisterchen ja noch eine coole Tante wie mich. Da kann doch gar nichts schiefgehen.
Farahs neu entwickelte App heißt ›Soulmates Forever‹ und ist nicht auf die LGBTQIA+-Community beschränkt, sondern für alle zugänglich, die nicht nach Äußerlichkeiten gehen, sondern den wahren Seelenpartner finden wollen. Daher werden auf der Plattform auch keine Fotos verwendet. Der Beruf und der Verdienst werden ebenfalls außen vor gelassen.
»Du hast eindeutig mehr Glück in Beziehungen als ich«, sage ich zu meiner älteren Schwester. Sie lebt immerhin seit zehn Jahren in einer glücklichen Beziehung.
Mit ihren rotblonden Haaren ist sie eine auffälligere Erscheinung als ich mit den dunkelblonden. Die grünen Augen haben wir allerdings gemeinsam.
Sie sieht mich liebevoll an. »Du findest schon noch den Richtigen. Davon bin ich überzeugt.« Sie klingt sehr zuversichtlich. Natürlich kam vorhin die Sprache auf ihre App.
Ich seufze. »Mein Männer-Radar ist kaputt. Der findet immer nur die übelsten Typen, die unzuverlässigsten Womanizer, Kerle, die es nur bequem haben und keine Verantwortung übernehmen wollen. Denen ich scheißegal bin. Ich wünschte, ich wäre lesbisch.«
»Es gibt auch eine Menge üble Frauen, die du lieber nicht als Partnerin haben möchtest. Mit Amira hatte ich echt Glück, das gebe ich zu. Ich weiß, was ich an ihr habe. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass es Männer geben muss, die wissen würden, was sie an dir haben. Es laufen da draußen nicht nur Arschlöcher herum.«
»Ja, das mag sein, aber ich ziehe immer nur die Arschlöcher an.«
»Rede es dir nicht ein. Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Sage dir lieber, dass du fortan einen anderen Männertyp anziehst, einen, der dein Vertrauen verdient hat, der Kinder will und weiß, was er an dir hat.«
»Das funktioniert für mich nicht.«
»Dann werde zumindest ein wenig lockerer.«
»Aber ich bin locker.«
»Dann ist es ja gut. Ich mach uns einen Tee. Was möchtest du denn für einen? Kamille, Fenchel, Melisse, Hagebutte oder schwarzen Tee?«
»Fenchel, bitte.«
Sie lächelt, woraufhin sich an ihren Wangen Grübchen bilden. »Eine gute Wahl. Den habe ich früher gerne getrunken, aber nach der Stillzeit hing er mir zum Hals heraus. Julia trinkt ihn immer noch gerne, was mir ganz recht so ist. So macht sie sich ihre Zähne wenigstens nicht mit Limonaden oder Fruchtsäften kaputt.«
Sie geht in die Küche, wo sie vorhin bereits den Wasserkocher angestellt hat. Dort gießt sie den Tee auf und kehrt mit einem Tablett mit drei dampfenden Tassen zu uns zurück.
Ich werfe einen Blick zu ihrer Tochter Julia, die Farahs dickes, wellige, rotblondes Haare und grüne Augen besitzt. Ihre Nase und ihr Kinn sind anders und stammen von ihrem unbekannten Erzeuger.
Andächtig malt sie auf ihrem großen Block, der sich auf ihrem Kindertisch befindet, bunte, lustige Bilder mit vielen Blumen und der lachenden Sonne von ihrer Familie, ihren beiden Mamas, dem Baby in Amiras Bauch und sich selbst. Diese erwecken in mir die tiefe Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Familie, einem Mann und ein, zwei oder vielleicht sogar drei Kindern, die ich lieben und umsorgen kann.
Bewundernd betrachte ich das Bild. »Das ist toll.«
Strahlend blickt mich die Kleine an. »Danke. Ich male auch eines von dir und mir. Mit ganz vielen Blumen.«
Ich lächle. »Das würde mich sehr freuen.«
»Ich will eine Blumenfrau werden.«
Farah lächelt. »Das heißt Floristin, meine Süße.«
»Dann eben Floristin.«
Meine Schwester deutet auf mein Smartphone. »Nun sieh schon endlich nach, was er dir geschrieben hat. Ich sterbe vor Neugierde. Außerdem will ich wissen, ob meine App funktioniert. Es ist schließlich noch die Beta-Version.«
»Natürlich funktioniert sie. Es ist schließlich nicht die erste Dating-App, die du entwickelst. Du bist doch ein Profi.«
»Man lernt nie aus. Ich finde immer wieder etwas, das ich verbessern kann. Aber jetzt lenke nicht mehr vom Thema ab. Ich will wissen, was er dir geschrieben hat.«
Skeptisch blicke ich auf mein Smartphone. »Ich weiß nicht, ob ich das nicht irgendwann bereuen werde.«
Sie schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. »Unsinn. Du wirst eines Tages sehr froh darüber sein, auf deine ältere Schwester gehört zu haben.«
»Ihr habt zu zweit auf mich eingeredet, dass ich die App mal ausprobieren soll, aber mit Gefühlen spielt man nicht. Ich weiß nicht, ob ich schon bereit dafür bin.«
Erstaunt hebt sie die Augenbrauen. »Du meinst es doch ernst mit ihm, oder etwa nicht?«
»Eigentlich schon, ja, aber ich weiß nicht, ob das funktionieren wird. Ich habe doch immer Pech mit Männern. Irgendwas mache ich falsch.«
»Ob es klappt, wirst du nie herausfinden, wenn du es nicht ausprobierst. Außerdem würde ich nicht sagen, dass du etwas falsch machst. Du bist ein lieber Mensch. Du hast einfach bisher die Falschen erwischt. Das ergeht vielen so. Es laufen eine Menge übler Typen da draußen herum. Daraus würde ich nicht unbedingt ableiten, dass die Partnersuche bei dir zum Scheitern verdammt bist.«
Ich seufze. »Deinen Optimismus möchte ich haben.«
»Das ist kein Optimismus, sondern Realismus. Durch unsere Gedanken und Gefühle ziehen wir unsere Lebensrealität an.«
»Das ist doch nur so ein Esoterik-Zeug. Ich dachte, Programmierer sind bodenständiger als der Rest der Menschheit.«
»Nicht unbedingt. Einige von ihnen hängen sich CD-Roms an den Weihnachtsbaum. Vor allem jedoch sind sie kaffeesüchtig.«
»Du nicht mehr.«
»Ich war damals wirklich süchtig. Ich wusste, wenn ich es nicht komplett aufhöre, würde ich mich nicht beherrschen können.«
»Ich fand es total süß von Amira, dass sie sich dir damals aus Solidarität angeschlossen hat, als du beschlossen hattest, wegen der geplanten Schwangerschaft keinen Kaffee mehr zu trinken.«
Ihre Augen leuchten. »Ja, nicht wahr? Sie ist unglaublich toll.«
Muss Liebe schön sein. Nur schade, dass ich so etwas nie erleben werde.
»Ich bin dreißig. Vielleicht sollte ich mich auch künstlich befruchten lassen. Mit zunehmendem Alter wird es immer schwerer, schwanger zu werden. Außerdem dauert es sicher einige Jahre, bis ich jemanden finden werde und weiß, ob es zwischen uns funktioniert, und bis wir dann Kinder planen bin ich Mitte dreißig oder noch älter.«
»Nicht nötig. Teste meine App. Und habe keine Angst, jemandes Gefühle zu verletzen. Nur weil ihr mal zusammen auf das eine oder andere Date geht, verpflichtet dich das zu nichts. Du gehörst ihm nicht und bist ihm nichts schuldig, nur weil er dir mal einen Kaffee oder eine Lasagne ausgegeben hat. Es ist üblich, dass man mehrere Dates hat, bevor man den Richtigen findet. Gib nicht zu schnell auf.«
»Ich dachte, mit dieser neuen App willst du den mühsamen Dating-Weg abkürzen?«
»Das ist der Plan, aber ob es funktioniert, muss eben erst noch getestet werden. Hier kommst du ins Spiel. Wenn ich es schaffe, dich zu vermitteln, dann ist die App marktreif und wird ein voller Erfolg.«
Ich seufze. »Bin ich wirklich so ein schwerer Fall?«
»Du warst lange in einer Beziehung und weißt gar nicht mehr, wie es ist, zu daten oder von einem Mann umworben zu werden. Das, was du mit dem letzten Typen hattest, würde ich nicht mal als Beziehung bezeichnen. Der hat dich doch nur benutzt. Beides hat deinem Selbstbewusstsein nicht gerade gutgetan.«
»Ja, streue Salz in meine Wunde.«
Betroffen blickt sie mich an. »Tut mir leid. Das lag nicht in meiner Absicht.«
»Ich weiß. Du meinst es gut. Im Grunde finde ich es gut, dass du dich mit deinen Ansichten nicht hinter dem Berg hältst.«
»Lies seine Nachricht ruhig später in Ruhe. Sicher willst du nicht, dass ich dir dabei über die Schulter schaue. Aber ich will natürlich wissen, ob es zwischen euch beiden klappt. Sonst müsste ich die Parameter der App hinsichtlich des Auswahlverfahrens adjustieren.«
»Das erfährt du noch früh genug. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du sehr neugierig bist?«
Aus großen Augen blickt sie mich an. »Wirklich? Wie kann das nur sein?«
Gemeinsam lachen wir und trinken den Tee, dann kommt Amira nach Hause.
Sie trägt ein langes, buntes Kleid. Ihr dunkles, welliges Haar ist durch die Schwangerschaft noch dicker als sonst und reicht ihr bis zur Taille. Sie sieht blendend aus, und ihre blauen Augen leuchten vor Glück.
Ich begrüße sie herzlich. Die Schwangerschaft sieht man ihr noch nicht sehr an bis auf ein winziges Bäuchlein. Sie ist jetzt in der zwölften Woche.
Ich umarme sie und verabschiede mich dann von den beiden, weil ich das turtelnde Pärchen nicht stören möchte.
Nein, in Wahrheit möchte ich nicht ständig glückliche Paare um mich herum sehen. Zwar war ich zehn Jahre lang in einer Beziehung, aber so glücklich wie Amira und Farah war ich nie.
Das fällt mir jetzt im Nachhinein wie Schuppen von den Augen. Warum ist mir das damals nicht bewusst gewesen? Hatte ich es mir schöngeredet? Oder war es Gewohnheit?
Ich denke, es war von allem etwas, aber insbesondere die Tatsache, dass ich mit achtzehn mit Bill zusammengekommen bin und keine Vergleichsmöglichkeiten hatte. Er war meine erste richtige Beziehung. Mit den Jungs davor gab es mal Küsse, Händchenhalten und ein bisschen Gefummel, nicht mehr, und nichts davon dauerte länger als acht Wochen, was vielleicht ganz gut so war. Als Waisenkind fehlen mir außerdem der Rat und das Vorbild meiner Eltern.
Ich mache mich auf den Weg nach Hause.
Im Stadtteil Newham, wo ich wohne, dringen mir die Düfte indischer Gewürze in die Nase, die von einem der Restaurants stammen, dessen Türen weit geöffnet sind.
Ich laufe noch einige Schritte, dann erreiche ich das Wohngebäude, nehme den Aufzug, durchquere den Flur und betrete anschließend die Wohnung, die ich mit meiner Freundin Sarika teile. Ich bin froh, mit ihr zusammenzuwohnen, denn sie ist eine echt liebe Frau.
Ihre Mutter ist Britin, und ihre Familie väterlicherseits stammt aus New-Delhi. Äußerlich ähnelt sie mit dem langen, schwarzbraunen Haar, dem dunklen Teint und dunkelbraunen Augen wohl eher ihrem Vater als ihrer rothaarigen Mutter. Newham wird oft als Londons indisches Viertel bezeichnet. Hier gibt es mehr Leute aus Indien, Pakistan und Bangladesch als Briten.
Sarika steht gerade in der Küche und bereitet sich einen ayurvedischen Tee zu. »Hi, Elena. Magst du auch einen?«
Ich nicke. »Hi. Ja, gerne. Vielen Dank.«
Ich hole mein Smartphone hervor, um Farahs App zu öffnen.
Neugierig blickt meine Mitbewohnerin mich an. »Hat er dir wieder geschrieben?«
»Wenn du Ant meinst, ja.«
»Ich finde das immer noch ein wenig seltsam, dass ihr euch nach irgendwelchen Tieren benennen sollt. Ameise. Meinst du, er ist so klein?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Das ist in der App so vorgesehen, um anfangs die echten Vornamen zu vermeiden. Farah will dadurch Chancengleichheit schaffen für die Leute, die einen hässlichen Vornamen besitzen. Schließlich können sie nichts dafür.«
»Also ich möchte nicht mit einem Knut zusammen sein.«
»In manchen Ländern sieht man den Namen möglicherweise als schön an.«
»In welchen denn?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht kann man den Namen ändern lassen.«
»Ich habe gehört, dass das gar nicht so einfach ist.«
Sarika stellt die dampfenden Tassen auf den Tisch und setzt sich mir gegenüber. Seit wir vor fast zwei Jahren zusammengezogen sind, hat sich eine enge Freundschaft zwischen uns entwickelt.
Neugierig blickt sie mich an. »Wo wohnt er?«
»In Canary Wharf.«
Ihre Augen werden groß. »Ich dachte, da gibt es nur Bürogebäude und ein paar Restaurants. Es wohnen im Ernst Leute in Canary Wharf?«
»Offenbar schon. So schlecht ist die Gegend als Wohngebiet nicht. Schätze ich.«
»Dann muss er echt gutbetucht sein. Ich könnte mir dort keine Wohnung leisten. Soweit zu Farahs Plänen, dass solche Dinge keine Rolle spielen und während des Datings außen vor gelassen werden sollte.«
»Vielleicht stimmt es gar nicht. In solchen Dating-Apps wird doch gelogen, dass sich die Balken biegen.«
»Dann würde Farah ihn bannen. Das wird der Typ bereuen, denn ihre App wird mit Sicherheit ein großer Erfolg. Außerdem bist du zu misstrauisch.«
Mit gespieltem Erstaunen sehe ich sie an. »Zu misstrauisch? Ich? Das kann gar nicht sein. Früher war ich wohl eher zu vertrauensselig. Vielleicht wohnt der Typ heimlich im Büro seines Bosses. Tagsüber versteckt er seinen Schlafsack in der untersten Schreibtischschublade oder im Putzschrank, und nachts schläft er unter seinem Schreibtisch. Den Reinigungskräften zahlt er ein Bestechungsgeld, falls sie ihn erwischen, aber das ist immer noch günstiger, als in dieser Gegend Miete zu zahlen. Ab und zu duscht er dann im Schwimmbad oder in der Autowaschanlage.«
Lachend schüttelt sie den Kopf. »Du kommst auf Ideen. Wie läuft es denn so allgemein mit ihm?«
»Er ist trotz seines Wohnortes nicht arrogant oder eingebildet. Ich kann es noch gar nicht glauben, aber Farahs App scheint wirklich nicht so schlecht zu sein. Wir haben so einiges gemeinsam. Er ist wirklich toll.«
Erstaunt blickt sie mich an. »Ich dachte, du wärst da sehr skeptisch.«
»Das bin ich immer noch. Es ist einfach zu gut, um wahr zu sein.«
»Vielleicht ist es manchmal wahr?«
Ich schüttle den Kopf. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Denk an Ed und Will.«
»Ich denke, Ed war ein Trickbetrüger, der weitergezogen ist, als er gemerkt hat, dass bei dir nicht viel zu holen ist. Sei froh darüber, auch wenn es wehgetan hat. Es hätte schlimmer kommen können.«
»Das sage ich mir auch immer, aber es ändert nichts an dem Schmerz. Ich komme mir so benutzt vor.«
»Es gibt eine Menge Scheißkerle. Lass dich davon nicht herunterziehen und auch nicht definieren. Sei einfach froh, ihn los zu sein.«
»Er hat mir das Gefühl gegeben, mein Seelenpartner zu sein.«
»Das ist, weil toxische Personen spiegeln. Sie hören dir aufmerksam zu, finden heraus, was du dir mehr wünschst als alles andere, aber auch deine Schwächen. Jede Unsicherheit nutzen sie für sich aus. Sie setzen eine Maske auf und versuchen, den Anschein zu erwecken, genau die Person zu sein, die du schon ewig suchst. Wenn etwas zu schön wirkt, um wahr zu sein, dann ist es womöglich nicht wahr.«
Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe. »Dann stimmt mit diesem Typen aus der App auch etwas nicht.«
Nachdenklich blickt Sarika in ihre Teetasse. »Dann triff dich baldmöglichst mit ihm, aber an einem öffentlichen Ort, der nicht zu abgelegen ist und wo sich viele Menschen aufhalten, wo du sicher bist. Aus der Hin- und Herschreiberei kommt doch nicht viel heraus, außer dass er Informationen über dich sammelt. Triff ihn persönlich, lass dir seinen Ausweis zeigen und dann …«
»… kann ich immer noch einen Privatdetektiv beauftragen«, beende ich ihren Satz. »Ich kann mir keinen Privatdetektiv leisten. Außerdem wird er mir beim ersten Date wohl kaum seinen Ausweis zeigen. Er würde denken, ich sei paranoid.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Was er von dir denkt, kann dir egal sein. Wenn er das nicht tut, dann hat er etwas zu verbergen. Erkläre ihm einfach, dass du schon mal auf einen Trickbetrüger hereingefallen bist.«
»Nein, das ist nichts für mich. Ich stelle mich nicht gerne als Opfer dar. Erstens weil ich kein Opfer sein will und zweitens, weil er, wenn er eine toxische Person ist, dann denkt, er kann mich leichter übers Ohr hauen und beißt sich dann erst recht fest. Außerdem kann sein Ausweis auch gefälscht sein. Es sind viele gefälschte Ausweise im Umlauf.«
»Dann wirst du ihm wohl oder übel zumindest ein bisschen vertrauen müssen. Einige Leute verdienen es tatsächlich, dass man ihnen vertraut. Gerüchten zufolge soll es die geben.«
»Ja, dich zum Beispiel, aber leider bin ich nicht lesbisch. Außerdem wird dein Vater etwas dagegen haben. Der ist doch so traditionell eingestellt.«
Nun wirkt Sarika nachdenklich. »Wenn es nach ihm ginge, würde er mich an irgendeinen Typen aus Indien verscherbeln, der einen hohen sozialen Status hat und ein beachtliches Gehalt bezieht. Was sage ich? Von wegen verschachern. Mein Vater müsste dann einen Brautpreis bezahlen, dass ihm die Ohren schlackern.«
Entsetzt blicke ich sie an. »Einen Brautpreis? Dass es so etwas noch gibt. Ich dachte, Indien sei inzwischen moderner geworden. Das klingt total nach Mittelalter.«
»Das ist es auch. Rein theoretisch. Die Regierung will das verbieten, aber inoffiziell wird das immer noch häufig praktiziert.« Sie schüttelt sich vor Abscheu.
»Dabei bist du so hübsch und intelligent und hast einen guten Charakter. Eigentlich müssten die was dafür bezahlen, dass sie dich kriegen.«
»Quatsch mit Soße. Ich will einfach nur, dass er mich gut behandelt, liebt und respektiert, und ein wenig Temperament kann auch nicht schaden. Ich wünschte, letzteres würde ich auch mal bei einem britischen Mann feststellen. Die Inder, die ich bisher kennengelernt habe und die an mir interessiert waren, dachten, ich sei ihr zukünftiges Eigentum.«
Ich seufze. »Andere Länder, andere Probleme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle indischen Männer so sind.«
»Ich eben auch nicht, aber ich lerne nur solche kennen. Offenbar bist du nicht die Einzige mit Problemen, einen passenden Mann zu finden.«
Ich nicke. »Sieht ganz danach aus. Das bedeutet dann, dass eine Menge toxischer Typen da draußen herumlaufen.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht bedeutet es aber auch einfach nur, dass diese Männer nicht zu uns passen. Es würde ja schon genügen, wenn jede von uns einen einzigen findet, der wirklich zu ihr passt. Der Rest kann uns dann egal sein.«
»Das klingt plausibel.«
»Du berichtest mir, wie es dir mit der App ergeht. Wenn das für dich funktioniert, werde ich sie mir auch holen.«
»Mach ich.«
»Die Version 1.0 soll bald fertig sein. Kriegst du eigentlich einen Bonus fürs Anwerben?«
»Bisher nicht, aber ich werde Farah mal darauf ansprechen. Wie ich sie kenne, will sie das wahrscheinlich nicht. Sie ist der Meinung, die App müsse die Kunden von selbst anziehen.«
»Die App soll erst mal die richtigen Männer anziehen, dann kommen die Kunden von allein. Die Mund-zu-Mund-Propaganda hat schon so einige Unternehmen zum Erfolg geführt. Gerade bei solchen Sachen.«
Ich greife nach meinem Smartphone. »Ich lese mal, was er heute geschrieben hat.« Ich öffne die Nachricht. »Mein Gott, er liebt Bücher. Er liest. Ein Mann, der liest! Dass es das heutzutage noch gibt.«
Sarika schüttelt sich vor Lachen. »Was ist daran so ungewöhnlich?«
»Kennst du Männer, die lesen?«
Sie kratzt sich nachdenklich wirkend am Kinn. »Mein Dad liest seine Bilanzen und die neuen Speisekarten. Auch die Angebote der Lieferanten liest er.«
»Ich rede von Büchern.«
»Zählen seine Finanzbücher auch?«
»Nein. Ich meine etwas aus dem Buchhandel.«
»Ich glaube, er weiß nicht mal, was das ist. Er hält das für viereckige Vorrichtungen, mit denen er irgendwelche anderen Dinge abstützen kann. Letztens habe ich gesehen, wie er mit einem Buch ein Regal begradigt hat, indem er es seitlich zwischen dem Regal und der Wand hineinquetscht hat.«
Entsetzt blicke ich sie an. »Eine Sünde! Dafür kriegt er tausend Jahre schlechtes Karma.«
»Es war ein veraltetes Buch über PHP. Das liest kein Mensch mehr. Aber das fand ich erst später heraus. Anfangs war ich genauso entsetzt wie du. Ich schätze mal, es stammte von einem seiner Neffen. Zwei meiner Cousins studieren Informatik. Aber jetzt erzähl mal etwas über Ant. Wie sieht er aus?«
»In der App dürfen wir keine Fotos verwenden, weil Farah der Meinung ist, dass in den meisten Dating-Apps aufgrund der oft in Szene gesetzten oder gephotoshoppten Profilbilder das Aussehen eine zu hohe Bedeutung bekommt und dabei die Kompatibilität zum Teufel geht. Vermutlich hat sie damit recht. Ich weiß, dass er fünfunddreißig ist.«
»Fünf Jahre älter als du. Das geht. Jünger wäre natürlich besser. Hast du nicht letztens erzählt, er mag indisches Essen?«
Ich nicke. »Ja, das ist ein eindeutiger Pluspunkt.«
Sarika nickt ebenfalls. »Ein sehr entscheidender, würde ich sagen. Dann könntet ihr euer Date im Restaurant meines Vaters haben. Ich könnte mich dort als Kellnerin unters Volk mischen und dich verteidigen, sollte es sich als nötig erweisen.«
»Uns beschatten und deine Neugierde befriedigen, meinst du wohl?«
Sie blickt mich betont unschuldig an. »Wer soll neugierig sein? Ich doch nicht. Jetzt sag schon. Was hat er sonst noch so für Interessen?«
Soweit dazu, dass sie nicht neugierig wäre …
»Er mag Ravi Shankars Musik. Er besitzt die Three Ragas.«
Ihre Augen leuchten. »Tatsächlich? Ich bin beeindruckt. Ich prophezeie dir, dass er der Mann ist, den du heiraten wirst. Natürlich bin ich überhaupt nicht voreingenommen.«
Ich schmunzle. »Jetzt übertreibe es mal nicht. Ich kenne ihn doch überhaupt nicht.«
»Aber du wirst ihn kennenlernen.«
»Ja. Ich bin wirklich neugierig auf ihn.«
»Ich werde im Restaurant sein. Wenn er ein übler Stalker oder Trickbetrüger ist, klopfe ich ihn windelweich. Wofür hat mein Vater mich gezwungen, Kampftraining zu nehmen?«
»Zu Zwecken der Selbstverteidigung und nicht, um irgendwelche Typen, mit denen ich ausgehe, zu verprügeln. Außerdem bezweifle ich, dass er große Angst haben wird, wenn er dich sieht. Du bist nicht gerade groß.« Meine Freundin ist gerade mal 1,53 m. Das dürfte so gut wie niemanden einschüchtern.
»Ich bin zwar klein, aber gemein. Ich weiß mich zu wehren. Der soll mich mal nicht unterschätzen.«
Ich lache. »Gut zu wissen. Dann kann beim Date nichts mehr schiefgehen.«
Sie stimmt in mein Lachen ein. »Nein, da kann wirklich nichts schiefgehen.«
Ich tippe eine Nachricht an Ant ein und unterschreibe diesmal nicht mit meinem Alias ›Mouse‹, sondern mit meinem richtigen Vornamen, ohne den Nachnamen zu nennen.
Der Grund dafür ist, dass man nach den Regeln der App den wahren Vornamen erst dann mitteilt, wenn man bereit ist, die Person im echten Leben zu treffen. Schließlich können wir uns in der Öffentlichkeit nicht mit Tiernamen ansprechen. Das käme doch irgendwie seltsam rüber.
Kapitel 3
Nathaniel
Es war eine harte Arbeitswoche. Mein Jackett habe ich ausgezogen und über einen Stuhl gehängt. Meine dunkelblaue Krawatte habe ich gelockert und das Hemd am Kragen ein wenig aufgeknöpft. Die Hemdsärmel habe ich ebenfalls gelöst und hochgekrempelt.
So sitze ich nun auf meinem cognacfarbenen Designersofa mit einem Glas Glenfiddich in einem Kristallglas vor mir auf der Marmorplatte des ovalen Tisches. Meine langen, in der schwarzen Anzughose steckenden Beine habe ich vor mir ausgebreitet. Ich überlege, wie ich diesen Freitagabend gestalten soll.
Viele andere Leute denken während der Woche über kaum etwas anderes als das Wochenende nach, aber bei mir ist das anders. Ich lebe für meine Arbeit. Ob das gut oder schlecht ist, dürfte Ansichtssache sein. Für meine Mandanten ist das sicherlich von Vorteil, denn ich mache keine halben Sachen.
Es klingelt an der Tür meines Penthouses. Seufzend, da mein ruhiger Moment unterbrochen wurde, erhebe ich mich.
»Ich bin es. Janet«, erklingt zu meiner Überraschung die Stimme meiner jüngeren Halbschwester aus der Gegensprechanlage. Ich drücke den Schalter, der den Aufzug für das Penthouse freigibt.
Wenig später betritt sie mein Wohnzimmer. Sie trägt ein kurzes, rotes Kleid. Ihr blondes Haar ist schick frisiert und reicht wellig bis zu ihren Schultern.
Sie ist die Tochter der dritten Ehefrau meines Vaters. Dass jene mit Janet schwanger wurde, war letztendlich der Scheidungsgrund für meine Mutter. Die Ehe ist jedoch zuvor schon nicht allzu harmonisch verlaufen Mein Vater ist nämlich ein dominanter Bastard, der seine Frauen finanziell beherrscht. Das bedeutet, er schätzt es nicht, wenn sie ihr eigenes Geld verdienen, es sei denn, es ist kaum mehr als ein Taschengeld. Auf der anderen Seite ist er ein großzügiger Mann, wobei seine Großzügigkeit stets ein Preisschild trägt …
Erstaunlich an dieser ganzen schmutzigen Scheidungssache ist, dass der Scheidungsgrund, meine vierzehneinhalb Jahre jüngere Halbschwester, ein lieber, hilfsbereiter, warmherziger Mensch ist. Das sollte man bei diesen Eltern kaum glauben können, aber es gibt immer ein schwarzes Schaf in der Familie.