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Eigentlich hat sich alles so gut angehört. Gehe eine Fake-Beziehung mit dem Ex-Verlobten der neuen Flamme deines Ex-Freundes ein. Zahle Owen die Demütigung heim, die er dir beschert hat. Mache ihn eifersüchtig, zeige ihm, was er verloren hat und dass du nicht der langweilige Nerd bist, als den er dich sehen möchte. Natürlich mache ich das für mich selbst und nicht, weil ich diesen eingebildeten Kerl zurückhaben will. Doch das stellt sich als eine verdammt schlechte Idee heraus, denn nachdem ich mich in Jeremy verliebt habe, stelle ich fest, dass er etwas vor mir verheimlicht. Dieses Geheimnis droht, alles zu zerstören.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Fake
verlieben verboten
Evelyne Amara
Impressum
Copyright und Urheberrecht August 2021 Evelyne Amara
Copyright Coverfoto: Kiuikson / Fotolia / Adobe Stock
Coverdesign: Evelyne Amara
Evelyne Amara
C/o Autorenservice Gorischek, am Rinnersgrund 14/5, 8101 Gratkorn, Ö[email protected]
www.Evelyne-Amara.com
Kapitel 1
Audrey
Schon wieder muss mein langjähriger Freund Owen sehr lange arbeiten, und ich frage mich, ob das nicht irgendwann negative Auswirkungen auf unsere Beziehung haben wird, wenn wir uns so selten sehen.
Aber kommt es letztendlich nicht mehr auf die Qualität als die Quantität der miteinander verbrachten Zeit an?
Owen macht das alles nur für uns. Das sagt er mir immer wieder. Schließlich will er Geld zurücklegen, damit wir uns ein kleines Haus am Stadtrand leisten können. Schließlich wollen wir irgendwann heiraten. Nach dreizehn Jahren Beziehung ist es nur eine reine Formsache, dass er mich danach fragen wird. Bisher hatten wir einfach keine Zeit dafür. Owen will den perfekten Moment abwarten, hat er gesagt.
Er ist meine Highschoolliebe. Wir sind zusammen, seit ich sechzehn war. Während meine Freundinnen eine Menge Frösche küssen mussten, hatte ich das Glück, sofort den Richtigen zu finden. Das weiß ich sehr zu schätzen.
Ich sitze mit meinem E-Book-Reader gemütlich auf dem Sofa, als es an der Tür klingelt. Wer kann das sein? Vielleicht ist es eine meiner Freundinnen. Manchmal kommen sie spontan bei mir vorbei.
Gerade bei meiner besten Freundin Hazel weiß man das nie. Um diese Zeit, also Viertel nach acht abends, hat ihr Friseurgeschäft gerade zugemacht. Manchmal kommt sie gleich im Anschluss darauf bei mir vorbei, um mit mir über den Tag zu quatschen.
Erwartungsvoll lege ich meinen E-Book-Reader zur Seite, erhebe mich und gehe zur Tür.
Glücklicherweise leben wir in einer beschaulichen Kleinstadt mit ungefähr zehntausend Einwohnern, in der es kaum Kriminalität gibt. Daher erwarte ich auch nichts Schlimmes, als ich die Tür öffne.
Doch als dort um diese Uhrzeit ein großer, breitschultriger, fremder Mann steht, wird mir einen Moment lang mulmig zumute. Andererseits sieht er mit seiner Brille, dem zu weiten, weißen Hemd und der dunkelgrauen Bundfaltenhose aus wie ein Versicherungsvertreter. Bestimmt will er mir etwas verkaufen oder Spenden sammeln.
»Guten Abend. Ich kaufe nichts und spende nur online und das auch nur an UNICEF und die Caritas«, sage ich daher, denn schließlich gibt es eine Menge unseriöser Spendensammler. Als ich noch an der Tür Spenden gegeben habe, kam tatsächlich das angebliche Amerikanische Rote Kreuz im Abstand von zehn Tagen zweimal vorbei. Keine Frage, dass da jemand mit einem gefälschten Ausweis unterwegs gewesen ist.
Ich will die Tür schon wieder schließen, da tritt er näher und sieht mich beschwörend aus seinen unerwartet schönen, schokoladenbraunen Augen an. Der Hauch seines frischen, markanten Aftershaves weht mir in die Nase. »Ich bin wegen Owen Smith hier.«
Erschrocken und besorgt blicke ich den Fremden an. Wie jemand von der Polizei oder vom Rettungsdienst sieht er nicht aus. »Ist ihm etwas zugestoßen?« Meine Stimme zittert leicht.
Ernst sieht er mich an. »Er hat ein Verhältnis mit meiner Verlobten oder besser gesagt meiner Ex-Verlobten. Sie hat mich kürzlich für ihn verlassen.«
Seine Worte bohren sich schmerzhaft in mein Herz. Daher hat Owen also all die angeblichen »Überstunden« absolviert.
Trotzdem habe ich noch meine Zweifel. Schließlich bin ich seit dreizehn, fast schon vierzehn Jahren mit Owen zusammen. Er ist meine erste große Liebe. Was der Fremde behauptet, kann einfach nicht sein. Es darf nicht wahr sein!
Unwillig schüttle ich den Kopf. »Ich glaube Ihnen nicht. Ich weiß nicht, wer Sie sind und warum Sie so etwas sagen, aber es ist nicht wahr!« Warum sollte ich jedem Wildfremden jede Behauptung glauben?
Fast mitleidig blickt er mich an. Zum ersten Mal betrachte ich ihn näher. Er hat volles, dunkles Haar, das er zu einem Seitenscheitel mit Pony frisiert hat, einen schmalen Oberlippenbart und eine Brille mit einem dicken Rahmen.
Nichts an ihm wirkt sonderlich auffällig. Seine Kleidung scheint ihm zu weit zu sein. Möglicherweise hat er Gewicht verloren, aber seine Hosen und Hemden nicht ausgetauscht.
Trotzdem ist er nicht hässlich. Er besitzt eine gerade Nase, ein kantiges Kinn, wohlgeformte Lippen und schöne, dunkle Augen, auch wenn diese hinter dem dicken Brillenrahmen verloren zu gehen scheinen.
Ich schnipse mit den Fingern. »Jetzt weiß ich es! Sie sind einer seiner Kollegen, und das alles ist ein Scherz.« Dabei ist noch nicht mal der erste April, sondern bereits Mai. Aber es muss sich um einen Scherz handeln. Was sollte es sonst sein?
»Leider handelt es sich um keinen Scherz, Ms. …«
»Audrey Jones. Und wer sind Sie?«
»Ich bin Jeremy Williams, der Ex-Verlobte von Lora Watson. Kann ich eintreten, denn ich will das alles ungern im Hausflur mit Ihnen besprechen.«
»Zeigen Sie mir zuerst Ihren Personalausweis.«
Jeremy Williams zückt diesen tatsächlich und hält ihn mir hin, sodass ich weiß, dass er entweder wirklich so heißt oder mir eine gute Fälschung vorlegt. Ich zücke mein Handy und schreibe an Hazel eine SMS, dass ich gerade einen gewissen Herrn Jeremy Williams hereinlasse, der ebenfalls in Colwich wohnhaft ist.
Stirnrunzelnd blickt er mich an. »Was tun Sie da?«
»Ich schreibe gerade meiner besten Freundin, dass Sie hier sind.«
»Sie sind etwas übervorsichtig. Wäre ich ein Staubsaugervertreter, so hätten Sie mich wahrscheinlich schon reingelassen.«
»Das ist etwas anderes. Sie staubsaugen ja auch nicht meine Wohnung. Also gut, kommen Sie rein.« Er sieht harmlos aus, also gewiss nicht wie ein Serienkiller, aber vermutlich war genau das der letzte Gedanke seiner Opfer …
Ich führe ihn ins Wohnzimmer. »Setzen Sie sich. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
Er schüttelt den Kopf. »Danke, nein. Ich habe nicht vor, lange zu bleiben.«
Er lässt sich auf einen der Sessel nieder, während ich mich auf das Sofa setze.
»Warum sind Sie hier?«, frage ich.
»Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt.«
»Warum sagen Sie mir das alles?«
»Damit Sie nicht wie ich im Ungewissen leben müssen, denn wie es aussieht, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Freund Sie bald für Lora verlassen wird.«
»Das glaube ich Ihnen nicht. Wir sind seit der Highschool zusammen, seit fast vierzehn Jahren. Owen würde mir so etwas niemals antun.«
»Es spielt keine Rolle, wie lang Sie bereits mit ihm zusammen sind. Frauen wurden auch schon nach zwanzig Jahren oder mehr plötzlich verlassen. Es gibt nie eine Garantie. Außerdem wäre ich persönlich nicht mit einer Frau so lange zusammen, ohne sie zu heiraten. Denn entweder ist sie die Richtige und dann kann ich sie heiraten oder sie ist es nicht.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Das ist eine sehr altmodische Einstellung.«
Nachdenklich blickt er mich an. »Ist sie das? Und ist das Ihre Meinung oder seine? Was wollen Sie wirklich?«
Diese Fragen zu stellen ist durchaus berechtigt, doch ihm werde ich sie gewiss nicht beantworten. Schließlich ist er ein Fremder für mich.
Vor ihm kann ich wohl kaum ausbreiten, dass Owen in den ersten Jahren unserer Beziehung ständig davon sprach, dass ich seine Traumfrau sei und wir für immer zusammen sein würden. Er redete davon, wie es sein würde, wenn wir verheiratet wären. Offenbar war das nur hohles Geschwätz, denn jetzt nach über dreizehn Jahren der Beziehung hat er Angst vor dem großen Schritt. Dass er auf den perfekten Moment warten würde, ist vermutlich nur eine Ausrede, die ich ihm allzu gerne glauben wollte. Den perfekten Moment gibt es nicht. Aber das alles geht Loras Ex-Verlobten nichts an.
»Das ist wohl eine sehr persönliche Entscheidung!«, antworte ich daher.
»Das ist es wohl wirklich.«
»Wie kommen Sie darauf, dass mein Freund etwas mit ihrer Verlobten hat?« Noch immer kann ich es nicht glauben.
»Meiner Ex-Verlobten.«
»Wie lange waren sie zusammen?«
»Drei Jahre. Aber wir kannten uns bereits vorher über den Freundeskreis. Ich dachte, in ihr die Eine gefunden zu haben, aber offenbar hatte sie mir die ganze Zeit etwas vorgespielt.« Er schluckt und sieht ziemlich mitgenommen aus. Jetzt, da ich genauer hinschaue, fallen mir auch die dunklen Ränder unter seinen Augen auf.
»Sie werden doch sicherlich verstehen, dass ich nicht immer sofort alles glaube, was man mir erzählt.«
Mitfühlend blickt er mich an. »Es ist verständlich, dass Sie das alles nicht wahrhaben wollen. Doch ich bin nicht ohne Beweise gekommen.« Er erhebt sich, um den Couchtisch zu umrunden und sich dann neben mich aufs Sofa zu setzen.
»Ich besitze eine Audio-Aufnahme, die ich jedoch nicht dabei habe. Außerdem gibt es diese Fotos.« Er zieht sein Smartphone aus seiner Hemdentasche, tippt darauf herum und zeigt mir schließlich das Display.
Darauf hat er zu meinem Entsetzen ein Foto in einer Foto-App geöffnet, auf dem mein Freund und eine mir unbekannte, dunkelhaarige Frau in inniger Umarmung abgebildet sind. Ihre Münder sind miteinander verschmolzen. Es scheint im Freien aufgenommen worden zu sein.
Mein Innerstes wird kalt, als Jeremy Williams auf das Display tippt, um das nächste Foto aufzurufen. Es folgen weitere Kussfotos und später eine andere Fotoserie, die auf einem Parkplatz aufgenommen wurde.
Dort treibt mein Freund es mit dieser fremden Frau in seinem Auto. Die Bilder sind unmissverständlich. Es gibt keinen Raum für eine andere Interpretation.
Ich fange an, am gesamten Körper zu zittern. Meine Augen brennen und mein Herz schmerzt, als hätte man einen Dolch hineingerammt. Die Liebe meines Lebens hat jemand anderen gefunden, eine Frau, die ihren Partner bereits für ihn verlassen hat. Jeremy Williams hat recht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Owen mich für diese Frau verlässt.
Vermutlich ist er jetzt bei ihr, und sie schmieden Pläne für ihre gemeinsame Zukunft. Mit ihr wird er all das erleben, was wir immer miteinander geplant haben. Dieser Gedanke zerreißt mir das Herz.
Nun sind alle Dämme gebrochen. Meine Tränen strömen unaufhaltsam aus meinen Augen und laufen meine Wangen herab. Normalerweise bin ich nicht so nah am Wasser gebaut, doch Owen war mein Leben, meine große Liebe, mein Traum und meine Zukunft. Wir hatten so viele Pläne, wollten so vieles gemeinsam tun. Wir wünschten uns Kinder. Die wird er jetzt mit ihr haben und niemals mit mir …
»Sind die Bilder wirklich echt?« Es ist ein letzter, hilfloser Versuch, das Unvermeidliche von mir zu weisen, weil Nichtwissen manchmal eine Gnade ist, aber nur so lange, bis es nicht mehr anders geht.
Ich war nie jemand, der seinen Kopf in den Sand steckt, aber ich konnte nicht damit rechnen, dass ausgerechnet Owen mir das antun würde.
Mitfühlend blickt Jeremy Williams mich an. »Leider doch. Einen Teil der Fotos hat ein Freund von mir gemacht, der die beiden zufällig gesehen hat. Den Rest habe ich selbst erstellt.«
Meine Sicht ist ganz verschwommen vor lauter Tränen. Ich schließe die Augen, doch nichts kann diesen Ansturm mehr stoppen. Ich komme mir vor wie in einem Albtraum.
Mittlerweile ist es mir egal, dass Jeremy Williams noch hier ist und meinen Zusammenbruch mitbekommt. Ich kann nichts dagegen tun. Wenn man jemanden so lange kennt und so viel miteinander erlebt hat, so jung zusammengekommen ist und so bedingungslos geliebt und vertraut hat wie ich Owen, ist das so extrem schmerzvoll, dass ich es kaum beschreiben kann.
Mein Herz fühlt sich an wie eine einzige klaffende Wunde.
Plötzlich spüre ich, wie Jeremy Williams seine Arme um mich legt und meinen Kopf an seine Brust zieht. Sein Körper fühlt sich überraschend muskulös an unter dem weiten, unförmigen Hemd. Außerdem riecht er gut und seine starken Arme bieten mir das trügerische Gefühl der Sicherheit.
Er ist ein Fremder. Seine Umarmung sollte sich nicht so gut anfühlen, doch sein Trost bedeutet mir in diesem Moment ungeheuer viel.
Ich glaube, niemand anders als er könnte jetzt so gut nachvollziehen, wie es mir geht, weil er gerade etwas sehr Ähnliches durchmacht. Wenn zwei Personen aufeinandertreffen, die dasselbe Schicksal teilen, kann es eine Art von Verbindung geben. Genau diese Verbindung spüre ich gerade.
Ich gebe mich dieser Umarmung hin. Ich fühle mich geborgen und sicher. So sicher man sich eben noch fühlen kann, wenn gerade die ganze Welt um einen herum auseinanderzubrechen scheint und alle Träume sich in Luft auflösen, als hätte es sie nie gegeben.
Sanft streichelt er mein Haar. »Es tut mir leid«, flüstert er immer wieder und wieder mit seiner leicht rauchigen, tiefen Stimme.
Er reicht mir ein Taschentuch und später noch eines und noch eines, bis sich ein Häufchen neben mir auf dem Sofa auftürmt, aber das ist mir in diesem Augenblick egal.
Nach einer Weile, als keine Tränen mehr kommen und ich mich hundeelend und erschöpft fühle, löse ich mich von ihm. Sofort spüre ich eine Art von Verlust. Am liebsten hätte ich mich für immer in seine Arme verkrochen und die Welt vergessen, aber das geht natürlich nicht.
Es ist ganz seltsam. Er wirkt auf mich so fremd und gleichzeitig vertraut. Liegt es nur am Schicksal, das wir gerade teilen, oder dem Trost, den er mir gespendet hat?
Ich weiß es nicht und habe jetzt auch nicht die Kraft dazu, es zu analysieren. Ich weiß nur, dass ich am liebsten ins Bett gehen und nicht mehr aufstehen würde.
»Ich … ich will jetzt allein sein.«
Sein Blick und Gesichtsausdruck wirken verständnisvoll. Er mag zwar keine auffällige Erscheinung sein, doch seine dunklen Augen sind schön in ihrer Tiefe und dem Mitgefühl, das ich darin lesen kann. »Das verstehe ich. Ich lasse Sie jetzt allein. Geben Sie mir Ihre Handynummer, damit ich Ihnen die Fotos schicken kann.«
»Ja, natürlich.« Ich nenne sie ihm mit kratzig klingender Stimme.
Meine Lippen fühlen sich ausgetrocknet an und meine Augen brennen. Mein Kopf beginnt zu hämmern. Hoffentlich wird das keine Migräne. Die hat mir gerade noch gefehlt.
Rasch tippt er etwas in sein Smartphone ein. »Überprüfen Sie, ob sie alle angekommen sind.«
Ich nicke, erhebe mich und gehe mit leicht unsicheren Schritten in den Flur, wo ich mit klammen, zittrigen Fingern mein Smartphone aus meiner Handtasche klaube. Als ich die SMS-App öffne, sind mehrere Nachrichten von ihm eingetroffen.
Ich vernehme Schritte hinter mir. Er ist mir in den Flur gefolgt.
»Drei SMS?«, frage ich.
Er nickt. »Ja.«
Sein Hemd ist zerknittert und feucht, weil ich es vollgeheult habe. Auch Mascaraflecken befinden sich darauf.
Betroffenheit steigt in mir auf. »Ich habe Ihr Hemd ruiniert. Das tut mir sehr leid. Schicken Sie mir die Rechnung dafür.«
»Das ist nichts, was sich nicht waschen ließe.«
»Ich weiß nicht, ob die Flecken herausgehen.«
»Ich habe Gallseife zuhause. Kommen Sie zurecht?« In seinen dunklen Augen liegt so viel Besorgnis, dass es mein Herz zutiefst berührt.
Ich muss schlucken. »Das Leben muss weitergehen.«
»Sie sagen es. Das muss es wohl wirklich. Ich wünsche Ihnen viel Kraft!«
Ich erwidere seinen Blick. »Ich Ihnen auch.«
Er atmet tief durch. »Die werden wir benötigen.«
Wir schütteln einander die Hände. Sein Handschlag fühlt sich fest und warm an. Wir tauschen zum Abschied Grußworte miteinander aus. Dann verlässt er die Wohnung.
Er schließt hinter sich die Tür und mit ihm gehen all meine Hoffnungen und zerbirst die Zukunft, die ich mir immer mit Owen erträumt habe. Nur Scherben und Tränen bleiben zurück. Neben der Tür sinke ich zu Boden und weine hemmungslos um meine verlorene Liebe und alles, was nun niemals sein wird.
Gegen halb neun Uhr abends, als Owen endlich nach Hause kommt, bin ich völlig aufgelöst. Im ersten Moment weiß ich gar nicht, was ich sagen oder wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Außerdem fühle ich mich durch das Weinen emotional und körperlich ausgelaugt.
Er stellt seine Tasche in die Ecke und kommt auf mich zu. »Was ist denn mit dir los?«
»Das sollte ich wohl eher dich fragen. Ich sage nur: Lora. Das ist mit mir los!«
Stirnrunzelnd blickt er mich an. »Was soll mit dieser Lora sein? Ist das eine deiner Freundinnen, die ich noch nicht kenne?«
Wut steigt in mir angesichts seiner voll beabsichtigten Ignoranz auf. »Tu nicht so, als würdest du nicht wissen, von wem ich spreche.«
»Ich weiß es nicht. Sag du es mir.«
»Deine Affäre.«
»Ich habe keine Affäre.« Seine Stimme klingt wie immer. Nichts an seinem Verhalten lässt auf Schuldgefühle schließen. Er scheint ein guter Schauspieler zu sein.
»Dann ist sie eben deine heimliche Freundin.«
»Du bist übertrieben eifersüchtig und siehst schon in jeder Ecke Gespenster.«
»Ich sehe keine Gespenster.« Meine Stimme ist vor Wut lauter geworden. Ich zücke mein Smartphone und rufe eine der SMS auf, die Jeremy Williams mir geschickt hat. Dann öffne ich eines der besonders verfänglichen Fotos und halte mein Smartphone Owen hin. »Ich habe noch mehr davon.«
Er wird blass. »Woher hast du diese Fotos?«
»Das spielt keine Rolle.«
Indigniert sieht er mich an. »Du hast mir also hinterhergeschnüffelt.«
»Das habe ich nicht getan. Loras Ex-Verlobter war hier.«
»Der hat auch nichts Besseres zu tun, als heulend hierher zu rennen oder was?«
»Lenk nicht vom Thema ab. Willst du es etwa immer noch abstreiten?«
Er schluckt. »Ich wollte es dir schon längst sagen, aber ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Du hast doch schon genug Stress am Hals.«
Fassungslosigkeit macht sich in mir breit. »Ernsthaft? Das soll deine Ausrede dafür sein?«
»Ich habe keine Ausrede. Lora ist meine große Liebe. Wir werden heiraten.«
Ungläubig starre ich ihn an. »Wann?« Meine Stimme zittert.
»Noch in diesem Jahr, wenn es nach mir geht.«
Mühsam kämpfe ich gegen meine Tränen. »Und was ist mit mir? Wir sind seit fast vierzehn Jahren zusammen. Mir hast du nie einen Antrag gemacht, obwohl du genau weißt, dass ich darauf gewartet habe.« Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, ihm einen Antrag zu machen. Nicht dass es jetzt noch eine Rolle spielen würde, aber es ist so verletzend und demütigend.
Gleichgültig zuckt er mit den Achseln. »Nach so langer Zeit braucht man auch nicht mehr zu heiraten. Das geht in den meisten Fällen schief.«
Im ersten Moment bin ich sprachlos angesichts solcher Frechheit. »Das heißt, du hast mich nur hingehalten? Seit zwei Jahren liegt mir meine Familie in den Ohren, dass es endlich Zeit wäre. Ich bin jetzt fast dreißig, und ich will Kinder.« Natürlich nicht mehr von ihm. Oh Gott, wenn ich nur daran denke, wie oft ich mir ausgemalt habe, Kinder von ihm zu bekommen, Mädchen mit seinen dunklen Augen und kleine Jungen mit seinem Lächeln.
»Wenn das Einzige, was dich interessiert, ist, was deine Familie darüber denkt und dass du mit dreißig noch nicht verheiratet bist, dann bin ich froh, dass es mit uns nicht geklappt hat.«
Entgeistert starre ich ihn an. »So meinte ich das nicht, nur dass es unfair mir gegenüber ist, fast vierzehn Jahre mit mir zusammen zu sein und dann meine Nachfolgerin in weniger als einem Jahr zu heiraten.«
»Weil sie die Richtige ist. Bei ihr wusste ich es eben sofort. Manchmal ist das eben so. Man weiß erst, welche Frau die Richtige ist, wenn man sie trifft.« Er macht es sich verdammt einfach …
Das sitzt! Tränen laufen mir über die Wangen. »Dann war ich also nicht die Richtige für dich?«
»Denk bloß nicht, dass du mich mit deinem Rumgeheule noch umstimmen kannst. Meine Entscheidung steht fest. Bis zum Ende der Woche ziehst du aus, Audrey.«
Erschrocken blicke ich ihn an. »Aber es ist momentan sehr schwer, eine Wohnung zu finden.«
»Dann zieh bei deiner Mutter oder einer deiner Freundinnen ein. Was interessiert mich das?«
»Du bist ein kaltherziges Arschloch! Du wolltest es mir erst im letzten Moment sagen, nicht wahr?«
»Nein, eigentlich wollte ich es dir noch diese Woche sagen. Ehrlich. Schließlich braucht Lora auch eine Unterkunft. Ihr Ex hat ihr nämlich eine Frist von vier Wochen gegeben.«
»Ich dachte, sie hätte ihn schon verlassen.«
»Ja, aber sie hat noch ihre Sachen bei ihm. Die will sie baldmöglichst abholen. Zum Glück scheint sie etwas in Aussicht zu haben.«
»Zumindest besitzt er mehr Anstand als du, dass er ihr so lange Zeit lässt.«
»Wer andere heimlich fotografiert kann wohl kaum als anständig bezeichnet werden.«
»Wenn ihr es in der Öffentlichkeit miteinander treibt, seid ihr selbst schuld daran. Außerdem war es offenbar notwendig. Sonst hättest du nie zugegeben, etwas mit ihr zu haben, und hättest mich dann eines Tages aus heiterem Himmel verlassen. Du bist so ungeheuer selbstsüchtig.«
»Was hast du erwartet? Dass ich mein Leben mit dir verbringe?«
Ich schlucke. »Ja, das habe ich. Das war auch nie zur Debatte gestanden.«
»Hast du dich eigentlich mal angesehen? Du bist total unscheinbar und zu dick. Jeder Mann übersieht dich.«
Seine Worte verursachen mir einen Stich ins Herz. »Wie meinst du das? Ich war also nur ein Kompromiss für dich?«
Dass er auf diese Fragen nicht antwortet, sagt mir, was ich wissen muss. Wie konnte ich mich in all den Jahren nur so in ihm täuschen?
Zumindest in der ersten Zeit ist er anders gewesen. Seit er in der Bank erfolgreicher geworden und zudem mit Aktienspekulationen angefangen hat, hat er sich allerdings zu seinem Nachteil verändert. Das war vor etwa zwei Jahren der Fall. Nun, da er seit ein paar Monaten Filialleiter der Kleinbank ist, scheine ich nicht mehr gut genug für ihn zu sein.
Er wurde oberflächlicher, hat mich häufiger kritisiert als sonst und an mir herumgenörgelt. Ich sei zu konservativ gekleidet und mein Beruf langweilig.
Als ich ihn fragte, welche Kleidung ich stattdessen wählen soll, kam er mit einem Nuttenkleid nach Hause, dessen Rock kaum breiter war als ein Gürtel und das Oberteil einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel aufwies.
Als Physiklehrerin an einem angesehenen College in einer Kleinstadt kann ich mich selbst in meiner Freizeit nicht so blicken lassen. Das hätte ihm eigentlich klar sein sollen.
Ich habe gedacht, er kriegt die Kurve. Man kann schon mal so eine Phase haben. Aber sie ging in seinem Fall nicht vorbei.
Owen beachtet mich nicht weiter, sondern betritt das Schlafzimmer. Er kommt auch nicht mehr raus.
Ich schlafe in dieser Nacht auf dem Sofa, da ich es nicht ertragen kann, neben ihm zu liegen.
Am nächsten Morgen rufe ich meine Freundin Hazel an und bitte sie, bei ihr unterkommen zu dürfen. Meine Mutter lebt zwar in Colwich, aber ich wohne ungern mit ihr zusammen, weil sie mitunter sehr anstrengend sein kann. Wenn sie erfährt, dass ich single bin, wird sie mir mit der tickenden biologischen Uhr in den Ohren liegen und versuchen, mich mit den Söhnen ihrer Freundinnen zu verkuppeln. Das wäre mir im Moment einfach zu viel. Jetzt brauche ich einfach meine Ruhe.
Mein Dad lebt weiter weg, aber mit dem habe ich ohnehin nichts zu tun.
Am Abend sitze ich in Hazels Küche. Meine Koffer stehen noch im Flur. Ihre beiden Katzen, eine graue und eine schwarze, liegen schlummernd auf zwei Kissen auf dem Fensterbrett.
Meine Freundin ist etwa einen halben Kopf größer als ich, schlank und hat kurze, hellblonde Haare. Meist trägt sie flippige Kleidung und hat ihre Haare stets modern gestylt, was als Friseurin mit einem eigenen Salon zu ihrem Pflichtprogramm gehört.
»Danke, dass ich bei dir unterkommen kann.«
Ihr Lächeln erreicht ihre dunklen Augen. »Keine Ursache. Dafür bin ich doch da. Ich wäre eine schlechte Freundin, wenn ich dich jetzt hängen lassen würde.«
»Oh, Hazel. Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht. Es kam alles so plötzlich. Natürlich könnte man sagen, ich hätte es erkennen müssen, aber wer hätte denn gedacht, dass sein Kollege für ihn lügt?«
Mitgefühl zeigt sich in ihrem Blick. »Also ich würde bei so etwas nicht lügen. Selbst für dich oder Pablo würde ich das nicht tun. Wobei ich nicht weiß, wie ich mich an seiner Stelle verhalten hätte. Offenbar sind die beiden befreundet. Ich denke, ich hätte mich in dem Fall einfach rausgehalten.«
Mein Herz fühlt sich schwer an. »Offenbar wollte er die Beziehung mit mir als Notnagel aufrechterhalten, bis er sich der anderen sicher ist. Er scheint es nicht im Geringsten zu bereuen. Ich war nur ein Kompromiss für ihn. Vielleicht war ich das von Anfang an.«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er sich nicht richtig Gedanken darüber gemacht, was er will. Auf jeden Fall hast du etwas Besseres verdient.«
Ich schlucke. »Er hat es angedeutet, Hazel. Ich war nie die Richtige für ihn, mit der er sich hätte vorstellen können, sein Leben zu verbringen.«
Wut blitzt in ihren Augen auf. »Owen ist ein egomanisches, eiskaltes Arschloch. Du darfst seine Worte nicht an dich rankommen lassen.«
Mit Mühe kämpfe ich die Tränen zurück, die drohen, sich wieder einen Weg nach außen zu bahnen. Ich habe heute Nacht wirklich genug geweint. Dieser Kerl hat keine meiner Tränen verdient. Aber sage das mal jemand meinem Herzen.
Ich seufze. »Das ist nicht so einfach, wenn man so lange zusammen war. Ich werde bald dreißig und stehe jetzt vor dem Nichts!«
Sie erhebt sich, läuft um den Tisch herum und drückt mich an sich. »Ich weiß. Das alles tut mir wirklich wahnsinnig leid. Niemand konnte das vorhersehen.«
»Denkst du, er hat deswegen immer gezögert, mir einen Heiratsantrag zu machen? Die andere will er jetzt vom Fleck weg heiraten.«
»Das ist möglich, aber trotzdem darfst du jetzt nicht so denken. Sei einfach froh, dass es nie so weit gekommen ist, denn er war ganz eindeutig nicht der Richtige für dich. Du bist mit einem blauen Auge davongekommen. Ich finde, er hat dich nie so geschätzt, wie du bist. Also mit allem, was dich ausmacht, deinen Interessen und Neigungen.«
»Wir sind sehr früh zusammengekommen, als ich gerade mal sechzehn und er siebzehn war, und haben uns dann in unterschiedliche Richtungen entwickelt.«
»Wenn das ein Problem für ihn gewesen wäre, hätte er sich jederzeit von dir trennen können.«
»Er meinte, die Richtige sei zuvor einfach nicht in sein Leben getreten.«
»Dann wäre er einfach Single geblieben, anstatt deine Zeit zu verschwenden. Er ist ein Arschloch. Versuche nicht, Entschuldigungen für ein Verhalten zu finden, für die es keine gibt.«
»Ich will nur wissen, warum er das tut, und was ich falsch gemacht habe.«
»Falls das der Fall war, hätte er es dir rechtzeitig sagen können, ohne so eine Nummer abzuziehen. Da er das aber nicht getan hat, ist die Sache für mich klar. Mach dir keinen Kopf darüber, und vor allem suche nicht die Schuld bei dir. Wenn du etwas falsch gemacht hast, dann war es eher, dass du zu lieb und zu geduldig warst.«
Ich nicke. »Du hast recht, aber diesen Fehler werde ich nie wieder begehen. Ich werde nie wieder Geduld für Idioten aufbringen. Nie, nie, niemals wieder!«
Hazel lächelt. »Diese Einstellung gefällt mir.«
Kapitel 2
Audrey
Trotz all der guten Vorsätze sind die nächsten drei Wochen die Hölle für mich. Natürlich sagt mir mein Verstand, dass Owen keine einzige meiner Tränen wert ist, aber wenn man jemanden wirklich liebt, sich jahrelang eine Zukunft mit dieser Person ausgemalt hat und sie jetzt auf einmal für immer weg ist, dann geht das nicht spurlos an einem vorüber.
Ich schleppe mich auf die Arbeit, um mich abzulenken. Für kurze Zeit gelingt mir das, solange ich mich auf meine Schüler und das Lehrmaterial konzentrieren kann, doch sobald ich wieder zuhause bin, stürzt alles wieder auf mich ein.
Meine Kollegen scheinen davon erfahren zu haben. Klar haben sie das. Eine meiner Kolleginnen wohnt schließlich in derselben Straße wie ich bis vor kurzem. Außerdem leben wir in einer Kleinstadt. Dort verbreiten sich solche Informationen ziemlich schnell.
Jedenfalls behandeln sie mich wie ein rohes Ei. Auch wenn sie mir eigentlich gar nicht helfen können, so bedeutet mir der gute Wille, den sie zeigen, sehr viel.
Trotzdem bin ich in ein dunkles Loch gefallen. Beinahe vierzehn Jahre waren wir zusammen, und jetzt ist alles kaputt. Owen und ich haben einen gemeinsamen Freundeskreis, der sich nun teilweise aufsplittet.
»So geht das nicht mehr weiter. Du musst wieder mehr aus dem Haus gehen und damit meine ich nicht nur zur Arbeit oder in den Supermarkt«, sagt Hazel eines Abends zu mir, als wir uns in der Küche bei einer Tasse Zimttee gegenüber sitzen.
»Du hast recht. Ich muss etwas ändern. Außerdem habe ich etwas vergessen. Dieser Jeremy Williams erwähnte eine Audiodatei, die er aufgenommen hat. Ich will eine Kopie davon haben.«
Besorgt sieht Hazel mich an. »Das kommt gar nicht infrage. Du hast dich schon genug gemartert. Das wird dir nicht guttun.«
»Aber du verstehst das nicht. Ich muss wissen, was Owen gesagt hat.«
»Was soll das bringen? Das wird nur sein übliches Geschwätz sein.« Hazel und Owen haben sich nie besonders gut miteinander vertragen. Sie hielt ihn für oberflächlich und auf ungesunde Weise ichbezogen. Offenbar hatte sie recht gehabt mit ihrer Einschätzung.
»Das ist möglich. Dann wäre auch kein Schaden angerichtet.«
»Aber was ist, wenn darauf zu hören ist, wie sie miteinander rummachen? Dieser Jeremy Williams wollte sie offensichtlich auf frischer Tat ertappen. Dir das anzuhören wird dir nur unnötig wehtun. Es führt zu nichts.«
»Das werde ich überleben. Ich muss es einfach hören, damit ich mit Owen abschließen kann.« Zumindest hoffe ich, dass mir das im Anschluss darauf gelingen wird.
»Du hast die Fotos noch nicht gelöscht. Und damit meine ich nicht nur die, die Jeremy Williams dir gesendet hat. Ich würde alle vernichten, auf denen er abgebildet ist. Meinetwegen gib ein paar davon seinen Verwandten, aber behalte keine selbst, denn das könnte dich in der Vergangenheit festhalten.«
Das mag sich radikal anhören, aber ich weiß, dass Hazel es gut meint, und im Grunde hat sie recht. Ich werde einen radikalen Schlussstrich ziehen müssen, wenn ich meine Vergangenheit mit Owen überwinden will. Er hat meine gesamte Zeit als Erwachsene geprägt. Die Situation ist nicht einfach.
»Ich weiß, Hazel, aber so weit bin ich leider noch nicht. Sagt man nicht, man würde die Hälfte der Zeit, die eine Beziehung gedauert hat, benötigen, um über sie hinweg zu kommen?«
Entsetzt reißt Hazel die Augen auf. »Bloß nicht. Verschwende nicht noch mehr Zeit an diesen Typen, als du ohnehin bereits hast.«
»Die Audioaufzeichnung könnte mir helfen, den Vorgang zu beschleunigen.«
Sie seufzt. »Hoffen wir es.«
Ich greife nach meinem Smartphone und rufe Jeremy Williams an. Da er mir damals die SMS geschickt hat, habe ich seine Mobilfunknummer noch.
Jeremy
Die vergangenen Wochen waren sehr schwer für mich. Die Wohnung wirkt jetzt so leer und trostlos ohne meine Ex-Verlobte. Es ist unglaublich, wie schnell sich das Leben ändern kann und alle Pläne und Träume zerstört sind. Aber manchmal sind solche Umwälzungen auch für etwas gut.
Mit meinen einunddreißig Jahren denke ich so langsam daran, eine Familie zu gründen, vorausgesetzt, ich habe die richtige Frau dazu in meinem Leben. Lora war nicht die Richtige. Zum Glück hat sich das rechtzeitig herausgestellt, denn wenn man es zu spät merkt, kann das böse enden.
Dennoch sitzt die Enttäuschung tief, dass ich so leicht für sie austauschbar war. Wie konnte ich mich nur so in ihr täuschen? Offenbar hat sie mich nie richtig geliebt. Wenn man wirklich liebt, dann ist die geliebte Person nicht austauschbar. Offenbar bin ich nochmals mit dem Schreck davongekommen. Wenn wir verheiratet gewesen wären, hätte ich jetzt mehr Ärger am Hals. So etwas wird mir nicht mehr passieren.
Ich komme gerade von der Arbeit und steige aus meinem Auto, als mein Handy klingelt. Als ich auf das Display schaue, sehe ich eine mir unbekannte Mobilfunknummer.
Ich nehme den Anruf entgegen. »Williams.« Wenn es ein Telefonverkäufer oder jemand ist, der Umfragen macht, kann ich diese Person immer noch abwürgen, aber meist rufen diese von Festnetznummern aus an.
Ich vernehme ein Räuspern. »Hallo, Mr. Williams. Mein Name ist Audrey Jones. Ich hoffe, Sie erinnern sich an mich, und ich störe Sie nicht.« Ihre schöne, feminine Stimme klingt ein wenig zaghaft.
Ich habe nicht vergessen können, wie sich ihr zarter Körper in meinen Armen angefühlt hat. Auch wenn die Umstände ungünstig waren, so war ich froh, dass ich ihr habe Trost spenden können. Hätte sie, als sie allein war, von Owens Vertrauensbruch erfahren, wäre vielleicht niemand für sie dagewesen.
»Nein, Sie stören mich nicht. Ich bin gerade nach Hause gekommen.«
»Als sie damals bei mir waren, haben Sie eine Audioaufzeichnung erwähnt. Ich möchte gerne eine Kopie davon haben.«
»Das ist keine gute Idee.«
»Weil die Aufzeichnung illegal ist?«
Ich atme tief durch. »Es ist nicht gerade schön, was darin über uns gesagt wird. Ich rate Ihnen davon ab, sich das anzutun. Das bringt nichts. Es wird Sie nur runterziehen.«
»Ich möchte sie mir trotzdem anhören. Ich muss einfach Bescheid wissen. Ich brauche das, um abschließen zu können.«
Ich atme tief durch, denn am liebsten möchte ich von der ganzen Sache nichts mehr hören. Gleichzeitig weiß ich, dass das nicht geht. »Also gut. Sind Sie zuhause?«
»Ich wohne jetzt bei einer Freundin.«
»Dann komme ich gleich bei Ihnen vorbei, oder sollen wir uns an einem neutralen Ort treffen?«
Sie zögert nur kurz. »Ich gebe Ihnen die Adresse …«
Wenige Minuten später biege ich in der Straße ab, in der Audrey Jones mittlerweile wohnt. Sie lebt im Erdgeschoss einer Doppelhaushälfte am Stadtrand.
Auf dem Klingelschild steht, wie von ihr mitgeteilt, ›Young‹. Im Flur erwartet mich bereits eine hochgewachsene, kurzhaarige Blondine in engen Jeans und einem flaschengrünen, mit Strass-Steinen besetzten Shirt.
Freundlich lächelt sie mich an. »Hi, du bist sicher Jeremy.«
Überrascht von dem lockeren Umgangston erwidere ich ihr Lächeln und nicke. »Ja, der bin ich.«
Sie streckt mir die Hand entgegen. »Ich bin Audreys Freundin Hazel Young. Kommen Sie doch bitte rein.«
Wir schütteln uns die Hände. Ihr Händedruck ist erstaunlich fest für so eine zarte Frau. Dann führt sie mich in ihre Wohnung. Diese ist in hellen, freundlichen Farben eingerichtet. Im Wohnzimmer türmen sich auf dem terrakottafarbenen Rattan-Sofa Kissen, die in einem orientalisch angehauchten Stil bedruckt sind.
Audrey sitzt auf einer Seite dieses Sofas, den Rücken an eines dieser Kissen gelehnt. Sie trägt einen geraden, schwarzen Rock, eine weiße Bluse und einen dunkelgrauen Cardigan. Hinter den Brillengläsern funkeln ihre dunklen Augen. »Hi, Mr. Williams. Danke, dass Sie so schnell kommen konnten.«
Hazel Young stellt sich mit vor der Brust verschränkten Armen neben sie. »Ihr werdet euch doch jetzt nicht allen Ernstes mit den Nachnamen anreden? Ich meine, ihr seid Leidensgenossen. Trinkt auf eure Bruder-und Schwesternschaft der Verlassenen und Verarschten zur Feier des Tages, dass ihr diese Versager los seid, eine Flasche Rum, und verbrennt anschließend alle Fotos, die ihr von ihnen habt.«
Audrey lächelt mich verlegen an. »Sie ist immer so forsch.«
Ich zucke mit den Achseln. »Kein Problem. Ich finde diese Art erfrischend.«
»Also dann nenne ich dich Jeremy, wenn das für dich in Ordnung ist?«
»Klar, kein Problem, Audrey.« Zwar erkennt man wegen des dicken Brillengestells und der streng zurückgekämmten Haare erst auf dem zweiten Blick, dass sie hübsch ist, aber ihr Lächeln ist absolut süß und hinreißend.
»Dann lass uns anfangen. Hast du die Datei mitgebracht?«
»Natürlich.« Ich zögere kurz, bevor ich den winzigen USB-Audiorecorder aus meiner Tasche hole. Eindringlich sehe ich sie an. »Bist du dir wirklich sicher, dass du dir das anhören willst?«
Sie nickt, obwohl sie verständlicherweise nervös wirkt. »Ja, natürlich. Hätte ich dich sonst angerufen? Wie bist du überhaupt an die Datei gekommen?«
Ich zeige ihr das kleine Aufzeichnungsgerät. »Hierbei handelt es sich um einen kleinen Audiorecorder, der nicht nur aussieht wie ein USB-Speicherstick, sondern auf dieselbe Weise als Speichermedium verwendbar ist. Er ist sehr geräuschempfindlich in seiner Aufnahmefunktion. Ich habe ihn in ein Seitenfach von Loras Lieblingshandtasche gelegt. Die Aufnahmefunktion lässt sich mit diesem kleinen Schieberegler an- und ausschalten.« Ich halte ihr den USB-Audiorecorder hin.
»Danke.« Sie nimmt ihn entgegen und geht damit zu einem silbernen Notebook, das sich auf einer Kommode befindet. Sie nimmt das Notebook und bringt es mit sich zurück zum Tisch, wo sie es hinstellt und hochfährt. Anschließend steckt sie den USB-Audiorecorder in das USB-Laufwerk und ruft die Audiodatei ab.
Zuerst hören wir nur das Übliche, also Schritte, Schlüsselgeklimper und die Geräusche, die entstehen, wenn jemand in seiner Handtasche herumwühlt.
Schließlich ertönen Stimmen. Innerlich bereite ich mich auf das Kommende vor.
»Hallo, Lora. Ich habe dich so vermisst.« Das ist eindeutig Owens Stimme.
Sie seufzt. »Ich dich auch. Es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, nicht bei dir sein zu können.« Ihre Stimme klingt schmachtend.
»Ich brauche noch ein bisschen Zeit, mein Schatz. Audrey und ich waren so lange zusammen. Da kann ich sie nicht von einem Tag auf den anderen verlassen. Das würde sie nicht verkraften.«
»Das halte ich für eine Ausrede. Es ist bequem für dich, mit ihr zusammen zu sein.« Nun klingt sie leicht enttäuscht.
»Nein, nein, das verstehst du ganz falsch«, sagt er in beschwichtigendem Tonfall.
»Owen, mal im Ernst. Wir können dieses Spiel nicht ewig spielen. Wir können nicht für immer darauf warten, dass einer von uns den ersten Schritt macht und seinen Partner verlässt.« Ich hatte die Audiodatei bereits aufgenommen, bevor Lora ausgezogen ist und Nägel mit Köpfen gemacht hat.
Er lacht. »Glaub mir, Audrey ahnt nichts. Die ist so unglaublich naiv und gutgläubig, dass wir es auf meinem Küchentisch miteinander treiben könnten, und sie es nicht kapiert, sofern ich eine halbwegs plausible Ausrede dafür parat habe.«
Wut steigt bei Owens gemeinen Worten in mir auf. Das hat Audrey nicht verdient.
Ich werfe einen Seitenblick in ihre Richtung und befürchte, dass sie bald wieder weinen wird. Als ich damals bei ihr war und ihr die Fotos zeigte, habe ich mich ganz hilflos gefühlt, als die Tränen über ihre Wangen liefen. Ich wollte ihr so gerne helfen, wusste jedoch nicht wie.
»Aber wie sieht es mit dir aus? Wirst du Audrey endlich verlassen?« Loras Stimme klingt forsch.
»Natürlich. Das habe ich dir doch schon öfters gesagt. Ich warte nur noch auf den richtigen Zeitpunkt.«
»Du weißt, dass ich nicht so bin wie sie. Ich werde nicht ewig warten, Owen. Ich hätte mich nie so lange hinhalten lassen wie sie. Dafür habe ich zu viel Klasse. Mit mir hättest du das nicht machen können.« Sie hört sich verdammt hochnäsig an.
Owen lacht. »Das weiß ich. Glaube mir, mein Schatz, bald ist es so weit. Dich hätte ich auch nie so lange hingehalten wie sie, aber die unscheinbare Maus hatte keine anderen Optionen. Sie kann mir dankbar dafür sein, dass ich sie damals entjungfert habe, denn hätte ich das nicht getan, würde auf ihrem Grab irgendwann ›ungeöffnet zurück‹ stehen.« Er lacht hämisch.
Bereits als ich die Tonaufzeichnung zum ersten Mal gehört habe, wollte ich Owen am liebsten für diese unverschämte Äußerung die Fresse polieren. Ebenso ergeht es mir in diesem Moment.
Ich werfe einen Seitenblick zu Audrey, die starr geradeaus blickt. Ihre Lippen sind zu einem dünnen, weißen Strich verzogen. In ihren Augen erkenne ich Schmerz.
Lora stimmt in Owens hämisches Lachen ein. »Du hast dich wirklich für sie aufgeopfert, du Ärmster. Wie die schon rumläuft und aussieht. Diese Brille und ihr dicker Hintern. Igitt. Sie ist so langweilig und kleidet sich schlimmer als meine Oma. Wie konntest du es nur so lange mit ihr aushalten?«
»Da war eben noch nicht die Richtige in mein Leben getreten. Aber jetzt bist du ja da. Dein Macker war auch nicht gerade der große Burner.«
»Was soll ich sagen? Er besitzt gewisse innere Werte.«
»Wo denn? In seiner Brieftasche?« Owen lacht erneut.
»Er ist nicht schlecht ausgestattet, und im Bett taugt er durchaus.«
»Muss ich mir etwa Sorgen machen?« Nun hört er sich eifersüchtig an.
Lora lacht. »Nein, das ist ja nicht alles, worauf es ankommt. Aber egal, Jeremy ist Geschichte. Er kann dir das Wasser ohnehin nicht reichen, dieser Langweiler. Er bügelt sogar seine Socken. Kannst du dir das vorstellen?«
»Bügelfalten in den Socken? Nein, jetzt schockierst du mich aber wirklich. Wie entsetzlich!«
»Das war ein Scherz, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass er so etwas tun würde.« Lora lacht.
»Ich mir auch.«
Jetzt lachen beide.
Ich balle meine Hände zu Fäusten. Es ist widerwärtig, wie sie sich über uns lustig machen.
»Kein Wunder, dass du diesen Langweiler verlassen willst. Was hast du nur an dem gefunden?«
»Das könnte ich über dich und Audrey ebenfalls sagen.«
»Ach, weißt du. Ich war damals noch sehr jung, als wir zusammenkamen. Ich wusste es nicht besser und fühlte mich ziemlich unsicher. Damals dachte ich, ich kriege nichts Besseres. Also nehme ich lieber den Spatzen in der Hand als die Taube auf dem Dach. Warum jahrelang auf die Richtige warten, wenn ich mir die Zeit bis dahin nicht auch ziemlich gut mit der Falschen vertreiben kann? Denn eins muss man Audrey lassen: Sie ist eine verdammt gute Hausfrau und macht klasse Omeletts. Auch backen kann sie ganz gut.«
»Mit euch Männern ist es doch immer wieder dasselbe.«
»Aber ihr wollt uns so, auch wenn ihr euch immer wieder darüber beschwert. Ihr wollt keine Weicheier, die ihr herumkommandieren könnt. Ihr wollt ganze Kerle.«
Lora lacht kehlig. »Wie recht du hast. Und jetzt komm her, mein ganzer Kerl, und besorg es mir.«
Da ich dem Ganzen nicht mehr länger zuhören kann, stoppe ich die Wiedergabe der Aufzeichnung. Das ist ohnehin schon unterstes Niveau. »Viel mehr kommt nicht.«
Mitfühlend blicke ich Audrey an, die mich in diesem Moment vollkommen überrascht.
Anstatt des erwarteten Tränenausbruchs sieht sie mich voller Zorn an. »Ich habe mir geschworen, mir nichts mehr gefallen zu lassen und keine Geduld mehr für Idioten zu haben.«
Jubelnd streckt Hazel ihre Faust in die Höhe. »Ja, endlich. Zum Teufel mit der unangebrachten Gutmütigkeit! Du siehst, wohin sie dich gebracht hat. Setz dich mehr für dich selbst ein.«
Ehe ich mich’s versehe, packt mich Audrey an meiner Krawatte und zerrt mich hinter sich her in den Raum nebenan, der sich als die Küche herausstellt. Was hat sie nur vor?
Eine amüsiert, aber auch ein wenig besorgt wirkende Hazel folgt uns.
»Ich werde jetzt wutbacken!«, verkündet Audrey mit blitzenden Augen.
Verwundert runzle ich die Stirn. »Wutbacken? Was zur Hölle ist das?«
Hazel sieht mich mitleidig an. »Das wirst du noch früh genug herausfinden. Sei froh, dass sie normalerweise eine ausgeglichene Persönlichkeit ist und das nur selten macht, denn sonst wären wir alle bald so breit, dass wir die Haustür durch ein Garagentor ersetzen müssten. Audrey backt nämlich die besten Cupcakes von ganz Nordamerika.«
Audrey nickt mit Feuer im Blick. »Ja, genau. Und du wirst mein Backsklave sein.« Sie sieht mir tief in die Augen, als sie das sagt. Das Feuer, das ich in ihren Iriden erkenne, zieht mich in den Bann.
Ich schlucke. Mir wird ganz heiß unter ihrem Blick. »Ich wollte schon immer dein Backsklave sein, vorausgesetzt natürlich, du verprügelst mich nicht mit deinem Marmornudelholz.« Besorgt beäuge ich dieses gefährlich aussehende Küchenutensil und frage mich, worauf ich mich soeben einlasse …
Sie grinst böse. »Nein, das werde ich natürlich nicht tun. Mit dem Nudelholz weiß ich ganz andere Dinge anzustellen.« Suggestiv blickt sie mich an, grinst dabei und zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Unanständige Dinge …«
Hatte ich jemals gedacht, dass diese Frau unscheinbar wäre? Mit so viel Leidenschaft im Blick wirkt sie wie eine stolze, elegante Königin. In diesem Moment fühle ich mich ungeheuer stark zu ihr hingezogen und bin bereit, herauszufinden, was sie unter diesen unanständigen Dingen versteht, selbst wenn das bedeutet, dass ich ihr Backsklave bin.
Hazel grinst breit. »Tut euch keinen Zwang an. Meine Küche gehört ganz euch. Es ist ja nicht so, als würde ich sie für etwas anderes benutzen, als ab und zu einen Kaffee zu kochen. Aber falls ihr wirklich vorhabt, unanständige Dinge darin zu treiben, dann putzt sie anschließend. Ich komme euch lieber nicht in die Quere, denn meine Küche ist für zwei Personen fast schon zu klein.« Hazel verlässt grinsend die Küche.
Audrey lässt zu meiner Enttäuschung meinen Schlips los und wühlt sich nun durch die Schränke. Sie holt Mehl, Zucker, Eier und weitere Zutaten heraus, die man zum Backen benötigt. Oder zum Wutbacken.
Sie füllt einiges davon in eine Schüssel, die sie mir anschließend in die Hände drückt. »Hier, vermische das.« Sie deutet auf den Mixer.
Ich leiste ihren Anweisungen Folge, während sie Owen in die tiefste Hölle verflucht und vor sich hin schimpft.
»So eine Frechheit, so eine Unverschämtheit. Dem werde ich es zeigen. Sollen ihm seine Eier abfaulen! So ein Widerling! Und diese Lora ist kein bisschen besser. Sie haben einander verdient! So ein widerliches Pack!«
Wo sie recht hat …
Audrey grinst böse. »Ich sollte es wie Pyradonis aus ›Asterix und Cleopatra‹ machen und ihm einen leckeren Pudding mit Arsen zubereiten oder doch lieber eine Torte mit Schlangengift? Hm, die Kirschtorte mit Pfeilgift hört sich auch nicht schlecht an. Wobei ich natürlich auch ein eigenes Rezept ausprobieren könnte.
Erdbeertorte mit Vanillesahne und Botulinumtoxin, das von anaeroben Bakterien erzeugt wurde. Laut einem Chemiker aus Birmingham ist es das gefährlichste Gift der Welt. Vier Gramm davon könnten rein theoretisch die gesamte Erdbevölkerung auslöschen.«
Ich schlucke. »Du besitzt eine äußerst rachsüchtige Seite.«
»Owen hat mir sehr, sehr wehgetan und die letzten dreizehn Jahre mit Füßen getreten. Er hat es nicht besser verdient.«
»Er wird wohl kaum eine Torte essen, die wir ihm überreichen oder vor seine Tür stellen.«
Sie seufzt. »Leider nicht. Aber träumen darf man noch. Und da es niemals Wirklichkeit werden wird, backen wir eben nur für uns selbst.«
»Hoffentlich ohne Curare, Botulinumtoxin oder Schlangengift.«
Sie lächelt zum ersten Mal, seit ich hier bin. »Aber natürlich nicht. Wie bist du eigentlich darauf gekommen, dass Lora etwas mit Owen hat?«
»Es fing damit an, dass sie wollte, dass wir unsere Bank wechseln, mit der wir schon seit Jahren sehr zufrieden waren. Noch dazu zu dieser kleinen Bank. Da schöpfte ich noch keinen Verdacht, weil sich die Bankfiliale direkt gegenüber von unserer Wohnung befand.
Eines Abends kam sie später nach Hause, weil sie angeblich mit ein paar Freundinnen einen Mädelsabend veranstalten wollte. Ich sah sie jedoch zusammen mit Owen aus der Bank kommen, die gegen halb zehn Uhr abends sicherlich nicht mehr geöffnet hatte. Gewiss machen manche Berater sehr späte Termine mit wichtigen Kunden aus, wenn sie diese zu keinem anderen Zeitpunkt wahrnehmen können, aber das traf auf Lora nicht zu. Sie arbeitet vormittags im Büro eines Bauunternehmens und jobbt zweimal in der Woche abends in einer Bar.«
Betroffen sieht Audrey mich an. »Sie haben sich also nicht nur im Auto, sondern auch an seinem Arbeitsplatz miteinander getroffen, als alle anderen schon nach Hause gegangen sind. Das ist möglich, denn er führt die Filiale seit ein paar Monaten. Offenbar ist es in dieser kleinen Bank möglich, dass er sich so spät abends noch allein dort aufhält.«
»Ich fragte Lora, nachdem sie mir die Ausrede mit ihren Freundinnen präsentierte, wie es diesen geht. Sie antwortete, dass es ihnen allen gutginge. Dann sagte ich ihr, dass ich gesehen habe, wie sie die Bank mit Owen zusammen verlassen hat. Sie lächelte und meinte, sie habe dort etwas vergessen, und der freundliche Bankberater sei extra für sie nochmals reingefahren, weil er so geschäftstüchtig sei und auch mich gerne als Kunden begrüßen möchte. Sie erwähnte noch, dass er das auch für Billy Joe Garcia, den Fernfahrer, machen würde, weil der so selten zu Hause sei. Du weißt schon, Miriam Garcias Bruder.«
»Du meinst die Miriam, die in der Stadtapotheke arbeitet?«
Ich nicke. »Ja, genau die.«
»Die kenne ich vom Sehen.«
»Da mir das Ganze seltsam erschien, besorgte ich mir also den USB-Audiorecorder. Es widerstrebte mir, Lora hinterherzuspionieren. Das ist nicht meine Art, aber sie war viel häufiger als früher bei ihren Freundinnen, die das gedeckt haben. Nachdem ich ihr mal heimlich gefolgt bin und Fotos gemacht habe und der USB-Audiorecorder das Gespräch aufgezeichnet hat, stellte ich Lora zur Rede. Zuerst wollte sie alles abstreiten, aber dann gab sie es zu, weil die Beweislast erdrückend war. Zuerst war sie eingeschnappt, weil ich ihr hinterherspioniert habe, doch dann musste sie einlenken. Ich gab ihr vier Wochen Zeit, sich eine andere Bleibe zu suchen.«
»Owen gab mir nur bis zum Ende der Woche Zeit. Er sagte es mir an einem Dienstag.«
Erschrocken sehe ich sie an. »So wenig Zeit nur? Das finde ich krass, zumal er an dem Scheitern eurer Beziehung die Schuld trägt und nicht du. War das an dem Tag, an dem ich bei dir war?«
Sie nickt mit Tränen in den Augen. »Ja. Ich habe ihn noch am selben Tag zur Rede gestellt, weil ich es nicht länger ausgehalten habe. Sie hat dich also für ihn verlassen.« Es klingt nicht nach einer Frage, sondern einer Feststellung.
Ich nicke. »Ja, das hat sie getan.« Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Am liebsten würde ich mich irgendwo verkriechen, um die Trauer über das Scheitern meiner Beziehung zu verarbeiten. Das mache ich meist mit mir selbst aus. Selten hole ich mir Rat bei meinem besten Freund Daniel oder einem meiner anderen Freunde.
Ich wurde so erzogen, als Mann kaum Gefühle zu zeigen und fokussiert und sachlich zu handeln, was mir mein Vater auch so vorgelebt hat bis zu dem Tag, an dem er meinen Respekt verloren hat. Es ist schwer, aus meiner Haut zu kommen, aber ich arbeite daran.
Vergeblich versuche ich, das schwere Gefühl, das sich in meiner Kehle ausbreitet, herunterzuschlucken. »Noch lange bevor die vier Wochen vorüber waren, kam ich abends von der Arbeit nach Hause. Loras Kleiderschrank war leer, und es waren noch so einige andere Dinge verschwunden.« Darunter befindet sich etwas, das ihr nicht gehört, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Daher erwähne ich es nicht.
»Hat sie einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
»Ich weiß nicht, ob ich einen hastig mit ›ciao, Versager‹ bekritzelten Zettel auf dem Küchentisch als Abschiedsbrief bezeichnen würde.«
Wut blitzt in ihren schönen Augen auf. Sie ballt eine Hand zur Faust. »Was für eine Unverschämtheit! Das ist so verdammt herzlos und mies!«
»Ich gebe dir uneingeschränkt recht.«
»Ich glaube, du brauchst das Wutbacken heute mindestens genauso wie ich.«
»Da könntest Du recht haben. So viel Mehl, Eier und Butter gibt es im ganzen Walmart nicht, wie ich gerade fürs Wutbacken bräuchte.«
Wenig später befüllen wir eine Unmenge an bunten Cupcakeförmchen aus Silikon. Wir haben verschiedene Teigvarianten hergestellt. Es gibt in Hazels Küche vermutlich keine Schüssel mehr, die nicht von uns verwendet wurde. Überall steht irgendwas herum. Es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld.
»Wer soll das alles essen?« Es gelingt mir nicht, meine Bestürzung aus meiner Stimme fernzuhalten.
»Abnehmer finden wir mit Sicherheit genügend. Mach dir darüber keine Sorgen. Und jetzt sprich nicht so viel, sondern arbeite mehr.«
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und salutiere. »Jawohl, Frau General.«
Dafür ernte ich einen schrägen Blick, aber da ich hart arbeite, scheine ich vor ihren Augen Gnade zu finden.
Bald ist die erste Ladung Cupcakes fertiggebacken. Einige davon befüllen wir.
»Mich wundert es nur, dass du so viele Backzutaten zuhause hast, Hazel«, sage ich zu ihrer Freundin, die vorhin die Küche betreten hat und soeben die Blumen auf den Küchenfensterbrettern gießt.
»Das hat Audrey alles schon vor drei Wochen beschafft für den Fall des Falles.«
Besagte Wutbäckerin nickt. »Wie man sieht in weiser Voraussicht.«
Hazel schenkt ihr ein Lächeln. »Ja, das war sehr vorausschauend. Ich muss gleich weg, denn ich habe noch einen Kundentermin bei Mr. Robertson zum Haareschneiden.«
Überrascht sehe ich Hazel an. Sie ist also die Friseurin meines alten Freundes, über die er immer mal wieder gesprochen hat.
Mitfühlend blickt Audrey ihre Freundin an. »Bei Mr. Daniel Robertson?«
Hazel nickt. »Ja, genau bei dem. Der Ärmste sitzt schon seit ein paar Jahren im Rollstuhl. Daher fahre ich zu ihm raus. So ein hübscher, netter Mann.«
Audrey sieht ihre Freundin verblüfft an. »Sag bloß, du hast ein Auge auf ihn geworfen?«
Hazel winkt ab. »Er ist überhaupt nicht an mir interessiert.«
Mitgefühl zeigt sich in Audreys Blick. »Er weiß nicht, was er verpasst. Nimm ihm ruhig ein paar Cupcakes mit. Wir haben sowieso mehr, als wir essen können.«
»Danke. Sehr gerne. Darüber wird er sich sicherlich freuen.«
»Grüße ihn von mir«, sage ich. »Mit den Cupcakes wirst du bei ihm allerdings nicht allzu viel Glück haben. Er ernährt sich sehr strikt.«
Erstaunt blickt Hazel mich an. »Du kennst ihn persönlich? Er lebt ziemlich zurückgezogen, seit er vor ein paar Jahren hierher gezogen ist, und er redet nicht allzu viel. Ich glaube, ich bin eine der wenigen, die er in sein Haus lässt. Ich kann ihm die Cupcakes anbieten. Wenn er sie nicht haben will, dann hat er eben Pech gehabt.«
»Wir sind seit Jahren miteinander befreundet.«
»Es überrascht mich nicht, dass ich das nicht wusste. Es ist schwer, ihm auch nur ein paar Worte aus der Nase zu ziehen. Natürlich grüße ich ihn von dir. Er wird sich sehr darüber freuen.« Hazel packt ein paar Cupcakes für Mr. Robertson in eine Tupperbox und nähert sich dann der Tür. »Bis später, ihr zwei Hübschen, und vergesst nicht, die Küche aufzuräumen.«
»Geht klar. Bis später«, sagen wir fast wie aus einem Mund und kümmern uns wieder ums Backwerk.
Ich bin nicht besonders gut in der Küche. Kochen und backen gehören nicht zu meinen Interessensgebieten. Umso mehr überrascht es mich, dass es mir mit Audrey sogar Spaß macht. Das liegt allein an ihr. Es gelingt ihr, selbst solche Tätigkeiten interessant zu gestalten.
»Was machst du eigentlich so?«, fragt sie mich.
»Meinst du beruflich?«
Sie zuckt mit den Achseln. »Beruflich und von der Berufung her. Eigentlich ist es doof, immer gleich nach dem Beruf zu fragen, weil der nicht immer etwas über eine Person aussagt. Man wird jedoch danach beurteilt.«
»Das ist richtig. Ich arbeite als Systembetreuer für Linux in einem Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie. Das ist ein Beruf, der mir sehr liegt. Und was machst du?«
»Die Physik ist mein Leben.«
Überraschung, Achtung, aber auch ein seltsames, flaues Gefühl machen sich in mir breit. »Hier in Colwich?«
Sie nickt. »Ich habe für das Lehramt studiert und unterrichte am hiesigen College im Undergraduate Level Physik und als Wahlfach zusätzlich die Quantenphysik für jene Schüler, die tiefer einsteigen wollen. Glücklicherweise ist unsere Schule sehr progressiv und ermöglicht mir das.«
Ich schlucke. »Das ist sehr lobenswert. Mein Vater ist auch Physiker, allerdings Astrophysiker, um genau zu sein.« Meine Stimme klingt, gelinde gesagt, nicht gerade enthusiastisch.
Sie blickt mit zusammengezogenen Augenbrauen von den Cupcakes auf, die sie gerade mit Vanille-Sahnehäubchen und bunten Zuckerstreuseln verziert. »Deine Begeisterung für Physik scheint sich in Grenzen zu halten.«
Ich räuspere mich, da mir kurz die Stimme versagt. »Versteh mich bitte nicht falsch, Audrey. Ich habe eine hohe Achtung vor Physikern und finde vor allem die Quantenphysik faszinierend, doch im Falle meines Vaters war es so, dass er derart auf seinen Job und seine Ziele fokussiert war, dass er seine Mitmenschen dabei völlig vergaß. Er war nicht besonders empathisch. Irgendwann zerbrach seine Ehe daran.«
Mitfühlend sieht sie mich an. »Das tut mir leid. Deine Familie stammt nicht von hier?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Mein Dad lebt in den Twin Cities in Minnesota, und meine Mom ist in ihre Geburtsstadt Cheyenne in Wyoming zurückgekehrt.«
»Was hat dich nach Colwich verschlagen?«
»Lora. Ich habe sie in Saint Paul, also in den Twin Cities, kennengelernt. Sie war dort im Urlaub. Eine ihrer Großtanten hat dort vor Jahren in eine der Familien von der Oststadt eingeheiratet.«
Interessiert blickt sie mich an. »Wie haben sich deine Eltern eigentlich kennengelernt?«
»Meine Mom hatte damals mit zwei ihrer Freundinnen in den Twin Cities Urlaub gemacht. Die Gegend ist bei Touristen sehr beliebt.