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Ich habe ein Geheimnis, das meine bisherigen Beziehungen zerstörte. Deshalb reiste ich nach meinem letzten und größten Desaster in die schottischen Highlands. Doch anstatt im idyllischen Ort Invermore mein inneres Gleichgewicht zurückzugewinnen, tappe ich von einem Fettnäpfchen ins nächste. Durchgeknallte, Traktor fahrende Metal-Fans und ein frittierwütiger Pubbesitzer lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Und dann ist da noch dieser umwerfend attraktive Highlander, der mir den letzten Nerv raubt, meine Knie weich werden lässt und meinen Herzschlag beschleunigt. Letzteres natürlich nur, weil er mich so auf die Palme bringt. Denn eine neue Romanze ist das Allerletzte, was ich gebrauchen kann.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Evelyne Amara
In Schottland verlor ich mein Herz
Impressum
Copyright Oktober 2019 Evelyne Amara
Coverfotos: New Africa/Fotolia/Adobe Stock,
Highlands Scotland by martinm303/Shotshop.com
Korrektorat: Jörg Querner / Lektorat Anti-Fehlerteufel
Coverdesign Evelyne Amara
Kontakt(at)evelyne-amara.com
www.Evelyne-Amara.com
Evelyne Amara, c/o Autorenservice Gorischek, am Rinnersgrund 14/5, 8101 Gratkorn, Österreich
Kapitel 1
Julia Crawford
Vieles in meinem Leben habe ich mir anders vorgestellt. Sehr vieles.
Es ist mit Enttäuschungen und Schmerz gepflastert, aber man muss die Vergangenheit hinter sich lassen, denn in ihr gibt es kein Leben.
Mit diesem Beschluss stieg ich in Norfolk, Virginia, in den Flieger nach London mit einer Umsteigemöglichkeit nach Inverness. Und jetzt bin ich hier in Schottland, um mich auch räumlich vom Vergangenen zu distanzieren, um wieder zu mir selbst zu finden.
Doch stattdessen stehe ich in einem Bushäuschen irgendwo in der Einöde der Highlands. Dabei war es bis vor einer halben Stunde noch sonnig und warm.
Wo gibt es denn so etwas, dass der Bus einen mitten in der Einöde hinauslässt und umdreht, um zurückzufahren? Der alte, weißhaarige Busfahrer meinte in kaum verständlichem Slang, ich müsse einfach den Anschlussbus kriegen. Jetzt sei ein anderer Busbezirk zuständig. Es sei ein Dorf in der Nähe, dessen offizielle Haltestelle dies sei. Von diesem Ort sehe ich allerdings nichts.
Nun sitze ich hier im Nirgendwo und warte auf besagten Bus, der bereits vor einer halben Stunde hätte kommen sollen. Offenbar kommt er nicht. Dass ich ihn verpasst habe, glaube ich nicht, da ich gut zehn Minuten zu früh dran war.
Dabei könnte alles so schön sein. Schottland besitzt ohne Zweifel einen Reiz, aber es empfängt mich mit einem kalten, trüben Wetter.
Am Flughafen London Heathrow bin ich umgestiegen. Vor über zwei Stunden habe ich am Flughafen in Inverness ausgecheckt, habe meinen großen Trolley-Koffer geschnappt und bin in Richtung Norden aufgebrochen, wo sich das Cottage befindet, in dem ich mein Leben neu ordnen möchte, nachdem es auseinandergefallen ist.
In der Einsamkeit grüner Hügel hoffe ich, zu mir selbst zurückzufinden.
Endlich sehe ich wieder das Licht von Scheinwerfern den Nebel durchbrechen. Meine Hoffnung erfüllt sich: Es ist tatsächlich der Bus! Das wurde auch Zeit. Er hat sich wirklich verspätet. Aber die Hauptsache ist, dass er endlich da ist. Erleichtert atme ich auf und erhebe mich und gehe, meinen Trolley-Koffer hinter mir herziehen, näher zur Straße. Sofort prasselt der Regen auf mich herab und der Wind zieht mir die Kapuze vom Kopf. Ich streiche mir die langen, nassen, blonden Strähnen aus dem Gesicht und setze meinen Weg fort.
Der Bus fährt mit Sicherheit zu schnell. In irrsinniger Geschwindigkeit saust er an mir vorbei und bespritzt mich dabei mit einem Schwall Regenwasser, den die schnell drehenden Reifen aufgewirbelt haben.
Fluchend winke ich ihm hinterher, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht war es doch nicht der richtige Bus? Schließlich konnte ich im Nebel die Leuchtschrift nicht lesen. Aber zumindest hätte er mal anhalten können. Oder denkt er, ich stehe hier zum Spaß an der Haltestelle?
Bibbernd stehe ich in meiner ehemals schwarzen Regenjacke, die nun teilweise die Farbe des Straßenschlamms angenommen hat, und verfluche nicht zum ersten Mal die Tatsache, dass ich am Flughafen keinen Mietwagen bekommen habe.
Ich frage mich, wie ich von hier wegkomme. Mein Handy ist tot, da ich leider vergessen habe, es zu laden. Ich gehe zurück in das Bushäuschen, das zumindest ein wenig Schutz vor der Witterung bietet.
In welcher Richtung sich wohl dieses Dorf befinden mag? Nicht zum ersten Mal bedaure ich es, den Bus verlassen zu haben. Er hätte mich allerdings in die falsche Richtung mitgenommen. Vielleicht sollte ich mich zu Fuß auf den Weg machen und dem Straßenverlauf folgen. Mittlerweile zweifle ich daran, dass dieser ganze Urlaub eine gute Idee war.
Dabei hat es sich so gut angehört. Die mythischen Landschaften der schottischen Highlands genießen und abends im gemütlichen Cottage vor dem Kaminfeuer zu einer Tasse Tee ein gutes Buch lesen. Ausspannen und die Seele baumeln lassen und dabei alles vergessen, was ich in den USA hinter mir lassen möchte.
Ich bin chronisch überarbeitet und konnte meine Scheidung noch nicht richtig verarbeiten.
Meine Eltern sind überbesorgt um mich, aber sie hatten die Idee zu dieser Reise. Ich müsse rauskommen, etwas anderes sehen und vor allem meinen Kopf frei kriegen, hatten sie gesagt. Da haben sie nicht ganz Unrecht.
Allerdings glaube ich, dass sie sich etwas anderes vorgestellt haben, als sie von dem idyllischen Cottage sprachen, das ihre Freunde, die schottische Auswanderer sind, mir als Bleibe angeboten haben. Meine Eltern und ich haben ihnen häufig geholfen und schon so einige Gefallen getan, was für uns als Freunde selbstverständlich war.
Das Cottage stand in den letzten Jahren oft leer, wenn es nicht gerade als Ferienwohnung vermietet wurde. Eine Freundin der Familie verwaltet es für sie von Invermore aus, wie dieser kleine Ort nördlich von Inverness heißt.
Die Freunde meiner Eltern haben über ihre Heimat in den schillerndsten Farben geschwärmt. Gerne wären sie dageblieben, aber damals ging es nicht anders.
Bestimmt handelt es sich dabei um Nostalgie und sie verklären so einiges. In diesem Moment wünschte ich, dass ich zu Hause geblieben wäre.
Laut dem Fahrplan dauert es noch anderthalb Stunden, bis der nächste Bus kommt – falls dieser überhaupt kommt. So langsam bezweifle ich das nämlich. Soll ich auf den Bus warten, zurücklaufen, das Dorf suchen oder der Straße folgen?
Bei dem Nebel sollte ich vielleicht nicht unbedingt auf der einspurigen Straße entlanglaufen. Am Ende fährt mich noch jemand über den Haufen, weil er mich in den dichten, wabernden Schwaden nicht rechtzeitig erkennt. Der Busfahrer hätte mich aber trotzdem sehen müssen. Ich stand direkt an der Bushaltestelle unter der Straßenlampe.
Endlich sehe ich erneut die Lichter von Scheinwerfern. Ein Auto nähert sich. Sofort verlasse ich das Bushäuschen und eile zum Straßenrand.
In meiner Verzweiflung strecke ich meinen Daumen raus und winke mit der anderen Hand. Doch der Mann darin fährt einfach weiter und lässt mich wortwörtlich im Regen stehen. Vielleicht will er ja nicht, dass ich das Innere seines Fahrzeuges nass mache.
Ich hätte wirklich gestern Abend nachsehen sollen, ob mein Handy geladen ist. Ich hätte so vieles anders machen können in meinem Leben. Manche Dinge kann man nicht ändern.
Als zehn Minuten später erneut die Lichter von Scheinwerfern den Nebel durchbrechen, gehe ich schon fast davon aus, auch jetzt wieder stehengelassen zu werden, als ich zum Straßenrand gehe, meinen Daumen hebe und mit der anderen Hand auffällig winke. Doch zu meiner Überraschung hält der rote Traktor tatsächlich an.
Ein Traktor? Noch dazu ein sichtlich altes, klappriges Gefährt mit Anhänger? Nun, ich will nicht wählerisch sein. Wichtig ist, dass der Fahrer überhaupt angehalten hat und die Tür der Kabine öffnet, um mit mir zu reden.
Auf der Seite seines roten Fahrzeuges steht Zetor 5011. Er hat den Motor ausgeschaltet.
Am Steuer sitzt ein Mann mit langem, wildem, rotem Lockenhaar, einem schwarzen Bandshirt, auf dem Bathory steht, und einem rot-grün-karierten Kilt. Es ist eine etwas eigenwillige Kombination, aber wer’s mag … Zu ihm passt sie.
Aus den Lautsprechern seiner Musikanlage dröhnt Metal-Musik. Er dürfte gegen Ende zwanzig sein, also ein wenig jünger als ich mit meinen fünfunddreißig Jahren.
»Hi, möchtest du mitfahren?«, fragt er mich mit schottischem Akzent und dem typischen rollenden R.
Ich nicke. »Hi. Ja, gerne. Wohin fahren Sie denn?«
»Nach Invermore.«
Endlich, endlich, endlich habe ich mal Glück. Ich kann es noch gar nicht fassen. Am liebsten würde ich einen Freudentanz aufführen und anschließend dem Fremden um den Hals fallen.
»Danke. Da will ich auch hin«, sage ich erfreut.
»Dann steig ein.« Kurz runzelt er die Stirn, dann steigt er aus. »Ich helfe dir, den Koffer hineinzutragen.«
Überrascht, dass er so ein Gentleman ist, sehe ich ihn an. »Danke, das ist wirklich sehr lieb.«
Er springt aus dem Traktor und lässt mir den Vortritt. Rasch steige ich die drei Stufen des Traktors hinauf. Dabei rutsche ich in meiner Ungeschicktheit auf den feuchten Metallsprossen aus und wäre beinahe auf meinen Hintern gefallen, hätte der Rothaarige mich nicht gerade noch erwischt und festgehalten.
Ich murmle ein Dankeschön und steige diesmal die Sprossen vorsichtiger hoch.
In der geräumigen Kabine gehe ich am Fahrersitz vorbei und sehe, dass sich noch jemand im Fahrzeug befindet. Ein weiterer Mann, der langes, gewelltes, hellblondes Haar hat, sitzt dort oberhalb von einem der Hinterräder. Auf dem anderen Hinterrad sitzt ein schwarz-weißer Collie.
Ich begrüße den Blonden, der mir ebenfalls einen Gruß zumurmelt.
Der Rothaarige quetscht meinen Koffer an uns vorbei und legt ihn auf die Bierkästen, die hinter dem Fahrersitz gestapelt sind. Im Hintergrund dröhnt Metal-Musik.
Der Blonde, den ich auf etwa Ende zwanzig schätze, ruft »Millie, komm«, und gestikuliert auf seinen Schoß, woraufhin ihm der Collie dorthin hüpft.
»Autsch! Nicht auf die Nüsse!«, sagt er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Wie alle im englischsprachigen Raum sagt er natürlich Nüsse anstatt Eier. Vermutlich liegt das an der Ähnlichkeit zu ungeschälten Walnüssen.
Der Rothaarige lacht. »Das hättest du Millie vorher sagen müssen.«
»Hab du mal so große Nüsse wie ich.«
»Angeber! Es ist ja nicht so, als wären Border Collies unbedingt Schoßhündchen.«
»Für mich schon.« Der Blonde streichelt das schwarz-weiße Tier hingebungsvoll, was dieses sichtlich genießt.
Dann wendet der Rothaarige sich an mich. »Ich bin übrigens Fingal MacLean, und das ist mein Freund Jo.«
»Ich heiße Julia Crawford. Es ist wirklich irrsinnig nett von euch, dass ihr mich mitgenommen habt.«
»Keine Ursache. Wir lassen doch niemanden im Regen stehen«, sagt Fingal.
Leider denkt offenbar nicht jeder so, wie ich zuvor festgestellt habe.
»Ich war schon ganz verzweifelt, denn erst hatte der Bus über eine halbe Stunde Verspätung und dann ließ er mich einfach an der Bushaltestelle stehen.«
Fingal nickt. »Das ergeht vielen Touristen hier anfangs so. Die Busfahrzeiten sind optional und wenn man nicht winkt, als würde man einen Monsterschwarm Highland-Mücken verscheuchen wollen, nehmen einen einige Busfahrer nicht ganz ernst und denken offenbar, man hängt nur zufällig an der Bushaltestelle ab und will gar nicht mitfahren. Das liegt daran, dass ab und zu ein paar Jugendliche in Bushaltestellen Partys feiern.«
»Singt er deutsch?«, frage ich verwundert, als ich der Musik lausche.
Das Gekreische als Singen zu bezeichnen ist wohl optimistisch betrachtet. Trotzdem muss ich sagen, dass die Musik doch sehr melodiös ist. Sie ist eine eigenartige Mischung aus Power Metal, Black Metal und … Polka. Und offenbar handelt es sich um ein Trinklied, da gefühlt jedes dritte Wort Met ist.
Grinsend sieht der blonde Jo mich an. »Aye. Das ist eine meiner Lieblingsbands, Equilibrium, mit ihrem Song Met aus dem Album Turis Fratyr.«
Dass der Song so heißt, darauf wäre ich nicht gekommen, denke ich ironisch.
»Du bist aber keine Deutsche?«, fragt Jo.
»Nein, nicht direkt. Meine Mom ist Deutsche. Sie hat einen US-Soldaten, der damals in Regensburg stationiert war, geheiratet. Ich selbst wurde in den USA geboren. Wir leben in Virginia.«
»Kannst du Deutsch sprechen?«
»Können ist relativ. Ich kann es meistens verstehen, wenn es jemand spricht, auch wenn ich bei einigen Dialekten keine Chance habe. Selbst sprechen kann ich es nicht so richtig, obwohl meine Mom immer versucht hat, es mir beizubringen. Ich bin, mal abgesehen von den drei Jahren, während der mein Dad in Heidelberg stationiert war, hauptsächlich in den USA aufgewachsen. Und damals war ich erst zwei bis fünf Jahre alt. Da blieb nicht so viel hängen, zumal mein Dad kein Deutsch kann. Dann bist du ein Deutscher?«, frage ich interessiert.
»Nicht direkt. Ich habe eine doppelte Staatsbürgerschaft sowohl für Schottland als auch Deutschland, weil meine Mum Deutsche ist und mein Vater aus Edinburgh stammt. Ich bin in Deutschland aufgewachsen nach ihrer Scheidung, als ich vier Jahre alt war. Mit vollem Namen heiße ich Joachim Alistair Murray. Die Highlander können das ch interessanterweise oft besser aussprechen als die Engländer.«
Fingal lacht. »Natürlich können wir das aussprechen. Wir sind ja keine Sassenachs. Magst du ein Bier, Julia? Das ist zwar eine Lieferung für unseren Pub, aber Callum sieht das nicht so eng, zumal wir auch den Anhänger damit voll beladen haben.«
Jo lacht. »Zum Glück bist du der Fahrer, sonst käme kaum etwas von der Lieferung in Invermore an.«
»Ha ha, du brauchst gar nichts zu sagen, denn du schluckst auch nicht schlecht. Hab dir ja schon öfters angeboten, zu fahren, aber du willst ja nicht.«
»Das wäre keine gute Idee.«
»Ach Quatsch, fürs Traktorfahren braucht man doch nichts zu sehen. Fahr einfach nach Gehör. Wenn’s kracht, noch ein Stück.«
Das sind Worte, die das Beifahrerherz erquicken, da man sich damit gleich – ironisch gemeint – viel sicherer fühlt.
Jetzt erst fällt mir auf, dass Jos Augen seltsam leblos wirken trotz der wunderschönen blauen Farbe, die mich an einen Gletscherbach erinnert.
»Du bist blind?«, frage ich, bevor ich es mir besser überlegen kann.
»Ich bin im Alter von drei Jahren erblindet aufgrund einer Masern-Infektion.«
»Das tut mir leid«, sage ich aufrichtig.
So ein gutaussehender, junger und noch dazu freundlicher Mann ist damit geschlagen, aber man kann es sich wohl nicht aussuchen.
»Ich habe mich daran gewöhnt und Mechanismen entwickelt, um damit zurechtzukommen. Klar ist es scheiße. Beim Einkaufen braucht man jemanden, aber ich bin es gewohnt. Jedenfalls freue ich mich immer, jemanden aus Deutschland zu treffen.«
»Wo habt ihr in Deutschland gelebt?«
»Meine Mutter stammt aus Bamberg. Dort und in Nürnberg habe ich den Großteil meiner Kindheit verbracht.«
»Das ist ja gar nicht mal so weit vom Geburtsort meiner Mutter entfernt.«
»Tja, so klein ist die Welt. Du weißt gar nicht, wie oft wir uns das in den Highlands sagen. Hier begegnet man einander oft mehr als einmal. Und viele Touristen sieht man auch noch in den Jahren danach.«
»Dann lebst du hier?«
»Aye, ich bin vor elf Jahren ausgewandert.«
»Vermisst du die alte Heimat?«, frage ich.
»Manchmal schon, vor allem die alten Freunde fehlen mir. Mit den meisten habe ich nur noch sporadisch Kontakt. Es verläuft sich einfach mit der Zeit. Das Maisel-Bier aus Bamberg vermisse ich, aber sie haben die Brauerei ohnehin ein Jahr, nachdem ich ausgewandert bin dicht gemacht. Leider.«
Final lacht. »Das lag wohl daran, weil du ihnen als umsatzstärkster Kunde gefehlt hast.«
Jo grinst. »Das muss wohl der Grund gewesen sein.«
Er erhebt sich, woraufhin der Hund zur Seite springt, und nimmt eine Flasche aus einem der Bierkästen. Diese hält er mir hin. »Es ist unhöflich von mir, dir noch kein Bier gegeben zu haben. Das ist Bio-Bier von der Black Isle Brewing Company. Die Brauerei ist gar nicht so weit von Invermore entfernt. Hier gibt es eben auch was anderes als Whisky.« Geschickt öffnet er die Flasche mit einem Feuerzeug und reicht sie mir.
Eigentlich wollte ich kein Bier, aber es wäre wohl unhöflich, es abzulehnen. Die Highlander legen viel Wert auf die Gastfreundschaft, die für sie eine Sache der Ehre ist.
Ich bedanke mich dafür und nippe an der Flasche. Das Bier ist tatsächlich sehr gut. Es ist dunkelbraun, beinahe schon schwarz und erzeugt auf der Zunge zu meiner Überraschung eine wahre Geschmacksexplosion aus Röstmalzaromen, einem leichten Beerenton, einer feinen Kaffeenote und dem Aroma bitterer Schokolade. Auf der Flasche ist eine stilisierte Distel abgebildet, die Nationalblume von Schottland. Darüber steht ›Black Isle‹ und darunter ›Organic Porter‹.
»Bist du das erste Mal in Schottland?«, fragt mich Fingal.
»Ja.«
»Wie lange hast du vor zu bleiben?«
»Ungefähr drei bis vier Wochen. Sonst lohnt sich ja der lange, teure Flug nicht. Danke nochmal fürs Mitnehmen und fürs Bier. Es schmeckt wirklich gut.«
»Gern geschehen. Für die meisten ist es nicht der letzte Besuch unseres schönen Landes«, sagt Fingal mit deutlichem Stolz in der Stimme, während er sich eine Zigarette anzündet. »Ich wünsche dir einen schönen Aufenthalt.«
»Danke.«
Dank dieser beiden freundlichen, hilfsbereiten Personen werde ich den vermutlich trotz des schlechten Starts haben. Ich bin gutgelaunt und zuversichtlich.
»Sie ist ein schöner Hund.« Millie ist wirklich hübsch mit ihren großen, dunklen Augen und ihrem süßen Gesichtchen. Als sie gähnt, sieht das total niedlich aus.
»Danke.«
Kapitel 2
Julia
Als ich aus dem Fenster des Traktors schaue, hat das Wetter erneut umgeschlagen. Die dichten, grauen Wolkenbänke haben sich auf eine Seite des Himmels zurückgezogen. Auf der anderen Seite ist der Himmel strahlend blau und übersät von kleinen, schneeweißen Wolken. Die grünen Hügel der schottischen Highlands erstrecken sich vor mir, so weit das Auge reicht.
Schafe hüpfen freudig über die Wiesen und durch den gelb blühenden Besenginster. Im Hintergrund kann ich die Gipfel der zerklüfteten Berge erkennen und einen Fluss, der sich wie ein glitzerndes Band durch die atemberaubende, magisch erscheinende Landschaft schlängelt.
Dies ist das Land alter Sagen, wo die Vergangenheit noch lebendig zu sein scheint. Fast meine ich, jeden Augenblick ein paar Elfen sehen zu müssen. Es ist bezaubernd und verzaubernd.
Mittlerweile kann ich nachvollziehen, warum so viele Leute von Schottland schwärmen. Das Land zieht einen unweigerlich in seinen Bann. Die Wiesen wirken grüner, der Himmel blauer und auch die Luft scheint eine ganz eigene Qualität zu besitzen.
Auf den Gräsern glitzern die zahlreichen Regentropfen, und der Duft des Regens zieht zu uns in die Kabine des Traktors hinein. Es ist wunderschön hier.
Schon bald passieren wir das kleeblattgrüne Straßenschild von Invermore, auf dem in altmodischer, gelber Schrift steht: Fàilte gu Baile Inbhir Muir. Darunter steht in weißer Schrift: Willkommen im Dorf Invermore.
Ich betrachte die gemütlich aussehenden Häuser, während wir die Hauptstraße des Ortes entlangfahren.
»Bei welchem Bed and Breakfast möchtest du dich einquartieren?«, fragt Fingal.
»Ich werde im Urchadainn Cottage wohnen. Wenn es kein Umweg für dich ist, könntest du mich bitte bei Mrs. Catriona MacDonald hinauslassen, weil ich bei ihr den Schlüssel abholen muss?«
Nachdenklich runzelt er die Stirn. »Du hast gleich eine ganze Ferienwohnung angemietet? Mit einem Bed and Breakfast kommst du doch günstiger weg.«
»Es kostet mich nichts. Meine Eltern kennen die MacRobbs. Wir haben schon viel für sie getan, und hiermit wollen sie sich revanchieren.« Als Ärztin habe ich ihnen auch schon so einige Male an Feiertagen oder an den Wochenenden geholfen.
»Ist doch schon ewig her, dass die ausgewandert sind. Zwanzig Jahre?«, fragt er.
Ich nicke. »Das könnte hinkommen. Ihre Tochter Fenella und ich gingen zusammen zur Schule. Schließlich freundeten sich unsere Familien miteinander an. Fenella ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Lehrerin.«
»An Fenella kann ich mich nur verschwommen erinnern. Ich hatte nicht viel mit ihr zu tun. Sie war ein paar Jahre älter als ich.«
»Die MacRobbs sagten, hier gäbe es einen Lebensmittelladen.«
»Das ist richtig. Den kann ich dir zeigen, wenn wir daran vorbeifahren.«
Die Häuser, Gärten und Menschen ziehen an uns vorüber. Es ist wirklich ein beschaulicher, idyllischer Ort, der mir immer besser gefällt, je mehr ich davon sehe. Auch ist das Dorf relativ groß, und man scheint hier die notwendigsten Dinge vor Ort zu bekommen.
»Hier auf der linken Seite ist der Lebensmittelladen. Da findest du auch diverse Adapter, Batterien, Kopfhörer und anderen Kram«, sagt Fingal.
Tatsächlich ist der Laden relativ groß. Er wirkt zwar etwas altmodisch, aber ein hypermodernes Shoppingcenter aus Stahl und Glas hätte auch nicht in einen beschaulichen Ort wie Invermore gepasst. Die Fensterläden und die Tür sind mittelblau angestrichen und bilden einen interessanten Kontrast zu der grauen Backsteinwand.
Plötzlich bückt sich Fingal und sagt: »Übernimm mal schnell das Steuer. Meine Zigarette ist hinuntergefallen.«
Da er wohl kaum Jo damit meint, haste ich nach vorne, um nach dem Lenkrad zu greifen. Dabei verschütte ich mein Bier, das auf meiner Jacke landet. Doch es ist zu spät. Wir sind bereits von der Straße abgekommen, walzen einen Zaun aus weißen Latten nieder und heizen quer durch ein Blumenbeet, bevor es Fingal und mir gelingt, den Traktor anzuhalten.
Kapitel 3
Duncan Cameron
Mit einem Tuch wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Es war eine Menge Arbeit, das Dach meines Elternhauses neu zu decken, aber es hat sein müssen. Ich habe mit angepackt unter der Anleitung der Zimmerleute. So ging es recht zügig von der Hand.
Im Moment sind die Anlagenmechaniker SHK zugange, um neue Wasserleitungen zu verlegen, da die alten bereits brüchig waren. Teilweise zerbröselten sie beim Raustragen.
Die Anlagenmechaniker sind schon ziemlich weit. Bald können die Elektriker und dann die Fliesenleger kommen.
Die Leute von der Maler- und Verputzerfirma haben den Putz von der Außenseite des Hauses heruntergehauen und die darunterliegenden Steine freigelegt. Einen Teil der Fassade haben sie bereits neu verputzt. Ich habe mit angepackt, damit es schneller geht.
Zwar habe ich ein Zimmer in einem Bed and Breakfast, um dort für meine Firma arbeiten zu können, aber auf Dauer ist das nichts. Es ist trotzdem sinnvoll, dass ich mir die Zeit nehme, um die Arbeiten hier am Haus zu koordinieren und als Ansprechpartner greifbar zu sein.
Ich wollte ja unbedingt nach Invermore ziehen. Nicht nur ist es die geliebte Umgebung aus meiner Kindheit, die ich mit schönen Erinnerungen verbinde, auch sind die Lebenshaltungskosten hier deutlich niedriger als in Edinburgh.
Heute sind wir leider nicht weit gekommen, da uns ein Regenguss überrascht hat, der zum Glück fast so schnell wieder verschwunden ist, wie er gekommen ist. Das Wetter in den Highlands kann verdammt schnell umschlagen. Auf den Wetterbericht ist nur bedingt Verlass.
Die regnerischen Tage oder Stunden nutze ich, um etwas im Haus zu machen. Ich habe die alten Wasserleitungen und den anderen Bauschutt nach draußen getragen und in den Absatzbehälter geworfen.
Ich stecke mein Tuch weg, klopfe mir meine staubige Arbeitskleidung ab und trinke einen Schluck von meinem Tee, der längst kalt geworden ist. Kaum habe ich den Becher auf dem Gartentisch abgestellt, fährt ein roter Traktor meinen Gartenzaun platt und zerstört mein Tulpenbeet.
Er walzt alles nieder. Die wunderschönen, rotgelben Tulpen, die mein Vater gehegt und gepflegt hat, die er gehütet hat wie seinen Augapfel und mit denen ich so viele schöne Kindheitserinnerungen verbinde, sind innerhalb von wenigen Sekunden zerstört. Einfach nur sinnlos abgebrochen, zermatscht und in den Boden gestampft. Es bricht mir das Herz, es zerreißt mich, das sehen zu müssen. Sie waren der Stolz meines Vaters.
Ungläubig und erschrocken starre ich das Debakel an. Wut steigt in mir auf. Das darf doch nicht wahr sein! Das rote Ungetüm sieht wie Fingals Traktor aus, doch am Steuer sitzt eine gutaussehende, mir fremde, mittelblonde Frau. Wer ist diese Person und warum hat sie soeben meinen Vorgarten zerstört?
Erst gestern habe ich das Tulpenbeet, das einst mein Vater gepflanzt hat, auf Vordermann gebracht und nun das …
Die fremde Frau wirkt blass und sieht mich erschrocken an, als ich wütend auf sie zu stapfe.
Kapitel 4
Julia
Ein hochgewachsener Mann mit kurzem, mittelbraunem Haar, einem Dreitagebart und leuchtend blauen Augen kommt auf uns zugestürmt. Er dürfte ungefähr mein Alter haben oder ein paar Jahre älter sein. Ich schätze ihn auf Mitte, Ende dreißig. Jedenfalls sieht er verdammt gut aus, aber auch sehr wütend.
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«, herrscht er mich mit blitzenden Augen an. Wie alle Highlander besitzt er diesen besonderen Akzent, der weicher ist als der der Engländer.
Natürlich hält er mich für die Fahrerin des Traktors, da Fingal noch im Fußbodenraum der Traktorkabine herumkriecht, um seine Zigarette zu suchen.
Ich steige aus, um mir den Schaden anzusehen. Natürlich – wie sollte es auch anders sein? – rutsche ich, ungeschickt, wie ich bin, dabei auf den feuchten Sprossen ab und wäre beinahe auf die Nase gefallen, hätte der Fremde mich nicht rasch festgehalten. Statt auf den Boden knalle ich nun mit dem Gesicht gegen seine harte, männliche Brust. Sein herb-maskuliner Duft umfängt mich. Er sieht nicht nur umwerfend gut aus, sondern riecht auch noch himmlisch.
Erschrocken über meinen Gedankengang, löse ich mich von ihm. Ein Mann in meinem Leben ist so ziemlich das Letzte, was ich jetzt brauche. Eher schaffe ich mir einen Hund an. Die sind wenigstens treu und lieben einen aufrichtig. Und sie werfen einem nicht etwas vor, für das man nichts kann. Hunde sind eindeutig die besseren Menschen.
»Hören Sie mir überhaupt zu?«, reißt mich eine tiefe, männliche Stimme aus meinen Gedanken.
Wo war ich gerade? Natürlich. Wir sind versehentlich in seinen Garten gefahren. Sicherlich ist er stinksauer wegen seines beschädigten Zaunes. Ich bin jedoch froh, dass es nur ein Sachschaden ist und kein Mensch oder Tier verletzt wurde.
Erschrocken ziehe ich die Luft ein. Mist! Ich habe sein Blumenbeet ziemlich plattgemacht.
»Es tut mir wirklich leid. Das wollte ich wirklich nicht«, sage ich mit einem Blick auf die verbliebenen Tulpen mit den orangegelb geränderten, rosaroten Blüten. Ich möchte gar nicht daran denken, welche Verwüstung sich unter den riesigen Reifen des Traktors befindet.
Wütend starrt er mich an und schnuppert dann mir zugewandt in die Luft. »Aha, Trunkenheit am Steuer. Daher sind Sie auch beim Aussteigen halb aus dem Traktor gefallen. Betrunkene Leute sollte man nicht in einen Traktor lassen oder überhaupt in kein Fahrzeug. Sie sollten nach Hause gehen und Ihren Rausch ausschlafen!«
Nun meinerseits aufgebracht stemme ich die Hände in die Hüften. Das ist ja unerhört! »Ich bin nicht betrunken. Ich trinke höchst selten. Es war ein Versehen, ein Unfall. Kommt nicht wieder vor.«
»Das hoffe ich. Sie sind nämlich eine Gefährdung für den Straßenverkehr. Sie sind nicht von hier, oder? Sind Sie eine Sassenach? Eine von denen, die denken, sie hätten eine eingebaute Vorfahrt?«, fragt er unwirsch.
»So etwas habe ich nicht behauptet. Und ich bin nicht aus England, falls Sie das damit meinen.«
»Woher kommen sind Sie dann?«
»Ich bin eine Amerikanerin.«
Sein Blick wird noch düsterer, falls das überhaupt möglich ist. »Eine Amerikanerin? Das ist ja noch schlimmer.«
Offenbar hat er etwas gegen Amerikaner.
»Sie tragen eine Menge Vorurteile mit sich herum.«
Misstrauen liegt in seinem Blick. »Das sind keine Vorurteile. Das sind persönliche Erfahrungen.«
»Beruhigt euch mal, Leute, und trinkt erst mal ein Bier«, sagt Fingal in beschwichtigendem Tonfall.
Offenbar hat er es in der Zwischenzeit geschafft, seine Zigarette wiederzufinden und unter seinem Lenkrad hervorzukommen. Hinter ihm steht Jo, dessen langes, blondes Haar im Wind weht.
»Beruhigen? Sie hat meine Tulpen zerstört«, sagt der Braunhaarige, als hätte ich eine Todsünde begangen. »Und der Zaun ist auch platt. Einfach nur niedergewalzt und zerstört. Wie barbarisch! Sie hat eine Schneise der Verwüstung durch meinen Vorgarten gezogen!«
»Das war meine Schuld«, gibt Fingal zu. »Mir ist meine Zigarette heruntergefallen. Daher habe ich sie gebeten, mal schnell das Steuer zu übernehmen.«
»Das war ein höchst leichtsinniges Verhalten von dir. Trotzdem hat sie hier alles niedergewalzt. Es ist unfassbar! Die Tulpen meines verstorbenen Vaters! Einfach nur sinnlos zerstört!«
Schuldgefühle kriechen in mir hoch. »Das wollte ich nicht. Das tut mir ja so leid.«
»Es war keine Absicht. Wir werden das wieder anpflanzen und den Zaun ersetzen. Und du bekommst ein paar Kästen Bier von mir«, sagt Fingal.
»Als könnte man mit Bier das Problem lösen! Bier hat das doch alles erst ausgelöst.« Anklagend sieht er mich an.
»Ich habe nichts getrunken!«
Aus zu Schlitzen verengten, meerblauen Augen sieht er mich misstrauisch an. »Aber warum stinken Sie dann wie ein ganzes Bierfass?«
Es ist offensichtlich, dass er mir nicht glaubt.
»Ich habe mir versehentlich Bier über meine Jacke geschüttet. Das kann jedem mal passieren.«
Entsetzt starrt er mich an. »Also haben Sie mit einer Bierflasche am Steuer gesessen. Sie wissen schon, dass ich Sie eigentlich der Polizei melden müsste?«
»Dann tun Sie das. Diese werden feststellen, dass ich kaum etwas getrunken habe. Ich bin keine Trinkerin!«
»Das ist sie nicht. Sie hat nur sehr wenig Bier getrunken«, sagt Fingal.
Der Fremde schnaubt abfällig. »Ich weiß genau, was du unter ›wenig trinken‹ verstehst.«
»Nun sei doch nicht so mürrisch. Wir kriegen deinen Garten wieder hin.«
»Ich zahle auch für die Pflanzen und den Gartenzaun«, sage ich.
»Unsinn. Ich bezahle dafür. Du wirst allerdings den Garten neu bepflanzen müssen, denn ich bin in den nächsten Wochen ausgebucht«, sagt Fingal.
»Ausgebucht?«
Er nickt. »Ja, beruflich.«
»Und was ist dein Beruf?«, frage ich.
Fingal starrt mich an, als hätte ich ihm etwas Unanständiges gesagt.
»Es gilt hier als unhöflich, so direkt nach dem Beruf einer Person zu fragen«, erklärt Jo.
Nachdenklich kratze ich mich am Kopf. In welches Fettnäpfchen bin ich heute eigentlich noch nicht getreten?
»Bei uns in Amerika sieht man das anders«, sage ich verwundert und ein wenig verunsichert, denn dass man das als unhöflich finden könnte, darauf wäre ich nicht gekommen.
Jo lächelt mich an. »Aber wir sind hier nicht in Amerika. Es ist übrigens auch unhöflich, jemandem nach seinem Familienstand zu fragen. Nur mal so nebenbei erwähnt.«
»Und wie findet man das dann heraus? Ich meine, nicht, dass ich das herausfinden möchte. Nur rein hypothetisch.«
»Durch Umwege im Gespräch. Man redet beispielsweise über seine eigene Familie allgemein und hofft, dass der andere darauf anspricht und ebenfalls über seine redet. Wenn jemand an dir Interesse hat, gibt er dir früher oder später entsprechende Hinweise.«
Ach, diese Gälen. Ich weiß nicht, ob diese Mentalität mein Fall ist. Aber ich bin ja auch nur auf Urlaub hier.
»Ist das für dich möglich?«, fragt Fingal. »Ich stehe dann auch in deiner Schuld.«
Rasch nicke ich. »Aber natürlich. Ich kümmere mich um den Garten.« Solch eine Tätigkeit wird mich von anderen Dingen ablenken …
Fingal will etwas erwidern, doch der Fremde kommt ihm zuvor.
»Würdet ihr nun bitte euer Schwätzchen beenden und euren Traktor aus meinem Blumenbeet entfernen?«, fragt dieser mit Ungeduld in der Stimme.
»Falls dieser Herr natürlich nichts dagegen hat, wenn ich in seinem Garten arbeite«, füge ich rasch hinzu. Schließlich ist der sauer genug auf mich und wie es derzeit den Anschein macht, ist er nicht gerade erpicht auf meine Anwesenheit.
Fingal grinst entschuldigend. »Ich habe euch noch gar nicht einander vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Julia, das ist Duncan Cameron. Duncan, das ist Julia Crawford.«
»Guten Tag, Ms. Crawford.« Seine Stimme klingt förmlich und distanziert und sein attraktives Gesicht mit den leuchtenden Augen, dem markanten Kinn und der geraden Nase wirkt verschlossen.
Es ist offensichtlich, dass er mich nicht mag. Eigentlich sollte mir das egal sein, trotzdem versetzt es mir einen Stich, da ich mich trotz allem gleich zu ihm hingezogen fühlte. Ich habe offenbar wirklich ein Händchen für die falschen Typen …
»Hallo, Mr. Cameron.« Höflich lächle ich ihn an, doch er erwidert mein Lächeln nicht. Egal. Dann soll er eben vor sich hin grummeln. Das ist sein Problem. Ich werde es nicht zu meinem machen.
»Der Traktor … bitte fahrt ihn von meinem Beet herunter und aus meinem Garten raus.« Mr. Camerons Stimme klingt nun noch ungeduldiger.
Fingal nickt. »Alles klar, Duncan. Ich bring dann gleich ein paar Tulpen, damit Julia sie einpflanzen kann.«
»Es sind nicht dieselben Tulpen.«
»Ich habe gute Tulpen.«
»Es tut mir wirklich leid«, sage ich betroffen, doch Fingal führt mich weg in Richtung des Traktors.
»Das hat jetzt keinen Zweck. Der muss sich erst mal wieder abregen. Eigentlich ist er nicht so, aber was seinen Dad betrifft, ist er überempfindlich.«
»Ist sein Dad schon lange tot?«
Zu spät fällt mir ein, dass das wohl auch eine der Fragen sein könnte, die hier als unhöflich gelten.
Fingal nickt. »Aye, er starb, als Duncan noch ein Kind war. Seine Oma starb nur ein halbes Jahr später.«
»Wie tragisch.« Dann wurde Duncan von seiner Mutter also allein großgezogen. Vielen Kindern ergeht es so. Das war sicher nicht einfach für seine Mutter und ihn.
Jo folgt uns. Offenbar hört er unsere Schritte und Stimmen und weiß genau, wo wir uns gerade befinden. Erstaunt sehe ich, dass er sich zur Tür des Traktors begibt, etwas entlangtastet und sehr geschickt die Stufen hinaufsteigt. Wüsste ich nicht, dass er blind ist, wäre mir das nicht aufgefallen. Vermutlich hat er sich gemerkt, wie und wo der Traktor steht.
»Wir kommen morgen wegen der Tulpen, und für deinen Zaun besorge ich ein paar Bretter«, ruft Fingal zu Duncan hinüber, der etwas Unverständliches brummelt und im Haus verschwindet, als einer der Handwerker das Haus verlässt und ihn etwas fragt.
»Das Urchadainn Cottage ist gleich nebenan«, sagt Fingal und deutet auf das aus grauem Stein gebaute Haus direkt neben Duncans.
Na wunderbar, dieser grummelige, schlecht gelaunte Mensch ist also mein direkter Nachbar. Das fängt ja alles gut an.
»Danke fürs Fahren«, sage ich.
»Keine Ursache. Gern geschehen. Steig ein. Du musst doch noch zu Catriona, um den Schlüssel abzuholen.«
»Ach ja, stimmt.« Ich bin wirklich etwas zerstreut dank meines neuen Nachbarn.
Fingal lässt mir den Vortritt. Ich nehme wieder meinen gewohnten Platz gegenüber von Jo und dem Hund Millie ein.
Bedauernd sieht Fingal mich an. »Es tut mir leid, dass nicht alles gut gelaufen ist.«
»Es ist niemandem etwas passiert. Du solltest nicht mehr während der Fahrt rauchen.«
»Ich denke, da hast du Recht.«
»Du weißt gar nicht, wie oft ich ihm das schon gesagt habe«, meint Jo, der seine Hündin hinter den Ohren krault, die diese Behandlung sichtlich mit geschlossenen Augen genießt.
»Eigentlich ist Duncan normalerweise nicht so unfreundlich«, spricht Jo weiter. »Ich kenne ihn recht lange. Er ist eigentlich echt in Ordnung.«
»Das mit den Beeten ist dumm gelaufen. Da habe ich offenbar einen wunden Punkt bei ihm getroffen.«
»Das kann man wohl sagen. Aber das ist kein Problem«, meint Fingal.
Jo lacht. »Das sagt er jedes Mal. Für ihn ist immer alles kein Problem. Er ist der geborene Optimist.«
»Es ist nie alles so schwarz, wie es aussieht.«
Manchmal ist es das schon. Das weiß ich aus Erfahrung. Und manchmal ist es noch viel schwärzer …
Kapitel 5
Julia
Fingal lässt den Traktor an und fährt vorsichtig rückwärts raus. Er setzt die Fahrt über die Hauptstraße fort und biegt am Ende der Ortschaft links ab. Es folgt eine lange Straße. Gerade als ich glaube, dass das Dorf hier zu Ende ist, da erreichen wir ein gemütlich aussehendes Cottage, das von einem großen Garten umgeben ist.
»Ich warte so lange, bis du mit Catriona alles geklärt hast, und nehme dich dann wieder mit zurück«, sagt Fingal.
»Danke.« Das ist echt lieb von ihm.
Ich steige aus, laufe zu dem Cottage und betätige die altertümlich anmutende, messingfarbene Klingel. Den Klingelton höre ich deutlich durch die Tür. Wenig später erklingen Schritte.
Eine vollschlanke, rothaarige Frau um die fünfzig öffnet mir. Ihr rotes, lockiges Haar steht in alle Richtungen ab. Auf ihrer Stupsnase tummeln sich viele Sommersprossen. Sie trägt eine hellviolette Strickjacke, die zu ihrem hellgrünen Strickrock und den roten Marienkäfer-Hausschuhen einen interessanten Kontrast bildet.
Freundlich lächle ich sie an und reiche ihr die Hand. »Guten Tag, ich bin Julia Crawford. Sie sind sicher Ms. MacDonald.«
Sie ergreift meine Hand und schüttelt sie kurz. »Aye, die bin ich. Willkommen in Schottland. Wenn Sie Hilfe brauchen oder Fragen haben, wenden Sie sich an mich. Und vergessen Sie nicht, die MacRobbs von mir zu grüßen.« Ihr deutlicher Highland-Englisch-Akzent rollt ihr sanft von der Zunge.
»Danke, das mach ich.«
»Einen Moment bitte.« Sie begibt sich zu einem an der Flurwand hängenden Schlüsselbrett und entnimmt ihm einen Hausschlüssel. »Ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt, Ms. Crawford!«
»Vielen Dank! Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.« Ich nehme den Schlüssel von der freundlichen Dame entgegen.
»Den wünsche ich Ihnen auch. Goodbye.«
»Goodbye.«
Ich kehre zurück zum Traktor, wo Fingal, Jo und Millie auf mich warten. Ich klettere wieder die Stufen hinauf in die Fahrerkabine, wo ich meinen gewohnten Platz einnehme.
Fingal braust los und fährt mich zum Urchadainn Cottage. Ich habe wirklich zwei Wochen gebraucht, um mir den Namen des Cottages merken zu können. Vor allem wird es ganz anders ausgesprochen als geschrieben.
Als wir es erreichen, bedanke ich mich fürs Fahren.
»Keine Ursache. Ich komme morgen vorbei, um die Tulpen zu bringen. Den Zaun werde ich reparieren, aber es kann sein, dass du ihn streichen musst. Für die Farbe komme ich natürlich auch auf.«
»Das werde ich schaffen.« Zwar hatte ich mir vorgestellt, mich im Urlaub auszuspannen und dem süßen Nichtstun zu frönen, aber ich merke jetzt schon wieder, wie mich die Gedanken an meine fiese Scheidung einholen. Dabei möchte ich nichts lieber, als den Mistkerl einfach zuvergessen.
Etwas Ablenkung wird mir nicht schaden. Tulpen zu pflanzen und einen Zaun zu streichen sind keine schweren Arbeiten. Wenn das Wetter einigermaßen passt, kann das recht entspannend sein.
»Kannst du mir bitte ein paar Gartenhandschuhe, Arbeitshandschuhe und einen günstigen Arbeitsoverall mitbringen?«, frage ich.
»Ich bringe alles mit und komme natürlich für die Kosten auf. Ich habe das Debakel verursacht. Tut mir echt leid. Du hast dir deinen Urlaub sicher anders vorgestellt. Wenn ich die Zeit hätte, würde ich es selbst machen, aber ich bin bis oben voll mit Aufträgen.«
»Ist nicht so schlimm. Das macht mir nichts aus.«
»Dann ist es ja gut. Ich danke dir. Wenn du es nicht schaffen solltest, springe ich abends oder am Sonntag ein.« Fingal steigt in den Traktor und wuchtet mir meinen Trolley-Koffer heraus.