Eine Fake-Verlobte für den Boss - Evelyne Amara - E-Book

Eine Fake-Verlobte für den Boss E-Book

Evelyne Amara

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Beschreibung

Meine einstige große Liebe Orlando ist zurückgekehrt. Als er mich vor zehn Jahren verließ, hat er mir nicht nur das Herz gebrochen, er hat mich vernichtet. Jetzt ist er nicht mehr der Junge aus der Gosse, der meiner Familie nie gut genug war, sondern ein Milliardär. Ihm gehört nun die Schokoladenfabrik meines Vaters. Vermutlich wird er als Tech-Mogul schnell das Interesse daran verlieren. Dann schlägt meine Stunde, denn ohne einen Kampf werde ich ihm nicht alles überlassen, was mir wichtig ist. Das Problem ist nur, dass dabei auch mein Herz in Gefahr ist, denn Orlando ist attraktiver und anziehender als je zuvor, und wie es aussieht, bin ich nie über ihn hinweggekommen. Das kann eigentlich nur böse ausgehen, vor allem als ein Geschäftspartner von ihm auftaucht und wir vorgeben müssen, miteinander verlobt zu sein …

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Epilog
Impressum

 

Evelyne Amara

Audrey J. Adams

 

Eine Fake-Verlobte für den Boss

 

 

 

London Billionaires Standalones Serie 1

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Tatiana

 

»Wie konntest du mir das nur antun?« Mein Herz klopft ganz schnell. Das Unternehmen meines Vaters, in dem ich seit meinem Schulabschluss arbeite, wurde verkauft.

Betroffen blickt mein Vater mich über den Esstisch hinweg an. »Es ging nicht anders. Das Unternehmen ist schon seit längerer Zeit in Zahlungsschwierigkeiten.«

»Darf ich die Finanzunterlagen einsehen?«

»Davon hast du doch ohnehin keine Ahnung. Darum kümmert sich Mrs. Hatt.« Das ist der Name seiner Finanzbuchhalterin, die von ihm Prokura erhalten hat.

Ich stemme die Hände in die Hüften. »Ach, tatsächlich? Warum hast du dann abgewartet, bis ich im Urlaub war, bis du den Verkauf durchgezogen hast?«

»Das hat sich zufällig so ergeben.«

»Ich hätte gerne vorher davon gewusst.«

»Ich habe versucht, es bis zum Schluss zu verhindern. Es ging einfach nicht mehr anders.«

Ich bin maßlos enttäuscht. Andererseits weiß ich, wie viel meinem Vater das Unternehmen bedeutet, das er von seinem Vater geerbt hat.

Seufzend fährt er sich durch sein ergrauendes, dunkelbraunes Haar. »Ich habe wirklich alles für das Unternehmen getan.«

Er erhebt sich und geht zur Tür.

»Wohin gehst du?«

»Ich treffe mich mit meinen Freunden zum Bowling. Wir sehen uns.«

Ich folge ihm. »Seit Jahren gehst du abends lange weg. Vielleicht warst du nicht ausgeschlafen genug. Du bist immerhin fünfundsechzig.«

»Danke. Ich weiß, wie alt ich bin. Eine Erinnerung daran war nicht nötig. Ich bin alt genug und weiß, was ich mir zumuten kann. Nach dem Tod deiner Mutter habe ich alles für dich getan. Es ist an der Zeit, dass ich auch mal an mich denke. Wenn es mit Benjamin geklappt hätte, dann hätte ich jetzt einen Nachfolger.«

»Ist das der wahre Grund, warum du dein Unternehmen verkauft hast? Ich dachte, wir könnten das hundertjährige Jubiläum noch unter dem Namen Lancaster feiern.«

»Das Unternehmen wird weiterhin J. W. Lancaster Chocolates heißen. Immerhin sind unsere Waren unter diesem Namen bekannt. Der neue Eigentümer wird sicherlich nicht so dumm sein, es umzubenennen.«

»Wer ist eigentlich der neue Eigentümer? Es wäre schön gewesen, darüber informiert zu werden.«

»Eine Tech-Unternehmens-Gruppe.«

Entsetzt blicke ich ihn an. »Eine Tech-Unternehmens-Gruppe? Warum sollte die in eine Schokoladenfabrik investieren?«

Mein Vater zuckt mit den Schultern. »Das habe ich Mr. Lloyd auch gefragt. Er meinte, Diversität sei wichtig. Jeder mag Schokolade, insbesondere unsere, die ein Klassiker ist. Ich schätze mal, ich hätte es schlimmer erwischen können, etwa mit einem dieser Heuschrecken-Investoren. Die kaufen Unternehmen, plündern sie aus und entsorgen sie anschließend. Diesen Eindruck macht mir diese Gruppe nicht.«

»Welche Rolle werde ich zukünftig in dem Unternehmen spielen? Oder bin ich darin gar nicht mehr vorgesehen?«

»Dieselbe wie bisher, nehme ich an.«

»Möglicherweise wird man versuchen, mich loszuwerden.«

»Ich habe eine Beschäftigungsgarantie für dich für zwei Jahre verlangt.«

»Ich dachte, du würdest die Unternehmensleitung irgendwann in meine Hände legen.« Es fällt mir schwer, die Enttäuschung nicht in meine Stimme einfließen zu lassen.

»Mit siebenundzwanzig bist du zu jung dafür. Das hatten wir doch schon besprochen.«

»Mark Zuckerberg hat Facebook mit zwanzig gegründet.«

»Es gibt immer Ausnahmen. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Benjamin dich unterstützt.«

»Du wolltest ihm die Unternehmensleitung übergeben. Er war damals nur zwei Jahre älter als ich jetzt.«

»Ich hatte nicht vor, das zu überstürzen. Die Übertragung wäre erst erfolgt, nachdem du einen Sohn, John William Lancaster, den IV. geboren hättest.«

Ich spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht. »Daher war er so versessen darauf, mich baldmöglichst zu schwängern, aber das war mir zu früh. Ich hätte nicht so jung heiraten sollen.«

»Ja, du warst wirklich noch sehr unreif damals.« Er blickt auf seine goldene Armbanduhr. »Ich muss jetzt gehen, Tatiana. Bis später.«

»Bis später.« Vermutlich werde ich ihn heute nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Enttäuscht blicke ich ihm nach, wie er meine Wohnung verlässt und den Aufzug betritt. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir nach dem Essen ein wenig beisammensitzen. Ich hatte ihn eingeladen, damit er nicht immer allein ist. Seit dem Scheitern seiner zweiten Ehe hatte er keine Beziehung mehr. Falls er Affären hat, möchte ich davon lieber nichts wissen. Zumindest hat er mir keine weitere Frau vorgestellt, die in seinem Leben eine Rolle spielen würde.

Allerdings gibt es seit meiner Scheidung vor drei Jahren auch keinen Mann mehr in meinem Leben. Es war ein schlechter Witz, dass die Scheidung fast doppelt so lang gedauert hat wie meine Ehe von anderthalb Jahren, was an den vorgeschriebenen zwei Jahren Trennungszeit und dem halben Jahr für das Scheidungsverfahren gelegen hat. Im Jahr 2022 wurde das Gesetz geändert, sodass eine Scheidung schneller erfolgen kann, aber mir nützt das nichts mehr.

Ich habe seitdem meine Zeit und Energie in meinen Beruf gesteckt. Der war mir wichtiger als ein Mann, der versucht, mich aufzuhalten.

Immer wenn ich im Supermarkt bin, habe ich nicht den Eindruck, dass unsere Schokoladen und Pralinen Ladenhüter wären. Ich wünschte, ich hätte einen Einblick in die Bilanzen und die anderen Finanzunterlagen des Unternehmens. Ich hoffe nur, man versucht nicht, mich loszuwerden. Eine Beschäftigungsgarantie ist schön und gut, aber wenn der neue Eigentümer die Arbeitsumstände für mich so gestaltet, dass es für mich nicht mehr zumutbar ist, ist er mich früher oder später los.

Aus Loyalität zur Familie werde ich bleiben. Fast mein gesamtes Leben lang habe ich darauf hingearbeitet, in diesem Unternehmen eine tragende Rolle zu übernehmen, doch offenbar bin ich an dem Traditionsbewusstsein meines Vaters gescheitert, der nur männliche Nachfolger ernsthaft in Betracht zieht.

Zwar hat er mir das nie direkt gesagt, aber seine Handlungen sprechen diese Sprache. Daher habe ich lange Zeit versucht, meinem Vater meine Kompetenz zu beweisen. Offenbar hat das nichts genutzt. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, dass der neue Eigentümer darüber anders denkt. Hoffnung keimt in mir auf, meinen Lebenstraum doch noch verwirklichen zu können.

 

Als ich am Montagmorgen das Unternehmensgebäude betrete, bin ich sehr aufgeregt. Obwohl mir alles vertraut erscheint, kommt es mir fast so vor, als wäre ich zum ersten Mal hier.

Ich laufe über den spiegelnden Boden aus edlem, grauem Granit. Im Hintergrund stehen große Palmen in türkisfarbenen Töpfen.

Ich betrete den Aufzug, der mich in die Etage bringt, in der sich mein Büro befindet. Darunter befinden sich die ganzen anderen Abteilungen des Unternehmens wie beispielsweise der Vertrieb, das Marketing, die Produktentwicklung und ganz unten die Produktion.

Wir beliefern sowohl Supermärkte als auch Feinkostläden. Hierfür haben wir teilweise unterschiedliche Produktpaletten. Schokolade ist mein Leben, könnte man sagen.

Ich trage schwarze Slingpumps mit relativ niedrigen Absätzen im Audrey-Hepburn-Style, ein silbergraues Kostüm und eine himmelblaue Bluse. Unter meinem Arm habe ich meine Tasche geklemmt.

Mit aufgeregt klopfendem Herzen verlasse ich den Aufzug und betrete die Büroräume, wo ebenfalls grauer Granit vorherrscht. Vor ein paar Jahren wurden einige Renovierungen durchgeführt, die das Unternehmensgebäude moderner und nobler präsentieren sollen. Ich hoffe nur, dass nicht bereits dabei der Grundstein für die spätere Pleite gelegt wurde. Hatte mein Vater sich etwa mit den Kosten übernommen?

Ich denke, die Renovierungsarbeiten waren nötig. Ein Unternehmen muss auch repräsentieren können. Man muss mit der Zeit gehen.

Ich frage mich, ob ich mit Mr. Lloyd zurechtkommen werde, als ich das Vorzimmer betrete, meine Handtasche hinter meinen Schreibtisch verstaue und eine Kanne mit Kaffee aufsetze. Während dieser durchläuft, sehe ich meine E-Mails durch und beantworte sie in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit.

In diesem Raum arbeite ich schon seit vielen Jahren als die persönliche Assistentin meines Vaters. Die Nähe, so dachte ich, würde dafür sorgen, dass ich möglichst viel von ihm lerne und bald zu seiner Nachfolgerin ausgebildet werden würde.

Als Mr. Lloyd das Geschäftsführerbüro verlässt, erstarre ich. So habe ich ihn mir nicht vorgestellt. Irritiert sehe ich ihn an, denn dieser Mann kommt mir bekannt vor.

Nie habe ich die Grübchen an seinen Wangen vergessen, die mokkabraunen Augen und das dichte, dunkle Haar, durch das ich so gerne meine Finger habe gleiten lassen. Ich blinzle, doch das Bild vor meinen Augen verschwindet nicht. Es ist kein Albtraum oder geheimer Wunschtraum oder beides gleichzeitig. Es ist die Realität und damit schlimmer, als es jeder Albtraum sein könnte, denn diese verschwindet nicht einfach. Hieraus gibt es kein Erwachen, kein Entkommen.

Ich schlucke.

»Willst du mich nicht begrüßen, Tatiana?«

Ich straffe meine Schultern. Schließlich bin ich nicht mehr das unerfahrene Mädchen von sechzehn Jahren, das sich damals in den falschen Jungen verliebt hat. »Du hast mich schließlich auch nicht gegrüßt. Du arbeitest also für Mr. Lloyd? Ich hätte nie gedacht, dass dir Büroarbeiten liegen würden.«

Für einen Moment schweigt er, während sein Blick über mich wandert. Er nimmt sich Zeit dafür und lässt keinen Zentimeter aus. »Du siehst anders aus als früher.«

Ich lächle, weiß jedoch, dass es nicht meine Augen und mein Herz erreicht. »Natürlich sehe ich anders aus. Jeder verändert sich. Sagt man nicht, das einzig Beständige sei der Wandel?«

»Warum hast du deine Haare abschneiden lassen?«

»Ich dachte, steißlange Haare wären unmodern. Schulterlang genügt mir vollauf und ist pflegeleichter, weil es schneller trocknet.«

Ich weiß, wie sehr er damals mein leicht welliges, kastanienbraunes Haar geliebt hat, das im Licht manchmal rötlich schimmert.

»Dein Haar war früher auch länger, Orlando.« Allzu gut erinnere ich mich an seine herausgewachsene Frisur, die ihm ein verwegenes Aussehen verliehen hat. Niemals hätte ich gedacht, ihn eines Tages in einem edlen, schwarzen Anzug, einem weißen Hemd und einer blauen Krawatte zu sehen. Damals trug er verwaschene T-Shirts, Jeans mit Löchern und ausgetretene Sneakers. Obwohl er gekleidet war, als hätte er einen Altkleidercontainer ausgeräumt, umgab ihn eine besondere Aura, das gewisse Etwas.

In all den Jahren habe ich mir versucht einzureden, dass ich es mir damals in meiner jugendlichen Schwärmerei nur eingebildet habe. Heute muss ich jedoch zugeben, mich nicht getäuscht zu haben. Er besitzt das tatsächlich und jetzt mehr denn je.

Seine Schultern sind noch breiter als damals. Er sieht zweifelsohne jung aus, aber nicht mehr wie ein Jugendlicher, sondern ein ganzer Mann. Ihn umgibt jetzt eine unglaublich anziehende maskuline Aura. Nach wie vor ist er gefährlich für mich, aber diesmal werde ich ihm mit Sicherheit widerstehen können. Schließlich habe ich aus der Vergangenheit gelernt. Dafür sind Fehler schließlich da.

»Du irrst dich, Tatiana.«

Erschrocken blicke ich ihn an. Kann er meine Gedanken lesen oder habe ich sie versehentlich laut ausgesprochen in meiner Fassungslosigkeit, ihm heute gegenüberzustehen? Ich hatte geglaubt, ihn niemals wiederzusehen. Vor zehn Jahren hat mich dieser Gedanke beinahe umgebracht. Damals dachte ich, es niemals überwinden zu können. Liebe kann entsetzlich wehtun, vor allem, wenn sie einseitig ist.

»Womit soll ich mich irren?«

»Mr. Lloyd arbeitet für mich.«

Dabei dachte ich, mein Entsetzen könnte nicht mehr schlimmer werden. »Er arbeitet für dich?«

Er nickt. »Ja, mir gehört die Phoenix Abode Group.«

»Ist das meinem Vater bekannt?«

»Nein. Er hätte sein Unternehmen sonst niemals an mich verkauft.«

»Dann war Mr. Lloyd dein Strohmann?«

»Er ist mein Mitarbeiter.«

»Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich für dich arbeite?«

»Wie viel bedeutet dir J. W. Lancaster Chocolates?«

»Soll das eine Drohung sein?« Ich vertraue ihm überhaupt nicht. Dafür habe ich gute Gründe.

»Ich habe nicht vor, das Unternehmen zu ruinieren, falls das deine Befürchtung sein sollte.«

»Warum hast du es gekauft?«

Er lächelt, doch sein Blick bleibt kalt. Innerlich friere ich, doch leider fühle ich mich nach wie vor stark zu ihm hingezogen.

»Warum nicht? Ich hatte das Geld und mag Schokolade.«

»Du hast es meinetwegen getan.«

Sein Lächeln nimmt einen süffisanten Ausdruck an. »Glaubst du wirklich, dass du so wichtig bist? Du warst mir mal wichtig, sehr wichtig sogar, aber diese Zeiten sind längst vorbei.«

Seine Worte verletzen mich, doch ich bemühe mich, mir das nicht anmerken zu lassen. »Warum hast du es dann erworben?«

»Weil ich es kann. Ich sehe es als eine Investition an. Immerhin ist es eine alte Londoner Institution. Jeder in Großbritannien kennt J. W. Lancaster Chocolates.«

»Trotzdem ist das Unternehmen marode.«

»Willst du mich dazu bringen, es zu zerschlagen?«

Ich erschrecke. »Nein, natürlich nicht. Aber ich frage mich trotzdem, warum du ein Unternehmen, das vor der Pleite steht, gekauft hast.«

»Wie kommst du darauf, dass es vor der Pleite steht?«

»Warum sollte mein Vater es sonst verkauft haben?«

»Das ist eine gute Frage, aber so schlecht steht es um das Unternehmen nicht. Es sieht nicht besonders gut aus, aber von einer Pleite ist es noch ein Stück entfernt.«

»Dann wollte er in den Ruhestand gehen?«

Orlando zuckt mit den Schultern. »Das musst du wohl ihn selbst fragen.«

Skeptisch blicke ich ihn an. Sagt er die Wahrheit? Aber welchen Grund sollte er haben zu lügen? Mir fällt keiner ein.

Damals hatte ich ihn für einen grundehrlichen Menschen gehalten. Auf diese Einschätzung konnte ich mich offenbar nicht verlassen.

»Hat dein Vater wohl behauptet, das Unternehmen wäre pleite?«

»Nicht direkt. Er hat es angedeutet. Was tun wir nun?«, frage ich.

»Arbeiten natürlich. Bring mir eine Tasse Kaffee.«

»Mit Milch?«

»Du weißt sicherlich noch, wie ich meinen Kaffee am liebsten trinke.«

Ich mische ihm einen Milch-Kaffee ohne Zucker. Offenbar hat er sich nur äußerlich verändert.

Als ich ihm die Tasse bringe und den Raum wieder verlassen will, hält er mich auf. »Bleib hier. Wir müssen ein paar Unterlagen zusammen durchgehen.«

Ich nicke. »Natürlich.«

Ich muss unbedingt herausfinden, was er vorhat. Vielleicht kann ich das Unternehmen aus seinen Klauen befreien. Das bin ich meinem Großvater und Urgroßvater schuldig, die es aufgebaut und vergrößert haben, damit unsere Familie im Wohlstand leben kann. Dafür haben sie große persönliche Opfer gebracht. Es ist also nicht zu viel verlangt, wenn ich das auch tue. Hätte mich mein Vater doch nur früher eingeweiht. Vielleicht hätte ich das alles verhindern können.

Es zerreißt mir das Herz, die geliebte Schokoladenfabrik, in der zu arbeiten schon als ich ein Kind war, mein Lebenstraum war, in fremden Händen zu sehen, denen sie wahrscheinlich nichts bedeutet. Für Orlando ist sie nur Mittel zum Zweck. Hat er mir denn nicht bereits genug angetan?

Am Wochenende habe ich nach der Group gegoogelt, die es aufgekauft hat. Darunter befinden sich bisher ausschließlich Tech-Unternehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Orlando das Interesse daran verliert.

Schließlich kenne ich ihn schon lange. Mit sechzehn habe ich ihn kennengelernt. Mit siebzehn fing ich eine Beziehung mit ihm an, und mit achtzehn hat er mich verlassen. Von einem Tag auf den anderen verschwand er mit seiner Familie spurlos. Er hat mir nicht mal Bescheid gesagt, dass sie umziehen würden.

Menschen ändern sich selten wirklich. Er wird wieder das Interesse verlieren und von hier verschwinden. Ich muss nur lange genug durchhalten und ihm Grenzen setzen. Das wird sehr schwer sein, denn er übt eine extreme Anziehungskraft auf mich auf.

Zu seinem guten Aussehen, seinem Verstand und dem verwegenen Lächeln kommt jetzt noch das Flair eines erfolgreichen Geschäftsmannes hinzu. Er besitzt die faszinierende Ausstrahlung von Macht.

 

Orlando

 

Tatiana hat sich verändert. Aus dem Mädchen ist eine Dame geworden. Bereits damals fand ich sie unwiderstehlich, doch ihr Appeal hat nur noch zugenommen. Sie besitzt das gewisse Etwas.

Dabei hatte ich gedacht, über sie hinweggekommen zu sein. Doch jetzt, da ich neben ihr sitze, ist die Anziehungskraft, die sie auf mich ausübt, ungebrochen, wenn nicht gar stärker als damals. Liebe kann ein Fluch sein.

Nein, natürlich liebe ich sie nicht mehr. Dafür hat sie selbst hinreichend gesorgt. Aber kann jemand, den man von ganzem Herzen geliebt hat, einem wirklich völlig gleichgültig werden? Ich werde es herausfinden.

Ich nippe an dem Kaffee, den sie mir gebracht hat. Die Mischung ist exzellent, genau wie ich sie damals bevorzugt habe. Sie hat es also nicht vergessen. Das ist ein Test gewesen.

Ich stelle die Tasse wieder ab und blicke Tatiana an. »Ich bin der Ansicht, dass das Unternehmen ein frischeres Image und Innovationen benötigt.«

Sie wird blass. »Damit liege ich meinem Vater schon seit Jahren in den Ohren, doch er meinte, Tradition würde verpflichten.«

»Wenn er so viel Wert auf die Tradition legen würde, hätte er das Unternehmen wohl kaum verkauft.«

Darauf erwidert sie nichts, doch auf ihrem Gesicht sehe ich eine Vielzahl von Emotionen: Fassungslosigkeit, Trauer, Ratlosigkeit, Verzweiflung, aber auch Hoffnung. Damals dachte ich, sie sei eine starke Frau, die nicht so schnell aufgibt.

Trotzdem hatte sie mich damals aufgegeben. Oder sie hatte mich nie wirklich haben wollen. Für sie war ich nur ein Zeitvertreib, das Spielzeug des reichen Mädchens aus der noblen Familie mit einem Stammbaum, mit dem ich nicht mal ansatzweise mithalten kann. Ihr Ururgroßvater wurde mit Tee reich. Das Unternehmen vererbte er seinem ältesten Sohn, Tatianas Urgroßonkel.

Aus dieser Tee-Dynastie stammt ihr Ex-Mann mit dem klangvollen Namen Benjamin Albert Montgomery. Sein Urgroßvater hatte nämlich nur Töchter, die er geschickt verheiratete, was dem Vermögen der Dynastie dienlich war. Dieser ist also Tatianas Cousin dritten Grades, vermutlich, damit das Vermögen in der Familie bleibt und sich das altehrwürdige Blut nicht mit dem des gemeinen Pöbels vermischt.

Reiche Leute heiraten nicht aus Liebe, sondern aus dynastischen und finanziellen Erwägungen heraus. Ob sie damit glücklicher sind, mag man anzweifeln, aber fest steht, dass die Liebe mir kein Glück gebracht hat.

Fast könnte Tatiana mir leidtun, aber auch nur fast. Sicherlich hat sie sich Hoffnungen gemacht, irgendwann in dem Unternehmen eine leitende Rolle einzunehmen. Zwar kenne ich nicht alle Hintergründe, aber so richtig verstehe ich die Entscheidung ihres Vaters nicht.

Ernst sieht Tatiana mich an. »Ich weiß nicht, warum er es verkauft hat, aber ich denke, dass einige Innovationen dem Unternehmen nicht schaden können.«

Ich falte die Hände vor mir zusammen. »Dieser Ansicht bin ich ebenfalls.«

Sie wirkt erleichtert, als hätte sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet. »Hast du es auf mich abgesehen?«

Stirnrunzelnd blicke ich sie an. »Warum sollte ich?«

»Sag du es mir.«

»Solange du gute Arbeit leistest, werde ich dich nicht rausschmeißen, wenn du das meinst. Außerdem fordere ich Loyalität. Geschäftsinterna haben in diesen vier Wänden zu bleiben.«

»Das ist natürlich selbstverständlich.«

»Ich weiß nicht, wie dein Vater tickt, aber manche verkaufen ihre Unternehmen, um gleich anschließend ein Konkurrenzunternehmen aufzumachen.«

Sie runzelt die Stirn. »Warum sollte jemand so etwas Unsinniges tun?«

»Das gehört zum Egotrip mancher.«

»Mein Vater gehört nicht dazu.«

»Hoffen wir es. Falls doch, wird ihm das auch nichts nützen. Wie es aussieht, hat er das Unternehmen geführt wie sein Vater viele Jahrzehnte vor ihm. Man muss jedoch mit der Zeit gehen.«

Sie scheint mit sich selbst zu ringen, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie die nachfolgenden Worte mir gegenüber äußern sollte. »Ich habe einige Vorschläge zu machen.«

Ich lehne mich in dem schwarzen Chefsessel aus Kunstleder zurück. »Nur zu. Sprich dich aus.«

»Wie du weißt, gibt es bei uns Saisonbetrieb.«

Ich nicke. »Die Schokoladenweihnachtsmänner und -osterhasen sowie Glocken, Eier und Christbaumkugeln aus Schokolade.« Wer kennt die nicht? Das sind Klassiker, die so ziemlich jeder Schokoladenfabrikant zu Weihnachten oder Ostern herstellt.

»In London und auch dem Rest des Landes gibt es seit einigen Jahren einige deutsche Läden. Nicht nur bei den Einwanderern sind Nürnberger Lebkuchen, deutsches Marzipan und Christstollen sehr beliebt. Diese sind im Aldi immer schnell ausverkauft. Daher dachte ich, es wäre eine gute Idee, Schokolade mit Lebkuchen- und Christstollengeschmack anzubieten. Natürlich soll das nicht durch künstliche Aromastoffe erfolgen, sondern durch Lebkuchengewürz und Christstollenstückchen, die in die Schokolade eingearbeitet werden. Im Gegensatz zu den richtigen Christstollen trocknen diese nicht so schnell aus. Auch eine Zimtschokolade könnte gut ankommen.«

Nachdenklich kratze ich mich am Kinn. »Die Ideen gefallen mir. Hast du auch Vorschläge für Ostern?«

»Nein, aber für ein Sommersortiment.«

»Im Sommer stellen doch so einige Hersteller die Produktion bestimmter Sorten ein, weil sie gekühlt transportiert werden müssen und sich zu dieser Jahreszeit weniger verkaufen.«

»Ich dachte an eine Pralinen-Kollektion mit dem Namen Italian Summer.«

Interessiert blicke ich sie an. »Und wie soll das aussehen oder besser gesagt schmecken?«

»Ich dachte an Pralinen mit Tiramisu-, Haselnuss-Panna-Cotta-, Zabaione-, Amaretto-, Cassata-, Zimt-Ricotta, Espresso- und Strawberry-Granita-Geschmack.«

»Ist Strawberry-Granita nicht so ähnlich wie Sorbet?«

Sie nickt. »Ja, allerdings. Das stammt genau wie Cassata aus Sizilien. Ich dachte an eine Art von Eiskonfekt. Falls die Herstellung, Lagerung oder der Transport zu aufwändig sind, können wir diese Sorte natürlich weglassen.«

Ihre Augen leuchten vor Begeisterung. Sie brennt für diese Ideen. Das ist ganz offensichtlich. Tatiana arbeitet also nicht nur in diesem Unternehmen, weil es so lange ihrer Familie gehörte. Es muss niederschmetternd für sie sein, dass dies nun nicht mehr der Fall ist.

Wie dem auch sei, ich hoffe, ich kann ihr vertrauen. Jedenfalls werde ich sie in der nächsten Zeit genau beobachten. Ihr Vater wird mich hassen, wenn er erfährt, dass ich das Unternehmen über einen Strohmann aufgekauft habe. Womöglich steckt sie mit ihm unter einer Decke und könnte mich sabotieren.

Um ganz ehrlich zu sein: Am liebsten hätte ich die Beschäftigungssicherung für sie nicht unterschrieben, aber das war eine der Vertragsbedingungen, die für ihren alten Herrn nicht verhandelbar waren.

»Hast du diese Vorschläge bereits deinem Vater unterbreitet?«

Sie nickt. »Ja, aber er war der Ansicht, dass es nicht britisch genug sei.«

»Was ist ihm denn britisch genug?«, frage ich.

Hilflos zuckt sie mit den Schultern. »Was weiß ich? Schokolade mit dem Geschmack schottischen Whiskys. Ich hatte auch Butterbier-Geschmack vorgeschlagen, denn schließlich ist J. K. Rowling Britin, aber das war ihm zu modern.«

»Aber London ist eine moderne Stadt, die kosmopolitischer nicht sein könnte. Schon in der kleinen Schule, in die ich damals ging, wurden ungefähr achtzig Sprachen gesprochen. In der Stadt sind es um die dreihundert.«

Sie seufzt. »Wem sagst du das? Wir haben Chinatown, die afrikanisch-karibische Community in Brixton, New Malden, das man Little Korea nennt, und …«

»… natürlich Little Italy.« Da meine Mutter aus Italien stammt, hat es mich dorthin besonders gezogen. »Wobei natürlich auch Little India, die kubanischen Restaurants in Camden oder die kleinen Reggae-Läden und so vieles mehr einen Besuch wert sind. Das habe ich vermisst, als wir nicht hier waren.«

»Es hat mich ohnehin immer gewundert, dass ihr nicht in Little Italy gewohnt habt.«

»Wir lebten in Peckham, weil damals dort die Mieten am günstigsten waren. Auch heutzutage würde ich mich da nachts nicht allein herumtreiben, schon gar nicht als Frau.«

»Wo habt ihr in all den Jahren gelebt?«

»In Warrington. Das ist auch keine schlechte Stadt.«

»Ist das nicht oben im Norden?«

»Das liegt zwischen Liverpool und Manchester.«

Sie kaut auf ihrer Unterlippe. Nachdenklich betrachte ich ihren Mund. Erinnerungen an unsere Küsse dringen in mein Bewusstsein. Schnell verdränge ich diese, damit der alte Schmerz nicht wieder hochkommt.

Ich sollte von hier verschwinden und alles Mr. Lloyd überlassen, doch das war nicht der Grund, warum ich das Unternehmen aufgekauft habe. Ich will damit einen Abschluss erreichen. Auch war es der Gedanke an Rache, der mich getrieben hat. Gerne würde ich das Gesicht ihres Vaters sehen, wenn er erkennt, wer wirklich hinter der Phoenix Abode Group steht. Um herauszufinden, dass ich das bin, muss man schon einige Nachforschungen betreiben. Ich bin der Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht.

»Natürlich ist mir bewusst, dass wir für die Markteinführung möglicherweise nicht das nötige Kapital haben.«

Nachdenklich trommle ich mit den Fingern auf dem Tisch. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wir tun es einfach. Zuvor müssen wir allerdings die Produkte testen. Ich brauche Rezepte.«

»Die habe ich.«

Erstaunt blicke ich sie an. »Aber ihr habt sie noch nicht getestet?«

»Ich habe sie zuhause privat getestet.«

»Dann waren sie nicht gut genug oder warum wurden sie nicht umgesetzt?«

Sie schluckt. »Mein Vater wollte davon nichts wissen.«

»Ach ja, die Tradition. Ein Unternehmen muss, um zu überleben, die Tradition mit der Moderne verbinden. Natürlich hat die Marke ihre Klassiker, auf die die Kunden nicht verzichten wollen, aber wir müssen ihnen auch etwas Neues bieten.«

»Ich bringe morgen einige Testprodukte und die Rezepte mit.«

»Warum tust du das?«

Verwirrt blickt sie mich an. »Warum soll ich was tun?«

»Mir die Rezepte geben. An denen hast du doch sicherlich schon eine Weile lang gearbeitet, vermute ich.«

Sie nickt. »Das ist richtig. Ich will, dass das Unternehmen weiterexistiert.«

»Auch wenn du nur noch eine einfache Angestellte bist und nicht mehr die Prinzessin?«

Ihre Augen werden ganz groß. Für einen Moment klappt ihr Unterkiefer nach unten und offenbart ihre Sprachlosigkeit. »Die Prinzessin?«

»Na, die Prinzessin des Lancaster-Imperiums.« Das es nun nicht mehr gibt, aber darauf brauche ich sie wohl unschwer hinzuweisen. Jeder weiß es. Die Klatschblätter überschlagen sich seit kurzem dieses Thema betreffend. Als die gefallene Prinzessin bezeichnen sie sie. Offenbar liest Tatiana diese nicht. Ignoranz kann in bestimmten Fällen segensreich sein.

Kurz huscht ein Ausdruck des Schmerzes durch ihren Blick, dann hat sie sich wieder im Griff. »Ich war niemals eine Prinzessin.«

Ich lache. »Was du nicht sagst! Natürlich warst du eine Prinzessin. Ich war dir nicht gut genug.«

Ihr Gesicht rötet sich, eine Ader pulsiert an ihrer Stirn. »Du bist damals einfach verschwunden!«

»Natürlich bin ich das. Du wolltest es doch so.«

»Du hast mich geghostet, ohne mir zu sagen, dass ihr wegziehen würdet.«

»Tue nicht so, als wüsstest du von nichts! Das nehme ich dir nämlich nicht ab.«

»Glaub doch, was du willst.«

»Redet man so mit seinem Chef?«

Sie senkt den Blick. »Nein, natürlich nicht. Wirst du mich jetzt entlassen?«

»Ich brauche dich. Noch.«

Sie schluckt. »Gut. Kann ich jetzt gehen oder brauchst du mich im Moment noch für irgendwas?«

Vor ein paar Jahren hätte ich dich gebraucht. Ich hätte deine Ehrlichkeit und deine Loyalität gebraucht, aber für dich war ich nur ein Fremder, der sich in deinem Leben nur auf der Durchreise befand. Du hattest es niemals ernst mit mir gemeint.

Es ist sinnlos, das alles zu sagen, so sinnlos und erniedrigend. Außerdem spielt es keine Rolle mehr. Falls es überhaupt jemals eine gespielt hat.

Warum tue ich mir das alles überhaupt an? Ach ja, um einen Abschluss zu erreichen. Es kann wehtun, den Eiter aus der Wunde zu entfernen, aber es muss sein. Erst dann kann sie endgültig heilen.

»Nein, du kannst jetzt gehen. Danke für den Kaffee.«

Als sie sich erhebt, sehe ich, dass ihre Hände zittern. Sie ist also emotional ebenfalls aufgewühlt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Jedenfalls ist es eine Qual, der Liebe meines Lebens nach so vielen Jahren wieder gegenüberzustehen. Soweit ich weiß, ist sie derzeit Single. Das war unschwer herauszufinden. Einer meiner Freunde, der nie aus London weggezogen und Privatdetektiv geworden ist, hat zudem für mich ein paar Erkundigungen über sie eingeholt und ein paar Fotos gemacht.

Allzu viel Aufwand war das nicht. Schließlich ist ihre Familie in all der Zeit niemals umgezogen. Jeder in Großbritannien kennt sie. Und mich jetzt auch. Ich bin nicht mehr der unbekannte Junge aus der Gosse. Jetzt bin ich eine Macht. Diese Familie sollte lieber mit mir rechnen.

Ich jedenfalls werde meinen Gegner keine Minute lang unterschätzen.

 

Tatiana

 

Im Londoner Stadtteil Bexley steige ich aus dem Doppeldeckerbus und laufe den Rest des Weges zu dem Apartment, das ich mir mit meiner Freundin Vivienne teile. Das Gespräch mit Orlando geht mir nicht aus dem Kopf. Ich weiß noch immer nicht, was ich davon halten soll, dass er wieder hier in London ist und noch dazu das Unternehmen meines Vaters aufgekauft hat.

Warum tut er das? Warum ist er damals verschwunden? Irgendwann wird er mir Rede und Antwort stehen müssen, anstatt irgendwelche Ausflüchte zu bringen. Mir ist klar, dass er mir nicht vertraut und deshalb womöglich Informationen zurückhält, aber das geht nur eine begrenzte Zeit.

Ich betrete das Gebäude und fahre mit dem Lift in den vierzehnten Stock. Vivienne, die in einem Hotel arbeitet, hat heute ihren freien Tag. Als ich die Wohnung betrete, kocht sie gerade Spaghetti. Ihr hellblondes Haar hat sie zu einem tiefen Dutt gebunden.

Als die Spaghetti fertig sind, setzen wir uns an den Tisch in der Küche gegenüber.

Unsere Küche ist winzig und wie der Rest der Wohnung mit einem bunten Sammelsurium von Möbeln ausgestattet. Kaum ein Stuhl passt zum anderen. Trotzdem ist die Wohnung gemütlich.

Vivienne gießt Mineralwasser in mein Glas.

»Vielen Dank.«

Ein Lächeln, das ihre blaugrünen Augen erreicht, erhellt ihr Gesicht. »Gern geschehen. Wie war dein Tag?«

Ich seufze. »Das ist schwer zu beschreiben. Mein neuer Boss ist Orlando.«

Schockiert starrt sie mich an. »Orlando? Wie Orlando Grant?«

»Ja.«

»Das verstehe ich nicht. Der war doch fast zehn Jahre lang verschwunden. Warum tut er so etwas?«

»Das musst du auch nicht. Ich verstehe es ja selbst nicht. Offenbar ist er Innovationen gegenüber sehr aufgeschlossen.«

»Du hast ihm also deine Ideen mitgeteilt?«

»Ja, er hat nach meinen Vorschlägen gefragt.«

»Ich traue der Sache nicht ganz.«

»Ich auch nicht.«

Nachdenklich blickt sie mich an. »Wäre es nicht besser, wenn du die Firma verlässt und irgendwo anders anfängst? Bewirb dich doch bei Charbonnel & Walker. Die waren doch der offizielle Schokoladenlieferant der Queen.«

»Ich weiß nicht, ob die mich nehmen.«

Vivienne zuckt mit den Schultern. »Wenn du es nicht versuchst, wirst du es nie erfahren. Du könntest auch in einen anderen Bereich wechseln oder London verlassen. Nichts bindet dich mehr an die Schokoladenfabrik.«

»Sie hat meinen Ahnen gehört. Mein Urgroßvater hat sie gegründet.«

»Aber dein Vater hat sie verkauft. Er hätte sie dir überlassen können.«

»Ich befürchte, er brauchte das Geld.«

»Du suchst immer Gründe, warum du dem Unternehmen gegenüber loyal bist, aber ist das auch der richtige Weg?«

Ernst blicke ich sie an. »Ich habe so viel Zeit und Energie in das Unternehmen und diese Ideen investiert. Ich bin nicht bereit, jetzt schon aufzugeben. Ursprünglich habe ich gedacht, ich könnte genügend Geld sparen, um das Unternehmen dem neuen Eigentümer irgendwann abzukaufen.«

Ihre Augenbrauen schießen nach oben. »In London? Bei den Mieten und Lebenshaltungskosten?«

»So schlecht verdiene ich nicht, und wenn ich es wie der Journalist Oobah Butler mache und eine Zeit lang in einer Gartenhütte lebe, um Miete zu sparen?«

»Soweit ich weiß, lebten unter der Hütte Füchse. Die können ganz schön laut sein. Viel Spaß damit!«

»Wenn ich beim Ex-Lieferanten der Queen oder einem anderen Hersteller exquisiter Süßwaren arbeite, wird man meine Ideen wohl kaum umsetzen. Die haben bereits alle ihre Rezepte-Designer. Jeder von ihnen wird Lunte riechen, weil ich die Tochter der Konkurrenz bin. Schon allein deswegen wird mich niemand einstellen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil ich es vor zwei Jahren getan habe. Ich habe mich heimlich beworben nach dem Streit mit meinem Vater.«

»Davon hast du mir gar nichts gesagt.«

»Weil es damals nicht relevant war. Ich wollte auch nicht, dass mein Vater davon erfährt. Da wäre die Hölle los gewesen.«

»Aber ihm gehört die Schokoladenfabrik doch nicht mehr.«

»Aber dem Mann, mit dem ich mal eine Beziehung hatte. Er war immerhin der erste Mann in meinem Leben.« Und der bedeutendste.

»Ein Grund mehr, dass du dir einen anderen Job suchen solltest.«

»Nein, ich gebe nicht auf. Ich bin nicht feige. Ich war noch nie jemand, der davonläuft. Ein Kumpel meines Vaters hat tatsächlich mal ein Unternehmen übernommen und laut Vertrag den Kaufpreis durch die späteren Gewinne finanziert.«

Vivienne schüttelt den Kopf. »Unglaublich, was für Verträge manche Leute unterzeichnen.«

»Personen, die mehr Geld haben, als dass sie wüssten, was sie damit anfangen sollen, tun so etwas. Orlando gehört zu diesen Leuten. Der schwimmt in Geld. Sicherlich ist er reicher als Dagobert Duck. Die Schokoladenfabrik ist sein neues Spielzeug. In der Hauptsache besitzt er Tech-Unternehmen. Er hat sich sogar zeitgleich ein Unternehmen in der East London Tech City gekauft.«

»Wow, im Silicon Roundabout also. Dafür, dass du mit ihm nichts mehr zu tun haben willst, bist du aber sehr gut über ihn informiert.«

»Halte dir deine Feinde nahe, heißt es doch immer. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihn die Schokoladenfabrik langweilt und er sie schnellstmöglich loswerden will. Dann schlägt meine Stunde.« Ich reibe meine Hände.

»Warum bist du dir so sicher, dass er das tun wird?«

»Weil so einige Businessmagnate so handeln. Erinnerst du dich nicht an John Malcolm Ivanovitch? Der hatte doch einen Klopapierhersteller aufgekauft, obwohl er sonst nur in Multimedia investiert. Es hat kein halbes Jahr gedauert, da merkte er, dass ihm die Klopapierfabrik am Arsch vorbeigeht.«

»So etwas soll vorkommen.«

Ich nicke. »Ja, genau. Orlando hat schon mal gekniffen. Er ist damals einfach verschwunden. Das spricht nicht gerade für viel Ausdauer.«

»Ohne Ausdauer kann man kein Unternehmen aufbauen.«

»Das ist richtig, aber das setzt voraus, dass ihm etwas wichtig genug ist, und die Schokoladenfabrik ist ihm nicht wichtig. Der hat sie nur gekauft, weil er sich irgendwas beweisen muss.«

»Was muss der sich denn beweisen? Hat er nicht schon alles erreicht?«

Ich zucke mit den Schultern. »Offenbar nicht. Er wusste, dass mein Vater etwas gegen ihn hatte, aber dass Orlando eines Tags so weit gehen würde, die Fabrik aufzukaufen, hätte ich nicht gedacht.

---ENDE DER LESEPROBE---