3,99 €
Mit meinem arroganten Boss, dem britischen Millionär Devin Ashwood fliege ich zwecks eines Geschäftsabschlusses nach Las Vegas. Nachdem wir das erfolgreiche Geschäft ausgiebig gefeiert haben, wache ich am nächsten Morgen neben ihm im Bett auf. Als wäre das nicht schlimm genug, denn er hat einen furchtbaren Ruf als Playboy, trage ich auch noch einen Ehering am Finger. Entgegen meiner Erwartungen denkt er jedoch gar nicht daran, diese Ehe annullieren zu lassen. Wobei ich mir nicht mal sicher bin, ob das überhaupt möglich ist oder ich das wirklich will. Aber letztendlich ist alles nur fake. Oder etwa nicht?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Copyright & Urheberrecht Juli 2024 Evelyne Amara
Copyright Coverabbildungen: Mann: Dream Stock / Fotolia / Adobe Stock
City Background: Welcomia / Shotshop.com
Coverdesign: Evelyne Amara
www.Evelyne-Amara.com
Evelyne Amara
c/o Autorenservice Gorischek, am Rinnersgrund 14/5, 8101 Gratkorn, Österreich
Kapitel 1
Aurelia
»Ist der Teufel schon hier?«, frage ich gleich nach der Begrüßung, als ich morgens in der firmeneigenen Küche ankomme. Meine Stimme bebt leicht, obwohl ich das gar nicht möchte.
Mit Devil meine ich Devin Ashford, den CEO von AAOSS, dem Unternehmen in Canary Wharf, London, für das ich arbeite. Er ist groß, dunkelhaarig und umwerfend attraktiv. Ein Selfmade-Millionär, wie er im Buche steht. Aufgrund seiner Ruchlosigkeit hat er den Spitznamen Devil mehr als verdient. Doch leider ist auch sein Charme teuflisch, wovon nicht wenige Frauen berichten können.
Meine Kollegin und Freundin Grace MacKenzie schüttelt den Kopf. »Nein, er wollte doch heute zu Mr. O’Flanagan. Er ist ein Frühaufsteher und mag keine späten Termine.«
Mr. O’Flanagan ist hauptsächlich der stille Teilhaber und Berater von AAOSS, was für Ashford and O’Flanagan Software Solutions steht, einem Unternehmen, das ein ERP-System für die Möbelbranche herstellt und vertreibt.
Grace ist ein Jahr älter als ich, also einunddreißig, mittelgroß und hat schulterlange, rote, lockige Haare.
»Das hatte ich beinahe vergessen. Den Termin hat er doch schon vor zwei Wochen selbst mit ihm vereinbart.«
Besorgt blickt sie mich an. »Du siehst heute nicht gut aus. Willst du darüber reden? Sicherlich ist es wegen George.«
Ich nicke, während Grace aufspringt und mir einen Tee einschenkt, den sie immer kannenweise zubereitet.
»Hier, ein Hagebuttentee. Der wird dich beruhigen.«
Seufzend setze ich mich an den Tisch. »Danke.«
Sie beugt sich leicht in meine Richtung. »Also, was ist los?«
Tief atme ich durch. »Du hast recht. Es ist wegen George. Ich habe meine Kreditkartenauszüge bekommen. Ich hätte wirklich schon früher mal online reinsehen sollen.«
Nachdenklich runzelt sie die Stirn und blickt mich aus ihren grüngrauen Augen an. »Die Kreditkartenauszüge? Was ist damit? Habt ihr zusammen irgendetwas Teures gekauft?«
Fahrig lasse ich meine Finger durch mein schulterlanges, lockiges, blondes Haar gleiten. »Wenn es denn so wäre. Dann könnte ich das Zeug womöglich versetzen. Er muss, als er allein in unserer Wohnung gewesen ist, meine Kreditkarten genommen und damit hemmungslos eingekauft haben. Er hat teure Kleidung, Parfüms, iPhones, ein MacBook, eine Uhr von Cartier und solche Sachen gekauft. Bei vielem davon handelt es sich um exklusive Designerkleidung für eine Frau. Für eine andere Frau, denn in Orange sehe ich aus wie eine Wasserleiche, und das weiß er.«
Fassungslos starrt Grace mich an, während ich weiterrede. »Zuletzt ging er mit jemandem essen und bezahlte mit einer meiner Karten. Für zwei Personen. Die haben dreihundert britische Pfund für ein Mittagessen ausgegeben. Danach ist er zu mir nach Hause gekommen, tat so, als wäre er gerade von der Arbeit zurückgekehrt, und am nächsten Tag hat er sich mit ihr abgesetzt. Mit der Nachbarin, von der ich dachte, dass sie meine Freundin werden will. Sie tat immer so interessiert an mir und meinem Leben, aber letztendlich wollte sie nur meinen Freund.«
Schockiert sieht sie mich an. »Dabei habt ihr gerade mal einen Monat dort gemeinsam gewohnt.«
»Er kannte sie schon vorher von seinen Besuchen bei mir. Zum ersten Mal hat er sie vor etwa einem Jahr und vier Monaten gesehen, also bei seinem zweiten oder dritten Besuch bei mir. Da waren wir erst seit einen Monat zusammen. Sie wohnt schon seit zwei Jahren im selben Gebäude.«
Empörung zeigt sich in Graces Blick. »Dieses Luder. Da muss schon länger was am Laufen gewesen sein.«
Ich nicke. »Das denke ich auch.«
»Wie hoch sind die Schulden, die er dir hinterlassen hat?«
Panisch sehe ich sie an. »Sechzigtausend Pfund. Ich bin so was von geliefert. Die Banken, die die Kreditkarten herausgeben, verlangen dafür irrsinnige Zinsen und wollen natürlich ihr Geld sehen, denn ich habe mit denen eigentlich keinen längeren Kreditvertrag, sondern die Kreditkarten waren nur als Zahlungsmittel vorgesehen. In wenigen Tagen wollen sie die sechzigtausend Pfund bei mir abbuchen, was sie natürlich nicht können. Die Bank wird mein Konto sperren. Dann kann ich nicht mehr meine Miete zahlen.«
Grace sieht mich betroffen an. »Versuchs mit einer Umschuldung.«
»Das habe ich schon. Die Banken wollen mir keinen Kredit geben. Zumindest bei einigen habe ich bereits angefragt.«
Sie wird blass. »Ich habe schon gehört, dass das immer schwieriger wird. Selbst Unternehmensgründer haben es in dieser Hinsicht schwer. Am einfachsten kriegst du noch einen beim Kauf eines Autos, auch weil die Nachfrage danach derzeit nicht besonders hoch ist. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«
»Ist schon okay. Ich werde zurechtkommen. Es muss irgendwie weitergehen. Ich frage mich nur, warum ich immer wieder an solche üblen Typen gerate. Vielleicht sollte ich fortan von Männern die Finger lassen und mir lieber ein paar Katzen zulegen. Die tun einem so etwas nicht an.«
»Nicht alle sind so.«
»Ja, aber die, die sich für mich interessieren schon.«
Devin
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
Vincent O’Flanagan sieht mich ohne sein übliches Lächeln an. »Das ist mein absoluter Ernst, Devin. Selten war mir etwas ernster als das.«
»Das ist Erpressung, denn meine persönlichen Angelegenheiten gehen dich nichts an.«
»Das gehen sie sehr wohl, denn du liegst mir am Herzen. Das sind meine Bedingungen.«
Der feste Ausdruck in den grauen Augen meines Geschäftspartners und Freundes offenbart seine starke Persönlichkeit. Auch mit sechsundsechzig, seiner drahtigen, breitschultrigen Figur und mit dichtem, silbernem Haar ist der hochgewachsene Mann noch immer eine imposante Erscheinung.
»Warum tust du mir das an?«
»Warum tust du dir das selbst an? Dein Lebensstil kann dich auf Dauer nicht zufriedenstellen.«
»Das tut er aber.«
»Suchst du nicht nach Liebe? Nach der Frau fürs Leben? Immerhin bist du jetzt vierunddreißig.«
»Liebe existiert nicht. Sie ist ein schönes Märchen.«
Ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. »Mit Fiona habe ich meine große Liebe gefunden.«
»Das mag sein, aber das ist so selten wie ein Sechser im Lotto.«
»Das sehe ich anders. Einige meiner Freunde haben ebenfalls die Liebe gefunden. Connor ist schon seit dreißig Jahren glücklich verheiratet.«
»Schön für ihn, aber nicht jeder ist für die Ehe gemacht.«
»Selbst deine Mutter ist wieder verheiratet und das schon seit vielen Jahren.«
»Weil der Typ reich ist und ihr den gewünschten Lifestyle bietet. Außerdem kriselt es in ihrer Ehe derzeit gewaltig.«
»Du bist ganz schön zynisch. Nicht alle Frauen sind so. Als Fiona mich geheiratet hat, besaß ich noch nichts, und auch Connors Frau Meli hat ihn mit Sicherheit nicht wegen seines Reichtums geehelicht.«
»Das mag sein, aber du weißt, was Malcolm immer über mich sagt. Ich sei ein Playboy, wie er im Buche steht und eine große Enttäuschung für ihn und so weiter.«
Vincent nickt. »Genau so benimmst du dich, als würdest du ihn in seiner schlechten Meinung über dich nicht enttäuschen wollen. Aber früher warst du anders. Warum ist das so?«
»Das Warum spielt keine Rolle. Ich will nicht heiraten. Weder von Malcom noch dir werde ich mir in dieser Hinsicht etwas vorschreiben lassen.«
»Ich will dir nichts vorschreiben.«
Ich stemme die Hände in die Hüften. »Aber genau das tust du.«
»Das tue ich nicht. Ob du die Firmenanteile kaufst oder nicht ist immer noch deine Entscheidung.«
»Nach deinen Bedingungen.«
»Als Eigentümer steht es mir zu, diese zu stellen.«
»Wir sind Freunde. Du bist wie ein väterlicher Mentor für mich. Verdammt, du bist mehr ein Vater für mich als Malcolm. Als er es jemals war.«
Eindringlich blickt er mich an. »Genau darum geht es, Devin. Ich tue das alles, weil ich es gut mit dir meine. Du wirst noch enden wie einer meiner Onkel: einsam und allein.«
Ich verziehe meine Lippen zu einem ironischen Lächeln. »Hast du noch nie von dem Spruch gehört, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist?«
»Du musst langfristig denken. Ich fordere doch nur von dir, dass du bis zu deinem fünfunddreißigsten Geburtstag verheiratet bist und es ein Jahr lang bleibst, um der Sache eine Chance zu geben. Auch als Mann wirst du nicht jünger. Irgendwann bist du alt und findest keine Betthäschen mehr.«
Ich schnaube. »Selbst wenn ich alt, glatzköpfig und übergewichtig werde, was ich nicht vorhabe, werde ich immer genügend Frauen finden. Sie laufen mir schon allein deshalb nach, weil ich ein Milliardär bin.«
Nun tritt ein Ausdruck des Mitleids in seine Augen. »Mich würde das stören. Ich will, dass meine Frau um meiner selbst willen mit mir zusammen ist. Befriedigt dich das eigentlich wirklich?«
Kurz zögere ich. »Auf die Dauer wird es öde. Daher hatte ich schon seit zwei Wochen keinen One-Night-Stand mehr.«
Vincent zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Seit zwei Wochen schon nicht mehr? Ich bin beeindruckt. Du lebst noch keuscher als der Papst. Hast du schon mal darüber nachgedacht, einem Orden beizutreten?«
»Mach dich ruhig über mich lustig.«
»Sehen wir es doch mal realistisch, Devin. Diese Frauen sind in deinem Leben nur durchlaufende Posten. Ich kann mir denken, warum das so ist. Es tut mir leid, dass es in deinem Leben so wenig Stabilität gibt. Aber auch als Mann brauchst du Stabilität und Sicherheit.«
»Das mag bei dir der Fall sein, aber nicht bei mir. Ich brauche niemanden. Außerdem habe ich dich.«
»Mich wirst du nicht für immer haben. Ich möchte, bevor ich diese Welt verlasse, sehen wie du heiratest, vielleicht auch noch eines deiner Kinder im Arm halten oder zwei oder drei, wenn du so viele haben möchtest.«
»Ich will keine Kinder haben.«
Vincent zieht eine Augenbraue in die Höhe. »Wirklich nicht?«
»Meine Eltern waren, gelinde gesagt, nicht gerade die Vorzeigeeltern des Jahres. Soweit ich weiß, waren es deren Eltern wiederum auch nicht.«
»Das ist kein Beweis dafür, dass du darin genauso versagen würdest wie sie. Ich habe dich doch letztens mit dieser Kleinen gesehen, die von ihrem Roller gefallen ist. Du hast dich um sie gekümmert und sie getröstet, bis ihre Mutter gekommen ist.«
»Ich habe nie behauptet, dass ich keine Kinder mag, aber es ist wirklich keine gute Idee, wenn ich selbst welche in die Welt setze. Außerdem müsste ich dazu eine solide Partnerschaft führen und dazu bin ich nicht in der Lage.«
»Weil du es noch nie ausprobiert hast. Du lässt niemanden an dich ran. Du gibst keiner Frau eine Chance.«
Da hat er nicht mal so Unrecht. »Ich habe meine Gründe dafür.«
»Gründe, die dich eines Tages zu einem einsamen Mann machen werden, der diese Entscheidung womöglich irgendwann bereuen wird.«
»Du hast doch auch keine Kinder.«
»Das lag nicht daran, dass wir keine wollten oder es nicht versucht hätten. Das ist nicht mit deiner Situation vergleichbar.«
»Warum habt ihr dann keine adoptiert?«
»Meine Frau wollte die Hoffnung auf eine Schwangerschaft nicht aufgeben. Als sie sich selbst eingestehen musste, dass es nie klappen würde, waren wir zu alt, um ein Adoptivkind bei uns aufnehmen zu können. Heirate und bleibe mit dieser Frau mindestens ein Jahr verheiratet, lebe mit ihr im selben Haus oder in derselben Wohnung und du bekommst dann sämtliche Firmenanteile von mir.«
Nachdenklich ziehe ich die Augenbrauen zusammen. »Ich weiß nicht, ob das überhaupt rechtens ist, was du mir da vorschlägst. Sind solche Bedingungen nicht sittenwidrig?«
Lächelnd verschränkt Vincent die Arme vor der Brust. »Was willst du dagegen tun? Willst du mich etwa vors Gericht zerren?«
Er weiß genau, dass ich das nie tun würde, der alte Fuchs.
»Und wenn ich nicht darauf eingehe?«
»Dann werde ich meine Unternehmensanteile einer gemeinnützigen Organisation vererben.«
»Die dann an einen dieser Investoren verkaufen. Dieser wird versuchen, mir bei fünfzig Prozent Anteilen alles vorzuschreiben oder, falls das nicht klappen sollte, alles blockieren. Kein Wunder, dass die chinesische Regierung bei ihren Joint-Ventures immer einundfünfzig Prozent haben will.«
»Ganz genau. Diese Gefahr besteht allerdings. Welch ein Glück, dass wir beide uns immer einig waren. Sonst hätte das nie geklappt.«
»Heutzutage würde ich solch einen Vertrag nicht mehr abschließen, nicht mal mit dir. Aber damals sah ich alles noch ganz anders, war naiv und gutgläubig.«
»Dein Vater hätte dich unterstützen sollen, als du die Firma gründen wolltest. Schon damals war er dazu reich genug. Außerdem war es ja nicht so, als hättest du keine solide Geschäftsgrundlage gehabt.«
»Wenn die Hölle zufriert. Das hätte er nie getan. Das ist also dein letztes Angebot?«
Er nickt. »Ja, das ist es.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
Mein erster Impuls ist, dem alten Mistkerl abzusagen. Soll er sich das Ganze an den Hut stecken. Nicht mit mir.
Ich lasse mir doch keine Ehefrau aufzwingen. Mit Frauen hat man nur Ärger. Das habe ich schon damals bei meiner Mutter gesehen. Nein, auf keinen Fall heirate ich irgendeine Frau, nur um an die Unternehmensanteile zu gelangen. So etwas kann zu mehr Ärger führen, als es wert ist.
Andererseits arbeite ich schon sehr viele Jahre an dieser Sache. Wenn die Hälfte der Anteile in die falschen Hände fallen sollte, führt das auch zu vielen Problemen.
»Wirst du denjenigen, dem du die Anteile vererbst, sorgfältig auswählen?«, frage ich sicherheitshalber.
»Das werde ich, und ich werde Bedingungen daran knüpfen, damit dein Lebenswerk nicht den Bach runtergeht.«
»Das beruhigt mich.« Zufriedenstellend ist es trotzdem nicht, aber vielleicht kann ich die Anteile dem oder den Erben später abkaufen.
»Eine der Bedingungen besagt, dass die Anteile nicht an dich weiterverkauft werden dürfen«, sagt Vincent seelenruhig, als hätte er soeben meine Gedanken gelesen.
Nachdenklich kratze ich mich am Kinn. Mir wird schon irgendetwas einfallen, um seinen hinterhältigen Plan zu vereiteln. Die Erben könnten an einen Dritten, einen Strohmann von mir, verkaufen, von dem ich die Firmenanteile wiederum erwerben würde. Das könnte durchaus funktionieren.
Zwar würde das eine Menge Steuern kosten, aber das wäre es mir wert. Das Vereinigte Königreich wird sich darüber freuen, denn mit diesem Geld werden Straßen gebaut und ausgebessert, generell für eine bessere Infrastruktur gesorgt, Schulen und der National Health Service finanziert. Es wäre also für mehr als nur einen guten Zweck.
Vincent blickt mich nachdenklich an. »Ich werde generell ausschließen, dass die Anteile an dich verkauft werden können, um Strohmanngeschäfte zu vereiteln.«
Kann der alte Fuchs etwa Gedanken lesen? Er kennt mich zu lange. Ich habe von ihm gelernt. Er weiß, wie ich denke.
»Natürlich tust du das.«
Ich verabschiede mich von Vincent und verlasse sein im auffälligen Tudor-Stil gehaltenes Haus im Londoner Stadtteil Southwark mit seinen Satteldächern, den gemauerten Schornsteinen, Reihenfenstern und dem dunkelbraun-weißen Fachwerk.
Dann steige ich in meine Limousine, die auf dem zum Anwesen gehörenden Parkplatz steht.
Bevor ich losfahren kann, ruft mich einer meiner neuen Großkunden an. Es handelt sich um Mr. Rodriguez, den Gründer der Jim Rodriguez Furniture Company in Las Vegas. Er ist unser erster wirklich großer Kunde in Übersee, noch dazu jemand mit bedeutenden Verbindungen und viel Einfluss. Darauf bin ich sehr stolz.
Ich melde mich mit meinem vollen Namen und der offiziellen Unternehmensbezeichnung.
»Immer so förmlich, Devin. Hier in Amerika sind wir viel lockerer«, sagt er gleich nach der Begrüßung. Der Mann redet wie ein Wasserfall.
Ich lächle, weil man das an der Stimme hört. »Hallo, Jim. Wie geht es Ihnen?«
»Hervorragend. Ich hoffe, Ihnen geht es ebenfalls gut.«
»Ich kann nicht klagen. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie erinnern sich doch gewiss an unsere Gespräche vor vier Wochen?«
»Natürlich tue ich das.«
»Ich habe Sie doch nach Las Vegas eingeladen, und Sie haben zugesagt. Nun teile ich Ihnen das Datum mit. Es ist am übernächsten Wochenende. Ich hoffe, Sie haben da noch nichts vor.«
»Ich schaue rasch in meinem Google-Terminkalender nach.« Glücklicherweise ist an besagtem Wochenende noch nichts eingeplant. Ich hatte überlegt, am Samstag in die Firma zu kommen und am Abend auf eine Benefizveranstaltung zu gehen, doch nichts davon ist obligatorisch oder auch nur annähernd so wichtig wie die Pflege der Beziehung mit diesem wichtigen Kunden, den ich zudem noch sehr sympathisch finde.
»Ich habe vor, mich mit ein paar Freunden und Verwandten zu treffen. Bei einigen handelt es sich um Kollegen aus der Möbelbranche. Dabei lernen nicht nur wir beide uns persönlich kennen, sondern Sie haben auch die Möglichkeit, ein paar Leute von meiner Familie zu treffen. Mein Cousin handelt mit Korbmöbeln, und meine Stiefschwester hat sich auf Landhausmöbel spezialisiert. Die beiden wollen Sie ebenfalls kennenlernen. Das Unternehmen meiner Stiefschwester befindet sich in Nanaimo auf der kanadischen Pazifikinsel Vancouver Island, weil sie mit einem Kanadier verheiratet ist.«
Wenn das nicht die perfekte Gelegenheit fürs Networking ist. Ein gewiefter Geschäftsmann wie ich kann sich diese Chance nicht entgehen lassen.
»Ich würde natürlich gerne Ihre Verwandten kennenlernen.« Hoffentlich sind das so freundliche und umgängliche Menschen wie Jim Rodriguez.
»Das freut mich. Las Vegas ist eine faszinierende Stadt. Sie werden sie lieben. Vielleicht komme ich auch mal nach London.«
»Das werden Sie nicht bereuen. London hat viel zu bieten.«
»Ach ja, bevor ich es vergesse. Bringen Sie unbedingt Ihre reizende Verlobte mit.«
Das Lächeln gefriert mir auf den Lippen. Meine Verlobte? Verdammt, daran habe ich schon längst nicht mehr gedacht. Mr. Rodriguez ist einer von der altmodischen Sorte, die der Ansicht ist, dass ein Mann mit Anfang, Mitte dreißig verheiratet sein sollte. Es gibt sogar Unternehmen, die diese Politik verfolgen, weil es ein bestimmtes Image nach außen erzeugt. Zum Glück sind diese in der Minderheit.
Gerade in unserer schnelllebigen Zeit scheinen sich immer mehr Menschen nach den ursprünglichen Werten wie Familie, Ehe, Zusammengehörigkeit, Stabilität und Tradition zu sehnen. Einige gehen sogar so weit, ihre geschäftlichen Transaktionen davon abhängig zu machen.
Jim Rodriguez gehört leider zu ihnen, sodass ich es für nötig befunden hatte, eine Verlobte zu erfinden, um einen ausgeglicheneren Wettbewerb herzustellen. Schließlich sollte ich nicht in wirtschaftlichen Belangen benachteiligt werden, nur weil ich nicht den überholten Wert der Ehe vertrete.
Da brauche ich nur an die Scheidung meiner Eltern zu denken, die eine einzige Schlammschlacht war. Letztendlich hat er meiner Mutter sogar Schweigegeld dafür bezahlt, dass sie einige Dinge nicht über ihn herumerzählt, die ihm seiner Ansicht nach schaden könnten, bevor sie mit ihrem neuen Lover nach Portugal durchgebrannt ist und mich bei Malcolm zurückgelassen hat.
»Ja, natürlich werde ich meine Verlobte fragen. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass sie so kurzfristig Zeit haben wird.«
»Es ist doch nur ein Wochenende. Es würde mir ungeheuer viel bedeuten, sie kennenzulernen.«
»Glauben Sie wirklich so sehr an die Ehe?«, rutscht es mir heraus.
»Ja, das tue ich, Devin.« Er klingt sehr überzeugt.
»Aber Ihre Mutter ist doch geschieden.«
»Ja, das stimmt. Nicht immer funktioniert es, doch das heißt nicht, dass alles grundsätzlich dem Untergang geweiht ist. Mein Vater hat sein Glück im zweiten Anlauf gefunden. Sie werden doch nicht etwa kalte Füße bekommen? Sind Sie nicht schon seit einem Jahr verlobt?«
»Seit einem halben.«
»Bringen Sie sie mit. Ich will die Frau, die Sie eingefangen hat, unbedingt kennenlernen.«
So weit wird es nie kommen, dass mich eine Frau einfängt. Das wäre ja noch schöner.
»Ich werde mein Möglichstes tun.« So langsam fange ich zu schwitzen an. Jim Rodriguez ist mein Tor nach Übersee. Er ist ein sehr einflussreicher Geschäftsmann mit vielen Verbindungen, die weit über die Möbelbranche hinausgehen. Ich kann es mir nicht erlauben, mir es mit ihm zu verscherzen, wenn ich in diesem Teil der Welt Fuß fassen möchte. Ich muss mir etwas einfallen lassen, und zwar schnell.
»Ich freue mich bereits darauf, Sie und Ihre Verlobte persönlich kennenzulernen. Natürlich werde ich Sie in einem Hotel meines Bruders Jeff unterbringen lassen. Die Unterkunft ist gratis für Sie, ein Geschenk unter Geschäftsfreunden. Jeff besitzt eine sehr exklusive Hotelkette.«
»Vielen Dank, Jim. Das ist sehr großzügig von Ihnen und Ihrem Bruder. Ich freue mich auch schon darauf, Sie, Ihre Gattin und Ihre Verwandten und Freunde persönlich kennenzulernen.«
»Es ist schön, das zu hören. Die persönlichen Verbindungen mit meinen Geschäftspartnern sind mir wichtig. Wir sind alle Menschen und keine Maschinen. Eine persönliche Ebene und traditionelle Werte sind mir und meinen Lieben wichtig. Ich möchte Sie jetzt nicht länger aufhalten. Wenn Sie erst mal in Las Vegas sind, können wir uns lange und ausgiebig unterhalten. Bis dann, Devin. Wir sehen uns.«
»Bis dann, Jim. Vielen Dank für Ihre Einladung und den Anruf.«
»Keine Ursache. Bis bald.«
Ich beende das Gespräch auf meinem Smartphone und stecke es weg. Dann fahre ich zu meinem Unternehmen, parke in der Tiefgarage und nehme den Aufzug, der mich in meine Büroräume bringt.
Da das Gespräch mit Vincent nur kurz dauerte und er mich zu einer gottlos frühen Zeit sehen wollte, während der die meisten Büros noch unbesetzt sind, bin ich auch trotz Jims Anruf ziemlich zeitig dran. Wobei ich mich frage, wann Jim eigentlich sein Büro schließt. Bei ihm dürfte es schon später Abend sein.
Jedenfalls schaffe ich es, zu recht früher Stunde in meinem Büro zu erscheinen. Damit rechnen die Bürodamen offenbar nicht, denen ich gesagt hatte, sie sollen die erste Stunde vorsorglich für mich freihalten, denn das schwatzhafte Pack hängt in der Teeküche ab, die sich zwischen dem Vorzimmer des CFO und meinem befindet. Ich kann ihre Stimmen vom Flur aus vernehmen, weil sie versehentlich die Tür nicht richtig geschlossen haben.
Ms. York hat also finanzielle Probleme, die ihr Scammer von Ex-Freund verursacht hat. Mit dem war sie schon zusammen, als sie vor einem Jahr und vier Monaten bei mir angefangen hat. Der hat sie übel über den Tisch gezogen. Wenn das nicht mal wieder ein Beweis dafür ist, dass man kaum jemandem vertrauen kann. Nicht dass ich übermäßig misstrauisch wäre, aber Vorsicht ist immer besser.
Ich klopfe gegen die Tür, die sich daraufhin öffnet.
Die beiden Frauen sehen mich erschrocken an. »Guten Morgen, Mr. Ashford«, sagen sie beinahe synchron.
»Guten Morgen, die Damen. Ms. York, kommen Sie bitte unverzüglich in mein Büro.« Meine Stimme klingt kühler und strenger als beabsichtigt, doch sie bewirkt das Erzielte. Besagte Dame springt sofort auf und folgt mir.
Sie sieht sehr süß aus in der hellblauen Bluse und dem schwarzen Hosenanzug, der, obwohl er konservativ geschnitten ist, ihre atemberaubende Figur erahnen lässt. Ihr hellblondes, lockiges Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Augen sind grünblau wie das Meer, und ihre sorgfältig manikürten, kurzen Fingernägel glänzen von einem durchsichtigen rosa Nagellack.
Seltsam, bei anderen Frauen fallen mir solche Details nicht auf. Wäre sie nicht meine Angestellte, hätte ich sie längst flachgelegt, aber selbst ich habe meine Grenzen.
Keineswegs gefährde ich die professionelle Beziehung zu einer meiner besten Angestellten mit einem unbedeutenden kleinen Abenteuer, das ich ohnehin nicht beabsichtige zu wiederholen. Ich lese schon kein Buch zweimal, warum also sollte ich zwei Nächte mit derselben Frau verbringen, selbst wenn sie so anziehend ist wie Aurelia York?
Schließlich will ich nicht mein schlechtes Image gefährden und meinen sogenannten Vater enttäuschen. Immerhin besteht sein Lebensinhalt daraus, schlecht über mich zu reden. Ich kann den alten Herrn doch nicht seines Lebenszwecks berauben. Selbst ich, den sie heimlich Devil nennen und denken, ich wüsste das nicht, kann nicht so böse sein, das zu tun.
Aurelia
Devil hat uns eiskalt bei unserer privaten Unterhaltung erwischt. Ich kann nur hoffen, dass er nicht viel davon mitbekommen hat, da es sich um ziemlich persönliche Themen handelte. Aber ich denke, darüber brauche ich mir keine Sorgen zu machen, denn ich bin mir sicher, dass es ihn nicht im Geringsten interessiert.
Privat soll er ein Playboy sein, wie er im Buche steht. Selbst sein eigener Vater redet in den schlimmsten Tönen von ihm. Ich frage mich, ob das alles wahr sein kann, was man ihm nachsagt. Er müsste drei Leben leben oder mindestens zwei Doppelgänger haben, um all diese Frauen flachgelegt zu haben. Hat der Mann keine anderen Hobbys? Ach ja, doch hat er. Man sagt ihm wüste Trinkgelage nach.
Wobei es mich nicht interessieren sollte, was er privat treibt. Schließlich geht es mich nichts an. Wichtig ist nur, dass er sich im Büro absolut professionell verhält und das tut er. Seine anmaßende Art ist natürlich wieder etwas anderes.
Ich nehme ihm gegenüber an seinem breiten Mahagonischreibtisch Platz. Hinter ihm eröffnet sich mir ein spektakulärer Blick auf die Skyline von London.
Er verschränkt die Hände vor sich auf dem Tisch. Seine Finger sind lang und schmal, aber wirken dennoch kräftig. Er besitzt unglaublich schöne Hände.
Überhaupt ist alles an diesem Mann attraktiv, von den durchdringenden, dunklen Augen, dem markanten Kinn, dem dichten dunklen Haar, der geraden Nase bis zu den sinnlichen Lippen. Noch dazu besitzt er eine ungeheure männliche Ausstrahlung, es umgibt ihn eine Aura der Macht und ein Charisma wie ein Leuchtfeuer. Es ist kein Wunder, dass die Frauen ihm so nachlaufen. Selbst für mich als seine Angestellte, die um Professionalität bemüht ist, ist es schwer, mich dem gänzlich zu entziehen.
Ein kurzes Aufflackern in seinem dunklen Blick zeigt mir, dass ihm auffällt, dass ich gegen seine Männlichkeit keineswegs ganz immun bin.
Ein Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus, das durchaus seine Augen erreicht, doch gleichzeitig entdecke ich für einen Moment darin jenen verschlagenen Ausdruck, den ich von seinen geschäftlichen Verhandlungen kenne. Nur wer ihn sehr genau beobachtet und ihn schon längere Zeit kennt, wird das bemerken.
Dieser Mann ist gut, sehr gut darin, andere seinem Willen zu beugen. Die berüchtigte Ruchlosigkeit, die man ihm nachsagt, ist mehr als nur ein Gerücht.
Die Frage ist, warum er mich so plötzlich hierher zitiert hat. Will er mich rausschmeißen, weil ich mit Grace während der Arbeitszeit eine private Unterhaltung geführt habe? Er sollte längst wissen, dass ich solche Zeiten abends dranhänge und generell entsprechend länger bleibe. Dafür bin ich auch schon öfter an Samstagen reingekommen, wenn der Herr Oberboss das wünscht. Auch das sollte etwas zählen.
»Nun, Ms. York. Wie ich vorhin gesehen habe, befanden Sie sich während der offiziellen Bürozeiten in der Teeküche, um ein privates Gespräch zu führen.«
»Ich arbeite dafür abends länger. Wie Sie wissen, gibt es bei mir keine Minusstunden.«
»Aber was wäre gewesen, wenn ausgerechnet während dieser Zeit ein Kunde angerufen hätte?«
»Ich hatte zwar vergessen, das Telefon mitzunehmen, doch dafür habe ich die Tür angelehnt gelassen. Daher hätte ich es gehört, wenn ein Anruf reingekommen wäre, und hätte diesen so schnell wie möglich entgegengenommen. Außerdem haben wir uns nur ungefähr eine Viertelstunde miteinander unterhalten. Ich habe nicht damit gerechnet, Sie so früh schon anzutreffen. Wollten Sie nicht zu Mr. O’Flanagan?«
Ein zynisches Lächeln zeigt sich auf seinem Gesicht. »Das kann ich mir vorstellen. Er hat den Termin vorverlegt.«
Aus zu Schlitzen verengten Augen sehe ich ihn an. Ich vermute, dass er uns die falsche Uhrzeit genannt hat, um uns zu testen, wenn er dann viel früher in die Kanzlei zurückkehrt. Devin ›the Devil‹ Ashford ist voll und ganz durchtrieben.
Sein Lächeln wird noch ein wenig breiter. »Da Ihre Beziehung mit Greg zu Ende ist, dürften Ihre Wochenenden jetzt frei sein.«
»Er heißt George, und das Ende meiner Beziehung bedeutet nicht, dass ich fortan sämtliche meiner Wochenenden durcharbeiten werde.«
»Davon gehe ich auch nicht aus, doch zu speziellen Anlässen erwarte ich es. Sie werden mich am übernächsten Wochenende nach Las Vegas begleiten. Jim Rodriguez hat uns eingeladen, ihn zu besuchen. Sie werden mich als meine Verlobte begleiten.«
Für einen Moment bin ich sprachlos und schockiert. Wie kommt er nur auf diese Idee? Klar, ich habe gehört, dass Mr. Rodriguez gewisse traditionelle Ansichten hegt, aber das ist mir etwas zu krass. Empörung steigt in mir auf. Er hätte mich zumindest vorher fragen müssen, anstatt einfach davon auszugehen, dass ich für so etwas zur Verfügung stehe.
Ich schüttle den Kopf. »Vergessen Sie’s. Für Schmierenkomödien, um andere Leute zu täuschen, stehe ich nicht zur Verfügung.«
»So sprechen Sie mit Ihrem Boss?«
Erschrocken blicke ich ihn an. »Ich hasse es, jemandem etwas vorzumachen.«
»Ihre Aufrichtigkeit in allen Ehren, Ms. York, aber dieser Auftrag und dieser Mann sind unser Tor nach Übersee, eine riesige Chance, in geradezu gigantischem Ausmaß zu expandieren. Das können wir uns nicht entgehen lassen. Wenn Sie mir helfen, sichern Sie nicht nur Ihren Arbeitsplatz und den Ihrer Freundin Grace MacKenzie, sondern auch die vieler Ihrer Kollegen. Ich werde dann voraussichtlich auch weitere Arbeitsplätze schaffen können. Gut bezahlte Arbeitsplätze mit hervorragenden Sozialleistungen, genügend Urlaub und einem neuen Koch für unsere Kantine. Womöglich einem Sterne-Koch. Dann könnte ich auch die alten Kunstledersitze austauschen, die Sie dort so unbequem finden. Vielleicht würdest du sie dann wieder mehr nutzen, anstatt nur in der kleinen Küche herumzuhängen.« Lauernd blickt er mich an, als wäre nicht ohnehin schon offensichtlich, dass er mich ködern will.
»So leicht kann man mich nicht bestechen.«
»Aber, aber, Ms. York. Ich rede doch nicht von Bestechung, sondern von der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sämtlicher Angestellter. Von Ihren eigenen und denen Ihrer Freundin ganz zu schweigen. Jim Rodriguez hat unserem Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil verschafft, indem er nur Personen, die verheiratet sind oder Verwitwete, die es lange Zeit waren oder jene, die kurz davor stehen, in den Stand der Ehe einzutreten, in seiner Ausschreibung berücksichtigt. Finden Sie das etwa fair?«
»Es ist sein Unternehmen, sein Auftrag. Es ist also seine Entscheidung.«
»Und meine privaten Angelegenheiten, wie etwa, wann und ob ich heirate, sind allein meine Entscheidung und sollten von derartigen geschäftlichen Dingen nicht beeinflusst werden. Obwohl ich Mr. Rodriguez sehr schätze, finde ich diese Vorgehensweise Singles gegenüber diskriminierend. Einige Menschen entscheiden sich bewusst gegen Beziehungen, sei es etwa nach einer traumatischen Ehe oder aus anderen Gründen. Alle davon sind legitim.«
So ganz unrecht hat er leider nicht. Ich werde unsicher.
Er spricht weiter. »Wenn Mr. Rodriguez, sagen wir mal, nur weißen Leuten Aufträge erteilt oder Katholiken oder Leuten, die die seiner Ansicht nach richtige Partei wählen, würden Sie sich dann nicht auch auf die Füße getreten fühlen?«, fragt er mit einem eindringlichen Blick. Seiner Argumentation kann ich mich nicht ganz entziehen.
»Trotzdem gefällt mir diese Sache nicht. Irgendwie ist es Betrug. Nein, nicht nur irgendwie. Wir führen den guten Mann hinters Licht.«
»Tun Sie es für einen guten Zweck. Die Arbeitsplätze und Lebensbedingungen Ihrer Kolleginnen und Kollegen sollten Ihnen am Herzen liegen.«
»Das ist Manipulation.«
»Alles im Leben ist Manipulation.«
»Das sehe ich anders. Ich glaube an das Gute im Menschen.«
»Genau aus diesem Grund hat Ihr Partner Sie übers Ohr gehauen. Sie sehen nur das Gute, aber nicht das Schlechte in anderen, weil Sie es selbst nicht in sich tragen, woraufhin solche Prädatoren Ihre Naivität ausnutzen. In einigen Menschen überwiegt eindeutig das Schlechte so sehr, dass Sie sich auf das Gute in Ihnen lieber nicht verlassen sollten. Für die sind Sie nur Beute.
Ihre Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft werden von denen als Schwächen ausgelegt. Schwächen, die es auszunutzen gilt, denn solche Menschen fühlen sich Ihnen dadurch auch noch überlegen und halten Sie für dumm, anstatt auch nur einen Hauch von Reue oder Gewissen zu empfinden. Diese Personen machen mindestens fünfzehn, wenn nicht gar zwanzig Prozent der Bevölkerung aus. Wachen Sie also aus Ihren Gutmenschen-Träumen auf!«
Empört blicke ich ihn an. »Bei allem Respekt, Mr. Ashford, aber meine privaten Angelegenheiten gehen Sie nichts an.« Wobei er den Nagel leider auf den Kopf getroffen hat. Dennoch ist es allein meine Sache.
»Was werden Sie tun, wenn Sie keinen Kredit bekommen?«
Empört starre ich ihn an. »Sie haben also gelauscht!«
»Ich hätte es überhören können, wenn Sie beide nicht so laut gewesen wären. Also, was werden Sie tun?«
»Ich werde einen Kredit bekommen. Noch habe ich nicht alle Banken durch. Ich habe noch nicht mal richtig angefangen.«
»Sie werden keinen bekommen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so ein Pessimist sind.«
»Ich bezahle Ihnen die Schulden und die Zinsen, wenn Sie mich nach Las Vegas begleiten. Das gehört ohnehin zu Ihrer Jobbeschreibung. Ein paar Kleider, Schuhe und leckere Mahlzeiten gibt es noch obendrauf.«
»Sie zu Kunden zu begleiten schon, aber nicht, Ihre Verlobte zu spielen. Ich wüsste nicht, dass das irgendwo in meinem Arbeitsvertrag stehen würde.«
Er lächelt siegessicher. »Dafür bekommen Sie das Geld. Nur ein Wochenende. Las Vegas ist eine tolle Stadt. Unsere Unterkünfte werden uns sogar bezahlt. Es soll sich um ein sehr exklusives Etablissement handeln, das dem Bruder unseres Kunden gehört. Er würde es sicherlich als eine persönliche Beleidigung ansehen, wenn Sie als meine Verlobte seine Großzügigkeit zurückweisen würden.«
»Ich bin aber nicht Ihre Verlobte. Ich meine, wer verlobt sich schon freiwillig mit einem Womanizer wie Ihnen?« Erschrocken über mein eigenes loses Mundwerk schlage ich eine Hand vor meine Lippen.
Ich sollte wirklich mehr nachdenken, bevor ich etwas sage, aber dieser Mann bringt mich einfach in Rage. Außerdem fand ich seine letzte Äußerung ziemlich manipulativ. Ja, ich bin nicht mehr ganz die naive, gutgläubige, behütet aufgewachsene Aurelia, die ich mal war. Ich habe aus der Sache mit George gelernt.
Er grinst mich an wie ein Wolf seine Beute. »Eine Menge Frauen würden das mit Handkuss tun, Ms. York.«
»Aber Sie würden ihnen die Herzen brechen.«
»Nicht, wenn genügend Geld für sie dabei herausspringt. Es ist nicht so, als würden diese Frauen mir ihr Herz schenken wollen. Die haben es auf etwas ganz anderes abgesehen.«
Empört sehe ich ihn an. »Sie denken also, alle Frauen seien geldgierig?«
»Nicht alle. Sie offenbar nicht. Sie sind entsetzlich naiv, aber auch erfrischend aufrichtig. Manchmal weiß ich gar nicht, was ich mit Ihnen anfangen soll. Nehmen Sie mein Angebot an und seien Sie schuldenfrei.«
»Ich werde es mir überlegen.« Ganz ablehnen kann ich es noch nicht, weil nicht sicher ist, ob ich den Kredit bekommen werde. Ich hasse es, mich in einer solchen Zwangslage zu befinden.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit. Überlegen Sie nicht zu lange. Sagen Sie mir bis Montag Bescheid. Schließlich müsste ich sonst noch einen Ersatz für Sie besorgen, den ich instruieren muss. Ihre Mithilfe wäre naheliegend, weil Sie mich besser kennen als viele andere. Zumindest weiß ich ungefähr, was für ein Mensch Sie sind.«
»Ich glaube nicht, dass ich Sie wirklich kenne.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein. Bis Montag will ich Bescheid wissen und keinen Tag später.«
Ich schlucke. »Wie Sie wollen. Gibt es sonst noch etwas?«
»Wie heißt Ihr Ex-Freund noch mal mit vollständigem Namen?«
»Warum wollen Sie das wissen? Der Typ hat, soweit ich weiß, das Land verlassen.«
»Nur interessehalber. Ich muss doch ein paar Eckdaten aus dem Leben meiner Verlobten kennen.«
»Sie sind sehr siegessicher. Noch steht nicht fest, ob ich tatsächlich Ihre Verlobte spielen werde.« Wenn es nach mir ginge, würde ich das natürlich nicht tun.
»Wer von der Niederlage ausgeht, wird sie erleiden. Allzu siegessicher bin ich nicht, aber ich bin ein Stratege. Haben Sie daran gedacht, gegen ihn Anzeige zu erstatten?« Abscheu zeigt sich auf seinem Gesicht, als er diese Worte äußert. Er hält also sehr wenig von meinem Ex.
»Das wollte ich, aber da sämtliche Zahlungen online unter meiner IP-Adresse erfolgt sind, hat mir die Polizei davon abgeraten. Die Frau, für die er die Sachen erworben hat, trägt außerdem dieselbe Kleidergröße wie ich. Man sagte mir, dass er, falls ich ihn anzeige, gegen mich Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung stellen könne, weil ich keine Beweise dafür habe, die Einkäufe nicht selbst getätigt zu haben.«
»Solche Scammer sichern sich meist nach allen Seiten ab.«
Erschrocken sehe ich ihn an. »Sie meinen also, er hat das von langer Hand geplant?«
»Es wäre durchaus denkbar. Bedauerlicherweise gibt es viele solcher Menschen. Wie gesagt, ich kann Ihnen aus den Schulden heraushelfen.«
Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe. »Das Ganze wird doch nicht etwa meinen Job beeinträchtigen?«
»Nein, das wird es natürlich nicht. Es ist eine reine Gefälligkeit, die ich entsprechend entlohnen werde. Im Moment gibt es kein weiteres Thema, das wir noch zu besprechen haben. Sie können also jetzt Ihrer gewohnten Arbeit nachgehen.«
»Vielen Dank, Mr. Ashford.« Erst als ich mich erhebe, bemerke ich, dass mir die Knie zittern. Das Gespräch hat mich mehr angestrengt, als ich dachte. Ich befürchte, seine Vorhersage, dass ich keinen Kredit bekomme, könnte wahr werden. Schließlich weiß jeder, dass es immer schwieriger wird, einen zu bekommen. Außerdem sind die Zinsen derzeit horrend.
Kapitel 2
Devin
Weil ich ein Mistkerl bin – schließlich muss ich meinem Spitznamen Devil gerecht werden –, blicke ich ihr hemmungslos auf den wohlgerundeten Hintern, als sie den Raum verlässt.
Dabei hat Ms. Aurelia York weitaus mehr zu bieten als nur äußere Reize. Sie ist eine intelligente, sehr zuverlässige, von mir äußerst geschätzte Mitarbeiterin. Eine meiner besten, wenn nicht gar die beste persönliche Assistentin, die ich je hatte.
Außerdem erträgt sie meine überhebliche, bisweilen recht fordernde Art mit einem professionellen Gleichmut, der ihresgleichen sucht. Selbst ihre spitze Zunge, wenn ihr unbedachte Äußerungen entweichen, gefällt mir. Das ist mir tausendmal lieber als geheuchelte Freundlichkeit und hintenrum fieses Gerede.
Ich kann mir nicht vorstellen, irgendeine Escortdame zu einem derart wichtigen Event mitzuschleppen. Dafür reicht außerdem die Zeit nicht mehr, um sie entsprechend vorzubereiten. Die würde sich früher oder später verplappern.
Außerdem wäre sie eine Fremde, der ich nicht vertraue. Womöglich würde sie versuchen, mich mit dem Wissen über meine Situation zu erpressen. Von Aurelia ist ein derartiges Verhalten nicht zu erwarten. So gut kenne ich sie.
Auch die Frauen aus meinem Bekanntenkreis scheiden aus und das nicht mal, weil sie sich verplappern könnten. Einige von denen suchen nur einen Ring am Finger und das aus den falschen Gründen. Für die bin ich nur ein Sack voller Geld oder die Eintrittskarte in die High Society.
Die Frauen mit anderen, also lauteren Absichten scheinen sich von mir abgestoßen zu fühlen. Mein schlechter Ruf eilt mir also wieder mal voraus. Das sollte er auch, denn ich habe hart daran gearbeitet.
Außerdem kenne ich keine nach meinen Maßstäben geeignetere Frau, die ich während jenes Wochenendes an meiner Seite wissen möchte.
Aurelia ist nicht nur attraktiv und kultiviert, sie ist auch intelligent und eine interessante Gesprächspartnerin. Bei ihr besteht nicht die Gefahr, dass ich sie nach einem Abend oder spätestens am nächsten Tag nicht mehr ertragen kann. Auch ihren Humor schätze ich.
Weil ich so ein Mistkerl bin, greife ich, kaum dass sie den Raum verlassen hat, nach dem Telefon und erledige einen Anruf, der sicherstellt, dass meine zukünftige Fake-Verlobte ganz sicher keinen Kredit bekommt, nicht mal von den schmierigen, unseriösen Kredithaien. Ganz besonders nicht von denen, denn ich will sie nicht ruiniert sehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie von diesen einen Kredit kriegt, ist wesentlich höher. Wobei das, was die Banken derzeit machen, auch Wegelagerei ist. Zumindest sehe ich das bei einem Zinssatz von derzeit fünfzehn Prozent so. Außerdem neigen einige dazu, im Kleingedruckten hinterhältige Rückzahlungsklauseln zu verstecken, die Aurelia durchaus finanziell das Genick brechen können.
Anschließend erledige ich einen weiteren Anruf.
Aurelia
Es ist noch viel schlimmer, als ich mir das vorgestellt habe. Ich rufe wirklich sämtliche Banken an, und bei etlichen stelle ich mich persönlich vor, wenn sie nicht zu weit entfernt sind. Die wenigen, bei denen ich einen Termin bekomme, lehnen einen Kredit und sei er noch so klein oder kurzzeitig rundherum ab.
Dabei verdiene ich nicht schlecht und habe seit Jahren feste Anstellungen. Auch bin ich bei den Wirtschaftsauskunfteien nicht als Schuldenhund bekannt.
Es sieht wirklich nicht gut aus für mich. Ich werde wohl oder übel Mr. Ashfords Angebot nicht ablehnen können.
Aber wäre es wirklich so schlimm? Er ist arrogant, gewieft und ruchlos, doch bei all seinen fragwürdigen Eigenschaften habe ich stets von ihm den Eindruck, dass er gute Absichten verfolgt.
Nachdenklich kratze ich mich am Kinn. Ja, klar, ich bin schließlich so bekannt für meine gute Menschenkenntnis. Andererseits muss ich sagen, dass mir das mit George schon irgendwie die Augen geöffnet hat. Ganz so naiv war ich eigentlich nicht. Wir waren schon ein Jahr zusammen, bevor ich ihn bei mir einziehen habe lassen. Man kann also nicht sagen, dass ich überstürzt gehandelt hätte.
Inzwischen weiß ich einiges, was mir zuvor nicht bekannt war. George war ein professionelles Opfer. Sein Chef, seine Ex-Freundinnen, sein Vater und noch eine Menge andere Leute haben ihm im Leben übel mitgespielt. Sein Boss klaut oft seine Ideen, sämtliche seiner Ex-Freundinnen sind fremdgegangen, und sein Vater hat ihn ohne Grund enterbt.
Nachdem ich eine Menge YouTube-Videos über toxische Menschen wie Narzissten und Soziopathen gesehen habe, kann ich mit Fug und Recht sagen, dass diese Art von Menschen bewusst mit unserem Mitgefühl und unserer Hilfsbereitschaft spielt, sodass wir auf die Tränendrüsen-Masche hereinfallen.
Es handelt sich um eine hochwirksame Strategie, die, sofern sie geschickt angewendet wird, bei so ziemlich allen halbwegs mitfühlenden Menschen wirkt.
Tja, als Empathin habe ich wirklich die Arschkarte gezogen. Wobei selbst fünfzigjährige Firmenbosse auf einige solcher Personen hereinfallen.
Jedenfalls ist dieser Jim Rodriguez mit Sicherheit auch nicht ganz ohne. Ich will nicht behaupten, dass er eine toxische Person ist, keineswegs, aber wenn er den Familienstand seiner Anbieter als Entscheidungskriterium verwendet, finde ich das in der Tat unfair.
Was kann es also schaden, wenn ich ein wenig mit Mr. Ashford Händchen halte und ihn verliebt anlächele? Ein Wochenende mit ihm in Las Vegas an seinem Arm verbringe, ein paar Leute und eine interessante Stadt kennenlerne, in einem tollen Hotel schlafe, gut esse und dadurch noch ganz nebenbei meine Schulden loswerde? Wäre das wirklich so schlimm?
Verdammt viele Frauen jeden Alters würden für diese Chance sehr viel geben, ohne dass er ihnen dafür ihre Schulden bezahlt. Ich bekomme diese Chance praktisch auf dem Silbertablett serviert. Eigentlich wäre ich dumm, wenn ich sie nicht annehmen würde.
♥ ♥ ♥
Am Freitagmorgen marschiere ich ohne Umschweife zu Mr. Ashfords Büro und klopfe an die Tür.
»Kommen Sie herein.«
»Guten Morgen, Mr. Ashford.«
Er blickt mich an, als hätte er mich erwartet. Mit hoher Sicherheit hat er mich erwartet. Daher grinst er so siegessicher.
Er schenkt mir ein umwerfendes Lächeln. »Guten Morgen. Treten Sie näher, Ms. York.«
Ich schließe die Tür hinter mir.