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Nach einer traumatischen Beziehung suche ich in Athen mein Glück. Es ist mir gelungen, mich zur persönlichen Assistentin des bekannten Tycoons Giorgios Drakos hochzuarbeiten. Der begehrte und mächtige Geschäftsmann besitzt die Ruchlosigkeit, mich seiner Familie als seine Verlobte vorzustellen. Natürlich ist alles fake, die verliebten Blicke, die Berührungen und auch die Küsse, die mich vergessen lassen, warum wir das alles tun. Mr. Reich, Attraktiv und Sexy braucht mich, um ihm aus einer verzwickten Situation herauszuhelfen. Keiner von uns beiden hat mit der enormen Anziehungskraft zwischen uns gerechnet. Schließlich eskaliert die Situation. Das Ende sah ich nicht kommen.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Evelyne Amara
Fake-Verlobung auf Griechisch
Impressum:
Copyright September 2022 Evelyne Amara
Coverabbildungen: Mann: Andrey Kiselev/Fotolia (Adobe Stocks),
Sky Background: MixPixBox/CreativeFabrica,
Acropolis, Athens, Greece, 25. Oktober 2020: Constantinos Kollias/Unsplash, pixelsoutloud.gr, [email protected], https://twitter.com/ckollias
Coverdesign: Evelyne Amara
www.Evelyne-Amara.com
Evelyne Amara, c/o Autorenservice Gorischek, Am Rinnersgrund 14/5, 8101 Gratkorn, Österreich
Kapitel 1
Elara
Es sollte verboten werden, dass Sklaventreiber so ungeheuer gut aussehen dürfen.
Zwar wusste ich, dass die Giorgios Drakos E.T.E., als ich vor drei Jahren dort anfing, noch nicht sehr lange existierte, was natürlich mehr Arbeit bedeutete, aber damit, dass mein Boss arbeitssüchtig ist, habe ich nicht rechnen können. Wie auch?
Heißt es nicht immer, die Griechen würden den Müßiggang lieben und seien viel entspannter als wir Deutschen? Ist bei meinem Boss etwas falsch gelaufen? Wie kann ein Mann, der derart gut aussieht, so ein Workaholic sein?
Denn wenn ich keinen Spaß mehr habe, dann hat er ebenfalls keinen. Wann denn auch? Irgendwann muss schließlich selbst der große Giorgios Drakos schlafen.
»Sind Sie eigentlich wirklich Grieche?«, spreche ich unbeabsichtigt meinen Gedanken aus. Ups!
Die Wucht seines Blickes trifft mich mit voller Macht und erzeugt, obwohl ich den Männern schon vor einiger Zeit abgeschworen habe, ein Flattern in meiner Magengrube. Das gefällt mir gar nicht.
Er lächelt süffisant. Seine dunklen Augen funkeln. »Als ich das letzte Mal meinen Personalausweis angesehen habe, war ich das noch. Warum fragen Sie das?«
»Weil Sie so arbeitssüchtig sind. Sagt man den Griechen nicht Lebensgenuss nach?« Jawohl, es muss endlich raus. Der ganze aufgestaute Frust bahnt sich einen Weg nach draußen und ist dabei nicht mehr aufzuhalten.
Anstatt, wie ich befürchtet habe, ihn mit meinen Worten vor den Kopf zu stoßen, scheint Herr Drakos über sie eher amüsiert zu sein.
»Wer sagt, dass ich mein Leben nicht genieße?« Seine Stimme ist dunkel, leicht rau und ungeheuer erotisch. Sein Jackett hat er ausgezogen, sodass die hochgekrempelten Ärmel seines weißen Hemdes den Blick auf seine gebräunten, muskulösen Unterarme freigeben. Ich habe noch nie einen Mann mit derart tollen Unterarmen gesehen. So etwas sollte verboten werden. Wie soll ich mich da konzentrieren können?
»Ich meine wegen der ganzen Arbeit. Sie sind eindeutig ein Workaholic. Daher frage ich mich, ob Sie wirklich ein Grieche sind.«
Er verschränkt die Arme hinter seinem Kopf mit dem leicht gewellten, dunkelbraunen Haar, was die Muskeln seiner Oberarme noch mehr betont. Es fällt mir schwer, meinen Blick davon abzuwenden.
Natürlich bemerkt er das, was ihm ein wissendes Grinsen entlockt. »Sie haben recht. Zwar sind auch meine Landsleute nicht arbeitsscheu, doch meine Arbeitswut macht mich in der Tat zum schwarzen Schaf der Familie. Da meine Mutter mich zuhause bekommen hat, bleibt meiner Verwandtschaft nicht mal die Hoffnung darauf, dass man mich im Krankenhaus verwechselt haben könnte.«
Erstaunt blicke ich ihn an. »Eine Hausgeburt? Ihre Mutter kommt mir nicht wie der Typ dazu vor.«
»Ist sie auch nicht. Ich hatte es so eilig, auf die Welt zu kommen, dass ich im Wohnzimmer geboren wurde, während sie auf ihren Mann wartete.«
Ich lache. »Schon damals haben Sie offenbar keine Zeit verloren.«
Er stimmt in mein Lachen ein. »Allerdings habe ich das nicht.«
Sein Humor ist eine der Eigenschaften, die ich so an ihm mag. »Wissen Sie, warum ich nach Griechenland gezogen bin?«
Er grinst. »Weil es das beste Land ist, um darin zu leben, mit dem köstlichsten Essen, den interessantesten Leuten, der faszinierendsten Geschichte und dem besten Boss?«
Ich verdrehe die Augen. Was frage ich auch einen Griechen? Die sind alle totale Patrioten.
»Sie meinten den Bastard-Boss aus der Hölle?«
Er zieht die Augenbrauen in die Höhe. Sein Blick erinnert mich an geschmolzene Zartbitterschokolade. »Sehen Sie mich als so schlimm an? Ich dachte, Sie mögen mich.«
»Wie viele sonnige Abende und Samstage ziehen an uns vorüber, während wir hier im Büro verrotten? Wir verpassen noch das Leben.«
Herr Drakos’ Blick wirkt nun nachdenklich. »Es ließ sich leider nicht immer verhindern, dass wir so viel arbeiten. Wir haben hier in Griechenland schlimme Krisen hinter uns. Auch meine Familie traf es hart. Das Unternehmen meines Cousins ging vor Jahren in Insolvenz und kurz danach das meines Vaters. Bevor ich mich zurücklehne, will ich eine solide Basis erarbeiten.«
Seine Argumente erscheinen mir plausibel, aber dennoch …
»Das verstehe ich, aber wenn das ganze Leben auf der Strecke bleibt, dann ist das auch nichts. Ich lebe nur noch für die Arbeit.«
»Das sagen ausgerechnet Sie als Deutsche. Sagt man Ihrem Volk nicht nach, dass ihm der Diensteifer in die Wiege gelegt worden sei, wenn man den Klischees Glauben schenken möchte?«
»Das sind tatsächlich nur Klischees. Bei uns gibt es nicht nur Workaholics. Jeder Mensch ist anders.«
Sein Blick wird eindringlicher. »Was wünschen Sie sich? Wollen Sie in der Sonne liegen, im Meer baden, feiern und tanzen bis zum Umfallen?«
Ich nicke. »Oh ja, das alles will ich und ein Mitternachtspicknick, im Sommerregen tanzen und die Akropolis besuchen. Außerdem will ich mehr Leute kennenlernen. Ich kenne in Athen fast niemanden außer meiner Freundin Melpomeni, den Arbeitskollegen und den Kassierern im Supermarkt. Nichts gegen diese Leute, aber mein Leben besteht nur aus Arbeiten, Einkaufen und Wäschewaschen.«
Das wölfische Lächeln, mit dem er mich nun bedenkt, lässt meine Alarmglocken läuten. Mit diesem hat er schon Konkurrenten und Intriganten aufs Glatteis geführt. Der Mann ist nicht zu unterschätzen.
»Das lässt sich ändern. Am Freitag feiert einer meiner Cousins seinen Namenstag. Sie werden mich begleiten und mit uns feiern. Dabei werden Sie Leute kennenlernen, tanzen und keine Wäsche waschen.«
Entgeistert starre ich ihn an. »Aber …«
Lauernd blickt er mich an. »Wollen Sie meinen Cousin und mich etwa beleidigen? Sie wissen doch, dass man hierzulande keine Einladungen ausschlägt.«
»Aber Ihr Cousin hat mich doch gar nicht eingeladen. Wäre das nicht seine Aufgabe? Immerhin ist das seine Feier.«
»Sie sind meine Begleiterin. Er hat gesagt, dass ich jemanden mitbringen kann. Was sollte er also dagegen haben?«
»Aber ich kann mit Ihnen nicht auf die Feier gehen.«
Er legt eine Hand auf sein Herz. »Sie beleidigen mich tödlich!«
»Das ist eine Familienfeier. Ich bin eine Ihrer Angestellten.«
Herr Drakos greift nach seinem Smartphone, wählt die Nummer eines der eingespeicherten Kontakte und spricht sogleich in schnellem Griechisch mit jemandem. Dann wendet er sich mir siegesbewusst grinsend zu. »Mein Cousin hat Sie soeben offiziell zu seiner Feier eingeladen.«
Ich sehe ihn skeptisch an und will etwas erwidern, doch er kommt mir zuvor.
»Wiederholst du das bitte für Elara, Nikiforos?«
Nachdenklich runzle ich die Stirn. Mein Boss und ich sprechen einander nicht mit den Vornamen an.
»Kein Problem. Ich lade Sie natürlich gerne zu meiner Feier ein, Elara«, erklingt die Stimme seines Cousins aus dem Smartphone.
Mit großen Augen starre ich meinen Boss an, der mich triumphierend angrinst. »Tun Sie es für Nikiforos. Bitte. Sie wollen ihm doch nicht das Herz brechen.«
»Nein, aber …«
Er lächelt wölfisch. »Sehr gut. Dann ist es abgemacht. Ich hole Sie um neunzehn Uhr ab.«
Entgeistert starre ich ihn an. »Aber …«
Er lässt mich nicht zu Wort kommen. »Schön, dass Sie mitkommen. Mein Cousin und unsere Familie freuen sich schon sehr auf Sie.«
»Aber die kennen mich doch überhaupt nicht.«
»Das stimmt nicht. Meine Eltern haben Sie schon mal gesehen.«
»Ja, aber …«
»Kein Aber. Sie sind eingeladen, und wenn Sie ablehnen, ist das eine Beleidigung. Sie wollen doch sicherlich nicht den armen Nikiforos vor den Kopf stoßen? Das hat er nicht verdient.«
Ich fühle mich total überrumpelt. Wo bin ich da nur hineingeraten?
Mich noch in Schockstarre befindend, sehe ich Herr Drakos an, als dieser mit den Fingern schnipst. »Sie haben recht. Es ist eine Familienfeier. Daher sollten Sie mich fortan duzen und mit dem Vornamen anreden und ich dich natürlich auch. Ansonsten wäre das irgendwie seltsam. Außerdem finde ich, ist das nach drei Jahren so guter, enger Zusammenarbeit ohnehin fällig.«
»Warum tun Sie das?«
»Hast du dich nicht vorhin bei mir beschwert, dass du zu viel arbeitest, niemanden in Athen kennst, kaum ausgehst und keinen Spaß im Leben hast? Ich biete dir das alles, und was machst du? Du beschwerst dich bei mir. Also ich kann dich beim besten Willen nicht verstehen.«
Dieser Mann macht mich wahnsinnig. »Du hast mich überrumpelt und mir nicht die Gelegenheit gegeben, mir zu überlegen, ob ich das überhaupt will.«
Er grinst. »Natürlich willst du in der Begleitung eines gutaussehenden, erfolgreichen Mannes feiern gehen.«
»Du bist sehr von dir eingenommen.«
»Und du bist eine von sehr wenigen Personen, die sich trauen, mir so etwas ins Gesicht zu sagen.«
»Dann wurde es Zeit.«
Giorgios wirft den Kopf in den Nacken und lacht laut. »Ich sehe schon, wir werden viel Spaß haben. Sei bitte zu meiner Familie netter als zu mir. Sie kann nichts dafür, dass ich dich überrumpelt habe. Du solltest etwas spontaner werden, wenn du dich schon darüber beschwerst, dass dein Leben so ereignislos ist.«
♥ ♥ ♥
Elara
Verzweifelt blicke ich am Abend in der Küche unserer gemeinsamen Wohnung meine Freundin Melpomeni an, die für mich wie eine Schwester ist. Wir sind zusammen in Deutschland im Waisenhaus aufgewachsen und vor über drei Jahren nach Griechenland ausgewandert. Wobei es für Melpomeni, die ich gelegentlich auch Meli nenne, wohl eher eine Heimkehr ist, wenn man ihre griechischen Wurzeln bedenkt.
»Mein Boss hat mich total überrumpelt. Dabei will ich gar nicht zu dieser Feier. Seine Mutter ist so etepetete. Ich glaube, bei ihr ist sogar der Klopapierhalter von irgendeiner Nobelmarke. Ich weiß jetzt schon, dass ich mich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen werde. Außer ihm kenne ich dort niemanden.«
»Du sagtest, er hat dich zur Feier seines Cousins eingeladen?«
Ich nicke. »Ja. Und nicht nur das. Er hat seinen Cousin überredet, mich offiziell einzuladen. Ich habe kein Problem damit, meinem Boss abzusagen, aber bei seinem Cousin kann ich das nicht tun. Das würde er, wie die meisten Griechen, als Beleidigung ansehen, und mein Boss könnte mir das wiederum übel nehmen.«
»Das ist in der Tat seltsam. Der Cousin kennt dich doch überhaupt nicht. Seine Eltern kennst du zumindest vom Sehen.«
»Sehr flüchtig. Er hat seinen Cousin genötigt, mich einzuladen.«
Melpomeni lacht laut und herzlich und wirft dabei das lange, lockige, dunkle Haar zurück. »Dein Boss ist wirklich eine Marke. Wie lange leben wir jetzt in Griechenland?«
»Seit drei Jahren und zwei Monaten.«
»Und wie viel von Griechenland hast du während dieser Zeit genossen?«
»Ich verdiene zumindest gut.«
»Ja, aber du siehst nur dieses verdammte Büro.«
»Das stimmt nicht. Ich sehe die Toilette, die Flure, die Kantine, unsere Wohnung, den Supermarkt, gelegentlich die Praxis von Dr. Christoforou, und wenn ich mich noch dazu aufraffen kann, bin ich sonntags im Büchercafé anzutreffen.«
»Wow, du kommst echt rum. Ich bin tief beeindruckt. Du führst ein unglaublich aufregendes Leben. Es gibt kaum Leute, die schon so viel von Athen gesehen haben wie du. Dein Boss ist nicht normal. Ein bisschen mehr Lebensgenuss würde dem ganz gut bekommen.«
»Die Finanzkrise hat hart zugeschlagen. Auch die Jahre danach waren nicht einfach. Die Firmen seines Cousins und seines Vaters sind beide den Bach runtergegangen. Von daher kann ich ihn verstehen. Das muss ziemlich traumatisch für seine Familie gewesen sein.«
Melpomeni nickt. »Es ist nicht so, als würde ich ihn gar nicht verstehen, aber man muss auch mal ein wenig das Leben genießen. Sonst hat das alles keinen Sinn.«
»Er hätte auch eine Griechin einstellen können. Ich darf froh sein, den Job zu haben. Außerdem bezahlt er gut, was keine Selbstverständlichkeit ist. Viele nutzen die hohe Arbeitslosenquote aus, um die Leute mit Hungerlöhnen abzuspeisen.« Jetzt, wo meine Wut über ihn erst mal verraucht ist, fallen mir solche Tatsachen wieder ein.
»Einerseits ist das richtig, andererseits hätte eine Griechin diesen Wahnsinn nicht allzu lange mitgemacht. Du hast kein Leben mehr. Immer wenn wir uns unter der Woche abends treffen wollen, bist du noch auf der Arbeit, und am Wochenende bist du meist so fertig, dass mit dir nichts mehr los ist und du nur noch tot über dem Gartenzaun hängst. Worauf ich hinauswill, ist, dass du zu dieser Feier gehen solltest. Du wirst es nicht bereuen, denn wir Griechen kochen gut.«
»Aber du kannst doch gar nicht kochen und bist Griechin.«
»Ich bin eine Ausnahme, weil ich in Deutschland aufgewachsen bin, noch dazu im Heim. Eine griechische Mutter hätte mich das alles gelehrt. Feiere, tanze und friss dich voll, bis du platzt.«
»Aber es ist doch die Feier seines Cousins … Da muss ich mich schon ein bisschen zurückhalten.«
»Ganz egal. Du wolltest meinen Rat hören. Hier ist er. Genieße die Feier einfach. Du hast sonst nicht viel vom Leben. Wenn er dich schon überrumpelt hat und nicht zu Wort kommen ließ, dann mach einfach das Beste draus. Schlag dir den Bauch voll. Meinetwegen besaufe dich, tanze auf dem Tisch und trinke aus deinem Schuh Ouzo. Ich glaube kaum, dass er dich deswegen rausschmeißen wird. Dieser Workaholic müsste erst mal eine andere Verrückte finden, die sich auf diese Sklaverei einlässt.«
»Es ist keine Sklaverei. Er bezahlt …«
»Es ist deine Lebenszeit. Wofür schuftest du nonstop? Genieße die Party und mach das Beste daraus. Sein Cousin lässt sich sicherlich nicht lumpen. Wenn wir Griechen etwas können, dann ist es zu kochen, zu essen, zu feiern und zu tanzen. Na ja, mit Ausnahme deines Chefs …«
»Vielleicht hast du recht.«
Beschwörend sieht sie mich an. »Ich habe nicht nur vielleicht recht. Ich habe definitiv recht. Es ist nämlich eine Frechheit von deinem Boss, dich bei der wenigen Freizeit, die du hast, auch noch zu seinen privaten Feiern mitzuschleppen. Wozu eigentlich? Für den Fall, dass ihm während der Feier auf die Schnelle etwas einfällt und er dir etwas diktieren will? Du siehst kaum noch einen anderen Menschen außer ihm.«
»Er ist nicht hässlich, und eigentlich habe ich ihn noch nie im privaten Umfeld gesehen.«
»Das ist er allerdings nicht. Er sieht sogar extrem scharf aus, aber das bedeutet nicht, dass der Junge keinen Dachschaden hätte.«
»Du hast recht. Ich werde mich dort durchfressen. Zum Glück wird man vom griechischen Essen nicht so schnell dick wie vom deutschen. Ich denke, es hängt oft nicht so sehr davon ab, wie viel, sondern was man isst. Zum Glück ist danach Wochenende. Da kann ich dann ein Verdauungsschläfchen halten.«
Lachend wirft Melpomeni den Kopf in den Nacken. »Das ist die richtige Einstellung.«
Kapitel 2
Elara
Die Zeit vergeht schnell, und ehe ich mich’s versehe, ist Freitagabend. Melpomeni hat absolut recht. Ich werde mich durchfressen, tanzen und eine Menge Spaß haben, ob ich die Leute kenne oder nicht. Es ist mir egal, was irgendjemand von mir denken könnte. Mein Boss wird mich nicht rausschmeißen, weil niemand anders so verrückt ist, für ihn zu arbeiten. Die Entscheidung ist gefallen.
Ich ziehe ein schönes, waldgrünes Kleid an, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob das dem heutigen Abend angemessen ist. Seine Mutter trägt immer Edeldesignermarken. Sie sieht stets so aus dem Ei gepellt aus, dass ich davon überzeugt bin, dass sie in einem Chanel-Strampelanzug zur Welt gekommen ist.
Mein Boss hat mir nichts weiter über die Feier gesagt, außer dass er sich um die Beschaffung des Geschenks selbstverständlich selbst kümmern wird. Ich brauche nichts mitzubringen.
Umso besser. Ich wüsste nicht mal, was ich dem guten Mann kaufen soll, denn ich kenne seinen Cousin überhaupt nicht. Wein, wie man ihn in Deutschland oft als Gastgeschenk mitbringt, wird hier nicht als solches betrachtet.
Zumindest hat Giorgios mich heute früher nach Hause geschickt, damit ich genügend Zeit habe, mich in aller Ruhe zu duschen und zurechtzumachen. Ganz rücksichtslos ist er also nicht.
Kurz nach neunzehn Uhr holt mein Boss mich von Melis und meiner Wohnung ab. Nicht nur den neugierigen Nachbarn fallen beinahe die Augen raus. Mein Boss sieht heute absolut atemberaubend aus in dem weißen Hemd und dem eleganten, schwarzen Smoking.
Sein Blick gleitet über mich. »Nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe, aber mir gefällt es.«
Ich stemme die Hände in die Hüften. »Was haben Sie sich denn vorgestellt?«
»Ein Cocktailkleid.«
Grimmig sehe ich ihn an. »So etwas besitze ich nicht, da ich bisher keine Zeit hatte, auf solche Partys zu gehen.«
Er lächelt. »Nicht so bissig. Dein Kleid gefällt mir wirklich sehr gut. Es ist mal etwas anderes. Ein bisschen mittelalterlich angehaucht, nicht wahr?«
»Ja, wobei ich nicht glaube, dass Sie damit das griechische Mittelalter meinen.«
»Du.« Er schenkt mir ein umwerfendes Lächeln, das meine Knie weich werden lässt. »Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir uns mit Vornamen ansprechen, Elara.«
Die Art, wie er meinen Vornamen mit seiner rauen, tiefen, ungeheuer erotischen Stimme ausspricht, lässt mein Herz schneller schlagen. Hinzu kommt sein Blick aus seinen samtigen, dunklen Augen, die einen derart in den Bann ziehen können …
Oh, dummes, dummes Herz. Hast du denn gar nichts aus den Erfahrungen gelernt? Mein Boss hat ohnehin schon allein durch seinen Status zu viel Macht in meinem Leben. Es wäre unklug, ihm noch mehr zu geben, nur weil er gut aussieht.
»Auch auf der Arbeit?«, frage ich.
»Auch auf der Arbeit. Lass uns jetzt gehen. Meine Familie freut sich schon auf dich.«
»Das bezweifle ich, aber danke fürs Nettsein.«
»Ich bin nicht nett.«
»Ach, tatsächlich?«
»Nein, ein Teil meiner Verwandtschaft freut sich tatsächlich, dich kennenzulernen. Es fragen sich alle, welche Frau es schon so lange mit mir aushält.«
Ich muss lachen.
Mit gespieltem Ernst sieht er mich an. »Hey, das ist nicht nett.«
»Dann sind wir ja quitt.«
Trotz meiner anfänglichen Vorbehalte freue ich mich inzwischen auf die Party. Ich werde es mir einfach gutgehen lassen.
Die Limousine nebst dem Fahrer, die mein Boss vor dem Haus stehen hat, finde ich etwas übertrieben, aber mir soll es recht sein. Überrascht sehe ich, wie er mir galant die Tür aufhält.
Ich lasse mich auf den bequemen Sitz im Fond des Fahrzeugs sinken, das noch ganz neu riecht. Mein Boss setzt sich neben mich und lächelt mich an, während er dem Fahrer das Zeichen zum Aufbruch gibt.
»Was hast du deinem Cousin denn zum heutigen Anlass beschafft?«
»Er hat sich von mir einen Grillkoffer gewünscht.«
»So bescheiden? Ich dachte, ihr schenkt einander teure Uhren.«
»Dafür ist er zu pragmatisch veranlagt.«
»Du auch?«
»Es spricht nichts gegen eine gute Uhr, aber für mich muss es keine Rolex sein. Eine wasserdichte Smartwatch genügt mir vollauf. Du hättest übrigens keine Einladung gebraucht. Der Namenstag wird bei uns eher zwanglos begangen, und man kommt einfach vorbei. Was nicht bedeutet, dass er uns nicht wichtig wäre. Viele feiern ihn ausgiebiger als ihren Geburtstag.«
»Wegen der Heiligen, nach denen sie oft benannt wurden, vermute ich mal?«
»Ja, hier sind viele ziemlich religiös, aber zum Glück nur wenige fanatisch.«
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich keine Einladung brauche?«
Er zuckt mit den Achseln. »Warum sollte ich? Du wolltest unbedingt eine Einladung, also hast du sie bekommen.«
»Das stimmt so nicht. Du wolltest mich auf den Termin festnageln.«
Sein Schweigen und das Grinsen, mit dem er meine Worte quittiert, sind mir Antwort genug.
»Du hast recht, Elara. Wir arbeiten zu viel. Der Schreck über die Insolvenzen der Unternehmen meines Cousins und meines Vaters ist mir damals in die Glieder gefahren. Normalerweise genieße auch ich das Leben mehr. Ich war so in meinem Trott gefangen, dass ich das vergessen hatte, und dich hatte ich da mit hineingezogen. Das tut mir leid. Ich möchte auch, dass du mehr erlebst und Leute kennenlernst. Sieh den heutigen Abend als eine Gelegenheit an, das zu tun.«
Fast wirkt er ein wenig reumütig. Das sollte er auch sein, dieser Schinder und Sklaventreiber.
»Ist Nikiforos der Cousin, dem das Unternehmen gehört hat?«
»Ja.«
»Das tut mir leid.«
»Mir auch, denn er hatte hart dafür gearbeitet.«
Giorgios’ Cousin besitzt eine schicke Villa am Stadtrand von Athen. Dass ich auffalle wie ein bunter Hund mit meinem Mittelalterkleid und mich total deplatziert vorkomme, ist die Untertreibung des Jahres.
Die Frauen tragen, soweit ich das beurteilen kann, die neuesten Kreationen der Top-Designer. Mit meinem im Online-Versandhandel gekauften Kleid kann ich in der Preisliga nicht mithalten. Die Frage ist: Will ich das überhaupt?
So oberflächlich bin ich nicht. Außerdem würden diese Designer-Kleider ohnehin nicht zu mir passen.
Ein wenig ärgern mich die abfälligen Blicke so mancher Frauen schon, wie ich leider zugeben muss. Das bedeutet, ich muss mal wieder an meinem dicken Fell arbeiten.
Wenn man im Kinderheim aufgewachsen ist, dann ist es ohnehin oft so, dass man von einigen Leuten komisch angesehen wird. Die fragen sich, was mit meinen Eltern ist. Dass mein Vater früh starb und meine Mutter lieber mit ihrem neuesten Lover saufend um die Häuser gezogen ist, anstatt sich um mich zu kümmern, hört sich weder glamourös noch vertrauenerweckend an. Dabei war ich froh, wenn er aus dem Haus war. Aber das hat noch ganz andere Gründe …
Doch den Schuh ziehe ich mir nicht an. Ich kann nichts für ihre Lebensentscheidungen. Wenn jemand mich nach den Taten meiner Mutter beurteilt und daraus schlussfolgert, dass ich automatisch genauso wäre, nur weil ich die Hälfte meiner Gene von ihr geerbt habe, dann brauche ich diese oberflächliche Person nicht in meinem Leben.
Auch die Familien der Reichen und Schönen produzieren immer mal wieder ein paar Leute, die als Tagediebe, Junkies oder Kriminelle auffallen. Es braucht niemand mit dem Finger auf mich zu zeigen.
Zuerst begeben wir uns zu Nikiforos, um ihm sein Geschenk zu überreichen. Wir gratulieren ihm zu seinem Namenstag und geben allen die Hände. Die Familienähnlichkeit zu Giorgios ist zwar zu erkennen, aber es gibt einige deutliche Unterschiede.
Auch Nikiforos ist attraktiv und hochgewachsen mit dickem, leicht gewelltem, dunkelbraunem Haar und wie gemeißelt wirkenden Gesichtszügen. Sein Blick erreicht allerdings nicht dieselbe Intensität wie Giorgios’, und er ist etwas untersetzter als mein Boss. Außerdem ist die Kinnpartie ein wenig spitzer, und die Lippen sind ein bisschen schmaler.
Eine ältere Frau mit hochgestecktem, dunklem Haar mit grauen Schläfen sitzt neben Nikiforos und kümmert sich hingebungsvoll um ein Mädchen, das ich auf etwa vier oder fünf Jahre schätze. In einem Elektro-Rollstuhl an seiner anderen Seite befindet sich eine attraktive Frau mit hängenden, ausdruckslosen Gesichtszügen. Ob sie einen Schlaganfall erlitten hat? Sie dürfte nicht viel älter sein als ich mit meinen neunundzwanzig Jahren.
Giorgios stellt sie mir als Nikiforos’ Frau Cynthia vor. Bei dem Mädchen handelt es sich um ihre Tochter Dimitra, und die ältere Dame ist Cynthias Mutter Lydia. Jetzt fällt mir die Familienähnlichkeit von Cynthia mit der älteren Frau auf, die ebenfalls hängende Augenlider hat, auch wenn sie nicht ganz so ausgeprägt sind wie bei Cynthia. Sie alle wirken sehr freundlich und sympathisch.
Doch dann werden wir schon von anderen Gratulanten zur Seite gedrängt. Giorgios stellt mich vielen anderen Verwandten vor, so vielen, dass ich mir gar nicht alle Namen und Gesichter merken kann. Er und sein Cousin scheinen sich über eine wirklich große Familie erfreuen zu dürfen. Da ich so etwas nicht kenne, fühle ich mich im ersten Moment überfordert.
Wehmut schleicht sich in mein Herz bei dem Gedanken, dass ich keine Verwandten habe, die Interesse an mir zeigen. Wenn ich nicht Melpomeni hätte, wäre ich ganz allein auf der Welt.
Sie mag zwar nicht meine leibliche Schwester sein, aber wir stehen einander näher als viele echte Schwestern. Wir sind Seelenschwestern und beste Freundinnen. Ich finde, das ist mindestens genauso wichtig, wenn nicht gar noch wichtiger als Verwandtschaft, die man sich nicht aussuchen kann.
Meine Mutter lebt noch, aber sie kann nach allem, was sie getan hat, nicht von mir erwarten, dass sie für mich jemals mehr sein wird als eine Bekannte. Vergeben habe ich ihr, aber das heißt nicht, dass ihre Handlungen in Ordnung waren. Es bedeutet nur, dass ich mich selbst genug liebe, um mich nicht mehr damit zu belasten.
Als Kinder sind Meli und ich oft zueinander ins Bett gekrabbelt und haben uns nachts in den Armen gehalten, wenn eine von uns sich einsam gefühlt hat. Der Halt und die Liebe, die wir uns gegenseitig gegeben haben, ließen uns zu starken Persönlichkeiten werden. Zu oft haben wir gesehen, welchen Schaden eine Kindheit ohne Liebe bei anderen verursacht hat.
Nicht jede Frau, die Kinder geboren hat, ist auch eine Mutter und liebt ihre Sprösslinge. Meiner jedenfalls waren mütterliche Gefühle völlig fremd. Für sie war ich nur eine Last.
Melpomeni hingegen hatte das Pech, dass ihre Eltern aus miteinander verfeindeten griechischen Familien stammten und gegen deren Willen heirateten. Sie zogen, als Meli noch ganz klein war, nach Deutschland.
Nachdem die beiden bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, wollte niemand von ihnen Meli aufnehmen. Ebenso wie ihre Eltern galt sie als Verstoßene. Dabei kann sie überhaupt nichts für dieses Familiendrama. So etwas werde ich nie begreifen.
Eine attraktive, dunkelhaarige Frau in einem schicken, roten Kleid gesellt sich an meine Seite. »Guten Tag. Mein Name ist Arianna Dimitriou. Ich bin Giorgios’ Schwester und freue mich, dich kennenzulernen.« Sie reicht mir die Hand. Ich bewundere ihr dickes, leicht gewelltes, dunkelbraunes Haar, das bis zur Mitte ihres Rückens reicht.
Die Frau wirkt sympathisch und besitzt einen festen Händedruck. Ihr Gesichtsausdruck ist offen und freundlich im Gegensatz zu dem des alten Mannes hinter ihr.
»Ist sie das?«, fragt dieser mit mürrischer Miene.
Lächelnd wendet sich Giorgios ihm zu. »Ja, Großvater, das ist sie. Darf ich dir Elara Wagner vorstellen? Elara, agapi mou, das ist mein Großvater Iannis Drakos.«
Hat er mich soeben ›meine Liebe‹ genannt? Nein, ich denke nicht, dass ich mich verhört habe.
Der alte Mann schenkt mir ein erzwungen wirkendes Lächeln. »Es wurde auch Zeit, dass ich die Verlobte meines Enkels endlich kennenlerne. Es war nicht nett von dir, die Beziehung so lange vor uns geheim zu halten.«
Seine Verlobte? Es muss sich um ein Missverständnis handeln. Ich wusste gar nicht, dass Giorgios verlobt ist. Ich will ihn gerade danach fragen, da begegne ich seinem Blick, in dem eine Warnung liegt. Was geht hier vor sich?
»Wir hielten es für besser, unsere Beziehung erst mal zu festigen, bevor ich Elara in die Familie einführe«, sagt Giorgios, während sein Opa mir die Hand reicht.
Arianna lächelt. »Das ist verständlich. Ich hätte es nicht anders gehandhabt.«
Wie ferngesteuert ergreife ich die Hand des alten Mannes, noch zu überrascht, um reagieren zu können.
Kaum haben wir unsere Hände voneinander gelöst, zieht mein Boss mich an seine Seite und legt seinen Arm um meine Taille. Seine Nähe überwältigt mich.
Er lächelt erst seine Verwandten und dann mich an. »Aber jetzt muss ich meiner Liebsten erst mal etwas zu trinken besorgen. Wir hatten beide einen harten Tag, und ich befürchte, sie hat vor lauter Arbeit ganz vergessen, genügend zu trinken.«
Er zerrt mich regelrecht mit sich. Seinen Griff um meine Taille lockert er nicht. Das mit dem Holen der Getränke ist sicherlich nur eine Ausrede …
Da er mir so nahe ist, spüre ich seine Körperwärme und die Muskeln seines Armes sehr deutlich. Sein männlicher Geruch und sein herbfrisches Aftershave vermischen sich zu einem unwiderstehlichen Duft.
»Was soll das?«, frage ich mit gedämpfter Stimme.
»Spiel einfach mit. Du wirst es nicht bereuen«, flüstert er in mein Ohr.
Da die Leute dichtgedrängt um uns herumstehen, ist jetzt der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um mit ihm über diese Sache zu sprechen, und das macht mich stinkwütend. Das hat dieser Schurke gewiss mit Absicht gemacht, weil er genau weiß, dass ich bei solch einem Spiel nicht mitgemacht hätte. Außerdem weiß er, dass ich ihn nicht vor seiner Familie bloßstellen werde. Nach drei Jahren kann man die Personen, mit denen man zusammenarbeitet, doch ein wenig einschätzen.
»Gibt es ein Problem?« Giorgios’ Mutter mustert mich mit einem scharfen Blick.
Ich habe gar nicht gemerkt, dass sie sich uns genähert hat. Offenbar ist ihr nicht entgangen, wie wütend ich Giorgios soeben angestarrt habe. Dieser Halunke wird von mir noch etwas zu hören bekommen!
Ich kenne seine Mutter vom Sehen, habe aber bisher, abgesehen von den üblichen Grußformeln, noch kein Wort mit ihr gewechselt. Wie stets trägt sie einen dieser eleganten Chanel-Fummel. Mich wundert es, dass wir ihr vorhin noch nicht begegnet sind.
Ich lächle. »Guten Tag, Frau Drakou.«
Zum Glück weiß ich, dass bei den meisten griechischen Nachnamen die Endungen der Namen bei den Geschlechtern voneinander abweichen. Während also mein Boss Drakos heißt, nennen sich seine weiblichen Verwandten dieses Namens Drakou.
Sie erwidert meinen Gruß mit einem höflichen Lächeln, das ihre Augen nicht erreicht.
»Setzt euch doch. Sonst wird das Essen kalt«, sagt Nikiforos.
Wir bedienen uns am Buffet und setzen uns dann hin. Nikiforos ist tatsächlich ein eher unkomplizierter Mensch. Das Essen ist köstlich und die Gesellschaft gut.
Etwas später erheben wir uns und laufen in Richtung der Terrasse, als Giorgios’ Mutter sich uns erneut nähert.
Sie schenkt mir ein zuckersüßes Lächeln. »Ich wollte es nicht vor allen anderen ansprechen, aber jetzt muss ich Sie doch mal fragen. Kommen Sie gerade von einem Bauernmarkt?«
Verwundert runzle ich die Stirn. »Warum fragen Sie das?«
»Wegen Ihres Kleides. So laufen doch Bäuerinnen herum.« Ihre Stimme klingt abfällig.
Mein Vater war Landwirt, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich Wut in mir aufsteigen spüre. »Was haben Sie gegen Landwirtinnen? Sie versorgen uns alle mit Nahrung.«
Frau Drakou kräuselt die Nase. »Trotzdem muss man nicht so herumlaufen.«
»Das trägt man in Deutschland so«, sagt Giorgios, obwohl das nicht so ganz stimmt. Wenn er wirklich ein paar Jahre in Düsseldorf verbracht hat, weiß er, dass ich einen besonderen Kleidungsstil habe.
»So, in Deutschland tragen sie also Kleider wie die Marktweiber?«
Giorgios lächelt. »Mir gefällt das Kleid sehr. Ich finde es äußerst anziehend, vor allem zusammen mit dem, was sich darin befindet. Ich werde dir ein paar weitere Kleider dieses Stils kaufen«, sagt er mit Überzeugungskraft in der Stimme, was ihm einen missmutigen Blick seiner Mutter einbringt.
»Seit wann seid ihr denn zusammen?«
»Seit einem halben Jahr. Dabei hätte ich es wirklich früher erkennen können, dass Elara die Richtige für mich ist, nicht wahr, kardhja mou?«
Er nennt mich ›mein Herz‹. Ich frage mich, welche Koseworte er sich noch einfallen lassen wird. Jedenfalls spielt er seine Rolle sehr überzeugend. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich glatt denken, dass er mehr für mich empfindet.
Seine Mutter schenkt ihm einen tadelnden Blick, bevor sie diesen über mich gleiten lässt. »Ja, das hättest du vielleicht. Aber die Verlobung geheim zu halten, fand ich nicht witzig. Du hättest uns etwas sagen müssen. Sie trägt noch keinen Ring. Hattet ihr überhaupt vor, es uns jemals zu sagen?«
»Ich hatte Angst. Schließlich ist sie keine Griechin, und du weißt, wie Großvater darüber denkt.«
»Er ist eben sehr traditionell eingestellt, genau wie sein Vater vor ihm. Wir Griechen sind sehr stolz auf unsere Heimat und Geschichte und befürchten, dass dies alles nicht mehr so gewürdigt wird, wenn es zu einer Vermischung der Kulturen kommt. Es gab Zeiten, in denen unser Stolz auf unsere Herkunft das Einzige war, was uns geblieben war.«
»Ich weiß, Mamá. Das und die Familie.«
Sie senkt ihre Stimme. »Ich hoffe, dass du unsere Familie nicht enttäuscht.«
»Aber Ihr Sohn hat doch in den letzten Jahren eine Menge aufgebaut und vielen Griechen Arbeit gegeben. Wie kann man da von einer Enttäuschung reden?«
Frau Drakou schenkt mir ein schmales Lächeln. »Er weiß genau, wie das gemeint ist. Ich finde, es ist ein höchst seltsamer Zufall, dass ihr gerade jetzt eure geheime angebliche Verlobung aufdeckt. Wenn Sie mich fragen, ist das alles ein riesiger Schwindel. Wir sehen uns.« Mit diesen Worten entfernt sie sich von uns.
Verwundert blicke ich ihr nach. »Ich wusste nicht, dass deine Mutter so ein Snob ist.«
»Früher war sie das nicht. Erst nachdem mein Vater mit seinem Unternehmen großen beruflichen Erfolg erlangt und dadurch Kontakte zur High Society gewonnen hat, ist ihr das wohl etwas zu Kopf gestiegen.«
»Etwas ist gut. Lass uns nach draußen gehen. Ich brauche jetzt ein wenig frische Luft.«
Die Terrasse ist wunderschön gefliest und umgeben mit einer kleinen steinernen, mit Efeu umrankten Brüstung, hinter der sich ein Garten erstreckt. Weiter unten kann ich die Lichter der Stadt entdecken. Der Ausblick ist atemberaubend.
Als ich einen einsam stehenden, weißen Pavillon entdecke, packe ich Giorgios am Arm und ziehe ihn mit mir. Dort wird uns hoffentlich niemand sehen oder hören.
Ein süffisantes Lächeln breitet sich auf seinem attraktiven Gesicht aus. Seine dunklen Augen blitzen. »Ich sehe, du willst mit mir allein sein und unsere Beziehung vertiefen. Dagegen habe ich nichts.«
Er kann vergessen, dass er mich aufzieht.
Abrupt lasse ich seinen Arm los und starre ihn wütend an. »Was soll das? Du kannst mich deiner Familie doch nicht einfach als deine Verlobte vorstellen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass du mir nicht alles erzählt hast. Sonst hätte deine Mutter nicht so seltsam reagiert.«
Nun wirkt er besorgt. »Es ist eine Notlage. Glaube mir, sonst würde ich das nicht tun.«
Ungläubig sehe ich ihn an. »Eine Notlage? Ich kann mir keine Notlage vorstellen, die mich dazu zwingen könnte, meine Familie zu belügen.«
»Weil du keine Familie hast. Du weißt nicht, wie das manchmal sein kann.«
Entgeistert starre ich ihn an. »Das ist voll daneben! Ich kann nichts dafür, dass ich keine Familie habe.« Egal, ob er mein Boss ist oder nicht, ich lasse mir nicht alles gefallen.
Betroffenheit zeigt sich auf seinem attraktiven Gesicht. »Es tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen. Das war unsensibel von mir.«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, das hättest du wirklich nicht. Außerdem hättest du mir vorher sagen müssen, dass du vorhast, mich deiner Familie als deine Fake-Verlobte vorzustellen.«
Er zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Aber wärst du dann mitgekommen?«
»Wohl eher nicht, egal wie sehr du das als Beleidigung aufgefasst hättest. Ich mag so etwas nicht. Ich würde meine Familie nie belügen, wenn ich eine hätte.« Ich bin selbst überrascht, wie viel Schmerz ich aus meinen Worten heraushöre.
Er streicht sich das Haar zurück. »Das verstehe ich, Elara. Genau das war der Grund, warum ich dich überrumpelt habe.«
»Warum ausgerechnet mich? Hättest du nicht eine deiner Geliebten mitnehmen können?«
»Erstens habe ich keine Geliebte und zweitens bist du perfekt für diese Rolle. Teil einer Familie zu sein, noch dazu einer großen, bekannten wie der Drakos’ bringt leider nicht nur Privilegien, sondern auch Pflichten mit sich. Die Familienehre ist für uns Griechen von immenser Bedeutung, und in Westthrakien, wo meine Familie herkommt, noch mehr als hier.
Es gibt eine Familie, die schon lange die Erwartung hat, dass ich ihre Tochter heirate. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich bis vor kurzem nichts davon wusste. Um mein Gesicht und die Ehre meiner Familie zu wahren, muss ich diese Frau heiraten, es sei denn, es stehen gute Gründe dagegen.«
»Wie eine bereits vorhandene Verlobung.«
»Ganz genau.«
»Die können von dir doch nicht erwarten, dass du gegen deinen Willen ihre Tochter heiratest.«
»So einfach ist es leider nicht. Ich wünschte, es wäre so. Mein Vater hat ihnen vor vielen Jahren das Versprechen gegeben. Er hat mich mit der Tochter von Nico Petrakis verlobt, als wir beide noch Kinder waren.«
Es handelt sich wieder um einen Nachnamen, der je nach Geschlecht des Namensträgers unterschiedlich geschrieben wird. Die Frauen dieser Familie heißen Petraki, also ohne das S.
Fassungslos blicke ich Giorgios an. »Willkommen im Mittelalter!«
»Das kannst du laut sagen.«
»Aber ihr wart doch beide noch unmündig. Das ist sicherlich nicht rechtsgültig.«
»Eine Rechtsgrundlage gibt es dafür natürlich nicht. Es geht allein um die Familienehre.«
»Das hört sich ebenfalls äußerst mittelalterlich an.«
»So sind wir eben. Die Familienehre bedeutet uns sehr viel.«
»Wie alt wart ihr damals?«, frage ich.
»Xenia war eins und ich vier Jahre alt.«
»Aber warum hat dein Vater das getan?«
»Weil er besoffen war«, vernehme ich die Stimme eines Jugendlichen mitten im Stimmbruch. »Die haben damals in Westthrakien vor einer Scheune gesessen, Ouzo gesoffen und gemeinsam ihre Socken verbrannt. Durch die vielen üblen Dünste und den Alkohol waren sie geistig so umnachtet, dass man froh sein kann, dass Onkel Giorgios jetzt nicht mit Nico Petrakis’ Esel verheiratet ist. Ich würde an seiner Stelle nicht anders handeln und ebenfalls eine andere Verlobung vortäuschen. Schließlich haben weder Petrakis noch seine Tochter sich bis vor kurzem in Athen blicken lassen. Zumindest nicht, soweit ich das wüsste. Schade, dass ich diese Informationen nur aus dritter Hand habe. Ich wäre damals gern dabei gewesen.« Er lacht.
Der Sprecher, ein hochgewachsener, gutaussehender, dunkelhaariger Jugendlicher, den ich auf ungefähr vierzehn Jahre schätze, kommt näher und reicht mir die Hand. Sein Händedruck ist überraschend fest.
Er lächelt. »Ich bin Léon Dimitrios, der Sohn von Onkel Giorgios’ älterer Schwester Arianna.«
»Du wirst uns doch nicht verraten?« Giorgios’ Stimme klingt besorgt.
»Nein, natürlich nicht. Du bist doch mein Lieblingsonkel. Wenn du mir einen Steamgutschein über fünfzig Euro gibst, schweige ich über alles, was ich hier gehört habe. Oma glaubt nämlich, dass du die Verlobung nur vortäuschst, um dich aus der Verantwortung zu ziehen. Opa hingegen ist am Boden zerstört, weil er dir das eingebrockt hat.«
»Das ist Erpressung.«
»Nenne es Geschäftstüchtigkeit. Beschwere dich nicht. Da ist der Familienrabatt bereits eingerechnet. Von jedem anderen hätte ich das Doppelte verlangt.«
Giorgios zückt sein Smartphone und kauft einen Gutschein für die beliebte cloudbasierte Online-Spieleplattform. »Deine E-Mail-Adresse ist noch dieselbe?«
»Ja, die bei Mail.gr.«
Léon zieht sein Smartphone aus seiner Hosentasche und tippt mehrmals auf das Display. »Ist angekommen. Vielen Dank. Gib mir mal bitte dein Smartphone, Onkel G.«
Giorgios überreicht es ihm. »Was hast du vor?«
Sein Neffe tippt darauf herum und gibt es ihm mit einem Grinsen zurück. »Danke dafür, dass du jetzt meinem YouTube-Channel folgst.«
Giorgios schmunzelt. »Auch eine Methode, um mehr Follower zu bekommen …«
»Bis heute Abend wird jeder von der Echtheit deiner Verlobung mit Elara überzeugt sein.«
Nachdenklich runzelt er bei diesen Worten seines Neffen die Stirn, doch bevor er dazu kommt, etwas zu erwidern, spricht dieser bereits weiter. »Die Petrakis’ werden übrigens einige Zeit in Athen bleiben. Sie sagen, dass sie, wenn sie schon mal so weit gefahren sind, Urlaub in Athen machen und sich die Gegend anschauen wollen. Natürlich gewähren ihnen meine Eltern und Großeltern Gastfreundschaft. Nikiforos sucht dich übrigens. Ich muss dann weiter.« Er stürmt davon.
»Kann man sich auf ihn verlassen?«, frage ich.
»Keine Sorge. Léon ist mir loyal ergeben.«
Ich lache. »Du meinst, deinem Geldbeutel gegenüber ist er loyal?«
»Er hätte auch ohne einen Steamgutschein nichts weitererzählt, aber er versucht es einfach.«
Ungläubig schüttle ich den Kopf. »Besoffen die Socken verbrennen und dann die Kinder miteinander verloben. So etwas habe ich noch nie gehört.«
»Die Sache ist ernst, Elara. Ich will nicht zwangsverheiratet werden mit einer Frau, die ich kaum kenne und die bisher im hintersten Winkel Griechenlands gelebt hat. Andererseits kann ich meinen Vater auch nicht bloßstellen, indem ich die Verlobung mit Xenia einfach so löse.«
»Aber hat die Verlobung mit ihr nicht die älteren Rechte?«
»Eigentlich hätte sie das schon, da ich jedoch bereits dreiunddreißig bin und Xenia dreißig ist, wir beide bis vor kurzem nichts von der Verlobung wussten und während des Aufgebots meiner ersten Ehe seitens ihrer Familie kein Widerspruch kam, können die nicht von mir erwarten, dass ich eine bereits bestehende Verlobung oder Ehe für sie auflöse, wenn sie erst nach so vielen Jahren hier auftauchen.«
Ich stöhne. »Ist das kompliziert.«
Beschwörend blickt er mich an. »Du musst mir helfen. Wenn die Petrakis’ noch im Lande sind, müssen wir weiterhin so tun, als wären wir verlobt.« Er klingt verzweifelt.
»Warum sollte ich das tun? Schließlich zieht das persönliche und zeitliche Einschränkungen für mich nach sich.« Daher ist es kein Wunder, dass ich mich skeptisch anhöre.
Giorgios verengt die Augen, in denen ich ein dunkles Flackern erkenne. »Wir haben eine Arbeitslosenquote von ungefähr sechsundzwanzig Prozent. In einigen Gebieten Griechenlands ist sie noch höher.« Er legt eine kurze Kunstpause ein, um seine Worte wirken zu lassen.
Enttäuscht verschränke ich die Arme vor der Brust. »Du willst mich also erpressen? Offenbar liegt das in der Familie.«
»Das war keine Erpressung, nur ein Hinweis auf die vorliegenden Tatsachen.«
Ich lächle böse. »Du vergisst, dass keine meiner drei Vorgängerinnen es länger als ein Vierteljahr mit dir ausgehalten hat.«
Missmutig verzieht er die wohlgeformten Lippen. »Wer hat dir das verraten?«
»Ich habe meine Quellen.«
»Waren es die schwatzhaften Damen vom Reinigungsdienst oder die vom Empfang?«
»Ich werde meine Quellen nicht verraten.«
»Einige Verwandte und Bekannte sitzen mir im Nacken, weil ich keine Griechin eingestellt habe, obwohl so viele meines Volkes auf der Straße stehen. Sie haben es mir als mangelnde Loyalität gegenüber meinem eigenen Volk angekreidet. Patriotismus ist fest in unserer Gesellschaft verankert.«
»Das war sicherlich keine populäre Entscheidung. In Deutschland gilt Patriotismus hingegen fast schon als anrüchig.«
»Ich weiß. Das hat wohl mit eurer Geschichte zu tun. Dort wird Vetternwirtschaft, obwohl sie ebenfalls gar nicht so selten praktiziert wird, nicht so positiv gesehen wie hier. So unterschiedlich sind unsere Kulturen und Mentalitäten.«
»Warum hast du mich dann eingestellt?«
»Weil du gut bist und mich nicht im Stich lässt. Nun weite bitte deine Loyalität aus und hilf mir auch privat.«
Giorgios
Reue steigt in mir auf. Das mit der Arbeitslosenquote hatte ich eigentlich nicht sagen wollen. Es war mir aus Verzweiflung herausgerutscht, denn es ist das, was mir jene Verwandten und Bekannten ständig vorwerfen. Wie kann ich eine Ausländerin einstellen, wenn so viele der eigenen Leute keine Arbeit haben?
Was diese vergessen ist, dass die Qualifikation und Zuverlässigkeit ebenfalls eine Rolle spielen.