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Als ich Damian Stratakos zum ersten Mal sah, habe ich keinen guten Eindruck hinterlassen. Möglicherweise lag dies daran, dass ich ihm mein Bier über den Kopf geschüttet und ihn einen verlogenen, selbstsüchtigen Bastard genannt habe. Dieses Arschloch hat meine kleine Schwester verführt, während er zuhause eine Ehefrau und zwei kleine Kinder sitzen hat. Eigentlich war es schade um mein Bier, aber bedauerlicherweise hatte ich gerade kein Jauchefass zur Hand, was ich ihm auch prompt sagte. Leider stellte sich heraus, dass ich den falschen Typen erwischt habe. Ein Unglück kommt selten allein, denn bald fand ich heraus, dass er mein neuer Boss ist. Dieser macht mir ein unfassbares Angebot, das ich nicht ablehnen kann ...
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Schönes Desaster
Evelyne Amara
Impressum
Copyright August 2019 Evelyne Amara
Coverfoto: newvave/ Fotolia/Adobe Stock (Mann), Jeff Brown Photography, Chicago, IL, JeffBrownPhoto.com/Unsplash (Background)
Coverdesign: Evelyne Amara
Kontakt(AT)evelyne-amara.com
www.Evelyne-Amara.com
Evelyne Amara
c/o Autorenservice Gorischek
Am Rinnersgrund 14/5
8101 Gratkorn
Österreich
Kapitel 1
Melaina Mitchell
»Ich hassche ihn. Möge er in der Hölle schmoren!«, sagt meine jüngere Schwester Sarah mit schwelendem Zorn im Blick. Nach dem, was sie mir erzählt hat, kann ich ihren Hass verstehen. Ich hasse ihn auch, diesen Mistkerl.
Beruhigend lege ich meine Hand auf ihre. »Es tut mir leid, was er dir angetan hat.«
»Du kannscht nichts dafür. Er isch scho’n Arsch.« Schluchzend nimmt sie einen weiteren Schluck von ihrem Guinness und verschluckt sich dabei. Ich klopfe ihr auf den Rücken, als sie hustet.
Meine Schwester ist bereits ziemlich angetrunken, was auch kein Wunder ist nach der schweren Enttäuschung, die sie erlebt hat. Ich sollte sie bald nach Hause bringen. Daher bezahle ich rasch bei der vorbeikommenden Kellnerin für unsere Drinks und gebe ihr ein Trinkgeld. Mein großes Bierglas ist noch fast voll, aber das ist egal.
Sarah ist ein Bild des Jammers. Ihre babyblauen Augen wirken vernebelt und ihr langes, naturhellblondes Haar ist unordentlich, wie ich es sonst nicht von ihr kenne. Auf ihrem hellblauen Shirt prangt ein Bierfleck.
Sarah seufzt. »Ich bin ja scho dumm und naiv geweschen. Fascht immer waren wir bei mir. Dann sah ich ihn vom Auto ausch mit dieser Frau, alsch ich Pizzscha auschgefahren hab. Er schagte schpäter, schie wäre scheine Schweschter. Doch dann schah ich schie zuschammen beim Einkaufen mit zchwei kleinen Kindern, die ihn Daddy nannten.« Missmutig verzieht sie ihre Lippen. Ihr Blick wird noch düsterer.
»So ein Arschloch. Solche Typen sollten nicht mit ihren üblen Taten davonkommen«, sage ich.
Erneut nimmt sie einen Schluck Bier, doch diesmal verschluckt sie sich glücklicherweise nicht. »In dem Moment war ich scho geschockt, ich wusschte nich’, wasch ich schagen schollte. Aber wenn ich ihn noschmal schehe, werd’ ich ihm schagen, wasch ich von ihm halte.«
»Willst du seiner Frau Bescheid sagen?«, frage ich.
»Und ’ne Familie zscherschtören?«
»Die hat er doch schon selbst zerstört.«
»Ich weißch nich’. Ich will nich’ der – hicks – Scheidungschgrund schein, schon gar nich’, wenn Kinder drunter leiden müsschen. Lieber isch’ mir, isch erwisch ihn mal allein, trete ihm gegen’sch Schienbein und verpassche ihm eine rechte Gerade. Wie er zu dem Veilschen gekommen isch’, kann er ja dann scheiner Frau erklären. Isch’ ja nich’ mein Problem. Hat er schich schelbscht zuzuschreiben, der Arsch.« Sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Mir ischt scho schlecht und schwindelig.«
»Musst du auf die Toilette?«, frage ich sie besorgt, denn sie sieht aus, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.
Sie lässt ihren Blick durch den Raum gleiten. »Toilette? Nein. Isch will nasch Hausche.«
Plötzlich erstarrt sie und sieht mich mit einem Blick an, als hätte sie einen Geist gesehen. »Da isch’ der Arsch.«
»Wo?«, frage ich alarmiert.
»Neben der Tür. Aber isch glaube isch – hicks – mussch jetscht kotschen.« Schwankend erhebt sie sich und stürmt mit bleichem Gesicht und einer Hand vor dem Mund an dem besagten Mistkerl vorbei nach draußen. Wie auch immer sie sich ein Wiedersehen mit Luca ausgemalt hat, ich bin davon überzeugt, dass es nicht so hätte sein sollen.
Der Mistkerl steht neben der Tür, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Er sieht genauso aus, wie sie ihn beschrieben hat: verboten gutaussehend, ungeheuer anziehend, dunkelhaarig, hochgewachsen, südländisch mit dunklen Augen, von denen ein Blick genügt, damit Frauen reihenweise ihre Slips fallen lassen. Ich kenne diesen Typ Mann.
Er trägt einen gut geschnittenen, grauen Anzug. Wer würde schon in solch einem Aufzug in ein Pub gehen als ein Mr. Wichtig? Allerdings sieht er darin wirklich atemberaubend aus, und seine Ausstrahlung ist in den Bann ziehend. Ich kann nicht beschreiben, was es wirklich ist, was mich anzieht, aber es ist mehr als nur das Aussehen. Er verströmt Charisma und eine Aura der Maskulinität. Ohne Zweifel ist er ein gefährlicher Mann.
Als hätte er gespürt, dass ich ihn beobachte, begegnet sein Blick dem meinen. Es ist, als würde ein elektrischer Strom durch mich hindurchjagen. Seine Macht über Frauen ist unglaublich.
Jetzt verstehe ich, warum Sarah auf ihn hereingefallen ist und sich so verdammt schwertut, über ihn hinwegzukommen. Wie könnte man einen Mann wie ihn vergessen?
Meine arme kleine Schwester! Sie ist alles, was ich habe. Mit unserem familiären Hintergrund werden wir offenbar leichter Opfer solcher Typen. Das darf ich nicht zulassen. Wir dürfen uns nichts gefallen lassen und müssen zurückschlagen.
Beherzt greife ich nach meinem fast noch vollen Guinness-Glas. Es handelt sich um eines dieser großen, die etwas mehr als einen halben Liter fassen mit einer goldenen Harfe darauf. Mit diesem in der Hand stürze ich auf das widerliche Arschloch zu und schütte ihm mein gesamtes Bier über den Kopf. Eigentlich ist es schade um das Gebräu.
Verdutzt sieht er mich an.
»Das ist für Sarah, du verlogener, selbstsüchtiger Bastard«, fauche ich ihn an.
Verwundert zieht er die Augenbrauen zusammen. »Wer ist Sarah?«
»Du weißt nicht mal mehr ihren Namen? Ist das zu fassen?« Ich rede mich in Rage. »Eigentlich ist es schade um mein Bier, aber leider hatte ich gerade kein Jauchefass oder einen Pisspott zur Hand. Das wäre angemessener gewesen.« Ich stelle das Glas auf der Fensterbank neben der Tür ab und stürme aus dem Pub. Keinen Augenblick will ich länger in der Nähe dieses aufgeblasenen Arschlochs verbringen.
Draußen sehe ich Sarah, die sich soeben übergeben hat. Sie sieht leichenblass aus. Luca ist es nicht wert, dass es ihr so schlecht geht. Kein Mann dieser Welt ist das wert.
»Mir ischt scho übel.« Sie schwankt, sodass ich sie um die Hüfte fasse. Zum Glück ist sie ein Leichtgewicht und bis zur nächsten Bushaltestelle ist es nicht weit. Gerade noch erwischen wir den nächsten Bus, der uns zu Sarahs Wohnung bringt.
Als ich aus dem Rückfenster des fahrenden Busses blicke, sehe ich Luca, das Riesenarschloch. Hinter ihm steht eine heiße, dunkelhaarige Braut mit endlos langen Beinen. Entweder ist sie ebenfalls eine seiner Eroberungen oder seine nichtsahnende Ehefrau. Ich strecke ihm die Zunge raus und zeige ihm den Mittelfinger. Da, du Arschloch, jetzt hast du, was du verdienst!
Meine Befürchtung, dass Sarah sich im Bus übergibt, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht. Wenn ich das nächste Mal mit ihr ausgehe, packe ich mir ein paar Kotztüten in die Handtasche. Allerdings hoffe ich, dass wir diese nie brauchen werden, zumindest nicht wegen eines Typen, sondern nur, weil wir einfach nur Spaß miteinander hatten. Den kann man allerdings auch ohne zu viel Alkohol haben. Dann fühlt man sich am nächsten Tag nicht so mies.
Ich helfe ihr die Stufen aus dem Bus hinunter auf die Straße und begleite sie in das Hochhaus, in dem sie wohnt.
Die nächste Hürde, den Aufzug, überstehen wir ohne weitere Zwischenfälle, doch dann müssen wir eilig ihre kleine Wohnung aufsuchen, wo sie gleich ins Bad stürzt, um sich ein weiteres Mal zu übergeben.
Ich setze mich neben sie und halte ihr das Haar aus dem Gesicht.
»Diescher Arsch issesch nich’ wert, dassch ich mich scho miesch fühle«, lässt sie undeutlich vernehmen.
Ich helfe ihr beim Aufstehen, Ausziehen und Duschen. Dann bringe ich sie ins Bett und bringe ihr ein Glas und eine Flasche stilles Wasser. Das Glas befülle ich ihr gleich und lasse sie ein paar Schlucke trinken.
»Danke«, sagt sie.
»Ich habe Luca mein Bier über den Kopf geschüttet.«
»Dasch hatte er verdient.«
Ich nicke. »Ja, das hatte er.«
Zärtlich blicke ich ihr blasses Gesicht an. Sie sieht zart aus wie eine Elfe. Sie hat was Besseres verdient als jemanden wie Luca.
Mit Männern haben wir offenbar beide nicht viel Glück.
Kapitel 2
Damian
Ich warte auf meine Schwester Anastasia. Warum brauchen Frauen immer so lange auf der Toilette? Dabei ist sie doch heute die einzige Frau in meiner Gesellschaft. Man sollte meinen, dass sie daher weniger Zeit dafür benötigt. Ich habe keine Ahnung, was Frauen gemeinsam auf der Toilette treiben. Ich weiß, das ist der Gegenstand schmutziger Männerfantasien – natürlich nur bei anderen Frauen und nicht bei meiner Schwester –, aber ich befürchte, die Wahrheit ist weitaus banaler, als ich mir das vorstellen kann.
Dachte ich gerade an schmutzige Männerfantasien? Eine heiße Blondine in einem figurbetonten, aber nicht zu engen oder allzu offenherzigen, langen, türkisen Kleid sitzt an einem der Tische in der Nähe. Als sich unsere Blicke begegnen, spüre ich eine eigenartige Anziehungskraft. Ohne Zweifel ist sie attraktiv mit einem ebenmäßigen Gesicht, grünblauen Augen und vollen Lippen. Ihr Haar ist nicht von diesem meist gebleichten Hellblond, sondern ein dunklerer Ton, der mich an wilden Honig erinnert. Ihr Blick ist irgendwas zwischen verrucht und unschuldig.
Ein Knistern liegt in der Luft. Ich bin mir sicher, dass sie es ebenfalls spürt. Sie ist eine Schönheit, aber es ist mehr als das. Schöne Frauen gibt es zur Genüge. Viele schmeißen sich mir an den Hals, was mich abtörnt.
Schönheit ist vergänglich. Eine Frau mag die Blicke eines Mannes dadurch auf sich ziehen, aber ihre Persönlichkeit ist es, die uns wirklich fesselt, anzieht und bleiben lässt, die unsere Seele berührt. Zumindest ist das bei einigen anderen Männern der Fall. Bei mir nicht mehr …
Sie greift nach ihrem Bier und kommt mit einem Hüftschwung auf mich zu, bei dem mir schwindelig werden könnte. Sie besitzt das gewisse Etwas, diese in den Bann ziehende Ausstrahlung. Ich schlucke, da meine Kehle trocken geworden ist.
Erwartungsvoll lächle ich sie an, doch mein Lächeln gefriert mir auf dem Gesicht, als sie plötzlich ihr Bier über mich schüttet. Fassungslos starre ich sie an. Damit habe ich nicht gerechnet. Die kalte Flüssigkeit rinnt mir über die Kopfhaut, die Ohren und in den Kragen meines Hemdes. Ich spüre, wie sie meine Anzugjacke und mein Hemd durchnässt.
Den Anzug trage ich noch, weil ich direkt nach der Arbeit in den Flieger gestiegen bin. Meine Schwester hat, als sie mich vom Flughafen abgeholt hat, den Vorschlag gemacht, uns ein wenig in einen Pub zu setzen, damit ich mich von der Arbeit entspannen kann bei einem gemütlichen Glas Bier. So bin ich in The Drunken Leprechaun gelandet, einem der angesagtesten Irish Pubs von ganz Portland.
Das mit der Erholung läuft heute wohl nicht so wie geplant …
Die heiße Blondine beschimpft mich mit den wüstesten Worten. Was habe ich getan, um ihren Zorn zu erregen? Wie gut sie aussieht, wenn sie wütend ist. Erst nach einigen Augenblicken bemerke ich, dass mein Blick wieder von selbst zu ihrem Ausschnitt gewandert ist, wo ich den Ansatz ihrer bemerkenswerten Brüste sehen kann.
Warum sagt sie etwas von einer Sarah? Ich kenne keine Sarah.
Sie scheint mich mit jemandem zu verwechseln. Kennen wir uns irgendwoher? Nein, an dieses Gesicht würde ich mich erinnern. Sie ist in der Tat unvergesslich. Und an eine Sarah erinnere ich mich ebenfalls nicht.
»Wer ist Sarah?«, frage ich verwundert, nur damit sich ein weiterer Schwall von Schimpfwörtern über mich ergießt.
Ich will ihr etwas Passendes antworten, denn solche Unverschämtheiten lasse ich natürlich nicht auf mir sitzen, egal, wie gut diese Verrückte aussehen mag, da rauscht sie an mir vorbei und stürzt zur Tür hinaus.
Eine Kellnerin mit ›Laura‹ auf ihrem Namensschild reicht mir einen Stapel Papierservietten. Fassungslos schüttle ich den Kopf und tupfe mit den Servietten vorsichtig das Bier von meinem Jackett. Das dürfte hinüber sein. Ein Prada-Anzug geht zum Teufel wegen einer höllisch heißen, aber leider vollkommen durchgeknallten Frau.
Schade, dass die heißesten Frauen betrunken, verrückt oder gar beides sind.
In dem Moment taucht meine Schwester Anastasia auf. Sie trägt ein kleines Schwarzes und dazu smaragdgrüne High Heels. Wie stets zieht sie die Männerblicke magisch an mit ihrer tollen Figur und dem langen, schwarzen, welligen Haar. Sollte einer von den starrenden Männern auf die Idee kommen, sie zu belästigen, kann er sich schon mal seinen Sarg bestellen.
Entgeistert sieht sie mich an. »Was ist denn dir passiert? Hast du etwas zu hastig getrunken?«
»Irgendeine verrückte Tussi hat mir ihr Bier über den Kopf geschüttet.«
»Na, sie wird sicher ihre Gründe dafür haben. Vielleicht war sie eine deiner Eroberungen, der du das Herz gebrochen hast.«
»Mitnichten. Ich kenne diese Frau überhaupt nicht. Ich habe sie nie zuvor gesehen. Außerdem breche ich niemandem das Herz. Jede weiß, woran sie bei mir ist.«
Anastasia seufzt und sieht mich nachdenklich aus ihren großen, dunklen Augen an. »Viele, wenn nicht gar die meisten Frauen entwickeln früher oder später Gefühle, wenn sie mit einem Mann schlafen.«
Zweifelnd sehe ich sie an. »Ach, tatsächlich?« Da kenne ich aber eine Frau, bei der das ganz sicher anders war …
»Du solltest langsam über Cassia hinwegkommen.«
Kann meine Schwester eigentlich Gedanken lesen?
»Ich bin über sie hinweg. Außerdem will ich diesen Namen nie mehr hören«, sage ich heftiger als geplant.
»Ja, genau, dass du über sie hinweg bist, merke ich an deinem Tonfall und an der Tatsache, dass du ihren Namen nicht mehr hören willst.«
»Denke, was du willst. Diese Frau ist für mich erledigt.«
»Das mag sein, aber lass dir dein Leben nicht von ihr ruinieren.«
»Habe ich nicht vor.«
Ich entschuldige mich bei meiner Schwester und verlasse den Pub, da ich die Verrückte noch erwischen will, die mir meinen teuren Anzug ruiniert hat. Ungeschoren kommt mir das irre Weibsbild nicht davon. Da hat sie sich mit dem Falschen angelegt.
Leider habe ich zu lange mit Anastasia geredet, denn ich sehe nur noch die Rücklichter des Busses und das dreiste Grinsen der sexy Bierverschütterin durchs Fenster. Dann streckt sie mir auch noch die Zunge heraus und ich kann deutlich im Licht der Straßenlaterne ihren ausgestreckten Mittelfinger erkennen. So eine Unverschämtheit!
Ich stoße einen Schwall wüster griechischer Schimpfwörter aus.
Hinter mir vernehme ich das Klackern von Anastasias hohen Absätzen. »Tja, mein Lieber, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Ein Lächeln umspielt ihre Lippen.
»Dir gefällt das auch noch?«, frage ich.
Sie zuckt mit den Achseln. »Es war amüsant. Tröste dich, Bier soll gut sein fürs Haar.«
»Das bezweifle ich.«
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Und du kanntest sie wirklich nicht?«
»Noch einmal: Ich habe mit dieser Frau nicht geschlafen.«
»Du kannst dich nicht mal mehr daran erinnern. Das macht es noch schlimmer.«
»Glaube mir, diese Frau hätte ich nicht vergessen.«
Anastasia grinst. »Dass sie heute einen unvergesslichen Eindruck auf dich gemacht hat, glaube ich gern.«
»Oh, Anastasia, es nimmt mal ein schlimmes Ende mit dir.«
»Das hat es bereits. Ich bin mit deinem besten Freund verheiratet.«
»Das sage ich deinem Mann.«
»Das weiß er bereits.«
»Frauen!«
»Lass uns nach Hause fahren. Du siehst aus wie ein begossener Pudel und riechst wie ein Bierfass.«
»Danke für das Kompliment. Dafür wird sie mir büßen«, sage ich mit grimmiger Stimme.
»Falls du sie erwischst.«
»Vielleicht kennt Liam sie. Ich werde nochmal kurz hineingehen und ihn fragen.«
Leider kennt Liam, der Inhaber des Pubs, sie nicht persönlich und weiß ihren vollen Namen und ihre Adresse nicht. Allerdings sucht sie das Pub gelegentlich auf. Es wäre also möglich, dass ich ihr dort nochmals begegne. Dann wird das Luder bezahlen.
Kapitel 3
Melaina
Eigentlich sollte man meinen, dass es nicht mehr schlimmer werden kann, wenn man mit einem Katzenarsch vor dem Gesicht aufwacht. Vor allem, wenn das Vieh Blähungen hat.
Doch es kam tatsächlich noch schlimmer: Ich habe verschlafen, was mir lange nicht mehr passiert ist. Ausgerechnet heute muss mir das passieren. Es ist der erste Tag, an dem der neue Boss zu uns kommt, der unsere Firma aufgekauft hat. Wenn das Katzenvieh nicht auf mir herumgetrampelt wäre, hätte ich vermutlich noch viel länger geschlafen.
Das Wochenende war anstrengend. Ich habe meiner kleinen Schwester beistehen müssen. Ich habe sie aufgemuntert und aufgebaut und gestern Abend mit einer 300g-Notfall-Tafel Milchschokolade in ihrer Wohnung zurückgelassen.
Jetzt, da ich sie endlich habe rächen können, scheint es ihr besser zu gehen. Sie ist zu dem Entschluss gekommen, dass sie sich noch einmal mit Luca treffen muss, auch wenn sie ihn eigentlich nie mehr wiedersehen will. Um wirklich mit ihm abschließen zu können, muss sie ihm persönlich gegenüberstehen und ihm sagen, was für ein selbstsüchtiges Arschloch er ist. Dass ich es ihm bereits gesagt habe, reicht leider nicht, und sie selbst war am Freitagabend leider nicht mehr dazu in der Lage.
Ich gebe Marty Trockenfutter und frisches Wasser und springe anschließend rasch unter die Dusche, bevor ich mir die am Vorabend herausgelegte Kleidung anziehe. Mit dem grauen Rock und der weißen Bluse zu schwarzen Ballerinas sähe ich verdammt professionell aus, hätte ich nicht diese Hektikflecken im Gesicht.
Hastig betupfe ich meine Haut mit etwas Make-up. Von Gesichtspuder oder Rouge bekomme ich bedauerlicherweise Pickel und Mitesser. Ich trage Mascara auf. Das muss heute reichen. Zu mehr bleibt mir keine Zeit.
Ich schnappe mir meinen Schlüssel, mein Handy und meine Handtasche und eile zur Tür hinaus.
Ich unterdrücke die in mir aufsteigende Panik und hetze zur nächsten Bushaltestelle. Schnaufend haste ich die Stufen hinauf in den Bus, zeige meine Dauerkarte vor und suche mir einen Sitzplatz nahe der Tür, damit ich möglichst schnell wieder hinaus sprinten kann.
Die Fahrt kommt mir endlos lang vor.
Während ich nervös auf meine Armbanduhr schaue, frage ich mich, was der Kater meiner Mitbewohnerin Cindy eigentlich gestern Abend gefressen hat. Eigentlich müsste er Farty (Furzi) heißen anstatt Marty. Das ist doch schon innere Verwesung.
Endlich erreiche ich das Firmengebäude, das sich in einem Wolkenkratzer in der Stadtmitte befindet. Es ist ein hoch aufragendes Gebäude aus Glas, Beton und Stahl.
Das großzügige Foyer ist mit hellgrauem Granit ausgelegt. Freundlich grüße ich den Pförtner, als ich meine Chipkarte am modernen Zeiterfassungssystem durchziehe und mich durch das Drehkreuz begebe. Ich hetze zum nächsten Aufzug, wo ich zusammen mit zwei Frauen einsteige. Beide verlassen vor mir den Aufzug, während ich weiter bis zum dreißigsten Stockwerk fahre.
Ich schlucke, als ich auf meine Armbanduhr schaue. Ich bin fast anderthalb Stunden zu spät. Um acht Uhr hätte ich mich dort einfinden müssen. Schließlich bin ich die Assistentin der Geschäftsleitung. Dass ich diese Position bei Baker and Daughter Property Management seit vier Monaten innehabe, ist dem puren Glück zu verdanken. Ursprünglich war die Stelle auf ein viertel Jahr befristet wegen einer Schwangerschaftsvertretung, weswegen es nur wenige Bewerberinnen gab, die zudem kurzfristig verfügbar waren.
Wie gewonnen, so zerronnen, denn ich befürchte, dass ich nicht mehr lange hier sein könnte.
Ausgerechnet an seinem ersten Tag muss mir das passieren. Und das bei meiner Vorgeschichte … Jahrelang habe ich in der Kanzlei Brown & Dopkins gearbeitet, wo ich auch ausgebildet wurde. Ich wurde unehrenhaft entlassen, weil mein Gerechtigkeitsempfinden größer war als mein Selbsterhaltungstrieb. Dabei war mein Gerechtigkeitsempfinden der Grund, warum ich diesen Beruf ergriffen habe, und ich habe ihn geliebt. Einige der Mandanten und Kollegen fehlen mir heute noch.
Nach allem, was geschehen war, darf ich froh sein, diesen Job bekommen zu haben, was wohl an meiner alten Chefin lag, die etwas in mir gesehen hat, was andere nicht sahen, und mir eine Chance hatte geben wollen. Eine Chance, die ich auf dem besten Weg bin zu vergeuden.
Ich stelle meine Handtasche hinter meinem Schreibtisch im Vorzimmer ab, da vernehme ich Schritte. Ich werde mir seiner männlichen Ausstrahlung bereits bewusst, bevor ich ihn sehe. Nicht nur umgibt ihn eine Aura der Maskulinität, sondern auch der Macht und Autorität. Ich schlucke.
»Da sind Sie ja endlich. Treten Sie ein.« Seine Stimme ist tief und leicht rau.
Als ich den Blick hebe, sehe ich ihn zuerst von hinten in seinem Büro stehen und in einer Projektmappe lesen. Er ist groß, dunkelhaarig und besitzt breite Schultern. Unter dem gut geschnittenen Anzug erkenne ich trainierte Arme.
Er hat den Raum umdekorieren lassen. Mrs. Porters alte Möbel sind nicht mehr hier, und die hellblauen Wände wurden umgestaltet. Jetzt beherrschen Glas, Granit, Ebenholz und cremeweiße Wände mit Kunstdrucken den Raum. Es riecht nach frischer Farbe, aber ich vernehme auch den leichten Hauch eines männlichen Aftershaves.
Als mein neuer Boss sich zu mir umdreht und die Projektmappe weglegt, trifft mich der Schlag. Schockiert starre ich ihn an. Ich kenne diesen Mann.
»Luca«, kommt mir sein Name über die Lippen.
Er starrt mich so entgeistert an, wie ich mich fühle. »Sie? Wie kommen Sie hier rein?«
»Ich arbeite hier.«
Er verengt seine Augen zu Schlitzen. »Ich heiße nicht Luca.«
Empört sehe ich ihn an. »Dann haben Sie sich also unter einem falschen Namen ausgegeben.«
»So etwas habe ich nicht nötig. Sagen Sie bloß, Sie sind meine persönliche Assistentin.«
»Die bin ich.«
»Nennen Sie mir einen Grund, warum ich Sie nicht auf der Stelle entlassen sollte.«
Mir bricht der kalte Schweiß aus. »Weil ich gut bin in meinem Job, zuverlässig und bereit zu Überstunden und beständiger Weiterbildung.«
Abschätzend gleitet sein Blick über mich. »Ich kann keine verrückte Assistentin gebrauchen, die mir bei der nächsten Gelegenheit Bier oder gar heißen Kaffee über den Kopf schüttet. Sie sind noch nicht lange hier. Jemanden anzulernen erscheint mir dagegen weniger stressig.«
Panik steigt in mir hoch. In Gedanken sehe ich mich schon an einer Autobahnraststätte die Aschenbecher ausleeren. So würde meine berufliche Zukunft aussehen. Meine Träume wären dahin. Die Frage ist allerdings, ob ich überhaupt für jemanden wie Luca arbeiten will. Oder sollte ich besser sagen Mr. Stratakos, denn so heißt der Unhold mit wirklichem Namen. Es gibt nichts Wichtigeres als Gerechtigkeit. Deswegen habe ich ursprünglich den Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten gewählt, auch wenn dann alles anders kam, als ich mir das vorgestellt habe.
»Sie sagen gar nichts mehr«, meint er.
»Was soll ich dazu sagen, außer dass sie es verdient hatten, dass ich Ihnen das Bier über den Kopf geschüttet habe, Luca!« Verächtlich betone ich seinen falschen Namen. »Sie haben meine kleine Schwester verführt und fallengelassen. Sie haben ihr alles Mögliche versprochen, eine gemeinsame Zukunft, Kinder, ein Haus im Grünen. Dabei sind Sie bereits verheiratet und haben zwei kleine Kinder.«
Wütend starrt er mich an. »Weder bin ich verheiratet noch habe ich Kinder. Es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, Frauen mit Lügen oder Manipulationen ins Bett zu locken. Ich habe es nicht nötig, mich auf solche widerwärtigen, verlogenen Spielchen herabzulassen. Ich frage mich, wie Sie es wagen können, mich so etwas zu bezichtigen.« Seine schönen Gesichtszüge sind vor Zorn verzerrt.
»Meine Schwester hat Sie erkannt und mich auf sie aufmerksam gemacht.«
Fragend hebt er eine beinahe schwarze Augenbraue. Für einen Mann ist er schön, fast schon zu schön, ohne dass es seine Männlichkeit schmälert. »Ach tatsächlich. Hat sie das?«
»Ja, ob Sie es glauben oder nicht.«
»Vermutlich fand sie mich einfach heiß. Das tun viele Frauen.«
Muss er so ein arroganter Schnösel sein? »Sie war verdammt wütend auf Sie, und ich war das auch. Oder besser gesagt: Ich bin es noch. Für Ihr Verhalten gibt es keine Entschuldigung. Wenn Sie angeblich nicht verheiratet sind, wer war dann die gutaussehende Dunkelhaarige in dem schwarzen Kleid?«
Mr. Stratakos zieht die Augenbrauen zusammen und starrt mich böse an. »Das war meine Schwester.«
Mir kommt fast die Galle hoch bei diesen Worten. »Ihre Schwester? Dass ich nicht lache! Denken Sie sich eine bessere Ausrede ein. Die hatten wir schon.«
»Nochmal: Ich bin nicht Luca. Ihre Schwester hat mich verwechselt. Hat sie auf mich gedeutet oder Ihnen ein Foto von mir gezeigt?«, fragt er mit einem zynischen Grinsen.
Was daran findet er so amüsant?
»Nein, aber sie erstarrte vor Schreck, als sie bemerkte, dass Sie sich im Pub aufhielten. Sie wies mich auf Ihre Anwesenheit hin.« Ich kann ihm ja wohl kaum ihre damals geäußerten Worte wiederholen: Da ist der Arsch. Das käme jetzt nicht so gut.
»Ich muss zugeben, dass ich normalerweise andere Reaktionen von Frauen gewohnt bin. Und Sie haben mich dann also erkannt, obwohl wir uns noch nie zuvor persönlich begegnet sind?«
Ich nicke. »Natürlich hat sie mir von Ihnen erzählt, auch wenn Sie es immer geschickt umgangen haben, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen. In den Wochen zuvor hat sie mir Sie als einen verdammt gutaussehenden, sehr anziehenden, dunkelhaarigen, hochgewachsenen, südländischen Mann mit dunklen Augen und einer magnetischen Anziehungskraft beschrieben. Und sie sagte, Sie würden direkt bei der Tür stehen.«
Habe ich tatsächlich gerade zugegeben, dass ich mich zu ihm hingezogen fühle? Am liebsten würde ich im Boden versinken.
Seine Augen funkeln. »Das trifft alles auf mich zu, aber es mag Ihnen entgangen sein, dass es außer mir noch andere Personen griechischer Abstammung in Portland gibt und mehr als eine Tür in diesem Pub existiert.«
Erschrocken starre ich ihn an. Die Hintertür. Wie hatte ich die vergessen können? Vermutlich, weil ich sie nie benutze und nicht oft in diesem Pub bin. Mir schwant Übles. Offenbar habe ich mich ganz tief in die Scheiße geritten.
Wie paralysiert zücke ich mein Handy und rufe meine Schwester an, deren Nummer ich zum Glück eingespeichert habe. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich mit meinen zitternden Händen jetzt in der Lage wäre, eine Nummer einzugeben.
»Hi, was gibt es?«, fragt sie.
»Hi. Es tut mir leid, dass ich dich fragen muss, aber hat Luca am Freitagabend an der Vorder- oder an der Hintertür des Irish Pubs gestanden?«
»Er befand sich an der Hintertür.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragt Sarah, als ich in Schockstarre einige Augenblicke lang schweige.
»Nein. Ja. Es geht schon«, stammle ich.
»Oh, Melaina, sag mir bitte nicht, dass du dem falschen Mann dein Bier über den Kopf geschüttet hast?«
Ich schlucke. »Ich befürchte, genau das habe ich getan.«
»Es macht nichts. Ich habe Luca gestern Abend noch angerufen und einen Termin mit ihm ausgemacht. Dieser eingebildete, aufgeblasene Arsch denkt doch tatsächlich, ich will ihn zurückhaben und halte ihn für unwiderstehlich, aber da wird er sich irren. Ich werde ihm eine Szene machen, an die sich alle im Lokal noch nach Jahren erinnern werden. Ich denke, dass es mir danach viel besser gehen wird und ich endlich mit ihm abschließen kann.«
»Das wünsche ich mir für dich.«
»Danke, Sis. Ich muss jetzt weiterarbeiten.«
»Tut mir leid, dich gestört zu haben.«
»Nein, ist schon okay. Man sieht sich. Mach’s gut.«
»Mach’s du auch gut, Liebes.« Ich lege auf und starre ratlos mein Handy an. Dann nehme ich meinen Mut zusammen und sehe Mr. Stratakos in die in den Bann ziehenden, dunklen Augen. Eigentlich hatte ich erwartet, darin Spott oder Genugtuung zu sehen, doch ich kann den Ausdruck darin nicht deuten.
Ich spüre heiße Schamröte in meine Wangen aufsteigen. »Es tut mir leid. Ich habe Sie verwechselt. Die Reinigung für Ihren Anzug werde ich natürlich bezahlen oder den Anzug ersetzen, falls die Reinigung nichts mehr bringen sollte.«
»Er war aus Schurwolle. Und er war von Prada. Ich würde sagen, Sie schulden mir 2.500 Dollar.«
Du meine Güte. Ich habe keine 2.500 Dollar. Das Wohnen hier in der Stadt ist selbst mit einer Mitbewohnerin mit furzender Katze verdammt teuer, und die Arbeitslosigkeit nach meinem letzten Jobverlust hat sämtliche Ersparnisse aufgebraucht. Hinzu kommt, dass ich in der Anwaltskanzlei ohnehin mies bezahlt wurde. Eigentlich hätte ich schon allein aus diesem Grund den Job wechseln sollen. Nur bezahlen viele Anwälte schlecht, und es war bis vor nicht allzu langer Zeit noch mein Traumberuf.
»Kann ich das auch in Raten abbezahlen? Sie können mir das natürlich auch vom Gehalt abziehen«, sage ich und überlege, wo ich auf die Schnelle einen Nebenjob auftreiben kann, der sich mit meinen Arbeitszeiten verträgt. Falls ich mir über Letzteres überhaupt noch Gedanken machen muss. Bestimmt schmeißt er mich jeden Moment raus. Es überrascht mich, dass er es noch nicht getan hat.
»Ich werde es mir überlegen. Und jetzt erklären Sie mir, warum Sie zu spät gekommen sind. Ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung dafür.« Aus zu engen Schlitzen geformten Augen sieht er mich an.
Ich schlucke. Verdammt, das ist einfach nur eine seltsame Story. »Also, es war so: Die Katze meiner Mitbewohnerin hat in eine Steckdosenleiste gekotzt, wodurch die Sicherung herausgeflogen ist und mein Wecker nicht mehr funktioniert hat.« Ich sollte mir definitiv einen dieser Wecker mit Notfall-Batterie besorgen …
Der Zorn auf Mr. Stratakos’ Gesicht weicht einem Ausdruck von Unglauben und dann Belustigung. Es ist faszinierend, wie anders er aussieht, wenn er lacht, auch wenn er offenbar über mich lacht. Seine Gesichtszüge verwandeln sich. Waren sie zuvor wie aus Granit gemeißelt, so sind sie nun weicher, fast ein wenig jungenhaft. Sein Lachen erreicht die faszinierenden, dunklen Augen. Es klingt kehlig, tief und ungeheuer erotisch. Die sinnliche Ausstrahlung dieses Mannes zieht mich in ihren Bann.
Damian
Es ist nicht meine Absicht, die Frau auszulachen, aber ich kann nicht anders. Diese Ausrede ist einfach zu schräg. Das glaubt sie ja wohl selbst nicht. Eine geübte Lügnerin scheint sie mir jedenfalls nicht zu sein. Irgendwie finde ich das erfrischend, denn ich bin ganz andere Kaliber von falschen, manipulativen Personen gewohnt, wie man ihnen eben im Geschäftsleben und leider auch privat begegnet. Cassia war eine von ihnen. Jedes Wort, das aus ihrem Mund gekommen war, diente der Lüge und Manipulation, und sie war verdammt gut darin, sodass sie sehr viele Menschen über längere Zeiträume hinwegtäuschte. Die Erinnerung an sie lässt mich stutzig machen.
»Eine bessere Ausrede ist Ihnen wohl nicht eingefallen?«, frage ich.
Sie wirkt so aufrichtig verwirrt und verwundert, dass ich ihr die Scharade beinahe abnehmen könnte. Beinahe, denn Cassia konnte sich ebenso unschuldig und überrascht geben …
»Was heißt hier Ausrede? Das hat man davon, wenn man die Wahrheit sagt. Man wird ausgelacht, und es wird einem nicht geglaubt.«
»Sie werden zugeben, dass Ihre Story äußerst abstrus ist.«
Sie schluckt. »Das muss ich wohl zugeben.«
Ich betrachte die Frau vor mir, die mit ihrer gestärkten, weißen Bluse, dem hellgrauen Bleistiftrock und den schwarzen Ballerinas immer noch dieselbe umwerfende Wirkung auf mich ausübt wie an jenem Abend im Pub. Natürlich kann ich mich beherrschen. Sonst wäre ich nie so weit gekommen. Man erreicht nicht Positionen dieser Macht, wenn man seine Triebe nicht unter Kontrolle hat. »Ich frage mich, ob Sie so naiv sind …« Bewusst lasse ich den Rest meines Satzes im Raum stehen, um sie zu testen.
Ihre smaragdgrünen Augen scheinen vor Zorn regelrecht Blitze auf mich abzufeuern. »Ich mag bisweilen naiv sein, aber ich bin nicht dumm. Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt.«
»Nur weil man etwas wiederholt, wird es dadurch nicht wahrer.« Die ständige Wiederholung war eine von Cassias Taktiken. Leute tendieren dazu, häufiger Gehörtes unbewusst irgendwann zu glauben. Ich habe ja schon alles Mögliche erlebt. Einige Frauen stellen sich bewusst dümmer und hilfloser an, als sie eigentlich sind, um die Hilfsbereitschaft und das Mitgefühl ihrer Mitmenschen auszunutzen.
Von der Sorte bin ich während der dreißig Jahre meines Lebens schon einigen begegnet. Als Mann ist man besonders gefährdet, wenn eine Frau den natürlichen Beschützerinstinkt manipulativ ausnutzt. Man muss mit allem rechnen …
Fassungslos sieht sie mich an. Sie ist gut, sehr gut, das muss man ihr lassen. Beinahe wäre ich darauf hineingefallen. »Sie denken doch nicht ernsthaft, ich hätte mir so etwas ausgedacht?«
»Natürlich denke ich das. Sie wollen an Ihrem ersten Tag nicht schlecht dastehen.«
»Dann hätte ich mir etwas Glaubhafteres ausgedacht.«
»Davon geht man aus. Aber vielleicht haben Sie bewusst mit der Erwartungshaltung gebrochen, weil man denkt, so eine haarsträubende Story würde sich niemand ausdenken. Die muss echt sein.«
»Dann schmeißen Sie mich doch raus. Warum bin ich überhaupt noch hier?«
»Weil ich so etwas nicht überstürzen, sondern mir erst die innere Dynamik der Firma ansehen will.«
»Wenn Sie mich für eine Lügnerin halten, sollten Sie mich aber hinausschmeißen.«
»Ich habe Sie nie als Lügnerin bezeichnet, aber Sie werden verstehen, dass ich Zweifel an Ihrer Story habe. Sie klingt nicht gerade glaubhaft, und Sie sind eine Fremde für mich.«
»Dann rufen Sie doch meine Mitbewohnerin an. Die wird Ihnen bestätigen, dass ihre Katze ständig alles Mögliche frisst und dann in der Gegend herum kotzt.«
Schmunzelnd blicke ich sie an. »Sie sollten sich Steckdosenleisten für den Außenbereich mit Abdeckungen kaufen.« Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Sie machen sich über mich lustig.«
»Das ist lustig.«
Empört sieht sie mich an. »Ja, aber nur wenn man nicht selbst eine kotzende und furzende Katze zuhause hat.«
»Ja, wohl nur dann. Ich bin wohl eher der Hundetyp. Furzend?«
Sie nickt vehement. »Ja, das Vieh hat auf mir herumgetrampelt und mich mit einem Furz ins Gesicht geweckt.«
Wieder kann ich vor Lachen nicht mehr an mir halten. Diese Frau ist einfach zu köstlich.
Entrüstet sieht sie mich an. »Hey, das ist nicht lustig.«
»Für mich schon. Schließen Sie eben abends Ihre Tür.«
»Das Vieh kann Türen aufmachen.«
»Dann schließen Sie eben ab.«
»Für diese Tür haben wir keinen Schlüssel. Außerdem ist meine Wohnung im Erdgeschoss. Wenn ich im stickigen Hochsommer das Fenster aufmache, kommt sie dort rein. Einmal hatte ich es geschlossen und sie hat es nicht rechtzeitig bemerkt und ist gegen die Scheibe geknallt.«
Ich kann nicht mehr. Wenn sie so weitermacht, pinkle ich mir noch vor Lachen in die Hose. »Wie heißt denn das Tier?«, frage ich, als ich wieder sprechen kann.
»Farty äh Marty.«
»Farty wäre passender.«
Sie nickt. »Da dürften wir einer Meinung sein.«
»Lassen Sie uns nun die Projekte durchsehen.«
Verwundert sieht sie mich an. »Sie schmeißen mich also nicht raus?«
»Heute nicht.«
»Haben Sie es denn vor?«, fragt sie.
»Wenn Sie mir meinen Anzug ersetzen, möglicherweise nicht. Sie sind sehr unterhaltsam. So gelacht habe ich lange nicht mehr.«
In der Tat möchte ich eine Nacht darüber schlafen, bevor ich diese Entscheidung treffe. Zwar habe ich mir die Unterlagen der Firma angesehen, aber von den alltäglichen Dingen weiß ich noch nicht allzu viel.
Ms. Mitchell war immerhin die rechte Hand der vorherigen Firmenbesitzerin Mrs. Porter, der Tochter des Gründers Mr. Baker. Nachdem Mrs. Porters Schwester kein Interesse an der Firma zeigte und sie selbst eine kinderlose, unglückliche Ehe hinter sich hatte, gab es keinen Nachfolger für die Firma, weswegen sie sie an mich verkaufte.
»Sie wollen mich also als Pausenclown weiterbeschäftigen?«, fragt Ms. Mitchell, die einen verdrossenen Eindruck macht.
»Glauben Sie mir, für so etwas habe ich kein Budget, aber wenn Sie das Büro in den Arbeitspausen mit Schwänken aus Ihrem Leben unterhalten möchten, so bin ich ganz Ohr.« Wieder stiehlt sich ein Grinsen auf mein Gesicht.
Als wir miteinander die Unterlagen durchgehen und sie mir die Besonderheiten der Projekte aufzählt, fällt mir auf, wie angenehm es ist, mit ihr zu arbeiten. Fast ist es, als wären wir bereits ein eingespieltes Team. Zumindest in dieser Hinsicht scheinen wir auf einer Wellenlänge zu liegen.
Wäre nicht diese unheilvolle Anziehungskraft, die ich gar nicht gebrauchen kann … Vor allem, da ich nicht weiß, ob ich ihr vertrauen kann, aber ich vertraue grundsätzlich nur sehr wenigen Personen, und das hat auch seine Gründe …
Vor allem werde ich Steckdosenleisten nie wieder mit denselben Augen betrachten …
Kapitel 4
Melaina
Nach dem anstrengenden Arbeitstag gehe ich in den Walmart, wo ich mir eine neue Steckdosenleiste und ein paar Lebensmittel besorge.
Mit zwei vollgepackten Einkaufstaschen komme ich zu Hause an.
Ich begrüße meine Schwester und meine Mitbewohnerin. Cindy hat montags immer frei. Sie arbeitet in einer Bar an der Theke. Sie trägt ein blaues Shirt, farblich passend zu ihrem kurzen, mittelblauen Haar, das ihre Tattoos offenbart. An ihrer Nase und ihrer Unterlippe befinden sich Piercings.
Meine Schwester sitzt auf unserem blauen Sofa und schlürft einen Bananenmilkshake, das Kater Marty von der Fensterbank aus ganz gierig beäugt. »Hi, ich dachte, ich schaue mal vorbei. Nach dem seltsamen Anruf heute Vormittag habe ich mir Sorgen gemacht.«
Ich lege meine Handtasche auf eine Kommode und lasse mich neben Sarah aufs Sofa nieder. »Hi. Das musstest du nicht.«
»Wie ist der neue Boss?